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II.

Fritz und Bernerette gaben sich ihrer Neigung hin, fast ohne ein einziges Wort miteinander gewechselt zu haben, und sie redeten sich sofort mit dem vertraulichen Du an. Einander innig umschlingend, ließen sie sich vor dem Kamin nieder, in dem ein behagliches Feuer prasselte. Und nun erzählte ihm Bernerette, indem ihre Wangen, hoch erglühend im Widerschein der inneren Freude, auf des Geliebten Knieen ruhten, wer sie wäre. Sie war in der Provinz Schauspielerin gewesen. Sie hieß Luise Durand und Bernerette war nur ihr Künstlername; sie lebte seit zwei Jahren mit einem jungen Manne, den sie nicht mehr liebte. Sie wollte sich um jeden Preis frei machen und ein anderes Leben führen, zu dem Ende wollte sie wieder zum Theater gehen, wenn sich irgend jemand ihrer hilfreich annähme, oder einen andern Beruf ergreifen. Weder über ihre Familie noch über ihre Vergangenheit äußerte sie sich sonst irgendwie. Sie erklärte nur, sie wäre entschlossen, die ihr unerträglichen Fesseln zu zerbrechen. Fritz, der sie nicht täuschen wollte, schilderte ihr aufrichtig seine eigne Lage; selbst ohne größere Mittel und mit seiner geringen Lebenserfahrung könne er ihr nur eine sehr schwache Stütze sein. »Da ich außer stande bin, für Dich zu sorgen, so will ich keinesfalls zu einem Bruche Veranlassung geben; weil es mir aber zu große Pein verursachen würde, sollte ich Dich mit einem andern teilen, so werde ich leider zurücktreten müssen und in meinem Herzen die Erinnerung an einen glücklichen Tag bewahren.«

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Bei dieser unerwarteten Erklärung brach Bernerette in Thränen aus. »Warum scheiden?« sagte sie; »wenn ich mit meinem Liebhaber breche, so wirst Du nicht die Ursache sein, da ich schon seit langem dazu entschlossen bin. Wirst Du mich denn nicht mehr lieben, wenn ich in einem Weißwarengeschäft in die Lehre gehe? Es ist freilich schade, daß Du nicht reich bist, aber was macht's? Wir werden uns eben nach der Decke strecken.«

Fritz wollte antworten, aber ein Kuß schloß ihm den Mund. »Sprechen wir nicht mehr davon,« sagte endlich Bernerette. »Wenn Du mich haben willst, so gieb mir ein Zeichen durchs Fenster und beunruhige Dich nicht um das weitere, das Dich gar nichts angeht.«

Etwa sechs Wochen lang arbeitete Fritz nicht mehr. Seine angefangene These lag auf dem Tisch, hin und wieder fügte er eine Zeile dazu. Verlangte es ihn nach Unterhaltung, so brauchte er nur den Fensterflügel zu öffnen; Bernerette war immer bereit, und wenn er sie fragte, wie es käme, daß sie so frei über ihre Zeit verfügte, erhielt er regelmäßig zur Antwort, das ginge ihn nichts an. Die kleinen Ersparnisse, die er zurückgelegt hatte, waren bald dahin, und nach zwei Wochen sah er sich genötigt, sich an einen Freund zu wenden, um seiner Geliebten ein Souper bieten zu können.

Als dieser Freund, Namens Gerard, erfuhr, in welches Fahrwasser Fritz geraten sei, sagte er: »Sieh Dich vor, Du bist verliebt! Deine Grisette hat nichts und Du nicht viel. Ich würde mich an Deiner Stelle nicht mit einer Schauspielerin aus der Provinz einlassen. Solche Neigungen führen oft weiter als man denkt.«

Fritz versetzte lachend, es handle sich keineswegs um eine tiefe Neigung, sondern um eine vorübergehende Liebschaft. Er erzählte Gerard, wie er ihre Bekanntschaft durchs Fenster gemacht hätte und fuhr fort: »Nichts als lachen will sie, es kann kein Weib weniger gefährlich sein als sie, und unser Verhältnis ist das ungebundenste von der Welt.«

Gerard beruhigte sich bei dieser Versicherung, doch drang er ernstlich in Fritz, seine Arbeit fortzusetzen. Dieser versicherte, seine Thesen wären nahezu vollendet, und um nicht gelogen zu haben, arbeitete er wirklich ein paar Stunden lang; aber gerade an dem Abend erwartete ihn Bernerette. Sie gingen zusammen zur »Chaumière«, und die Arbeit blieb liegen.

Die »Chaumière« ist das Tivoli des »quartier latin«, sie ist das Stelldichein der Studenten und Grisetten. Trifft man dort auch nicht die feine Gesellschaft, so ist es doch ein wirklicher Vergnügungsort: man trinkt Bier und tanzt, es herrscht eine ungetünchte, manchmal etwas lärmende Fröhlichkeit. Die Schönen erscheinen in runden Hüten, die Herren tragen Sammtwesten, man raucht, man trinkt wacker, man tauscht unter freiem Himmel Zärtlichkeiten. Wenn die Polizei den in ihren Listen verzeichneten Geschöpfen den Eintritt in den prächtigen Garten untersagen wollte, so würde man vielleicht hier allein noch das alte freie und frohe Pariser Studentenleben finden, das alle Tage mehr dahin schwindet.

Unser glückliches Paar war am wenigsten dazu geneigt, sich durch Reflektionen den Genuß seines Glückes stören zu lassen, sie gaben sich ihm ungeniert hin, und hatten sie den ganzen Abend hindurch getanzt, so kehrten sie müde und befriedigt heim. Fritz war so wenig blasiert, daß ihm seine ersten jugendlichen Verirrungen als das wahre Glück erschienen. Wenn Bernerette an seinem Arm den neuen Boulevard dahin schwebte, kam es ihm vor, als gäbe es nichts Süßeres als alle Tage so weiter zu leben. Hin und wieder fragten sie wohl einander, wie es mit ihren Angelegenheiten stände, aber keines antwortete offen auf diese Frage. Sein möbliertes Zimmer war auf zwei Monate bezahlt; das war eine Hauptsache. Manchmal fanden sie sich dort ein: Bernerette mit einer in Papier gewickelten Pastete unter dem Arm und Fritz mit einer Flasche guten Weines. Dann wurde geschmaust, und zum Nachtisch sang sie die Couplets aus den Possen, in denen sie aufgetreten war. Hatte sie den Text vergessen, so improvisierte der Student neue Verse zum Preise seiner Freundin, und konnte er keinen Reim finden, so leistete ein Kuß Ersatz. So verbrachten sie zusammen die Nacht, ohne zu merken, wie die Zeit verrann.

»Du arbeitest nicht mehr,« sagte Gerard, »und Deine vorübergehende Liebschaft wird noch länger dauern als eine Neigung! Sieh Dich vor; Du vergeudest Dein Geld und versäumst, Dir damit die Mittel zu weiterem Fortkommen zu erringen.«

»Ich versichere Dir,« versetzte Fritz, »mit meiner These geht es vorwärts, und Bernerette will in ein Weißwarengeschäft eintreten. Laß mich doch ein kurzes Glück in Ruhe genießen und beunruhige Dich nicht wegen der Zukunft!«

Mittlerweile rückte die Zeit heran, wo er seine These zum Druck geben mußte. Sie wurde in aller Eile vollendet und verlor dadurch nicht an Wert. Fritz erhielt das Anwaltspatent. Er schickte mehrere Exemplare seiner Dissertation samt seinem Diplom nach Besançon, und der Vater beantwortete die erfreuliche Kunde mit der Sendung einer größeren Geldsumme, die die Kosten der Heimreise bei weitem überstieg. So kam die Freude des Vaters unwissentlich der Liebe des Sohnes zu Hilfe. Fritz konnte seinem Freunde das entliehene Geld zurückerstatten und ihn von der Grundlosigkeit seiner Befürchtungen überzeugen. Er wollte auch Bernerette ein größeres Geschenk machen, aber sie lehnte es ab.

»Essen wir heute auf Deine Kosten zu Nacht,« sagte sie, »ich will nichts von Dir haben als nur Dich selbst!«

Bei einem so heiteren Charakter, wie der ihrige war, mußte man jede trübende Wolke bemerken. Fritz fand sie eines Tages voll Kummer und fragte sie nach dem Grunde. Nach einigem Zögern zog sie einen Brief aus ihrer Tasche.

»Es ist ein anonymer Brief,« sagte sie; »der junge Mann, der mit mir lebt, hat ihn gestern erhalten und mir ihn mit den Worten gegeben, er schenke namenlosen Anklagen keinen Glauben. Wer ist der Schreiber? Ich weiß es nicht. Die Orthographie ist ebenso schlecht wie der Stil; aber darum ist die Sache für mich nicht weniger gefährlich: man stellt mich als verlornes Geschöpf hin und giebt sogar genau Tag und Stunde unserer letzten Zusammenkünfte an. Es muß also jemand aus dem Hause sein, vielleicht die Portiersfrau oder ein Dienstbote. Ich weiß nicht, wie ich mich vor der drohenden Gefahr schützen soll.«

»Welcher Gefahr?« fragte Fritz.

»Ich glaube,« sagte Bernerette mit Lachen, »es steht dabei mein Leben auf dem Spiele. Ich habe es mit einem Mann von heftigem Charakter zu thun, und wenn er wüßte, daß ich ihn täusche, so wäre er imstande, mich umzubringen.«

Umsonst las Fritz den Brief mehreremale und untersuchte ihn auf hunderterlei Weisen, auch er konnte die Handschrift nicht wiedererkennen. Von Unruhe gepeinigt ging er auf sein Zimmer und faßte den Entschluß, ein paar Tage auf ein Wiedersehen der Geliebten zu verzichten. Aber bald empfing er von ihrer Hand die folgenden Zeilen:

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»Er weiß alles, ich weiß nicht, wer es ihm verraten hat; ich glaube, es ist die Portiersfrau. Er will sich mit Dir schlagen. Ich fühle nicht die Kraft, mehr zu sagen, ich bin mehr tot als lebendig.«

Fritz blieb den ganzen Tag in seinem Zimmer. Er erwartete den Besuch seines Nebenbuhlers oder doch eine Forderung. Zu seinem Erstaunen erfolgte keines von beiden. Am nächsten Tage und die ganze folgende Woche dasselbe Stillschweigen. Endlich erfuhr er, Herr von N., Bernerettes Liebhaber, habe eine Auseinandersetzung mit ihr gehabt, infolge deren sie das Haus verlassen habe und zu ihrer Mutter geflüchtet sei. In Verzweiflung über den Verlust seines Mädchens, das er rasend geliebt hatte, war der junge Mann eines Morgens weggegangen und nicht wieder heimgekehrt. Nach vier Tagen hatte man die Thür seines Zimmers gewaltsam geöffnet und auf dem Tisch einen Brief gefunden, in dem er erklärte, sich selbst das Leben nehmen zu wollen. Eine Woche später fand man den Leichnam des Unglücklichen im Walde bei Meudon.


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