David Christie Murray
Der Bischof in Not
David Christie Murray

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Siebentes Kapitel

Wie es Tom fertig brachte, ein Briefchen in Lucys Hände gelangen zu lassen, worin er sie zu einem Stelldichein beim Rond Point einlud, wie sie Mrs. Raimond entschlüpfte und ihn dort traf, wie sie in den Elysäischen Feldern, die trotz ihrer irdischen Kahlheit für manches glücklich liebende Paar paradiesisch gewesen sind, spazieren gingen und sich aussprachen: das alles muß der Einbildungskraft des Lesers überlassen bleiben. Die jungen Leute versöhnten sich rasch, und die vorübergehende Entzweiung wäre überhaupt von gar keiner Bedeutung gewesen, wenn sie nicht Toms Reise nach Paris veranlaßt und ihn so den Abenteuern entgegengeführt hatte, die seiner harrten.

Nachdem sich Tom von Lucy getrennt hatte, kehrte er in der bestimmten Absicht nach seinem Hotel zurück, noch an demselben Abend wieder nach London abzureisen. Allein im Flur hörte er seinen Namen rufen, und als er sich umwandte, erkannte er seinen alten Bekannten Draker. Dieser junge Herr war einer der besten Freunde Toms, mit dem er einen großen Teil des Lebensweges gemeinsam zurückgelegt hatte. Schon die Schule hatten sie zusammen durchgemacht, ebenso die Universität Oxford, und schließlich waren sie an demselben Tage zur Advokatur zugelassen worden. Draker hatte, ebenso wie Tom, nur ein bescheidenes Einkommen, und er glich Tom auch darin, daß er noch nie einen Prozeß geführt hatte. Im übrigen war er einer von den gutgekleideten, kräftigen, unbeschäftigten Herren von London, wie man sie an einem schönen Sommertage zu Hunderten trifft.

»Von allen lustigen Brüdern, die ich kenne,« sagte der junge Draker, »bist du gerade derjenige, welchen ich in diesem vielverheißenden Augenblick am dringendsten herbeiwünschte.«

Während er dies sprach, streichelte und tätschelte er einen in braunes Papier gehüllten Gegenstand, den er unter dem Arme trug, mit so erfreuter und geheimnisvoller Miene, daß sich Tom veranlaßt sah, zu fragen, was es sei.

»Ja, ja,« entgegnete Draker, »wenn du wüßtest, was das ist!«

Gern wäre er noch rätselhafter gewesen, allein dazu war sein Herz zu voll.

»Komm mit auf mein Zimmer,« fuhr er fort, »dann werde ich's dir zeigen.«

Zu packen brauchte Tom für seine Heimreise nicht, und er hatte noch vier Stunden Zeit, so daß er der Aufforderung willig Folge leistete und Draker auf sein Zimmer begleitete.

Als sie dieses erreicht hatten, verschloß Draker die Thür, machte den in der Mitte des Zimmers stehenden Tisch frei, indem er alles, was darauf lag, in einem unordentlichen Haufen auf sein Bett warf, und begann nickend, blinzelnd und lächelnd sein Päckchen zu enthüllen, woraus ein zusammengerolltes Stück Wachstuch, eine Pappschachtel und ein Säckchen, das etwa einen halben Liter fassen mochte, zum Vorschein kamen. Nachdem er das Wachstuch auf dem Tische auseinandergerollt hatte, war dieser in einen Spieltisch verwandelt, der Pappschachtel entstieg ein kleines Roulette, und aus dem Söckchen schüttelte er einen Haufen weißer Bohnen auf den Tisch.

»Jetzt werde ich dir was Feines zeigen,« sprach er dabei. »Ich werde fünfzig von diesen Bohnen nehmen, und du sollst den ganzen Rest behalten. Du hältst Bank und drehst das Rad, und in einer Stunde werde ich dich vollständig ausgebeutelt und deine Bank gesprengt haben,« schloß er und trällerte das Lied: »Und der Mann, der im Nu die Bank gesprengt . . .«

»Na, denn los damit,« entgegnete Tom. Damit zogen sie die Röcke aus, denn es war heiß, und machten sich an die Arbeit.

»Ich habe diesen Kniff in den feierlichen Stunden der Nacht herausspintisiert,« erklärte der junge Draker. »Während der letzten sechs Monate habe ich daran gearbeitet, und du, Finch, bist der einzige Mensch in der Welt, dem ich mein Geheimnis anvertraue.«

Augenscheinlich nahm er die Sache ganz ernsthaft und glaubte wirklich, das Geheimnis entdeckt zu haben, mühelos reich zu werden. Daß schon Hunderte von Leuten dasselbe Geheimnis vor ihm entdeckt hatten, ahnte er nicht. Hunderte? Tausende! Wenn es nicht Leute gäbe, die dieses Geheimnis fortwährend entdeckten, so könnten die Spielhalter ruhig die Bude zumachen. Die Zeitgenossen von Drakers Großvater gingen mit dem großartigen Plane nach Baden-Baden, Schwärme und Schwärme von ihnen, und ließen ihn dort mit einer gewaltigen Menge ihres eigenen Geldes. Solange noch ein Spieltisch besteht, werden die Leute fortfahren, diese große Entdeckung zu machen, und es später bereuen, sie gemacht zu haben. Wie alle seine Vorgänger hatte auch Draker alles ganz allein herausgetüftelt und wollte jetzt seinen Plan praktisch zur Ausführung bringen, nachdem er ihn nach allen Richtungen hin geprüft hatte.

Mit der Leitung dieser Angelegenheiten ist ein kleiner Höllengeist ganz besonders beauftragt, und dieser richtet die Sache immer so ein, daß alle Probeversuche, die der Entdecker anstellt, vollkommen gelingen. Draker und Tom fanden, daß das System ausgezeichnet arbeite, und Draker sprengte wirklich in der angegebenen Zeit die Bohnenbank. Dann fand er, daß er gerade noch Zeit hatte, zu packen und den Zug bequem zu erreichen.

Während er seine Sachen in den Koffer warf, erzählte er Tom, was er mit seinem Gewinst vorhabe. Für seinen Feldzug gegen die Bank hatte er fünfzig Pfund bei sich, außerdem eine Rückfahrkarte nach London und noch zehn Pfund für seine sonstigen Ausgaben. Mit fünftausend Pfund wollte er zurückkehren, mehr beabsichtigte er nicht zu gewinnen, denn er war ja nicht habgierig und konnte außerdem jederzeit zurückkehren und sich mehr holen, aber er kannte einen Rechtsanwalt mit einer guten Praxis, dessen Gunst er zu gewinnen wünschte. Dieser hatte eine Tochter, deren Gunst er schon gewonnen hatte, und wenn er ein bißchen Geld besaß, würde der Vater wohl auch nicht mehr unerbittlich sein und ihm eine helfende Hand reichen.

»Alles, was mir bis jetzt gefehlt hat, war eine Gelegenheit,« meinte Draker; »jetzt habe ich eine, und ich werde sie weise benutzen.«

Kurz, Draker war Feuer und Flamme, und Tom war Werg, und es konnte also nicht fehlen, daß die beiden jungen Leute in Brand gerieten. Tom stürzte davon, um nach Geld und Kleidern zu telegraphieren, und darauf fuhren sie mit dem Nachtschnellzuge nach Monte Carlo.

Südfrankreich fanden sie am nächsten Tage heiß wie einen Backofen, aber dadurch ließen sie sich nicht abschrecken. Marseille war ein glühender Rost, allein sie würden sogar die Hitze des Aequators gemütlich gefunden haben. Die prächtige Küste des Mittelmeeres flog unbeachtet an ihren Augen vorüber, während sie schwitzend die »Permanenzen« studierten, die über die Nummern berichten, welche an den verschiedenen Tischen in einer gegebenen Zeit am häufigsten herausgekommen sind. Tom kam sich sehr sündhaft vor, denn obgleich er durchaus kein Musterknabe war, war er doch ein sehr braver Mann, der sich bis jetzt ziemlich unbefleckt durch die sündhafte Welt geschlagen hatte. Dem mochte nun sein, wie ihm wolle: das Geheimnis, das Draker entdeckt hatte, war gerade das, was ihn Lucy näher bringen konnte, und um ihretwillen wäre er ganz gern bereit gewesen, sich noch sündhafter vorzukommen, als er es schon that.

In den Gasthöfen von Monte Carlo, wo der Puls des Lebens während der Hauptsaison so fieberhaft schlägt, war es still; in den großen Spielsälen weckten die Füße, die sie durchschritten, lauten Widerhall, die Hälfte der Tische war entfernt, und an den übrigen saßen die Croupiers meist schlaff und müde und hatten nichts Besseres zu thun, als Eislimonade unter sich auszuspielen. Weder in den vergoldeten Hallen noch in den prächtigen Gärten gab es Konzerte. Die kleine, aber verzweifelte Schar, die das ganze Jahr hindurch spielt, war zwar anwesend, aber außerdem tröpfelte nur ein dünnes Bächlein von Fremden in die sonnendurchglühte Stadt und wieder hinaus.

Tom und Draker vereinigten ihre Hilfsquellen, und der Entdecker des wunderbaren und unfehlbaren Systems spielte für beide, während Tom über den Gang des Spieles genau Buch führte. Natürlich gewannen sie im Anfang, sogar erstaunlich gewannen sie. Drei Nächte hintereinander trugen sie Päckchen von Noten und Haufen von Goldstücken nach Hause, so daß sie fast fürchteten, die Eigentümer der Spielbank würden es sich bald nicht mehr gefallen lassen, zur Zielscheibe ihres unfehlbaren Feuers zu dienen. Dann aber wandte sich das Blatt, und das System wurde häufig gegen das Maximum auf die Probe gestellt, woraus es nicht ohne ernstlichen Schaden hervorging. Hierauf kam eine Zeit, wo sie vom schwankenden Glück wie auf einem bewegten Meere umhergeschleudert wurden. Bald schwammen sie stolz auf dem Kamme einer Woge, bald im tiefen, finsteren Wellenthale. Das ist die Zeit, wo es sich in der Regel herausstellt, ob das Spielfieber heilbar ist oder nicht, je nach der sittlichen Kraft des Kranken.

Da geschah es, daß eines Abends, wo die beiden Verbündeten zusammen an der Arbeit saßen und das Wachsen und Abnehmen ihres Haufens beobachteten, der zufällig gerade ziemlich bedeutend war, ein würdig aussehender Engländer in die Spielsäle trat und sich mit gehaltener Neugier umsah. Er trug einen dunkeln Anzug von grauem, dünnem Stoff und hielt in der einen Hand ein seidenes Taschentuch. Dieses schien er immer dann zu gebrauchen, wenn er merkte, daß er angesehen wurde, und ein Beobachter hatte dadurch auf den Gedanken kommen können, daß er nicht erkannt zu sein wünschte.

Der würdevolle ältliche Engländer setzte sich an einen Tisch und beobachtete die Spieler. Der Chef de parti, der auf seinem hohen Stuhle hinter dem Croupier thronte, welcher das Rad bediente, fing ein- oder zweimal seinen Blick auf, und der Engländer schien zu schwanken. Wieder sah ihn der Chef de parti an, und diesmal errötete der Engländer, erhob sich und schlich auf den Fußspitzen um den Tisch herum, während er mit den Fingern einer Hand etwas in der Westentasche zu suchen schien. Als er den Chef erreicht hatte, errötete er wieder, zog ein kleines Päckchen von Noten der Bank von England hervor und bat, eine davon zu wechseln. Der Beamte wies ihn an den Schalter, wo fremdes Geld gewechselt wird. Als er zurückkehrte, setzte er sich wieder auf seinen Platz und schien unschlüssig zu sein, steckte aber schließlich die kleine Hand voll Gold, die er mitgebracht hatte, in die Tasche. Die Kugel klapperte im Rad, und er nahm eine erregte Bewegung am andern Ende des Tisches wahr. Dort, wo die Spieler dichter zusammengedrängt saßen als an dem Ende, wo der ältliche Engländer seinen Platz gewählt hatte, erhob sich ein Murmeln. Sein Nachbar stand auf, und er folgte diesem Beispiele. Wie es schien, wurde die Aufregung durch das Spiel von zwei jungen Engländern hervorgerufen, von denen einer sprach: »Da haben wir ihnen wieder einmal das Maximum abgeknöpft; dreimal nacheinander.«

Der würdevolle Engländer fiel auf seinen Stuhl zurück, als ob ihn ein Schuß getroffen hätte, aber in demselben Augenblick legte sich eine Hand auf seine Schulter, und als er sich umwandte, sah er sich einem fremden Herrn im schwarzen Gehrock und mit gekräuseltem Schnurrbart gegenüber.

»Wollen Sie die Güte haben, mir zu folgen?« sprach der fremde Herr.

Der ältliche Engländer sah betroffen und ein bißchen ärgerlich aus. Ein großer Schweizer in Uniform, der beobachtende Blicke auf ihn richtete, stand in der Nähe. Der Fremde wiederholte seine Aufforderung in etwas dringlicherem Tone, und der Engländer sah noch betroffener aus, erhob sich jedoch und schritt, einer Handbewegung seines Führers folgend, nach dem Schalter, wo er die Note gewechselt hatte. Bei seiner Annäherung wurde die Thür vor ihm geöffnet. Der große Schweizer trat mit ein und schloß die Thür hinter sich.

»Vor noch nicht fünf Minuten haben Sie diese Banknote gewechselt, nicht wahr?« fragte der fremde Herr.

»C'est vrai,« antwortete der Engländer mit sehr merkbarer englischer Betonung.

»Wollen Sie mir gefälligst Ihren Namen angeben?«

Der würdevolle Engländer antwortete zögernd und etwas ärgerlich, und was er sagte, war nicht recht zu verstehen, da ihm das Französische offenbar viel Schwierigkeiten machte, allein so viel war doch zu entnehmen, daß er erklärte, er wolle seinen Namen nicht angeben.

»Gut,« entgegnete der fremde Herr, »das ist Ihre Sache: aber, bitte, folgen Sie mir.«

Der würdige Engländer, dem die Sprache immer größere Schwierigkeiten zu machen schien, fragte, warum und wohin.

»Was das Warum anlangt,« versetzte der fremde Herr, »so ist diese Banknote gefälscht.«

»Gerechter Himmel!« rief der Engländer und sank zum zweitenmal auf einen Stuhl, als ob ihn ein Schuß getroffen hätte.

»Ich bedauere unendlich,« sprach der Fremde, »aber da Sie sich geweigert haben, Ihren Namen anzugeben, bleibt mir nur eins übrig: Sie müssen sich die Mühe nehmen, mich nach der Gendarmerie zu begleiten.«

»Ick sein eine Edelmann,« entgegnete der unglückliche Engländer im heftigsten Kampfe mit der Sprache. »Ick sein eine Edelmann,« Er meinte »Gentleman«, aber er scheiterte ebenso am Geschlecht, als am Worte selbst.

»Mag sein, aber . . .« entgegnete der Fremde achselzuckend.

»Thun Sie nicht sprecke inglisch?« rief der Engländer. »Um Gottes uillen suchen Sie eine Mensch, der spricht inglisch!«

Der Fremde flüsterte dem Schweizer etwas zu und entfernte sich, worauf dieser sich mit dem Rücken gegen die Thür stellte, und nun vergingen einige furchtbare Minuten, bis der fremde Herr, von einem zweiten fremden Herrn begleitet, zurückkehrte.

»Alla rita (All right)!« sagte dieser, »ick spreck das Anglisch. Was woll Sie?«

»Hier ist ein furchtbarer Irrtum vorgefallen,« antwortete der Engländer. »Wie es scheint, ist eine Note der Bank von England, die zu wechseln ich das Unglück hatte, nicht gut.«

»Ja, ganze reck,« erwiderte der zuletzt Gekommene. »Ick verstehen. Fahr Sie weiter!«

»Man hat mich nach meinem Namen gefragt, aber ich muß gestehen, daß ich ihn nur sehr ungern nennen würde, denn ich habe in der That die besten und triftigsten Gründe, die Welt nicht erfahren zu lassen, daß ich einen Ort dieser Art betreten habe. Natürlich bin ich sehr wohl in der Lage, die Gründe, die mich dazu bewogen haben, zu erklären, oder ich würde in der Lage sein, wenn diese Gründe vor zuständigen Richtern in Frage gestellt werden sollten.«

»Ja, ganz reck,« entgegnete der Dolmetscher wieder, »fahr Sie weiter!«

»Ich bin,« fuhr der Engländer fort, »ein Geistlicher der englischen Kirche, ja, ich nehme eine Stellung hoher Würde in dieser Kirche ein, und schon aus diesem Grunde allein, und um einen Skandal unter meinen schwächeren Brüdern zu vermeiden, möchte ich meinen Namen nicht angeben. Wäre ich der Bewahrung meines Geheimnisses sicher, so würde ich keinen Augenblick zögern, mich zu nennen, aber dieser Herr wird gewiß anerkennen, daß eine solche Enthüllung nicht ratsam wäre, wenn die Gefahr der Veröffentlichung vorliegt. Niemand kann diesen unglücklichen Umstand aufrichtiger bedauern als ich selbst.«

»Nun?« fragte der erste Fremde. »Was sagt er?«

»Die gewöhnliche Litanei,« antwortete der Dolmetscher, der als solcher mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. »Eine unklare Geschichte ohne Anfang und Ende.« Er hatte keine drei Worte verstanden.

»Will er seinen Namen nennen?«

»Will Sie sack Ihres Nam?«

»Mein lieber Herr,« antwortete der unglückliche Bischof von Stockestithe, »ich habe Ihnen ja schon auseinandergesetzt, wie wenig ratsam ein solches Verfahren sein würde, und ich bitte Sie, mir zu glauben, daß es für einen Mann, der, wenn er auch noch so unwürdig ist, eine hohe Stellung in der anglikanischen Kirche einnimmt, viel leichter ist, durch ein anscheinend unpassendes Betragen einen Skandal heraufzubeschwören, als diesen durch eine noch so klare und aufrichtige Darlegung seiner Beweggründe wieder aus der Welt zu schaffen.«

»Nun?« fragte der fremde Herr.

»Er sagt,« entgegnete der Dolmetscher, »wir könnten uns alle zum Teufel scheren. Er sei eine angesehene Persönlichkeit und wisse nicht, wie die Banknote in seinen Besitz gelangt sei.«

»Eh bien!« sprach der Fremde, indem er dem Schweizer ein Zeichen machte, worauf dieser den Engländer an der Schulter faßte.

»Wie können Sie sich erfrechen!« rief der Bischof. »Wenn Sie darauf bestehen, meinen Namen zu erfahren, so bleibt mir nichts andres übrig, als ihn zu nennen. Ich bin Hubert William Ronald Durgan, Bischof von Stockestithe.«

Ganz gegen Seiner Lordschaft Erwarten sank niemand tot zu Boden.

»Va!« rief der fremde Herr. Der große Schweizer, der nur auf diesen Befehl gewartet zu haben schien, schob den unglücklichen Würdenträger aus dem Bureau wie ein kleines Kind und führte ihn durch den großen Spielsaal, wo die Leute bei dem ungewöhnlichen Anblick aufsprangen, denn sonst geht es dort so anständig zu wie im Empfangszimmer eines Bischofs. Von da schleppte er ihn in die Vorhalle, wo er des Bischofs Hut suchte und ihm auf den Kopf stülpte, und dann ging es die Stufen hinab. Und dort am Fuße der großen Freitreppe erblickte der Bischof die Gestalt eines Engländers, eine Gestalt, die auch beim flüchtigsten Blick als die eines Engländers erkennbar gewesen wäre, selbst wenn man ihr in der Wildnis von Kamtschatka oder Timbuktu begegnet wäre, denn sie war in einen Rock von einem Schnitt gekleidet, wie ihn nur ein Engländer trägt, und war mit einem Priesterhut bedeckt, und hatte Wadenstrümpfe und Oxforder Schuhe an den Füßen. O gnädige Fügung der Vorsehung! Das Herz des Bischofs schlug voll Hoffnung, voll Gewißheit!

»Herr!« rief er, »Sie sind ein Geistlicher der englischen Kirche! Sie müssen mich kennen; ich bitte um ein Wort.«

Die Gestalt wandte sich um und trat einen einzigen Schritt näher, und dem Bischof kam die Gestalt bekannt vor. Allein eine Sekunde später, noch ehe die Gestalt einen zweiten Schritt näher kommen konnte, wurde sie von einem Gefährten, der ihr hastig einige Worte ins Ohr flüsterte, am Arme ergriffen, worauf die beiden zum größten Schrecken des Bischofs im Dunkel verschwanden. Von diesem Augenblick an ließ er sich nicht nur ohne Widerstand, sondern mit einer Art von dumpfer Ergebung in alles, was kommen mochte, weiterführen. Der Himmel war eingestürzt, die Welt dem Untergange nahe. Das würdevollste Glied der würdevollsten Körperschaft der Welt war verkleidet unter der Anklage verhaftet worden, in der berüchtigtsten Spielhölle der Welt falsche Banknoten in Umlauf gesetzt zu haben! In der Seele des Bischofs herrschte das Chaos.

Inmitten all dieses Schreckens war er aber doch im stande, sich Rechenschaft darüber abzulegen, daß er sein Unglück zum großen Teil seiner Unkenntnis einer Sprache zu verdanken habe, worin die meisten Engländer seiner gesellschaftlichen Stellung sich mit Leichtigkeit verständlich machen können. Hätte es sich um Lateinisch oder Griechisch oder selbst Hebräisch gehandelt, so wäre er nicht in Verlegenheit geraten, denn in seinem Fache war er ein Gelehrter, allein wenn er Französisch zu sprechen versuchte, sah er sich wieder in die Jahre seiner Kindheit versetzt und konnte sich nur gebrochen und falsch ausdrücken. Sein scharfer Verstand war nutzlos, seine große Gelehrsamkeit war nicht mehr wert als ebenso große Unwissenheit, und seine ansehnliche Redegabe war gelähmt. Bis zu dieser Stunde, das fühlte er, hatte er das Entsetzen, das die Erbauer des Turms von Babel zur Zeit der Sprachverwirrung befiel, nicht annähernd richtig gewürdigt.

Auf der Gendarmerie wartete seiner eine neue Demütigung: er wurde durchsucht. Seine Uhr, sein Kneifer, seine Lesebrille, seine Börse, sein Federmesser und sein Taschenbuch, alles wurde ihm abgenommen, und gemeine Hände wühlten in seinen Taschen, als ob diese öffentliches Eigentum gewesen wären. Der Bischof sah den rohen Beamten, der thatsächlich seine Pflicht mit der größtmöglichen Höflichkeit erfüllte, entrüstet an.

»Ich fürchte,« sprach er, »ich habe bis jetzt die Gewalt der Versuchung, der die Leute der unteren Stände am meisten ausgesetzt sind, nicht richtig ermessen. In Zukunft werde ich in meinem Urteil über diejenigen, welche unter der Wirkung einer heftigen Aufregung im Gebrauche gotteslästerlicher Flüche Erleichterung suchen, nachsichtiger sein,« woraus wir wieder einmal ersehen, daß nichts menschlicher stimmt, als Erfahrung.

Dem Gendarmen war diese Rede böhmisch, und der empfindungslose und gleichgültige Beamte beendete seine Durchsuchung des Bischofs mit berufsmäßiger Gründlichkeit, Endlich stießen seine forschenden Finger auch auf das Päckchen Banknoten in der rechten Westentasche, und der fremde Herr, der, nachdem er die Verhaftung des Bischofs veranlaßt hatte, nach der Gendarmerie gefolgt war, stürzte sich sogleich auf sie und machte den Gendarmen darauf aufmerksam, daß sie und die bereits beschlagnahmte Note fortlaufende Nummern trügen.

Auch der sogenannte Dolmetscher war gefolgt, allein als er versuchte, sich einzumischen, wies ihn der Bischof würdevoll zurück.

»Die Behauptung dieses Menschen, Englisch zu verstehen,« sprach er, »ist offenbar abgeschmackt, lächerlich und unbegründet, Comprenny paw (Comprends pas)«, fügte er hinzu, als ihn der Dolmetscher anredete, und jetzt, wo er sich einigermaßen wieder gesammelt hatte, war er so erhaben, daß dieser ganz zerschmettert war und zugestehen mußte, das Englisch des Bischofs sei zu schwungvoll und vielleicht auch zu gelehrt für seine bescheidenen Sprachkenntnisse.

»Ein Gentleman kann in eine seiner unwürdige Lage geraten, wird aber dabei doch im stande sein, seine Selbstbeherrschung wie seine Selbstachtung zu bewahren,« und obgleich niemand als er selbst diese schöne Rede verstand, machte sie ihm doch Mut, und er benahm sich wie ein braver Mann, der mit widrigen Umständen zu kämpfen hat. Als er nunmehr nach Namen, Alter und Stand gefragt wurde, antwortete er, wie es einem unerschrockenen und sich seiner Unschuld bewußten Mann zukommt, einfach und mit Würde und unterzeichnete das Protokoll mit seinem vollen Namen: Hubert William Ronald Durgan, Evêque de Stockestithe, Angleterre. Freilich krümmte sich seine Seele in ihm, als er diesen ehrenvollen Titel auf dieses schmachvolle Papier setzte, und sie krümmte sich abermals, als er in einen kahlen, nur mit einer Pritsche, worauf ein den unteren Klassen ungehöriger Betrunkener schnarchte, ausgestatteten Raum geschoben wurde.


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