Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die Fragmente von Frühjahr 1884 bis Herbst 1885, Band 5
Friedrich Wilhelm Nietzsche

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[Winter 1884 — 85]

[Dokument: Heft]

33 [1]

Die gute Mahlzeit.

Es war um die Mitte dieses langen Abendmahls, welches schon des Nachmittags begonnen hatte: da sagte jemand: “Hört, wie der Wind draußen saust und pfeift! Wer möchte jetzt gern draußen in der Welt sein! Es ist gut, daß wir in Zarathustra's Höhle sitzen.

Denn, ob sie schon eine Höhle ist, so ist sie doch, für Schiffe, wie wir sind, ein guter sicherer Hafen. Wie gut, daß wir hier — im Hafen sind!”

Als diese Worte gesprochen waren, sagte Niemand eine Antwort, Alle aber sahen sich an. Zarathustra selber jedoch erhob sich von seinem Sitze, prüfte seine Gäste der Reihe nach mit einer leutseligen Neubegierde und sprach endlich:

“Ich wundere mich über euch, meine neuen Freunde. Ihr seht wahrlich nicht aus wie Verzweifelnde. Wer glaubte es wohl, daß ihr kürzlich hier in dieser Höhle nothschriet!

Mich dünkt, ihr taugt euch selber schlecht zur Gesellschaft, ihr macht einander das Herz unwirsch, wenn ihr bei einander sitzt? Es muß wohl Einer zu euch kommen, der euch lachen macht —

— ein guter fröhlicher Hanswurst, ein Tänzer mit Kopf und Beinen, ein Wind und Wildfang, irgend ein alter Narr und Zarathustra — was dünket euch?”

Bei diesen Worten erhob sich der König zur Rechten und sprach: “Rede nicht mit solchen kleinen Worten von deinem eigenen Namen, oh Zarathustra! du thust damit unsrer Ehrfurcht wehe.

Siehe, wir wissen wohl, wer das macht, daß wir schon nicht mehr nothschrein! und weshalb unser Auge und Herz offen und entzückt steht und unser Muth muthwillig wird.

Oh Zarathustra, nichts wächst Erfreulicheres auf Erden als ein starker hoher Wille: der ist ihr schönstes Gewächs. Eine ganze Landschaft erquickt sich an Einem solchen Baume.

Dem Pinien-Baum vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwächst: lang, schweigend, hart, allein, besten biegsamsten Holzes, herrlich —

— zuletzt aber hinausgreifend mit starken grünen Ästen nach seiner Herrschaft, starke Fragen fragend vor Winden und Wettern und was auf Höhen heimisch ist,

— stärker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte nicht, solche Gewächse zu schaun, auf hohe Berge steigen?

Deines Baumes hier, oh Zarathustra erlabt sich auch der Düstere, der Mißrathene, an deinem Anblicke wird auch der Unstäte sicher und heilt sein Herz.

Wie gut doch, daß wir erst also Noth schrien: so mußten wir hinauf zu deinem Anblicke! Wie danken wir's nun allem Ekel, aller schweren Luft, daß sie uns fragen und suchen und steigen lehrten, —

— fragen lehrten am rechten Orte, in der rechten Höhe: “Lebt denn Zarathustra noch? Wie lebt Zarathustra noch?”

Einem guten Frager ist halb schon geantwortet. Und wahrlich, eine ganze gute Antwort ist das, was wir hier mit Augen sehn: Zarathustra lebt noch, und mehr als je, —

— Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln winkt, ein Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, ein göttlich Leichtfertiger,

— Zarathustra der Lachende, Zarathustra der Schweiger, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, einer, der Sprünge und Seitensprünge liebt,

— der die Krone des Lachens trägt, eine Rosenkranz-Krone. Du selber nämlich, oh Zarathustra, setztest dir diese Krone auf's Haupt, kein Andrer wäre heute stark genug dazu!

Und ob du gleich Schlimmeres schautest und Schwärzeres als irgend ein Schwarz-Seher und durch deine Höllen noch kein Heiliger gegangen ist,

— ob du gleich neue Nächte um dich hülltest und gleich eisigem düsterem Nebel hinein in neue Abgründe stiegst: immer wieder spanntest du endlich dein buntes Zelt über dich,

— dein Lachen spanntest du aus über Nacht und Hölle und Nebel-Abgrund; und wo dein hoher starker Baum steht, da darf der Himmel nicht lange dunkel sein.”

Hier aber unterbrach Zarathustra die Rede des Königs, legte ihm den Finger auf den Mund und sagte: ja diese Könige! —

— sie verstehen sich auf's Huldigen und die großen Worte: sie selber sind's gewohnt! Aber was soll dabei aus meinen Ohren werden!

Meine Ohren werden dabei klein und kleiner, seht ihr nicht? sie verkriechen sich nämlich vor allen großen Prunkreden.

Und wahrlich, ihr Könige, mit solchem Lobe könntet ihr den Stärksten umwerfen, einen solchen Becher Weins soll man Niemandem zutrinken. Es sei denn mir: denn ich trotze jedem Lobe, Dank meiner ehernen Stirn —

Dank meinem ehernen Willen: der aber heischt harte hohe feine Dinge: den erreicht Lob und Ehre nicht.

Und dies ist wahr: zum Wüsten-Heiligen ward ich nicht, ob ich schon in vieler Wüste lebte und Wüsten-Wildniß, noch stehe ich nicht da, starr, stumpf, steinern, eine Säule.

Dem Baume gleiche ich den du meintest, einem hohen starken Baume, dies ist wahr: knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte stehe ich über dem Meere, ein lebendiger Leuchtthurm.

Und gerne will ich, meine neuen Freunde, euch als ein solcher Baum zuwinken, breitästig, starkwillig: kommt herauf zu mir, will ich sprechen, und schaut mit mir diese weiten Fernen!

33 [2]

Zum ”Noch Ein Mal!”

Da geschahen der Reihe nach Dinge, von denen Eins seltsamer als das Andre war.

— und ob er schon mit den Zähnen knirschte und die Lippen zusammenschloß, überkam ihn doch das Mitleiden wie eine schwere Wolke und Betäubung.

Da — der Adler!  — Wo bin ich!

Er entflieht.


 << zurück weiter >>