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Am andern Morgen begegneten sich der junge Bildhauer Narciß und sein Freund, der Theaterdichter Dubois, schon früh auf der Straße, und Letzterer fing sogleich an, von der gestrigen Aufführung des Don Juan zu erzählen, von der er sowohl hinsichtlich der Musik als der darstellenden Künstler mit vieler Begeisterung sprach, indem er den Freund bedauerte, der diesen seltenen Genuß gestern versäumt hatte.

Narciß antwortete nur zerstreut und einsylbig und schien überhaupt eine besondere Herzensangelegenheit mit sich herumzutragen, die ihm in seiner Werkstatt beim Meißel und kalten Marmor heut keine Ruh gelassen und ihn früher, als er sonst wohl gewohnt war, von der Arbeit hinweggetrieben hatte.

Unbemerkt schlugen Beide denselben Weg ein, ohne sich über das Ziel ihres Spazierganges zu äußern, und Dubois wurde durch die Schweigsamkeit seines Gefährten über den Gegenstand der Unterhaltung, die er auf eigene Kosten zu führen hatte, nur noch erhitzter, denn er glaubte, der Andere sei deshalb so still, weil er mit seinen Ansichten und Meinungen wieder nichts zu thun haben wolle. Dubois behauptete nämlich, daß Mozarts Don Juan eine romantische Tragödie sei, und daß die Aufführung dieser in Frankreich bisher nie vollständig gehörten Oper bedeutend grade in die gegenwärtige Zeit falle, da die Franzosen erst jetzt gestimmt sein dürften, einem solchen Musikkunstwerk im erhabensten, romantischen und phantastischen Styl Anerkennung und Eingang bei sich zu gewähren. »Nur die eine Geistererscheinung des Comthurs« – setzte er hinzu – »mit welcher Fülle von überirdischen Tönen ist sie ausgestaltet, die uns wie brausende Stimmen des Weltgerichts an die Grenzen des Daseins führen und die Pforten einer fernen, schauerlichen Zukunft des Lebens ahnungsvoll vor uns entriegeln. Wenn man dagegen die armen, hülfsbedürftigen Gespenster betrachtet, die in unserm Voltaire als sogenannte Geister erscheinen! Mein Gott, das sind wirklich steinerne unbeseelte Gäste, denen zu einer Geistererscheinung nichts als der Geist fehlt; aber dieser steinerne Gast Mozarts, das ist ein geistreicher Geist, aus dessen Athemzügen die Geheimnisse einer unsichtbaren Welt uns anhauchen!« –

Unterdeß waren die beiden Freunde vor einem Hause angelangt, das ihnen selbst unbewußt ihr gemeinsames Ziel zu sein schien, und vor demselben stillstehend, sahen sie sich lächelnd an, denn sie befanden sich vor dem Hause der schönen Madelon.

»Höre 'mal, Freund!« sagte Dubois und klopfte dem etwas verlegen aussehenden Narciß auf die Schulter, »Du führst mir heut ganz Absonderliches im Schilde, und wenn Du nicht grade so eine Miene machst, wie ein in Ach und Weh aufgelöster Heirathscandidat, der eben eine Bittschrift feierlichst zu überreichen im Begriff sieht, so will ich mich nicht auf Gesichterkunde verstehn!« –

»Ihr Poeten habt das mit den alten Weibern gemein, daß Ihr Euch gern in alle Herzensangelegenheiten und Geheimnisse mischen mögt, die Euch nichts angehn!« erwiederte Narciß gereizt. »Ich bitte Dich, lieber Freund, verschone mich jetzt mit allen anzüglichen Späßen, wozu ich nicht aufgelegt bin, denn ich will heut einen ernsthaften und wichtigen Lebensschritt thun, der auf immer für mich entscheidend, ewig glücklich oder ewig unglücklich sein wird und muß!«

Dubois hatte seinen lustigen und sonst so leichtgesinnten Freund noch nie in einem so pathetischen Ernst gesehn, und es war ihm daher zu verzeihen, wenn derselbe jetzt einen mehr komischen Eindruck auf ihn machte und fast seine Lachlust reizte. »Erlaube mir,« – sagte er – »daß ich nicht so gleichgültig bei Deinen Herzensangelegenheiten bin, als Du es haben willst, denn sobald von der zauberischen Bewohnerin dieses Hauses, vor dem wir stehn, die Rede ist, bin ich auch mit dabei im Spiele und habe als ein Nebenbuhler, der sich freilich nicht mit Dir messen kann, wenigstens doch ein Wörtchen mitzureden. Ja, Freund, Du hattest Recht, als Du mir gestern diese wunderbare Madelon als die Göttin der romantischen Liebe schildertest, und mir wurde gestern Abend noch das Glück beschieden, im Theater in einer Loge mit ihr zu sein und während des Zwischenakts ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Man hat unsern trefflichen Victor Hugo den Attila oder besser den Napoleon des Romanticismus genannt, so wie sich der Herr von Musset durch seine »Banditen« den Beinamen des Robespierre unter den Romantikern erwarb. Mit einem ähnlichen, aber freilich etwas süßeren Tropus möcht' ich unsere Madelon die Venus des Romanticismus nennen, und dieser unsrer romantischen Venus, mein Freund, habe ich mich entschlossen, meine neueste Tragödie zu widmen, die ich in den Druck geben will, sobald sie auf der Bühne eine wiederholte Aufführung erlebt hat. Dies ist, ganz offen gestanden, die Absicht, welche mich, mit meinem Manuskript in der Tasche, hierher führt, um das Gedicht, das Einzige, was ein armer Poet, wie ich, zu bieten hat, ihr vorzulegen, und die Holde um die Erlaubniß zu bitten, daß sie sich die Zueignung der romantischen Muse gefallen lasse. Ein Mann, wie Du, der noch in jungen Jahren von seinem Alten ein so bedeutendes Vermögen ererbt hat, daß er in einem Doppelsinne für einen steinreichen Bildhauer gilt, wird freilich zur Unterstützung seiner ernsthaften Wünsche, denen er sich leichter als ein Andrer hingeben kann, auch eine mehr in die Augen fallende Morgengabe, als ein Gedicht ist, zu bringen haben.«

»Ich bitte Dich, Poet, werde nicht auf einmal so prosaisch!« entgegnete Narciß mit Eifer. »Ich glaube gar, Du denkst, ich will den phantastischen Wildfang heirathen? Wie kannst Du mir nur zutrauen, daß ich noch einen solchen dummen Streich begehn würde, nachdem ich die Schule der Liebe so ziemlich durchgemacht habe, da zu heirathen, wo ich nur verliebt zu sein, aber nicht zu lieben vermag!«

»Aber mein Gott, was willst Du denn?« fragte Dubois, fast verlegen werdend. »Doch ja, ja, nun erinnere ich mich, Du hattest ja gestern in jenem Hotel am Markt eine Entdeckung gemacht, wodurch Dir der schwierige Unterschied zwischen der klassischen und romantischen Liebe und Poesie auf ein Mal klar wurde. So sei denn kein Narr, lieber Narciß, und begieb Dich nach Deinem Hotel am Markt, um der Klassikerin Deines Herzens Deine Aufwartung zu machen, und komm mir hier nicht in mein romantisches Gehege, denn ich möchte ihr gern heut noch wenigstens die beiden ersten Acte meines Trauerspiels vorlesen, und wenn ich dazu eine ungestörte Audienz bei ihr erhalten kann, weißt Du, bin ich der glücklichste aller Trauerspieldichter! Bedenke nur, wie mager die Wirklichkeit heut zu Tage für uns arme Poeten ist und was für Unsereinen davon abhängt, von den dunkelglühenden Augen einer Madelon einen schönen, günstigen Blick zu erhalten, indem sich aus einem einzigen Blick von ihr tausend poetische Gedanken und Träume entspinnen können, woran ein Dichter wochenlang zu zehren und zu dichten hat!«

»Ich werde Dich nicht stören, denn was ich suche und zu finden hoffe, ist nicht mehr diese gefährliche Zauberin, die Dich, mein Freund, wie ich merke, jetzt so eng mit ihren dornigen Rosenbanden umflochten hat; aber mein wunderbares Geschick will, daß ich es dennoch in ihrem Hause suchen soll, was ich suche!« sagte Narciß lächelnd, dem Andern ein Räthsel aufgebend, das dieser sich nicht zu erklären im Stande war.

So gingen sie Beide ins Haus und der Dichter räusperte sich, und strich sich die romantischen Phantasielocken sorgfältig um die Stirn zurecht, indem er zugleich noch einmal nach seinem Manuscript in der Tasche fühlte; Narciß aber holte tiefer Athem und schien mit sichtbarem Herzklopfen der Entscheidung, die er heut für seine Liebe herbeiführen wollte, entgegenzugehn. Auf dem Flur begegnete ihnen der alte Marquis, der bereits in Stiefeln und Sporen, wie zum Ausreiten gerüstet, von oben herunter kam, und die beiden Freunde, die sonst eben nicht zu seinen Lieblingen gehörten, einlud, mit ihm nach dem Stall zu gehn, um seine Pferde in Augenschein zu nehmen, weil Madame Larosette noch zu sehr mit ihrer Toilette beschäftigt sei, um schon Besuche empfangen zu können, und die Fremden aus Deutschland, die heut noch später, als die geborenen Pariser selbst, in Paris aufgewacht wären, sich eben erst an das Frühstück begeben hätten.

Narciß und Dubois konnten es nicht abschlagen, ihm zu folgen, obwohl sie schon wußten, was ihnen bevorstehe, denn der alte Herr war jetzt im Begriff, auf sein Lieblingscapitel zu kommen, und ihnen von den zahlreichen und allerdings stattlichen und seltenen Bewohnern seines Marstalls die vollständigste Genealogie, nebst den merkwürdigen Schicksalen, welche einzelne Individuen darunter erlebt hatten, im ausführlichsten Memoirenton wieder einmal vorzuerzählen.

Sie ergaben sich geduldig in das Unvermeidliche, doch wurde die langweilige Parthie jetzt, wenigstens für Dubois, etwas interessanter, da der Alte sie zugleich aufforderte, das nach ihrem Geschmacke schönste Pferd für Madelon zu ihrem heutigen Morgenspazierritt, auf dem sie der Marquis gewöhnlich zu begleiten pflegte, auszuwählen. Madelon war eine geschickte und zierliche Reiterin, und sie übte diese Kunst nicht blos deshalb, weil sie sich im Amazonenkostüm so vortheilhaft ausnahm, oder weil ihre schöne Gestalt zu Rosse noch schöner wurde, sondern es war ihr gewissermaßen ein gemüthliches Bedürfniß geworden, denn nach jedem Spazierritt kehrte sie erheitert und in der lebendigsten Laune wieder zurück, so wie eine bekannte pariser Sängerin nie besser singt, als wenn sie zuvor drei oder vier Stunden lang zu Pferde herumgalloppirt ist.

Das Pferd, welches jetzt nach einstimmigem Gutachten als das würdigste befunden wurde, eine solche Reiterin zu tragen, war die schöne, kastanienbraune und zart gebaute Pompadour, die sich zugleich durch einen sanften und friedlichen Sinn auszeichnete, ein Pferd, das auch Madelon selbst gewöhnlich für sich auszuwählen pflegte, und dem der Marquis Cidevant diesen berühmten Namen aus der alten klassischen Zeit Frankreichs beigelegt hatte. Er begann jetzt eine umständliche, und, wie er sagte, ganz unparteiische Lobrede auf die vortrefflichen Eigenschaften desselben, während der Dichter es bei sich verwünschte, auf diese Weise die Zeit hinbringen zu müssen, da er gerade die Toilettenstunde seiner Dame, wo ihr alle Grazien aufwarteten, für die schicklichste Gelegenheit hielt, ihr auch mit seiner Muse aufzuwarten und sein Gedicht vorzulesen; Narcissen indeß schien eine kleine Verzögerung nicht unwillkommen zu sein, um sich zu der wichtigen Unterredung, die er sich mit dem deutschen Major und seiner geliebten Tochter erbitten wollte, noch ein wenig in Gedanken vorzubereiten.

»Alter Herr!« sagte jetzt Dubois, um sich einigermaßen an dem geschwätzigen Marquis zu rächen, indem er ihn gerade bei einer seiner Lieblingsstellen in der Erzählung unterbrach, – »wir glauben es herzlich gern, daß die schöne Pompadour ein Wesen höherer Art ist, als die übrigen Pferdenaturen, und ich bewundere Euren Witz, Marquis, denn indem Ihr der Stute diesen altklassischen Namen aus dem ancien régime gabt, habt Ihr gewiß damit eine Ironie gegen die heutigen Romantiker ausüben wollen, welche der alten Zeit ungetreu geworden sind, und deren um versöhnlichster Feind Ihr ja leider seid!«

»Was gehn mich die Blaugefütterten an, ich ignorire sie!« entgegnete der Marquis kalt und verächtlich, obwohl sich nicht verkennen ließ, daß ein plötzlicher Ingrimm in ihm aufstieg, der sich auf das Haupt des romantischen Dichters zu entladen drohte. Der alte reizbare Herr hatte die Romantiker mit einem Spitznamen genannt, der ihnen nicht selten von ihren Gegnern, der blaugefütterten Mäntel wegen, die sie als Abzeichen ihrer Schule zu tragen pflegten, spottweise beigelegt wurde, und auch Dubois, obwohl er zu den aufgeklärten Romantikern in Paris gehörte und in keiner Hinsicht ein wüthender Ultra war, hatte es aus Laune sonst wohl nicht verschmäht, diese zunftromantische Mode zu befolgen.

»Guter Marquis!« versetzte der Dichter, »Ihr thätet wohl, in Eurem Raritätencabinet ein Stückchen von dem Blaufutter eines Romantikers als wahre Rarität der Zeit Euch aufzubewahren; denn Ihr besitzet ja wohl, so viel ich weiß, eine solche Kunst- und Raritäten-Sammlung, worin Ihr alle mögliche Seltenheiten der Welt aufnehmt. Ich habe mir sagen lassen, daß Ihr in Eurem Raritätencabinet unter andern Kunstschätzen auch die Säulen des Herkules und eine schöne Tapetenwand von den Reunionskammern Louis XIV., so wie ein Stück aus der ägyptischen Finsterniß, noch größer als das, welches Kaiser Karl IV. besessen haben soll, aufgestellt habt. In einer solchen Sammlung darf Euch denn wohl auch ein Stückchen Blaufutter aus der Romantik des heutigen Paris nicht fehlen, denn dem Zeitgeist müßt Ihr ja doch auch seine Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber Nichts für ungut, lieber Herr Cidevant, und jetzt zeigt uns noch ein wenig Euren vortrefflichen Marstall, denn Ihr habt da in der That außer der braunen Pompadour noch manches herrliche Thier, das die Wahl, in der wir vorhin begriffen waren, schwer machen könnte, und wenn mir dieser Schimmel hier nicht etwas zu impertinent-blond wäre, wie man zu sagen pflegt, so würde ich ihm noch den Vorzug gegeben haben, unsere verehrte Madelon zu tragen; aber der Impertinentblonde ist mir nicht romantisch genug für eine solche strahlend-romantische Reiterin!«

»Strahlend-romantisch! Ich bitte Euch, mein Herr Poet mit den neugebackenen Ausdrücken Eurer Schule, das ist ja ein recht impertinent-romantischer Ausdruck!« rief der Alte giftig, und schien seine Wuth nicht länger zurückhalten zu können. »Und wißt Ihr denn« – fügte er boshaft lächelnd hinzu – »was ich dem Impertinentblonden für einen Namen gegeben habe? Ich nenne ihn nicht anders als meinen Lamartine Alphonse de Lamartine (1790-1869), französischer Schriftsteller, besonders Lyriker; unter Louis XVIII. in der Restauration auch Diplomat; 1829 in die Académie française gewählt; gilt in Frankreich als bedeutender Romantiker. – Anm.d.Hrsg. und denke dabei immer an den hochbeinigen und aufgestelzten Romantiker, der sich durch seine poetischen Umtriebe sogar in die Akademie einzuschwärzen gewußt hat. O Louis Quatorze! Louis Quatorze! was ist aus Deiner weltberühmten pariser Akademie geworden, die sich durch die Aufnahme solcher Mitglieder selbst zur verabscheuenswürdigen Secte der Tollhauspoeten bekennt! Ja, mein Herr Dubois, das war das goldene Zeitalter der französischen Literatur unter des großen Louis Regierung, das war ein Monarch, der nicht nur sagen konnte, wie er gesagt hat: l'état c'est moi! sondern auch mit demselben Recht: la littérature c'est moi! denn Er war die Literatur seine Zeit, Er hat die Poesie und Kunst gewissermaßen befohlen und sein göttlicher Befehl hatte die übermenschliche Wirksamkeit eines Prometheus, eines Etwas aus Nichts erzeugenden Schöpfers! Was faselt Ihr Poeten so Viel von Eurer Muse und Eurer Begeisterung, die wie der Wind sei, von dem Niemand weiß, von wannen er kommt und wohin er fährt? – ich will Euch sagen, was Eure Begeisterung ist! Denkt an den unsterblichen Racine, das Lächeln seines Monarchen war seine Muse, und als er in Ungnade fiel, als ihm Louis Quatorze nicht mehr lächelte, konnte der große Poet auch nicht mehr dichten, legte sich hin und starb, starb am Lächeln seines Monarchen! Seht Ihr, das war eine große Zeit! Und wo wollt Ihr unglücklichen Dichter jetzt in der armseligen Gegenwart das Lächeln eines solchen Monarchen wieder finden, das Lächeln, das Eurer ohnmächtigen Muse etwas Leben einbläst? Da nennt Ihr Romantiker Euch Royalisten, und thut so, als ob es noch ein wahres Königthum gebe, und dieser unsinnige Widerspruch, in den Ihr verfallt, ist mir eigentlich die gehässigste Seite, die mich an Euch verdrießt! Ich bitte Euch, was haben Eure schwülstigen Tragödien, in welchen Ihr biblische Stoffe aus dem alten Testament durch Euren neumodischen Bombast verhunzt, die Ihr aus unerhörten und ganz unlegitimen Phrasen, welche durch keinen Dictionnaire der Akademie eine Gültigkeit erlangt haben, zusammenknetet, in denen Ihr ›den Blumenschmelz der Empfindung ausathmet, und den Athem der Empfindung wieder verblumenschmelzt,‹ um mit Euren eignen romantischen Ausdrücken zu reden, ich bitte Euch, was haben diese Mißgeburten der neuen Zeit mit der Gesinnung eines ächten Royalisten gemein, eines Royalisten, der so viel Vernunft besitzt, um ein absolutes Königthum als die glücklichste Verfassung zu erkennen? Doch laßt das gut sein, und werft noch einen Blick auf jenen schwarzen kollerigen Hengst, der dort in der Ecke steht und seine zottige Mähne, wie ein Hebräer seinen Bart, schüttelt. Das ist mein Saul-Soumet, wie ich ihn getauft habe, und wenn ich ihn ansehe, denke ich immer dabei an den Herrn Soumet Alexandre Soumet (1786-1845), französischer Schriftsteller und Librettist; seine Tragödie »Saul« erschien 1822., den Verfasser der romantischen Saul-Tragödie!«

»Ihr seid ein höchst ironischer Mann, Marquis, und die Romantiker haben sich in der That vor Eurem Witz zu fürchten!« sagte Dubois, der die rücksichtslose Laune des Alten nicht ganz gleichgültig aufnahm. »Ihr habt der alten Zeit eine würdige Leichenrede gehalten, mein verehrter Herr Cidevant, und was das betrifft, daß Ihr die royalistische Gesinnung der geistreichen Partei, deren Streben und Trachten Euch natürlich unverständlich sein und bleiben muß, mit der Romantik unverträglich haltet, da gebt Euch nur zufrieden, denn Ihr steht ja selbst mit der neuen Zeit in einem so unverträglichen und komischen Widerspruch, daß ich bei Leibe nicht in Eurer altklassischen Haut stecken möchte! Alter Herr, denkt doch nur daran, welche Confusitäten sich über Euer glorreiches Haupt aus dem vorigen Jahrhundert, in diesem heutigen Säculum zusammenziehn! Ihr seid ein Antiromantiker und wenn es mit rechten Dingen zuginge, müßtet Ihr ja dann auch ein Liberaler sein, denn ein Antiromantiker ist eigentlich ein Klassiker und ein Klassiker ist ein Liberaler. Die altklassischen Herren aber, deren Ihr Einer seid und die aus Mangel an Leben im Grunde zu gar keiner Partei gehören, sind natürlich so wenig liberal, daß Euch, Marquis, so viel ich weiß, der jesuitische Polignac noch der liebste Mensch in diesem ganzen Jahrhundert ist. Bedenkt außerdem, in welche Confusität Ihr gerathen seid, indem Ihr als ein Antiromantiker dennoch die romantischste Schöne, die geist- und phantasiereiche Madelon, als Tochter liebt und ihrem Dienst Euch als väterlicher Verehrer gewidmet habt! Doch ich will Euch alle diese Verwirrnisse, mit denen der Zeitgeist Euch in den Haaren oder vielmehr in der Perücke liegt, nicht weiter zum Vorwurf machen, denn welche Partei in Paris wäre wohl ganz ohne Widersprüche, und je redlicher und leidenschaftsloser sie ist, um so eher wird sie unvermerkt von ihren Gegnern Etwas annehmen und zugestehn, und sich dadurch in Widerspruch mit sich selbst setzen! Ich bemerke dies deshalb, Marquis, um Euch über die politischen Gesinnungen der Romantiker, die in gewisser Hinsicht schwankend erscheinen können, ein Licht aufzustecken, und Ihr mögt meine Bemerkungen wenigstens als eben so interessant hinnehmen, als wir vorher die Genealogie und Bildungsgeschichte Eurer Pferde mit anhörten. Seht Ihr, als Romantiker bin ich allerdings zunächst ein Royalist, und woher das kommt, will ich Euch auch sagen. Von Alters her liebte es die romantische Muse, an den Stufen der Königsthrone sich niederzulassen, und in der glänzenden Umgebung eines ritterlichen Hofes, im schimmernden Prunkgemache inmitten des lauschenden Kreises erhabner Herren und Frauen, ihr festliches Lied anzustimmen und einer solchen Umgebung gemäß sich dann auch würdig, mit aller Zierde der Kunst, mit der vollprangendsten Blüte des Ausdrucks, mit allen Juwelen und Edelgesteinen der bilderreichen Phantasie zu schmücken, wie denn auch die Erscheinung eines Königs, der in seiner heiligen Person die Gnade des unsichtbaren Gottes und die Pracht des sichtbaren Erdenglücks darstellt, selbst eine romantische ist! So sangen die Troubadours in Frankreich, die Minstrels in England, die Minnesänger in Deutschland, an Königshöfen gepflegt und gebildet, von Königen geschützt und geliebt, die selbst außer dem Scepter und Schwert auch die Harfe zu führen nicht verschmähten und nicht für unköniglich hielten. So fällt die schöne romantische Blüthe der spanischen Poesie gerade in die Zeit, wo sich das Königthum am glänzendsten und herrlichsten zeigte, und je unritterlicher die Könige werden, je mehr verliert auch die spanische Poesie an ihrem eigentlichen Charakter und entartet allmählig zu einer die Nationalität einbüßenden Kunst, die sich nur noch von fremden ausländischen Stoffen, von Nachahmungen nährt! Findet Ihr noch keinen Sinn darin, daß die Romantiker zu den Royalisten gehören? Freilich ist es mit der heutigen Romantik, die sich in Paris jetzt als eine bestimmte und nach Bestimmtem strebende Partei geltend macht, noch eine andere Sache, als mit der ursprünglichen und natürlichen Romantik der Völker, denn unsere jetzige französische Romantik ist allerdings eine mehr oder weniger künstliche und gekünstelte Blüthe, die wir uns zunächst aus dem deutschen Nachbarlande herüberverpflanzt haben. Durch das mächtige Eindringen der deutschen Poesie bei uns hat sich in neuester Zeit diese unsere Romantik entwickelt, die so unendlich wichtig für die höhere und freiere Bildung des Vaterlandes ist und sein wird, und welche nur den alterschwachen Philistern, die das Neue nicht wollen, oder Denen, die in ihrer Befangenheit es nicht würdigen mögen, als eine gefährliche oder bedeutungslose Verirrung erscheinen kann. Die Deutschen sind von Geburt und Natur romantische Menschen, und wenn sie auch ihre Reichsverfassung, ihre Staatseinheit verloren haben, so hat sich doch auch in neuester Zeit, auch ohne den belebenden Strahl eines die Musen schützenden Königsthrones, die romantische Poesie tief aus dem innersten Gemüth heraus bei ihnen fortgebildet. Wir Franzosen, wenn man uns unser politisches Dasein, unser eng verbundenes Staatsleben entrissen hätte, wir würden in jeder Beziehung aufhören, productiv zu sein, wir würden in aller unserer Thatkraft bis in die Wurzel erlahmen und weder die Kunst noch Wissenschaft fernerhin etwas Nennenswertes und Eigenthümliches hervorbringen, während diese Deutschen gerade durch den Sturz und die Zerrissenheit ihres äußern politischen Lebens nur um so mächtiger auf ein inneres geistiges Schaffen gewiesen scheinen! Seht! alter Herr, nun sind freilich die Romantiker Royalisten, aber sie sind doch auch zugleich so sehr Söhne der neuen Zeit Frankreichs, daß sie dadurch vor jedem steifen altfränkischen Royalismus geschützt bleiben, und hierin beruht auch zum Theil wieder der Widerspruch, in den sie als politische Partei leicht mit sich selber gerathen können. Den Romantikern, mein antiromantischer Marquis, wird und muß es gelingen, wenn es Einem gelingt, die Franzosen von der Fessel altpedantischer Sprachvorurtheile loszuringen und die wahre Freiheit auch im Gebiet der Kunst und Litteratur hervorzurufen, denn was die Revolution für die Politik war, das wird diese unsre Romantik für die Poesie Frankreichs werden! Noch mag es zuweilen kraus und wild mit unsern Bestrebungen aussehn, so daß die Uebelwollenden an unserm Trachten, die französische Muttersprache für die poetische Fülle des Ausdrucks biegsamer und fruchtbarer zu machen, als es der Dictionnaire der Akademie gestattet, leicht ein Aergerniß nehmen könnten. Aber vielleicht erlebt Ihr es noch, Marquis, daß in unser Streben Klarheit kommt und unsere Begeisterung eine sichere Form gewinnt, und dann werdet Ihr sehen, daß die neue schönere Blüthe der französischen Poesie den vielverhaßten Romantikern zur Ehre gereichen wird! Auf diese Weise wäre es dann auch zu begreifen, wie die Besseren unserer Partei eigentlich den Liberalen in die Hände arbeiten, weil sie eben für die neue Zeit Frankreichs arbeiten, und so wird denn wohl die Romantik ihrem wahren Ziel immer mehr nahe kommen, je mehr sie aufhört, nur ein Aushängeschild der politischen Factionen und eines leidenschaftlichen Ultrathums zu sein, und diese Hoffnung ist nicht mehr fern. Das wird Euch nun freilich ziemlich gleichgültig oder vielmehr recht verdrießlich sein, und darum hab' ich es Euch eben in aller Ausführlichkeit vorerzählt, damit Ihr Euer ganzes Unglück, das Euch der Zeitgeist über den Hals bringt, vollständig einsehen mögt! –

Der Dichter war bei dieser Rede warm geworden und nachdem er geendet hatte, nahm er vor dem Marquis mit spöttischer Höflichkeit seinen Hut ab, und begab sich mit Narciß, der an dem Gespräch nur wenig Theil genommen, ins Haus zurück, indem der Alte ihnen mit wüthender Geberde nachblickte. Dubois ließ sich jetzt ohne Weiteres bei Madelon melden und hatte das Glück, sogleich angenommen zu werden, während Narciß die ihm auf der Treppe begegnende Kammerzofe ersuchte, ihn zu den Zimmern der deutschen Fremden zu führen.

Susanne, so hieß das Mädchen, sah dem ehemals zärtlicher gegen sie gesinnten Bildhauer, der früher wohl auch einen ernsthafteren Liebesscherz mit ihr nicht verschmäht hatte, schmerzlich fragend in die Augen, als wolle sie ihn seines unfreundlichen Kaltsinns wegen zur Rede stellen, und als Narciß das Mädchen näher anblickte, that sie ihm leid, denn er bemerkte wirklich auf ihren ehedem so muntern Wangen die Spuren von bleichem Liebesgram. Es wäre dem jungen Mann sonst nicht darauf angekommen, die arme Getäuschte, der ein flüchtiges Tändeln Amors zu tief empfundene Nachwehen zurückgelassen, durch einen Kuß wieder zu beruhigen, aber in diesem Augenblick, wo er sich so feierlich gestimmt und bewegt fühlte, erinnerte ihn ihr Erscheinen vielmehr an manche seiner leichtsinnigen Liebesavantüren, die ihm, seitdem er die sanfte, tugendvolle Rosalie gesehn, wie trübe Schattenseiten seines früheren Lebens ins Gedächtniß zurück, kamen.

Seufzend nahm daher Susanne an der Thür, zu der sie ihn durch einen Gang geführt hatte, wieder Abschied und schlich mit gesenktem Köpfchen davon, ohne durch einen freundlichen Blick getröstet zu sein. Sie konnte aber die Neugier nicht überwinden, zu erfahren, was Narciß, der ihr so verwandelt schien, mit dem fremden Major für Geheimnisse haben möge, und so begab sie sich bald auf einem andern Wege in das an das Zimmer der Fremden stoßende Kabinet, wo sie unter dem Vorwande, aufzuräumen, die ganze Unterredung im Nebenzimmer belauschen konnte. –

Der Major empfing den eintretenden Narciß mit einigem Befremden, obwohl nicht ohne gutmüthige Freundlichkeit, woraus derselbe zu seiner Ermuthigung schließen konnte, daß er gestern wenigstens nicht mißfallen hatte. Seine Zuversicht erhöhte sich noch zur glücklichsten Gewißheit, als ihm die anmuthige Rosalie, die eben vor dem Spiegel ihren bescheidenen Anzug vollendete, mit einem holden, wiewohl verschämten Gruß entgegenkam und ihn mit der naiven Zutraulichkeit einer deutschen Kleinstädterin schon als einen alten Bekannten behandelte. Da sah er ihr gutes, liebes, inniges Wesen wieder vor sich, welches ihn gleich beim ersten unerwarteten Anblick nicht nur entzückt, sondern einen so bedeutenden Eindruck auf ihn gemacht hatte, daß er sofort zu erkennen glaubte, wie er für sein bisher oft wild sich verirrendes Dasein nur Ruhe und Heilung finden würde, wenn er die stille Sanftmuth einer solchen weiblichen Natur seinem eignen Leben verschwistern und vermählen dürfte.

Narciß wagte Anfangs nur, eine theilnehmende Erkundigung nach ihrem Befinden als Ursache seines Besuchs anzugeben, und so entspann sich das Gespräch zunächst einzeln und abgerissen über den Aufenthalt der Fremden in Paris, über die Dauer desselben und die Merkwürdigkeiten und Seltenheiten, die man in Augenschein zu nehmen nicht verabsäumen müsse, wobei Er, dem Geständnisse anderer Art auf der Zunge schwebten, freilich von dem, was ihm heut das Merkwürdigste und Bedeutendste war, immer mehr sich entfernte.

Jetzt verließ Rosalie das Zimmer, um Magdalenen, die sie heut noch nicht gesehn, einen guten Morgen zu sagen, und Narciß blieb mit ihrem Vater allein zurück, der ihm heut bei weitem gesprächiger und zugänglicher vorkam, und die finstere Verschlossenheit, die gestern an ihm zurückschreckte, ganz abgelegt zu haben schien. Diesen günstigsten Augenblick, der sich ihm für seine Herzensmittheilungen darbot, konnte Narciß nicht unbenutzt vorüber lassen, und indem er des Majors Hand ergriff und sie küßte, sagte er mit Ernst und eindringlicher Beredsamkeit: »Werden Sie es mir glauben, Verehrtester, oder werden Sie mein offenes Geständniß nicht übel deuten, wenn ich Ihnen bekenne, daß ich für immer der Gefangene Ihrer liebenswürdigen Tochter geworden bin, und daß sich schon an ihren ersten Anblick eine wichtige Entscheidung meines Lebens, meiner Gesinnung, meines ganzen zukünftigen Schicksals knüpft?«

»So schnell?« sagte der Major überrascht, ohne jedoch seine wohlwollende Freundlichkeit zu verlieren, denn er hielt Fisch Alles blos für ein galantes Compliment des jungen Bildhauers, der ihm über die Schönheit seiner Tochter mit einer Wendung, die einem Franzosen nicht viel kostet, Glück wünschen wolle.

Narciß aber fuhr mit erhöhtem Gefühl fort und sagte: »O möchte Ihnen doch, verehrter Mann, diese schnelle und plötzliche Erscheinung meiner Liebe, die so unerwartet und mir selbst unbewußt, aber um so wahrer ins Leben getreten ist, möchte sie Ihnen doch kein ungünstiges Vorurtheil für mich und meinen Herzenswunsch einflößen! Schnell und plötzlich, wie ein Blitz vom Himmel, kommet ja auch das Gute, Schöne und Rechte, und bei uns Künstlern gilt es eben einen einzigen bedeutenden und von der Gunst des Schicksals gesegneten Augenblick! Was wir in einem solchen Augenblick auffassen, haben wie für die Ewigkeit aufgefaßt, und so sah ich Ihre und, dürft' ich sagen, meine Rosalie in einem solchen entscheidenden und für immer fesselnden Augenblick!«

»Und was für Ansprüche glauben Sie mit Ihren Phantasien verbinden zu dürfen, mein Herr?« fragte Major Eichen, indem er den jungen Mann ernst und befremdet anblickte. »Was Sie wünschen, kann nicht von Dauer sein, denn wir verlassen noch in dieser Woche wieder Paris!«

»Und was ist mir Paris? Ich gehe mit Ihnen, ich gebe mein Vaterland auf, ich bitte Sie, daß Sie mich unter die Ihrigen aufnehmen!« rief Narciß mit seiner zudringlichen Offenheit, die viel Einnehmendes hatte. »Was ich für Ansprüche habe? Ansprüche keine, aber wohl eine tief, tief gefühlte, inhaltschwere Bitte um die schöne Hand Ihrer Rosalie! O sehen Sie mich nicht so streng und kalt an! Hören Sie mir theilnehmend zu, mit väterlicher Milde, mit der vielgerühmten deutschen Gemüthlichkeit! Ich will mich Ihnen schildern, ich will mein ganzes Wesen offen und unverdeckt vor Ihnen ausbreiten, damit Sie in meinem Innern lesen können, ob ich würdig sei, von Ihrer Güte verstoßen zu werden! Ich bin ein Bildhauer, und in meiner, stillen, nur vom Schlag des Meißels durchtönten Werkstatt ist mir oft so wohl, daß ich in der friedlichen Gesellschaft meiner Bilder alle, auch die wildesten, Triebe des Herzens beruhigt fühle, daß ich aus der kunstgeweihten Einsamkeit nie mehr herausgehn möchte in die stürmisch bewegte Welt, daß ich wünsche, so bei meinem Marmor und Stein das Leben verträumen zu können, während draußen fern von mir Elend und Gefahr, Lust und eitles Glück der Menschen vorüberrauscht! Dann aber beginnt mich auch plötzlich wieder vor dieser meiner Abgeschiedenheit zu grausen, mich friert vor der Kälte meiner leblosen Statuen, meiner stummen Gefährten, die in ihrem glatten, menschenähnlichen schönen Leibe keine Empfindungen, keine Leidenschaften bergen; des Künstlers Stillleben verliert seine Weihe und der Mensch lockt mich hinaus zum reizenden, freien Erdengenuß, in die wärmere Zone der Sinnlichkeit, der schäumenden, lachenden, üppigen Freudenfülle des Lebens! Da ergreift mich denn unwiderstehlich die wilde Künstlerphantasie, die mich nicht selten ins Irre und Böse treibt und mich fortreißt im Taumel der entfesselten Sinne, welche, anstatt heitres Glück im Genuß zu finden, sich im verworrenen Rausch bis zum Ekel am Erdentand sättigen! Verstehn Sie mich wohl, was ich meine, wenn ich den Zustand des Künstlers Ihnen beschreibe, der wie ein Halbgott alles Weltliche zu beherrschen und den vollen Becher der Lust ungestraft leeren zu dürfen wähnt, der aber statt der göttlichen Trunkenheit auch nicht selten in die gemeine Betrunkenheit versinkt und aus dem olympischen Göttersaal sich plötzlich in Circe's Ställe versetzt findet? So war auch ich fast rettungslos in diesen Künstlerzwiespalt zweier Extreme des Göttlichen und Irdischen versunken, und mein Naturell, meine Erziehung, meine Verhältnisse, ein bedeutendes Vermögen, das ich von dem früh gestorbenen Vater ererbt und das eine zärtliche, willenlose Mutter mir ganz für den Genuß des Lebens überließ, Alles trug dazu bei, mich nach zwei mit einander streitenden Richtungen in die Irre zu führen, so daß ich weder in meiner stillbegrenzten Kunst die alleinige Befriedigung des Lebens, noch im Leben die wahre Grenze des Genusses finden kann! Da erblickte ich zum ersten Mal das mild lächelnde, unaussprechlich gütige Antlitz Ihrer geliebten Tochter, und es war mir, als sähe ich den Tugendengel plötzlich vor mir erscheinen, der mir zuwinkte und mir zuflüsterte, daß ich nur in ihrem Besitz Frieden und Versöhnung für mein zerrissenes, verworrenes Streben finden würde! Ja, alle meine Gefühle sagten es mir untrüglich, wenn Sie mein wäre, aus deren Augen mich eine nie gesehene kindliche Unschuld und süße Heiterkeit tröstend anschaute, dann würde es auf immer fromm und heimathlich in meinem Gemüthe werden, dann würde ich die Muse meiner Kunst und den Engel der Tugend zugleich unauflöslich an mich gefesselt haben und fortan in einem kunstgeweihten Stillleben an ihrer Seite alle verführerischen Leidenschaften und verlockenden Triebe überwinden! O lassen Sie, verehrter Mann, mich nicht getäuscht sein von der inneren Stimme, und schenken Sie Vertrauen und Erhörung meinen offenherzigen Geständnissen, mit denen ich mich Ihnen so ganz wie ich bin, in allen meinen Mängeln, Schwächen, Wünschen und Bestrebungen dargestellt habe! Legen Sie auch, wenn ich Sie bitten darf, ein klein wenig Gewicht auf die Gunst des Schicksals, die mich so bald und unerwartet in die Nähe des ersehnten Gegenstandes geführt, die mir fast ganz ohne mein Zuthun Ihre mir so unendlich wichtige Bekanntschaft erworben hat, und verstoßen Sie mich wenigstens nicht ganz, nehmen Sie sich meiner an, seien Sie mein väterlicher Freund, mein Vater!« –

Narciß, dem es mit seinem Bekenntnis ein heiliger Ernst war, hatte so wahr und innig aus dem Herzen herausgesprochen und mit einer solchen Aufregung seines ganzen Wesens sich mitgetheilt, daß ihm der Major unmöglich gram sein oder anders als mild und freundschaftlich antworten konnte. Dies that er denn auch, aber freilich ohne sonst Etwas zuzugestehn, indem er vielmehr den jungen Bildhauer mit der klarsten und ruhigsten Eindringlichkeit zu überzeugen suchte, wie seine Wünsche, an deren Redlichkeit er nicht zweifle, doch eine gewisse Unausführbarkeit in sich trügen. Er wußte es Narcissen mit solcher Folgerichtigkeit bemerklich zu machen, welche fast unüberwindliche Abstände in einem solchen Verhältniß durch die vorhandene Verschiedenheit des Vaterlandes, des Nationalcharakters, der gewohnten beiderseitigen Sitte und Umgebung hervortreten müßten, und wie dies Aufopferungen nöthig mache, welche in jedem Fall für den Einen oder den Andern gleich empfindlich und vielleicht sogar unmöglich sein würden, daß Dieser selbst vor der scheinbaren Unwiderleglichkeit des kalten, vernünftigen Bescheids erschrak und sich kaum noch darüber zu freuen vermochte, als der alte Krieger die wohlwollende Versicherung hinzufügte, der wahren Liebe sei freilich kein Ding unmöglich, und Narciß müsse sich vor allen erst selbst überzeugen, ob sein Gefühl auch wirklich ein dauerndes, und nicht blos eine Entzückung der Phantasie sei. Das Gespräch, das Narciß mit so lebhaften und beredten Hoffnungen begonnen, erhielt von seiner Seite einen etwas kleinlauten Ausgang, und merklich herabgestimmt und abgekühlt in seinem Aufschwunge durch die so unparteiischen Vernunftgründe des Majors, nahm er von demselben Abschied, der ihn einlud, bald wieder zu kommen. –

»Was die Franzosen seit ungefähr zehn Jahren doch für sonderbare Menschen geworden sind!« sagte der Major zu sich selbst, nachdem Narciß weggegangen war. »Jetzt fangen sie sogar an, nach einem tugendlichen und ernsthaften Lebenswandel zu trachten und wollen zu diesem Endzweck deutsche Mädchen heirathen, und statt daß ein solcher gallischer Springinsfeld bei Gelegenheiten dieser Art sonst um die Ecke herumging und ohne eine Intrigue nicht fertig werden konnte, wenden sie sich jetzt ordentlich, auf dem Wege Rechtens, wie ein ehrlicher deutscher Pedant aus dem vorigen Jahrhundert, erst an den Vater, ehe sie an das Mädchen kommen!« – –

Narciß indeß war in einer sehr unfriedlichen Stimmung fortgegangen, und empfand nur zu schmerzlich, daß seine Ideale wieder einmal vor der Wirklichkeit nicht Stand hielten. Er schämte sich gewissermaßen vor sich selbst, wie es nach dem verflogenen Rausch einer exaltirten Stunde zu geschehen pflegt, und hätte zornig werden können, daß er sich so wie ein Kind in seinem Innersten vor dem deutschen Major entblößt und preisgegeben habe. So schritt er durch die Gänge des Hauses, als ihm Susanne wieder auf dem Flur begegnete, die jetzt schnell, als sie ihn gewahr wurde, ausweichen wollte, um ihm nicht in den Weg zu kommen. Narciß aber, der sich in diesem Augenblick plötzlich von seinem alten lustigen Humor wieder heimgesucht fühlte, rief ihr in einem scherzenden Tone nach und suchte das fliehende Mädchen zu erhaschen, das sich jedoch, ganz unähnlich gegen sonst, seinen Liebkosungen gewaltsam und unwillig entzog und mit einem bedeutenden Blick auf ihn, worin der Abgefertigte Schmerz und Wuth einer beleidigten Liebe lesen konnte, forteilte. So sah sich Narciß auch hier, wo er es am wenigsten erwartet, zurückgewiesen, und begab sich von mancherlei fast tragikomischen Gedanken und Reflexionen über sein unglückliches Loos erfüllt, hinunter in den hinter dem Hause gelegenen Garten, um seinen bis zur Verzweiflung gesteigerten Mißmuth über sich selbst durch einen Spaziergang zu zerstreuen.

Länger als eine Stunde war er ruhelos und mit sich selber im Streit umhergeirrt, ohne das, was er suchte, den Frieden für sein schmerzhaft erregtes Gemüth, zu finden. Als er jetzt wieder nach dem Hof zurückkehrte, um das für ihn so verhängnißvolle Haus zu verlassen, sah er eben zwei Reiter in das Thor sprengen, in denen er den Marquis und die schöne Madelon erkannte, welche heut früher als gewöhnlich von ihrem Morgenspazierritt mit ihrem Begleiter zurückkehrte. Einen solchen Eindruck hatte sie noch nie auf ihn gemacht, so bezaubernd und wunderbar überraschend war sie ihm noch nie erschienen, als in diesem Augenblick, wo ihre reizend geschmückte Amazonengestalt vom Rosse herab, das seine schwanenleichte Reiterin mit edlem Stolze trug, eine unwiderstehliche Schönheit hatte, und er verbarg sich noch ein wenig hinter der Gartenpforte, um nicht sogleich von ihr gesehn zu werden und sich an ihrem Anblick noch eine Zeit lang ungestört weiden zu können.

Er wußte sich selbst keine Rechenschaft darüber zu geben, warum ihn gerade jetzt wieder dieser Reiz an ihrem Wesen so mächtig lockte, aber das mußte er sich gestehn, daß sein Freund Dubois Recht gehabt, als er sie zuvor die Venus des Romanticismus genannt hatte. Sie gehörte nicht zu den sanften Schönheiten, nein! sondern vielmehr zu den prächtigen und stolzen, die, wenn sie Liebe zugestehn, in derselben herrschen, anstatt sich zu ergeben, und den Auserwählten begnadigen, anstatt von ihm besiegt zu werden. Dennoch fehlte ihr ungeachtet dieser wildschönen Natur, die besonders in ihrem Erscheinen als ritterliche Amazone so wunderbar hervortrat, nicht der süße Widerschein eines tiefen Gefühls im Auge, und die von dem anmuthig gescheitelten Haar schmal begrenzte, feine Stirn hatte so etwas unschuldig Mädchenhaftes, daß man in dem lieblichen Köpfchen oft nicht die tausenderlei wechselnden, anziehenden und abstoßenden Launen vermuthete, an deren verlockender Gunst und Ungunst Narciß schon wie an einer Scylla und Charybdis seines Lebens sicher vorbeigeschifft zu sein glaubte.

Jetzt hielt er sich nicht mehr länger zurück, er gab seine verborgene Schau auf und näherte sich Madelon, um die eben vom Pferde Gestiegene zu begrüßen. Sie bot ihm sehr heiter einen guten Tag und freute sich, daß er wieder komme, ihren Garten zu besuchen; sie schalt ihn freundlich, daß er dies fast den ganzen Sommer über versäumt, und es ihm erst jetzt wieder einfalle, da der unartige Herbst die hübschen Blüthen und grünen Blätter meist alle geknickt und entfärbt habe.

Narciß hing unverwandt an ihren hellen, muntern Blicken, die den seinigen nicht ganz ohne Spott, der jedoch nur anmuthig lächelte, begegneten, und er begriff nicht, wie er vor einiger Zeit so kalt gegen sie hatte werden können. Da fiel ihm auch als Gegensatz Rosalie wieder ein in ihrer kindlichen, milden Schönheit, aber er suchte ihr Bild, das in diesem Augenblick wie mahnend vor ihn trat, zu verscheuchen, was nicht ohne ein im fernen Hintergrunde seines Innern zurückbleibendes, banges Herzklopfen gelang.

»Die Romantik hat doch ihr Paradiesisches! Sie ist ein warmes, selig glühendes Himmelreich!« flüsterte ihm ein Dämon zu, der seine verführerische Sprache vom Zeitgeist borgte. »Es lebe wieder die romantische Liebe! Die frostige Deutsche mit ihren klaren, blauen Augen, aus denen keine Leidenschaft sprüht, ist wohl nur ein schönes, tugendsames, Marmorbild, das nicht wärmt, nicht entzündet, nicht erglühn macht in der winterlichen Oede des Lebens! Und diese Venus der Romantiker, wie weht schon von ihrem Anblick Dich ein belebender Südhauch an, der in Deiner vom Mißmuth erkrankten und erstarrten Brust von neuem Frühling werden läßt!« – So dachte, so empfand, so schwärmte Narciß in dieser plötzlichen Aufregung und Verwandlung seiner Gefühle, für deren Rechtfertigung er hinlängliche Gründe zu haben glaubte, wenn er Magdalenen wieder und wieder anblickte.

Jetzt kam der alte Marquis, der bereits ins Haus gegangen war, mit verdrießlichem Gesicht wieder zurück und benachrichtigte Madelon, daß ihm so eben von der Dienerschaft die Ankunft des Herrn von Pomage gemeldet werde, der ihn schon oben im Zimmer erwarte; er könne sich aber heut mit dem langweiligen Landedelmann nicht einlassen, weil er überhaupt wegen heftiger Zahnschmerzen, die ihn immer nach gehabtem Aerger befielen, zur Unterhaltung nicht aufgelegt sei, und Madelon möge es deshalb übernehmen, die Geschäfte, die sie mit dem Fremden hatten, für ihn abzuthun.

Madelon lächelte, denn sie mochte zuvor von Dubois, – der so glücklich gewesen war, ihr einige Scenen seiner Tragödie vorlesen zu dürfen – Etwas von dem Statt gefundenen Streit über die Romantiker gehört haben. – »Recht bedeutsam ist es, Marquis, daß Ihr auf Aerger gerade immer Zahnschmerzen bekommt!« sagte sie, ihren alten Herrn ein wenig aufziehend. »Wie es scheint, empfinden Eure Zähne Schmerz darüber, daß sie auf den Gegenstand, der Euch ärgert, nicht gleich einbeißen können.« –

Um ihm jedoch für sein Leid einigen Trost zu geben, fügte sie hinzu, er möge nur den angekommenen Gast herunterschicken, sie wolle sich im Gartenhause gern ein Viertelstündchen mit ihm langweilen.

Der Herr von Pomage war ein wohlgenährter Edelmann aus der Provinz, der von dem Marquis Güter in Pacht hatte und deshalb alljährlich einmal in die Residenz kam, um den Contract mit demselben zu erneuern und andere dahin gehörige Geschäfte abzuschließen. Es war bei dieser Gelegenheit Sitte geworden, daß er immer einige Flaschen vom besten Champagner, wie er sie zu Hause nicht hatte, vorgesetzt erhielt, bei denen es dann sehr leicht wurde, über das Geschäft, das ohnehin meist nur einer erneuten Unterzeichnung der Namen bedurfte, mit ihm zu verkehren, da er gewöhnlich gegen Ende des Mahls schläfrig zu werden anfing und sich dann alle Clauseln, die man von ihm ausbedingen wollte, friedfertig gefallen ließ.

Diesem gewohnten Verfahren gemäß befahl auch Madelon jetzt einem Diener, die nöthigen Anstalten im Pavillon zu treffen und lud Narciß ein, an der Partie Theil zu nehmen, als der dicke Herr eben die Treppe herunterstolperte und sich mit tiefen und unaufhörlichen Verbeugungen der Dame näherte. Man hatte sich bald genugsam bewillkommt und Madelon ergriff den Arm des schwerfälligen Herrn von Pomage, um sich von ihm in den Garten führen zu lassen, während Narciß, wie von einem träumerischen Zauber umfangen, den Schritten der Unwiderstehlichen nachfolgte.

Nach einigen Gängen durch den Garten, trat man in den geräumigen und freundlich geschmückten Saal des Pavillons, wo schon ein mit Champagnerflaschen und Gläsern wohlbesetztes Tischchen einladend bereit stand. Man setzte sich nieder und das schäumende lebenslustige Getränk löste dem zögernden Gespräch allmählig die Zunge. Mit dem guten Herrn von Pomage war das Geschäft bald beendigt, indem Madelon für den kranken Marquis von Neuem unterzeichnete, aber mit Narciß stand sie im Begriff, über ein neues Herzensbündniß zu unterhandeln, und der arme Berauschte und Hingerissene wußte nicht, was er den nur durch Blicke gepflogenen Unterhandlungen entgegensetzen sollte. Nur die lästige Anwesenheit des dicken Herrn, der heut so langsam und phlegmatisch trank, verhinderte noch das Glück oder Unglück, daß die durch eine gefährliche Laune des Augenblicks neu aufgeregte, alte Leidenschaft der Beiden sich wieder erklärte.

Da fiel es auch Magdalenen plötzlich ein, daß sie ihre Fremden aus Deutschland heut noch so sehr vernachlässigt habe, daß sie mit dem ehrwürdigen Major, der ihr zu Liebe mit seinem Töchterchen so weit hergereist, noch kaum ein Paar Worte gesprochen und sich nur an der lieben Rosalie heut früh satt geküßt habe. Jetzt wollte die wunderbar Veränderliche auf einmal fort, aber der Herr von Pomage war eben in einer langen Erzählung über die steigenden und sinkenden Gütertaxen begriffen, und es wäre unartig, dachte sie, ihn darin so plötzlich zu unterbrechen; sie blieb, aber eigentlich nicht um der Artigkeit, sondern mehr um Narcissens willen, der auch ihr heut einmal wieder gefiel. Der sinnliche Champagner, von dem sie auch ein wenig scherzend genippt, hatte ihr das rosenrothe Blut in die glühenden Wangen hinaufgetrieben und sie strahlte wie eine volle Purpurrose in verschämter Glut. Narciß aber, seiner nicht mehr mächtig, ergab sich ganz dem Champagner- und Liebes-Rausch, in dem er wohlthätige Beruhigung zu finden glaubte für innere, mahnende, peinliche Stimmen. Nur das endlose Geschwätz des Landedelmanns, der diesmal gar nicht schläfrig werden wollte, verdroß ihn, und er fing jetzt an, um ihn zu unterbrechen, mit lauter Stimme einige Strophen aus Delavignes Parisienne Das Lied » La Parisienne«, von Casimir Delavigne (1793-1843), mit der Musik von Auber die französische Nationalhymne während der Julimonarchie, wurde erst durch die Julirevolution 1830 stimuliert; insofern liegt hier für das Romangeschehen des Jahres 1829 ein Anachronismus vor. zu singen, welche er sehr gut vortrug und wofür ihn Madelons Beifallslächeln belohnte.

Der Herr von Pomage aber glaubte, daß er es nur in dem gewählten Thema der Unterhaltung versehn habe, und kam mit unermüdlicher Gelassenheit bald auf ein anderes. Er erzählte klagend, wie er sich darauf Rechnung gemacht habe, daß ihn sein Departement bei den neuen Wahlen zum Deputaten ernennen würde und wie ihm diese Hoffnung leider fehlgeschlagen sei. Er konnte nicht genug bedauern, daß er seinen sehnlichsten Wunsch, in die Deputirtenkammer zu kommen, nicht erreicht habe. Das war zum Verzweifeln, ihn so trocken mit anhören zu müssen, während die neue Leidenschaft der süßbewegten Herzen im jugendlichen Drang sich mittheilen möchte.

Jetzt endlich beim letzten Glase übermannte ihn die Müdigkeit, er wurde still und als Niemand mehr sprach, drückte er sich in die Kissen des Kanapees und entschlief. »Bravo, ruhe sanft!« rief Narciß, indem er in toller Laune den behaglichen Schnarcher auf seine Arme lud, und die fette Last nicht ohne Mühe in das anstoßende Kabinet trug, wo er ihn auf ein Ruhebett lagerte. »In die Schlafkammer gehörst Du, aber nicht in die Deputirtenkammer.« –

»Aber ich, o holdselige Madelon, habe ich in Deinen Herzenskammern einen Deputirten für mich, der meinen Angelegenheiten bei Dir das Wort redet?« fügte er schmachtend hinzu, indem er sich näher und traulicher zu ihr setzte. »Deine Herzenskammern, das sind die Deputirtenkammern, in denen ich Sitz und Stimme haben möchte; aber was für eine langwierige Geschichte ist das nicht mit den Deputirtenkammern! Man muß vierzig Jahr alt sein und eine directe Steuer von tausend Franken bezahlen, ehe man Zutritt hat zu den Kammern. Deinetwegen, o Zauberin, will ich gern meinen Taufschein verfälschen und mich für einen Vierziger ausgeben, und was die Steuer von tausend Franken betrifft, da laß Dir die directe Steuer von tausend Liebesblicken genügen, und, indem ich so alle Bedingungen eines Wahlcandidaten erfülle, gieb, o gieb mir wieder Sitz und Stimme in den Kammern Deines Herzens! Aber bald, bald! in der süßen Gegenwart, und vertröste mich nicht, wie Du immer thust, auf die kalte Zukunft! Der Champagner in den Gläsern ist verschäumt, aber die Gluth im Herzen dürstet nach einem Tröpfchen erquickenden Blumenthau von Deinen Lippen!«

»Was willst Du, Schwärmer?« sagte sie, indem sie nahe und lange mit ihren durchdringenden Feueraugen in die seinigen blickte.

»Nur einen Kuß, einen einzigen, bescheidenen!« bat er, während sie, spröde thuend, sich wieder von ihm abwandte. »Du wunderbares, schönes, zartes, geistreiches, leichtsinniges, schwach, herziges, phantastisches, wildes, launenvolles, trotzköpfiges, hartes, sprödes, süßes, schmelzendes, zauberisches Mädchen, ich bin wieder Dein Gefangener, der Sclav Deiner Augen! Ja, ich nenne Dich ein Mädchen, denn Amazonen, wie Du, bleiben ewig mädchenhaft, und Du hast nie ein Kind an dem schneeweißen Lilienbusen geschaukelt! Stolze Schöne, ich bitte Dich um einen Kuß! Weißt Du wohl, was das Reizendste ist, das die Dichter noch nicht an Dir besungen haben? Dein schwarzes, dunkelglänzendes, reiches Haar!«

Er wagte es, im Liebesungestüm, eine ihrer Locken in seinen Fingern aufzurollen, und indem sie, ihn über die Unart sanfter als sie sonst zu thun pflegte, ausscheltend, sich ihm entziehn wollte, löste sich, ohne daß man wußte, wie es zugegangen, das ganze schöne Haar auf und bedeckte ihr, in langen Flechten herabfließend, Schulter und Nacken mit der vollen wogenden Fluth des seidenen Gelocks. »Ein süßer Strom, sich darin zu baden!« rief Narciß und verhüllte seine brennendheiße Stirn in ihren Locken, als wolle er sich daran kühlen. Sie aber breitete die Arme aus und spendete dem Glücklichen jetzt freiwillig, was seine Bitte verlangt hatte. –

Indeß lauschte ein Verräther, den Keiner vermuthet, draußen an dem nicht vorsichtig genug verhängten Fenster des Pavillons. Es war die arme Susanne, die noch zu wenig vergessen konnte, daß Narciß auch an ihr einst Gefallen gefunden. Sie hatte die Unterredung desselben mit dem Major behorcht und davon wenigstens so viel verstanden, daß der ihr nun so verhaßt Gewordene um die deutsche Demoiselle förmlich angehalten habe. Jetzt wurde sie unwillkürlich Zeugin einer neuen Scene, als sie sich ins Gartenhaus begeben wollte, um der dort frühstückenden Gesellschaft noch Etwas zum Dessert zu bringen. Ein Blick durch die von der Gardine unbedeckt gebliebene Fensterscheibe hinderte sie, weiter zu gehn, und von dem Gefühl der Kränkung und Eifersucht aufs höchste getrieben, fiel das erzürnte Mädchen auf den Gedanken, sich an dem Flatterhaften zu rächen.

Sie eilte schleunig durch den Garten in's Wohnhaus zurück. Athemlos und zitternd kam sie dort an und zum Glück für ihre Absicht war der Major noch nicht ausgegangen. Sie bat ihn dringend, ihr in den Garten zu folgen, weil er dort im Pavillon erwartet werde; sie beschwor ihn, nicht zu säumen, um dort Augenzeuge eines wichtigen und seiner Gegenwart bedürfenden Vorfalls zu werden. Der Major wußte nicht, was er davon denken sollte, doch stand er bei der Hast und dem Ernst, mit dem das Mädchen ihr Verlangen wiederholte, nicht an, ihr zu willfahren. Sie führte ihn bis an die Thür des Gartenhauses, wo sie ihn stehn ließ, indem sie selbst schnell wieder zurückeilte.

Madelon ruhte in Narcissens Armen und in der süßesten Lust sich berauschend, vergaßen sie Alles und dachten in der Entzückung des Augenblicks nicht daran, daß es eine Störung auf der Welt gebe. Jetzt trat der alte Major langsam ein und blieb wie festgewurzelt an der Thür stehen, als er die Beiden erblickte, von denen der Eine nur für den Andern, aber für Nichts außer ihm, Sinn und Auge hatte. Endlich wurde Madelon es zuerst gewahr, daß ein Dritter die verstohlene Stunde der Liebe belausche. Mit einem lauten, gellenden Schrei des Entsetzens sprang sie auf und stieß den noch nichts ahnenden Narciß weit von sich, daß er bleich zurücktaumelte.

»Hilf Himmel! Der steinerne Gast!!« rief sie mit krampfhafter Gewalt der Stimme durchdringend aus, von derselben wunderbaren Phantasie verwirrt, welche bei dem ersten Erscheinen des Majors in der Erregbaren so seltsam aufgestiegen war. Von dem glänzenden Nacken und Busen hatte sich ihr das Gewand theilweise heruntergestreift, die langen, flatternden Haare hingen ihr aufgelöst über die Schulter und in dieser reizenden Unordnung und Wildheit ihrer schönen Gestalt glich sie einer vom Gott hingerissenen, schwärmenden Mänade, in deren Augen eben die süßtrunkene Lust in den phantastischen Wahnsinn übergehen will. So hatte man sie nie gesehn, als in diesem schicksalsvollen Augenblick, wo Schreck, Zorn, Scham und Wuth über sich selbst in ihren Geberden, in ihrem Antlitz, auf dem eben heiße Liebesglut gestrahlt hatte, sich ausdrückte! –

»Der steinerne Gast!« stammelte Narciß mechanisch nach, und fuhr, indem er hervortreten wollte, bebend vor dem Major zurück, den er jetzt erst gewahr wurde und der noch immer stumm und unbeweglich dastand, in seinem starren Erstaunen allerdings einer steinernen Bildsäule ähnlicher, denn einer lebenden Gestalt. »Du bist Don Juan!« sagte der Major kalt und schneidend zu Narciß, der vor sich selbst hätte vergehn mögen. »So strebt der Künstler, der meine Rosalie liebt, nach einem tugendhaften Stillleben?« –

Nach diesen wenigen Worten, die Alles sagten, kehrte er sich schnell um und verließ die Bestürzten, ohne einen Blick auf Madelon zu werfen, die es eben so sehr, als er selbst vermied, seinen Augen zu begegnen.

Lange standen die Beiden sich gegenüber, still und bewegungslos, ohne sich anzusehn oder mit einander zu sprechen, und Keiner wußte weder für sich noch für den Andern einen Trost in dieser peinlich verwirrten Stunde. Madelon war die Erste, die wieder zu einem Entschluß kam; sie ordnete schnell, so gut es gehn wollte, ihren entstellten Anzug und band die aufgelösten Locken über einander; nur ein tiefdunkler Scharlach wollte sich von den schamerrötheten Wangen nicht wieder verscheuchen lassen und entzündete sich nur um so tiefer, je mehr sie das heiße Gesicht in den Händen rieb. Dann eilte sie schleunig fort, ohne ihm ein Adieu zu sagen; in athemloser Flucht, wie ein vom Geschoß des Jägers getroffenes Reh flog sie durch die Gänge des Gartens dem Hause zu. Hier verschloß sie sich in ihren Zimmern und gab den Befehl, Niemand, wer es auch sein möge, zu ihr zu lassen.

Narciß war ihr langsam nachgegangen; er hoffte, den Major noch zu finden, er wollte und mußte mit ihm reden, er konnte dies nicht die letzte Scene zwischen ihnen sein lassen, obwohl er selbst nicht einsah, was ihm zur Rechtfertigung gereichen, noch viel weniger, was eine Versöhnung wieder herbeiführen könne. Aber er fragte vergebens im Hause nach ihm, denn der Major war so eben ausgegangen.

Inzwischen kam auch der dicke Herr von Pomage, durch den Schreckensruf Madelons aufgeweckt, aus seinem Schlafkabinet hervor und machte ein komisches Gesicht, als er die Champagnergesellschaft nicht mehr fand und in den Gläsern den Wein verschäumt sah. – –

Narciß schweifte trostlos im Garten umher, den er eigentlich hätte fliehen mögen, aber seine Verzweiflung hinderte ihn, zur Ausführung irgend eines Entschlusses zu kommen. Nichts wollte er mehr unternehmen in der Welt, Alles schien ihm vergeblich, nutzlos, widersinnig und bedeutungsleer, seitdem er vor dem Mann, vor dem er, wie vor Keinem, rein und fleckenlos dazustehen gewünscht, zu Schanden geworden war und in der Schwäche seines unlautern Herzens sich ihm verächtlich gezeigt hatte. Nach seiner eigenen Wohnung zurückzukehren, widerstand ihm ebenfalls, denn was sollte er da, was sollte er irgendwo in der Welt? Hier war der Garten, wo die träumerisch dastehenden Blumen, Blüthen und Gesträuche zu duften schienen von dem Reiz der Zauberin, die unter ihnen als ihre Herrin verweilte! Dort rauschte in der Ferne mit leisen Wellen das Bassin, in das diese zweite Armide an brennenden Sommertagen zum kühlen Bade hinabstieg! Jetzt erleuchtete die Sonne so hell und strahlend alle diese Stellen ihres Gartens, die eben so viele Erinnerungen an die Vergangenheit für ihn waren und die ihn jetzt nur feindseliger gegen sich selbst und gegen Die stimmten, deren gefährliche Liebesgunst ihm stets mehr Schmerzen als Lust bereitet hatte. Da erblickte er auch ihr marmornes Bild, sein eigenes Kunstwerk, und kaum vermochte er die Zerstörungslust zurückzuhalten, die sich seiner bemächtigte, es zu zertrümmern und die schöne Venusstatue in den nichtsbedeutenden formlosen Stein wieder aufzulösen, aus dem sie seine Künstlerkraft einst gestaltet hatte. Ach, mit seiner Künstlerkraft, fühlte er, würde es von nun an auch vorbei sein, und den Muth, Etwas zu schaffen, könne seine im Innersten ermattete und zerrissene Seele nie wiedererlangen, seitdem er dies an sich erlebt.

Durch die finstern Phantasien, in die er sich immer tiefer verirrte, wagte sich nur von fern ein leiser Trostesschimmer, den er aber selbst kaum festhalten zu dürfen glaubte. Es war der Gedanke an Rosalien, deren Bild wieder aus dem Grunde seines Herzens hervortrat, deren mildes, trautes Gesicht ihm besänftigend zuwinkte, als wolle es ihm versichern, daß Vergebung und Versöhnung nicht unmöglich seien. Aber er hielt sich ihrer engelreinen Gestalt für unwürdig und doch fühlte er, daß er den Gedanken an sie nie lassen könne, und daß die hohe Bedeutung, die er an ihren Besitz für sein Leben geknüpft, eine wirkliche und unumstößliche Wahrheit für ihn habe.

Doch ihr Vater, würde er nach dem, was vorgefallen, noch wieder Glauben an ihn gewinnen können? Wie sollte er vor ihm bestehn und wie sollte er ihn von der tiefen Reue, die sein ganzes Wesen jetzt durchdrang, überzeugen? »Bitterste Stunde meines Daseins!« rief er verzweifelt aus. »So schrecklich erfahre ich in mir den Zwiespalt des Romanticismus und Classicismus der Liebe und des Lebens, und was diese verwirrungsvollen Namen für die Poeten bedeuten, das bedeuten für mich die Namen Madelon und Rosalie!« – –

Der Major war unmittelbar nach jenem Ereigniß fortgeeilt, um sogleich die nöthigen Anstalten zur Abreise zu treffen, denn er war entschlossen, keinen Tag länger in Paris zu verweilen. »Wir reisen in einer Stunde ab, Rosalie, nach Deutschland!« sagte er jetzt, als er zurückkehrte, zu seiner Tochter, die den Vater nicht begriff und ihn erstaunt anblickte, doch er wiederholte seine Aufforderung, sich schleunig zur Abreise fertig zu machen, und in seinen ungewöhnlich finstern Gesichtszügen las das dem Vater immerdar zu folgen gewohnte Mädchen, daß es ihm mit seinen Worten Ernst sei.

»Aber warum denn so schnell, so plötzlich?« wagte sie nur noch leise zu fragen, indem sie sich bittend und schmeichelnd an den Vater schmiegte. »Wir sind ja gestern erst angekommen! Und weiß es denn Magdalene schon?« –

»Sie ist unwohl, sie ist krank!« entgegnete der Major zurückhaltend. »Sie hat sich auf ihrem Zimmer verschlossen und will Niemand sehn; sie ist in einen reizbaren Gemütszustand verfallen, in dem ihr keine Gesellschaft taugt und am wenigsten solche, wie die unsere! Ich habe schon in Deinem Namen von ihr Abschied genommen, liebes Kind, und Du brauchst nicht zu sorgen, wegen unserer auffallenden, plötzlichen Abreise. Leid thut es mir, daß Du von den Herrlichkeiten der weltberühmten Seinestadt so wenig gesehn und genossen, aber glaube, es ist eine Stadt des sittenlosen Frevels, wo das schöne, heuchlerisch glänzende Außenwerk des Lebens nichts Anderes zum Inhalt hat als die Sünde! Ach meine Rosalie, Dein harmloser Mädchensinn ahnet noch nichts von der Verlorenheit und Verworrenheit, in der die schwachen, zum Unglück geborenen Menschen auf dunklen Pfaden durch die Welt umherirren! Welch eine sanfte, engelgleiche Mutter hatte diese wilde Magdalene! Du erinnerst Dich noch aus Deinen ersten Kinderjahren her einer guten, schönen Frau von hoher, schlanker Gestalt, die Dich oft auf den Armen trug und Dir die milde Freundlichkeit Deiner eigenen, frühe gestorbenen Mutter ersetzte. Das war Magdalenens Mutter, und Magdalene war damals schon ein heranwachsendes Mädchen. Um ihrer unvergeßlichen Mutter willen hatte ich sie aufgesucht in Paris, um sie wieder an die Heimath zu mahnen, um ihr in's Gedächtniß zurückzurufen, daß sie eine Deutsche ist, um sie an ihre Mutter zu erinnern, aus deren Lebensgeschichte ich andenkenswerthe und ihr bisher noch unbekannte Mittheilungen ihr machen wollte. Aber da erregte ihr das Erinnern an die Vergangenheit Kopfweh, da war von der Flatterhaften kein zusammenhängendes Gespräch, keine ruhige Stunde des Beisammenseins zu erlangen, und so möge denn die Vergangenheit, die ich versöhnen wollte durch Enthüllung eines merkwürdigen Lebensereignisses, möge sie nun Schuldiges oder Unverschuldetes auf immer in ihrem verschwiegenen Dunkel bergen! Komm, meine Tochter, nach Hause, fort nach unserm ehrlichen Deutschland!« – –

Narciß irrte noch spät am Abend vor dem Hause in der Rüe de Cherche midi umher und blickte unverwandt nach den Fenstern der deutschen Fremden hinauf. Aber keine Spur zeigte sich, daß die Zimmer bewohnt wären und die Fenster blieben unerhellt. Das ganze Haus war dunkel und nur aus dem einfenstrigen kleinen Kabinet Madelons machte sich der schwache Schimmer eines Nachtlichtes bemerklich. Da erfuhr Narciß durch einen Diener, daß der deutsche Major mit seiner Tochter schon vor mehreren Stunden plötzlich wieder abgereist sei. Mit Entsetzen hörte er dies an, aber in demselben Augenblick wurde auch ein Entschluß in seiner Seele mächtig, von dem er für seinen Schmerz wenigstens Zerstreuung, wenn auch nicht Linderung hoffte. Er mußte fort, er konnte nicht in Paris zurückbleiben, er wollte nach Deutschland, nach Coblenz, und er freute sich, daß ihm die Vaterstadt Rosaliens im Gedächtniß geblieben. –

Kälter und ruhiger geworden, ging er nach seiner Wohnung, um auf der Stelle Vorbereitungen zu einer Reise zu treffen. Mit einer nachlassenden Aufregung seines Innern, die eben dadurch bewirkt wurde, daß er zu einem Entschluß, etwas zu seinem Trost zu unternehmen, gekommen war, verbrachte er, obwohl schlaflos, die Nacht, und am andern Tage setzte er sich mit dem Frühesten auf den Postwagen, um den Vorangeeilten auf der Straße nach Deutschland nachzureisen.



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