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Viertes Kapitel

Sie werden zugeben, daß das Schicksal diesen beiden jungen Leuten übel mitgespielt hatte. Ich meine Terangi und seine junge Frau. Vater Paul hatte die volle Wahrheit gesagt, als er von Maramas Treue gesprochen hatte. Zur Zeit ihrer Verheiratung war sie sechzehn Jahre alt gewesen, und während all der Jahre der Vereinsamung hatte sie nur dem Tag entgegengeharrt, an dem Terangi zu ihr zurückkehren würde. Während ein Jahr nach dem anderen verstrich und die Leute von Manukura von der harten Gefängnisstrafe erfuhren, die Terangi infolge seiner wiederholten Fluchtversuche abzubüßen hatte, gaben die meisten von ihnen alle Hoffnung auf, ihren Landsmann je wiederzusehen. Nicht so Marama. Sie war stolz auf seine unbezähmbare Freiheitsliebe und liebte und achtete ihn nur noch mehr um jener Handlungen willen, die ihn manchen älteren Leuten töricht und eigensinnig erscheinen ließen.

Es gab genug junge Männer auf der Insel, die sich nichts Besseres gewünscht hätten, als bei Marama den Platz einzunehmen, den ihr abwesender Gatte leergelassen hatte, aber lange Zeit wagte keiner von ihnen, es ihr zu sagen. Erst, als es bekannt wurde, daß Terangi sechzehn Jahre abzubüßen habe, trauten sich einige der Bewerber, zögernde Anträge zu machen. Doch alle wurden mit empörter Festigkeit zurückgewiesen.

Marama entstammte, wie Terangi, einem der edelsten Geschlechter des Archipels. Trotz der Umwälzungen, welche die Eroberung Polynesiens durch die Europäer hervorgerufen hatte, ging der Stolz auf vornehme Abkunft nicht verloren. Es war auch kein grundloser Stolz; in alten Zeiten wurden die ersten Männer des Volkes eben deshalb die ersten, weil sie die besten waren, und so ist es bis heute geblieben. Fakahau, Maramas Vater, wurde zum Häuptling von Manukura erwählt, weil er der natürliche Führer seiner Landsleute war, wie sein Vater und sein Großvater es vor ihm gewesen waren. Unter der französischen Herrschaft ging der Häuptlingstitel nach dem Tode eines Trägers durch Wahl auf seinen Nachfolger über, aber diese Wahl war zumindest in Manukura nicht mehr als eine bloße Formsache. Es wäre undenkbar gewesen, daß jemand anderer als Fakahau hätte gewählt werden können. Übrigens ist es erstaunlich, wie alt manche Familien auf den Niedrigen Inseln sind. Die des Häuptlings läßt sich in ungebrochener Folge bis auf vierzig Generationen zurückverfolgen. Auch Terangi entstammte der Ariki-Klasse; seine Familie stand an Ansehen und Bedeutung nur hinter der Maramas zurück.

Marama war eine schöne junge Frau, die ältere der beiden Töchter Fakahaus. Ihre Haut war hell-olivenfarben, und ihr lockiges, kupferrotes Haar umrahmte das Oval ihres Gesichts aufs anmutigste. Sie werden bemerken, daß ich von ihr mit einer gewissen Begeisterung spreche. Wenn man so lange Jahre hier gelebt hat wie ich und sich die Freiheit seines Herzens bewahrt hat, wird man so etwas wie ein Kenner polynesischer Frauenschönheit. Und ich muß sagen, daß man ein Mädchen, das Marama gleichkäme, lange suchen müßte, und wahrscheinlich vergebens ...

Tita, ihre kleine Tochter, war um jene Zeit sechs Jahre alt. Ich habe schon davon gesprochen, wie übel das Leben den beiden jungen Eltern mitspielte, als es sie so kurz nach der Eheschließung voneinander trennte. Aber die Art und Weise, wie sie einander wiederfanden, entschädigte sie dafür aufs vollkommenste.

Vater Paul konnte Marama von Terangis Rückkehr nicht unterrichten. Der Zufall wollte es, daß sie gerade zwei oder drei Tage früher nach Motu Tonga gefahren war und sich dort befand, als Terangi ans Ufer schwamm.

Motu Tonga war die wildeste und einsamste unter allen Inseln des Manukura-Riffes. Nicht einmal Kopra wurde auf diesem kleinen Eiland angepflanzt, das seinen Naturzustand völlig bewahrt hatte. Die Kokospalmen wuchsen dort wild, wo die Natur sie gerade hingestellt hatte, zwischen Dickichten von Purau- und Pandanusbäumen. Das Unterholz war an den meisten Stellen spärlich; Schlingpflanzen und widerstandsfähige Sträucher versuchten, so gut es ging, Nahrung aus dem Korallensand zu ziehen. Aber in der Mitte des Inselchens wuchsen einige prächtige jahrhundertealte Tou- und Pukatea-Bäume von gewaltigem Umfang, die noch in heidnischen Zeiten gepflanzt worden waren. Auf Motu Tonga hatte es einstmals eine Ansiedlung der Eingeborenen gegeben, aber seit die Europäer die Gruppe entdeckt hatten, und nachdem der Handel mit Kopra und Perlmuscheln in Schwung gekommen war, hatte man das Dorf auf eine Insel verlegt, die infolge der Durchfahrt durch das Riff leichter zugänglich war.

Marama hatte mit ihrem Töchterchen Tita Motu Tonga aufgesucht, um eine bestimmte Art von Muscheln zu sammeln, die sich dort im Korallensand fanden. Die meisten Frauen würden das Suchen dieser Muscheln als eine langweilige Arbeit betrachtet haben; den Bewohnerinnen von Manukura hingegen, die mehr als genug Muße hatten, erschien sie als eine angenehme Abwechslung. Sie machen aus diesen winzigen, verschieden gefärbten Muscheln prächtige Hei, das sind die Muschelkränze, die sie auf ihren Pandanushüten tragen, als Schmuck und auch, um an windigen Tagen das Wegfliegen der Hüte zu verhindern. Zuweilen besuchten sie die Insel in ganzen Gruppen, ein halbes Dutzend Frauen auf einmal. Sie nahmen Speisen und Decken mit, errichteten kleine Schutzhütten aus Palmwedeln, unter denen sie schliefen, und teilten ihre Zeit zwischen Fischen und Muschelsammeln. Das bedeutete in ihrem eintönigen Leben eine Zerstreuung, der sie niemals müde wurden. Oft aber suchte eine Frau die Insel auch allein oder mit ihren Kindern auf, und so hatte Marama auch diesmal nur ihr Töchterchen mitgenommen.

Mutter und Kind fügten sich der einsamen Landschaft aufs vollkommenste ein. Die Seevögel fühlten sich hier nicht mehr zu Hause als diese beiden. Ich stelle sie mir lebhaft vor, wie sie auf der kleinen Insel arbeiteten und sich vergnügten, an jenem Tag, an dem Terangi kam. Marama hatte natürlich nicht die geringste Ahnung von der Anwesenheit ihres Gatten, sie hatten sich längst zur Ruhe gelegt, als er durch die Brandung schwamm, und ebensowenig hatten sie in der Morgendämmerung des folgenden Tages Vater Pauls Kutter bemerkt.

Tita war es, die ihren Vater entdeckte. Marama kochte gerade die Morgenmahlzeit auf einem Feuer am Strande, während Tita in den seichten Tümpeln längs des Riffes auf eigene Faust eine kleine Entdeckungsreise unternommen hatte. Da plötzlich sah Marama ihre Tochter eilends auf sich zulaufen. Das Kind war zu erregt, um sprechen zu können; nicht etwa, daß Tita Angst gehabt hätte, aber sie befand sich in jenem Zustand wortlosen Staunens, der Kinder zuweilen überkommt, wenn sie etwas sehen, das sie nicht begreifen können. Die Mutter mußte sie längere Zeit befragen, ehe sie erfuhr, was die Verwunderung des Kindes hervorgerufen hatte: ein Mann, der unweit des Lagers schlafend lag.

»Aber wer ist es, Tita?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete das Kind. – »Du mußt es doch wissen! Ist es Rongo? Oder Maviri? Oder Tamatoa?«

Tita schüttelte bei der Nennung dieser Namen entschieden den Kopf. »Keiner von denen«, erklärte sie, »ein fremder, häßlicher Mann.«

Marama war über die Antworten Titas nicht weniger erstaunt als über die Art und Weise, wie sie sie vorbrachte. In einer so kleinen Ansiedlung wie Manukura kennt man jeden; auch ein sechsjähriges Kind würde keinen Augenblick in Verlegenheit geraten, wenn es den Namen irgendeines Mannes oder einer Frau nennen sollte.

»Hast du sein Gesicht gesehen?« fragte sie weiter.

Tita nickte. »Es ist mit Haaren bedeckt, wie das von Vater Paul. Ich konnte es aber nur ein bißchen sehen. Dann lief ich weg.«

Die Mutter, die beim Feuer gekniet hatte, erhob sich. »Komm, zeige mir, wo er ist«, sagte sie. Sie nahm Tita bei der Hand und ging einige hundert Meter weit mit ihr den Meeresstrand entlang. Plötzlich blieb Tita stehen.

»Da ist er«, flüsterte sie und zeigte dabei auf ein Gebüsch, das nur wenige Schritte entfernt war. »Geh nicht hin, Mutter! Vielleicht ist es ein Varua ino!«

Ein Jahrhundert europäischen Einflusses hat den Aberglauben der Eingeborenen nur wenig verringert; sie glauben noch immer an Geister, gute und böse. Einen bösen Geist nennt man Varua ino. Vater Paul glaubt an diese Wesen genau so fest wie die Eingeborenen selbst, aber er hatte sie gelehrt, daß ein guter Christ vor ihnen keine Angst zu haben brauche. Wenn man das Zeichen des Kreuzes machte, so schloß man sich damit in einen Zauberkreis ein, den kein böser Geist durchbrechen konnte; so machten denn Mutter und Kind jetzt dieses fromme Zeichen. Das Kind klammerte sich fest an die Hand Maramas, als sie nun geräuschlos auf das Gebüsch zugingen und hineinblickten.

Gerade vor ihnen hatte sich Terangi ausgestreckt und schlief. Er lag auf der Seite, und sein Gesicht war ihnen zugekehrt. Marama erkannte ihn sogleich.

Ich überlasse es Ihnen, sich ihr Staunen und ihre Freude auszumalen, aber sie weinte nicht und versuchte auch nicht, ihren wiedergefundenen Mann zu wecken. Ebensowenig fragte sie sich, wie das Wunder geschehen war, obgleich sie halb unbewußt den Strand nach einem Kanu absuchte. Terangi schlief so fest, als werde er nie mehr erwachen, und das eingefallene, bärtige Gesicht, die tief in ihren Höhlen liegenden Augen sprachen in beredter Weise von den Anstrengungen und Leiden, die er durchgemacht hatte.

Einen Finger auf Titas Lippen legend, setzte sie sich mit dem Kind auf dem Schoß an eine Stelle, von der aus sie den schlafenden Mann betrachten konnten. Titas Neugierde war natürlich groß, und aus dem Gesichtsausdruck ihrer Mutter konnte sie entnehmen, daß sie von dem Fremden nichts zu fürchten hatten.

»Wer ist es?« flüsterte sie.

»Dein Vater, Tita. All die Jahre hindurch hatte er nur einen Wunsch – heimzukehren. Schon als du noch ein ganz kleines Kind warst, wollte er das. Ich habe dir oft davon erzählt.«

»Ja, Mutter, ich weiß es wohl. Und die bösen Männer in Tahiti wollten ihn nicht fortlassen!«

»Nun aber ist er endlich gekommen.«

»Wer hat ihn hergebracht? Ist er allein gekommen?«

»Pst! Ich weiß es nicht. Er ist sehr müde. Wir dürfen ihn nicht stören. Wenn er aufwacht, wird er uns alles erzählen.«

Die Sonne stand um diese Zeit bereits hoch am Himmel. In den ersten Morgenstunden hatte das niedrige Gebüsch den Schlafenden beschattet; nun aber sammelte Marama einen Armvoll Pandanusblätter und schichtete sie rasch neben Terangi auf, um ihn vor den sengenden Strahlen der Sonne zu schützen.

Tita wurde allmählich unruhig. Sie kannte ihren Vater nur dem Namen nach und aus den Erzählungen ihrer Mutter und war bei seinem ersten Anblick ein wenig enttäuscht. Die Mutter hatte ihn ihr ganz anders geschildert ...

Sie war froh, als Marama ihr sagte, sie möge am Strand spielen gehen.

Ein großer Teil des Vormittags war schon vergangen, als Terangi erwachte. Marama saß neben ihm, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet. Er starrte sie an ... glaubte zu träumen. Dann setzte er sich auf; noch immer konnte er nicht glauben, daß es wirklich Marama war, die er da vor sich sah.

Marama war nicht groß und kein Amazonentyp. Eher konnte man sie zart und zierlich nennen. Als sie nun neben ihm kniete, ihn in die Arme nahm und seinen Kopf an ihren Schultern barg, fühlte sich Terangi, noch immer wie im Traum, auf wunderbare Art geborgen und vor allen Gefahren gefeit. Marama war innerlich zu aufgewühlt, um zu weinen, und als ihre Arme sich immer fester um ihn schlossen, voll Leidenschaft und doch unendlich zart, da war es, als sei Terangi kein Mann, sondern ein Kind, das bei seiner Mutter Schutz suchte. Sie war barfuß und auf die einfache Art der Inselbewohnerinnen gekleidet, in einen geblümten Pareu, der um die Brust gegürtet war und bis zu den Knien reichte; ihr Haar fiel lose um Arme und Schultern. Terangi war nackt bis auf das zerrissene Lendentuch, in dem er an Land geschwommen war.

Anfangs konnten sie keine Worte finden für die Gefühle, die auf sie einstürmten. Terangi strich Maramas Haar zurück, hielt ihren Kopf sanft in den Händen und blickte in ihr Antlitz, als könne er sich nie daran satt sehen. Dann endlich vermochte er zu sprechen.

»Marama, wir sind hier ... wir beide. Ich muß diese Worte sprechen, sonst kann ich es nicht glauben ... nach so viel Jahren ...«

»Wir drei«, sagte Marama leise.

» Eaha?«

»Wir drei«, wiederholte sie. Und sie wies auf die Stelle, an der Tita in einiger Entfernung von ihnen durch die Salzwassertümpel watete. Sie rief das Kind, das auf sie zulief und dann zögernd stehenblieb, um seinen Vater mit neugierig abschätzenden Blicken zu mustern. Auf Maramas Aufforderung hin setzte sich Tita auf Terangis Schoß; er streichelte ihr dunkles Haar und befühlte ihre kräftigen Ärmchen und Beinchen, als wolle er sich davon überzeugen, daß all dies Wirklichkeit sei.

Etwa eine halbe Stunde lang blieben sie so sitzen, zu glücklich, um viel zu sprechen. Von Zeit zu Zeit machten sie einen zaghaften Versuch, den breiten Abgrund der Zeit, der sie voneinander getrennt hatte – fast sieben Jahre waren es gewesen –, zu überbrücken. Daß es schließlich gelang, war Tita zu danken. Obwohl ihr Vater mit seinem wilden Bart beinahe furchterweckend aussah, fühlte sie sich ihm bald nahe und vertraut, und sie begann zu plappern, als sei er immer bei ihr gewesen.

Dann plötzlich sprang Marama auf. »Wie hungrig du sein mußt, Terangi! Ich habe ein halbes Dutzend köstliche Tingatingas, die ich heute in der Morgenfrühe gefangen habe, und eine Büchse Rindfleisch, auch Reis und Zwieback aus Tavis Laden. Gerade wollte ich das Frühstück machen, als Tita herbeilief und mir berichtete, ein häßlicher Mann schlafe am Strande!«

Und nun fanden sie auch die Worte, die ihnen anfangs gefehlt hatten. Sie plauderten wie zwei Kinder, einander immer wieder unterbrechend, während sie zu Maramas Lagerplatz zurückkehrten. Ihre Hütte glich den Unterständen, die sich die Fischer auf unbewohnten Inseln zum Schutz gegen die Unbilden der Witterung errichten; sie war offen gegen das Meer zu, das nun, von einem frischen, südöstlichen Wind bewegt, in tiefstem Blau erstrahlte. Ein Haufen Kokosnußschalen vor der Hütte diente als Brennmaterial.

Ich kann mir die Szene, die nun folgte, vorstellen, als wäre ich dabeigewesen! Marama fachte das Feuer mit Kokosnußschalen, trockenen Zweigen und Blättern an. Terangi holte Wasser von einem in der Nähe liegenden natürlichen Brunnen. Auf den Niedrigen Inseln befinden sich überall solche seichten Brunnen; sie werden hauptsächlich zum Waschen der Wäsche benutzt. Tiefer unten enthalten sie Brackwasser, aber an der Oberfläche ist das Wasser nach Regengüssen klar und frisch. Marama kostete es.

»Nur ein wenig Salz«, sagte sie, »dann kann man ausgezeichnet Reis darin kochen.« Ein eiserner Topf wurde über das Feuer gehängt, und während das Wasser sich erwärmte, briet Marama die Fische auf der Glut.

Terangi erklomm eine Palme und warf ein Dutzend grüne Kokosnüsse hinunter. Als der Reis gar war, legte Marama den Inhalt der Konservenbüchse in den Topf. Sie rührte das köstlich riechende Gemisch gut durch, damit der Saft des Fleisches sich mit dem Reis vermenge.

Terangi zog den wohlriechenden Dampf mit Behagen ein. »Wie das duftet!« sagte er. Aber trotz ihres Hungers stellte Marama die Speisen, als sie fertig waren, beiseite, damit sie auskühlen konnten, denn die Polynesier haben eine große Abneigung gegen heißes Essen. Als sie sich dann zum Mahle setzten, aßen sie langsam, jeden einzelnen Bissen genießerisch auskostend, und sie sprachen wenig, bis den Erfordernissen des Körpers ihr Recht geworden war. Obgleich der Speisezettel der Polynesier einfach und wenig abwechslungsreich ist – oder vielleicht eben deshalb –, wissen sie den Genuß des Essens wohl zu schätzen. Erst nachdem ihr Hunger gestillt war, gab Marama ihrem heimgekehrten Gatten genauen Bericht über alles, was in ihren Familien und im Dorfe überhaupt während der letzten sechs Jahre vorgegangen war: wer gestorben war, wer geheiratet und wer Kinder bekommen hatte; und dann die Namen dieser Kinder. Nun endlich gab Terangi Auskunft über seine Fahrt, aber ebenso kurz wie er es Vater Paul gegenüber getan hatte, und berichtete dann, wie er durch den Priester und Mako gerettet worden war. Marama fragte ihn eifrig nach allen möglichen Einzelheiten, aber bald hielt sie damit inne, denn sie bemerkte, daß es ihm schmerzlich war, von der schweren und gefährlichen Fahrt, die hinter ihm lag, zu erzählen. Noch weniger sagte er über seine Erlebnisse in Tahiti, und auch über die Zukunft sprach er kaum. Gleich allen anderen Männern seiner Rasse hatte er die wertvolle Fähigkeit, das Glück der Gegenwart zu genießen, und war weise genug, weder durch die Vergangenheit noch durch die Zukunft seine Freude trüben zu lassen. Frauen, gleichviel welcher Rasse sie angehören, denken in solchen Dingen praktischer, oder wie Sie es nennen wollen; aber wenn in Maramas Innerem auch schon jetzt die Sorge darüber erwachte, was nun werden solle, so erwähnte sie doch Terangi gegenüber vorerst nichts von den Plänen, die sie bereits zu schmieden begann.

Inzwischen verging der Tag; das Kind schlief, während Terangi und Marama unter dem funkelnden Sternenhimmel auf einer Matte lagen.

»Nun müssen wir davon sprechen, was weiter geschehen soll«, begann Marama. »Hast du bereits darüber nachgedacht?«

Es währte eine Weile, bis Terangi antwortete. Endlich sagte er: »Ich bin heimgekommen. Ich habe dich und Tita, und ich werde meine Mutter noch einmal sehen. Solange ich kann, werde ich hierbleiben ...«

»Und dann ...?«

»Du weißt es so gut wie ich«, entgegnete er finster. »Sie werden mich finden.«

Marama richtete sich auf, nahm seine Hand in die ihre und umklammerte sie, als wolle sie sie nie mehr loslassen.

»Dich finden? Niemals! Glaube das so fest, wie ich es glaube! Glaube es um Titas willen, wenn nicht mir zuliebe!«

Terangi schüttelte den Kopf.

»Ich sehe genau voraus, was die Zukunft bringen wird. Man wird mich wieder einfangen. Früher oder später werden sie hierherkommen. Ich kenne sie!«

Der hoffnungslose Klang seiner Stimme muß das Herz der jungen Frau bis ins tiefste erschüttert haben. In seinen Augen muß sie die Unerbittlichkeit jenes geheimnisvollen Feindes gelesen haben, den man das Gesetz nannte und dem man nicht entweichen konnte. Und mit einem Male sah sie das Gesetz in der Gestalt des Herrn de Laage vor sich: kalt, höflich, unpersönlich.

Sie erschauerte innerlich, wenn sie an den Blick dieser blauen Augen dachte, die so viel sahen, die einem mitten ins Herz zu dringen schienen. Sie fürchtete, daß ihre Haltung, ihr Benehmen dem Gouverneur Terangis Anwesenheit verraten würde, soviel Mühe sie sich auch geben wollte, sie vor ihm zu verbergen. Eines war gewiß. Sie mußte es vermeiden ... so lange wie möglich vermeiden, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten!

»Wie denkst du über den Plan, den ich mir ausgedacht habe?« fragte sie nach langem Schweigen. »Die Katopua wird bald nach Manukura kommen. Kapitän Nagle wird diesmal nach Süden fahren und dann nach Osten, bis nach Mangareva. Wir drei könnten uns im Inneren des Schiffes verbergen, bis es abfährt. Die Matrosen sind alle aus Manukura. Der Kapitän könnte uns auf einer unbewohnten Insel aussetzen: auf Tematangi oder vielleicht auf Maria.«

»Er darf nichts erfahren!«

»Warum nicht? Er wird uns sicher helfen. Er liebt dich wie einen Sohn. Mein eigener Vater könnte nicht gütiger zu mir sein, als der Kapitän all die Jahre hindurch zu mir war.«

»Bedenke die Gefahr, in die ihn das stürzen würde! Er ist ein Mann von Bedeutung und sehr angesehen bei den weißen Machthabern. Wenn sie es erführen, würde er in große Bedrängnis geraten. An ihn dürfen wir uns nicht um Beistand wenden. Er würde ihn uns gerne gewähren, aber er selbst müßte darunter leiden.«

»Sie brauchen es nicht zu erfahren!«

»Du betrügst dich selber, Marama. Und selbst auf Tematangi oder Maria würden wir nicht lange in Sicherheit sein. Zuweilen laufen Schiffe diese Inseln an, um zu fischen oder Brennholz zu holen. Man würde uns entdecken ... früher oder später. Auf den meisten Schiffen sind die Matrosen Männer aus Tahiti. Es sind heimtückische Gesellen, und es wäre ihnen ein Vergnügen, mich zu verraten. Jedesmal, wenn man mich fing, ist es ein Bewohner von Tahiti gewesen, welcher der Polizei verriet, wo ich mich verborgen hielt. Ein Preis von fünftausend Franken ist auf meine Verhaftung ausgesetzt ... In Tautira sah ich die Bekanntmachung an einem Baum angeschlagen.« Er hielt inne und schwieg eine Weile. »Davon wollen wir nicht mehr sprechen«, sagte er nach einer Weile. »Wir können nur kurze Zeit miteinander verbringen. Die wollen wir uns nicht verderben, indem wir von dem reden, was kommen wird.«

Sie waren noch mitten im Gespräch, als sie plötzlich durch einen leisen Ruf aufgeschreckt wurden, wie ihn die Eingeborenen ausstoßen, wenn sie jemandem unbemerkt nahen. Terangi sprang jäh auf, aber er hatte weder die Zeit, sich zu verstecken, noch war es notwendig. Der Mann befand sich kaum zehn Meter von ihnen entfernt. Es war Fakahau, der Häuptling, und in seiner Begleitung befand sich Mama Rua, Terangis Mutter.

Rua war eine schlanke Frau von siebzig Jahren, mit vollem, weißem Haar, das ihr, in einen einzigen Zopf geflochten, am Rücken herabhing. Sie war ebenso tatkräftig wie ihr Sohn, aber die Milde und Abgeklärtheit des Alters sprach aus ihren Zügen. Terangi war ihr einziger Sohn, und ihm galt alle Liebe ihres mütterlichen Herzens. Der tiefe Kummer, den sie während seiner Gefangenschaft erlitten hatte, ließ sie älter erscheinen als sie war, aber wenn sie auch unter dem Unrecht, das ihm zugefügt worden war, und der Grausamkeit seiner immer aufs neue verlängerten Strafe litt, so war sie doch weder gebrochen noch verbittert.

Marama eilte ihr sogleich entgegen, dann entfernte sie sich mit ihrem Vater längs des Strandes, um Terangi vorerst mit seiner Mutter allein zu lassen. Eine Weile später gesellten sie sich wieder zu Mutter und Sohn.

Ein fremder Zuschauer dieser Zusammenkunft hätte ihre Bedeutung schwerlich ahnen können. Die Leute von den Tamotu-Inseln, besonders die Männer, verraten äußerlich ihre Empfindungen selbst dann nicht, wenn sie zutiefst erregt und aufgewühlt sind. Fakahaus Stolz auf seinen Schwiegersohn war ebenso unbegrenzt wie seine Bewunderung für Terangis Mut und Klugheit. Terangi wiederum hatte zu dem Häuptling seit dem Tode seines eigenen Vaters mit den Gefühlen eines Sohnes aufgeblickt. Aber die beiden Männer begrüßten einander nicht anders, als hätte ihre letzte Begegnung am Tage vorher stattgefunden. Mama Rua hielt ihren Sohn umfangen; ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Dann machte sie sich los und wischte sich die Tränen aus den Augen.

»Genug, mein Sohn«, sagte sie, »es hat mir wohlgetan, ein wenig zu weinen ... Nun müssen wir reden! Wir haben nicht viel Zeit. Wenn der Morgen graut, müssen wir ins Dorf zurückkehren. Du, Marama, und Tita, ihr begleitet uns!«

»Morgen schon ... in der Dämmerung!« rief Marama schmerzlich aus.

Ihr Vater ergriff nun das Wort. »Du kannst nicht länger hierbleiben. Du weißt, warum. Niemand darf ahnen, daß Terangi hier ist.«

»Aber niemand wird auf diesen Gedanken kommen!« wendete Terangi ein.

»Und selbst wenn es jemand vermutete, so würde uns jeder Mann und jede Frau in Manukura schützen«, warf Marama ein. »Sie würden sich eher die Zunge abbeißen als Terangi verraten!«

Ihr Vater nickte. »So ist es«, sagte er, »und dennoch mußt du begreifen, daß es sicherer und besser ist, wenn niemand außer uns davon erfahrt.«

»Das ist unmöglich«, entgegnete Marama. »Ein solches Geheimnis kann nicht bewahrt werden. Andere werden es erfahren!«

»Wenn Terangi in Manukura bliebe, so wäre es in der Tat unmöglich. Anderswo aber kann er Sicherheit finden. Du sollst mit ihm gehen – du und Tita!«

Terangi blickte rasch auf. »Mit mir gehen? Wohin?« fragte er.

»Höre gut zu, Terangi«, sagte der Häuptling. »Dies ist der Plan, den wir gefaßt haben, deine Mutter, Tavi und ich. Es ist keine Zeit zu verlieren, denn die Katopua ist schon vergangene Woche erwartet worden. Sie bringt den Gouverneur auf die Insel zurück. Du mußt weg sein, ehe er kommt. Wenn der Wind günstig ist, mußt du fortfahren, sobald unsere Vorbereitungen beendet sind.«

»Fahren ...? Wohin?«

»Nach Fenua Ino.«

»Nach Fenua Ino? Wir drei allein?« rief Marama angstvoll.

»Du willst doch nicht zurückbleiben?« fragte Mama Rua.

»Niemals!« antwortete die junge Frau. »Wohin Terangi geht, dahin gehe ich auch, aber an Fenua Ino habe ich nicht gedacht. Welcher Mann aus Manukura hat diese Insel gesehen, es sei denn vom Meere aus? Wer hat ihren Boden je betreten?«

»Terangis Großvater und der meine, und ich mit ihnen«, entgegnete Fakahau. »Ich war damals jung, nicht älter, als du heute bist. Es ist kein schlechter Ort, trotz seines Namens, und nur achtzig Meilen von hier entfernt. Böses ereignete sich dort – aber das ist lange her, so lange, daß weder mein Vater noch der Vater meines Vaters weiß, was es war. Dies eine aber weiß ich: Menschen unseres Stammes lebten dort in längstvergangenen Zeiten. Dann wurde die Insel verlassen; die Bewohner kamen nach Manukura und brachten die Gebeine ihrer Toten mit, mit Ausnahme der Überreste eines einzigen Mannes, der mein Urahn war. Das Land wurde seither gemieden und ist bis zum heutigen Tage einsam und unbewohnt geblieben.«

»Ich bin auf der Katopua oft an dieser Insel vorbeigefahren«, sagte Terangi nachdenklich, »aber niemals landeten wir dort. Kapitän Nagle sagte mir, daß auch er sie nie betreten hat. Zwei kleine Motu sind auf dem Riff, sonst nichts. Der Rest besteht aus nacktem Korallengestein, über das die Wogen des Meeres hinbrausen. Im Inneren der Lagune soll sich eine kleine Insel befinden, aber auf keiner Karte ist sie zu finden. Wenn sie wirklich vorhanden ist, so liegt sie so weit vom Riff entfernt, daß vorbeifahrende Schiffe sie nicht wahrnehmen können.«

»Das Land ist vorhanden, und es soll deine neue Heimat werden«, sagte Fakahau. »Dort lebten in den alten Zeiten unsere Vorfahren. Dorthin fuhr ich mit meinem Vater und deinem Großvater; sie wollten die Gebeine unseres Urahns heimbringen, die auf der Insel zurückgelassen worden waren. Mein Vater wußte, wo er bestattet lag, und wir fanden ihn.«

»Wie groß ist die Insel?« fragte Terangi.

»Wohl zwanzig Familien könnten dort leben. Es ist ein gutes Land, höher als eines der Motu von Manukura. Ein enger, gewundener Durchlaß führt auf der Nordseite durch das Riff; ein Kanu kann hindurchfahren, doch keinem Schoner würde es gelingen. Die Lagune ist etwa auf eine Meile hinaus voller Klippen; dann wirst du tiefes Wasser vorfinden bis zu einer Insel, die etwa in der Mitte der Lagune liegt. An einem ruhigen Tag muß man drei Stunden rudern, um vom Durchlaß im Riff aus dorthin zu gelangen.«

Marama und Terangi lauschten den Worten des Häuptlings voll Spannung. Neue Hoffnung glänzte in den Augen der jungen Frau; Terangi schien mit einem Male ein anderer Mensch geworden zu sein. Sie werden begreifen, daß auch in ihm neue Hoffnung erwachte. Begierig erwartete er die weiteren Erklärungen des Häuptlings und sprach nur die Worte:

»Gerade der rechte Ort für uns!«

»Keinem weißen Mann wurde je von diesem Orte berichtet«, fuhr Fakahau fort. »Sobald ihr dort angelangt seid, könnt ihr in Frieden leben. Niemals wird man euch dort finden. Auch braucht ihr euch vor dem Ort nicht zu furchten. Das Tabu, das von altersher auf der Insel ruhte, wurde von meinem Vater gelöst, als wir sie besuchten.«

»Warum hat nie jemand etwas davon erfahren?« fragte Marama.

»Mein Vater und Terangis Großvater hatten ohne Zweifel gute Gründe dafür. Vielleicht hielten sie es für das beste, daß die Insel in den Augen unseres Volkes ein verbotener Ort blieb.« Mit tiefem Ernst fügte er hinzu: »Es mag sich so verhalten, daß eine geheimnisvolle Vorahnung ihnen sagte, die Insel könne in ferner Zukunft, in Zeiten der Gefahr, einmal als Zufluchtsort dienen. Wie immer dem sei: Wir wollen ihnen dankbar für ihr Schweigen sein.«

»Ein einsamer Ort«, sagte Terangi nachdenklich. »Wir werden keinen Menschen sehen vom Beginn des Jahres bis zum Ende ... Ich bin bereit, dies auf mich zu nehmen, Marama und Tita jedoch ...«

»Einsam? Wir drei zusammen?« widersprach Marama und versuchte zu lächeln. »Fürchte nicht für uns! Wo du bist, da werden wir glücklich sein!«

»Möchtest du nicht mit uns kommen, Mutter?« fragte Terangi zögernd. »Doch nein«, fügte er rasch hinzu, »daran dürfen wir nicht denken. Für eine Frau deines Alters wäre das Leben dort zu schwer.«

Mama Rua antwortete eine Zeitlang nicht, sondern nahm nur Terangis Hand und streichelte sie sanft. »Wenn es nach meinem Willen geschähe«, sagte sie, »so würde ich mit euch gehen. Aber es kann nicht sein ... Ich wußte, Terangi, daß du heimkehren würdest, wenn ich auch Marama nichts davon sagte. Ich wünschte ihr unverhofftes Glück, und nun ist es gekommen. Dein Vater besuchte mich im Traum, vor sechsundzwanzig Nächten. Was die Toten uns erzählen, ist immer wahr; und nun gar, wenn ein Mann wie dein Vater es ist, der die Nachricht bringt. Er sagte mir, daß ich dich hier sehen werde – hier auf Motu Tonga. Nur für kurze Zeit und zum letzten Male ...«

»Verkündete er dir noch mehr, Mutter?«

»Er sagte mir, daß ich bald mit ihm vereinigt sein werde ... sehr bald. Es ist wahr. Ich weiß es. Ich fühle es«, fügte die Mutter ruhig hinzu.

Ihre beiden Kinder – ihr Sohn und ihre Schwiegertochter – hatten diesen Worten angstvoll und erschüttert gelauscht. Sie müssen nämlich wissen, Herr Vernier, daß die Leute von den Niedrigen Inseln an eine gewisse Art von Träumen ebenso felsenfest glauben wie wir Europäer an das, was wir mit unseren eigenen Augen sehen. Wer könnte sich wohl anmaßen, zu sagen, daß ein solcher Glaube falsch oder gar die törichte Einfalt primitiver Menschen ist? So oft habe ich gesehen, wie sich ihre Traumprophezeiungen erfüllt haben, daß ich diesen Dingen zum mindesten vorurteilsfrei gegenüberstehe. Die Insulaner wissen genau so wie wir, daß viele Träume anderer Art und für die Zukunft bedeutungslos sind; wenn aber ihre Lieben ihnen erscheinen und zu ihnen sprechen, ihnen verkünden, was die Zukunft bringt, dann ist es für sie reine und volle Wahrheit. Wenn sie erwachen und keine Zweifel darüber hegen, daß sie sich recht erinnern, dann handeln sie nach diesen Prophezeiungen mit der gleichen ruhigen Zuversicht, mit der wir unumstößliche Tatsachen des wirklichen Lebens hinnehmen.

So war es in diesem Falle mit Mama Rua. Sie glaubte an das Herannahen ihres Todes nicht weniger fest, als sie an die bevorstehende Rückkehr Terangis geglaubt hatte. Und ihre Zuhörer glaubten mit ihr; Fakahau hatte sie von dem Traum bereits berichtet, und seine Bestätigung trug dazu bei, daß die anderen auch das nahe Ende Mama Ruas als etwas Unabwendbares betrachteten.

Eine Weile schwiegen alle, ein jeder in seine Gedanken versunken. Dann nahm Marama wieder das Wort. »Du mußt uns noch sagen, Vater, wie Tita und ich es bewerkstelligen sollen, Terangi zu begleiten. Wie kann unsere Abwesenheit erklärt werden?«

»Auch daran haben wir gedacht. Es mag grausam klingen, aber es gibt keinen anderen Weg! Das ganze Dorf muß glauben, daß ihr – du und Tita – ertrunken seid ...«

»Ertrunken ...!«

»Wir werden es so einrichten, daß niemand Verdacht schöpfen kann. Wenn alles bereit ist, wirst du mit deiner Tochter nach Motu Tonga zurückkehren. Ein Grund dafür kann leicht gefunden werden. Zwei oder drei Tage später, sobald ich bestimmt weiß, daß ihr drei abgefahren seid, lasse ich euch zum Schein hier suchen. Man wird eure Kleider finden und das Kanu, in dem ihr gekommen seid ... auf solche Art, daß alle es glauben werden.«

»Wirklich glauben? Unsere Freunde ... die Menschen, mit denen wir zusammenleben?« fragte Marama.

»Sie müssen es anfangs glauben«, antwortete Mama Rua. »Nur die Angehörigen unserer Familien sollen die Wahrheit erfahren; kein anderer darf davon wissen. Später vielleicht werden wir auch anderen die Wahrheit eröffnen, doch jetzt noch nicht ... nicht, ehe einige Jahre vergangen sind. Um Terangis Sicherheit willen darf seine Rückkehr nicht bekannt werden, damit nicht ein unvorsichtiges Wort ihn seinen Feinden preisgibt. Es wäre mir lieber, wenn selbst Mako es nicht wüßte. Er ist ein guter Junge, aber die Gefahr besteht dennoch. Er ist zu jung, um Mitwisser eines solchen Geheimnisses zu sein.«

»Habt ihr Vater Paul in den Plan eingeweiht?« fragte Terangi.

»Nein«, erwiderte Fakahau. »Er würde selbst nicht wünschen, unseren Plan zu kennen, dessen bin ich sicher. Es ist für Vater Paul besser, wenn wir von dieser Stunde an unsere Absichten vor ihm geheimhalten. Er wird die Wahrheit ahnen, aber er wird von der Bürde frei sein, sie zu wissen. Aus dem gleichen Grunde soll auch Kapitän Nagle nichts davon erfahren.«

»Wir werden in Fenua Ino viele Dinge benötigen«, sagte Terangi nach einer Pause.

»Ihr sollt die Fahrt in meinem großen Kanu unternehmen«, erklärte Fakahau, »ich werde die Nachricht verbreiten, daß es vom Wind fortgetrieben worden sei. Tavi ist bereits damit beschäftigt, die Sachen, die ihr am dringendsten benötigt, vorzubereiten. In dem Boot ist Raum genug, um alles darin unterzubringen, dessen ihr bedürft: Werkzeug, Segeltuch, Taue, Schüsseln und Pfannen, Kleider, Decken – nichts wird vergessen werden. Wir werden dafür Sorge tragen; verlaßt euch auf uns. In späterer Zeit werde ich Mittel und Wege finden, um euch zu besuchen, ohne Verdacht zu erregen.«

»Wann müssen wir unsere Fahrt antreten?« fragte Marama.

»Du mußt mit dem Kind in einem kleinen Kanu hierher zurückkehren. Die Bewohner des Dorfes werden Augenzeugen deiner Abfahrt sein und glauben, daß du abermals nach Motu Tonga fährst, um Muscheln zu sammeln. In der darauffolgenden Nacht wird das Segelboot beladen und abfahrtbereit gemacht werden. Mako wird es an eine geeignete Stelle steuern, wo du, Terangi, es übernehmen kannst. Um euretwillen will ich es unterlassen, mitzukommen. Das Boot ist zu schwer, um es über das Riff zu ziehen und in die Brandung hinabzulassen. Ihr müßt es durch die Durchfahrt lenken, nachdem der Mond untergegangen ist. Wenn der Wind in jener Nacht nicht günstig sein sollte, so müßt ihr hier warten, bis der rechte Augenblick kommt.«

»Kurz ist die Zeit, die wir noch zusammensein können«, sagte Marama traurig. »Ich denke an dich, Mutter, und an Terangi. Diese eine Nacht – nicht mehr.«

Mama Rua ergriff die Hand der jungen Frau. »Mein Kind, es muß so sein«, sprach sie. »Und wenn es möglich wäre, so solltet ihr fahren, noch ehe der neue Tag kommt, damit mein Sohn früher in Sicherheit ist.«


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