Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die Fragmente von Frühjahr 1884 bis Herbst 1885, Band 5
Friedrich Wilhelm Nietzsche

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[Winter 1884 — 85]

[Dokument: Heft]

31 [1]

Die practische Überwindung der Moral.

31 [2]

In Zarathustra 4 ist nöthig: genau zu sagen, weshalb jetzt die Zeit des großen Mittags kommt: also eine Zeitschilderung, durch die Besuche gegeben, aber interpretirt von Zarathustra.

In Zarathustra 4 ist nöthig: genau zu sagen, weshalb das “ausgewählte Volk” erst geschaffen werden mußte — es ist der Gegensatz der wohlgerathenen höheren Naturen im Gegensatz zu den Mißrathenen (durch die Besucher charakterisirt): nur an diese kann sich Zarathustra über die letzten Probleme mittheilen, nur ihnen kann er die Thätigkeit zu dieser Theorie zumuthen (sie sind stark und gesund und hart genug dazu, vor allem edel genug!) und ihnen den Hammer über die Erde in die Hand geben.

in Zarathustra ist also zu schildern:

  1. die äußerste Gefahr des höheren Typus (wobei Zarathustra an sein erstes Auftreten erinnert)
  2. die Guten nehmen jetzt gegen den höheren Menschen Partei: das ist die gefährlichste Wendung! (- gegen die Ausnahme!)
  3. die Vereinsamten, Nicht-Erzogenen, Sich-falsch-Erklärenden entarten, und ihre Entartung wird als Gegengrund gegen ihre Existenz empfunden (“Genie-Neurose!”)
  4. Zarathustra muß erklären, was er gethan hat, als er zur Auswanderung rieth nach den Inseln, und wozu er sie besuchte (1. und 2..) (- sie waren noch nicht reif für seine letzten Offenbarungen?)

31 [3]

In Zarathustra 6 die große Synthesis des Schaffenden, Liebenden, Vernichtenden

31 [4]

In Zarathustra 4: der große Gedanke als Medusenhaupt: alle Züge der Welt werden starr, ein gefrorener Todeskampf.

31 [5]

Sprachst du von dir oder von mir? Aber ob du nun mich oder dich verriethest, du gehörst zu den Verräthern, du, der Dichter!

— schamlos gegen das, was du lebtest, dein Erlebniß ausbeutend, dein Geliebtestes zudringlichen Augen preisgebend, dein Blut in alle trocken ausgetrunknen Becher eingießend, du Eitelster!

31 [6]

das Genie sieht Zarathustra wie die Verkörperung seines Gedankens

31 [7]

Endlich: öffne deine Augen, sieh die ganze Wahrheit: Sein oder Nicht-sein des höheren Menschen!!

31 [8]

“Dies nun, o Zarathustra ist dein Elend! Täusche dich nicht: der Anblick der Vielen machte dich düster, weil sie bescheiden und niedrig sind? Aber die Einsamen sind viel mehr mißrathen” — Dagegen führt Zarathustra die Gründe an

2) man hat ”gleich und gleich” gelehrt und dadurch die Einsiedler um das gute Gewissen gebracht — zur Heuchelei genöthigt und zum Kriechen

in summa: der Nothschrei des höheren Menschen an Zarathustra. Zarathustra ermahnt sie zur Geduld, schaudert selber über sich: “es ist Nichts, was ich nicht selber erlebt habe!”, vertröstet sich <auf> seine Glückseligen und begreift: „es ist höchste Zeit”. Unmuth ausbrechend und Hohn über seine Hoffnungen in Betreff der Glückseligen. Du willst uns nicht helfen? Verhilf uns zu einer großen Rache Du bist hart gegen die Unglücklichen! — Ziehen ab.

Mißtrauen und Angst bei Zarathustra zurück geblieben. Er sendet die Thiere aus.

31 [9]

Zarathustra 4. (Plan.)

  1. Das Honig-Opfer.
  2. Nothschrei des höheren Menschen. Schwarm. (c. 50 Seiten)
  3. Zarathustra's Mitleiden auf der Höhe — aber hart; bleibt bei seiner Aufgabe – „es ist nicht Zeit”
  4. Verhöhnung Zarathustra's. Abzug, während der Wahrsager einen Stachel zurückläßt.
  5. Sendet die Thiere aus, voll Angst.
  6. Siebente Einsamkeit: — zuletzt “Medusenhaupt“. (c. 40 Seiten)
  7. Der Heilige besiegt ihn. Krisis. Plötzlich aufspringend. (Scharfer Contrast der frommen Ergebung)
  8. “An die große Natur.” Siegeslied.
  9. Löwe und Taubenschwarm. Rückkehr der Thiere (begreift, daß alle Vorzeichen da sind). Die Botschaft.
  10. Letzter Abschied von der Höhle (das Tröstliche der ewigen Wiederkunft zeigt zum ersten Mal sein Gesicht)

31 [10]

  1. der Unstäte, Heimatlose, Wanderer — der sein Volk verlernt hat zu lieben, weil er viele Völker liebt, der gute Europäer.
  2. der düstere ehrgeizige Sohn des Volkes, scheu, einsam, zu allem bereit, der Einsamkeit wählt, um nicht Zerstörer zu sein — bietet sich als Werkzeug an
  3. der Verehrer der facta, “das Gehirn des Blutegels”, voll schlechten Gewissens aus Übermaaß, will sich los sein! Das feinste intellektuelle Gewissen
  4. der Dichter, im Grunde nach wilder Freiheit gelüstend wählt die Einsamkeit und die Strenge der Erkenntniß.
  5. der häßlichste Mensch, welcher sich dekoriren muß (historischer Sinn) und immer ein neues Gewand sucht: er will seinen Anblick erträglich machen und geht endlich in die Einsamkeit, um nicht gesehen zu werden — er schämt sich.
  6. der Erfinder neuer Rausch-Mittel, Musiker, der Bezauberer, der endlich vor einem liebevollen Herzen sich niederwirft und sagt: nicht zu mir! sondern zu jenem will ich euch führen! ”
  7. der Reiche, der Alles weggegeben und jeden fragt: “bei dir ist irgendein Überfluß: gieb mir davon!” als Bettler
  8. Die Könige, der Herrschaft entsagend: wir suchen den, der würdiger ist zu herrschen!“
  9. das Genie (als Anfall von Wahnsinn) erfrierend aus Mangel an Liebe ”ich bin kein Gedanke und auch kein Gott” — große Zärtlichkeit “Man muß ihn mehr lieben!”
  10. die Schauspieler des Glücks
  11. die zwei Könige, gegen die “Gleichheit”: es fehlt der große Mensch und folglich die Ehrfurcht
  12. die Guten                                         und ihr Wahn
  13. die Frommen                   „für Gott” das ist mein
  14. die “Für sich's” und Heiligen        “für mich”.

Bedürfniß nach unbegrenztem Vertrauen, Atheism, Theismus

schwermüthig-entschlossen

das Medusenhaupt

31 [11]

Entwurf.

18: 100 6
108
8
10 zu machen

31 [12]

Wohin willst du? fragte er laut, und seine Stimme kam fremd und verwandelt zu ihm zurück. — “Ich weiß es nicht”

Und deine Thiere — wo sind deine Thiere?

Oh Zarathustra nun lebt keiner mehr, den du liebst! — er warf sich auf den Boden hin, und schrie vor Schmerz und grub seine Hände in den Boden.

Und Alles war umsonst!

31 [13]

Wenn mir etwas mißräth: bin ich deshalb mißrathen? Und mißrathe ich selber, was liegt an mir? Ist der Mensch deshalb mißrathen?

Das ist Krankheit und Fieber.

31 [14]

der lachende Löwe — “noch vor 2 Monden hätte dies zu sehn mir das Herz im Leibe umgedreht

31 [15]

Ihr kamt gerade noch vor dem Thorschluß meines Herzens: ich vergab es euch noch nicht, daß ihr in der 12èn Stunde erst hinein wollt.

31 [16]

1 Bis zur vollständigen Enthüllung des Einsiedlers.

2 Aus der siebenten Einsamkeit.

3 Entschluß, “willst du das Alles noch einmal, all dies Warten usw. — ” ich will! (Geht ab schwarz in die Nacht)

 

 

31 [17]

Zarathustra zerbricht sein Herz gegen seine Freunde

gegen seine Thiere.

gegen alles, was er geliebt hat

ganz Wille zum Mittag.

Schluß: Dithyrambisches Zerbrechen seines Herzens

31 [18]

(sage ihnen, daß ich schon neue Freunde habe —

31 [19]

(du bist jünger als diese Kinder. Ist das die zweite Kindheit, von der man mir sprach? Zarathustra 6)

31 [20]

Also stand Zarathustra auf wie eine Morgensonne, die aus den Bergen kommt: stark und glühend schreitet er daher — hin zum großen Mittage, nach dem sein Wille begehrte, und hinab zu seinem Untergange.

31 [21]

Der Löwe aber leckte die Thränen, welche auf die Hände Zarathustras niedertropften. Sein Herz war im Innersten bewegt und umgewendet, aber er sprach kein Wort. Man sagt aber, daß der Adler, eifersüchtig, dem Treiben des Löwen zugeschaut habe usw.

Endlich erhob sich Zarathustra von dem Steine, auf dem er geruht hatte: wie eine Morgensonne stand er auf, die aus den Bergen kommt, stark und glühend, zum usw.

31 [22]

  1. Mitternachts.
  2. Aus der siebenten Einsamkeit.
  3. Die Genesung.
  4. Der Schwur auf der Hand des Einsiedlers.
  5. Die Botschaft der Freunde und der lachende Löwe.

31 [23]

— Dasselbe bezeugt auch der Löwe, aber nur zur Hälfte: denn er ist auf Einein Auge blind.

31 [24]

— und sie lachten beide aus vollem Halse. “Was wissen wir Dichter uns doch zu putzen und aufzustützen! Ich meine usw.

31 [25]

— ein Trieb der Selbst-Zerstörung: nach Erkenntnissen greifen, die einem allen Halt und alle Kraft rauben

31 [26]

— wenn ihr das Gesetz von Lust und Unlust über euch fühlt und kein höheres: nun, wohlan, so wählt euch die angenehmsten und nicht die wahrscheinlichsten Meinungen: wozu bei euch Atheismus!

31 [27]

— so wie die niederen Menschen zu Gott aufsahen, sollten wir billigerweise einmal zu meinem Übermenschen aufsehen. Zarathustra 6.

31 [28]

- der Gegensatz von Atheism und Theism ist nicht: “Wahrheit” und “Unwahrheit”, sondern daß wir uns eine Hypothese nicht mehr gestatten, die wir Anderen recht gern noch gestatten (mehr noch!) Die Frömmigkeit ist die einzig erträgliche Form des gemeinen Menschen: wir wollen, daß das Volk religiös wird, damit wir nicht Ekel vor ihm empfinden: wie jetzt, wo der Anblick der Massen ekelhaft ist.

31 [29]

— wir stellen uns gefährlicher hin und geben uns vielmehr dem Schmerze, dem Gefühl der Entbehrung hin: unser Atheismus ist ein Suchen nach Unglück, wofür die gemeine Art Mensch gar kein Verständniß im Leibe hat.

31 [30]

Mittag und Ewigkeit.

Von

Friedrich Nietzsche.

Erster Theil: die Versuchung Zarathustra's.

31 [31]

Bei abgehellter Luft, wenn schon des Thaus Tröstung zur Erde niederquillt, unsichtbar, auch ungehört —

— denn zartes Schuhwerk trägt der Tröster Thau,

gedenkst du da, gedenkst du, heißes Herz, wie einst du durstetest, nach himmlischen Thränen und Thaugeträufel versengt und müde durstetest?

— dieweil auf gelben Gras-Pfaden boshaft abendliche Sonnenblicke durch schwarze Bäume um dich liefen, blendende Sonnenblitze, schadenfrohe.

Der Wahrheit Freier du? — so höhnten sie — Nein! Nur ein Zauberer! Ein Thier, ein listiges raubendes, schleichendes, das lügen muß,

das wissentlich willentlich lügen muß, nach Beute lüstern, bunt verlarvt, sich selber Larve, sich selbst zur Brücke —

Das — der Wahrheit Freier? Nein! Nur Narr! Nur Dichter! Buntes redend, aus Narren-Larven bunt herausschreiend, herumsteigend auf lügnerischen Regenbogen-Dunst-brücken —

nicht still gleich denen, die du sahst, starr, glatt, kalt, zum Bilde worden, zur Gottes-Säule, aufgestellt vor Tempeln, eines Gottes Thürwart —

nein, feindselig solchen Wahrheits-Standbildern, voll Katzen-Muthwillens, der durch jedes Fenster springt in jeden Zufall, in jeder Wildniß heimischer als vor Tempeln,

jedem Urwalde sehnlicher zuschnüffelnd, daß du drin mit lüsternen Lefzen liefest, gleich buntgefleckten Raubthieren sündlich-gesund und schön, selig-höhnisch und selig-blutgierig.

Oder dem Adler gleich, der lange starr in Abgründe blickt, in seine Abgründe, die sich hinab in immer tiefere Tiefen ringeln,

dann, plötzlich, geraden Zugs, gezückten Flugs, hinab auf Lämmer stoßen, jach hinab, heißhungrig, gram allen Lammsseelen und was nur blickt mit schafmäßigem krauswolligem Lämmer-Wohlwollen:

— also adlerhaft, pantherhaft sind des Zauberers Sehnsüchte, sind deine Sehnsüchte unter tausend Larven, du Narr! du Dichter!

Der du den Menschen schautest so Gott als Schaf: den Gott zerreißend im Menschen und das Schaf im Menschen zerreißend lachen —

Das, Das ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! Eines Zauberers und Narren Seligkeit! — —

Bei abgehellter Luft, wenn schon des Monds Sichel grün zwischen Purpurröthen und neidisch hinschleicht,

— dem Tage feind, mit jedem Schritte heimlich an Rosen-Hängematten hinsichelnd, bis sie sinken, nacht-abwärts blaß hinabsinken:

so sank ich selber einstmals aus meinem Wahrheits-Wahnsinn, aus meinen Tages-Sehnsüchten, des Tages müde, krank vom Lichte — sank abwärts, abendwärts, schattenwärts,

von Einer Wahrheit verbrannt und durstig: — gedenkst du noch, gedenkst du, heißes Herz, wie da du durstetest? —

daß ich verbannt sei von aller Wahrheit! Nur Narr! Nur Dichter! — —

31 [32]

Wer wärmt mich, wer liebt mich noch? Gebt heiße Hände, gebt Herzens-Kohlenbecken!

Hingestreckt, schaudernd, Halbtodtem gleich, dem man die Füße wärmt, geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern, zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen —

von dir gejagt, Gedanke! Unnennbarer, Verhüllter, Schöpferischer! Du Jäger hinter Wolken!

Darniedergeblitzt von dir, du plötzlich Auge, das mich aus Dunklem anblickt

— so liege ich, biege mich, winde mich, gequält von allen ewigen Martern, getroffen von dir, grausamster ewiger Jäger, du unbekannter Gott!

Triff tiefer, triff Ein Mal noch! Zerstich, zerbrich dies Herz! Was soll dies Martern mit zähnestumpfen Pfeilen?

Was blickst du wieder, der Menschen-Qual nicht müde, mit schadenfrohen Götter-Blitz-Augen? Nicht tödten willst du? Nur martern, martern?

Der du auch des Nachts heranschleichst, mich eifersüchtig athmen hörst, mein Herz behorchst, in meine Träume einsteigst,

in meine Träume gespitzte Zweifel und Pfeile werfend, herzzerbrechende: allzeit bereiter Henker-Gott, wozu!

Wozu mich martern? Was willst du dir erfoltern? Was willst du, daß ich rede?

Oder soll ich dem Hunde gleich vor dir mich wälzen, hingebend-begeistert-außer-mir dir Liebe zuwedeln?

Umsonst! Stich weiter, grausamster Stachel! Nein, kein Hund — dein Wild nur bin ich grausamster Jäger!

Dein stolzester Gefangner, du Räuber hinter Wolken! Sprich endlich, was willst du, Wegelagerer, von mir? —

Du Blitz-Verhüllter, Unbekannter, sprich, du mein Gedanke: was willst du, unbekannter — Gott? —

Wie? Lösegeld? Was willst du Lösegelds? Verlange Viel — das räth mein Stolz. Und rede kurz — das räth mein andrer Stolz!

Haha! Mich willst du? Mich — mich ganz? Haha! Und marterst mich, Narr, der du bist, zermarterst meinen Stolz?

Gieb Liebe mir — wer wärmt mich noch, wer liebt mich noch! Gieb heiße Hände, gieb Herzens-Kohlenbecken —

gieb mir dem Einsamsten, den Kälte selbst nach Feinden, nach Feinden schmachten lehrt — gieb, ja ergieb, grausamster Feind mir — dich!

— Ha! Davon! Da floh er selber, mein letzter einziger Genoß! mein großer Feind! Mein Unbekannter! Mein Henker-Gott!

Nein! komm zurück, mit allen deinen Martern! Zum letzten aller Einsamen — oh komm zurück!

all meine Thränenbäche strömen zu dir den Lauf! Und meine letzte Herzens-Flamme — dir glüht sie auf! Oh komm zurück, mein unbekannter Gott! Mein letztes Glück! — —

31 [33]

— wie der Hirt über die Rücken wimmelnder Schafheerden hinblickt: ein Meer grauer kleiner wimmelnder Wellen.

— knirschend schlage ich an das Ufer eurer Flachheit, knirschend wie eine wilde Woge, wenn sie widerwillig in den Sand beißt —

— süßliche schmeichelnde Hunde

— willfährig, lüstern, vergeßlich: sie haben's alle nicht weit zur Hure.

— begeistert für grünes Gemüse, und den fleischlichen Freuden abhold

— diese Dinge sind fein: wie so dürftet ihr darnach mit Schafsklauen greifen? Jeglich Wort gehört nicht in jedes Maul: aber wehe über diese kranke sieche Zeit! Wehe über die große Maul- und Klauenseuche.

— Hohl, Höhle, voller Nachtgeflügel, umsungen und umfürchtet

— “diese Dichter! sie schminken sich noch, wenn sie ihrem Arzte sich nackt zeigen!” (Und als Zarathustra hierauf nicht Nein sagte, sondern lächelte, siehe, da hielt der Dichter flugs seine Harfe schon im Arme und that den Mund weit auf zu einem neuen Liede.

— ein grüner Blitz von Bosheit sprang aus seinen Augen, er öffnete den Mund und schloß ihn wieder.

— der Abend kommt übers Meer: auf schweren grünen Wogen heranreitend wiegt er sich, der Sehnsüchtige, in seinen purpurnen Sätteln —

— an die Erde gelehnt, wie ein Schiff, das müde in seine stille Bucht einlief: da genügt's, daß eine Spinne spinnt vom Lande zu ihm ihren Faden, keiner stärkeren Taue braucht es da noch!

31 [34]

— Oh meine Thiere! Mein großes Glück macht mich drehen! Ich muß nun tanzen, — daß ich nicht umfalle!

— sie liegen auf dem Bauche vor kleinen runden Thatsachen, sie küssen Staub und Koth zu ihren Füßen: und frohlocken noch: “Hier endlich ist Wirklichkeit!”

— ihr redet mir von eurer Hoffnung? Aber ist sie nicht kurzbeinig und scheläugig? Sieht sie nicht immer um die Ecke, ob dort nicht schon die Verzweiflung warte?

— Und wer von euch sagt noch ehrlich für sein übermorgen gut! Wer — darf noch schwören? Wer bleibt noch fünf Jahr in Einem Haus und Einer Meinung?

der Mensch ist böse: so sprachen alle Weisesten mir zum Troste: ach, wenn es nur heute noch wahr ist! weshalb kam ich doch hier auf diese Höhe! Wollte ich nicht endlich einen großen M<enschen> sehen? Und siehe da, ich finde einen vergnügten alten Mann

— mürbe Gräber, welche ihre Todten nicht mehr halten können. Wehe, da wird es bald Auferstehungen abgeben! vom Honig: “ich bedarf deiner nicht, aber ich nahm dich an wie ein Geschenk des Lebens: als der Nehmende weihe ich dich

— daß ein Blitz in ihre Speise schlüge und ihre Mäuler lernten Feuer fressen!

31 [35]

— beharrlich und einem Bauern gleich so grob wie listig

— Menschen des “guten Willens”? Unverläßlich

— fragt die Weiber: man gebiert nicht weil es Vergnügen macht!

— man wird am härtesten für seine Tugenden bestraft.”

— “es ist kühl, der Mond scheint, keine Wolke steht am Himmel: es lohnt sich nicht zu leben, oh Zarathustra!”

— Mancher ward seiner selber müde: und siehe, da erst kam das Glück zu ihm, das auf ihn gewartet hatte von Anbeginn.”

— Bin ich denn eine Wetterscheide? Alle Wolken aber kommen zu mir und wollen eine Auskunft —

— ich sammle mich gleich einer wachsenden Wolke und werde stiller und dunkler: so thun alle, welche den Blitz gebären sollen.

— “ihr wollt euch an mir wärmen? Kommt mir nicht zu nahe, rathe ich euch: — ihr möchtet euch sonst die Hände versengen. Denn seht doch, ich bin überheiß. Mit Mühe zwinge ich meine Flammen, daß sie mir nicht aus dem Leibe brechen.”

— Man hat dir die Pfoten gebunden, du Kratz-Katze, nun kannst du nicht kratzen und blickst Gift mit deinen grünen Augen!

— mit ausgedorrten blitzblanken Schwertern, welche zu lange durstig an der Wand hiengen: sie funkeln vor Begierde sie möchten wieder Blut trinken

— und die Schwerter liefen durch einander gleich rothgefleckten Schlangen

— ich horchte auf Wiederhall, ach! und ich hörte nur Lob.

31 [36]

— Thut gleich mir, lernt gleich mir: nur der Thäter lernt.

— im Verehren ist mehr des Ungerechten noch als im Verachten

Bezauberer — ich weiß auch schon bunte Decken aufzulegen: und wer sich aufs Pferd versteht, versteht sich wohl auch auf's Satteln.

— und wenn du dem Himmel gram bist, wirf deine Sterne hinauf in den Himmel —: das sei deine ganze Bosheit!

— steht nicht die Welt eben still? Wie mit furchtbaren Ringeln umwindet mich diese Stille!

— ihr wußtet euch gut zu bemänteln, ihr Dichter!

— er hat sich von der Tugend überwinden lassen: und nun nimmt all sein Schlimmes in ihm Rache dafür.

— hier bist du blind, denn hier hört deine Redlichkeit auf

— ich horchte auf Wiederhall, aber ich hörte nur Lob

— er warf sich aus seiner Höhe herab, die Liebe zu den Niedrigen verführte ihn nun liegt er mit gebrochenen Gliedmaaßen

— er redet viel von sich, das war sein Kunststück, sich selber zu verbergen.

— Heil! Wie kam es doch, daß die Wahrheit hier einmal zum Siege kam? Ein starker Irrthum kam ihr zu Hülfe.

— er ward mir gleichgültig, er machte mich nicht fruchtbar

— wie arm ist der Mensch! Man sagt mir, er selber liebe sich: ach, wie arm ist auch diese Liebe noch!

— mit diesen Schwertern zerschneide ich noch jede Finsterniß!

31 [37]

Bezauberer — ihr werdet bald wieder beten lernen. Die alten Falschmünzer des Geistes haben auch euren Geist falsch gemünzt.

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Zarathustra: man muß seinen Gott aus der Ferne sehen:

nur so nimmt er sich gut aus. Darum hält sich der Teufel von Gott fern, denn er ist ein Freund des schönen Scheins.

31 [47]

Der Bezauberer.

vor Tugenden und Entsagungen auf den Knieen, gleich dem Pöbel, sonderlich aber vor der großen Keuschheit: vor der betete ich und warf mich hin.

Was mir fremd war, was <ich> nie kennen durfte, sprach ich heilig: meine Nase roch am liebsten die mir Unmöglichen

Zarathustra sagt: Viel Pöbels mag wohl in dir sein: wer da zu Heim- und Hause ist, redet vertraulicher, spöttischer

31 [48]

31 [49]

Fabel — wie ein Wanderer der von fernen Dingen träumt unversehens auf einsamer Straße einen schlafenden Hund anstößt: wie Todfeinde sahen da die Beiden sich an, diese zwei zum-Tod-Erschreckten! Und doch im Grunde: wie wenig fehlte, daß sie einander streicheln und liebkosen!

31 [50]

freiwilliger Bettler — jene alte pfiffige Frömmigkeit, welche sprach “den Armen geben das ist Gott leihen: seid gute Bankhalter!”

Und wenn ich deines Glaubens wäre, so wollte ich auch deines Wandels sein.

denn sein Wille verlangte nach dem großen Mittage und nach seinem Untergange

31 [51]

ihr Sinn ist ein Wider-Sinn, ihr Witz ist ein Doch- und Aber-Witz

31 [52]

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31 [54]

31 [55]

Ihr Miesler und Wunderlichen, ihr Mißrathenden, was gienge mich noch euer Elend an, wenn nicht auch daran es Viel zu lachen gäbe! Mitleiden mit euch —: so hieße die Eine Sünde, die mir noch übrig blieb

Ihr Ertrinkenden alle, meint ihr, ich wüßte nicht, was ihr von mir auf meiner Höhe wolltet: das Meer schlingt euch hinab: nun wollt ihr euch an einen starken Schwimmer anklammern?

Und wahrlich, so blind und wild greift ihr mit Arm und Bein nach einem Retter, daß ihr den Stärksten noch in eure Tiefe hinabzöget!

Dazu lache ich nun, ein starker Schwimmer, der keinen kleinen Finger euch mehr entgegenstreckt: denn, griffet ihr ihn, so würdet ihr auch noch Hand und Herz dazu nehmen.

Das ist euer Unbescheidnes, daß ihr leben, leben wollt, ob ich gleich an euch zu Grunde gienge

31 [56]

“Ihr Könige und du Einer Esel!”

31 [57]

das Haar Zarathustra's schwarz werdend (Löwe und Taubenschwarm)

31 [58]

— es lief eine Sehnsucht durch die Lande und klopfte allen Einsiedlern an die Thür und sprach “Lebt denn Zarathustra noch?”

31 [59]

— Dem guten Frager ist schon halb geantwortet.

31 [60]

— Man muß seine Augen auch hinter dem Kopfe haben!

31 [61]

Gespräch mit den Königen

“ich sehe Könige vor mir: aber ich suche den höheren Menschen.”

die große Maul und Klauenseuche — feine Dinge — sie greifen mit Schafsklauen darnach. Jeglich Wort gehört nicht in jedes Maul.

süßliche schmeichelnde Hunde, wenn sie verehren

ihre Weiber: willfährig, lüstern, vergeßlich — sie haben's alle nicht weit zur Hure.

Und wer von ihnen sagt noch ehrlich für sein übermorgen gut? Wer — darf noch schwören und versprechen? Wer von ihnen bleibt noch fünf Jahr in Einem Hause und Einer Meinung?

Menschen des guten Willens, aber unverläßlich, und nach Neuem gelüstig, diese Käfiche und engen Herzen, diese Rauchkammern und verdumpften Stuben — sie wollen freien Geistes sein —

sie fühlen sich vom Pöbel nach Leib und Herzen und möchten das verstecken <und> gerne das Vornehme an- und überziehn: Erziehung nennen's <sie> — sie treiben's eifrig

sie reden vom Glück der Meisten und opfern ihnen alle Zukünftigen sie haben ihre Tugend, man kann sie nicht für jeden Preis kaufen. Biete nicht zu wenig, sonst sagen sie “Nein!” und gehen gebläht davon, gestärkt in ihrer Tugend. “Wir sind die Unbestechlichsten!”

die Eintagslehrer und andre Schmeißfliegen

und oft sind sie gleich jener Schamhaften, welche <man> zu dem, was sie am liebsten möchte, noch zwingen und nothzüchtigen muß.

— seines Friedens Sonne dünkte mich schwül und flau: lieber noch sitze ich im Schatten geschwungener Schwerter.

— schwimmend in Billigkeit und Milde, ihrer Dummheit froh und daß Glück auf Erden so wohlfeil ist

31 [62]

Das Abendmahl.

Also sprach der König und Alle traten auf Zarathustra zu und erwiesen ihm abermals ihre Ehrfurcht; Zarathustra aber schüttelte das Haupt und wehrte ihnen mit der Hand.

“Willkommen hier! sprach er zu seinen Gästen. Von Neuem heiße ich euch willkommen, ihr Wunderlichen! Auch meine Thiere grüßen euch, voller Ehre und voller Furcht: noch niemals nämlich sahen sie so hohe Gäste!

Doch seid ihr mir keine kleine Gefahr — so raunen mir meine Thiere zu. “Nimm dich in Acht vor diesen Verzweifelnden!” spricht mir die Schlange am Busen; — vergebt ihrer Liebe zu mir diese scheue Vorsicht!

Von Ertrinkenden spricht mir heimlich meine Schlange: das Meer zieht sie hinab — da möchten sie sich gern an einen starken Schwimmer anklammern.

Und wahrlich, so blind und wild greifen Ertrinkende mit Armen und Beinen nach einem Retter und Gutwilligen, daß sie den Stärksten mit in ihre Tiefe hinabziehn. Seid ihr — solche Ertrinkende?

Den kleinen Finger strecke ich euch schon entgegen. Wehe mir! Was werdet ihr nun noch von mir nehmen und an euch reißen!” —

Also sprach Zardthustra und lachte dabei voller Bosheit und Liebe, während er mit der Hand den Hals seines Adlers streichelte: der nämlich stand neben ihm, gesträubt, und wie als ob er Zarathustra gegen seine Besucher zu schützen hätte. Dann aber reichte er dem Könige zur Rechten die Hand, daß dieser sie küsse, und begann von Neuem, herzhafter noch als vorher: — — —

31 [63]

31 [64]

Als aber Zarathustra seine Gäste dergestalt wieder fröhlich fand und durcheinander redend, verließ er sie und trat leisen Schrittes hinaus vor seine Höhle. “Sie sind glücklich, ich habe sie geheilt, sprach er zu seinem Herzen: wie gut will dieser Tag enden, der so schlimm begann! Da kommt schon der Abend über das Meer, heranreitend wiegt er sich, der Sehnsüchtige, in seinen purpurnen Sätteln. Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wunderlichen, die ihr zu mir kamt, ihr thatet Recht damit: es lohnt sich schon, bei mir zu leben!”—

Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen und wurde immer stiller: inzwischen aber war Einer nach dem Andern von den Gästen Zarathustra's aus der Höhle hinausgetreten; und das, was sie hier draußen sahen, machte endlich jeden von ihnen stille. So standen sie bei einander, sich stumm die Hände reichend und hinausblickend: da aber kam aus der Tiefe heimlich der Klang jener alten schweren Brummglocke, jener Mitternachts-Glocke Zarathustra's, deren Schläge er gerne abzählte und mit Reimen absang, und auch dies Mal kam sie schwer beladen mit Lust und Wehe: — da schauerte ihnen Allen das Herz.

Zarathustra aber, welcher Alles wohl errieth, sprach mit Bosheit sowohl als mit Liebe, ohne sie anzusehn, vielmehr wie Einer, der zu sich allein redet, wenig laut, aber deutlich genug: “Oh seht mir doch diese Verzweifelnden! Oh seht mir doch diese Verzweifelnden!”

— Sobald aber seine Gäste dies Wort hörten, wurden sie sich mit Einem Male ihrer Verwandlung und Genesung bewußt: da lachten sie über sich selber und Alle sprangen auf Zarathustra zu, dankend, verehrend und liebend oder ihm die Hände küssend, so wie es der Art eines jeden zu eigen war: also daß auch Einige weinten. Der Wahrsager aber tanzte vor Vergnügen; und wenn er auch, wie Manche meinen, damals voll süßen Weins war, so war er sicherlich noch voller des süßen Lebens und hatte aller Lebens-Müdigkeit abgesagt. Zarathustra gab Acht darauf, wie der Wahrsager tanzte und zeigte mit dem Finger darnach: dann aber entriß er sich mit Einem Male dem Gedränge der Dankenden und Liebenden und nahm seine Zuflucht zu einer schroffen Klippe, an der er einige Schritte emporkletterte, indem er sich im Steigen einige Rosen und Rosenranken abriß. Von dieser Höhe her und, wie eben gesagt, mit Rosen in den Händen, nahm er an jenem Abende zum letzten Male das Wort: hinabschauend auf diese Schaar von Verzweifelten, welche nicht mehr zweifelten, von Ertrinkenden, welche auf gutem festem Lande standen, lachte er aus ganzem Herzen, wand die Rosen zum Kranze und sprach die Rede, welche man heißt:

Die Rosen-Rede.

Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone.- ich selber setze mir diese Krone auf, ich selber sprach heilig mein Gelächter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug dazu.

Wie gut doch, daß ihr zu meiner Höhle kamt, Dies zu schaun! Wie danke ich's eurer Sorge und Sehnsucht, welche Berge stieg und am rechten Orte anfragte: “Lebt denn Zarathustra noch?”

Einem guten Frager ist halb schon geantwortet. Und wahrlich eine ganze gute Antwort ist das, was nur hier ihr mit Augen seht: Zarathustra lebt noch und mehr als je:

— Zarathustra der Tänzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flügeln winkt, ein Flugbereiter, allen Vögeln zuwinkend, bereit und fertig, ein göttlich Leichtfertiger — ich selber setzte mir diese Krone auf!

— Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahr-Schweiger, kein Ungeduldiger, kein Unbedingter, einer der Sprünge und Seitensprünge liebt — ich selber setzte mir diese Krone auf!

Schüttelt mich zusammen mit allen Erden-Thränen und allem Menschen-Jammer: immer werde ich wieder obenauf sein wie Oel auf Wasser.

Und bin ich der Erde einmal gram: des Himmels Sterne reißt da meine Bosheit noch herab zur Erde — das ist so die Art aller Zarathustra-Rache.

Und wenn es auf Erden auch Moor und Trübsal giebt und ganze Meere schlimmen Schlammes: wer leichte Füße hat, läuft über Schlamm noch dahin — schnell wie über gefegtem Eise.

Und wenn ich Feinde brauche und selber oft mein schlimmster Feind bin: Feinde haben wenig bei mir gut zu machen, ich lache zu schnell wieder nach jedem Unwetter

Und ob ich schon in vieler Wüste war und Wüsten-Wildniß: zum Wüsten-Heiligen ward ich nicht, noch stehe ich nicht da starr, stumpf, steinern, eine Säule: vielmehr — ich schreite.

Der Schritt verräth, ob Einer schon auf seiner Bahn schreitet. So seht mich gehen! Wer aber seinem Ziele nahe kommt, der — tanzt!

Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe, gleich Katzen machen sie da Buckel, sie schnurren innewendig vor ihrem nahen Glücke: alle guten Dinge lachen!

Welches war hier auf Erden die größte Sünde? Das war das Wort dessen, der sprach: „Wehe denen, die hier lachen!”

Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Gründe? So suchte er nur zu schlecht: ein Kind findet hier noch Gründe. Oh daß er sich doch selber — gefunden hätte!

Der — liebte nicht genug, sonst hätte er auch uns noch geliebt, die Lachenden. Aber er haßte uns und höhnte uns nur; Heulen und Zähneklappern verhieß er uns, den Lachenden!

Wo man ihn nicht liebte, diesen Unbedingten, da wollte er gleich sieden und braten. Er selber liebte nicht genug: sonst hätte er weniger begehrt, daß man — ihn liebe.

Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke Art, eine Pöbel-Art. Sie sehen schlimm diesem Leben zu, sie haben schwere Füße und Herzen.

Erhebt eure Herzen, meine Brüder, hoch! höher! aber vergeßt mir auch die Beine nicht! Erhebt auch eure Beine, ihr guten Tänzer, und besser noch: ihr steht auch auf eurem Kopfe!

Es giebt auch im Glücke schweres Gethier, es giebt Plumpfüßler von Anbeginn. Wunderlich mühen sie sich ab, solche Glückselige, einem Elefanten gleich, der sich müht, auf dem Kopf zu stehen.

Besser aber noch, närrisch sein vor Glücke als vor Unglücke! Besser plump tanzen als lahm gehn! So lernt mir doch meine Weisheit ab: “Jedwedes schlimme Ding hat zwei gute Kehrseiten.”

So verlernt mir doch das Trübsal-blasen und alle Nachtwächter-Traurigkeit! Oh wie traurig dünken mich heute die Hanswürste noch! Dies Heute ist des Pöbels: so verlernt mir doch dies — Heute!

Dem Winde thut mir gleich, der hier aus seinen Berghöhlen herunter stürzt. Nach seiner eignen Pfeife will er tanzen, die Meere zittern und hüpfen unter seinen tanzenden Fußtapfen.

Der den Eseln Flügel giebt, der Löwinnen melkt: ehrt mir doch diesen unbändigen guten Geist, der allem Heute und allem Pöbel wie ein Sturmwind kommt, —

— der Distel- und Diftelköpfen feind ist und allen kleinen mürrischen Unkräutern, diesen wilden guten freien Sturmwind, der allen Schwer- und Schwarzsichtigen, Schwärsüchtigen Staub in die Augen bläst:

— der die Pöbel-Schwindhunde haßt und alles mißrathene düstere Gezücht: ehrt mir doch diesen Geist aller freien Geister, diesen lachenden Sturm, welcher über Meeren und Trübsalen wie auf Wiesen tanzt.

Hinaus, hinaus nun, du Wildfang und Unband! Von wem redest du doch? Fliege fern hinaus, du guter Brausewind! Wie ein Schrei und ein jauchzen fliege über weite Meere, bis du die glückseligen Inseln findest —

grüße meine Kinder auf ihren Inseln, bringe ihnen den Gruß eines Nachbarn der Sonne, eines Nachbarn des Schnees, eines Nachbarn des Adlers, bringe ihnen zum Gruß die Liebe ihres Vaters!

Meine Kinder, meine Wohl-Geborenen, meine neue schöne Art: was zögern meine Kinder auf ihren Inseln?

Ward es nicht Zeit und höchste Zeit — so blase ihnen ins Ohr, du guter Sturmgeist — daß sie endlich zu ihrem Vater kommen? Warte ich nicht auf meine Kinder als Einer, dess Haar weiß und greis ward?

Hinaus, hinaus, du unbändiger guter Sturmgeist! Stürze hinab ins Meer aus deinen Berghöhlen, spute dich und segne vor Abend meine Kinder noch —

segne sie mit meinem Glücke, mit diesem Rosenkranz-Glücke! Wirf diese Rosen über ihre Inseln hin, wie ein Fragezeichen, welches fragt: „Woher kam solch Glück?”

— bis sie fragen lernen: „Lebt unser Vater noch? Wie, lebt unser Vater Zarathustra noch? Liebt unser alter Vater Zarathustra seine Kinder noch?”

Locke meine Kinder zu mir mit meinem besten Glücke! Ködere sie hinauf zu meiner treulichen goldbraunen Vater-Sehnsucht! Träufle auf sie den Honig einer langen langen Vater-herzens-Liebe!

Der Wind bläst, der Wind bläst, der Mond scheint, — oh meine fernen fernen Kinder, was weilt ihr nicht hier, bei eurem Vater? Der Wind bläst, keine Wolke steht am Himmel, die Welt schläft. — Oh Glück! Oh Glück!

Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da erbebte er bis in die Wurzel seines Herzens: denn er merkte, als er zu seinen Füßen hinabblickte, daß er ganz allein war. Er hatte seine Gäste vergessen — hatten seine Gäste auch ihn vergessen? “wo seid ihr? Wo seid ihr?” rief Zarathustra in die Nacht hinaus: aber die Nacht schwieg. —

“Wo seid ihr? Wo seid ihr, meine Thiere?” rief Zarathustra abermals in die Nacht hinaus. Aber auch seine Thiere blieben stumm — —

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Die Glücklichen sind neugierig.

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Und wenn ihr mich euren Herrn und Meister nennt: so will ich's euch in Reimen sagen, was dieser Meister von sich selber denkt.

Also nämlich schrieb ich einst über meine Hausthür, ich meine über den Eingang dieser Höhle: — — —

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Auf dieser Erde giebt es kein größeres Unglück als wenn die Mächtigen der Erde nicht auch die ersten Menschen sind. Da nämlich wird alles schief falsch und — — —

Wenn aber alles falsch wird, was Wunders, wenn dann der Pöbel trachtet Herr zu sein? Dann spricht die Pöbel-Tugend “siehe, ich allein bin Tugend!

Solches geschieht zwischen Heut und Morgen: wie das aber kam und kommen mußte — — —

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ich will d<eutsch> und deutlich mit euch reden

Bis jetzt weiß ich wenig mit euch anzufangen — Das Beste ist noch, daß wir mit einander schmausen.

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