David Christie Murray
Der Bischof in Not
David Christie Murray

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Zweites Kapitel

Toms Interesse war durch das Vorgefallene in solchem Grade erregt worden, daß seine Beobachtungsgabe eine ungewöhnliche Schärfe gewonnen hatte. Die glänzende Erscheinung, die durch die Frage nach dem Gefängnis von Portland so in Bestürzung geraten war, hatte sich sofort wieder gefaßt, und rasch wie der Blitz erschien ein warnender Blick in seinem Gesicht, der zuerst die Augen des Strolches traf, und dann dahin flog, wo Tom saß. Auch der Strolch warf einen raschen Blick auf diesen und wurde sofort wieder zu dem kriechenden, elenden Bettler von vorhin. Der militärische Herr nahm seinen hochmütigen Husarenschritt wieder an, schwang seinen Spazierstock und drehte seinen Schnurrbart so selbstbewußt wie zuvor, aber doch anders. Seine Haltung war unnatürlich, als ob er mit Mühe ein Zittern unterdrücke, und seine Glieder bewegten sich steif und mechanisch, als ob sie von einem Uhrwerk getrieben würden.

So ging er weiter, während ihm der Strolch hinkend, gebeugt und mit nach richtiger Strolchweise in die Aermel seines schmierigen Rocks gesteckten Händen folgte. Verwundert sah Tom dem seltsamen Paare nach. Ein Mann, dessen gesellschaftliche Stellung so ist, daß er mit Bischöfen Händedrücke wechselt, wird natürlich für achtbar, höchst achtbar gehalten, aber warum fährt ein hochachtbarer Mann zusammen, wenn ein ungewöhnlich heruntergekommener Strolch innerhalb seiner Hörweite Portland erwähnt? Portland ist ein Wort voll von schrecklichen Erinnerungen oder entsetzlicher Furcht für Uebelthäter, aber nur ein Mensch, bei dem ein wunder Punkt getroffen wird, fährt bei dem Worte zusammen; achtbare Leute läßt es kalt.

Nichts konnte demnach klarer sein, als daß der militärische Herr eine verdächtige Persönlichkeit war. In diesem Falle war der Bischof von Stockestithe getäuscht worden, wie Tom annahm; eine Annahme, die viel Wahrscheinlichkeit für sich hatte, und dann konnte es sich sehr der Mühe lohnen, der Sache auf den Grund zu gehen. Vielleicht kam Tom in die Lage, seiner Lordschaft einen großen Dienst zu leisten, und wer weiß, was das für Folgen hatte?

Alles das war ihm durch den Kopf geschossen, noch ehe der Strolch dem Manne, dem er einen Schreck eingejagt hatte, einen Schritt gefolgt war, aber unser junger Freund blieb ruhig sitzen und begnügte sich damit, dann und wann hinter den beiden herzuschielen. Nachdem er sich eine Cigarette angezündet hatte, zog er Papiere aus der Tasche hervor und that so, als ob er eifrig darin blättere und (mit einem Zahnstocher) darin schreibe. Damit wollte er den Strolch täuschen, der sich anfangs nicht enthalten konnte, sich umzuschauen, um zu sehen, ob er beobachtet werde. Als er anscheinend in dieser Hinsicht beruhigt war, erhob sich Tom und schlenderte weiter, aber in einer Richtung, daß es nicht so aussah, als ob er den andern folge. Gleich darauf wandte sich der Strolch noch ein letztes Mal um, schien aber nichts Verdächtiges in Toms Bewegung zu sehen, und dieser, der inzwischen im Schutze eines Gebüsches angelangt war, folgte dem weiteren Vorgange mit der gespanntesten Aufmerksamkeit.

Der militärische Herr knöpfte seinen feinen Gehrock auf und zog ein Taschenbuch hervor, das er öffnete und dem er ein Stück Papier entnahm. Dieses faltete er mehrmals zusammen, so daß es ganz klein wurde, steckte sein Taschenbuch wieder ein und knöpfte seinen Rock zu. Nachdem er sich sodann auf eine Bank gesetzt hatte, trat der Strolch mit dem Hute in der Hand zu ihm. Niemand war in der Nähe. Der feine Herr schien den Strolch anzuhören und reichte ihm nach einiger Zeit das zusammengefaltete Stück Papier, das dieser verstohlen öffnete, ansah und dann zurückgab. Der feine Herr steckte es wieder in die Tasche, erhob sich und ging weiter, während der Strolch ihm folgte.

Das war alles, aber es war gerade genug, um den Appetit nach weiteren Entdeckungen zu reizen. Tom Finch ließ das Paar einen beträchtlichen Vorsprung gewinnen und folgte sodann. Der feingekleidete Herr kehrte nach Portland Place zurück, während sein schäbiger Begleiter ziemlich dicht hinter ihm herging, und der Liebhaberdetektiv behielt beide im Auge, bis das seltsame Paar zu seinem größten Erstaunen ins Hotel Langham eintrat. Hatte sich die Straße vor ihnen geöffnet, sie verschlungen und sich wieder geschlossen, ohne eine Spur von ihnen zurückzulassen, Tom hätte nicht mehr überrascht sein können.

In Wirklichkeit war der Vorfall jedoch sehr einfach.

Als der militärische Herr auf der Bank in Regents Park saß, näherte sich ihm der Bettler, und wenn dieser dabei auch den Hut abnahm und ein sehr demütiges Benehmen zur Schau trug, so kniff er doch schlau ein Auge zu und lächelte wie ein alter Bekannter.

»Na, das muß ich sagen,« sprach er, »du scheinst mir ja sehr schön in der Wolle zu sitzen.«

»Und ich muß sagen,« entgegnete der andre, »daß du der einfältigste Esel bist, der mir je vorgekommen ist.«

»Ich dachte, wir wären allein, Johnny,« antwortete der Strolch, »und dann glaubte ich auch, du wolltest mir Sand in die Augen streuen. Das ist eine famose Verkleidung, wenn auch vielleicht ein bißchen übertrieben, aber mich konnte sie doch nicht hinters Licht führen. Die Liebe dringt durch alle Verkleidungen.« Anscheinend sehr zufrieden mit seinem Witze, blinzelte er wieder.

»Wir dürfen hier nicht im Gespräche gesehen werden,« erwiderte der Geck. »Da, nimm das, verschaffe dir anständige Kleider, und dann komm heute abend um neun Uhr zu mir nach Darcys Hotel in St. James. Frage nach Oberst Varndyke.«

»Oberst Varndyke?« sprach der Strolch. »Darcys Hotel? Neun Uhr? Aber damit kann ich nichts machen, alter Junge. Was kann eine Zehnpfundnote einem Manne nützen, der so aussieht wie ich? Sie würden mich ja sofort einspinnen, wenn ich das Geld zum Vorschein brächte.«

»Das ist richtig,« entgegnete Oberst Varndyke, »das habe ich übersehen. Folge mir nach dem Hotel Langham, und ich werde mich wie ein Vater gegen dich benehmen.«

Nach diesen Worten erhob er sich und ging davon, während ihm sein schrecklicher Freund folgte. Dieses seltsame Paar hatte eine auffallende Eigentümlichkeit: Oberst Varndykes Sprache war geziert, aber von gemeinem Tone, und, so gut er auch gekleidet war, sah er doch nicht wie ein vornehmer Mann aus. Wenn dagegen der heruntergekommene Strolch die Lippen öffnete, so konnte man ihn für nichts andres als einen Mann von Erziehung halten. Sah man ihn schärfer an, so entdeckte man auch unter seinem Schmutze, seinen Lumpen und seinen Borsten die unverkennbaren Zeichen guten Herkommens.

Als Oberst Varndyke ins Hotel Langham eintrat und der schäbige Mensch ihm folgte, stand einer der Angestellten des Hotels im Hausflur und strich sich das Kinn.

»Ich bin eben einem Freunde begegnet,« sprach der Oberst zu diesem, nachdem er ihn beiseite geführt hatte, »einem ehemaligen Offizier und Kameraden in den traurigsten Verhältnissen, und ich möchte ihm gerne zehn Pfund geben, damit er sich anständig kleiden kann, aber solange er so aussieht, nimmt niemand eine Zehnpfundnote von ihm an. Wollen Sie so gut sein, mir diese zu wechseln?«

Der Angestellte war sehr höflich und verbindlich und durch das, was weiter geschah, augenscheinlich ergriffen. Als er dem Oberst den Betrag der neuen Zehnpfundnote gebracht hatte, ließ dieser menschenfreundliche Offizier den kleinen Goldstrom in die Hand des Strolches gleiten.

»In dein Versprechen der Besserung setze ich zwar nicht viel Vertrauen,« sprach er dabei, »aber ich kann nicht vergessen, daß du dereinst ein Gentleman warst. Ich helfe dir gern, Clarence, aber bedenke wohl, daß dies das letzte Mal ist, wenn ich nicht wirkliche Anzeichen der Umkehr sehe.«

Der Strolch verbarg das Gesicht in den Händen und schluchzte, wobei ein paar Sovereigns zwischen seinen Fingern zu Boden fielen, wahrend der Oberst seinen armen Freund gütig auf die Schultern klopfte.

»Gott segne Sie, Herr Oberst,« sprach der Bettler mit vor Bewegung erstickter Stimme, »Gott segne Sie!«

Der Herr, der die Banknote gewechselt hatte, war tief bewegt und der Oberst ebenfalls.

»Gottes Segen sei mit dir, mein armer Clarence,« antwortete dieser gute Freund, indem er sein wohlduftendes Taschentuch hervorzog und sich wiederholt die Augen betupfte, während ein Diener, der die zu Boden gefallenen Münzen aufgehoben hatte, sie dem Unglücklichen, dessen Not in so großmütiger Weise abgeholfen worden war, reichte. Dieser verließ immer noch schluchzend das Hotel. Der Oberst aber sprach dem Angestellten seinen Dank aus, wobei es ihm gelang, seiner Bewegung, wie es einem britischen Soldaten ansteht, Herr zu werden, und ging dann ebenfalls seiner Wege.

Die Zehnpfundnote aber, die er zurückgelassen hatte, war eine so vollendete Nachahmung, daß es niemand im Traume einfiel, sie für verdächtig zu halten, bis sie im Laufe der Zeit die Bank erreichte, wo sie einem ganz ansehnlichen Häuflein gleicher Art hinzugefügt wurde.

Vier und eine halbe Stunde später fragte ein Herr im Gesellschaftsanzug in Darcys Hotel nach dem Oberst Varndyke. Da er erwartet worden war, wurde er gleich ins Privatzimmer des Obersten geführt, wo er diesen, ebenfalls im Frack, eine Cigarre rauchend und ein Glas Whisky mit Selterswasser schlürfend, vorfand. Der Besucher war sauber rasiert und frisiert, seine Haltung aufrecht, sein Gesicht leicht gerötet. Die Kleider, die er trug, waren weder ganz neu, noch alt und saßen ihm wie angegossen. Seine Leibwäsche hatte den Glanz der Neuheit, außerdem war sein Anzug tadellos, so daß er einen entschieden vornehmen Eindruck machte.

»Aha,« sprach der Oberst Varndyke, »Richard ist wieder er selbst.«

»Das wird er sein,« antwortete der andre, »sobald er erst eine Cigarre zwischen den Lippen und ein Glas schottischen Whisky mit Selters getrunken hat.«

Bei diesen Worten steckte er sich ein Monocle ins Auge und betrachtete den Oberst, der in Lachen ausbrach, sich erhob und auf dem Absätze herumdrehte, als ob er seinem Freunde eine genaue Besichtigung erleichtern wollte.

»Du findest doch nie das richtige Maß,« sagte der eben Gekommene in vollkommen gebildeter Sprechweise. »Immer übertreibst du, wie ich dir schon so oft gesagt habe. Auch heute nachmittag warst du zu auffallend gekleidet, und dein Anzug schmeckte etwas nach dem roturier, Jack. Wirklich!«

»Ach, geh' doch zum Teufel,« entgegnete der Oberst Varndyke.

»Lieber Freund, ich kenne deine Geschichte ganz genau,« erwiderte sein Besucher. »Du hast als Bäckerjunge angefangen und Brot ausgetragen, dann hast du dich selbst gebildet und erzogen, und das macht dir alle Ehre, denn das Ergebnis ist im ganzen bewundernswert. Aber schließlich, mein Junge, bist du doch nur ein Schauspieler, allerdings ein ganz ausgezeichneter, sehr, sehr vorzüglicher, das gebe ich zu, aber eine Schauspielerleistung bleibt dein Benehmen darum doch. Du mußt mir erlauben, dich ein wenig in die Schule zu nehmen.«

»Na, ich möchte doch wissen, was du hieran auszusetzen hast?« erwiderte der Oberst, indem er mit einer Handbewegung auf seinen Anzug deutete.

»Der Gesellschaftsanzug,« versetzte der Kritiker, »bietet zwar nur wenig Gelegenheit, Fehler zu machen, aber das seidene Futter an den Brustaufschlägen, Jack, und das Dings da an den Hosen, der Besatz –«

»Ach, zum Kuckuck!« rief der Oberst, »Das trägt ja jetzt jedermann!«

»Nicht jedermann,« erwiderte der Kritiker mit einer gewissen Strenge, »Leute von feinem Geschmack, Leute, die Verständnis für derartige Dinge haben, tragen das nicht.«

»Und das sagt mir ein Mensch,« entgegnete der Oberst belustigt, »der noch heute morgen in einem Paar schiffbrüchiger Boote statt der Stiefel und einem Hute in der Stadt umherging, den ich keiner Vogelscheuche angeboten hätte!«

»Du hast die Wahl, mein alter Freund,« antwortete der Kritiker, »während ich keine hatte. Aber du kannst dich auf mich verlassen, es wird mir schon gelingen, dir den nötigen Schliff beizubringen, Johnny. Du hast die Vorteile nicht gehabt, die mir in meiner Jugend zu teil geworden sind. Nach dem Leben, das ich geführt habe, steht es mir allerdings nicht an, mich zu rühmen, aber die Thatsache bleibt doch bestehen, daß ich als Gentleman geboren bin. Und eins laß dir sagen, lieber Junge, das Blut macht sich unter allen Umständen geltend und ist in unserm Geschäft ebensoviel wert als überall sonst in der Welt. So, nun sag' mir mal, was hast du denn jetzt für ein Spielchen an der Hand?«

»Dies habe ich an der Hand,« entgegnete der Oberst Varndyke, indem er ein auf dem Kaminsims liegendes Taschenbuch herbeiholte, es öffnete und eine Zehnpfundnote daraus entnahm, die sein Gast ergriff und mit der größten Sorgfalt untersuchte. Er hielt sie gegen das Licht, um das Wasserzeichen besser sehen zu können, rieb sie mit den Fingern vor den Ohren, um ihr Knistern zu hören, und prüfte die Zeichnung aufs genaueste.

»Ganz erstaunlich!« sagte er endlich ehrfurchtsvoll. »Ich habe nie etwas so Vollendetes gesehen. Das Papier ist einfach wundervoll!«

Oberst Varndyke kicherte leise in sich hinein und machte seinem Besucher ein Zeichen mit dem gekrümmten Zeigefinger. Als dieser der Gebärde gefolgt war, legte der Oberst seinem Gaste beide Hände auf die Schultern und beugte sich vor.

»Das Papier ist echt!« flüsterte er ihm ins Ohr.

»Papier der Bank von England?« fragte der andre, indem er in instinktiver Vorsicht ebenfalls leise sprach, wobei aber in seiner Stimme und seinem Gesicht doch maßloses Erstaunen zum Ausdruck kam.

»Ja, Papier der Bank von England,« entgegnete der Oberst in triumphierendem Flüstern. »Roß hat die Sache eingefädelt, und wir haben zusammen fünf Ries gelandet. Vier Noten auf den Bogen macht nahe an hunderttausend Pfund.«

Auf den Besucher machte diese kaum faßbare Mitteilung einen solchen Eindruck, daß er auf einen Stuhl sank und des Obersten Whisky und Selters austrank.

»Na, das muß ich sagen,« sagte er, als er sich wieder gefaßt hatte. »Nun wundere ich mich freilich nicht mehr, daß du mich heute nachmittag abzuschütteln versuchtest. Aber ich kann euch doch von Nutzen sein, mein lieber Junge; ich kann meinen Anteil verdienen.«

»Mortimer,« versetzte der Oberst, »es war durchaus nicht meine Absicht, dich abzuschütteln; ich war im Gegenteil froh, dich zu treffen, denn für die Arbeit auf dem Festland brauchen wir einen wirklich feinen Vogel. Ich erwarte Roß jeden Augenblick, und er wird gewiß ebenso erfreut sein als ich.«

»Lieber Johnny,« entgegnete der Besucher, »werde nur ja nicht salbungsvoll, ich bitte dich, werde nicht salbungsvoll, denn dann traue ich dir nicht. Du nimmst mich, weil du im Augenblick nicht anders kannst. Aber jetzt habe ich einmal die Finger in der Pastete und nehme meinen Teil davon, thue jedoch auch meinen Teil der Arbeit. Uebrigens nebenbei gesagt, wie bist du denn aus –?«

Ohne seinen Satz zu beenden, sah er den Oberst lächelnd durch sein Monocle an.

»Das hat Roß gemacht. Hat einen der Aufseher bestochen,« antwortete der Oberst. »War eine verflucht teure Geschichte und wäre doch beinahe schief gegangen. Aber, wie zum Teufel, bist du nur dazu gekommen, diesen verdammten Ort heute nachmittag zu nennen?« fragte er mit einem Schauder, der nicht ganz gemacht war, obgleich er sich gern den Anschein gegeben hätte. »Hast du denn den jungen Menschen nicht bemerkt, der kaum drei Schritte von dir saß? Mir war zu Mute, als ob mich ein Schuß getroffen hätte. Ein Glück, daß er nichts gehört hat!«

»Da hast du recht,« stimmte Mr. Mortimer zu, »aber ich habe ihn wirklich erst gesehen, nachdem ich gesprochen hatte. Anfangs glaubte ich, er hätte etwas gehört, aber nach einer Weile stand er ja auf und ging weiter.«

»Ich werde nie an diese Minute denken können, ohne das Gefühl zu haben, als ob mir ein Strom eiskalten Wassers den Rücken hinunterliefe.«

Gerade als er diese Behauptung aufstellte, wurde an die Thür geklopft, und ein Kellner meldete Mr. Roß. Dieser, ein Schotte von seiner glänzenden Glatze bis zu seinen plumpen Stiefeln, trat ein. Seine grauen Augen lagen hinter einem ungeheuren Paar buschiger Augenbrauen im Hinterhalt, und sein oval geschnittener Backenbart umrahmte ein Gesicht, dem die Natur den Typus des Schotten und der Achtbarkeit gegeben hatte. Aber er war noch mehr; er war geradezu das fleischgewordene Bild der Ehrbarkeit und des Schottentums und dabei röter als ein Fuchs. Mr. Mortimer begrüßte ihn wie einen alten Bekannten.

»Ich bin außerordentlich glücklich, meine Bekanntschaft mit Ihnen zu erneuern,« sprach er, »und zum erstenmal Ihr Mitarbeiter bei einem Unternehmen zu sein. Der Plan scheint mir recht vielversprechend.«

»Es freut mich,« entgegnete Mr. Roß, »daß er Ihren Beifall hat.«

Freilich sah er bei diesen Worten aus, als ob er durch Mr. Mortimers Begrüßung etwas peinlich berührt sei, aber der Oberst flüsterte ihm etwas ins Ohr, wie »Mann von Familie«, »ganz unverkennbar das Aeußere und das Benehmen eines Menschen von Bildung«, »sehr nützlich bei einer solchen Geschichte«, und noch einige ähnliche Redensarten, die Mr. Mortimer hörte und auch hören sollte.

Mr. Roß nickte wiederholt und legte dann einen kleinen schwarzen Beutel auf den Tisch.

»Darf ich also annehmen,« fragte er, »daß Mr. Mortimer einer der Unsern ist?«

»Ganz entschieden,« entgegnete Mr. Mortimer. »Selbstverständlich. Wo hast du denn die Getränke, Johnny?«

Als Oberst Varndyke ein in der Ecke des Zimmers stehendes Schränkchen bezeichnet hatte, schlenderte Mortimer auf dieses zu.

»Unser Unternehmen ist nicht derart,« begann Mr. Roß, »daß es eine unbegrenzte Beteiligung vertragen könnte, aber, wie Sie sehr richtig sagen, Oberst Varndyke, Mr. Mortimers Kenntnis fremder Sprachen und sein weltmännisches Auftreten werden für uns von Wert sein.«

»Was zu trinken?« fragte Mortimer, der mit einer Flasche in der Hand an den Tisch trat.

»Herr,« sprach Mr. Roß, »rühren Sie das Unreine nicht an, schmecken Sie es nicht, geben Sie sich nicht damit ab; ausgenommen,« fügte er hinzu, »mit großer Mäßigkeit. Ach, ich dachte, ich wäre zu Hause, wo ich geistige Getränke nie anrühre, es sei denn in der Stille meines Kämmerleins.«

»Ich habe mir die Sache überlegt,« sagte der Oberst Varndyke, während er Mr. Roß ein großes Glas einschenkte. Dieser Herr hielt wachsam und wie abwehrend die Hand über das Glas, als ob er nicht dulden wolle, daß mehr, als was sein Gewissen erlaubte, eingegossen werde, aber er gab das Zeichen, inne zu halten, nicht eher, als bis das große Sodawasserglas wenigstens zur Hälfte voll war.

»Ich kann London übernehmen,« sprach der Oberst inzwischen weiter, »und ich meine, es wäre gut, wenn Mortimer nach Paris ginge. Für London brauche ich nur einen Tag, und dann müssen wir die Sache sechs Monate ruhen lassen. Wenn Mortimer morgen abend abreist, kann er zwei volle Tage in Paris bleiben. Wir müssen zu derselben Stunde beginnen.«

»Warum zwei Tage für Paris und nur einen für London?« fragte Roß.

»Das will ich euch erklären,« entgegnete der Oberst. »Einige der Noten, die ich hier in London in Umlauf setze, gelangen ganz bestimmt noch an demselben Tage an die Bank, während sie von Paris frühestens am nächsten Morgen ankommen können.«

»Aber ein Telegramm der Bankbehörden nach Paris?« antwortete Roß, seinen roten Bart streichend und um seine Finger wickelnd. »Nein, mein Sohn, ich bin über die Jahre ungestümer und tollkühner Jugend hinaus und habe es gelernt, die Wege der Vorsicht zu wandeln.«

Während er die roten Fäden seines Bartes spann wie ein alter schottischer Hexenmeister, sah er hinter seinen buschigen Augenbrauen so aus, als ob er in der That gelernt habe, die Wege der Vorsicht zu wandeln.

»Gut,« erwiderte der Oberst, »dann also sowohl für London, als für Paris nur einen Tag und hierauf sechs Monate Ruhe, damit sich die Aufregung und Wachsamkeit der Bankbehörden etwas legen kann. Danach werden wir beide sechs Tage in den Vereinigten Staaten arbeiten, und dann wieder sechs Monate Ruhe hatten. Haben wir dann unsern Vorrat noch nicht ganz untergebracht, so kann Mortimer nach Wien oder Berlin gehen, und dann ist die Sache zu Ende.«

»Sehr gut, wirklich sehr gut,« sprach Mr. Roß, »und nun noch ein ernstes Wort zu euch beiden. Als ich durch die Gnade der Vorsehung in den Besitz von fünf Ries des Bankpapiers gelangte, sah ich, daß mein Glück gemacht war. Nach diesem Erfolge ziehe ich mich in den wohlverdienten Ruhestand zurück, denn ich finde die stete Besorgnis doch etwas angreifend, meine Herren, und ich fange an, alt zu werden. Deshalb beabsichtige ich, mich dem otium cum dignitate hinzugeben. In allen Umständen des Lebens, meine Freunde, in jedem Alter und in allen Kreisen der Gesellschaft ist die Wurzel alles Verkehrs das Vertrauen von Mensch zu Mensch, und in einer Unternehmung, wie die, womit wir beschäftigt sind, ist ebenfalls das Vertrauen von Mensch zu Mensch unerläßlich.«

Nach dieser Rede, worin sich Sittlichkeit, Spitzbüberei und gesunder Menschenverstand bei jedem Atemzuge gemischt hatten, öffnete er den Beutel, den er auf den Tisch gelegt hatte. Die Tugend hat einen langen Arm und klopft gelegentlich auch einmal einen Spitzbuben auf die Schulter.

Nachdem der Beutel geöffnet und sein knisternder Inhalt von neuen Banknoten unter die beiden Abenteurer verteilt worden war, deren Aufgabe es sein sollte, sie umzusetzen, klingelte der Oberst nach dem Abendessen. Natürlich und der Sachlage entsprechend war das Mahl so gut, als es der Gasthof nur liefern konnte, ebenso die große Flasche Champagner, die dazu aufgetragen wurde. Mr. Mortimer zog den Rock aus und machte den Salat an, während der Oberst den Wein in Eis kühlte.

»Niemand versteht einen bessern Salat zu machen als Jimmy,« sagte er.

»Allerdings,« gab Mortimer zu. »Ich bin auch etwas eitel auf meinen Salat. So etwas,« – er maß den Essig mit vorsichtiger Hand und scharfem Auge – »liegt in der Familie. Mein Urgroßvater ist der eigentliche Erfinder des Maraschinopunsches, obgleich die Erfindung irrtümlicherweise dem Prinz-Regenten zugeschrieben wird.«

»Mr. Mortimer,« warf Roß jetzt ein, »ich möchte sehr gern etwas von Ihrer Lebensgeschichte kennen lernen.«

»Ich sehe nicht ein, wozu,« antwortete Mortimer nickend. »Ich wünsche häufig, ich könnte sie vergessen. Jetzt bin ich der einfache Jimmy Mortimer, und das ist ein ebenso guter Name (um damit zum Teufel zu gehen) als irgend ein andrer. Jedenfalls habe ich den guten Geschmack, meine Angehörigen nicht durch meine Thaten bloßzustellen. Ich habe meinen alten Namen rein erhalten, und was auch kommen mag, ich werde nie versuchen, mich dahinter zu verkriechen.«

Eine reich bemessene Menge Champagner hatte selbst Mr, Roß gefühlvoll gemacht, und in Mr. Mortimers Wesen, ebenso wie in seiner äußeren Erscheinung lag etwas, was seine Teilnahme erregte. Ein Spitzbube, der aus hoher gesellschaftlicher Stellung herabgesunken ist, hat für seine Spießgesellen niedrigerer Herkunft immer etwas Interessantes. Und Mr. Mortimers Mutter hatte gebackene Fische in Clerkenwell verkauft. James selbst kannte die Welt, wie nur wenige Menschen sie kennen. Als Junge hatte er sich in den Straßen umhergetrieben, er war Laufbursche, Kammerdiener eines unverheirateten Millionärs, Haushofmeister ohne Livree in drei vornehmen Familien gewesen, er hatte viel gelesen, einige fremde Sprachen erlernt und verfügte über ein so gewandtes Benehmen und eine so feine Redeweise als nur irgend ein Herr im Adelskalender. Seine Mutter, die dereinst sehr hübsch gewesen war und als ehrbares Mädchen in einer Garnisonstadt gelebt hatte, hatte ihm immer gesagt, sein Vater sei von Adel. Diese Familienlegende lag in James' Blut, und er glaubte, seine Abstammung verrate sich in seinen Händen, seinen Füßen, seiner Haltung, seiner Stimme wie in seiner ungewöhnlichen Gewandtheit, sich jeder möglichen kostspieligen Lebensweise anzupassen, eine Gewandtheit, die ihn zum Schurken gemacht hatte.

Die drei Spitzbuben tranken noch eine Flasche, diesmal eine kleine, denn selbst bei einer solchen Gelegenheit war Mr. Roß zur Vorsicht geneigt, und dann wurde Mr. Mortimer empfindsam.

»Seht euch dies mal an, ihr Herren!« rief er, indem er seine schön geformte Hand ausstreckte. »Sie ist in einem viehischen Zustande. Sieben Wochen sind vergangen, seit ich meine Nägel habe behandeln lassen, aber morgen werde ich zu einem Handdoktor gehen.«

»Lassen Sie mal sehen, Mann,« sprach Roß. »Was für eine schöne Hand Sie haben! Gerade wie eine Damenhand.«

»Die ist angeerbt,« erwiderte James. »Sie können sie auf allen unsern Familiengemälden sehen.«

»Gewiß, gewiß,« antwortete Mr. Roß, »daran zweifle ich nicht.«

Und er zweifelte wirklich nicht, trotzdem daß er Schotte und in politischer Hinsicht ein wütender Radikaler und durch und durch mißtrauisch war, aber er glaubte an James' vornehme Herkunft. Das that auch der Oberst Varndyke, und als Mr. Mortimer eins der schönen Schlösser seiner Vorfahren beschrieb – eins der drei, wo er als Haushofmeister ohne Livree gedient hatte – seine Gärten, seine Hundezwinger, seine Pferdeställe, seine Türme und Hallen, waren die beiden Zuhörer halb trunken darüber.

»Um eins beneide ich meine Familie,« sprach James, »und das ist ein echter Paul Veronese in der langen Galerie. Mein Vater hat mir immer versprochen, daß ich das Bild haben sollte. Es stellt – doch nein, ich will lieber nicht mehr davon sprechen. Also morgen reise ich nach Paris ab und fange am folgenden Tage an? Gut, dann will ich jetzt gehen.«

Nachdem er seinen beiden Gefährten die Hände gedrückt hatte, entfernte er sich ziemlich traurig und niedergeschlagen durch die Erinnerungen an seine Jugend und ihren Gegensatz zu den gegenwärtigen häßlichen Tagen eines ehrlosen Abenteurerlebens. Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, schüttelte der Oberst sein nicht mehr ganz klares Haupt über ihn und meinte, daß vornehmes Blut doch viel für einen Menschen bedeute, und daß er es achten müsse, wo es ihm begegne, und daß es bei keinem Menschen deutlicher zu sehen sei als beim alten Jimmy.


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