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Mehrere Wochen hindurch hatte sich Madelon in der abgeschiedensten Einsamkeit auf ihren Zimmern verborgen gehalten, ohne Jemand zu sehn und zu sprechen, und der Marquis Cidevant mußte seinen einzigen Lebenstrost, ihre Gesellschaft, so lange entbehren, ohne daß er sich diese Laune auch nur im mindesten an ihr zu erklären gewußt.

Endlich ließ sie ihn eines Tages wieder zu sich rufen und kam ihm schmeichelnder und freundlicher als sonst entgegen. Sie nannte ihn liebkosend ihr gutes Väterchen, wie sie immer zu thun pflegte, wenn sie eine besondere Bitte an ihn hatte, und der Marquis hätte seinem holden Töchterchen diesmal um keinen Preis Etwas abgeschlagen, da er sah, daß sie von ihrer Schwärmerei, die Einsiedlerin zu spielen, nun glücklich zurückgekommen und sie wieder wohl und munter zu sein schien, obwohl ihre Augen noch fast wie verweint aussahen.

»Ich werde verreisen, Marquis, und Ihr sollt mich begleiten!« sagte sie zu ihm und legte ihm ihre Hand vertraulich auf die Schulter.

» Mon Dieu, Madame!« rief dieser und konnte sein Erstaunen nicht stark genug betonen. »Der Winter ist vor der Thür und es ist heut schon beträchtlich kalt. Der Frost ist aber kein gutes Reisewetter für zarte Damen und einen alten Cavalier, wie ich bin. Und wo soll unsre Tour hingehn, wenn ich fragen darf?«

»Nach Deutschland, nach Coblenz, nach meiner Vaterstadt!« versetzte Madelon und sah ihn so unwiderstehlich bittend an, daß er keine Rettung für sich wußte. »Ich muß,« fuhr sie fort, »meinen deutschen Freunden und Verwandten einen Gegenbesuch abstatten, denn hier bei mir in Paris gefiel es ihnen, wie Euch bekannt ist, so wenig, daß ihre schnelle Wiederabreise fast den Anschein hatte, als wenn sie vor uns geflohen wären. Ich muß ihnen nach und den schlechten Eindruck, den Paris auf sie gemacht hat, wieder zu versöhnen suchen. Und was den Winter an, betrifft, mein theurer frostiger Marquis, so hatte ich mir längst gewünscht, um einmal etwas recht Romantisches zu erleben, eine Winterreise zu machen, und wenn Ihr Euch aus heißer Liebe zu mir entschließt, mein Gefährte zu sein, so wette ich, wird Euch nicht frieren auf unsrer romantischen Wintertour.«

» C'est à périr!« seufzte der Marquis. »Das ist keine Tour für mich, le tour romantique!« –

»Thut mir einmal den Gefallen, Väterchen, und laßt Euch erbitten!« setzte sie hinzu, und sah es schon dem weinerlich komischen Gesicht, welches der alte Herr machte, an, daß er nicht anders könne, als sich gern oder ungern wieder in ihren Willen zu fügen. Der Marquis schien sich auch wirklich bereits nach Gründen umzusehn, welche eine Reise in dieser Zeit allenfalls zu rechtfertigen vermöchten, und Madelon suchte ihm auch den gegenwärtigen gefährlichen Zustand Frankreichs, welchen der ausgebrochene Zwiespalt zwischen dem Ministerium und den Kammern herbeigeführt, so bedenklich als möglich vorzustellen, um ihm eine einstweilige Entfernung von dem unruhigen, wild, gährenden Treiben in Paris wünschenswerth zu machen. Aber diese Rücksicht hätte den alten Bourbonisten nur eher bewegen können, zu bleiben, um den Fortschritt und Erfolg der höchst bedeutenden Spannung keinen Augenblick außer Acht zu lassen, von der er, und mit ihm alle Gegner der Revolution, einen allmähligen Wiederumsturz der constitutionellen Verfassung Frankreichs erwarteten; doch ließ er sich endlich bewegen, seinem Liebling die Reisebegleitung zu versprechen, nachdem er sich durch einen Blick auf die Karte überzeugt hatte, daß die Tour von Paris nach Coblenz nicht allzuweit nach dem Norden hinführe

»Und seht Ihr, da kommt auch schon das Schuhwerk zu unsrer Wanderschaft!« sagte sie, als eben Meister Pichegrü, der Schuhmacher, hereintrat, der ein Paar wohlgefertigte, niedliche Kunstwerke für Madelons Fuß brachte. Sie probte die nach dem neuesten Modegeschmack geformten Atlas-Schuhe auf der Stelle an, und da sie dem zierlichen Fuß nach Wunsch saßen, hüpfte sie sogleich damit fort, um in den Wagen zu steigen, den sie jetzt zur Abstattung einiger Abschiedsbesuche vorfahren ließ.

»Es bleibt also dabei, lieber Marquis!« sagte sie im Weggehen und drückte ihm zum Trost noch einmal recht zärtlich die Hand. »Wir reisen spätestens morgen, denn mir ist darum zu thun, eilig an Ort und Stelle zu sein. Und verlaßt Euch nur darauf, auch im Winter scheint die Sonne und auch auf einer Winterreise kann man warm werden!« –

»Eine herrliche, göttliche Dame!« rief der Meister Pichegrü mit Enthusiasmus aus, indem er die, seine Rechnung um ein nicht Geringes übersteigende Bezahlung, welche sie ihm in die Hand gedrückt, betrachtete. »Seitdem ich für sie arbeite, bin ich kein Schuhmacher mehr, nein! ich bin ein Künstler, denn wem es zur Lebensaufgabe gestellt ist, für die Bedeckung eines solchen Fußes zu arbeiten, der muß nothwendig in den höhern Regionen der Phantasie schweben, er mag wollen oder nicht. Ja, wir Schuhmacher haben auch Phantasie, mein Herr Marquis, und wie wäre es auch möglich, für einen solchen Fuß, wie die Gnädigste hat, einen Schuh zu machen ohne Phantasie?« –

»Was hör' ich, Meister Cordonnier!« rief der Marquis lachend. »Seid Ihr auch, trotz der strengen Würde Eures Knieriemens, schwärmerisch und romantisch geworden? Doch kein Wunder, denn Ihr geht oft in's Theater, wie man mir sagt, und seid überhaupt ein Freund der Musen und des Zeitgeistes. Und seht einmal, was Ihr für ein schmachtender junger Mann seid, und wie Ihr Euch Eure Phantasielocken so ganz à la façon du genre romantique gedreht habt!« –

»Ich bitte Sie, verehrtester Herr Marquis!« entgegnete der begeisterte Schuhmacher voll hohen Eifers, – »stellen Sie sich nur diesen unbeschreiblich süßen und zarten Fuß vor, den die Gnädigste hat, und den ich Ihnen hier, in Ermangelung des Ideals selbst, an meinem Maaß wenigstens, nach der Länge und Breite hin vergegenwärtigen will. Zweifeln Sie nun noch, ob dieser schmale und schlanke Fuß, der höchstens anderthalb Zoll in der Breite haben wird, nicht ein Wunderwerk, eine Zauberei und ein Räthsel des menschlichen Verstandes ist? O was muß ich empfinden, wenn ich diesem weichen, elastischen Fuß das Maaß nehme, wo, wie ein romantischer Dichter einmal gesagt hat, jeder Zehen, der sich mit dem sanften Nägelchen in den seidenen Strumpf eindrückt, auf seiner Spitze einen Liebesgott beherbergt, der seine Pfeile an dem Nägelchen schärft und dem armen Schuhmacher das Herz damit trifft! O was muß ich empfinden, wenn ich die Schwanengelenke dieses Fußes umspanne und ihnen das Maaß nehme, o was muß ich empfinden! Und ist es denn nicht natürlich, daß ich von der Zeit an schwärmerisch und romantisch, oder wie Sie es nennen wollen, geworden bin? Ach glauben Sie mir, Herr Marquis, dieser Fuß ist nicht nur mein Glück, sondern auch mein Unglück, denn seit ich ihn kenne, träume ich Tag und Nacht nur von ihm, und alle meine andere Arbeit bleibt liegen und nur für ihn, nach seinem Maaß, möchte ich Schuh und Stiefeln machen mein Lebelang; und selbst im Schlaf läßt er mir keine Ruhe, ich träume von ihm, ich nehme ihm Maaß, ich schneide Leder für ihn zu, ich ziehe Draht die ganze Nacht, um ihm eine Sohle zu nähen, und so wache ich alle Morgen trostlos und abgemattet von der vergeblichen Arbeit, die ich mir im Traume mache, auf!«

»Seid kein Narr, Freund, und bleibt bei Eurem Leisten!« entgegnete der Marquis lachend. »Ihr Schuhmacher habt von jeher immer hoch hinaus gewollt und in dem Trachten nach etwas ganz Absonderlichem Eure andern Zunftbrüder zu überflügeln gesucht.«

»Lediglich doch wir Damenschuhmacher, mein werthester Herr Marquis!« versetzte Pichegrü mit stolzem Nachdruck. »Und das kommt eben, will ich Ihnen sagen, daher, weil wir immer schöne Füße unter den Händen haben, welche unsere Phantasie erregen und in Flammen setzen. Deshalb ist es wohl nicht zu verwundern, daß es seit Anbeginn der Welt unter uns Schuhmachern so viel phantasiereiche, dichterische und philosophische Köpfe gegeben hat.«

»Nun hört einmal,« – fuhr der Marquis fort – »da Ihr wirklich ein verschlagener Kopf seid, so will ich Euch ein Geschäft auftragen, dessen Lohn eindringlicher für Euch sein soll, als die Verfertigung Eurer Phantasiegebilde auf dem Leisten. Ihr seid ein eifriger Theatergänger, und wie Ihr vielleicht schon wißt, wird in der nächsten Woche auf der Porte St. Martin eine neue Tragödie des Herrn Dubois gegeben werden. Sie führt den Titel: Simson, und der Stoff ist wieder, wie diese Romantiker zu thun pflegen, aus dem alten Testamente gestohlen. Ich selbst verreise noch in diesen Tagen und kann daher der Vorstellung nicht beiwohnen, ich will Euch aber einige Dutzend Eintrittskarten verschaffen, und die sollt Ihr unter Eure Gesellen und sonstigen Zunft, genossen vertheilen, mit denen Ihr Euch am Abend der Vorstellung in das Theater begebt. Ihr, Meister, bildet dann gewissermaßen den Anführer der Uebrigen, und so wie Ihr nach der Euch zugetrauten Urtheilskraft eine schickliche Gelegenheit, welche das Stück darbietet, erseht, gebt Ihr Eurer Compagnie, die Ihr auf den verschiedensten Plätzen durch das ganze Theater vertheilen müßt, ein verabredetes Zeichen, und dann brecht Ihr Alle mit Händen und Füßen in einen Sturm aus und thut Eure ästhetische Meinung durch ein tosendes Ungewitter kund! Ihr begreift mich doch, Meister Pichegrü? und ich verlasse mich darauf, daß Eure Zunft sich auf das Klopfen versteht! Und wenn Ihr es geschickt betreibt, so daß das Stück allgemein durchfällt, seht hier, so ist dieser Wechsel bei meinem Agenten für Euch fällig.«

»Halten zu Gnaden, Herr Marquis!« entgegnete der Schuhmacher – »ich bin ein armer Schlucker, aber so etwas kann ich nun und nimmermehr ausführen, denn ich habe doch auch so mein Gewissen, das mich unter dem Knieriemen hält. Der Herr Dichter Dubois ist mein Freund und läßt seit Jahren bei mir arbeiten, und schon mein Vater und Großvater, die auch Schuhmacher waren, haben für seinen Herrn Vater und Großvater, die auch Dichter waren, gearbeitet. Nein, das kann ich nicht, dazu habe ich nicht Charakterstärke genug, Herr Marquis! Und außerdem lebe ich zu eingezogen und habe zu wenig Bekanntschaften und Umgang in meinem Gewerk, so daß ich nicht einmal so viel Leute zusammenbringen würde, als für Ihren Plan nöthig sind. Meine einzige Freude auf dieser Welt habe ich daran, für den schönen Fuß der Madame Larosette Schuhe zu machen, und dann, wenn mein Geschäft auf ehrliche Weise so viel Sous abwirft, einmal harmlos in's Theater zu gehn, wo ich mich bloß vergnügen will, aber mich nicht unterstehe, mit Händen und Füßen eine ästhetische Meinung kund zu thun. Es geht also nicht, gnädigster Herr Marquis, und ich bitte, es mich nicht entgelten zu lassen. Mon Dieu, ich kann auch nicht umhin, den Herrn Romantikern gut zu sein, denn ihre Sachen dünken mich gar zu liebenswürdig!«

Damit empfahl sich der redliche Meister Pichegrü und verließ den erzürnten Marquis, der darauf dachte, wie er noch vor seiner Abreise den gefaßten Racheplan an Dubois durch anderweitige Hülfe ausführen könne.



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