Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Erst nach zwei Wochen war Bernerette völlig außer Gefahr. Sie stand wieder auf und nahm etwas Nahrung zu sich; aber ihre Gesundheit hatte einen schweren Stoß erlitten, und der Arzt erklärte, sie würde ihr ganzes Leben lang daran zu leiden haben.

Fritz war kaum von ihrer Seite gewichen. Er wußte noch nicht, welcher Beweggrund sie zu der entsetzlichen That getrieben hatte, und er wunderte sich, daß kein Mensch nach ihr fragte. In den zwei Wochen hatte sich weder jemand von ihrer Familie noch sonst ein Bekannter gezeigt. War es denn möglich, daß sie ihr neuer Liebhaber unter solchen Umständen im Stich ließ? Oder war gerade dessen Treulosigkeit schuld an Bernerettes Verzweiflung? Beide Annahmen erschienen Fritz gleich unglaublich, und seine Freundin hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er von ihr keinen Aufschluß darüber erhalten würde. So, von geheimer Eifersucht gequält, durch Liebe und Mitleid gefesselt, zernagte er sich mit grausamen Zweifeln.

.

Bernerette bewies ihm mitten in ihren Schmerzen die lebhafteste Zärtlichkeit. Dankbar für seine unermüdliche Fürsorge, war sie an seiner Seite heiterer als je, aber es war eine melancholische Heiterkeit, die, sozusagen, durch den Schleier eines schmerzhaften Leidens hindurchschimmerte. Auf jede Weise suchte sie ihn zu zerstreuen und ihn zu bewegen, daß er sie nicht allein ließe. Ging er fort, so mußte er ihr genau angeben, zu welcher Stunde er wiederkäme. Neben ihrem Lager sollte er sein Mittagsmahl halten, und nur, wenn er ihre Hand hielt, wollte sie einschlafen. Um ihn zu unterhalten, erzählte sie tausenderlei Geschichten aus ihrem vergangenen Leben; sobald er aber auf die Gegenwart und ihren verhängnisvollen Schritt zu sprechen kam, verstummte sie. Fritz mochte fragen und bitten, so viel er wollte, sie gab ihm keine Antwort. Bestand er hartnäckig darauf, so versank sie in eine düstere und traurige Stimmung.

Eines Abends lag sie im Bett, man hatte ihr von neuem zu Ader gelassen, und es floß das Blut aus der schlecht geschlossenen Wunde. Lächelnd sah sie eine purpurne Thräne über ihren marmorweißen Arm rollen.

»Liebst Du mich noch?« sprach sie zu Fritz. »Bin ich Dir nicht durch alle diese widerwärtigen Dinge verleidet?«

»Ich liebe Dich,« versetzte er, »und nichts soll uns nun mehr trennen.«

»Ist das wahr?« rief sie, ihn umschlingend. »Täusche mich nicht; sage mir, ob das nicht ein Traum ist.«

»Nein, es ist kein Traum, nein, meine schöne, meine einzige Geliebte; wir wollen in Ruhe zusammen leben, wir wollen glücklich sein!«

»Ach, wir können nicht, wir können nicht!« rief sie ängstlich. Dann fügte sie ganz leise hinzu: »Und wenn wir es nicht können, so muß es noch einmal geschehen!«

Obwohl sie diese letzten Worte nur gemurmelt hatte, waren sie doch Fritz nicht entgangen, und es schauderte ihn. Er wiederholte am nächsten Morgen Gerard gegenüber ihre Äußerung und sagte:

»Mein Entschluß ist gefaßt; ich weiß nicht, was mein Vater dazu sagen wird, aber ich liebe sie, und werde sie nicht sterben lassen.«

Er that wirklich einen gewagten Schritt, aber es war der einzige, den er vor sich sah. Er schrieb an seinen Vater und bekannte ihm die Geschichte seines Liebesverhältnisses. Er erwähnte in seinem Briefe nichts von Bernerettes Untreue; er sprach nur von ihrer Schönheit, ihrer Standhaftigkeit, von der zärtlichen Ausdauer, die sie um seines Wiedersehens willen bewiesen hatte, endlich von ihrem verzweifelten Selbstmordversuch. Fritz' Vater, ein siebzigjähriger Greis, liebte seinen einzigen Sohn mehr als sein eigenes Leben. Er kam in größter Eile nach Paris, begleitet von seiner Schwester, einem alten, sehr frommen Fräulein. Unglücklicherweise besaßen weder der würdige Herr noch die gute Tante die Tugend der Diskretion, so daß sofort alle ihre Bekannten erfuhren, Fritz wäre rasend verliebt in eine Grisette, und sie hätte seinetwegen Gift genommen. Bald hieß es weiter, er wollte sie heiraten; man sprach von Skandal und Schmach für die Familie; Fräulein Darcy, die sich als Verteidigerin des geschmähten Verhältnisses gebärdete, erzählte alles, was sie wußte, in romantischer Ausschmückung. Kurz, statt den Sturm, wie er wollte, zu beschwören, sah Fritz ihn von allen Seiten auf sein Haupt losbrechen.

Er mußte zuerst vor dem versammelten Rate der Familie und der Familienfreunde erscheinen und wurde einer Art Verhör unterworfen, nicht als ob man ihn wie einen Schuldigen behandelt hätte, man bewies ihm im Gegenteil alle mögliche Nachsicht, aber er mußte seine teuersten Herzensgeheimnisse schonungslos preisgegeben und breitgetreten sehen. Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß man zu keiner Entscheidung kam. Herr Hombert wollte Bernerette sehen; er suchte sie auf, sprach lange mit ihr und stellte ihr tausend Fragen, die sie mit solcher Anmut und Einfachheit beantwortete, daß der alte Herr davon gerührt wurde. Auch er hatte in der Jugend Liebschaften gehabt. Diese Unterredung beunruhigte ihn nicht wenig. Er ließ seinen Sohn kommen und erklärte ihm, er hätte sich entschlossen, für Bernerette ein kleines Opfer zu bringen, wenn sie das Versprechen gäbe, nach ihrer Wiederherstellung einen bestimmten Beruf zu ergreifen. Fritz unterbreitete seiner Freundin diesen Vorschlag.

»Und Du,« erwiderte sie, »was wirst Du thun? Denkst Du zu bleiben oder abzureisen?«

.

Er sagte, er würde bleiben, aber das war durchaus nicht die Absicht der Familie. In dieser Beziehung war Herr Hombert unerbittlich. Er stellte seinem Sohn die Gefahr, die Schande, die Unmöglichkeit einer solchen Verbindung vor: er machte ihm in wohlwollenden und maßvollen Ausdrücken bemerklich, daß er um seinen guten Ruf käme, daß er seine Zukunft ruinierte. Nachdem er ihm durch Gründe zugesetzt hatte, griff er zu einem Argument, das den Willen eines Vaters unwiderstehlich macht, er bestürmte ihn mit flehentlichen Bitten. Fritz versprach, was man wollte. Von so viel aufregenden Einwirkungen erschüttert und von so verschiedenen Interessen hin und her gerissen, wußte er nicht mehr, wozu er sich entschließen sollte, und da er auf allen Seiten Unheil drohen sah, so gab er endlich den Kampf auf. Selbst der sonst so entschiedene Gerard fand kein Auskunftsmittel und sagte, man müsse dem Geschicke seinen Lauf lassen.

Zwei unvorhergesehene Ereignisse änderten plötzlich die Sachlage. Fritz saß eines Abends allein in seinem Zimmer; da trat Bernerette herein. Sie war bleich, ihre Haare in Unordnung; ein hitziges Fieber gab ihren Augen einen erschreckenden Glanz; gegen ihre Gewohnheit sprach sie in scharfem, befehlshaberischem Tone. Sie komme, sagte sie, um von Fritz eine Erklärung zu verlangen.

»Willst Du mich töten?« fragte sie. »Liebst Du mich oder liebst Du mich nicht? Bist Du ein Kind? Kannst Du nicht selbständig handeln? Bist Du so thöricht, Deinen Vater um Rat zu fragen, ob Du Deiner Geliebten treu sein sollst? Was wollen diese Menschen? Uns trennen. Wenn Du es ebenfalls willst, so brauchst Du doch ihren Rat nicht, und wenn Du es nicht willst, so hast Du ihn noch weniger nötig. Willst Du fort von Paris? Nimm mich mit! Ich werde niemals einen regelmäßigen Beruf ergreifen; ich kann auch nicht zum Theater zurück. Wie wäre das auch in meinem Zustande möglich? Laß mich nicht so schmerzlich und lange harren; entscheide Dich!«

In diesem Tone sprach sie fast eine Stunde lang und ließ Fritz, wenn er antworten wollte, gar nicht zu Worte kommen. Umsonst versuchte er, sie zu beruhigen. Eine so heftige Aufregung ließ sich durch keine Vernunftgründe bekämpfen. Endlich brach Bernerette in höchster Abspannung in endlose Thränen aus. Der junge Mann schloß sie in seine Arme; er konnte soviel Liebe nicht widerstehen. Er nahm die Geliebte und trug sie auf sein Lager.

»Hier ruhe,« sagte er, »und der Himmel soll mich zerschmettern, wenn ich Dich mir entreißen lasse! Ich will nichts mehr hören und sehen als Dich allein. Du wirfst mir meine Feigheit vor, und Du hast recht; aber Du sollst sehen, ich werde handeln. Wenn mein Vater mich verstößt, wirst Du mir folgen; da Gott mich zur Armut verdammt hat, so werden wir in Armut leben. Ich frage nichts nach meinem Namen, meiner Familie, meiner Zukunft.«

Diese Worte, aus denen die Glut der Überzeugung und Aufrichtigkeit klang, trösteten Bernerette. Sie bat ihren Freund, sie zu Fuß in ihre Wohnung zurückzuführen; trotz ihrer Schwäche wollte sie gern frische Luft schöpfen. Auf dem Wege verabredeten sie den Plan, den sie befolgen wollten. Fritz wollte sich scheinbar dem väterlichen Willen beugen; aber er sollte dem Vater vorstellen, daß die diplomatische Laufbahn für einen wenig Bemittelten nicht ratsam wäre. Er sollte verlangen, daß man ihn seinen praktischen juristischen Kursus vollenden ließe. Herr Hombert, nahm man an, würde unter der Bedingung einwilligen, daß sein Sohn von seiner thörichten Liebe ließe. Bernerette ihrerseits sollte in eine andere Wohnung ziehen, man würde glauben, sie hätte Paris verlassen. Sie sollte ein kleines Zimmer in der Straße La Harpe oder in der Nähe mieten, dort sollte sie so einfach und sparsam leben, daß Fritz' Geld für beide ausreichte. Sobald der Vater nach Besançon abgereist wäre, wollten sie wieder beisammen wohnen. Im übrigen würde Gott weiter helfen. Das war der Plan, auf den die Liebenden verfielen, und von dem sie glaubten, daß er gar nicht fehlschlagen könnte, wie es in solchen Fällen immer geschieht.

Zwei Tage später ging Fritz nach einer schlaflosen Nacht um sechs Uhr des Morgens zur Geliebten. Eine Unterredung mit seinem Vater beunruhigte ihn, man verlangte kategorisch seine Abreise nach Bern; er wollte in Bernerettes Armen seinen schwachen Mut stärken. Aber das Zimmer war verlassen, das Bett leer. Er fragte die Portiersfrau, und ihre Auskunft ließ es zweifellos erscheinen, daß er einen Rivalen habe und der Betrogene sei.

Diesesmal empfand er weniger Schmerz als Entrüstung. Der Verrat war zu stark, als daß nicht die Verachtung hätte die Liebe verdrängen sollen. Als er wieder in seiner Wohnung angelangt war, schrieb er einen langen Brief; in dem er Bernerette mit den bittersten Vorwürfen überhäufte. Aber eben, als er ihn absenden wollte, zerriß er ihn; ein so erbärmliches Geschöpf schien ihm seines Zornes unwürdig. Er beschloß möglichst bald abzureisen; in der Extrapost, die am nächsten Morgen nach Straßburg abgehen sollte, war noch ein Platz frei; er belegte ihn und gab seinem Vater schleunigst Nachricht; die ganze Familie brachte ihm ihre Glückwünsche dar; man fragte ihn auch gar nicht, welchem Zufall seine plötzliche Bekehrung zum Gehorsam zu verdanken wäre. Gerard allein kannte den wahren Zusammenhang. Fräulein Darcy erklärte, es wäre ein Jammer und die Männer hätten alle kein Herz. Fräulein Hombert gab in ihrer Freude ihre Sparpfennige als Zuschuß zu Fritz' nicht eben reichlich bemessenem Reisegelde her. Ein Abschiedsmahl vereinigte noch einmal die ganze Familie, und Fritz trat seine Reise nach der Schweiz an.


 << zurück weiter >>