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IV.

Diesmal mietete er sich nicht im » quartier latin« ein: er hatte im Justizpalast zu thun und wählte sich in dessen Nähe ein Zimmer, nicht weit vom »Blumenmarkt«. Bald nach seiner Ankunft erhielt er einen Besuch von seinem Freunde Gerard. Dieser hatte in Fritz' Abwesenheit eine bedeutende Erbschaft gemacht. Durch den Tod eines alten Onkels war er reich geworden. Er wohnte in einer feinen Straße, hielt sich Wagen und Pferde, und auch an einer hübschen Mätresse fehlte es nicht. Seine Wohnung war der Sammelplatz vieler jungen Leute, man spielte da den ganzen Tag und manchmal auch die ganze Nacht. Er war auf den Bällen, in den Theatern, auf den Promenaden zu finden, kurz aus dem bescheidenen Studenten war ein junger Herr » à la mode« geworden.

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Ohne seine Studien dabei im Stich zu lassen, ward Fritz doch auch von dem Wirbel berührt, der seinen Freund umgab. Er lernte dort bald auf seine früheren Vergnügungen in der » Chaumière« überlegen herabzusehen. Diesem Studentenlokal blieb die »Goldjugend«, die » jeunesse dorée«, fern. Freilich findet sich diese oft in weit fragwürdigerer Gesellschaft, aber das thut nichts, die Mode regiert, und es ist feiner, sich mit der Kanaille bei Musard zu unterhalten als mit anständigen Leuten auf dem Neuen Boulevard. Gerard fehlte etwas am Vergnügen, wenn Fritz nicht dabei war. Dieser sträubte sich nach Kräften, aber schließlich ließ er sich doch mitnehmen. So lernte er eine ihm bis dahin unbekannte Welt kennen. Er kam mit Schauspielerinnen, mit Balletttänzerinnen in Berührung, und die Nähe dieser Gottheiten übt auf einen Provinzialen einen bedeutenden Einfluß aus. Er hatte mit Spielern zu thun und mit Leuten, die lachend von ihrem letzten Spielverlust von 200 Louisdor sprachen. Es kam vor, daß er mit ihnen die Nacht verbrachte, und hatten sie zwölf Stunden getrunken und Karten gespielt, so hörte er, wie sie sich fragten, welchen Zeitvertreib man sich am kommenden Tage schaffen könnte. Er nahm an Mahlzeiten teil, bei denen jeder ein ihm zugehöriges weibliches Wesen neben sich hatte, zu dem er kein Wort sprach und das er nach der Tafel mit sich nahm wie seinen Spazierstock oder seinen Hut. Kurz, er machte alle Liederlichkeiten, alle Ausgelassenheiten dieses leichten am Abgrunde des Elends sorglos hingleitenden Lebens mit, das nur einige Auserwählte führen können, die, wie es scheint, nur durch ihre Genüsse Glieder der menschlichen Gesellschaft sind.

Fritz fühlte sich in dieser Gesellschaft wohl, weil sie ihn ganz von seiner traurigen Stimmung und von jeder unbequemen Erinnerung befreite, und in der That paßt ein grübelnder Sinn nicht in solche Luft; entweder muß man sich da amüsieren oder das Feld räumen. Aber Fritz schädigte sich zu gleicher Zeit, indem er aufhörte, über sich nachzudenken, und seine soliden Lebensgewohnheiten, die beste Schutzwehr, preisgab. Er besaß nicht die Mittel, um fortgesetzt spielen zu können, und doch spielte er; zu seinem Unglück gewann er anfänglich, so daß er der Versuchung nun um so leichter nachgeben konnte. Seine Anzüge hatte ihm bisher ein alter Schneider in Besançon, der seit einer Reihe von Jahren für die Familie arbeitete, angefertigt; er dankte ihn ab und nahm sich einen feinen Pariser Schneider. Bald hatte er keine Zeit mehr, zum Justizpalast zu gehen, und wie konnte das auch anders sein im Umgang mit Leuten, die bei ihrem mit Tand gefüllten Nichtsthun nicht einmal die Zeit finden, ein Journal zu lesen? So bereitete er sich denn zur praktischen Anwaltskarriere auf dem Boulevard vor. Er dinierte im Café, promenierte im Park, hatte noble Manieren und Gold in der Tasche, es fehlte ihm zum vollendeten Dandy nur noch ein Pferd und ein Mädchen.

Das will in der That viel sagen. In früherer Zeit war ein Mann nur dann ein Mann und führte ein wahres Leben, wenn er dreierlei besaß: Ein Pferd, ein Weib, einen Degen. Unser prosaisches und kleinliches Zeitalter hat von diesen drei Schätzen zuerst den edelsten, zuverlässigsten und für den mutigen Mann unentbehrlichsten geraubt. Niemand trägt mehr einen Degen an der Seite, aber, ach, nur wenige haben ein Pferd, und es giebt sogar Leute, die es fertig bringen, ohne Mädchen zu leben.

Als Fritz eines Tages dringende Schulden zu bezahlen hatte und endlich nach verschiedenen vergeblichen Schritten bei seinen neuen Genossen von einem Bankier, der seinen Vater kannte, dreitausend Franken erhalten hatte, ging er doppelt heiter gestimmt, weil er die Summe in der Tasche und die unangenehme Aufregung hinter sich hatte, erst noch ein wenig auf dem Boulevard spazieren, ehe er in seine Wohnung zurückkehrte. Als er an die Ecke der Friedensstraße kam, bemerkte er am Arm eines jungen Mannes eine Frau, die ihm freundlich zulächelte, es war Bernerette. Er blieb stehen und folgte ihr mit den Augen. Auch sie wandte mehrmals den Kopf nach ihm um. Er schlug nun eine neue Richtung ein, ohne recht zu wissen warum, und befand sich bald vor dem Café de Paris. Dort hielt er sich eine Stunde auf und wollte eben zum Diner die Treppe hinaufsteigen, als Bernerette wieder vorüberging. Er redete sie an und lud sie ein, mit ihm zu speisen. Sie nahm die Einladung an und ergriff seinen Arm, bat ihn aber, sie in ein weniger auffälliges Speisehaus zu führen.

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»Schnell eine Droschke,« rief sie heiter, »ich speise nicht gern auf der Straße.«

Sie stiegen ein, und wie ehemals hatten sie sich tausend Küsse gegeben, ehe sie Zeit fanden, sich nach ihren Erlebnissen zu fragen.

Beide waren froh erregt und von den traurigen Ereignissen war keine Rede. Doch beklagte sich Bernerette darüber, daß er sie nicht aufgesucht hätte. Er sagte darauf nur, sie müßte doch wissen warum, und sie las sofort in den Augen des Geliebten, daß es nicht geraten sei, über diesen Punkt weiter mit ihm zu sprechen. Wie bei ihrer ersten Begegnung saßen sie bald am behaglichen Feuer und überließen sich ungestört dem Genuß des unverhofften Wiedersehens. Ihre Fröhlichkeit erhöhte sich noch unter dem Einfluß des Champagners, dieses anregenden, poesievollen Getränkes, von dem die Gourmands nichts mehr wissen wollen. Nachher besuchten sie das Theater. Um elf Uhr fragte er sie, wohin er sie geleiten sollte. Halb verschämt, halb ängstlich schwieg sie erst ein Weilchen, dann aber schlang sie die Arme um seinen Hals und flüsterte ihm zaghaft ins Ohr:

»Zu Dir!«

Er zeigte sich erstaunt darüber, daß sie so frei über sich verfügen könnte.

»Und wenn ich es nicht könnte, würdest Du an meiner Liebe zweifeln? Aber ich kann es,« setzte sie sofort hinzu, als sie Fritz zögern sah. »Mein Begleiter von vorhin hat Dir vielleicht Bedenken erregt; hast Du Dir ihn angesehen?«

»Nein, ich habe nur Augen für Dich gehabt.«

»Er ist ein prächtiger Mensch, er hat ein Modewarengeschäft und ist ziemlich reich; er will mich heiraten.«

»Dich heiraten, sagst Du! Ist das Ernst?«

»Sehr ernst, ich habe ihn nicht getäuscht, er kennt meine ganze Lebensgeschichte, aber er ist in mich verliebt. Er kennt meine Mutter und hat vor einem Monat um mich angehalten. Sie hat mich schlagen wollen, als sie hörte, ich hätte ihm alles erzählt. Ich soll seine Kasse führen; das wäre kein übler Posten, da er jährlich 15 000 Franken verdient; unglücklicherweise geht es aber nicht.«

»Warum? Liegt ein Hindernis vor?«

»Ich werde Dir's sagen, doch wollen wir zunächst in deine Wohnung.«

»Nein, sprich Dich erst offen aus!«

»Du wirst mich auslachen. Ich empfinde Achtung und Freundschaft für ihn; er ist der beste Mensch von der Welt, aber er ist zu dick.«

»Zu dick? Welcher Unsinn!«

»Du hast ihn nicht gesehen, er ist dick und klein, und Du bist so schön gewachsen.«

»Und wie ist sein Gesicht?«

»Nicht so übel, er sieht gutmütig aus und ist es auch. Ich fühle mehr Erkenntlichkeit gegen ihn, als ich sagen kann, und hätte ich es gewollt, so hätte er mir, auch ohne mich zu heiraten, viele Wohlthaten erwiesen. Um keinen Preis möchte ich ihm Kummer verursachen, und könnte ich ihm einen Dienst erweisen, so thäte ich's von Herzen gern.«

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»Aber so heirate ihn doch, wenn es so steht.«

»Er ist zu dick; es geht nicht. Nun laß uns in deine Wohnung gehen und dort weiter schwatzen.«

Fritz widerstrebte nicht länger, und als er am nächsten Morgen erwachte, hatte er allen Kummer samt den schönen Augen des Fräulein Darcy vergessen.


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