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Spiegelfechter

In dieser Nacht hatten die Gewerkschaften den Generalstreik beschlossen, um gegen die Tat zu protestieren und die Gegner zu warnen. Als Hoff zu früher Stunde Lillys Haus verließ, waren die Straßen verhangen und trübselig wie gestern morgen auch, aber dazu noch träge und gleichsam lebensmüde. Er sah keine Fahrzeuge, mit Ausnahme von ein paar Radfahrern, und die Fußgänger gingen in freudloser Sicherheit zwischen den Trambahnschienen.

Hoff ging nicht nach Hause. Er trank in einer Bahnhofswirtschaft Kaffee und wartete dort, bis es acht Uhr war. Es war der Fernbahnhof für die Züge nach dem Süden. In der Halle und in den Warteräumen standen viele Reisende, die nicht wegfahren konnten, weil auch kein Fernzug abgelassen wurde, die immer noch auf eine Einsicht der Eisenbahner hofften und sich die Zeit mit Schimpfen vertrieben. Hoff schlenderte zu den Tafeln mit den Fahrzeiten und konnte lesen, daß der Zug in die Schweiz um sieben Uhr fünfundfünfzig abgehen sollte. Es machte ihm ein wenig Spaß, daß der Plan, der so überaus sicher mit der Zeit umging, heute auf überraschenden Ungehorsam stieß und ganz vergeblich die zukünftigen Stunden auf die Strecke verteilte. Er freute sich über die allgemeine Insubordination, weil auch er aus dem Befehlsbereich herausgekommen war. Er war nicht unruhig, sondern sehr gespannt, beinahe neugierig, wie es nun mit ihm gehen werde. Denn er wußte es noch nicht. An das Geständnis, das er der Lilly Schmid abgelegt hatte, dachte er mit Genugtuung, ohne es für seine Person zu überschätzen. Es war eine private Erleichterung, die er sich verschafft hatte, nicht mehr. Es war keineswegs eine Abzahlung auf seine Schuld. Daß ihn die Frau anzeigte, hielt er für ausgeschlossen. Diese Gewißheit allein machte die Beichte in höherem Sinn wertlos.

Er kaufte sich die ersten Zeitungen und las, auf der Rampe der Gepäckannahme sitzend. Er erfuhr nicht viel Neues. Die Regierung, durch den Tod des Führers durchaus nicht kopflos und ihre Truppen scheinbar in der Hand, verstand ein Kraftgefühl zu zeigen, das bisher eine Gegenkraft nicht einmal zu notieren brauchte. Es war also noch zu keinem Zusammenstoß gekommen. Es blieb eigentlich alles, wie es war. Hoff nickte höhnisch. Wie es sich verlohnte! Die Regierung hatte zureichenden Grund gefunden, gegen unliebsame Persönlichkeiten der Opposition schärfer vorzugehen: das war alles.

Unter den Verhafteten war sogar ein führendes Ligamitglied, Herr von Koppen, früherer Seeoffizier, der auch bei der letzten Führersitzung dabei war. – Ach, der nette kleine Koppen, dachte Hoff, da holen sie sich natürlich den Harmlosesten; man hätte es sich fast denken können, daß dieser Parsifal mit den Frauenwimpern und dem gläubigen Gemüt hereinfallen wird; dabei hat er eigentlich nichts anderes getan als Ja gesagt und den jeweiligen Frager leuchtend angesehen. – Hoff schüttelte den Kopf: ist das alles, was ich über den Fall zu denken habe? Geht mich das alles wirklich so wenig an? – Der kleine Koppen tut mir leid – mein Gott, ja; aber ich suche etwas anderes. Ich kann mir nicht helfen: diese Menschen und diese Probleme liegen so weit zurück ...

Er las weiter. Die Vorbereitungen der Regierung gegen eine Offensive des Freikorps Hartmann schienen durchaus zu genügen, um die Gefahr zu bannen oder sogar im Keim zu ersticken.

Natürlich: das war zu riskieren. Das war eben Kriegsglück. Eine mißglückte Offensive ist keine Ungewöhnlichkeit. Ein vergeblicher politischer Mord ist keine Seltenheit: er ist nur schlimm für den Mörder. – Hoff verzog das Gesicht. Schlimm? Mord ist Mord, nicht wahr? Was nützt es mir, wenn die Tat die heftigsten politischen Folgen hätte. Ich habe den politischen Zusammenhang verloren, auch wenn es anders stünde.

Hoff suchte auch nicht Situationsberichte oder Meldungen über seine Kampfliga: er fahndete nach der Person des Ministers; doch er fand nicht viel. Die eigene Arbeit am Bilde des Toten schien ihm bedeutender. Er las ein paar programmatische Tagebuchblätter, die nicht sehr aufschlußreich waren und sich auch nicht viel über das Niveau einer mehr in die Breite als in die Tiefe wirkenden Rhetorik erhoben. Er fand nur einen Satz, der ihm gefiel: eine schöne Huldigung seiner Frau, ihrer Kameradschaftlichkeit, ihrer Einsicht und ihres unerschütterlichen Sinnes für menschlichen Anstand. Hoff erinnerte sich an das gemeinsame Bild des Ehepaares in einer der illustrierten Zeitschriften. Er hatte sie bei sich – er hatte alle Zeitungen mitgenommen. Er suchte die Photographie heraus und prüfte das Gesicht der Frau. Es war eine kleine Momentaufnahme: man konnte nicht viel mehr sehen, als daß es ein sympathisches Gesicht war, von schlichter Klugheit, und daß die bescheidene Frau etwa fünfzig Jahre zählen mochte. Hoff nickte; ich glaube, sie wäre für mich sehr wichtig, überlegte er.

Er sah auf die Uhr: es war viertel nach acht. Er ging in den nächsten Friseurladen und ließ sich rasieren. Bartstoppeln waren ihm von jeher unangenehm, bis zum Gefühl eines seelischen Unbehagens. Er gehörte zu den wenigen Männern, die sich gerne rasierten, aus Freude an der scharfen Arbeit der Klinge. Im Krieg war seine Angst vor dem Bart das ewige Gespött seiner Kameraden. Er sah auch jetzt keinen Grund, sich zu vernachlässigen. Sein großer Kampf ging ja gegen die Nachlässigkeit. Er wollte nicht resignieren, sondern mit sich ins reine kommen. Stoppeln machten das Gesicht auch »kriminell«, wie er es nannte. Er mochte unrasiert nach Basel geflohen sein; aber er durfte nicht verwahrlost zu David Hertz gehen. Immerhin machte er es sich klar.

Da er sich bis neun Uhr Zeit gab, ließ er sich auch die Haare schneiden und waschen. Der Gehilfe griff mit kräftigen Fingern tüchtig an die Kopfhaut. Hoff tat es zuerst ziemlich weh, weil ihn die Haarwurzeln wie nach einem Rausch schmerzten; aber dann bekam er einen klaren Kopf. Er war beinahe guter Stimmung und gab reichliches Trinkgeld.

Vom Friseur ging er in ein Wäschegeschäft und kaufte sich einen Kragen, den er in einem Waschraum des Bahnhofs anlegte. Den getragenen Kragen ließ er in der Tüte zurück. Die Wartefrau lief ihm mit dem Fund nach. Er dachte plötzlich und gegen seinen Willen an das mögliche Indizium und nahm den Kragen dankend an sich.

Es war viertelzehn geworden; er konnte sich endlich anmelden. Er ging in eine Telefonzelle des Bahnhofs und verband sich mit Hertz. Wieder, wie vorgestern nacht, war er sofort am Apparat, als ob er auf den Anruf gewartet hätte, und fragte sein leises: »Ja?« – Hoff fühlte über die Stimme eine große Freude. Dem Freund war noch nichts geschehen. Er meldete sich vorsichtig (vielleicht wurde auch Hertzens Telefon überwacht): »Hallo – wissen Sie, wer spricht?« – »Ja.« – »Darf ich Sie besuchen?« – »Ja.« – »Wann darf ich kommen?« – »Wann Sie wollen.« – »Darf ich jetzt kommen?« – »Ja.« – »In einem halben Stündchen – es verkehren ja keine Taxi wegen des Streiks.« – »Gut.«

 

Auf der anderen Straßenseite von Hertzens Haus promenierte Zwerg Paula. Als er Hoff kommen sah, blieb er unschlüssig stehen, weil er nicht wußte, ob ihn der andere sehen wollte oder nicht. Hoff war über den Zwerg nicht sonderlich überrascht; er vermutete ihn entweder hier oder vor dem Hansmannschen Haus. In der ersten Regung wollte er ihn übersehen; dann wollte er ihn mit dem Schlüssel zur Lilly Schmid schicken; schließlich aber überlegte er, daß er ihn ruhig als Wach- und Horchposten auf seinem Platz lassen sollte. Er ging an ihm vorbei und fragte, ohne stehenzubleiben: »Neues?« – »Nichts«, sagte Paula, der die Technik des Gesprächs sofort begriff und langsam in entgegengesetzter Richtung weiterschritt, »Hertz zu Haus – aber warum Besuch?«

Diese Frage war eine Dreistigkeit, mochte sie auch durch die Sorge des Kleinen verständlich sein. Hoff ging ohne ein Wort über die Straße und läutete an der namenlosen Vorgartentür. Das Häuschen lag still und sauber, mit hochgezogenen Rolläden. An dem Fenster, von dem gestern die Gardine fortglitt, rührte sich nichts. Hoff freute sich auf das Haus, als gehörte er hinein. Das Pförtchen vor ihm surrte und ließ sich aufdrücken. Hoff ging über gepflegten Kies. In der Haustür stand ein Hausmädchen mit ernstem und etwas kränklichem Gesicht unter dem weißen Häubchen. Rote Backen gehören nicht hierher, dachte Hoff. Das Mädchen fragte nicht nach dem Namen, sondern sagte nur, daß Herr Hertz warte. Sie führte den Gast zur Bibliothek, die Hertz selber öffnete, als sie klopfte.

David gab ihm ruhig und freundlich die Hand, aber unterließ jede Formel einer Gesprächseinleitung. Er sagte nicht einmal guten Tag, er sagte gar nichts. Die Hunde Barry und Bia saßen auf ihren Sesseln und bellten nicht, sondern wedelten nur gemessen mit den Schwänzchen. Hoff wußte nicht, ob es bei ihnen Wiedererkennen oder Hausdisziplin war. Hertz bot ihm mit einer Handbewegung den gleichen Sessel an, den er gestern nacht gehabt hatte. Er selber setzte sich an seinen Schreibtisch und drehte nur den hochlehnigen Stuhl ein wenig in die Richtung des Besuchers.

Die Bibliothek war ein Eckzimmer und hatte zwei Fenster zur Straßenfront. Vom Schreibtischplatz aus konnte Hertz durch das eine Fenster die Straße überschauen. Hoff stand von seinem Sessel auf und blickte hinaus. Er sah die Vorgartentür des Hauses und auf der anderen Seite den promenierenden Zwerg. »Sie sehen ihn, nicht wahr?« fragte er David.

»Ja«, sagte Hertz.

»Sie standen doch gestern vormittag an diesem Fenster, als ich vor der Tür war?«

»Ja«, sagte Hertz.

Hoff ging an seinen Platz zurück. Hertz sah mitgenommen und müde aus und blickte beharrlich auf die Schreibmappe vor sich.

Wenn er für sich fürchtete, überlegte Hoff, dann hätte er mich ja nicht kommen zu lassen brauchen. Vielleicht ist seine Depression die Regel; ich sprach ihn ja noch nicht am Tag. Vielleicht aber gilt sie doch mir. – Hoff wurde etwas unruhig: vielleicht sieht er meinen Fall hoffnungsloser als ich. – Er fragte: »Warum haben Sie mich gestern nicht hereingewunken?«

Hertz schüttelte den Kopf und gab keine Antwort; er sah nicht einmal auf.

»David«, fragte Hoff bekümmert, »bedrückt Sie meine Gegenwart?«

»Natürlich«, sagte Hertz.

»Aber warum ließen Sie mich dann kommen?«

Hertz hob langsam die Schulter. »Wie kann ich es Ihnen abschlagen.« Er setzte nach einer Weile hinzu: »Ihr Dasein bedrückt mich, nicht Ihre Anwesenheit.«

Hoff fuhr auf: »Hätte ich mich schon umbringen sollen?« fragte er grob.

»Nein«, entgegnete Hertz sanft, »Sie mißverstehen mich.«

Hoff sagte sich: da ist bei ihm eine andere Angst, die Angst vor mir als Beispiel eines Schuldigen und eines Kämpfers um die Schuld. Er fürchtet vielleicht mein Vorbild; denn er gibt sich ja in seinem Kampf mit dem Gewissen – wenn er überhaupt kämpft und nicht nur philosophiert – mit dem Remis zufrieden, also mit der Resultatlosigkeit. Ich nicht – ich glaube: ich nicht. Doch das kann er ja noch nicht wissen. Oder rechnet er schon mit allen Möglichkeiten?

Hoff fragte leise: »Haben Sie daran gedacht, mich anzuzeigen?«

Jetzt sah ihn Hertz an. Hoff kannte schon diesen klugen und klaren Blick. Hertz antwortete mit einer Gegenfrage: »Haben Sie denn damit gerechnet?«

»Sie meinen: der Bequemlichkeit wegen«, gab Hoff sehr ernst zurück.

Hertz dachte nach, ohne den Blick von ihm fortzunehmen, und entgegnete: »Ich glaube, ich weiß, was Sie mit Bequemlichkeit meinen.«

Hoff nickte ihm zu: »Ich will es mir nicht bequem machen, David, das verstehen Sie doch auch. Also rechnete ich nicht mit Ihrer Anzeige. Ich dachte daran nur einen Augenblick; das war gestern vormittag, kurz nachdem ich von Ihrem Haus wegging, und das war in einer Art Erfrorenheit des Gefühls. Trotzdem schämte ich mich gleich darauf, so maßlos niedrig dachte ich – Sie würden gar nicht darauf kommen, Hertz. Ich sollte davon nicht erst sprechen; aber wir sind ja nun einmal zueinander ehrlicher als vielleicht gut ist.«

Hertz senkte wieder den Kopf. »Das ist schon möglich«, sagte er. »Und Sie dachten in jenem Augenblick einfach aus Mißtrauen, daß ich Sie anzeigen würde?«

»Zu wenig«, sagte Hoff, »ich dachte niederträchtig, das heißt: ich blieb nicht einmal bei dem Mißtrauen stehen. Ich dachte: wenn er mich anzeigt, zeige ich ihn an.«

Hertz fuhr mit dem Finger über die Lederpressung der Schreibmappe. Dann sagte er: »Ich war heute nacht einen Augenblick so verzweifelt, daß ich nur den einen Wunsch hatte: Sie nicht mehr zu sehen.«

»Warum?« fragte Hoff traurig.

»Weil ich unsere Freundschaft verwünschte.«

»Aber warum nur!« klagte Hoff, »vielleicht halte ich mich nur durch sie!«

»Aber ich mich nicht – ich mich vielleicht nicht«, erwiderte Hertz. »Sie sagten ja selber vorhin, daß Sie gegen sich selber unbequem werden wollen, und Sie sprechen jetzt von dem Halt durch die Freundschaft. Unter Umständen habe ich also darunter zu leiden. Und eben solche Gedanken kamen mir in der Nacht.«

Hoff lehnte sich zurück. Im Grunde rührten ihn Davids Nachtgedanken wenig. So kamen sie auch nicht weiter. Er fragte ein klein wenig verletzend: »Was wäre also die bequemste Lösung für Sie gewesen?«

»Wenn Sie ins Ausland geflohen wären«, antwortete Hertz ehrlich, und er setzte noch hinzu: »natürlich!«

»Ich denke nicht daran«, sagte Hoff überraschend scharf.

Hertz winkte mit der Hand ab, als hätte er von dieser Auseinandersetzung genug. Er sah aus dem Fenster und fragte mit einer Kopfbewegung: »Der da ist Ihr Faktotum, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Hoff, um keine weiteren Erklärungen zu geben.

»Warum überwacht er mich eigentlich? Er war gestern vormittag auch schon da.«

»Nicht in meinem Auftrag«, entgegnete Hoff. Er überlegte, ob er noch mehr sagen sollte.

»Als selbständiger Aufpasser ist er mir noch unangenehmer«, bemerkte Hertz. »Schicken Sie ihn nachher, bitte, fort.«

»Ich habe keine Befehlsgewalt über ihn«, widersprach Hoff.

Hertz senkte den Kopf. »Wir geraten ja schon auseinander«, sprach er leise.

»Nein«, sagte Hoff, »dazu hängen wir zu fest zusammen. Paula beobachtet, ob die Polizei zu Ihnen kommt.«

Hoff paßte scharf auf; doch Hertz erschrak nicht. Er fragte nur: »Zu mir? – Aus welchem Grund?«

»Der Sekretär des Ministers hat mich vorgestern früh an der Mordstelle flüchtig gesehen; ich war in dem Augenblick ziemlich außer mir. Er kombinierte richtig und gab nach dem Attentat eine ungefähre Beschreibung meiner Person.«

»Das habe ich gelesen«, warf Hertz ein.

»Gut. Die Polizei könnte dadurch auf Sie kommen, weil Sie ihr bekannt sind und das Signalement auf Sie ungefähr paßt. Ich halte es für unwahrscheinlich, Paula nicht.«

Hertz drehte einen Bleistift in der Hand. »Ich halte es auch für unwahrscheinlich«, sagte er einfach.

»Und wenn sie doch kämen?«

Hertz lächelte sogar: »Ich habe es ja nicht getan, Hoff.«

»Sie sagten in diesem Fall wohl auch nicht, wer es getan hat, David?«

Hertz fuhr nicht auf, wie es Hoff erwartet hatte oder wie er es wohl an Davids Stelle getan haben würde, sondern schüttelte nur den Kopf und sagte nein.

»Allerdings«, fuhr Hoff fort und begriff seine Tonart nicht mehr recht, »allerdings wäre dann auch für einen sehr unbegabten Kriminalisten der Schluß von Hertz über Hoffnung auf Hoff eine knappe Tagesarbeit.«

»Möglich«, gab Hertz zu.

»Also hat Paula für uns seinen Wert.«

Hertz zog die Stirn zusammen und antwortete nicht. Hoff dachte: wir sind auf eine ganz falsche Bahn gekommen, durch meine Schuld. Ich benehme mich wie ein Hanswurst von einem Privatdetektiv. Doch diese eine Feststellung bin ich ihm nach alledem noch schuldig. Er fragte, und es war wieder eine törichte Anmaßung in seiner Stimme: »Aber daß Sie noch von Ihrer Affäre her unter inoffizieller Polizeiaufsicht stehen, Hertz, das wissen Sie doch?«

Hertz machte wieder die merkwürdige Bewegung von neulich abend: er fuhr sich mit dem Handrücken über Kinn und Wange, wie man es nach dem Rasieren zu tun pflegt. Dieses Mal wirkte es wie ein heftiges Zeichen des Überdrusses. Er ließ sich auch mit der Antwort Zeit. Schließlich sagte er unerwartet laut: »Das weiß ich – das weiß ich!« und ließ die flache Hand auf die Schreibmappe fallen.

Hoff und die Hunde erschraken. Die laute Stimme und der Schlag beendeten seine Geduld und den ganzen unerträglichen, verrannten, schiefen Dialog. – Wir kämen ja auch nicht weiter, dachte Hoff, nervös durch das Gefühl, sich verlaufen zu haben. Die Schotten Barry und Bia nahmen es noch ernster. Sie sprangen fast gleichzeitig von ihren Sesseln, gingen einer hinter dem anderen zur Tür, die Vierkantköpfe nahe über dem Boden vor sich herschiebend, auch die Schwänzchen betroffen hängen lassend, und kratzten zaghaft. Hertz stand sofort auf und öffnete ihnen. Hoff war dieses Mal über ihre Trennung von den Menschen nicht unzufrieden; er wollte mit Hertz ganz allein sein: man mußte ja von vorn anfangen. Auch er stand auf.

Hertz blieb vor ihm stehen und sah ihn an, unfreundlich. – Jetzt sagt er mir etwas Böses, dachte Hoff; vielleicht hat er sich nur vor den Tieren geschämt.

Hertz, mit der sparsamen Bewegung seiner Lippen: »Mein Lieber, Sie sind recht sicher für so kurze Zeit. Es sind doch erst vierundzwanzig Stunden her. Sie zeigen sich ja beinahe vergnügt. Sie sind überlegt und überlegen. Sie scheinen die Konflikte vorher erledigt zu haben. Da kann man es sich leicht unbequem machen, schon um nicht aus der Heldenfasson zu kommen.«

Hertz ging an ihm vorbei und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Hoff blieb auf seinem Fleck stehen und wollte sich beruhigen. Nur keine Empörung, nur kein Gezeter über Ungerechtigkeit und Verkennung! Schließlich war er selber zu sich noch gröber gewesen. Und Hertz war viel mehr aus Angst für die eigene Gewissenskonstruktion aufsässig als aus Überzeugung von des anderen Gewissenlosigkeit.

»Ich möchte Sie etwas fragen«, begann Hoff bescheiden und ging an den Schreibtisch heran. »Ich habe jeden politischen Zusammenhang mit der Tat verloren. Wie erklären Sie sich das?«

»Sie werden ihn wohl niemals gehabt haben«, antwortete Hertz sofort.

»Das scheint mir nicht ganz richtig«, wandte Hoff ein; »ich war Organisator und Leiter des Aktionskomitees und arbeitete folglich mit politischen Begriffen und Zuständen. Das ist sogar ganz falsch, mein Lieber«, setzte er lauter hinzu, »denn ich habe die Tat aus politischen Motiven begangen. – Ich bin ja schließlich kein Raubmörder.«

Hertz streifte ihn mit einem Blick: »Sie sprachen neulich vom Gehorsam des Soldaten. Bleiben Sie doch dabei.«

»Ich bin dabei geblieben. Deshalb habe ich die Tat getan. Aber der Gehorsam reichte nur bis zu den Schüssen, genau gesagt, bis ich das Auto in die Garage zurückgebracht hatte. Ich hatte schon vorher nicht erwartet, daß der Gehorsam weiter reichte oder mir gar helfen könnte, mit der Tat fertig zu werden wie mit dem Minister. Das habe ich nie erwartet, David. Aber daß ich auch – bei immer stärkerer Beschäftigung mit der Tat selber, also mit dem Mord, David! ...«

Er sprach nicht weiter und drehte sich um, in plötzlicher Erbitterung über das ewig unberührte Gesicht Hertzens. Er riß die Zeitschriften mit den Ministerbildern aus der Tasche und warf sie auf den Schreibtisch.

Hertz nahm sie und sah sie sich an.

»Auch das mit den Bildern haben Sie von mir«, sagte er dabei.

»Unsinn!« rief Hoff böse, »ich dachte gar nicht daran! Und das ist doch gerade umgekehrt! Wenn Sie jetzt Ihre Frau ansehen, dann wärmen Sie nur Ihre alte Liebe auf! Wenn ich seit zwölf Stunden dieses Gesicht ansehe, dann will ich eine neue Liebe eingehen!«

Er pflanzte sich vor dem Schreibtisch auf, legte seine Hände auf das große Ministerbild und sagte brutal: »Der Mann ist mir schon jetzt viel näher und viel wichtiger als Sie, David – damit Sie es wissen.«

Hertz senkte den Kopf noch etwas mehr und kniff die Augen auf seine kurzsichtige Art zusammen, als sähe er noch nicht genug. »Ich bin ja nicht eifersüchtig«, meinte er leise.

Hoff schüttelte den Kopf. »Sie reizen mich, Hertz. Stecken Sie doch nicht den Kopf in den Sack. Bei uns geht es um die Schuld. Bei uns geht es also um den Kopf.«

Hertz richtete sich langsam auf und wich mit dem Oberkörper zurück, bis er an die hohe Rückenlehne stieß. Er war sehr blaß und hatte winzige Schweißtropfen auf den Nasenflügeln. Er fragte: »Was geht Sie meine Schuld an?« Er öffnete dabei kaum die Lippen; aber er sah nicht hochmütig aus, sondern verzweifelt.

Hoff entgegnete kalt: »Soll ich Sie das gleiche fragen, David, oder soll ich auch ohne Frage fortgehen?«

Hertz sah von ihm fort durch das Fenster. Dann gab er nach. Er suchte nach einem Anschluß, der das Gespräch neutralisieren konnte. Seine Stärke lag im geistigen Abstand von den Dingen. Im Nahkampf war ihm der muskulöse Hoff überlegen; das hatte er jetzt erfahren. »Sie fragten mich vorhin nach dem Grund Ihrer politischen Indolenz«, versuchte er zurückzugreifen.

Aber Hoff wollte nicht mehr kehrtmachen; vielleicht war seine erste Frage auch nur der Schlüssel, um die zugefallene Tür wieder zu öffnen. Jetzt unterbrach er entschlossen: »Bemühen Sie sich nicht, Hertz. Ich weiß inzwischen die Antwort selber. Ich bin kein Gleichgültiger, sondern ein Überläufer. Ich gehöre innerlich schon ganz und gar auf die Seite der Toten.«

War das Hohn oder eine Wahrheit, die erschüttern konnte, oder setzte jetzt die Verwirrung des Geistes ein, die Hertz schon hinter ein paar früheren Worten des anderen zu spüren vermeinte? Er sah Hoff prüfend an; doch der blieb in seinem Schwung: »Jetzt zweifeln Sie an meinem Verstand, David, und einige Male, heute und gestern, fragte ich mich selber: aber der Kopf, aber der Kopf? – Aber der Kopf, mein Lieber, macht schon mit, und wenn auch nur noch so ausgeklügelt lange, wie in anderer Funktion der besagte Soldatengehorsam.«

Hertz trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Jetzt griff er an: »Wie lange? – Los, los, Hoff, wir sind soweit: wie lange macht der Kopf Ihre Sprünge mit und wo werden Sie schließlich hingelangen? – Ich darf die bisherige Summe ziehen: aus dem politischen Mord ist ein gemeiner Mord geworden ...«

»Bravo«, unterbrach Hoff und beugte sich über den Tisch, »Mord ist Mord. Aber diese Formel stammt nicht von mir, sondern von meiner Partnerin Ly, der ich heute nacht den Fall unterbreitete.«

Hertz sprang auf. »Hoff, Sie sind krank!«

Hoff beugte sich, die Lippen wie in körperlichen Schmerzen von den Zähnen ziehend, immer weiter über den Tisch. Dann legte er den Kopf auf die Platte, es schüttelte seine Schultern, und er hatte eine enge Stimme: »Warum denn krank, mein Lieber? – Du weißt doch, das ist eine Heilung – nein, das weißt du nicht: das ist eine Lust, zu gestehen! Ich gestände am liebsten jedem anständigen Menschen! Schade genug, daß ich dir nichts mehr zu gestehen habe!«

Hertz tat etwas Gutes: er strich ihm über das Haar, immer wieder. Hoff ließ es sich gefallen und beruhigte sich dabei. Er richtete sich auf, schüttelte den Kopf, ging vom Schreibtisch fort und ließ sich in seinen Sessel fallen. Er sah sehr müde aus.

Hertz sagte sich, daß der Augenblick günstig sei, um wieder die Führung in die Hand zu bekommen. Er habe ihm vorhin natürlich unrecht getan, begann er behutsam, es sei schon an und für sich eine Anmaßung, das Gleichgewicht eines Menschen zu stören, wie es auch erreicht worden sei.

Hertz schwieg, weil schon sein letzter Satz wieder mißverstanden werden konnte. Hoff ließ auch gar keine Behutsamkeit zu. Er sagte abgespannt: »Ihnen glückt heute keine Sentenz, Hertz. Mit dem hübschen Satz von der Gleichgewichtsstörung drücken Sie ja Ihren ganzen Widerstand gegen mich aus. Aber vielleicht haben Sie es zu sagen beabsichtigt. Bei Ihnen weiß man das nie.«

»Also was wollen Sie jetzt tun?« fragte Hertz kurz und umklammerte einen Brieföffner.

»Ich bin noch nicht so weit, um es eindeutig zu sagen, David.«

»Wollen Sie sich das Leben nehmen?«

Hoff lächelte ein wenig und schüttelte den Kopf.

»Warum lachen Sie?« fragte Hertz und kniff die Augen zusammen.

»Weil Ihnen trotz aller Bewunderung für das Leben der Selbstmord doch näher liegt als die Selbststellung, David.«

Hertz legte den Brieföffner fort und bewegte die Finger, als seien sie eingeschlafen. Er schwieg eine Weile, biß die Zähne zusammen und bekam kantige Backen. Dann fragte er es doch: »Wessen Selbstmord und wessen Selbststellung meinen Sie eigentlich?«

»Wir sprachen von mir«, wich Hoff aus.

»Ja«, sagte Hertz sehr erregt, »aber warum schleppen Sie mich an der Kette hinter sich her?«

»Tu ich das?« fuhr Hoff auf, »fühlen Sie das? – Dann bleiben Sie doch, wo Sie sind und lassen Sie mich allein gehen! Aber Sie hängen sich ja an meine Rockschöße und bremsen!« – Hertz trommelte auf den Tisch. – »Sie bremsen!« rief Hoff lauter, »und dabei bin ich zu Ihnen gekommen – wahrhaftig, beinahe vergnügt und schon gut im Schwung – um angetrieben zu werden und endlich in dieser Geschichte Bescheid zu wissen! Wer hält das denn noch länger aus!«

Er stand schon wieder auf und ging im Zimmer auf und ab.

»Selbstmord ist schon Bequemlichkeit – was?« fragte Hertz rauh.

»Ihre Logik wächst mir aus dem Hals heraus!« schimpfte Hoff. Er kam andern Schreibtisch vorbei. Hertz hielt ihn am Ärmel fest.

»Sie wollen sich stellen?« fragte er und sah ihm ins Gesicht.

»Ich bin noch nicht soweit!« schrie Hoff verzweifelt.

»Sehen Sie«, sagte Hertz und ließ ihn los, »ich auch nicht. – Ehrlich gesagt: ich komme nicht so weit.«


Hoff setzte sich und hielt die Hand vor die Augen. Er wollte David nicht mehr sehen. Er wollte sich, ohne Hoffnung wie nur je, die Existenz dieses Menschen in Frage stellen.

Gibt es überhaupt den David Hertz oder habe ich ihn erfunden, um für die Auseinandersetzungen einen Partner zu haben? Vielleicht gar nur einen guten Geist, der beruhigt? Und gibt es ihn oder gibt es ihn nicht: wir sind dieselben! Wir sind dieselben! Wir haben höchstens umgekehrte Vorzeichen! Wir machen der Bequemlichkeit halber zwei aus einem, um aus unseren Zweifeln und Verzweiflungen einen Dialog machen zu können! Wir sind die Dramatisierung des einen Gewissens! Aber wir sind weder Freunde noch Gegner! Wir können uns im Grunde nichts geben! Es ist eine furchtbare Resultatlosigkeit! Es ist eine höllische Spiegelfechterei! Ich rede immer nur mit mir selber!

Was wird das mit meinem armen Kopf? Was wäre das für ein Schicksal, schuldig zu sein und von der eigenen Schuld abgewiesen zu werden wie von einer geliebten und harten Frau? – Um Gottes willen, was sind das für Vergleiche, Hoff? Du mußt, du mußt dir den Kopf noch heil erhalten!

»Herr Hertz«, fragte er, ohne aufzuschauen, »um Gottes willen sagen Sie mir – gebrauchen Sie ganz klare, ganz einfache Worte: warum interessieren wir uns für uns?«

»Weil wir das gleiche Schicksal haben.«

»Das gibt es nicht, Hertz, das gibt es nicht! Das ist eine Phrase!«

»Weil wir sehr ähnliche Menschen sind.«

»Was soll das heißen!« rief Hoff. »Sind sehr ähnliche Menschen schon gleiche Menschen? Meinen Sie das? Wagen Sie das zu sagen und dabei Ihre Angst vor mir zu haben?«

»Ich habe vor Ihnen keine Angst, Herr Hoff.«

»Sagen Sie mir doch – aber ehrlich, Hertz, aber ehrlich! – warum haben Sie mich vorgestern kommen lassen?«

Hertz schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich wollte mich erleichtern. Und Sie sollten sich beruhigen.«

»Also konnten Sie nicht mehr weiter?«

»Ich konnte nur mit großer Mühe weiter.«

»Und jetzt?« fragte Hoff und sah auf.

Hertz antwortete nicht.

»Und jetzt?« fragte Hoff lauter.

»Wir beide können nicht mehr weiter«, antwortete Hertz.

»Falsch!« rief Hoff. »Sie sind von uns beiden der größere Feigling.«

»Wollen Sie sich stellen?« fragte Hertz und sah aus dem Fenster.

Er ist ja gefährlich, dachte Hoff, ich muß doch an meine Schuld heran – und er macht mich nur flüchtig. Er kennt die faulen Stellen in mir. Ich muß mich von ihm trennen – es hilft nichts.

»Herr Hoff«, fragte Hertz wie zufrieden über das Schweigen des anderen, »können Sie mir eigentlich sagen, welches Resultat Sie von diesem Gespräch erwarteten, als Sie so – so vergnügt herkamen?«

»Natürlich kann ich Ihnen das sagen«, entgegnete Hoff sofort, »ich wundere mich nur, daß Sie es nicht schon selber wissen. Ich kam, um mir völlig klar zu werden, was ich zu tun habe. Ich war schon auf dem richtigen Weg; das heißt: ich erkannte den Umfang meiner Schuld ...«

»Kann man das?« unterbrach Hertz.

»Natürlich kann man das«, gab Hoff sehr erstaunt zurück.

»Sind Sie denn«, fragte Hertz sehr gequält, »sind Sie denn wirklich schuldig?«

Hoff hob sich im Sessel hoch. »Mein Gott, mein Gott«, stöhnte er, »ich rede immer nur mit mir selber ...«

»Nein«, sagte Hertz, »Sie reden schon mit mir. Also weiter: was erwarteten Sie von mir?«

»Ich habe es ja jetzt schon beinahe vergessen«, klagte Hoff erschüttert. »Ich erwartete von Ihrer Klugheit, daß sie mir hülfe und meine Einsicht zur Schuld hin förderte und meinen Mut stärke und mich zum Entschluß brächte und meinen Entschluß lobte ...«

»Den Entschluß, sich zu stellen?« fragte Hertz.

»Ich muß mich von Ihnen trennen«, stöhnte Hoff.

»Den Entschluß, sich zu stellen?« fragte Hertz.

Hoff schrie dreimal: »Ja! Ja! Ja!«

Hertz faßte zusammen: »Sie hofften also, von mir entschlossen wegzugehen, geradenwegs zur Polizei, mit dem Willen, die Verantwortung für die Tat zu ertragen, und mit dem guten Gefühl, auf diese Weise mit sich in Ordnung zu kommen – nicht wahr?«

Hoff sah ihn gehässig an: »Wir können uns nichts geben, Herr Hertz«, sprach er.

»Lieber Hoff«, sagte Hertz und sah zur Decke, als läse er von dort den Text ab, »wenn ich Sie zu einem solchen Entschluß bringen soll, so muß ich ehrlich sein, nicht wahr? Sonst lade ich ja eine neue Schuld auf mich – eine noch größere. Sehen Sie es bitte ein. Ehrlichkeit für Ihren Fall bedeutet die Konsequenz für meinen Fall. Ich kann Ihnen nicht raten, sich zu stellen, und selber ...« Er setzte ab und rief dann mit ganz anderer, mit geschüttelter Stimme: »– – weiterleben!«

Hoff sagte: »Das versteht keiner besser als ich.« Er dachte: vielleicht erreiche ich es mit Härte.

Hertz geriet in eine furchtbar verhaltene Aufregung. Er klammerte sich an die Tischplatte, daß die Handknöchel weiß wurden. Er preßte die Brust an die Tischkante und hielt den Kopf ganz dicht über der Schreibmappe. Eine Ader schwoll ihm über der Nasenwurzel auf der Stirn. Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Er wollte wohl etwas sagen.

Hoff wartete es nicht ab, stand auf und sprach: »Stellen Sie sich doch auch, David.«

Hertz schüttelte den Kopf und pendelte auch mit dem Oberkörper nach rechts und links, als genüge nicht die eine Verneinung. Es wirkte sinnlos und maßlos widerspenstig. Es reizte den andern.

»Warum nicht?« fragte Hoff scharf.

»Warum ja?« flüsterte Hertz.

»Weil Sie Ihre Frau ertränkt haben«, flüsterte Hoff, der jetzt neben ihm stand und Lust hatte, ihn zu schlagen.

»Nur ertrinken lassen ...«, sagte Hertz und war ganz heiser.

»Und der Schlag mit dem Ruder – na?«

Hertz rüttelte an dem schweren Schreibtisch, daß seine Gegenstände wackelten und ein paar Bücher umfielen. Auch das Bild seiner Frau fiel um. Er schrie: »Ich leugne! Ich leugne! Ich leugne!«

»Adieu«, sagte Hoff und ging zur Tür. Hertz sprang auf, lief ihm nach und hielt ihn fest.

»Sie Lügner!« stöhnte David, »Sie Lügner!«

Hoff hob die Hand; aber er konnte ihn doch nicht schlagen.

»Loslassen!« kommandierte er. Hertz umklammerte ihn mit überraschender Kraft.

»Wissen Sie, warum Sie zu mir kommen?« flüsterte Hertz mit seiner verengten Stimme. »Um sich Ihre Schuld von mir ausreden zu lassen ...«

»Loslassen!« keuchte Hoff und wollte ihn abschütteln.

»Sie sind genau so – genau so weit wie ich ...« wimmerte Hertz.

Hoff ließ ihn in Ruhe. »Was meinen Sie damit?« fragte er.

»Sie sind noch nicht so weit – Sie sagten es ja selber. Ich glaube, Sie werden so wenig ans Ziel kommen wie ich. Sie kämen doch nicht zu mir, wenn Sie so ganz anders wären. – Bleiben Sie doch bei der Resultatlosigkeit, Hoff, auch dazu gehört schon sehr viel, glauben Sie mir nur!«

»Nein«, sagte Hoff, »das kann ich nicht.«

Hertz kam mit dem Gesicht sehr nahe; er war gleich groß wie Hoff.

»Warum«, fragte Hertz und kniff die Augen zusammen, »warum haben Sie sich denn den Bart abnehmen lassen, Sie Held?«

Hoff wurde rot vor Wut. »Um anders auszusehen wie Sie! Aus keinem anderen Grund!«

»Gewiß«, sagte Hertz, »um die Tat auf mich abzuladen.«

Hoff stieß ihn vor die Brust, daß Hertz den Halt an ihm verlor und zurücktaumelte.

»Hoff! Hoff!« rief Hertz, »was soll denn jetzt werden!«

»Was aus mir wird, darf Ihnen gleichgültig sein«, sagte Hoff an der Tür, »und umgekehrt.«

»Hören Sie!« bettelte Hertz, »wenn man nicht mehr weiter weiß, macht man besser selber Schluß mit sich ...«

»Ich nicht«, sagte Hoff und ging.


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