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Der Tag des verabredeten Festes war herangekommen und sowohl die glänzenden Zubereitungen, welche getroffen worden, als die ausgesuchteste Gesellschaft, die ihr Erscheinen auf demselben verheißen, ließen etwas Außerordentliches davon erwarten. Um die Dämmerstunde saß Madelon allein in ihrem Zimmer, und durch den herandunkelnden Abend in der Lectüre eines Buches unterbrochen, lehnte sie das Haupt sinnend gegen das Polster des Sopha's, um die Bilder, mit welchen das Buch sie erfüllt zu haben schien, träumerisch in sich verklingen zu lassen, denn es war noch zu früh, um schon an das Ankleiden zum Ball zu denken. Da trat ein Diener herein und überbrachte ihr ein Billet, das so eben von einem Unbekannten an den Thürsteher unten abgegeben worden sei.

Madelon eilte damit gegen das Fenster, um noch das Dämmerlicht zur Lesung desselben zu benutzen. Sie fühlte sich von dem Inhalt nicht weniger als von der Unterschrift des Briefes überrascht, denn er kam von der alten Mutter des uns wohlbekannten Narciß, welche in Paris einsam und verlassen zurückgeblieben war, und seit der plötzlichen Auswanderung ihres Sohnes nach Deutschland nur ein einziges Mal ein Schreiben von ihm erhalten hatte, worin er ihr seine bevorstehende Verbindung mit einem deutschen Mädchen und seinen Entschluß, nie wieder nach Paris zurückkehren zu wollen, gemeldet. Jetzt war sie sehr trank geworden und fühlte sich ihrem Ende nicht mehr fern, als sie von Neuem die Sehnsucht überschlich, von dem Schicksal ihres nur stets zu zärtlich von ihr gepflegten Lieblings, nach dem sie in der Hülflosigkeit ihres Alters schmachtete, einige nähere Kunde zu vernehmen. Die arme Frau hatte kein anderes Auskunftsmittel in ihrer Lage gewußt, als an Madelon zu schreiben, von deren vermeintlicher Verwandtschaft mit dem deutschen Major und ihrem kürzlichen Aufenthalt in Coblenz selbst sie Etwas erfahren haben mußte. Obwohl sie früher nie mit Madelon in Verbindung gestanden, so wagte sie doch jetzt, mit Berufung auf die Menschenliebe der schönen Frau, die ihr schwer abzuschlagende Bitte, die trostlose Kranke durch einen Besuch aufzurichten und ihr Das zu erzählen, was ihr durch Briefwechsel aus Coblenz von den jetzigen Lebensverhältnissen ihres Narciß vielleicht bekannt geworden sein dürfte, und was der flatterhafte Sohn nach seiner Weise selbst gegen die Mutter nur einer flüchtig abgemachten Erwähnung für werth gehalten hatte. –

»O Gott! Kommt diese melancholische Vergangenheit doch immer wieder herauf in die Erinnerung!« sagte Madelon zu sich selbst mit banger, ahnungsvoller Stimme. »Heut ist ja Redoute bei mir, und ich fühle mich plötzlich so beklommen, als könnte ich fürchten, diese schwarzen Bilder der Ferne, die ich nun längst verträumt zu haben glaubte, heut Abend wirklich als Maskengäste bei mir erscheinen zu sehn! Doch es sei, ich will die gute Frau wenigstens noch auf einen Augenblick besuchen!«

Sie befahl, den Wagen anspannen zu lassen. Das Haus, in dem Narcissens Mutter wohnte, war etwas entlegen, und Madelon langte gerade bei der Kranken an, als das kleine, von Essenzen stark duftende Zimmer, sich mit Licht zu erhellen anfing. Die Wärterin führte sie an das Bett der Frau Louison, welche sich mit Anstrengung gegen die Angekommene aufzurichten bemühte. Ein brechendes, mitleidflehendes Auge begegnete den Blicken Madelons, und aus dem vom Alter schwer bezeichneten Antlitz sprachen Schmerz und Krankheit, obwohl in den ehrwürdigen Zügen die durchscheinende Spur einer ehemaligen großen Schönheit nicht vertilgt war. Die äußere Umgebung ihres Hauswesens zeugte von dem Wohlstande, den Madelon wohl sonst an Narcissens Familie hatte rühmen hören, und der Hintergrund des Zimmers gewährte die Aussicht in eine geräumige Halle, deren Eingang mir mit einer halb zugezogenen Gardine verdeckt war. Diese schien die ehemalige Bildhauerwerkstatt des Sohnes gewesen zu sein, die noch so, wie er sie verlassen, mit dem alten Kunstgeräth, mit angehauenen Marmorblöcken und unvollendet gebliebenen Statuen, auf die Rückkehr ihres früheren Bewohners harrte, und die liebende Mutter hatte seitdem ihren täglichen Aufenthalt in dieser Nähe genommen, um sich so stets mit dem Andenken des schmerzlich Vermißten beschäftigen zu können.

Madelon war freundlich und theilnehmend zu ihr getreten und hielt die kalte zitternde Hand in der ihrigen warmen. Sie wußte ihr freilich nur wenig zu erzählen von Dem, was ihr so sehr am Herzen lag, aber schon ein liebreiches Zwiegespräch, das die Kranke lange entbehrt haben mochte, schien ihr wohlzuthun und ihr wieder eine tröstliche Stunde zu bereiten. Nach dem Brief, den Madelon bereits vor mehreren Wochen aus Coblenz von dem Major Eichen erhalten, war die Hochzeitsfeier des jungen Paares auch schon auf einen bestimmten Tag festgesetzt, welches eine ganz nahe liegende Frist war, die, wenn sich Madelon recht erinnerte, in dieser Woche entweder abgelaufen sein mußte oder eben noch bevorstände. »Narciß und Röschen,« hatte der Major geschrieben, »schienen miteinander zufrieden und glücklich zu sein, und er hoffe, daß es dem Letztern immer mehr gelingen werde, in seinem neuen deutschen Vaterlande sich der pariser Sitten zu entwöhnen.« Diese Stelle seines Briefes enthielt einen etwas dunkeln und unverständlichen Ausdruck, und Madelon, die über das ganze Verhältniß nicht gern Betrachtungen anstellte, hatte am wenigsten in sich Beruf gefühlt, dem weiter nachzudenken.

»Ach, der undankbare Sohn!« seufzte die kranke Frau und faltete die Hände. »Seiner armen Mutter, die nur ihn hat und denkt, vergißt er in seinem Glück und zeigt ihr nicht einmal den Tag seiner Freude an! Ja er hat wohl nie von mir gesprochen, als lebe ihm noch daheim eine Mutter, denn wie wäre es sonst möglich, daß so ganz und gar Niemand meiner gedacht hätte! Ach, das ist die Eitelkeit der alten und kranken Leute, daß sie nicht vergessen sein mögen von den Jungen und Glücklichen, sondern daß sie in ihren Lieben selbst wieder jung und glücklich zu werden denken! So, als ich mit meinem verstorbenen Mann den schönen Tag feierte, wie hatte unsere gute Mutter da fehlen dürfen! Sie war bei uns wie der Segen des Herrn, und gab dem Bund ihrer Kinder die fromme Weihe! O längst entschwundene Zeit meiner frohen Tage! An ihr zehrt doch noch immer mein Herz, obwohl es der Sterbestunde entgegenschlägt!«

Sie weinte still in sich hinein, und Madelon, die nie Thränen sehen konnte, ohne ihr helles Auge selbst dann getrübt zu fühlen, verhüllte ihr Gesicht mit dem Schnupftuch, um die aufgeregte Empfindung heimlich vorübergehen zu lassen. Da wurde die eingetretene Stille, während welcher jede der Frauen ihren innersten Gefühlen nachhing, plötzlich durch ein leises Klopfen an der Thür unterbrochen, das sich, da man es in der Ueberraschung unbeantwortet ließ, obwohl nur schüchtern, wiederholte.

Endlich öffnete sich die Thür und eine männliche Gestalt von mittlerer Größe trat langsam ein. Der schwache Dämmerschein des Nachtlichtes verhinderte anfangs, sie deutlicher zu betrachten, aber als sie, stumm und mit schwankendem Tritt, sich der Mitte des Zimmers näherte, konnte Madelon, die den Eingetretenen zu erkennen glaubte, ihre Ueberraschung nicht zurückhalten, die sich durch einen unwillkührlichen Ausruf verrieth. Sie trat, wie von einer Schreckenserscheinung getrieben, plötzlich hinter die Vorhänge, welche sich am Eingang zur Halle befanden, um noch einen Augenblick dort verborgen zu bleiben.

Der Angekommene aber, der sie nicht bemerkt zu haben schien, ging unverweilt auf das Bett der Kranken zu, ergriff die Hand der erstaunten Frau, welche ihn sprachlos gewähren ließ, bedeckte sie mit einem langen Kuß, und warf sich dann, wie erschöpft, auf den Stuhl nieder, der vor dem Bette stand, indem er sein Gesicht mit einem weinenden Seufzer in den Händen verbarg.

Niemand wagte das erste Wort zu sprechen. Jeder schien sich auf den Andern zu besinnen. Da erhob er sich wieder, wandte sich zu der Kranken, sie länger ansehend und ihr sein Antlitz zeigend, und sagte mit gedämpfter Stimme: »Guten Abend, Mutter! Kennst Du mich nicht mehr?«

» Narciß!?« antwortete sie halb bestürzt, halb freudig. »Mein Narciß! Mein Sohn! Bist Du es, und woher kommst Du, zu solcher Stunde und so überraschend?« – Sie streckte die Arme nach ihm aus, und fuhr fort zu fragen, wie es ihm ergangen; sie schien ihre letzten Lebenskräfte aufzubieten, um den Wiedergefundenen mit aller Zärtlichkeit der Mutter willkommen zu heißen; sie forschte, was seine so unerwartete Rückkehr veranlaßt, ob er allein oder mit der Geliebten und deren Vater wiedergekommen, ob er glücklich oder unglücklich sei. Sie setzte hinzu, daß er noch zur rechten Zeit eingetroffen, um ihr die Augen zum letzten Schlummer zuzudrücken; aber Vorwürfe hatte sie nicht für ihn, da sie ihn nun wiedersah.

»Ich komme allein!« antwortete Narciß. »In solchem Aufzug, in dem ich wiederkomme, pflegt man nicht zu reisen, wenn man eine Geliebte und deren Vater zu Gefährten hat!« fügte er in einem Tone hinzu, der sich auf eine schmerzliche Weise zur Lustigkeit zu zwingen schien, indem er dabei auf seine abgerissene Kleidung deutete, die in dem auffallendsten Contrast mit seiner sonstigen Gewohnheit stand.

»Mutter!« fuhr er fort, »frage mich nicht, wo und wie und warum! Vielleicht kommt bald eine gute Stunde, wo ich Dir den ganzen Hergang ausführlicher melden kann! Genug, ich bin einmal wieder hier in Paris, und Du kennst ja meine alte Art und Weise zu sein und zu leben. Du kennst ja Deinen wankelmüthigen, unstät umherschwärmenden Sohn, den selbst die Liebe eines Engels nicht an den Himmel zu fesseln vermögen würde! Ja, Mutter, ich war wie an den Himmel gefesselt durch die Liebe eines Engels, und ich Narr wähnte, meine wilde unbeständige Natur in mir überwunden zu haben, ich wähnte, daß ich nun ein reines wandelloses Lebensglück würde ertragen, daß ich würde ausdauern können bei der stillen Friedensandacht des Himmels und bei meinem Engel! Ach Mutter, Mutter! wärest Du doch streng und grausam gegen mich gewesen, als ich ein Kind war, und hättest den unruhigen Geist in mir gezüchtigt – vielleicht stände es jetzt besser um mich, und ich wäre nicht so, wie heut, wieder vor Dich hingetreten!«

»Mein Sohn! Mein Sohn!« seufzte die Mutter. »Segnest Du so meine Liebe zu Dir? O schone die sterbende Mutter, wie ich den irrenden Sohn immer geschont habe!«

»Aber es ist nicht zu läugnen,« – fuhr er mit bitter lächelnder Miene fort, ohne auf ihre Worte gehört zu haben, – »es ist nicht zu läugnen, daß es auch im Himmel eine gewisse Langeweile giebt, wenigstens in dem Himmel auf Erden, in dem ich mich als Einer der Seligen anzusiedeln gedachte! Mein Engel, von dem ich sprach, – nun, es war ein guter Engel, ein gutes, liebes Mädchen, das nur etwas zu schweigsam und einfach für einen Franzosen war! Mein Gott, vive la France! – Ich liebte das gute, deutsche Mädchen, ja, und ich hatte an ihrer Seite auch ein guter deutscher Mensch werden wollen, aber auf dem Schnellwagen, auf dem ich der Ruhe und dem Frieden entgegeneilte, war allmählig als blinder Passagier auch die Langeweile mit uns gefahren! Ein Franzose, wie kann er anders, vor der Langenweile muß er die Flucht ergreifen, und so, Mutter, bin ich davon geflohn zwei Tage vor der Hochzeit! Das Mädchen schmerzt mich, der Vater dauert mich, und ich möchte viel darum geben, daß ich nicht so gehandelt! Viel, viel möchte ich darum geben, wenn ich in der Ruhe hätte Ruhe finden können! Aber auf mich muß Niemand vertrauen! Ich habe mir selbst nie treu bleiben können, wie sollte ich es Andern sein! Die Untreue ist meine Göttin und ich bin ihr Liebling, sie lockt mich von Ort zu Ort, von Freund zu Freund, von Genuß zu Genuß über die ganze weite Erde, und sie schmeichelt mir mit dem feenhaften Besitz einer gränzenlosen Freiheit, denn die Untreue läßt sich nicht fesseln, und sie kennt auch keine Fessel, als die der – Verzweiflung, mit der sie mich nun heimlich immer enger umwindet! Die Verzweiflung ist das einzig Dauernde, womit die Untreue treu zu bleiben vermag, und sie wühlt, o sie brennt mit der Höllengluth der Reue in meinen Eingeweiden!«

»Unglücklicher, unverbesserlicher Narciß!« stöhnte die Kranke. »Reich mir Deine Hand, ich fühle, das wird das Ende meines armen Lebens beschleunigen! O Narciß, Narciß, unbeschreiblich geliebter Sohn! Kannst Du es wiederholen, mich als die Schuldige an Deinen unseligen Verirrungen anzuklagen?«

»Laß das gut sein, Mutter!« antwortete Narciß, ihre Hand schnell drückend und wieder von sich lassend. »Es war nicht so von mir gemeint! Ich bin nun einmal wie ich bin, und wer will die Möglichkeit berechnen, ob aus mir ein Anderer irgendwie hätte werden können! Was habe ich denn auch eigentlich jetzt gethan? Könnte ich mit kaltem Verstand betrachten, was ich gethan, so würde es sich vielleicht als ziemlich unbedeutend und sehr natürlich ausweisen lassen, und darin besteht eben jetzt meine innere Zerknirschung, daß ich es nicht mit kaltem Verstand mir zu zergliedern vermag, was ich gethan! Was habe ich denn anders gethan, als ein langweiliges deutsches Kleinstädterleben und eine langweilig gewordene, zu simple Liebe, die nur eine künstliche Erdichtung meiner Phantasie gewesen, plötzlich wieder verlassen, ehe dadurch der lebensbewegliche Pariser ganz in mir getödtet worden? Paris ist unvergeßlich für den, der hier zu leben gewohnt war; Paris lockt den Ausgewanderten aus allen Himmelsgegenden wieder zurück zu sich, und läßt ihn in der Fremde keinen Heimatsort gewinnen; nach Paris mußte ich also wieder zurückkehren! Und hier, im lustigen Strudel der Hauptstadt, wo das Schöne und Häßliche in tollen Gruppen sich paart und die Verzweiflung an der Zerstreuung einen wohlthätigen Umgang findet, hier will ich mich wieder verbergen und im Geräusch der allgemeinen Verwirrung, in der Mitte der streitenden Parteien meine eigne verwirrte und streitende Brust sich austoben, sich ausstürmen lassen! Aber für jetzt, Mutter, vergönne mir stumme Ruh', denn ich mag und kann Dir heut nichts weiter erzählen von mir und meinem Elend!«

Bei diesen Worten streckte er sich auf einen Sessel nieder und verharrte mit abgewandtem Gesicht in einem dumpfen Schweigen. Auch die Mutter ruhte lautlos im Schmerz auf ihrem Lager.

Da trat Madelon, die ganz vergessen worden und sich ganz vergessen hatte bei der peinlich überraschenden Scene, endlich aus ihrem Hintergrunde wieder hervor. Den Augenblick wahrnehmend, schritt sie rasch und hastig auf das Bett der Kranken zu, drückte der leidenden Frau die Hand mit flüchtigem Abschied, und eilte dann, mehr fliehend als gehend, was ihrer wunderbaren Gestalt in der Leidenschaftlichkeit des Moments nur einen erhöhteren Ausdruck lieh, an Narciß vor, über aus der Thür. Draußen jagte ihr Wagen rollend fort über die Straße, dem aufgeschreckten Narciß, der ihre plötzliche Erscheinung wie bewußtlos angestarrt, alle Zweifel an der Wirklichkeit derselben benehmend.

Er war aufgesprungen, er blickte ihr lange in krampfhafter Betäubung nach, er schlug sich mit der Hand vor die Stirn, durchmaß mit wilden Schritten das Zimmer, und näherte sich dem Ort, von wo die Unerwartete so geisterähnlich herausgetreten war. Hier sah er die Halle wieder vor sich, die vorlängst seinem arbeitsamen Kunstfleiß zur Stätte gedient, und ohne zu wissen, was er wolle, ergriff er ein Licht, die alten, erinnerungsvollen Räume zu durchschreiten. »Wohnt hier jetzt die romantische Venus, die Venus des Romanticismus, unter meinem Marmor und Stein?« sagte er mit irrem Lächeln zu sich selbst, indem er die einsame Halle durchleuchtete. »Ja, hier wohnte sie einst, als ich ihre Götterglieder, die der böse Feind so schön an ihr erdacht hat, herausschlug aus dem Stein, und da es so glühende Formen galt, wurde damals der blöde Stein selbst trunken, und schmiegte sich und schwang sich wie Feuer unter meinem Meißel, voll Lust, solchen Leib zu bilden! Aber was will sie jetzt hier? Jetzt ist Alles hier wüst, öde, die Bildhauerwerkstatt mit schönen Statuen ein Kirchhof mit schönen Leichnamen!«

Er blies das Licht aus, das er in der Hand hielt. »Die Todten freuen sich an der guten, stillen, dunkeln Nacht!« sagte er mit einem Anflug von Wehmuth, und setzte sich auf einen Stein nieder, der im Wege lag. Hier saß er lange in der Finsterniß allein und in ein brütendes Nachdenken versunken, ohne sich zu regen oder durch einen Laut zu verrathen, wo er weile.

Da drang aus der Stube der Mutter ängstliches Rufen zu ihm herein, die über sein plötzliches Verschwinden unruhig geworden war. Dies brachte ihn wieder zu sich selbst und er kehrte langsam zu ihr ins Zimmer zurück. »Eine schöne Göttin hattest Du hier bei Dir versteckt, Mutter!« sagte er. »Die Göttin Madelon kenne ich, sie ist einst meine Statue gewesen und ich schlug sie mit dem Hammer so lange, bis sie zu einer Göttin geworden war! Ich weiß auch, daß sie heut Abend einen großen Maskenball giebt in ihrem Hause in der Straße de Cherche midi, und als ich durch die Stadt ging, erzählte mir das Gerücht davon, so daß ich selbst Lust bekam, mich wieder einmal als Maskengast bei ihr einzufinden! Jetzt war sie gewiß hier, um mich schon dazu einzuladen, und ich Narr, dessen Verstand zu wanken anfängt, ließ die himmlische Venus auch ohne Antwort wieder von hinnen! Aber nun muß ich auf ihre Redoute, ich muß, ich muß! und man wird ihrem ehemaligen Günstling den Zutritt nicht wehren!«

»Narciß!« flehte die Mutter. »Du sprichst irre! Beim allmächtigen Gott, wie wird mir so bange um Dich! Mein Sohn, Du bist krank, und ich Aermste, ach! ich kann Dir nicht beistehn; aber begieb Dich zur Ruhe; o folge mir und geh' heut schlafen und es wird Alles besser mit Dir werden!«

»Sei nicht bange um mich, gute Frau!« entgegnete er gedankenlos, ohne auf den Sinn ihrer Worte geachtet zu haben. »Man läßt mich gewiß ein auf den Ball, wenn ich schön maskirt komme, denn bei einer Redoute können sich leicht auch ungebetene Masken einschleichen. Und könnte ich nicht« – setzte er, sich betrachtend, mit unheimlichem Lachen hinzu – »könnte ich nicht fast als Bettler auf die Redoute gehn, da ich das Kostüm dazu schon an mir habe in meiner jämmerlich abgetragenen Kleidung? – Mutter, das habe ich Dir noch gar nicht erzählt, daß auch all mein Geld dahin ist, und ich auch nicht einen einzigen Sous mehr besitze von meinem ganzen väterlichen Erbtheil, um das mich Viele beneideten! Die Sache ist erbaulich und so höre sie denn auch, damit Du Jedes weißt von dem Schicksal Deines thörichten Narciß! Sich, ich bin eigentlich schon seit sechs Tagen wieder in Paris, aber ich schämte mich anfangs, mich vor meinen Bekannten wieder blicken zu lassen, und versteckte mich in einer armseligen Hütte in der Vorstadt, um auf eine bessere Stimmung in mir selbst zu warten, mit der ich dann lustiger, als ich für jetzt zu sein vermochte, wieder auftreten wollte in dem alten Kreise! Weiß der Himmel, wie es zugegangen, in meiner Verborgenheit mußte mich doch ein ehemaliger Gesell entdeckt haben, den ich schon sonst immer am wenigsten gemocht, weil er ein leidenschaftlicher Spieler war, und ich, wie Dir bekannt ist, das Spiel nie liebte. Dieser drang mir jetzt täglich seinen Besuch auf, er machte mir ordentlich den Hof, um mich durch seine Karten zu trösten, und aus Langerweile und um die Gedanken an mein Unglück zu betäuben, entschloß ich mich endlich, mit ihm zu spielen, obwohl ich es erst von ihm erlernen mußte. War es ein Wunder, daß ich in wenigen Tagen Alles, was ich hatte, an ihn verspielte, und dann noch meinen Wirth, bei dem ich gewohnt, durch meine besten Kleider befriedigen mußte? So bin ich denn in diesem Aufzuge vor Dir erschienen, Mutter! Hahahaha! mir ist ganz recht geschehn! Ein Unglücklicher wird leicht noch zum Narren, man setzt ihm die Schellenkappe auf seine Leiden, und Jeder, der an ihm vorübergeht, hat seinen Spaß, ihn daran zu zupfen! Darum muß ich auch heut noch mit der Schellenkappe auf die Redoute gehn! Gib mir Geld, Mutter, gib mir Geld, denn ohne Geld läßt sich nichts anfangen! Ich will gehn, mir eine Maske zu kaufen!«

»Folge nicht Deiner wilden Laune, mein Sohn!« bat ihn die Mutter. »Gott weiß, mir ahnet tief in der Seele ein großes Unheil von Deinem übermüthigen Beginnen! Du forderst das Schicksal heraus, Narciß, anstatt es zu versöhnen durch Frömmigkeit, Buße und stillen Sinn! Bleibe hier heut bei Deiner Mutter und verlaß die Kranke nicht wieder! Ach, fragst Du denn gar nichts mehr nach Deiner Mutter? Kaum bist Du gekommen, durch Dein schmerzliches Geschick die letzte Erschütterung meiner hinscheidenden Hülle bereitend, so stürmst Du wieder von dannen, und es ist Dir gleich, ob und wie ich lebe oder sterbe!«

»Du wirst nicht sterben!« erwiederte Narciß, sich bemühend, eine sanftere Stimme hören zu lassen. »Glaube mir, Mutter, ich wäre auch nicht zu Dir gekommen, sondern hätte mich lieber auf immer begraben in der Einsamkeit meiner Schande, aber durch einen unserer ehemaligen Diener, der mir zufällig in der Stadt begegnet war, erfuhr ich die Kunde von Deiner Krankheit. Dies allein trieb mich wieder zu Dir und überwog die Bedenklichkeit, mich Dir in meinem Zustande, der Dir sonst ewig verborgen geblieben wäre, zu zeigen! Weil Du krank warst, und weil der Sohn am meisten vor Allen die Mutter liebt, darum kam ich und wollte forschen, wie es in Deinen Leiden Dir geht! Doch ich fiel aus der Rolle, und habe Dir von meinen eignen zu viel vorgeklagt, die selbst so unermeßlich sind und so unheilbar!«

Er beugte sich zu ihrem Bett nieder und die Mutter drückte ihn zärtlich an sich, gerührt und wieder überzeugt von seiner Liebe, weil er gesagt, daß er nur um ihrer Krankheit willen gekommen war. So hatte ein einziges gutes Wort ihres Narciß sie von jeher zu beruhigen und zu beglücken vermocht.

Er aber fuhr mit schmeichelnder Stimme fort: »Nur heut laß mich noch einmal meiner Laune folgen! Du ahnest Unheil von einem Maskenball, und mir im Gegentheil wird allmählig lustig zu Muthe bei dem Gedanken, und ich hoffe Zerstreuung aller Sorgen von der bunten Tollheit, in die ich mich einstehlen will! Versieh mich mit Geld, Mutter, denn Du bist reich, und ich kann ja überhaupt in diesen Kleidern hier nicht bleiben!«

»Alles, was ich habe, ist Dein!« entgegnete sie widerstandslos, und verwies ihn auf die Schlüssel zum Schrank. –

Nachdem er sich derselben bedient, schickte er sich an, zu gehn und verhieß der Mutter beim Abschied, gewiß bald wiederzukommen. »Ganz erheitert sollst Du mich wiedersehn!« sagte er. »Ich werfe mich geschwind in die Maske des Deys von Algier, die ich bei einem Dominoverleiher hier in der Nähe ausstehen sah, tummele mich ein wenig herum und tanze einmal unerkannter Weise mit der romantischen Madelon, und dann – und dann komme ich nach Haus und wohne wieder auf dem Kirchhof drinnen, wo meine schönen Statuen mir winken, und grabe mein lachendes Gesicht mit meinem Meißel in einen Leichenstein!« –

Er eilte wild aus der Thür, und die Mutter weinte heimliche Thränen auf ihrem Lager. –



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