Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Die Nachricht von diesem Selbstmorde machte auf Fritz einen tiefen Eindruck. Wenn er auch mit dem jungen Manne nicht bekannt war und niemals ein Wort mit ihm gewechselt hatte, so kannte er doch seinen Namen, der einer angesehenen Familie angehörte. Er sah die Eltern und die Brüder in Trauer anlangen, er erfuhr von jeder traurigen Maßregel, die man zur Entdeckung des Toten ergreifen mußte. Gerichtssiegel wurden angelegt. Bald darauf brachte man die Möbel fort. Das Fenster, an dem Bernerette so oft gesessen hatte, blieb offen, und man konnte die kahlen Wände des ausgeräumten Zimmers sehen.

Gewissensbisse empfindet man nur, wenn man sich schuldig fühlt, und Fritz hatte sich keinen ernstlichen Vorwurf zu machen, da er niemanden getäuscht und nicht einmal klar gesehen hatte, wie eigentlich das Verhältnis der Grisette zu ihrem Liebhaber war. Dennoch schauderte er bei dem Gedanken, die unfreiwillige Ursache eines so grausen Verhängnisses zu sein. Warum hat er mich nicht aufgesucht? sagte er zu sich. Warum hat er nicht die Waffe gegen mich gekehrt, statt sie so selbstmörderisch zu gebrauchen? Ich weiß nicht, was ich gethan hätte oder was die Folge davon gewesen wäre, aber mein Herz sagt mir, daß keinesfalls ein solches Unglück eingetreten wäre. Warum hab' ich es nicht erfahren, wie heiß seine Liebe war? Warum war ich nicht Zeuge seines Schmerzes? Wer weiß? Vielleicht wäre ich abgereist, vielleicht hätte ich ihn durch offene und freundschaftliche Worte überzeugt, geheilt, zur Vernunft gebracht. Auf alle Fälle wäre er noch am Leben, und mir wäre es lieber, er hätte mir den Arm zerschmettert, als daß ich denken soll, er hat sich vielleicht mit meinem Namen auf den Lippen den Tod gegeben.

Während er noch solchen quälenden Gedanken nachhing, kam ein Brief von Bernerette, in dem sie mitteilte, sie wäre krank und läge im Bett. Bei jener letzten Scene hatte sich Herr von N. an ihr vergriffen, und sie hatte einen gefährlichen Sturz gethan. Fritz machte sich auf, sie zu besuchen, aber schließlich fehlte ihm der Mut dazu. Es schien ihm, als beginge er einen Mord, wenn sie noch ferner seine Geliebte bliebe. Er beschloß Paris zu verlassen. Nach Regelung seiner Angelegenheiten schickte er dem armen Mädchen, was ihm noch zur Verfügung stand, versprach, sie nicht im Stich zu lassen, wenn sie in Not geriete, und kehrte darauf nach Besançon zurück.

Seine dortige Ankunft war für seine Angehörigen, wie man sich denken kann, ein Festtag. Man beglückwünschte ihn zu seinem neuen Titel und überhäufte ihn mit Fragen über seinen Pariser Aufenthalt. Sein Vater machte mit ihm bei allen Notabilitäten des Ortes Staat. Bald erfuhr er auch von einem in seiner Abwesenheit gefaßten Plan. Es handelte sich um ein Heiratsprojekt für ihn selbst, und zwar schlug man ihm die Hand eines jungen und hübschen Mädchens mit anständigem Vermögen vor. Er sagte nicht Nein und nicht Ja dazu; eine unsägliche Traurigkeit erfüllte seine Seele. Er ließ sich führen, wohin man wollte, antwortete auf alle Fragen, so gut es ging, und versuchte sogar, der ihm Zugedachten den Hof zu machen; aber alles ließ ihn kalt, und er entledigte sich dieser Aufgaben fast unbewußt, nicht als ob ihm Bernerette so wert gewesen wäre, daß er um ihretwillen hätte eine vorteilhafte Heirat ausschlagen wollen; aber die letzten Begebenheiten hatten zu stark auf ihn gewirkt, als daß er so schnell mit ihnen fertig geworden wäre. In einem Herzen, das ganz erfüllt ist von beunruhigenden, traurigen Erinnerungen, hat die Hoffnung keinen Raum; diese beiden Gefühle schließen einander streng genommen aus; erst wenn die Lebhaftigkeit der Empfindung nachläßt, können sie neben einander bestehen, verschmelzen gegenseitig und wechseln miteinander ab.

Die betreffende junge Dame zeigte einen sehr melancholischen Charakter. Sie schien weder besondere Sympathie noch Abneigung gegen Fritz zu empfinden; wie er, war auch sie nur ein gehorsames Opfer der elterlichen Pläne. Da man ihnen reichlich Gelegenheit zu zwangloser Unterhaltung verschaffte, so konnte ihnen beiden ihr wahrer Herzenszustand nicht verborgen bleiben. Sie fühlten, daß sich die Liebe nicht einstellte, wohl aber eine freundschaftliche Zuneigung ungezwungen an deren Stelle trat. Eines Tages, als die beiden Familien einen gemeinschaftlichen Ausflug unternommen hatten, bot Fritz auf dem Heimweg seiner Zukünftigen den Arm. Sie fragte ihn, ob er nicht sein Herz in Paris gelassen hätte, und er erzählte ihr die Geschichte seiner Liebe. Diese schien ihr anfangs nicht übel zu gefallen, und es handelte sich nach ihrer Meinung hierbei nur um eine Liebelei. Auch Fritz sprach nur davon wie von einer Jugendthorheit ohne weitere Bedeutung. Aber das Ende der Geschichte stimmte Fräulein Darcy, so hieß die junge Dame, sehr ernst. »Großer Gott,« rief sie, »das ist doch gräßlich. Ich begreife, was Sie da empfunden haben, ich achte Sie darum um so höher. Aber Sie trifft keine Schuld, die Zeit wird Ihren Schmerz lindern. Ihre Eltern sind ohne Zweifel ebenso wie die meinigen auf den Abschluß der Heirat versessen, die sie sich in den Kopf gesetzt haben. Verlassen Sie sich auf mich, ich werde Ihnen möglichst alle Unannehmlichkeiten und in jedem Fall die Mühe, sich eine abschlägige Antwort zu holen, ersparen.«

.

Hierauf trennten sie sich. Fritz vermutete, daß ihm auch Fräulein Darcy ihrerseits etwas anzuvertrauen hätte. Und darin täuschte er sich nicht. Sie liebte einen jungen unbemittelten Offizier, der um ihre Hand angehalten und von ihrer Familie eine entschiedene Zurückweisung erfahren hatte. Sie machte ihrem Herzen ebenso freimütig Luft, wie er es gethan hatte, und Fritz versicherte ihr feierlich, sie sollte es nicht zu bereuen haben. Stillschweigend faßten sie den Entschluß, dem Willen ihrer Eltern gemeinsam Widerstand zu leisten, während sie sich scheinbar ihrem Wunsche fügten. Beständig sah man sie bei einander, sei es, daß sie auf dem Ball zusammen tanzten, oder sich im Salon unterhielten, oder sich beim Spaziergang von den andern trennten. Aber wenn sie so den ganzen Tag die Rolle von zwei Liebenden gespielt hatten, so gaben sie sich beim Scheiden die Hand mit der Versicherung, sie würden einander niemals als Ehegatten angehören.

Derartige Situationen sind sehr gefährlich. Sie haben einen bestrickenden Reiz, dem sich das Herz vertrauensvoll und ahnungslos hingiebt; aber die Liebe ist eine eifersüchtige Gottheit, die es nicht dulden mag, daß man sie nicht mehr fürchtet, und so kommt es wohl, daß man manchmal nur darum liebt, weil man versprochen hat nicht zu lieben. Nach Verlauf einiger Zeit hatte Fritz seine frühere heitere Stimmung wiedergefunden. Er sagte sich, nach allem treffe ihn keine Schuld, wenn ein so oberflächliches Liebesverhältnis eine so verhängnisvolle Entwickelung gefunden hätte, jeder andere in seiner Lage würde ebenso gehandelt haben und schließlich müsse man sich das Unabänderliche aus dem Sinne schlagen. Es wurde ihm eine angenehme Gewohnheit, mit Fräulein Darcy täglich zusammen zu sein; sie erschien ihm auch schöner als beim ersten Anblick. Er änderte sein Verhalten ihr gegenüber nicht, aber allmählich erhielten seine Worte und seine Freundschaftsbeteuerungen eine Wärme, die man nicht mißverstehen konnte. Auch sein Gegenpart verstand sie recht wohl; mit weiblichem Instinkt bemerkte sie sofort, was in seinem Herzen vor sich ging. Sie fühlte sich dadurch geschmeichelt und fast gerührt, aber, mochte sie nun wirklich beständiger sein als er, oder war sie zu stolz, ihr einmal gegebenes Wort zurückzunehmen, jedenfalls nahm sie sich vor, einen gänzlichen Bruch herbeizuführen und ihm jede Hoffnung zu benehmen. Zu dem Zwecke mußte sie eine offenere Erklärung seinerseits abwarten, und diese Gelegenheit fand sich bald.

Als Fritz eines Abends in besonders aufgeräumter Stimmung war, zog sich Fräulein Darcy, als man am Theetisch saß, in ein abseits gelegenes Zimmer zurück. Ein gewisser romantischer Zauber, der den Frauen oft eigen ist, verlieh an dem Tage ihrem Aussehen und ihren Worten einen eigentümlichen Reiz. Sie fühlte selbst, ohne sich weiter darüber Rechenschaft zu geben, die Fähigkeit in sich, einen gewaltigen Eindruck hervorzubringen, und sie konnte der Versuchung, diese Macht auszuüben, nicht widerstehen, und sollte sie auch selbst darunter leiden müssen. Fritz hatte natürlich ihre Entfernung bemerkt; er folgte ihr, trat auf sie zu und sagte nach einigen Bemerkungen über den Ausdruck von Traurigkeit, den er an ihr bemerkte:

.

»Aber haben Sie, mein Fräulein, schon daran gedacht, daß der Tag heranrückt, an dem wir uns positiv erklären müssen? Haben Sie irgend ein Mittel ausfindig gemacht, wie wir dieser Notwendigkeit entgehen? Darüber wollte ich mir Ihren Rat erbitten. Mein Vater plagt mich unaufhörlich mit Fragen, und ich weiß nicht mehr, was ich ihm antworten soll. Was kann ich denn gegen diese Verbindung einwenden und wie soll ich ihm denn sagen, daß ich Sie nicht mag? Wollte ich vorgeben, es fehlte Ihnen an Schönheit, Vernunft und Geist, so würde mir das kein Mensch glauben. Ich müßte also sagen, daß ich eine andere liebte, aber je länger, je mehr wird das eine Lüge sein. Und wie kann das auch anders sein? Kann ich Sie ungestraft beständig vor Augen haben? Muß nicht das Bild einer Abwesenden Ihnen gegenüber verblassen? Sagen Sie mir also, was ich antworten soll und was Sie selbst denken. Sind Ihre Absichten noch dieselben? Wollen Sie Ihre Jugend sich in der Einsamkeit verzehren lassen? Wollen Sie nur der Erinnerung leben und wird Ihnen diese Erinnerung Genüge leisten? Urteile ich nach mir, so kann ich das, muß ich gestehen, nicht glauben; denn ich fühle, es ist nur eine Selbsttäuschung, wenn man dem Zuge des Herzens und unserer gemeinsamen Bestimmung, die uns zu vergessen und zu lieben gebeut, widerstrebt. Ich werde unserer Verabredung treu bleiben, wenn Sie es so haben wollen, aber ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß das für mich eine grausame Entscheidung wäre. So sehen Sie, daß unsere Zukunft nun von Ihnen allein abhängt, und was sagen Sie mir?«

»Ihre Worte überraschen mich nicht,« versetzte Fräulein Darcy; »so sprechen alle Männer. Für sie ist der Augenblick alles, und sie würden um eines Komplimentes Willen ihr ganzes Leben opfern. Auch an uns Frauen treten ähnliche Versuchungen heran, aber der Unterschied ist der, daß wir sie siegreich bestehen. Es war unrecht, daß ich Ihnen Vertrauen schenkte, und ich darf mich nun über die mir schmerzliche Folge nicht beklagen. Wenn Sie aber meine Abweisung verletzen und mir Ihren Groll zuziehen sollte, so nehmen Sie von mir wenigstens eine Lehre mit, deren Wahrheit Sie später empfinden werden: Man liebt im Leben nur einmal, wenn man überhaupt der Liebe fähig ist. Die Unbeständigen kennen die Liebe gar nicht, sie spielen mit dem Herzen. Man sagt wohl, zur Ehe genüge ein gegenseitiges Gefühl der Freundschaft; das mag in manchen Fällen zutreffen; wie wäre das aber bei uns möglich, da Sie doch wissen, daß meine Liebe einem andern gehört? Denke ich mir, Sie mißbrauchen heute mein Vertrauen, um mich zur Einwilligung in eine Verbindung mit Ihnen zu bewegen, wie werden Sie erst das Geheimnis ausnützen, wenn ich Ihre Frau bin? Wird nicht das schon unser beiderseitiges Glück unmöglich machen? Ich will annehmen, daß Ihre Pariser Liebschaften nur Jugendthorheiten sind. Aber meinen Sie, daß sie mir eine gute Meinung von Ihrem Herzen gegeben haben, und daß es mir nichts ausmacht, Sie als einen so frivolen Menschen kennen gelernt zu haben? Glauben Sie mir, Fritz,« fügte sie hinzu und ergriff seine Hand, »glauben Sie mir, Sie werden eines Tages lieben, und wenn Sie dann meiner gedenken, werden Sie vielleicht Achtung für die empfinden, die so offen und rückhaltslos zu Ihnen gesprochen hat. Dann werden Sie wissen, was Liebe ist.«

Mit diesen Worten erhob sich Fräulein Darcy und verließ das Zimmer. Sie hatte Fritz' steigende Unruhe wohl bemerkt. Der arme Bursche fühlte sich unsäglich traurig; bei seiner Unerfahrenheit hatte er keine Ahnung davon, daß in einer so unzweideutigen Erklärung Koketterie stecken könne. Er wußte noch nicht, von wie sonderbaren Motiven sich manchmal die Frauen in ihren Handlungen leiten lassen, und daß ein Mädchen, dem es mit der Abweisung Ernst ist, sich damit begnügt, nein zu sagen, während die, welche sich auf eine lange Auseinandersetzung einläßt, überzeugt werden will.

Jedenfalls hatte die Unterredung alles andere als den von Fräulein Darcy im Grunde gewünschten Erfolg. Statt daß er sie zu überzeugen versucht hätte, vermied er an den folgenden Tagen geflissentlich jedes Alleinsein mit ihr, und da sie zu stolz war, um selbst wieder einzulenken, so ließ sie ihn sich stillschweigend entfernen. Er suchte eine Unterredung mit seinem Vater und machte ihn darauf aufmerksam, daß er nun die nötigen Vorbereitungen zur Ausübung der Anwaltspraxis treffen müsse. In Betreff der Heirat that Fräulein Darcy den ersten Schritt. Sie wagte zwar aus Rücksicht auf ihre Familie nicht auf einmal ganz abzubrechen, aber sie verlangte Bedenkzeit und setzte es durch, daß man versprach, die Sache ein Jahr ruhen zu lassen. Fritz entschloß sich nach Paris zurückzukehren; sein Monatswechsel wurde etwas erhöht, und er verließ Besançon in noch gedrückterer Stimmung, als da er angekommen war. Die Erinnerung an die letzte Aussprache mit Fräulein Darcy verfolgte ihn wie eine Todesahnung, und während ihn die Postkutsche weithin durch Frankreichs gesegnete Fluren der Hauptstadt zuführte, murmelte er öfters leise vor sich hin: »Dann werden Sie wissen, was Liebe ist.«

.


 << zurück weiter >>