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Neunzehntes Kapitel.
Ende der Jugendzeit

Ich traf den Zirkuskünstler mit seinen Katzen nicht, wie der Zauberer vorausgesagt hatte, im folgenden Winter, aber zwei Jahre später. Das zeigt die Unzuverlässigkeit von Prophezeiungen. Jetzt im Alter glaube ich, daß man, wenn man leichtgläubig genug ist, sich an alle Prophezeiungen über sich selbst klammert, ob sie sich nun erfüllen oder nicht. Die Kunst des Zauberers oder eines Wahrsagers ist sicher unterbaut; denn sie ist auf des Menschen chronische Krankheit des Hoffens gegründet. Wer am meisten erhofft, nimmt jede beliebige Menge von Prophezeiungen für bare Münze.

Jetzt muß ich euch berichten, wie ich den nächsten Winter zubrachte. Nachdem ich mich, da Kuri dahingegangen war, als Haupt unseres Haushaltes in Mayavati niedergelassen hatte, riet der Priester mir, mehr Tiere zu zähmen. Er bot mir an, mir bei meinem Unternehmen behilflich zu sein, und riet mir, meine Freude an Tieren wieder zu beleben, weil er wußte, daß der Verrat der Pantherin Mita mich mißtrauisch gegen Katzen und gegen die Tierwelt im allgemeinen gemacht hatte. Ich sollte dieses Gefühl des Mißtrauens überwinden, bevor es fest in meiner Seele verwurzelt war.

Sar, der Hund, war noch bei mir, desgleichen die Tauben. Ich mußte ein Tschita-Junges kaufen; denn einen jungen Panther oder Leoparden konnte ich mir nicht verschaffen. Tschitas sind, wie ihr wißt, den Leoparden sehr ähnlich, nur ihre Krallen sind von denen einer Katze verschieden. Sie können nicht auf Bäume klettern noch mit einem einzigen Schlag ihrer Vordertatzen einen Hirsch oder Nylgau töten. Beim Töten ihrer Beute sind sie von der Kraft ihres Sprunges und von ihrem Biß abhängig. Tschitas können dazu abgerichtet werden, zu jagen und ihren Fang ihrem Herrn zu bringen, in der gleichen Art, wie der abgerichtete Schikra (Falke) seine Beute dem Falkner als ein Opfer darbringt. Aber von all dem werde ich zu seiner Zeit und an seinem Ort sprechen.

Jetzt möchte ich euch von dem überraschenden Besuch eines verlorenen Freundes erzählen, der mir Freude bereitete und mein einsames Heim glücklicher machte. Es war Bendschis, des Ichneumons, plötzliche Rückkehr aus den Wäldern. An einem trockenen klaren Tag gegen Ende des Herbstes erschienen drei Angehörige einer Ichneumonfamilie und schnupperten beim äußeren Zugang zu meinem Hause umher. Ich, der ich auf dem Dach stand und meine Tauben beobachtete, die sich sonnten, interessierte mich für die drei schwarzen Vierfüßler. Sie zogen sich von der Tür zurück und verbargen sich hinter einem großen Heuhaufen, ein paar Meter vom Haus entfernt, dann kamen sie wieder zum Vorschein und verschwanden wieder, aber nicht für lange. Der kleinste sah aus wie mein eigener Bendschi; doch Bendschi, meinte ich, könnte jetzt nicht mehr so klein sein. Er mußte völlig ausgewachsen sein – wer also waren diese drei Leutchen?

Als seien ihre Beratungen beendet, verabschiedete sich eines der beiden größeren Tiere von seinen Begleitern, die in der Nähe des Heuhaufens warteten, aber statt davonzulaufen, kam es an unsere Haustür und lief ins Haus. Einen Augenblick später stieg es zum Dach hinauf, wo ich nach meinen Tauben sah. Obgleich diese Bendschi vergessen hatten, fühlte er doch einen freudigen Schreck, als er – es war in der Tat Bendschi! – sie sah. So aus der Nähe brauchte ich keine Minute dazu, ihn zu erkennen. Auch er erkannte mich sofort. Nicht nur Bendschi, sondern jedes Ichneumon, das mir begegnet ist, zeigt ein ungeheuer treues Gedächtnis. Es war rührend zu beobachten, wie er auf mein Wiedererkennen antwortete. Zuerst zitterte der ganze jetzt ausgewachsene Körper, dann wurde sein kleiner Bart steif, und als ich ihn in meine Hand aufhob, standen seine Haare zu Berge. Wir blickten einander an, wie es wohl zwei in einer Wüste verirrte Kamele tun, wenn sie sich nach Tagen des Durstes und der Wanderung über den brennenden Sand bei einem Wasserloch begegnen.

Nach ein paar Augenblicken sprang er mir aus der Hand und lief zu seiner Familie. Ich vermutete, daß die beiden Draußenstehenden sein Weib und sein Kind seien. Er hatte eine lange Unterredung mit ihnen. Ich konnte ihrer Verhandlung durchaus folgen: Obwohl er sie drängte, zu mir zu kommen, lehnten sie ab, es gleich jetzt zu tun, deshalb kehrte er mit seiner Familie in den Wald zurück, woher sie gekommen waren. Nachdem sie sich entfernt hatten, wunderte ich mich darüber, wie dieses Ichneumonpärchen zu Nachkommenschaft gekommen war. Bekanntlich paart sich ein gezähmtes und an Menschen gewöhntes Ichneumon selten. Ich habe nie von einem Pärchen gehört, das Junge hatte, wenn eines davon oder beide in menschlicher Gesellschaft waren. Die einfache Tatsache des Lebens mit Menschen – mag ihre Freiheit dabei noch so groß sein – hält sie von der Paarung ab. Das ist das Gesetz des Ichneumonlebens. Weil ich dies wußte, und weil Bendschis Familie sich als eine Ausnahme von der Regel erwiesen hatte, fühlte ich mich tief ergriffen von seiner Rückkehr mit Weib und Kind zu mir.

Aber diese Rückkehr vollzog sich nicht auf einmal. Nach dem kurzen Besuch am ersten Tag kamen er und seine Familie Tag für Tag, jeweils auf eine halbe Stunde. Bendschi kam zu mir, aber die übrigen wagten sich nur bis an die Eingangstür unseres Hauses. Da sie ihren Besuch nie zu einer bestimmten Zeit abstatteten, mußte ich auf sie warten, und das war gut für mich, weil es meinen Geist angeregt und wachsam hielt und ihn von anderem abzog. Ich pflegte umherzugehen und nach allen Arten wohlschmeckenden Futters für sie zu suchen, was eine ganze Menge Zeit in Anspruch nahm, und wenn sie – gewöhnlich irgendwann am Nachmittag – erschienen, machte es mich froh, ihnen mit dem aufzuwarten, was ich mir verschafft hatte. So gewann ich im Verlauf einiger Monate das Vertrauen von allen dreien, und bald richteten sie sich häuslich bei mir ein.

Mit dem Nahen des Winters begannen der Priester und ich hinauszugehen, um einige Stunden im Dschungel zu verbringen. Gingen wir tagsüber, so nahm ich den Hund Sar und die ganze Ichneumonfamilie mit, war es aber Nacht, dann nahm ich nur die Ichneumons mit. Sie hatten selten etwas dagegen einzuwenden.

Wie schön eine Winternacht im Dschungel sein kann, kann man daran ermessen, daß man von Mosquitos und vielen anderen abscheulichen Insekten verschont bleibt. Selbst die Schlangen schliefen in ihren Höhlen. Durch nichts wurde man auf einem Baumwipfel gestört, und unten war viel zu beobachten, da die meisten Blätter von den Bäumen und Bäumchen abfielen. Es waren zu dieser Jahreszeit viel mehr Tiere zu sehen als sonst.

Eines Nachts in der letzten Februarwoche, als wir merkten, daß es bald Frühling werden wollte, nahmen wir alle drei Ichneumons mit in den Dschungel. Wir hatten die Absicht, sie dort ihren eigenen Neigungen zu überlassen, bis sie am Ende des Sommers nach Hause zurückkehren würden. Es war nicht gut für sie, jetzt, wo die Zeit der Paarung nahte, auch nur von weitem mit Menschen in Verbindung zu stehen.

Nun, es war ein Glück, daß wir sie mitnahmen. Hätten wir es nicht getan, so wäre ich wenigstens nicht hier und erzählte die Geschichte.

Es war eine herrliche Nacht, nicht ganz so kalt wie bisher. Der Saft floß bereits so stark in den Bäumen, daß man es fast hören konnte. Blüten- und Blattknospen streckten dem Streicheln des Windes schon schüchterne Finger entgegen. Der Frühling war scheu in diesem Jahr. Er streckte heute eine Hand aus und zog sie morgen wieder zurück. Welche Unschlüssigkeit, welcher Zauber!

An jenem Abend richteten wir uns gegen acht Uhr auf dem Ast eines ungewöhnlich großen Nußbaumes ein, auf dem wir eine Matschan (Sitz) errichtet hatten. Die drei Ichneumons saßen auf unserem Schoß; der Priester hielt zwei, und ich nahm Bendschi. Ich befand mich an der Außenseite, während Purohit zwischen mir und dem Stamm saß. Er wurde alt, und da er gern schlafen wollte, zog er es vor, seinen Rücken gegen den Stamm zu stützen.

Statt sich, wie es ihre Gewohnheit war, ruhig zu verhalten, war die Ichneumonfamilie in dieser Nacht ruhelos. Alle drei waren so aufgeregt, daß der Priester ihr Unbehagen für Frühlingsfieber hielt. Aber Unbehagen oder kein Unbehagen, ihre Ruhelosigkeit machte uns zwei Menschenwesen nervös. Der Priester brummte und klagte, daß er nicht schlafen könne, und ich wurde aufgeregt, weil er schwätzte und sie sich beständig bewegten. Es war nicht daran zu zweifeln, daß uns Gefahr umgab, da wir das aber nicht ändern konnten, blieben wir, wo wir waren. Man konnte nirgends hingehen um halb elf Uhr, wenn der Mond aufging und nicht nur Bären und Büffel, sondern auch streifende Tiger hervorlockte.

Unter unserem Baum zog ein Elefant vorbei, der erste, der nach Norden kam. Wie eine schwarze Barke verschwand er in eine von Silber übersponnene Dunkelheit. Wenn der Hathi im Februar nach Norden wanderte, hieß das, daß der Frühling wenigstens zehn Tage früher als gewöhnlich eingesetzt hatte; denn seine hitzeliebende Haut mag das niedrige Himalyagebirge nicht, außer wenn dort sicher auf Wärme zu rechnen ist. Seine Anwesenheit sagte uns, daß wir vorsichtig sein müßten; denn wandernde Tiere sind in der Regel hungrig und schlechter Stimmung. Sie töten aus reiner Laune.

Doch auf einem Baumwipfel fühlten wir uns ganz sicher. Um die Mitte der Nacht kam eine kleine Hathiherde vorüber. Ihr folgten nicht etwa umherstreifende Büffel, die gewöhnlichen Winterbewohner des Dschungels, sondern einwandernde Scharen. Einer von ihnen kam uns sehr nahe, aber die übrigen zogen weit von unserem Platz vorbei. Nur das Muhen ihrer Führer sagte uns, daß sie Witterung von einem Tiger oder Leoparden hatten.

Bald hörte das auf, und der Dschungel wurde still. Alles war so ruhig, daß es die ganze Luft in Aufregung versetzte, wenn eins der drei Tiere sich auf unserem Schoß bewegte.

Aber sie bewegten sich immerzu. Ich legte Bendschi die Hand auf den Rücken. Es tat mir weh, denn seine Haare standen ihm steif wie Bärte zu Berge. In dem tiefen Schatten, den die Zweige über uns warfen, konnten meine schwachen Menschenaugen nichts erkennen, so war ich gezwungen zu lauschen. Zunächst war kaum die leiseste Schwingung eines Geräusches zu vernehmen, als hätten schwere Türen des Schweigens sich um uns geschlossen.

Plötzlich setzte Bendschi sich auf, dann duckte er sich in meinen Schoß. Jetzt begann, wie ich merken konnte, ein scharfer spitzer Laut an dem festverschlossenen Tor des Schweigens zu kratzen. Er wurde lauter. Übergehend von einem Kratzen, erklomm er einige unbekannte Skalen und schlug einen neuen Ton an – wie wenn das Ende eines Riemens auf das hilflose Gras niedersaust. Es kam naher und wurde starker. »F-s-sch«, schalt es. Bendschi knurrte und sprang von meinem Schoß. »F-ss-sch-bang«, dann ein fürchterliches Knattern von raschelndem trockenen Laub unten auf dem Boden. Der Priester rief mir zu, daß seine Schutzbefohlenen, Bendschis Sohn und Weib, sich auch in den Tumult gemischt hätten, und als ich aufstand, um hinunterzusteigen, hielt er mit einer Hand meine Beine fest. Er wollte mich nicht gehen lassen. »Was kannst du an diesem stichdunkeln Ort Gutes tun? Laß nur die drei Ichneumons eine Natter bekämpfen. Sitz still, bis es Tag wird. O Gott, welch eine Nacht!«

Der Priester war in diesem einen Jahr rasch gealtert. Er hatte keine Lust zu Abenteuern, und da er zwischen mir und dem Baumstamm saß, konnte ich nicht über ihn hinwegklettern, und so gehorchte ich ihm.

Als wir am Morgen hinabstiegen, fanden wir auf dem Boden nur den Kopf einer Kobra. Die drei kleinen Tiere, die mir das Leben gerettet hatten, spielten nach ihrem prächtigen Frühstück Verstecken.

Es war der größte Kobrakopf, den ich je gesehen hatte, fast so groß wie meine Handfläche. Man stelle sich seine Größe vor, als die Schlange lebendig war und ihre Haube ausbreitete. Nachdem wir den ganzen Boden abgesucht hatten, entdeckten wir, wie sie dorthin gekommen war. Sie hatte wohl nach ihrem Winterschlaf die Haut abgeworfen, und in ihrer neuen Haut war sie sehr leuchtend. Sie fühlte sich hungrig, wie es alle Schlangen nach fast drei bis vier Monaten Winterschlaf sind; wahrscheinlich sah sie ein paar Vögel nach Norden ziehen, und gegen Einbruch der Dunkelheit kroch sie auf den Baum und entdeckte auf dem äußersten Ende des Astes, auf dem unsere Plattform war, eine kleine Ente, einen Nachzügler, bei der Nachtruhe. So fing sie das arme Bürschchen, sobald es dunkel genug war, und machte sich daran es zu verschlingen. Und nach beendeter Mahlzeit legte sie sich schlafen. Als sie aufwachte, merkte sie, daß zwischen ihr und dem Stamm des Baumes Menschen und mindestens ein Ichneumon waren.

Stellt euch nun vor, wir hätten in jener Nacht Bendschi und seine Familie nicht mitgenommen. Was wäre geschehen? Wir brauchen diesen Gedanken jetzt nicht zu verfolgen. Wie sicher und gewandt Bendschis Sprung war und wie unfehlbar sein Biß, das konnten wir aus dem Kopf der Schlange schließen, der genau dort abgetrennt war, wo bei einem Menschenkopf der Adamsapfel sitzt. Man bedenke, solch saubere Arbeit im Dunkeln zu tun!

Nach diesem Sieg über den Tod waren wir zu gerührt, um mein Ichneumontrio am gleichen Tage im Dschungel zurückzulassen, deshalb brachten wir unsere drei Freunde nach Hause, um unserer Gemeinde zu verkünden, wie gute Dienste sie uns geleistet hatten. Die geschwollenen Bäuche der Ichneumons verstärkten mit der lebhaftesten Beredsamkeit unsere Augenzeugenschaft.

 

Das war in jener Zeit mein letztes Abenteuer im Dschungel. Für die nächsten paar Jahre beschränkten sich meine Erfahrungen mit Tieren darauf, sie zu zähmen und in einem Zirkus mit ihnen aufzutreten. Davon ein anderes Mal. Inzwischen lasse mich hier abbrechen, o Freund und Schüler meines Herzens. Mögen die Götter dich vor Schaden und Schmerzen bewahren! Möge Glück für immer bei dir wohnen, und mögest du Erfolg haben in jeglicher Unternehmung deines Lebens. Für diesmal erlaube mir, o Krone der Weisheit und Seele der Freude, zu sagen

 

Tamam Tamam: Ende..

 


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