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In der Straße de Cherche midi hatte im glänzend erleuchteten Hause das Maskenfest bereits seinen Anfang genommen. Zahllose Wagen rollten herbei durch die schöne helle Winternacht, welche mit dem Mondenschein, den sie in phantastischem Colorit auf den Gassen und Häusern spielen ließ, sich ebenfalls ihre abenteuerlichen Carnevalsgestalten draußen malte. Bald hatten sich die funkelnden Säle drinnen mit den wunderbarsten Gästen aller Art angefüllt, und die Bewohner der entgegengesetztesten Zonen, in jeder Völkertracht sich mischend, die närrischen Ausgeburten des verwegensten Witzes und die kecksten Copien zeitgemäßer Figuren aus der Geschichte des Tages, Götter und Menschen, Geister und Thiere, Könige und Seiltänzer, der Papst und die Stumme von Portici » La muette de Portici« (Die Stumme von Portici, 1828), große historische Oper in fünf Akten von Daniel-François-Esprit Auber (1782-1881). als seine Gemahlin, Diebitsch Hans Karl von Diebitsch-Sabalkanski (1785-1831), Feldmarschall der russischen Armee. und das schweizer Milchmädchen Anspielung auf die fiktive Figur der Mimili in H. Claurens (eigentlich Carl Heun, 1771-1854) gleichnamiger, berühmter Trivialerzählung (1816)., sahen sich hier, in allen Farben schillernd, in allen Zungen redend, mit wechselseitigem Erstaunen und Verspotten neben einander.

Die Musik begann, fast zu feierlich, in dunkeln, schwer gehaltenen Tönen, um zuerst die verwirrte, gespensterhafte Lust des Maskenabends, die gleich einer seltsamen und noch unaufgeschlossenen Blume bang in sich ruhte, durch ihre Weise anzudeuten. Dann spielte sie sich aus diesem ahnungsreichen Chaos der Ouvertüre allmählig in ein schmeichelndes, von süßen Violinen getragenes Adagio über, das die rege werdende Sehnsucht der Masken, sich in wahlverwandten Paaren zu sondern und zusammenzufinden und im zärtlichen Tanz ineinander zu schlingen, anlocken und ausdrücken sollte, bis endlich ein plötzlich hindurchschmetternder Paukenhall, der im ganzen Saal wiederdröhnte, den jubelnden Augenblick verkündete, wo die so lange zurückgehaltene Lust sich rauschend entfesselte und der Ball im schwärmenden Enthusiasmus seiner Bewegungen sich zu eröffnen begann. Nun wandte sich die Musik zu schnellen, aber regelmäßigen Takten fort und ließ die schwebende Grazie der Tanzmelodie durch die Maskenreihen hinschreiten, die ihrerseits in dem wildesten und ergötzlichsten Contrast ihrer Gestalten doch jetzt eine augenblickliche Harmonie als ihren Meister über sich erkannten. –

Drei Gestalten sah man seit einiger Zeit im Hintergrunde des Saales mit feierlichen und vielbedeutenden Geberden umherschweben, die so auffallend waren, daß sie bald die Augen aller übrigen Masken auf sich gezogen hatten, und auch die Tanzenden, in plötzlicher Laune ihren Reigen wieder unterbrechend, eilten zu der wunderbaren Gruppe, um die man sich jetzt allgemein herzudrängte. Es waren die drei Parzen, genau im griechischen Costüm mit allen Symbolen ihrer Götterwürde sich darstellend und einen aus Golddrath gesponnenen Schicksalsfaden gemeinsam in ihren Händen führend. Dies Maskenkleeblatt, von denen die eine die mystische Spindel trug, während die andre den Faden darum zu wickeln beschäftigt war, die dritte aber mit der drohenden Scheere bewaffnet erschien, hielt sich eine Zeit lang ernst und stumm bei einander, um so langsam und mit gemessenen Schritten die Runde durch den Saal zu machen. Doch das Gedränge um sie her wurde immer größer, von allen Seiten hielt man sie lachend, spottend und fragend an, und so sahen sich die Verhängnißvollen bald in ihrer Schicksalswanderung so gehemmt, daß sie nicht mehr weiterzuschreiten vermochten. Da erbot sich endlich eine glänzend gekleidete Türkenmaske, indem sie der einen Parze, welche sich durch ihre selbst aus der phantastischen Verhüllung herauszuerkennende schöne Gestalt auszeichnete, den Arm reichte, dazu, daß sie die Schicksalsschwestern, die sich jetzt in ihrem eignen Verhängniß verstrickt sahen, aus dem Gedränge befreien und ihnen vermittelst des scharfen türkischen Säbels Raum verschaffen wolle, wenn sie ihr dafür zum Lohne ihr künftiges Schicksal prophezeien würden. Die erhabene Parze streckte darauf weissagend den Arm aus und rief pathetisch:

»Dein Schicksal, o Türke! wird das sein, nie ein Schicksal zu haben, sondern ein langweiliger Muselmann zu sein und zu bleiben! Unser Führer sollst Du aber auch nicht werden, denn wir Parzen sind ja Griechen und hassen die Janitscharenmusik Deiner türkischen Zunge und den Opiumduft Deiner gleißnerischen Geberden! Zurück also, unsern Weg werden wir selbst uns bereiten, denn das Schicksal schwebt mit Geistestritten durch das Gedränge der Sterblichen und sucht, wen es treffe!«

Bei diesen Worten schleuderte sie ihre Spindel, welche sie in der Hand trug, einige Male im Kreise um sich herum, und um nicht von dem Schicksalswerkzeuge getroffen zu werden, wich man für einen Augenblick zurück und ließ den Göttinnen freieren Spielraum, während Andere den abgefertigten Türken lachend umringten und ihm durch neue Angriffe auf seine Nationalität das Leben sauer machten. Indeß war der Friede, den sich unsere Parzen errungen, nur von kurzer Dauer gewesen. Ein lustiger Policinell, der als Pavian herangetanzt kam, und einen so langen Schweif trug, daß er ihn, nachdem er sich denselben mehrere Male um den Leib geschlungen, noch als Balancirstab gebrauchen konnte, hatte durch eine geschickte Wendung die gegen ihn geschleuderte Spindel der Parze mit seinem eignen Schweif zu umwinden und gewissermaßen zu entern gewußt, wodurch er das verhängnißvolle Rad zum Stillstand brachte und selbst wieder in die unmittelbare Nähe der interessanten Masken zu gelangen vermochte. Jetzt wurden sie immer enger umringt und die eine schöne Parze, welche zuvor dem Türken mit einer so treffenden Prophezeiung gedient, sollte nun von allen Seiten her die Fragen um zukünftiges Schicksal durch ihre einmal erprobte Weissagungskraft beantworten. Sie wußte Jedem Etwas zu sagen, das nicht selten sehr beißend und fast immer sinnreich war, und hiedurch erhöhte sich der allgemeine Jubel so sehr, daß man endlich die prophetische Würde der Göttin ganz wieder vergaß und sie im ausgelassenen Scherz mit Gewalt von ihren übrigen Schicksalsschwestern trennte, um die Liebenswürdige nach dem andern Theile des Saals zum Tanze mit sich fortzuziehn. –

»Guten Abend, lieber Dey, Du schleichst ja so schwermüthig Deines Weges!« sagte ein flatternder Zeitgeist, der als Ballettmeister das ganze Fest zu leiten schien, zu einer andern Maske, die eben als Dey von Algier in den Saal getreten war. »Sei gutes Muths und laß Dir ein Contretänzchen hier gefallen!« – Er umarmte den Dey stürmisch, und dieser erwiederte kleinlaut: »Mit mir ist nichts mehr anzufangen, guter Zeitgeist! Ich bin ein gestürzter Prinz, und habe mir auf dem weiten Weg von Algier bis hieher Leichdorn in die Füße gelaufen, so daß ich nicht mehr tanzen kann!«

Der Zeitgeist aber schob ihn ohne Weiteres in die Reihen der buntgemischten Tänzer, aus denen sich der melancholische Dey doch bald wieder entfernte, um unter die umherstehenden Zuschauer des Tanzes zurückzutreten. Man bewunderte, ihn aufziehend, seine charaktergerechte Haltung, mit der er, ganz seinem allbekannten Unglück gemäß, auch auf der Redoute sich treu zu bleiben wisse, ohne seinem Leid Etwas zu vergeben, worauf die seltsame Maske nur mit einem so ungeheuern Seufzer antwortete, daß alle Umstehenden vor diesem schauerlichen Ton, der recht aus voller Seele ausgestoßen wurde, komisch davonrannten. Der Dey aber blieb unbeweglich stehn und richtete seine Blicke besonders auf die heut Abend allbeliebte Parze mit der Spindel, welche nicht weit von ihm unter den fröhlichen Paaren der Tänzer gesehen ward, und von der er in gedankenvollem Hinstarren kein Auge mehr verwandte, nachdem er sie erkannt zu haben glaubte.

Die in Betracht gezogene Parze fand jetzt, vom Gedränge der Tanzlustigen ein wenig befreit, für einen Augenblick Gelegenheit, sich nach der verlassenen Gesellschaft der übrigen Göttinnen wieder umzusehen. Sie hatte die Parze mit der Scheere auch bald im Saal ausgespäht, die auf ihren Wink langsam herbeikam und so verdrießlich schien, als wolle sie sich sogleich der ihr gegebenen Gewalt der Scheere bedienen, um den magischen Zauberfaden der ganzen Redoutenlust auf Einmal zu zerschneiden. »Ich muß Euch Etwas zeigen, trauter Marquis!« sagte die schöne muthwillige Parze zu der herangekommenen. »Seht einmal, soll die traurig-lächerliche Figur dort, die wie angewurzelt an der einen Stelle steht, nicht den leibhaftigen Dey von Algier vorstellen? Erinnert Ihr Euch wohl, daß ich Euch vorlängst sagte, ich würde mir noch den Dey heirathen? Nun habt Ihr gegründete Ursach, wieder einmal recht eifersüchtig zu werden, denn wahrscheinlich ist er heut auf den Ball gekommen, um mich beim Wort zu nehmen! Aber schaut! da findet sich ja auch die dritte Parze endlich herzu, um unsere Schicksalsgruppe wieder vollständig zu machen!«

Dubois trat aus dem Gemisch der Masken hervor und suchte als dritte Parze den goldenen Schicksalsfaden, der ihm anvertraut worden, wieder an der verhängnißvollen Spindel Madelons anzuknüpfen. »Ach, mein romantischer Freund!« sagte Madelon, indem sie ihm mit verstohlener Zärtlichkeit die Hand drückte. »Als ein so leicht zerreißbarer Goldfaden erscheint das Schicksal, das uns aneinanderknüpft?« – »Es hängt nur von Dir ab, Göttin!« entgegnete Dubois, ihr schnell die Hand küssend – »ob Du auf Deiner Spindel einen dauernderen Faden weben willst, der unser Schicksal aneinanderkette!« – – »Horch!« sagte Madelon, ihn unterbrechend, indem sie sich lauschend nach der Musik hinwandte – »ist das nicht ein Ballettstück von Rossini, das eben so rauschend anhebt, so hinreißend fortzieht und so wunderschön mit den lieblichsten Passagen abwechselt?« – –

Während so das schwärmende Maskenfest lärmend und jubelnd, lachend und tanzend im Saal auf und niederwogte, hielt draußen vor dem Hause plötzlich ein Reisewagen still, der mit dumpfem Rasseln über die nächtlich verödete Straße herangeeilt kam. Der Schlag ward geöffnet, eine hohe Männergestalt, unkenntlich in einen Mantel gehüllt, stieg heraus, und ihr folgte eine zweite, weibliche Gestalt, schwarz verschleiert, eine überraschende Trauererscheinung. Sie hing sich schwankend an des alten Mannes Arm, und aus der Sorgsamkeit, mit welcher er sich um sie beschäftigte, schien hervorzugehn, daß das seufzende Mädchen, dessen ganzes Wesen eine unendliche Zartheit verrieth, leidend und krank angekommen war.

So traten die späten Gäste in das festlich erleuchtete Haus, dessen ungewöhnlichen Glanz der greise Führer der Dame mit Verwunderung betrachtete. Die Musik und der rauschende Lärm, der vom Ballsaal auf den Flur herüberschallte, verkündete bald deutlicher die Freude, welche dort wohnte, aber kein Diener ließ sich noch blicken, um die Meldung der Angekommenen zu übernehmen. Alles schien sich in der Aufmerksamkeit für das Fest wie trunken verloren zu haben.

»Wir fürchteten, unser Besuch würde die Schlafenden stören, mein Kind! – und hier wacht Lust und Ergötzen die jubelnde Nacht durch!« sagte der alte Mann mit wehmüthig gebrochener Stimme zu seiner jungen Gefährtin. »Ihre Freude hat mit unserm Schmerz dies gemein, daß beide nicht schlafen können, denn auch uns trifft die Nacht heut noch wachend an und unternehmungslustig mit den Folgen unsres Unglücks beschäftigt!«

»Vater!« flüsterte das verschleierte Mädchen – »wird Madelon uns auch gern sehen, uns, die Betrübten? Ach, ich schäme mich vor ihr in meinem Leid! Vater, hätten wir doch mit unsern Schmerzen anderswohin flüchten können, als wieder nach Paris zu ihr! Aber Du hast es so gewollt, und Dein armes, krankes Kind folgt Dir in Allem gern!«

»Beunruhige Dich nicht mit ängstlichen Gedanken, meine Rosalie!« entgegnete der Vater. »Du sollst gar nicht nachdenken über irgend Etwas, und ich werde Alles statt Deiner thun, denn Du bedarfst des Friedens, und von den Anstrengungen der Reise bietet Dir hier im gastlichen Hause hoffentlich bald ein stiller Ort Schlummer und Erholung. Madelon ist wild, aber im Innersten ihrer Seele gut, sie wird Dein Leid pflegen und als ihr Schooßkind willkommen heißen, dafür kenne ich sie! Mit Deinem Leid aber sollst Du Dich vor Keinem schämen, denn die trauernde Unschuld bleibt eine heilige und strahlende Gestalt, wenn auch ein treuloser Verräther sie beschimpft und dem Hohn der Welt preisgegeben hat! Sei stille im Herrn! dies ist der Trost der gekränkten Unschuld. Den Verräther werde ich zur Verantwortung ziehen, wie ein Mann den Mann, und wie dem Ehrenmord es gebührt! Daß er hier in Paris wieder verweilt, darauf führten uns alle Spuren, denen wir nachspähten, und darum bin ich nach Paris gekommen! Du aber hast mit diesem Geschäft nichts zu thun, mein Kind! Du folgtest Deinem Vater nur, weil er sich von seinem leidenden Töchterchen nicht trennen mochte und in Coblenz Deines Aufenthaltes nicht mehr war!«

»Ach Vater, vergiß ihn, den Du suchst, und laß ihn ungefährdet weilen, wo er mag! Deine arme entehrte Tochter verdient nicht, daß Du ihretwegen die Ruhe Deines Alters opferst!« seufzte Rosalie mit unterdrücktem Weinen, aber der alte Eichen faßte wie in krampfhaftem Zorn an seinen Degen, und die greise Heldengestalt schien sich wieder wie in jüngern kampfgewohnten Jahren kräftig emporzurichten. In dieser Lage finden wir ihn und seine so schmerzlich getäuschte Rosalie an demselben Ort in Paris wieder, zu dem sie vor ungefähr einem Jahre der Urheber des jetzigen Mißgeschicks, Narciß selbst, mit dienstfertiger und einschmeichelnder Höflichkeit zuerst geführt hatte, um sich Dank und Gunst dadurch bei ihnen zu erwerben. Jetzt lag dieser damals begonnenen Bekanntschaft bereits die unheilvollste Vergangenheit im Hintergrunde, die dem Major das Glück seiner alten Tage, das ihm wieder so heiter und wolkenlos aufgegangen zu sein schien, grausam zerstört hatte. Das neue Haus in Coblenz war bereits stattlich, und nach seiner eignen Lieblingsidee aufgeführt, aus der Brandasche des alten emporgestiegen, die freundlichsten Gemächer luden zur wohnlichen Niederlassung, zum traulichen Familienheerde die Glücklichen ein, aber – wo waren die Glücklichen? Noch glaubten sie es zu sein, noch vertrauten sie der Wahrheit des gegenseitigen Lächelns, und in frohen, vielverheißenden Aussichten, in der immer fester sich schlingenden Gewohnheit des täglichen Nebeneinanderlebens wechselte ihnen Tag um Tag im kosenden Flügelschlag der Zeit, bis endlich die unerwartete Stunde herankam, welche von der verheimlichten Lüge, die sich in das Dasein ihres Glücks eingeschlichen hatte, Zeugniß ablegte. Sie fanden Narciß nicht mehr, als sie ihn suchten, der Ruf der Liebe, deren er nicht würdig gewesen, hallte ihm klagend nach, aber den Entflohenen hatte der Dämon der Unruhe unwiederbringlich von der Stätte fortgetrieben, die er vor Kurzem noch für ein Paradies gehalten, das sich ihm jedoch durch den alten Fluch, der alle Täuschungen unstäter Herzen verfolgt, allmählig zu einer Wildniß entzaubert zu haben schien, in der es ihn nicht nicht mehr ließ. Darum lud das neue Haus vergeblich die Glücklichen zu sich ein, denn Alle, die friedlich in ihm wohnen sollten, sehen wir jetzt wieder in der Fremde zerstreut umherirren und sich zu keiner freundlichen Begegnung suchen. –

Der Major hatte sich indeß mit seiner in banger Erwartung an ihn geschmiegten Begleiterin die Treppe hinaufbegeben, wo ihnen jetzt ein Diener entgegenkam, der von dem heutigen Fest die Veranlassung entnommen haben mochte, sich im Stillen gütlich zu thun, denn er verrieth an sich alle Spuren eines trunkenen Zustandes und hieß den Major, den er noch zu kennen schien, mit lachendem Gesicht willkommen, indem er täppisch meinte, daß unter den Masken drinnen im Saal noch gerade ein deutscher Major gefehlt hätte, weshalb sie nur schleunigst eintreten sollten. Der Major bedeutete ihn, wie ihm daran liege, ohne Aufsehn und ohne durch seine plötzliche Ankunft die Festlichkeit des Hauses zu unterbrechen, sogleich ein entferntes Zimmer angewiesen zu erhalten und seine Meldung bis auf den morgenden Tag zu verschieben. Der Mensch that, als ob er Alles verstanden hätte, versprach die gehörigen Anstalten zu treffen und öffnete ihnen eine Seitenthür des Flures, mit dem Ersuchen, einstweilen dort einzutreten.

Eine unangemessenere Verwechselung hätte aber kaum entstehen können, als jetzt durch die Besinnungslosigkeit des Dieners. Sie folgten seiner Weisung und sahen sich plötzlich in einen dunkeln Gang versetzt, der sie jedoch, nachdem sie ihn durchschritten, aus einer zweiten Thür unvermuthet – auf den rauschenden Schauplatz des Maskensaales hinausführte. Eichen stand einen Augenblick überrascht in der Thür still und wollte sich mit seinem zitternden Kinde dann sogleich wieder zurückziehn, als er sah, an welchen Ort ihn die Laune des Zufalls verlockt hatte. Aber von einigen Masken, welche sich gerade hier an dieser Stelle herumtummelten, war die auffallende Erscheinung dieser neuen, späten Gäste bereits bemerkt worden, man glaubte einen neuen Redoutenscherz im Hinterhalte, der bis auf diesen Augenblick verspart sei und eilte herzu, indem man die Angekommenen umringte und sie unter muthwilligen Ausrufungen mitten in den Saal zog. Indeß schien doch bei näherer Betrachtung der fremden Gestalten der Irrthum der Masken plötzlich zu weichen, sie fingen an, etwas Unheimliches, das nicht in die Lust dieser Nacht gehöre, in ihrer Erscheinung zu ahnen, und so wichen sie bald zu beiden Seiten scheu und schnell wieder zurück vor dem alten ernsten Mann und seiner schwarzverschleierten Dame. Langsam und in der ganzen Würde seines feierlichen Wesens schritt der Major mit Rosalien, die wie eine hinschmachtende Blume an seinem Arme hing, wieder zu der Thür zurück, in der sie zuerst gesehen worden, während die erstaunten Masken sich zerstreuten und dumpf unter einander von Traumgespenstern der Ballnacht flüsterten.

Im andern belebteren Theile des Saales war dieser Vorgang jedoch kaum bemerkt worden, am allerwenigsten von Madelon selbst, die in einer Fenstervertiefung eben Gelegenheit gefunden, sich mit Dubois unbemerkt in einem, wie es schien, sehr anziehenden Gespräch zu unterhalten. Aber jene lauschende Maske dort, die bisher mit verschränkten Armen unzugänglich in einer Ecke dagestanden, als Dey von Algier die Zielscheibe jedes vorübertanzenden Spötters, hat mit .steigendem Entsetzen Alles wahrgenommen und geräth jetzt zum ersten Male in dieser Nacht in die unverkennbarste Aufregung. Narciß – denn kein Anderer war es – hatte die im Saal plötzlich Erschienenen nur zu gut als Die erkannt, denen er nimmer wieder zu begegnen gehofft, und die erwachenden Schrecken des Gewissens fingen an, bei ihrem mahnenden Anblick seine ganze Natur, die bisher noch an der Gränze des Wahnsinns geschwankt hatte, zu einem gewaltsamen Ausbruch des wüthendsten Schmerzes fortzureißen.

Er rannte, wie vor den Furien davon eilend, mit hastigen Schritten an eine einsame Stelle, wo er sich von Niemandem beobachtet glaubte. Hier stand er still und schien sich noch einmal auf sich selbst besinnen zu wollen. »Zwei Rachegeister sind gekommen!« sagte er zu sich selbst – »und ich möchte ihnen gern entfliehen, wenn ich es vermöchte! Aber da ist an kein Entrinnen mehr zu denken! Hier hält mich Alles fest an diesem Orte, hier windet sich selbst die Musik, die überall im weiten Saal grollt, stöhnt, seufzt und schreit und auf mich lauert, wie ein langes Netz um mein unglückliches Haupt, so daß ich mich gefangen geben muß! Ja, wenn diese grauenhafte Musik hier nicht wäre im Saal, die mich mit ihrem lauter und lauter anwachsenden Gewittersturm so teuflisch umschwirrt, ich glaube, ich könnte wohl noch von hinnen fliehen und mich retten; aber sie umkreist mich mit ihren immer enger an mich herandrängenden Tönen, sie hält mich an sich fest, sie läßt mich nicht fort, sie muß mich wohl kennen, daß ich ein treuloser armer Sünder bin! Allmächtiger Gott! sie klingt mir im Ohr und Herzen, sie braust mir im Gehirn, sie zuckt mir wie Feuer in jeder Ader! Den alten Eichen sah ich, seine Miene drohte mir wie ein Kriegsgott, und am Arm hing ihm leidvoll sein trauerfarbener Schmetterling, stumm mich anklagend, daß ich ihm die schönen Jugendschwingen gelähmt! Was will der Kriegsgott von mir? Seiner Waffen kann ich entbehren, denn ich habe ja selbst einen Dolch, um mich zur Strafe zu ziehn!«

Er griff bei diesen Worten in den Busen, wo er das tödtliche Werkzeug verborgen, das er in den letzten Tagen, mit verzweiflungsvollen Absichten umgehend, stets mit sich herumtrug. Die funkelnde Schneide blitzte ihm entgegen; er zog den Dolch immer weiter aus den Falten des Gewandes hervor, und spielte eine Zeitlang nachsinnend mit der flachen Hand auf der Spitze desselben. Eine unheimliche Gluth sprühte aus seinen rollenden Augen, aber plötzlich schien sich ein anderer Gedanke seiner zu bemächtigen; er schob die verhängnißvolle Waffe wieder in das Gewand zurück und richtete seine Blicke mit irrem Lächeln auf die im Vordergrunde schwebenden Gruppen der Tänzer, welche sich jetzt in den eben lebhaft begonnenen Takten eines Cotillons auf und nieder bewegten.

»Sie muß ich noch einmal sehn, die Romantische, die Zauberin!« flüsterte der unselige Narciß in sich hinein, indem er mit taumelnden Schritten sich näherte. »Dort fliegt die reizende Parze in den Armen eines Glücklichen, und scheint die Erde kaum zu berühren, denn sie ist leicht und schnell, wie ein Geist, der auf Morgenwolken wandelt! O meine Madelon, wollen wir auf Morgenwolken zusammen wandeln von hinnen? Die Ballnacht hat sich müde gejauchzt, der Saal schwankt vor Schläfrigkeit, alle Instrumente klagen ein hinsterbendes Wiegenlied, und draußen hinter den Läden bricht der leichenblasse Tag schauerlich an und sendet uns seine kalten Morgenwolken, auf denen wir schleunig von hinnen müssen! Ja, Madelon, Du bist es, die ich dort schweben sehe! Deine Gestalt würde hervorglänzen auch aus der Maskentracht eines Teufels, und man wird sie noch als schön herauserkennen, wenn Du neben mir im Grabe Deine Blüthe verträumst! Ja, neben mir im Grabe heut! Bist Du nicht Die, die eigentlich meines Lebens Unglück gewesen? Ich besinne mich immer deutlicher auf Dich und Deinen Liebeszauber, mit dem Du mich einmal berauschtest und mich dann im Rausch wieder hinausstießest auf die öde Straße, wo ich mir das Herz erfrieren mußte in der dunkeln Winternacht! Du hast mich so verzaubert durch Dein Wesen, daß ich so wild wurde und umherschwärmte ohne Ruh wie ein trügender Irrstern, welcher Jeden, der an ihn glaubte, in den tödtlichen Abgrund hinunterlockt. Was an Dir Allen reizend erschien, Deine gefährliche Natur, das wurde so, wie Du es in mich verpflanzt hast, zur bösen Gewalt, die jetzt mich und Dich vernichten wird! So komm denn, große Zauberin! Habe ich doch immer an Dich gedacht, selbst wenn ich Dich haßte, und in weiter Ferne von Dir verfolgte mich oft der Gedanke, als wärest Du mir nah und ich müßte dem Blitz Deines Auges begegnen! Heut fordert Dich die Vergeltung durch mich zum letzten Tanze!« –

Die Freudestrahlende, die so ganz wieder im lebensfrohen Taumel des Festes sich erging, war eben mit ihrem Tänzer aus den Reihen zurückgetreten, als Narciß mit auffallender Hast zu ihr heranschritt, indem es den Anschein hatte, als wolle er sie um die Zusage zu einem zweiten Tanze bitten. Madelon machte eine muthwillige Geberde, als sie ihn kommen sah, und scherzte über den sympathetischen Zug, welcher den Dey von Algier, unter dessen Maske sie den Unglücklichen nicht zu ahnen vermochte, gerade zu ihr treibe; aber in dem Augenblick, wo sie die Hand gegen ihn ausstreckte, hielt auch der Wahnsinn, welcher sich Narcissens bemeistert, sein gräßliches Werk nicht länger mehr zurück. Er schwang mit einem düstern Schrei der Wuth den Dolch, und bohrte ihn tief in den Busen der Erblassenden; doch mit dämonischer Schnelligkeit hatte er, noch ehe die edelste Gestalt hingesunken war, den Stahl auch gegen sich selbst gekehrt und ihn dreimal in seine Brust getaucht, so daß er zu gleicher Zeit mit ihr zusammenstürzend auf den Boden hinglitt. Im Todeskampf riß er sich die Maske herunter und zeigte seufzend den Umstehenden sein Antlitz, auf dem sich die finster heranziehenden Schatten eines friedlosen Todes lagerten; doch indem er sich noch einmal gegen Madelon hinkehren wollte, um näher neben ihr zu ruhn, floh die letzte Lebenskraft von ihm und er sank mit einem gellenden Laut des Schmerzes in sich zusammen, sein Haupt bewegungslos an die Erde niederstreckend. Madelon aber athmete noch laut und stark wie ein sterbender Schwan, dem die entfliehende Melodie des Lebens aus der zuckenden Brust sich heraufwindet, und aus der Wunde des schneeweißen Busens, in dessen Heiligthum der mörderische Dolch gedrungen, rieselte still und zögernd der Tod in langsamen Purpurtropfen des theuersten Blutes hervor.

Erst allmählig war die Schreckenskunde von dieser That durch die festlichen Säle des Hauses hingelaufen, und die Musik hatte noch kaum durch das allgemeine Entsetzen, das die Freude der Nacht unterbrochen, zum Verstummen gebracht werden können, sondern wühlte sich noch einen Augenblick im durcheinander dröhnenden Nachhall der Instrumente wie gedämpfter Grabesgesang fort. Endlich war auch der leiseste Ton verklungen und eine athemlose Stille schien jetzt über dem Grauen des Ereignisses zu brüten, das wie ein unbegreifliches Gespenst unter Alle getreten war.

Eichen und Rosalie, die sich noch im Vorzimmer verweilt hatten, traten mit scheuer Neugierde in den Saal zurück, als sie überall von der plötzlich veränderten Scene die befremdende Nachricht flüstern hörten. Sie näherten sich ahnungsvoll der Gruppe, um die Alle versammelt standen, und erblickten endlich mit der schmerzlichsten Ueberraschung nicht nur den entflohenen Narciß, den ihre Rache gesucht hatte, in seinem Blute, sondern auch die wunderbare Freundin, welche ihrem Besuch, den sie ihr zugedacht, nun kein frohes Willkommen mehr zu sagen vermochte.

Dubois hatte seinen Arm um die Sterbende geschlungen und war bemüht, sie in einen herbeigeholten Tragsessel zu heben, um ihr auf ihrem Zimmer die mögliche Hülfe angedeihen zu lassen, zu der man bereits nach allen Seiten ausgeschickt hatte. Ueber ihr bleiches Gesicht spielte gleichwohl ein lächelnder Friede hin, und das große, beredte Auge hatte sich klar wie sonst geöffnet, um sich im Kreis der Nebenstehenden umzuschaun, unter denen sie mit Wohlgefallen die ihr Liebsten, und auch den Major und seine trauernde Tochter, zu erkennen und zu grüßen schien. Zum Theil noch mit dem phantastischen Faschingskleide angethan, lag die Dulderin da, dem Augenblick entgegenharrend, wo der Maskenschmuck der schönen Erdenhülle sich ganz von der göttlichen Natur in ihr abstreifen werde. Zu ihren Füßen am Sessel saß der arme alte Marquis, ohnmächtig im Schmerz, den er nicht lange mehr überdauern wird, und hielt noch krampfhaft die Parzenscheere umfaßt, welche ihm sein Redoutencostüm heut in die Hand gegeben. Der Lebensfaden der spielend nachgebildeten Schicksalsgruppe war durch die eindringende Macht eines höher waltenden, ernsten Schicksals zerrissen worden!

Doch still! ihr Sessel wird sanft in die Höhe gehoben und die Leidende soll fortgetragen werden nach ihrem Ruhelager. Von der Erschütterung erregt, läßt sie das Haupt plötzlich auf den Busen niedergleiten, und in demselben Augenblick erlischt der Strahl der Augen und das Athmen des Mundes vergeht. Die Träger tragen die Todte dahin. Seit dem Moment, wo sie den Dolchstich erlitten, hatte sie kein einziges Wort mehr zu ihren Freunden gesprochen, sondern nur durch den inhaltsvollen Ausdruck ihrer Augen sie angeredet, und jetzt sind diese Lippen und diese Augen, sonst dem Scherz und sinnigen Gedanken zum Tempel geweiht, mit einander auf ewig verstummt! –

Die Maskengäste, von der Lust nun das bange Grauen mit sich forttragend, hatten sich alle wehklagend zerstreut. Eichen saß nachdenkend, mit einer heißen Thräne im Greisenauge, auf der Ottomanne in einer Ecke des ganz verödeten Saals. Neben ihm seine Tochter, das jugendliche Haupt, das von so großen Schmerzen schwer geworden, weinend am Busen des Vaters bergend. »Rosalie, theures, leidvolles Kind!« sagte der alte Mann, »der Spruch, an den ich Dich zuvor erinnerte, muß uns jetzt Allen zum einzigen Trost werden: Laß uns stille sein im Herrn! Die Gestalten unsers Daseins fließen auseinander wie irre Traumbilder, aber des Traumes Wahrheit finden und beten wir an in Gott, dem Quell unsers Daseins! Das Leben wirft gespensterhafte Schatten über jede Spanne Zeit, doch zu den Schatten ist Er das Licht, der sich am Ende der Tage seiner Schatten erbarmen und sie mit seinem Licht vereinigen wird! Dann haben die gaukelnden Schatten, welche durch das Fastnachtsspiel dieser Erde hinschwärmen, aufgehört zu scheinen und zu schwärmen, und haben in Himmelsruhe ein heiliges wandelloses Sein gefunden! Laß uns fortan die verborgenste Einsamkeit aufsuchen für unser Leben und demüthig fortpilgern und stille sein im Herrn, o Du meine Trauerblume, mein hinwelkendes Mädchen!« – –

 


 


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