David Christie Murray
Der Bischof in Not
David Christie Murray

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Viertes Kapitel

Daß seine Schwester Seereisen nicht vertragen könne, wußte der Bischof. Deshalb überließ er sie ihrer Jungfer, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß sein Bedienter wirklich zurückgeblieben war, begann er mit seinem neuen Freunde auf dem Verdeck auf und ab zu gehen. Dieser gewandte und anziehende Missethäter war einmal Kammerdiener bei einem ländlichen Dekan gewesen, und da er seine scharfen Augen immer offen, seine guten Diebsohren stets gespitzt und seine fünf Sinne immer beisammen hielt, so hatte er eine Menge Kleinigkeiten aufgeschnappt, wovon Laien nie etwas hören. Ueber die beiden Richtungen, die sich in der modernen Kirche bekämpfen, hatte er seine eigenen Ansichten; er war zum Beispiel in Beziehung auf den Ornat Sachkenner und mit den Kunstausdrücken vollkommen vertraut. Der Bischof war ganz entzückt von ihm, und Tom teilte diese Empfindung, denn James beschäftigte den Bischof so ausschließlich, daß Tom eine volle, wenn auch ängstliche Stunde mit Lucy sprechen konnte.

»Wer ist denn der Freund deines Vaters?« fragte er.

»Der Herr ist mir fremd,« antwortete Lucy, »aber es muß jemand sein, den er genau kennt, denn Papa ist sonst sehr zurückhaltend. Jedoch, wer es auch sein mag, ich bin ihm sehr dankbar.«

»Ich desgleichen,« entgegnete Tom mit Inbrunst, während er im Schutze der Dunkelheit Lucys Hand drückte, und sie den Druck erwiderte. Dieses gewagte Stelldichein unter den Augen des Drachen war so entzückend. Entzückend? O, glückliche, glückliche Jünglinge und Jungfrauen, ihr allein wißt, wie süß ein verstohlener Blick ist!

Aber während das jugendliche Pärchen sich seiner unbeachteten Einsamkeit erfreute, ging irgend etwas auf dem Verdeck vor, was den Bischof und seinen Begleiter veranlaßte, von dem Wege, den sie sich ausgesucht hatten, abzuweichen. Dabei gingen sie ein paarmal so dicht an Lucy und Tom vorbei, daß sie sie thatsächlich streiften. Zufällig hielt James beim ersten Vorübergehen eine längere Rede, und seine Stimme schlug an Toms Ohr.

»Den Menschen muß ich kennen,« sprach Tom bei sich. »Wer kann es nur sein?«

Als der Bischof und James zurückkamen, sprach dieser noch immer. In seiner Stimme lag etwas Bemerkenswertes. Sie war weich und einschmeichelnd, aber sie hatte ihre besondere Eigentümlichkeit, einen gewissen Beigeschmack, eine ausgeprägte Physiognomie. Tom war sich bewußt, daß er sie kannte, aber er zerbrach sich vergeblich den Kopf, wo er sie schon gehört haben mochte.

»Wo soll ich sie hinthun?« fragte er sich. »An wen erinnert sie mich?«

Nichts greift störender in den Gedankengang ein, als solche nicht festzuhaltenden Blitze der Erinnerung. Wenn man einmal angefangen hat, darauf zu achten, mißbrauchen sie die ihnen erwiesene Herablassung in der schamlosesten Weise und nehmen eine lächerlich wichtige Miene an. Sie bestehen darauf, daß man sich mit ihnen beschäftigt, selbst zum Schaden viel wichtigerer Dinge, als sie sind.

Tom saß dort im Dunkel und hielt verstohlen Lucys Hand in der seinen, aber für den Augenblick hatte er sie vergessen. Der Bischof und Mortimer waren nach ihrem ursprünglichen Wege, der wieder frei geworden war, zurückgekehrt, aber Toms Ohr war noch immer von der unfaßbaren Aehnlichkeit der Stimme mit einer andern, die er schon irgendwo gehört hatte, erfüllt, und er befand sich in dem Gemütszustande, in dem das Denkvermögen eines Menschen mit der Frage »Wo, zum Kuckuck?« anfängt und aufhört.

Allein Lucy, die mit ihrer Hand in der seinen neben ihm saß, hatte den fernen Schimmer des Leuchtturms von Calais schon erblickt und wußte, daß die Stunde der Trennung nahe war. In demselben Augenblick, wo ihr Geliebter zerstreut neben ihr saß und sich ihrer Nähe kaum bewußt war, war ihr Herz von Zärtlichkeit und Mut erfüllt. Es strömte in züchtigem, süßem Wogen über und flüsterte sein einziges Geheimnis in sein Ohr.

»Ja, mein Liebchen,« antwortete Tom in so nüchternem Tone, als ob sie ihn gefragt hätte, wie viel Uhr es sei. Hätte er ihr einen Schlag versetzt, so würde sie kaum mehr überrascht und verletzt gewesen sein. Jäh entzog sie ihm ihre Hand und erhob sich.

»Haben Sie gehört, was ich Ihnen gesagt habe, Mr. Finch?« fragte sie spitz.

»Ja, Liebchen,« entgegnete Tom verwirrt. »Nein, Liebchen, ich –«

Rasch wandte sie sich ab und entfernte sich, und er erwachte aus seinen Träumereien und sprang in äußerster Bestürzung auf, als ihre Stimme mit einem leichten Beben darin an sein Ohr schlug.

»Nun, gefällt dir dein Spaziergang, Papa?« fragte sie.

Jetzt stieg eine unklare Ahnung in ihm auf, daß er etwas Furchtbares verbrochen haben müsse, denn es war keine Selbstüberhebung, wenn er sich bewußt war, daß in ihren Augen seine Gesellschaft der ihres Vaters, mit dem sie sich um seinetwillen überworfen hatte, bei weitem vorzuziehen war. Sich ihr zu nähern und eine Erklärung herbeizuführen, war unmöglich, denn er hatte ausdrücklich versprochen, sein Bestes zu thun, um unsichtbar zu bleiben. Der Leuchtturm von Calais war schon ganz nahe und warf seine ungeheuren, sich langsam drehenden Strahlen auf den Nebel, wie ein großes, träges Feuerrad. Durch eigene Schuld hatte sich Tom um seinen Abschied gebracht, das Lebewohl, das mit fortzunehmen er hierher gekommen war. Absichtlich hatten sie es bis auf den letzten Augenblick verschoben, dann sollten die Worte: »Du hast mein Versprechen, und ich habe das deine,« trotz allem und allem den Bund ihrer Herzen noch einmal besiegeln. Wie ein unachtsamer Feinschmecker, dessen Teller plötzlich weggerissen wird, noch ehe er seine bonne bouche beendet hat, kam er sich vor, allein es war viel schlimmer als das, Kleinigkeiten haben manchmal eine große Aehnlichkeit mit wichtigen Dingen.

Inzwischen war auch Mrs. Raimond, in Shawls gehüllt und von ihrer Jungfer begleitet, an Deck erschienen. Sie und Lucy überschritten die Landungsbrücke zusammen, dann folgte der Bischof, und Mr. Mortimer mit seiner Handtasche und seinem Bündel Stöcke und Regenschirme machte den Beschluß. Tom hörte ihn wieder sprechen, und wieder fragte er sich betroffen, woher ihm die Stimme so bekannt klinge.

»Hol' ihn der Henker, wer er auch sein mag,« dachte der junge Herr ärgerlich, »Wenn ich nicht angefangen hätte, über ihn zu grübeln, würde ich Lucy nicht beleidigt haben.«

Aber mit diesem unaufgelösten Mißklang konnte er sich nicht von ihr trennen und wollte das auch nicht. Rasch eilte er zum Schalter, nahm sich eine Fahrkarte nach Paris und verbarg sich in einem Coupé für Raucher, wobei er weder vom Bischof, noch von Mrs. Raimond gesehen, wohl aber von Lucy bemerkt wurde. Dadurch war der Friede sofort wieder hergestellt, und sie bereute, daß sie sich vom Aerger hatte fortreißen lassen. Während der ganzen Fahrt nach Paris schwelgte sie in dem Gedanken, daß Tom in ihrer Nähe sei, obgleich der Bischof und Mrs. Raimond schweigsam und feierlich wie ein paar Götzenbilder waren und ihr ganzes Wesen ihr ungemildertes Mißfallen über Lucys Verhalten ausdrücken sollte. Das ganze Abenteuer war so anregend und drollig, der Gedanke, daß Tom nur wenige Schritte von ihr sitze, während Papa so ahnungslos war, belustigte sie, so daß sie trotz ihrer Bemühungen, ihre Ruhe zu bewahren, lachen mußte. Bei diesem Ausbruch der Heiterkeit schaute der Papa mit so steinerner Heiligkeit auf, daß sie wieder lachen mußte. Kaum hatte sie sich beruhigt, so blickten sich Bruder und Schwester mit großen Augen, emporgehobenen Augenbrauen und herabgezogenen Mundwinkeln an und sahen sich dabei in so komischer Weise ähnlich und erschienen so einfältig und verwundert, daß Lucy allen weiteren Widerstand aufgab und lachte, bis ihr die Thränen über die Wangen liefen. Die drei hatten ein Coupé für sich, sonst hätte dieser ungehörige Ausbruch der Heiterkeit nicht stattgefunden. Obgleich der Bischof nicht streng orthodox war, hatte er doch ernste Zweifel, ob es sich hier nicht um einen Fall von Besessenheit handle, und war nahe daran, seinen bisherigen Anschauungen untreu zu werden, so unglückschwanger und furchtbar erschien ihm seiner Tochter Betragen.

Inzwischen spielte sich in Toms Raucherabteilung ein Vorfall ab, der für unsre Geschichte von größerer Bedeutung ist, denn hier hatte auch Mr. Mortimer mit seinem Bündel Stöcke und Regenschirme in aller Einfalt seines Herzens seinen Platz gewählt. Als er Tom erblickte, wäre er gerne sofort wieder ausgestiegen, wenn er Zeit gehabt hätte, denn er erkannte seinen Reisegefährten auf den ersten Blick. Lange Jahre der Vorsicht hatten ihm Luchsaugen, Hasenohren und die Nase eines Hundes gegeben, aber Tom sah ihn über seine Pfeife hinweg an, und kein Zeichen des Wiedererkennens erschien in seinen Zügen. Nur eine Minute etwa hatte er James als widerlichen, schmutzigen, zerlumpten und unrasierten Strolch gesehen, und jetzt war dieser tadellos gekleidet, fuhr erster Klasse und stand mit einem Bischof auf vertrautem Fuße. Allerdings erklang die Stimme immer noch in Toms Ohren, auch sah er James so häufig und prüfend an, daß dieser sich eines Gefühls des Unbehagens nicht erwehren konnte.

Nach einiger Zeit gewann die Neugier die Oberhand in Tom Finch, und er versuchte, ein Gespräch mit seinem Reisegefährten anzuknüpfen. Zunächst bat er ihn um Feuer und zwar in englischer Sprache, denn in dieser hatte er ihn mit der Leichtigkeit und Betonung eines geborenen Engländers sprechen hören. Deshalb war sein Erstaunen groß, als Mortimer mit emporgezogenen Augenbrauen antwortete: »Plaît-il?«

Nun wiederholte Tom seine Bitte auf Französisch und erhielt auch Feuer, aber dieser Vorfall setzte ihn in noch größere Verwirrung. Hätte James gewußt, daß ihn der junge Mann während der Ueberfahrt länger als eine Stunde beobachtet hatte, so würde er diese Täuschung nicht versucht haben, aber er wollte natürlich dem Strolch von vorgestern so unähnlich als nur möglich sein.

»Bitte um Verzeihung,« sagte Tom in seinem besten Französisch; »allein ich habe Sie englisch angeredet, weil ich Sie auf dem Boote diese Sprache sprechen zu hören glaubte.«

»Ein kleiner erreur« entgegnete Mr. Mortimer mit vollkommenem Ernst. »Ick sein eine große Bewundrer von Ihre schöne Sprack aber ick sie nicht sprecken.«

Etwas so Erstaunliches war Tom denn doch noch nicht vorgekommen. Daß dies der Mann war, den er mit dem Bischof hatte reden hören und sehen, konnte gar keinem Zweifel unterliegen; Anzug, Gestalt und Stimme, alles erkannte er wieder, und in einer unerklärlichen Weise schien ihm sogar das Gesicht bekannt zu sein. Allein er verbeugte sich und zog sich in seine Ecke zurück, obgleich er seine Blicke nicht von Mortimer abzuwenden vermochte. Der schlaue James war klug genug, sich den Anschein zu geben, als ob er seinem Gegenüber nicht die geringste Beachtung schenke, aber dessen gelegentliche scharfe Blicke waren ihm doch höchst beunruhigend.

»Dieser Herr scheint mir ein etwas seltsamer Vogel zu sein,« sprach Tom bei sich. »Natürlich ist alles in Ordnung, oder er würde nicht so vertraut mit dem Bischof sein; aber, bei Gott, der Bischof hat sehr sonderbare Bekannte, Vorgestern der Mensch im Park –«

Seine Gedanken schossen mit solcher Schnelligkeit durcheinander, daß es ihm nicht einmal in den Sinn kam, seinen Satz zu vollenden. Er schlug sich mit der rechten Hand aufs Knie, daß es schallte, und erhob sich.

»Hören Sie mal,« sagte er in der ihm eigenen, sich überstürzenden Weise, »ich habe Sie schon einmal gesehen. Was für ein Spiel Sie spielen, weiß ich nicht, und es liegt mir auch nichts daran. Soviel ich bis jetzt sehe, geht es mich nichts an, aber Sie sprechen ebenso gut englisch, als ich.«

Wenn wir sagen wollten, daß Mr. Mortimer bei diesem plötzlichen Ausbruch keine Ueberraschung verraten hätte, würden wir seiner Geistesgegenwart ein zu gutes Zeugnis ausstellen, aber als Tom später über die Sache nachdachte, mußte er zugestehen, daß sein Reisegefährte nicht mehr Betroffenheit gezeigt hatte, als zu der Rolle paßte, die er spielte.

»Pardon?« fragte James mit einem Achselzucken, das ebenso vollendet französisch war, als seine Aussprache.

»Ach, machen Sie doch keine Fissematenten,« rief Tom, »Wie hat's Ihnen denn vorgestern in Regents Park gefallen, he?«

»Monsieur,« erwiderte James in ausgezeichnetem Französisch, »ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nicht englisch spreche. Gestatten Sie mir, hinzuzufügen, daß Sie wie ein junger Mann von guter Erziehung aussehen, daß Sie sich aber benehmen wie ein Verrückter.«

»Und wie hing denn das zusammen, daß Ihr Freund das Wort ›Portland‹ nicht vertragen konnte?« fuhr Tom, unbeirrt durch diesen Vorwurf, fort. »Sie lasen Erkennen in seinen Fenstern, ehe er die Vorhänge herabließ, nicht wahr? Nun, ich habe Erkennen in den Ihren gelesen, mein werter Herr.«

»Na, denn gut,« erwiderte Mortimer in seiner Muttersprache, »na, denn gut, mein Herr. Und was weiter?«

Nichts andres wäre im stande gewesen, Tom so in Erstaunen zu setzen, wie die Unverschämtheit dieses Eingeständnisses.

»Ihre Beobachtungsgabe,« fuhr James fort, »ist größer als meine Verstellungskunst. Ich leugne nicht mehr, aber was weiter?«

Zwar sprach er mit einer gewissen Schärfe, aber von Fassungslosigkeit war in seinem Benehmen nichts zu bemerken, so daß Tom zunächst nicht wußte, was er sagen sollte.

»Sie müssen mich entschuldigen,« sprach Mortimer weiter, »wenn ich Ihnen sage, daß Leute von meinem Berufe eine gewisse amour propre haben, die durch ein Erkennen dieser Art empfindlich verletzt wird.«

»Ihres Berufes?«

»Ja, meines Berufes, mein Herr,« fuhr Mortimer fort, indem er gleichzeitig die Beine übereinanderschlug und seine Cigarrentasche hervorzog. »Sie scheinen mir allerdings ein etwas hitzköpfiger junger Mann zu sein, und das sind Leute, denen man nicht allzu gern sein Vertrauen schenkt. Mein Beruf ist der eines Agenten der Regierung. Mit einem Wort, mein Herr, ich bin ein Mann von Familie, dessen beschränkte Verhältnisse ihn gezwungen haben, sich eine gewisse Kenntnis fremder Sprachen, Menschen und Sitten zu nutze zu machen und eine Stellung im Geheimdienste der Republik anzunehmen. Das ist eine Thatsache, die ich nicht gerade gerne von den Dächern schreie, denn jeder Mensch hat seinen eigenen Stolz. Oft passiert es mir übrigens nicht, daß ich entlarvt werde,« fügte er mit seiner leichtherzigen Gutmütigkeit hinzu, »aber wenn es vorkommt, ärgert es mich; das gebe ich zu.«

In dem Humor, womit er seine Niederlage hinnahm, lag etwas Unwiderstehliches, und kein junger Mann in ganz Europa war dafür empfänglicher, als Tom.

»Aber wirklich, mein Herr,« sprach er, »das thut mir aufrichtig leid, und ich bitte um Verzeihung. Nicht einen Augenblick habe ich mir eingebildet, daß ich ein Recht hätte, in Ihr Geheimnis einzudringen, aber es war alles so sonderbar. Und – und – und,« fügte er erörternd hinzu, »Sie haben mich angebettelt, wissen Sie.«

»Ja,« antwortete James mit einem lustigen Lächeln, worin nur Freude über einen gelungenen Scherz zum Ausdruck kam; »ich glaubte, beobachtet zu werden, und mußte meiner Verkleidung entsprechend handeln. Darüber fällt mir ein, daß ich Ihnen fünfzig Pfennig – nicht wahr? – schulde.«

Bei diesen Worten zog er eine Handvoll Gold- und Silbermünzen aus der Tasche, durchsuchte sie, bis er ein Fünfzigpfennigstück gefunden hatte, und reichte es Tom lachend hin, der nichts andres zu thun wußte, als es, ebenfalls lachend, anzunehmen und in die Tasche zu stecken.

»Und da wir nun quitt sind,« fuhr James fort, »erlauben Sie mir, Ihnen eine Cigarre anzubieten.«

Auch dieses Entgegenkommen nahm Tom an, denn es wurde in so liebenswürdiger Weise geboten, daß er, wenn man alles in allem in Betracht zog, nicht wohl anders konnte.

»Außerdem,« sprach Mortimer weiter, »habe ich einen vorzüglichen alten schottischen Whisky und, wie ich glaube, eine Flasche Selterswasser.«

Kurz, der schmiegsame James wußte sich in die neuen Umstände zu schicken, wie er sich während seiner Raubtierlaufbahn schon in viele zu schicken gehabt hatte. Er zog Tom ins Vertrauen und erzählte ihm Geschichten aus seinem Berufsleben, wobei er natürlich alle Namen mit der größten Vorsicht unterdrückte. Satz auf Satz erfand er im Laufe seiner Erzählung mit so vollkommener Natürlichkeit, daß es ihm nicht ein Lügner unter zehntausend hätte gleichthun können. Aber James hatte den Vorteil, daß er von der Wiege an ein Lügner gewesen war, und er hatte diese seine natürliche Gabe fast bis zur Vollendung ausgebildet. Tom Finch war überrascht über die Kürze der Reise, die unter dem Zauber der Unterhaltung seines Gefährten wie im Fluge vergangen war.

»Wir werden uns voraussichtlich nicht wieder begegnen,« sprach James, als er dem Genossen, mit dem ihn der Zufall auf eine Stunde zusammengeführt hatte, die Hand schüttelte, »aber wenn es doch der Fall sein sollte und Ihre beobachtenden Augen erkennen den wirklichen Menschen unter seiner augenblicklichen Hülle, dann, bitte, verraten Sie mich nicht. Das wäre abgemacht, nicht wahr?«

Nach diesen Worten ging er nach der Zollabfertigungsstelle, während Tom an einem dunkeln Platze des Bahnsteigs stehen blieb, um vom Bischof nicht bemerkt zu werden. Lucy sah sich nach ihm um und machte ihm ein Zeichen des Erkennens, woraus er deutlich entnehmen konnte, daß ihm seine Unart verziehen war. Da er wußte, daß die Familie des Bischofs im Hotel Continental absteigen wollte, begab er sich nach dem ruhigen Hotel Liverpool in derselben Straße, und als er zu Bett ging, frohlockte er über die romantische Färbung, die sein kleines Abenteuer angenommen hatte.


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