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V.

Bernerette ging nach dem Frühstück fort, sie wollte nicht, daß er sie nach ihrer Wohnung begleitete. Er legte das Geld, das man ihm geliehen hatte, beiseite, fest entschlossen, seine Schulden abzutragen, aber es hatte mit der Bezahlung keine Eile. Bald darauf nahm er an einem Souper bei Gerard teil, das sich bis zum nächsten Morgen hinzog. Als Fritz aufbrach, hielt ihn Gerard fest.

»Was hast du vor?« sagte er. »Zum Schlafen ist es zu spät. Wollen wir nicht einen kleinen Ausflug machen?«

Die Landpartie wurde arrangiert. Gerard ließ sein Mädchen wecken und ihr sagen, sie solle sich fertig halten.

»Es ist schade,« sagte er zu seinem Freunde, »daß Du nicht auch jemanden mitnehmen kannst, dann hätten wir zwei Paare, und das wäre viel amüsanter.«

»Daran soll's nicht fehlen,« versetzte Fritz mit einigem Selbstgefühl; »wenn Du willst, schreibe ich ein Wort auf ein Stück Papier, das Dein Diener hier in der Nähe abgeben mag. Wenn es auch noch ein wenig früh ist, so wird Bernerette doch, wie ich nicht zweifle, kommen.«

»Ei sieh! Wer ist denn das, Bernerette? Ist das nicht Deine ehemalige Grisette?«

»Ganz gewiß, ihretwegen hast Du mir damals eine Moralpredigt gehalten.«

»Wirklich?« sagte Gerard lachend. »Aber ich habe am Ende recht gehabt,« fügte er hinzu; »denn Du bist ein konservativer Charakter, und diese Dämchen sind nicht ungefährlich.«

Während er noch sprach, trat bereits sein Mädchen herein, auch Bernerette ließ nicht lange auf sich warten, sie erschien in geschmackvoller Kleidung.

Bald stand der bestellte Mietwagen vor der Thür, und trotz der etwas frostigen Witterung fuhr man nach Montmorency. Der Himmel war klar, die Sonne glänzte. Die jungen Männer rauchten; die beiden Damen sangen und hatten bereits nach einer Stunde Freundschaft geschlossen. Als sie ihr Wirtshaus in Montmorency erreicht hatten, stiegen sie zu Pferde und machten einen Spazierritt. Wie sie durch das Gehölz dahin galoppierten, klopfte Fritz das Herz vor Freude; noch nie hatte er sich so wohl gefühlt; Bernerette war neben ihm, und mit Stolz bemerkte er, welchen Eindruck das reizvolle, durch die Bewegung leicht gerötete Gesicht seiner Freundin auf Gerard machte. Nach einem längeren Ritt durch den Wald hielten sie auf einer kleinen Anhöhe, wo ein Häuschen und eine Mühle stand. Die Müllerin gab ihnen eine Flasche Weißwein, und sie ließen sich auf dem Rasen nieder.

»Wir hätten wohlgethan,« sagte Gerard, »auch für etwas Kuchen zu sorgen; ein solcher Ritt regt die Verdauung an, und ich verspüre einigen Appetit; wir hätten vor unserer Rückkehr in das Wirtshaus hier im Grünen ein kleines Mahl gehalten.«

Bernerette zog einen Käsekuchen hervor, den sie vorsorglich unterwegs in Saint-Denis gekauft hatte, und bot ihn Gerard mit solcher Anmut dar, daß er sich nicht enthalten konnte, ihr mit einem Handkuß zu danken.

»Ich dächte,« sagte sie, »wir speisten hier, statt in das Dorf zurückzukehren. Diese gute Frau hat wohl ein Hammelviertel vorrätig, sonst giebt es ja hier genug Hühner, die man uns braten kann. Wollen doch anfragen, ob das nicht geht. Und während unser Mahl bereitet wird, machen wir noch einen Spaziergang in den Wald. Was meinen Sie? Ich denke, das wird die antiken Rebhühner im Weißen Roß aufwiegen.«

Der Vorschlag ward beifällig aufgenommen.

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Die Müllerin machte erst Entschuldigungen, aber, geblendet durch ein Goldstück, das ihr Gerard gab, ging sie sofort ans Werk und opferte ihren Hühnerhof. Es war das denkbar heiterste Diner und zog sich viel mehr in die Länge, als die Teilnehmer gedacht hatten. Bald mußte die Sonne hinter den schönen Hügeln von Saint-Leu verschwinden, dichte Wolken hingen über dem Thal, und es dauerte auch nicht lange, so rauschte ein kräftiger Regen hernieder.

»Was soll aus uns werden?« fragte Gerard. »Wir haben fast zwei Meilen bis Montmorency, und das ist kein Sommerschauer, den man nur abzuwarten braucht; das ist ein echter Herbstregen, der die ganze Nacht andauern kann.«

»Ach, warum?« sagte Bernerette, »ein Herbstregen geht so gut vorüber wie ein anderer. Wir wollen uns mit Kartenspielen die Zeit vertreiben. Wenn der Mond aufgeht, werden wir das schönste Wetter haben.«

Die Müllerin hatte, wie man sich denken kann, keine Karten im Hause. Cäcilie, Gerards Geliebte, fing an zu klagen und zitterte für ihr neues Kleid. Man mußte den Pferden in einem Schuppen ein dürftiges Obdach verschaffen. Zwei ziemlich sauer dreinschauende Burschen traten ins Zimmer, es waren die Söhne der Müllerin; sie forderten ihr Abendessen und zeigten sich wenig erbaut von der Anwesenheit der Fremden. Gerard wurde ungeduldig; Fritz hatte seinen guten Humor verloren. Es giebt nichts Kläglicheres als Menschen, deren laute Fröhlichkeit ein unvorhergesehener Zwischenfall jählings unterbrach. Bernerette war die einzige, die sich nicht stören ließ und ihre erquickende Heiterkeit bewahrte.

»Da wir keine Karten haben, so will ich ein Spiel vorschlagen. Obwohl es schon November ist, so wollen wir zunächst versuchen, eine Fliege aufzustöbern.«

»Eine Fliege?« sagte Gerard. »Was wollen Sie damit machen?«

»Erst suchen, dann werden Sie schon sehen.«

Nach längerem Bemühen war die Fliege glücklich gefunden. Das arme Tier war bereits halb im Winterschlafe. Bernerette faßte sie sanft an und stellte sie mitten auf den Tisch. Dann mußten sich alle setzen.

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»Nun,« sagte sie, »nimmt jeder ein Stück Zucker und legt es vor sich hin auf den Tisch. Jeder wirft ein Geldstück in eine Schüssel, das ist das Spielgeld. Keiner darf ein Wort sprechen oder sich rühren. Warten wir, bis die Fliege munter wird. Jetzt regt sie sich schon. Sie wird sich auf ein Stück Zucker setzen, dann fortkriechen und an ein anderes gehen, vielleicht darauf wieder das erste aufsuchen, wie es ihr eben paßt. Jedesmal, wenn ein Stück Zucker die Fliege angelockt und festgehalten hat, nimmt sich der glückliche Besitzer desselben ein Geldstück aus der Schüssel, bis diese leer ist, worauf das Spiel von neuem beginnt.«

Durch diesen hübschen Einfall stellte Bernerette die frohe Stimmung wieder her. Man folgte ihren Anweisungen, zwei oder drei andere Fliegen stellten sich ein. Während jeder gewissenhaft Stillschweigen beobachtete, folgte er mit den Augen gespannt jeder Bewegung der Fliegen, die über dem Tisch durch die Luft schwirrten. Setzte sich eine auf den Zucker, so entstand ein allgemeines Gelächter. So verfloß eine Stunde, und der Regen hatte aufgehört.

»Mir ist eine verdrießliche Frau unausstehlich,« sagte Gerard auf dem Heimweg zu seinem Freunde. »Sicher ist ein heiterer Sinn ein großes Gut, vielleicht das größte von allen; weil man in seinem Besitz die andern entbehren kann. Dein Mädchen hat es fertig gebracht, uns eine langweilige Stunde zu erheitern, und das allein stellt sie in meinen Augen höher, als wenn sie ein Epos verfaßt hätte. Wird Dein Verhältnis lange dauern?«

»Ich kann's nicht sagen,« erwiderte Fritz und versuchte denselben leichten Ton anzuschlagen wie sein Freund; »wenn sie Dir gefällt, kannst Du ihr den Hof machen.«

»Du bist nicht offen, denn Du liebst sie und sie liebt Dich.«

»Ja, zum Zeitvertreib.«

»Nimm Dich in acht vor solchem Zeitvertreib.«

»So folgen Sie uns doch, meine Herren,« rief Bernerette, die mit Cäcilie voranritt. Sie gelangten auf ein Plateau, und die Kavalkade machte Halt. Der Mond ging auf, nur langsam rang er sich von den dunklen Massen los. Wie er höher stieg, schien er die Wolken vor sich her zu scheuchen. Unterhalb des Plateaus breitete sich eine Niederung aus, in der ein leiser Wind heimlich über ein Meer von düsterem Grün hinstrich. Der Blick vermochte nichts Genaues zu unterscheiden, und sechs Meilen von Paris hätte man glauben können, man befinde sich vor einer Thalschlucht des Schwarzwaldes.

Auf einmal erhob sich das glänzende Gestirn über den Horizont; ein unendlicher Strahl von Licht glitt über die Wipfel der Bäume, und wohin er drang, beherrschte er den Raum im Nu. Der Hochwald, die Kastanienhölzer, die Lichtungen, die Pfade, die Hügel, alles trat wie durch einen Zauberschlag hervor. Die vier Reiter blickten sich an, freudig erstaunt, daß sie sich sehen konnten.

»Bernerette,« rief Fritz aus, »nun ein Lied!«

»Ein trauriges oder fröhliches?« fragte sie.

»Wie Du willst. Ein Jagdlied! Vielleicht antwortet das Echo.«

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Bernerette schlug den Schleier zurück und intonierte eine Fanfare. Aber auf einmal hielt sie inne. Der strahlende Abendstern, der über den Bergen schimmerte, hatte ihre Augen getroffen, und als ob sie einer zärtlicheren Eingebung folgen müßte, sang sie nach einer deutschen Melodie folgende Verse, zu denen sich Fritz durch eine Stelle im Ossian hatte begeistern lassen:

Du bleicher Abendstern, Gruß einer fernen Welt,
Des Stirn voll Glanz sich hebt aus abendlichen Schatten,
Dort vom azurnen Schloß am hehren Himmelszelt,
Was sucht dein flimmernd Blick auf unsern Matten?

Des Sturmes Stimme schweigt, die Winde wehen leise;
Der Wald, der seufzend steht, trägt noch der Thränen Spur;
Der bunte Falter schwebt in seiner stillen Weise,
Dem Traumbild gleich, durch die balsam'sche Flur.

Was sucht dein irrend Aug' bei uns, die Nacht umhüllt?
Doch ach, schon neigst du dich den Bergen zu, den dunkeln,
Und fliehest lächelnd; du, der uns mit Sehnsucht füllt,
Entziehst uns neidisch deines Blickes Funkeln.

Der du zum Hügel dort herniedersteigst, o Stern,
Du Silberzähre hell am Trauerkleid der Nacht,
Du, des willkommnem Wink die Hirten folgen gern,
– es wandeln nach die müden Herden sacht –

Wohin gehst du, o Stern, in unermessner Runde?
Suchst du am Ufer dir ein Bett von weichem Moos?
Gehst, Schöner, du davon jetzt in des Schweigens Stunde
Und sinkst als Perle in des Wassers Schoß?

Ach, wenn du sterben mußt, lieblicher Abendstern,
Ist für dein goldnes Haupt des Meeres Schoß das Grab,
So weile, weile noch, bleib noch dem Meere fern,
Steig, Liebesstern, vom Himmel nicht herab!

Während Bernerette sang, trafen die Mondstrahlen ihr Antlitz und verliehen ihm einen reizvollen bleichen Schimmer. Cäcilie und Gerard sagten ihr Schmeichelhaftes über die Frische und Reinheit ihrer Stimme, und Fritz umarmte sie zärtlich.

Als man das Wirtshaus erreicht hatte, ließ man sich zum Souper nieder. Beim letzten Gange wurde Gerard, dessen Kopf von dem Genusse einer Flasche Madeira etwas erhitzt war, so galant, daß Cäcilie mit ihm Streit anfing. Sie zankten sich ziemlich erregt, und als Cäcilie von Tisch aufstand, folgte ihr Gerard höchlichst mißgestimmt. Als sie fort waren, fragte Fritz seine Geliebte, ob sie den wahren Grund des Zankes kenne.

»Ja,« erwiderte sie, »in dergleichen liegt keine tiefe Poesie, und das Verständnis ist wahrlich nicht schwer.«

»Nun, was meinst Du? Der junge Mann hat an Dir Geschmack gefunden, sein Mädchen gefällt ihm nicht mehr, und ich glaube, Du brauchtest nur ein Wort zu sprechen, und er gäbe ihr den Abschied.«

»Was geht uns das an! Bist Du eifersüchtig?

»Ganz im Gegenteil, und Du weißt recht gut, daß ich gar kein Recht dazu hätte.«

»Was willst Du damit sagen?«

»Mein liebes Kind, ich will sagen, daß mir weder meine Mittel noch mein Beruf erlauben, Dein Liebhaber zu sein. Darüber habe ich Dich nie im Zweifel gelassen. Wollte ich Dir gegenüber den großen Herrn spielen, so würde ich mich ruinieren, ohne Dich glücklich zu machen. Was ich von Hause erhalte, genügt mir selbst kaum, auch muß ich in kurzer Zeit nach Besançon zurückkehren: Du siehst, ich spreche mich in dieser Beziehung ganz offen aus, wenn es auch nur mit Widerstreben geschieht, aber über anderes kann ich mich nicht so unverhüllt äußern, Du mußt selbst überlegen und an die Zukunft denken.«

»Das heißt, Du giebst mir den Rat, Deinem Freunde den Hof zu machen.«

»Nein, er macht Dir den Hof. Gerard ist reich, und ich bin es nicht; er lebt in Paris, wo man allein ein wirklich vergnügtes Leben führen kann, und mir blüht das Los, mich als Anwalt in einer Provinzialstadt niederzulassen. Du gefällst ihm sehr und Du kannst dabei Dein Glück machen.«

Trotz seiner anscheinenden Ruhe konnte Fritz doch seine innere Erregung nicht ganz verbergen. Bernerette schwieg und stützte sich auf das Fensterbrett; sie weinte und suchte ihre Thränen zu verbergen. Fritz bemerkte es und näherte sich ihr.

»Laß mich,« sagte sie. »Du hältst mich nicht für wert, meinetwegen Eifersucht zu empfinden, ich begreife es wohl und ich leide, ohne mich zu beklagen, aber Du sprichst zu hart, Du behandelst mich plötzlich wie ein Kind und nimmst mir ohne Grund jeden Trost.«

Man hatte beschlossen, die Nacht im Wirtshaus zuzubringen und am nächsten Tage nach Paris zurückzukehren. Bernerette löste das Taschentuch, das sich Fritz um den Hals geknüpft hatte, und während sie sich noch die Thränen trocknete, schlang sie es um des Geliebten Kopf. Dann lehnte sie sich gegen seine Schulter und zog ihn sanft zum Alkoven hin.

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»Du Böser,« sagte sie, »wie fange ich es denn an, daß Du mich liebst?«

Fritz drückte sie in seine Arme. Er dachte daran, welchen Gefahren er sich aussetzte, wenn er einer zärtlichen Regung nachgäbe; je mehr er sich gedrungen fühlte, der Versuchung zu erliegen, um so größer wurde sein Mißtrauen gegen sich selbst. Er wollte schon aussprechen, daß er sie liebe, doch das gefährliche Wort erstarb ihm auf den Lippen; aber Bernerette empfand es in ihrem Herzen, und beide schliefen ganz zufrieden ein, das eine, weil es das Wort nicht ausgesprochen, das andere, weil es das unausgesprochene verstanden hatte.

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