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Neuntes Kapitel

Wir erreichten das Dorf früher, als wir zu hoffen gewagt hatten. Während der Nacht wurde der nordwestliche Wind immer stärker. Wütend trommelten die Regenböen gegen das Blechdach des Regierungsgebäudes. Dann wieder folgte plötzliche Windstille, während Blitze am fernen Horizont zuckten und die Brandung donnernd gegen das Riff anstürmte. Als es hell wurde, jagte der Wind niedrige, graue Wolken über die See.

De Laage dürfte an diesem Tage früher als gewöhnlich aufgestanden sein. Auf dem Weg zu seinem Baderaum hat er wohl einen Blick in seinen Wasserbehälter getan, dessen Inhalt infolge des nächtlichen Regens recht beträchtlich angestiegen war. Dann dürfte der Gouverneur, wie es seine Gewohnheit war, den Barometerstand geprüft haben, der an jenem Morgen ein wenig niedriger als gewöhnlich, aber keineswegs beunruhigend war. Ohne Zweifel hielt de Laage das Unwetter, das da heraufzog, für einen der nordöstlichen Stürme, welche die Eingeborenen Faarna nennen und die selten länger als ein oder zwei Tage dauern. Die Tag- und Nachtgleiche stand unmittelbar bevor; um diese Zeit war unruhiges Wetter keine Seltenheit.

Als der Gouverneur sich rasiert und angezogen hatte, begab er sich zu seiner Frau in das Speisezimmer, wo das Frühstück bereits aufgetragen war. Über das, was sich dann begab, erfuhr ich später Näheres durch Kapitän Nagle.

»Du hast noch immer die Absicht, sogleich abzufahren, Eugène?« fragte Frau de Laage angstvoll.

»Es ist meine Pflicht«, entgegnete er.

»Und das Wetter ...? Es sieht bedrohlich aus.«

»Nichts als ein Nordoststurm ... Hat Arai mein Schreiben zu Kapitän Nagle gebracht?«

»Gewiß. Der Kapitän muß jeden Augenblick hier sein.«

Und wirklich sahen sie Nagle schon einige Minuten später zum Gartentor hereinkommen. Wieder hatte eine plötzliche Regenbö eingesetzt. Der Kapitän machte auf der Veranda einen Augenblick halt, um sein Ölzeug abzulegen. De Laage ging ihm bis zur Türe entgegen.

»Kommen Sie herein, Kapitän. Es tut mir leid, Sie so früh in Anspruch zu nehmen. Bitte, Germaine, schenk Kapitän Nagle eine Tasse Kaffee ein.«

»Vielen Dank, bei dem Wetter kann man eine zweite Tasse ganz gut vertragen. Eine wahre Sündflut war das während der Nacht! Heute morgen wird's in den Behältern nicht an Wasser fehlen.«

»Was halten Sie davon, Kapitän?«

»Vom Wetter, meinen Sie? Nicht gefährlich. Mein Barometer zeigt 28.80.«

Der Gouverneur nickte mit einem kühlen Lächeln. »Ich will gleich zur Sache kommen, Kapitän. Ich habe Sie hierhergebeten, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihren Schoner im Namen der Regierung chartern muß. Ich werde ihn auf eine Woche oder vierzehn Tage brauchen.«

»Das ist ein bißchen plötzlich«, meinte Nagle beinahe erschrocken. »Ich hatte die Absicht, morgen nach Fakahina zu fahren.«

»Die Notwendigkeit hat sich leider plötzlich ergeben«, entgegnete de Laage. »Selbstverständlich werden Sie nichts dabei verlieren. Wann können Sie abfahrtbereit sein?«

»Wohin soll die Reise gehen?«

»Zuerst nach Amanu, und ich hoffe, daß wir nicht weiterzufahren brauchen. Ich muß diesen Terangi finden! Sollte er in Amanu nicht zu finden sein, dann müßten wir allerdings auch die benachbarten Inseln anlaufen.«

Der Kapitän schwieg einen Augenblick. »Selbstverständlich muß ich einverstanden sein. Mit der Regierung kann man nicht rechten. Auszuladen habe ich nichts mehr. Ich kann abfahren, sobald Sie mich brauchen.«

»Dann werde ich in einer halben Stunde an Bord gehen, falls Ihnen das paßt.«

Nagle nickte. »Nun gut, Herr Gouverneur, ich und mein Schiff stehen Ihnen in einer halben Stunde zur Verfügung.«

Frau de Laage begleitete ihren Mann zum Pier. Dort erwartete Tavi sie bereits mit einem hölzernen Käfig, in dem sich ein Fregattenvogel befand, ein seltsames und sehr schönes Geschöpf, mit schwarzem, ins Schokoladenbraune spielendem Gefieder, einem langen, gebogenen Schnabel und runden, braunsamtenen Augen, in denen kohlschwarze Pupillen schimmerten. De Laage nahm oft einen von Tavis zahmen Fregattenvögeln mit auf seine Fahrten durch den Archipel, wenn er die Absicht hatte, einen Brief nach Hause zu senden.

Tavi brachte den Käfig an Bord, während der Gouverneur sich von seiner Frau verabschiedete.

»Ich werde bald zurückkommen, meine Liebe«, sagte er in seinem gewohnten sachlichen Ton. »Und jetzt warte nicht länger, sondern geh gleich nach Hause, denn es ist wieder eine Bö im Anzug.«

Eine Viertelstunde später hatte die Katopua bereits mit Volldampf und gehißtem Focksegel die Durchfahrt zum offenen Meere passiert.

 

An einem verborgenen Platz zwischen den hochaufgetürmten Koprasäcken im Warenschuppen seines Vaters hatte der arme kleine Mako eine so traurige Nacht verbracht, wie nur heranwachsende junge Menschen sie kennen. Seit dem Vortage hatte er keinen Bissen zu sich genommen, und wenn er einmal ein wenig Schlaf fand, fuhr er bald wieder aus quälenden Träumen auf. Es war ihm, als könne er sich nie wieder im Dorfe zeigen, und er hatte nur den einen Wunsch: zu sterben.

Während des vorangegangenen Nachmittags hatte er zweimal seine Mutter rufen gehört, aber keine Antwort gegeben. Er hatte die Geräusche des abfahrenden Schoners vernommen und, durch eine Lücke in der Wand blickend, sein Segel gesehen. Daß Terangi nicht gefangen worden war, wußte er. Als er nun bemerkte, daß die Katopua mit dem Gouverneur an Bord abfuhr, verspürte er aufs neue ein wenig Hoffnung. Es kam ihm sogleich zu Bewußtsein, daß er großen Hunger hatte; er kroch aus seinem Unterschlupf, schlich behutsam zum alleinstehenden Kochhaus seiner Mutter, wo er einen Laib Brot und einen in ein Blatt gewickelten gebackenen Fisch fand. Er war gerade dabei, in Hast seinen Hunger zu stillen, als seine Mutter aus dem Laden auftauchte und ihn sah.

» Eaha nei!« rief sie. »Wo bist du gewesen? Komm sogleich in den Laden. Fakahau ist dort; er sucht dich. Wir sagten ihm, daß du nicht hier seist.«

»Was will er von mir?«

»Das hat er mir nicht gesagt.«

»Er soll auch weiter glauben, ich sei nicht da.«

» Atira!« sagte Marunga ungeduldig. »Ist er nicht der Häuptling? Komm!«

Widerstrebend und langsam folgte Mako seiner Mutter in den Laden. Sein Gesicht brannte vor Scham, als der Häuptling auf ihn zukam und eine Hand auf seine Schulter legte. »Was geschah, ist nicht deine Schuld, Mako«, sagte Fakahau freundlich. »Wir wissen es. Denke nicht mehr daran! Du weißt, wo Terangi, sein Weib und sein Kind zu finden sind. Gehe zu ihnen und sage ihnen, daß Monsieur weggefahren ist. Er wird zumindest eine Woche ausbleiben.«

Der Junge schluckte die aufsteigenden Tränen hinab und schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht.«

»Du kannst es und du sollst es«, warf sein Vater ein; »es ist nur gerecht, daß du der Bote bist, der ihnen die Nachricht überbringt.«

Er wandte sich zu seinem Bruder. »Aber werden sie noch in der Grotte sein?« fragte er.

»Ja«, antwortete Fakahau. »Ich schärfte Marama ein, daß sie sich nicht aus ihrem Versteck wegrühren dürfen, ehe ich ihnen die Erlaubnis dazu gegeben habe. Und nun gehe, Mako! Mach dich auf den Weg!«

Obgleich Mako große Angst vor Terangi hatte, sah er ein, daß er dem Befehl des Häuptlings folgen mußte. Er wählte ein leichtes Kanu und schnitt sich einen grünen Palmwedel ab, der ihm als Segel dienen sollte. Nur wenige Bewohner Manukuras wußten von seiner Abfahrt, denn das stürmische Wetter hatte die meisten Leute in die Häuser getrieben. Als Mako an seinem Steuerruder saß und der heftige Nordostwind das kleine Fahrzeug durch die Wogen trieb, vergaß er über der Freude an der geschwinden Fahrt beinahe seine Sorgen.

Kaum eine Stunde später hatte er in seiner Nußschale den Strand von Motu Tonga erreicht. Nahe dem Nordende der kleinen Insel hatte in altersgrauen Zeiten der Sturm große Korallenblöcke von der Meerseite des Riffs weggerissen und sie in wilder Unordnung auf der der Lagune zugewendeten Seite aufgetürmt. Unter dem so entstandenen natürlichen Dach, das Hunderte von Tonnen schwer und mit dürftigem Graswuchs bedeckt war, lag die Grotte. Licht und Luft sickerten durch die Lücken zwischen den Blöcken, und der einzige Eingang lag einen Faden tief unter der Oberfläche der Lagune. In den heidnischen Zeiten hatten die Frauen und Kinder, wenn die Kriegsboote der benachbarten Inseln Raubzüge nach Manukura unternahmen, hier Zuflucht gefunden. Die Grotte führte den Namen »Te Rua«, und ihr Vorhandensein war ein Geheimnis, das aufs strengste gehütet wurde. Nicht einmal Vater Paul hatte Kenntnis von diesem Ort.

Mako legte sein Hemd ab, schürzte sein Pareu und schob den beim Tauchen benutzten Augenschutz herab, der mittels eines elastischen Bandes über seinem Kopf befestigt war. Während er zu der Stelle hinauswatete, wo der Korallenwall als senkrechte Klippe ins Meer abstürzte, holte er einige Male tief Atem und tauchte dann, die Luft wieder zum Teil aus den Lungen ausstoßend, in die Lagune.

Er fand sogleich den Eingang zur Grotte, der so hoch war, daß ein Mann aufrecht darin stehen konnte, ohne mit dem Kopf an die Korallendecke anzustoßen. Mit kräftigen, wohlberechneten Stößen arbeitete er sich durch den höhlenartigen Eingang durch und tauchte gleich darauf zu der stillen, dunklen Wasserfläche innerhalb der eigentlichen Grotte Te Rua empor.

» Ko vai tera?«

Mako erschauerte beim Klang der Stimme Terangis.

»Ich bin es – Mako«, antwortete er.

»Komm, wir sind hier.«

Ein Streichholz flammte auf, in dessen Schein Terangis aufrecht stehende Gestalt und daneben Marama und Tita auf einem vorspringenden Felsenriff sitzend sichtbar wurden. Dann erlosch das Streichholz wieder; der Knabe vermochte zuerst nichts zu erkennen, bis seine Augen sich an das schwache Dämmerlicht in der Grotte gewöhnt hatten. Bebenden Herzens schwamm er auf die Stelle zu, wo Terangi stand, und zog sich dann an dem Felsvorsprung hinauf. Gleich darauf ruhte er neben Marama und Tita im trockenen, reinen Korallensand.

»Was bringst du?« fragte Terangi.

»Fakahau sendet mich. Monsieur ist mit dem Schoner nach Amanu gefahren. Vor Ablauf einer Woche wird er nicht zurückkehren. Terangi ...«

Mako konnte nicht weitersprechen. Er saß in sich zusammengesunken da und umfaßte seine Knie mit den Händen. Den freundlichen Blick, mit dem Terangi ihn betrachtete, sah er nicht.

»Mako«, sagte Terangi leise, »erinnerst du dich der Zigarette, die du vor vier Tagen in Vater Pauls Kutter für mich gedreht hast? Damals habe ich seit Wochen zum erstenmal wieder geraucht. Und ehe ich an Land schwamm, gabst du mir deine Tabakdose mit deinem Zigarettenpapier und deinen Zündhölzern. Deine Hände sind naß. Soll ich jetzt eine Zigarette für dich drehen?«

Der Knabe wollte antworten, aber er war so überglücklich vor Freude, daß ihm die Stimme versagte. Marama streichelte seine Schulter. »Wir begreifen alles, Mako«, sagte sie. »Was hättest du anderes tun können, als du einem solchen Manne gegenüberstandest? Im Herzen Terangis ist kein Groll gegen dich, und auch nicht in meinem. Kommt, laßt uns eilen. Ich sehne mich danach, das Tageslicht wiederzusehen.«

Die sechsjährige Tita verließ die Grotte als erste. Sie schwamm wie ein Fisch, aber ihre Mutter hielt sich zur Vorsicht doch dicht an ihrer Seite, als sie zur Oberfläche emporschoß. Terangi und Mako folgten, und bald waren sie alle am Strand versammelt.

Terangi blickte mit ernster Miene zum Himmel auf und sah dann angstvoll auf Marama, die bereits begonnen hatte, ihre versteckten Habseligkeiten auszugraben. Mako half Terangi, das versenkte Kanu flottzumachen. Es lag, mit Korallenblöcken gefüllt, zwei Faden tief im Wasser. So oft sie hinabtauchten, entfernten sie einen oder zwei Blöcke, und endlich tauchte das Boot an der Oberfläche auf. Sie zogen es sogleich an Land.

»Bei diesem Wetter kannst du keine Bootsfahrt unternehmen, Terangi«, sagte Mako warnend.

»Du hast recht«, nickte Terangi, »wir müssen Geduld haben. In zwei bis drei Tagen wird der Sturm aufhören.«

»Wohin willst du flüchten?« fragte der Knabe, aber kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als er sich seiner Neugierde schämte.

Terangi warf Marama einen warnenden Blick zu.

Dann antwortete er: »Es wird das beste sein, wenn wir uns an einer einsamen Stelle verbergen, bis ein günstiger Wind eine weitere Fahrt ermöglicht. Dann werden wir vielleicht nach Rakahanga oder Maniki oder einer anderen im Westen gelegenen Insel, die den Engländern gehört, segeln.«

»Das wird das Beste sein«, rief Mako eifrig. »Dort werden sie euch niemals finden, Terangi!«

»Und nun an die Arbeit, ihr beiden!« mahnte Marama. »Wir müssen so rasch wie möglich eine Hütte errichten. Schneide die Palmwedel ab, Mako! Ich werde sie flechten, während Terangi die Balken zusammenfügt. Bald wird das Unwetter hier sein, und dann brauchen wir ein schützendes Dach.«

In der Tat verschlechterte sich das Wetter von Stunde zu Stunde. Der Sturm nahm ständig an Stärke zu, und am Spätnachmittag rollten haushohe Wogen gegen das Ufer. Die Regenböen hatten aufgehört; die Palmen schwankten und bogen sich unter der Gewalt des Sturmes; zerrissene, unheildrohende, dunkle Wolken jagten am Himmel dahin.

In ihrem Hause in Manukura hatte Frau de Laage alle Türen und Fenster fest schließen lassen, mit Ausnahme jener auf der Südseite. Der Gedanke, daß sich ihr Mann bei diesem Wetter auf hoher See befand, machte sie sehr besorgt, doch sie konnte sich nicht verhehlen, daß sie kaum weniger besorgt war wegen des Schicksals Terangis und der Seinen. Sie hatten, daran zweifelte sie nun nicht mehr, im Dunkel der Nacht die Durchfahrt passiert und mußten Amanu inzwischen längst erreicht haben, falls sie sich überhaupt dorthin gewendet hatten. Aber Frau de Laage war keineswegs so sicher wie der Gouverneur, daß sie dieses Ziel gewählt hatten. Obgleich sie ihm nichts davon gesagt hatte, hielt sie es für weitaus wahrscheinlicher, daß Terangi Amanu und Hao meiden und eine weiter entfernte Insel aufsuchen würde, etwa Paraoa oder Ahunui.

Paraoa zum Beispiel war eine unbewohnte Insel, die den Bewohnern von Hao gehörte, und würde zumindest eine Zeitlang eine ausgezeichnete Zufluchtsstätte sein. Aber wenn Terangi und seine Familie dieses Ziel gewählt hatten, so mußten sie noch unterwegs sein. Frau de Laage erschauerte bei dem Gedanken, daß ein Segelkanu bei diesem Wetter auf hoher See war. Die Flüchtlinge mußten unrettbar verloren sein, wenn das Boot kenterte; Terangi und Marama allein würden niemals imstande sein, ein so großes und schweres Fahrzeug wieder flottzumachen.

Wohl zum zehntenmal an diesem Tage ging sie auf die nach Süden gelegene Veranda hinaus, um den Stand des Barometers festzustellen. Obgleich es noch nicht fünf Uhr war, war es schon so dunkel, daß sie zurückkehren mußte, um ihre Taschenlampe zu holen. Sorgsam prüfte sie die dünne Zickzacklinie auf dem Papierstreifen des Barometers. Gewöhnlich stieg das Barometer nach vier Uhr ein wenig, heute aber war es weiter gesunken und zeigte nun 29.50, den tiefsten Stand, den sie je auf Manukura beobachtet hatte. Sie klopfte leise auf das Instrument, worauf der Stand auf 29.45 fiel.

Das Barometer im Regierungshause war das einzige auf der Insel. Als ich an diesem Tage hinging, um den Stand abzulesen, fand ich Frau de Laage über das Instrument gebeugt. Obgleich ich selbst ziemlich beunruhigt war, tat ich mein möglichstes, um ihre Besorgnisse zu zerstreuen. Ich sagte ihr, daß wir uns wohl auf einen Orkan gefaßt machen müßten, daß aber kaum etwas Schlimmeres zu befürchten sei. Es sei immer noch Zeit, sich Sorgen zu machen, wenn das Barometer weiter falle.

»Wegen der Katopua brauchen Sie nichts zu befürchten, gnädige Frau«, fügte ich hinzu. »Das Schiff liegt gewiß schon lange in der Lagune von Amanu fest und sicher vor Anker.«

Äußerlich war Frau de Laage bemerkenswert ruhig, aber ich wußte, daß ich ihre Besorgnisse nur wenig vermindert hatte. Sie bestand darauf, eine Tasse Tee zu machen, und während wir ihn im Speisezimmer tranken, fragte sie mich, was es mit den Hurrikanen eigentlich für eine Bewandtnis habe. Ich teilte ihr mit, was ich aus meinen meteorologischen Büchern wußte. Darüber, wie diese tropischen Wirbelstürme entstehen, gehen die Meinungen auch heute noch ziemlich weit auseinander, aber den Ort ihres Ursprunges kennt man genau; er liegt etwa 5 bis 15° nördlich oder südlich vom Äquator. In der Gegend, in der die Tuamotus liegen, kommen diese Stürme fast immer von Norden her. Manche haben nur eine Geschwindigkeit von wenigen Meilen im Tag; andere bewegen sich in südlicher Richtung mit einer Geschwindigkeit fort, die nicht einmal das schnellste Schiff erreichen kann.

Ich unterhielt mich mit Frau de Laage über dieses Thema mit wissenschaftlicher Sachlichkeit, unterließ es aber wohlweislich, einen Umstand zu erwähnen, der anfing, mich zu beunruhigen, nämlich, daß ein sich allmählich verstärkender Wind aus der gleichen Himmelsrichtung, verbunden mit fallendem Barometerstand, eines der typischen Kennzeichen für das Herannahen eines Hurrikans ist.

Trotz alledem glaubte ich damals noch immer nicht ernstlich an eine drohende Gefahr. Ich hatte genug Stürme mitgemacht, die stärker waren als der jetzige, und immer hatten sie sich nach spätestens sechsunddreißig Stunden gewissermaßen müdegeblasen, ohne ärgeren Schaden anzurichten als ein paar entwurzelte Bäume und ein paar weggewehte Küchenhütten. Rings um das Dorf standen in großer Zahl hohe, alte Kokospalmen, die vor mehr als fünfzig Jahren gepflanzt worden sein mußten; ein Beweis dafür, daß wirkliche Hurrikane in dieser Weltgegend keineswegs häufig waren. Gewiß, andere Inseln der Gruppe waren seither von diesen gefährlichen Stürmen heimgesucht worden; sehr oft hatte ich zum Beispiel die Eingeborenen über die großen Katastrophen von 1903 und 1906 reden hören. Die von 1906 hatte Hikueru und die umliegenden Inseln beinahe vernichtet und auch auf den Gesellschaftsinseln großen Schaden angerichtet. Aber Manukura schien außerhalb der Zone dieser Stürme zu liegen.

Ich erinnerte Frau de Laage daran, wie lange Manukura von Hurrikanen verschont geblieben sei; offenbar sei es sozusagen immun dagegen. Ich glaube übrigens nicht, daß sie trotz des niedrigen Barometerstandes damals wegen des Wetters ernstlich beunruhigt war. In jener Stunde machte sie sich viel mehr Sorgen um Mama Rua.

Am Tag vorher, als wir die Streife nach Terangi veranstalteten, hatte seine Mutter das Bett aufgesucht, und als ich sie etwa zwölf Stunden später besuchte, erkannte ich sogleich, daß ihr Tod unmittelbar bevorstand. Ihr Puls war erschreckend schwach. Gerne hätte ich ihr ein Stärkungsmittel gegeben, aber ich sah davon ab, auch nur den Vorschlag zu machen. Die Leute von Manukura kamen immer gerne zu mir, sie hatten gar keine Scheu vor dem Arzt, aber in diesem Falle waren meine Dienste nicht erwünscht, das wußte ich, und am allerwenigsten wünschte sie die sterbende Frau.

Nachdem ich mich von Frau de Laage verabschiedet und das Haus des Gouverneurs verlassen hatte, ging ich zu Tavi, um dort zu Abend zu essen. Seit meiner Ankunft in Manukura vor vielen Jahren hatte ich meine Mahlzeiten stets mit der Familie des Ladenbesitzers eingenommen.

Ich fand Tavi allein in seinem Laden.

»Haben Sie schon gehört, Doktor?« fragte er. »Mama Rua liegt im Sterben. Man hat Vater Paul zu ihr gerufen. Sie wird die Nacht nicht überleben.«

In diesem Augenblick kam Marunga, Tavis Frau, herein. Sie war eben aus Mama Ruas Haus zurückgekehrt und berichtete uns, daß man die alte Frau wegen des Unwetters in das Haus des Häuptlings gebracht hatte; ihre eigene kleine Behausung hielt man in einem solchen Sturm nicht für sicher genug.

Das immer stärker werdende Unwetter, das Wissen um den bevorstehenden Tod Mama Ruas und der Umstand, daß Hitia, Marungas verheiratete Tochter, in den nächsten Tagen Mutter werden sollte, das alles trug dazu bei, die Frau des Ladenbesitzers vor Aufregung noch redseliger zu machen, als sie es sonst war.

Hitia hatte vor einigen Stunden die ersten Anzeichen der Wehen verspürt. Es war ihr erstes Kindbett, und Marunga war ein wenig ängstlich; sie hielt die Geburt des Kindes für unmittelbar bevorstehend. Unter diesen Umständen beendete ich die Mahlzeit in Eile, untersuchte dann die junge Frau, die bei ihren Eltern wohnte, und überzeugte mich davon, daß mein Beistand in den nächsten Stunden noch nicht nötig sein würde. Ich trug ihrer Mutter nur auf, einige Kessel Wasser heiß zu machen; dann machte ich mich mit Tavi auf den Weg zum Haus des Häuptlings.

Es war eine abscheuliche Nacht! Der schwache Strahl meiner Taschenlampe ließ die Dunkelheit nur noch unheimlicher erscheinen. Wild fuhr der Sturm durch die Palmen; ununterbrochen klatschten Wedel und Kokosnüsse, immer gleich ein paar auf einmal, auf den Boden. Wir hatten Glück, von diesen gar nicht ungefährlichen Geschossen nicht getroffen zu werden.

Fast das ganze Dorf war rings um das Haus des Häuptlings versammelt; kleine Gruppen von Menschen tauchten im Schein meiner Lampe aus der Dunkelheit auf; sie suchten, so gut es ging, hinter dem großen Wasserreservoir aus Zement oder unter dem Dach des Hauses Schutz vor dem Sturm. Auf der südlichen Veranda flackerten zwei Petroleumlampen, die groteske Schatten auf den Weg zeichneten, und im Prunkschlafzimmer des Häuptlings brannte helles Licht.

Dort lag Terangis Mutter unter einem blendend weißen, frisch gebügelten Tifaifai. In dem riesigen Bett sah sie nicht größer aus als ein Kind. Tavi und ich stiegen auf Zehenspitzen die Stufen zur Veranda hinan. Frau de Laage war bereits anwesend; Fakahau hatte nach ihr gesandt. Im Hintergrund des großen Raumes standen dichtgedrängt die Freunde und Verwandten, in tiefes Schweigen versunken. Neben dem Bett sah ich Vater Paul in seinem Priestergewand; und nun erhob sich seine Stimme, bis sie das Geräusch des Sturmes und des Meeres übertönte:

»Sprich mir nach, meine Tochter ... ›Ich bekenne bei Gott dem Allmächtigen ... bei der heiligen Mutter Gottes ... bei dem heiligen Erzengel Michael ... bei dem heiligen Johannes dem Täufer ... bei den heiligen Aposteln Peter und Paul ...‹«

Die Worte des feierlichen Rituals, die ich unter so seltsamen Umständen hörte, auf einer Insel, die so weit von den großen Mittelpunkten der Kirche entfernt war, machten tiefen Eindruck auf mich. Wir vernahmen wohl die feierlich durch den Raum tönende, hellklingende Stimme des alten Priesters, aber Mama Ruas Worte gingen im Tosen der Elemente unter.

So stark war in mir der skeptisch zweifelnde Europäer, daß ich selbst in diesem Augenblick den Glauben der schweigend auf den Tod der Greisin wartenden Dorfbewohner noch nicht recht teilen konnte. Und doch kam das Ende, ehe eine Stunde vergangen war.


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