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Zwölftes Kapitel.
Das zweyte Kapitel vom Geniewesen, worinn der Leser das mineralgrüne Genie näher kennen lernt

Man wies dem schwarzen Genie als einem ganz fremden Herrn die Oberstelle an; aber er hatte im täglichen Umgange mit den vornehmsten Bedienten Seiner Gnaden, mit welchen er längstgedachter maßen fast täglich speisete, schon lange so viel begriffen, daß er in der allerfeinsten Galanterie kein Neuling mehr war. Sonach fuhr er mit seiner nervigten Rechte behende in den Schlitz der Falten seines Rockschoosses, machte einen gefährlichen Bückling und scharrte hinten aus, daß es witterte, that darauf einen zierlichen Schritt vorwärts, der ihn der hübschen Wirthinn nahe brachte; erhob sodann den Rockschooß, und ergriff mit demselben gar sittiglich und züchtig die linke Hand der Wirthinn. Sie erlauben, wertheste Madam! sagte er zu der Frau, die, ob dem ihr ganz unbekannten Manövre erstaunt, ganz geduldig ihre kleine runde Hand in den Rockzipfel begraben ließ, und vielleicht dachte, der fremde Herr wolle ihr etwa die Spur eines angegriffnen Kochtopfes abwischen. Sie erlauben, wertheste Madam, sagte er, und thät sie ehrbarlich zu der Oberstelle führen, und zwang sie gar höflich, sich daselbst nieder zu lassen, wiewohl sie dreymal versicherte, das würde sich gewiß und wahrhaftig nicht schicken. Das Wesentliche dieses Manövres hatte er dem Herrn Verwalter und der Frau Liebste des Herrn Justitiarius abgestolen, die Nebenverzierungen that er aus seinem eignen Schatze hinzu. Als er diesen wichtigen Beweis seiner feinen Lebensart abgeleget hatte, nahm er mit vieler Würde seinen Platz zur Linken der Dame, und ihr zur Rechten pflanzte sich das mineralgrüne Genie hin, in dessen Giebel die braunen Aeuglein der lieblichen Wirthin schon längst einen solchen verteufelten Spuk angerichtet hatten, daß er oftmals Genie, und Philosophey, und Litteratur darüber vergaß; wie er denn auch an diesem Mittage nicht ermangelte, diese Augen, und was ein mißgünstiges Halstuch nicht ganz verbergen durfte, gar erbärmiglich anzuschielen, und von Zeit zu Zeit Seufzer so dick als des Schulmeisters Beine auszustoßen. Die übrigen Gäste samt dem Wirthe setzten sich ohne Cärimonie. Das Töchterchen im Hause stammelte, übelhergebrachter Gewohnheit nach, das Benedicite, welches ich allemal lieber vom Hausvater sprechen höre, und die Schüsseln wurden leer.

Ich habe oben schon verkündiget, daß das mineralgrüne Genie beschlossen hatte, sich zu zeigen. Weil er vor Tische nicht so recht dazu kommen konnte, entschloß er sich im Gasthofe zu essen, welches er, Trotz dem Gebrumme seiner Hausehre, gar oft, und vorzüglich dann zu thun pflegte, wenn er Fremde da fand, die er bewunderte, oder die ihn bewundern sollten. Jetzt bey Tische fieng er allmählich an, das Nordlicht seiner Einsichten leuchten zu lassen. Er machte den Anfang mit etlichen paradoxen Sätzen, auf die aber niemand achtete, der Schulmeister nicht, weil er die Suppe sehr wohlschmeckend fand, die übrigen nicht, weil sie das zum neun hundert neun und neunzigsten mal hörten. Bey der zwoten Schüssel stellte er sich frank und frey unter Voltäre's und Damm's Fahnen, aber der Ludimagister war entweder noch zu hungrig, oder er mogte sonst seine Ursachen haben, so viel ist gewiß, daß er keine Sylbe darauf antwortete. Als das mineralgrüne Genie sah, daß auch dieser Schlag kein Oel gab, besann er sich, vor einiger Zeit den Alexander von Joch über Verbrechen und Strafen nach türkischen Gesetzen gelesen zu haben, den er aber, seiner Gewohnheit und Unvermögen nach, nicht digeriret hatte. Auf einmal hub er einen stattlichen Diskurs über die Dauer der Höllenstrafen an; und, um das schwarze Genie recht mit den Haaren zur Aufmerksamkeit und Bewundrung zu zwingen, richtete er seine Rede gerade an ihn.

Zufälliger Weise war hier der Ludimagister zu Hause. Denn wie manchmal das Glück der Narren Vormund ist, so hatte er just vor etlichen Wochen eine Unterredung meines lieben Pastors mit dem Herrn Justitiarius angehöret, worinn dieser Gegenstand weitläuftig untersuchet wurde, und wobey es scharf hergieng. Der schwarze Mann hatte, wie mehrentheils alle Schulmeister von Profeßion, ein sehr glückliches Gedächtniß, also waren ihm die wichtigsten Argumente pro und kontra noch sehr geläufig, und er beschloß den Augenblick, dem grünen Genie gar stattlich das Obstat zu halten, die Meynung desselben mögte nun seyn, welche sie wolle, und vor der Gesellschaft Ehre einzulegen. Zu diesem tapfern Entschlusse trug das nicht wenig bey, daß er schon lange weg hatte, sein Gegner sey kein sehr gewiegter Mann.

Nach einigen Generalien über die Höllenstrafen überhaupt, erklärte das damastne Genie sich wider die gewöhnliche Bedeutung des Worts Ewig, und that einen großen Schritt über die Grenze bis ins Centrum der Philosophey. Herr, sagte er, sind sie nicht auch der Meynung, daß ein unendliches Wesen von einem Endlichen nicht Unendlich beleidiget werden könne?

»Mein werther Herr, erwiederte das schwarze Genie, ich bin zwar nicht hieher gekommen, über die Religion zu disputiren, doch – ich sehe, Sie sind auf Irrwegen, und es ist Pflicht, seinen irrenden Bruder zurecht zu weisen, vorausgesetzt, daß er nicht muthwillig irre, noch in der Absicht mit seinen Irrthümern zu pralen, welches meines Dafürhaltens nur ein Bösewicht oder ein Narr thun kann.« –

Dieser Eingang machte den mineralgrünen Philosophen ein wenig betreten. Er fühlte, daß er an ein zum wenigsten eben so boshaftes Thier gerathen sey, als er selbst war. Doch befürchtete er noch nicht, daß der schwarze Mann so gar arg mit ihm umspringen würde, als wirklich geschah.

– »Was also, fuhr der Schwarze fort, Ihre Frage betrifft, mit der Sie mich angehen, so dienet in Antwort, daß wir nicht nur wissen müssen, wovon wir reden, sondern auch was wir reden. Meynen Sie das nicht ebenfalls, mein Herr?«

Ich denke: Ja! antwortete der grünseidne Mann.

»Gut also, mein Herr! sagte der Schulmeister. Aber ehe wir weiter gehen, das trockne mein Herr macht meines Dafürhaltens die Unterredung ein wenig hölzern. Es ist so herzlicher und besser, wenn man sich bey seinem Namen oder Karaktehr zu nennen weiß; man kann sich auch seinen Respekt besser geben. Ohne Zweifel wird das auch des Herrn Videtur seyn. Also, mit Permißion! mit wem habe ich das Vergnügen zu konversiren?«

Ich heiße Herr Pfrieme, zu dienen!

»Und Ihr Karaktehr?«

Habe keinen. Ich bin ein Liebhaber der Humaniorum.

– Es ist wohl Zeit, daß wir unsern Lesern sagen, wer der mineralgrüne Philosoph eigentlich war, und dazu haben wir die beste Gelegenheit, während die beyden Genies gegen einander zu Felde ziehen. Sein Vater lebte und starb als ein Leineweber mit dem Ruhme eines ganz hübschen Mannes, und hatte diesen seinen Sohn ebenfalls zu einem ehrbaren Handwerk erzogen und anführen lassen; wie denn der Bursch auch so weit gedieh, daß er als Schuhknecht seine Wanderjahre antrat, nachdem er seinen Vater viel Verdruß gemacht hatte. Nach des Vaters Tode aber warf der Sohn aus leidigem Drang des Genie Leisten und Kneif zum Henker, und nach vielen in der Nachbarschaft und daheim überstandnen Fährlichkeiten und versuchten Metiers, bald Bettler bald Matador, nahm er eine Frau, und zehrte nun, da er schon über die funfzig hinaus war, auf den Rest eines geringen Vermögens, der nicht gar zu edlen Frucht seines letzten Coup de genie, waidlich los; schlemmete und demmete redlich; sprach nichts als Hochdeutsch, weil, wie er sagte, das Plattdeutsche keines erhabnen Ausdrucks fähig sey, sonderlich so, wie es der Pommersche gemeine Mann spräche; verläumdete alle Welt; schwänzelte immer noch hinter Weiber und Mägdlein her; las jedes Buch das er auftreiben konnte, und pränumerirte auch wohl mit unter auf Bücher die – unstreitig für Schuhknechte nicht geschrieben waren, um seinen Namen schwarz auf weiß gedruckt im Pränumerantenverzeichnisse täglich vor Augen zu haben. Ein paar unrechte Bücher, ein paar schlechte Buben, und, mehr als das, eine Mutter voll Affenliebe hatten den Grund zu seinem sittlichen Verderben gelegt; denn wirklich, der grüne Mann schämte sich keines Verbrechens. – Mütter! Mütter! wie unzählig mehrere Seufzer und Flüche unglücklicher, zu spät zur Erkenntniß kommender Kinder fallen auf euch, als auf die Väter! – Eine fortgesetzte unrechte Lektüre machten ihn vollends zum Narren, und, weil er nicht verstand was er las, endlich zum vollendeten Bösewicht. Ihr Herren, die ihr alles wisset! giebt es kein Mittel die Mütter, und dadurch zugleich die Kinderzucht zu bessern? giebt es kein Mittel den Pöbel vor Büchern die für ihn nicht geschrieben wurden, zu bewahren?

Seinem Pränumerationswesen hatte Herr Pfrieme den Titel eines Liebhabers der Humaniorum, der bis jezt in keinem Titularbuche stehet, zu danken. Denn, da er zum erstenmal seinen werthen Namen zu einem solchen Verzeichnisse einzusenden vorhatte, war er unschlüßig was für einen Schwanz er demselben anhenken sollte. Exschuster, – wie heut zu Tage Exjesuit – das schien ihm nicht schicklich. Bürger und Einwohner très renommé, das war vollends nichts. Gar kein Schwanz ließ auch so kahl und gestutzt. Homme de Lettres war damals noch nicht üblich. Genie? Ein Genie? Das war Etwas. Aber es ließ doch gar zu wer weiß, wie! Sonach ward der glänzende und unerhörte Titel: Liebhaber der Humaniorum beliebt und erkieset.

– Ich bin ein Liebhaber der Humaniorum, sagte der Exschuster. Aber, erlauben Sie, wen hab' ich die Ehre für mir zu sehen?

» Vor mir, sagte der Schulmann, wenns Ihnen beliebt. Ich bin ein Gelehrter, und habe mich eigentlich dem Edukationswesen gewidmet, Ihnen zu dienen, wo ich aber jezt nicht weiter Fait von mache als ich unumgänglich muß, weil ich bey Seiner Hochwohlgebohrnen Gnaden dem Herrn von Lindenberg, das Amt eines Lektoris ordinarii übernommen habe, welches mir so viel Zeit weg nimmt, daß mir zu Erziehungsarbeiten nur wenig, und für mich selbst zu studiren gar nichts übrig bleibt. Allerdings mögt ich in Absicht des letzteren wohl mit dem Poeten ausrufen: Triste et miserabile! Aber, da Seine Gnaden von jeher viel Freundschaft und Gnade für mich gehabt haben, so ist es meine unterthänigste Schuldigkeit, was mir Gott an Kräften verliehen hat, zu Deroselben Diensten zu verwenden. Indessen, wie ich sage, bin ich ein eifriger Diener, so ist er ein gnädiger Herr. Noch diesesmal, da Seine Gnaden vernahmen, daß ich ein kleines Geschäffte in dieser Gegend hätte, geruheten Sie zu sagen: Ich gebe es durchaus nicht zu, liebster Herr Lektor, daß Sie die Reise auf einem offnem Wagen thun. Wer weiß was für Wetter einfallen kann? Sie müssen meine blaue Schäse nehmen. Mein Heinrich (das ist der Leibkutscher Seiner Gnaden) soll Sie fahren; er kann vier von den neuen Schweißfüchsen vorspannen; das sind Pferde wo Sie schon mit vom Flecke kommen sollen; und mein Christian (das ist des gnädigen Herrn erster Kammerdiener) soll Sie begleiten, dann weiß ich, daß Sie gut aufgehoben sind. – Danke Eu'r Gnaden unterthänigst, sagte ich. Eu'r Gnaden erlauben, sagte ich, daß ich mir einmal eine kleine Motion mache. Ich hätte wohl Lust, den Weg zu Fuße zu machen, sagte ich. Seine Gnaden wollten denn doch, daß ich auf den Nothfall die Schäse hinter her fahren lassen sollte; und als ich mir das ernstlich verbat, wurden Sie wirklich ein wenig empfindlich. Nu, wie Sie wollen, Herr Lektor, sagten Seine Gnaden. Ihr Herren Gelehrten habt doch immer so Euere aparten Grillen, sagten Sie.«

– Nicht wahr, trauter Leser, aus dieser langen Rede leuchtet die herrlichste Anlage zum Zeitungsschreiber hervor? –

Hierauf gieng er dem Exschuster tapfer zu Leibe, und wiewohl es lieblich und lustig zu lesen seyn mögte, was ein Schuster und ein Dorfschulmeister wie der unsrige über die Dauer der Höllenstrafen und über metaphysische Subtilitäten, die sie beyde nicht verstanden, zu Markte brachten: so wollen wir doch, anerwogen dieses lange Gefecht uns zu viel Platz wegnehmen dürfte, selbiges übergehen, und uns begnügen, ein Wörtlein über des schwarzen Genies dermalige Methode zu sagen, womit er den mineralgrünen dergestalt in die Enge trieb, daß, wie Butter und Käse aufgetragen wurden, alle Lacher auf des Ludimagisters Seite waren. Dieser hatte nun freylich kein Arges daraus, daß sein Sieg gerade von dieser Methode abhieng, denn er gieng schlechthin so zu Werke, als er es dem Pastor abgemerket hatte: dennoch, damit wir doch auch etwas in Logicis erfinden, wollen wir dieser Art zu fechten, den Namen der Schulmeister-Methode beylegen, und sie beyläufig allen vernünftigen Leuten empfohlen haben, die sich der Zudringlichkeit eines schaalen Schwätzers der keine Rason anzunehmen pflegt, gern erwehren wollen. Der Schulmeister aber machte es also:

So bald Herr Pfrieme den Mund aufthat, war er, der schwarze Mann, mit der Frage bereit: Was verstehen Sie darunter? Da nun schaale Köpfe selten wissen, was sie eigentlich sagen, so folgt, daß sie in ein Paar Minuten von der Schule geschlagen sind. Um ein Exempelchen zu geben: der schwarze Mann trat dem Grünen stracks mit der Frage auf den Hals: Was nennen Sie Endlich und Unendlich? – Und der Grüne antwortete: Endlich ist, was ein Ende hat, und Unendlich, was keins hat. Nein, sagte der Ludimagister, ein endliches Ding kann auch zwey Enden haben; Sie wissen also nicht, was Sie reden. Denn der Anfang eines Dinges ist das Ende vorn hinaus, und das Ende ist das Ende hinten hinaus. Das sind also zwey Enden. – Hierauf fragte er ferner, erstlich, was beleidigen, und hiernächst, was unendlich beleidigen heisse. Das letzte erklärte Herr Pfrieme durch: so beleidigen, daß Gott es gar nicht vergeben könne. – Und so gab ein Wort das andre, bis es dem Exschuster an Händen und Füssen kalt wurde. Es lebe die Schulmeistermethode!

Als nun das mineralgrüne Genie durch seine eigne Unwissenheit und halbrichtige oder ganz falsche Erklärungen in so viel Schwürigkeiten verwickelt war, daß ihm Wort und Bissen im Halse stecken blieb, da konnte der gefräßige Wirth, der zwar mit beyden Ohren zugehöret, aber auch mit beyden Backen gekauet hatte, sich nicht erwehren, seinen Zähnen einen Stillstand von acht Sekunden zu gönnen, um triumphirend auszurufen: Sieh! Bruder Pfrieme! da hast mal deinen Mann gefunden!

Da verstehst du viel von, Bruder Bunke! Unser Dispüt ist noch lange nicht ausgemacht, und kann auch wohl nicht ausgemacht werden, denn des Herrn Lekters Meynung und meine Meynung sind doch nur Apotesen.

»Hypothesen, Herr Pfrieme, sagte der schwarze Mann. Aber wollen Sie mir wohl sagen, was Sie unter Hypothese verstehen?«

Das ist – Will ich Sie sagen – gleichsam – Aber laß uns von was anders reden. Ich sehe wir haben mit der Philosophie der lieben kleinen Frau Langeweile gemacht.

Sie belieben zu scherzen, sagte Madam Bunken. Aber weil wir unsern Lesern nicht gern allzuviel Langeweile machen mögten, so melden wir kürzlich, daß das Gratias gesprochen wurde, worauf der Ludimagister sich ein Schälchen Kaffe, und bey demselben die Gesellschaft des mineralgrünen Exschusters ausbat; denn die andern Tischgenossen giengen gleich nach aufgehobner Tafel an ihre Geschäffte.

»Es ist doch verdrießlich, muß ich sagen, fieng der Ludimagister an, indem er seine Pfeife stopfte, daß ein Gelehrter hier zu Lande gar nicht seine gehörige Bequemlichkeit hat.«

Wie meinen Sie das, Herr Lekter? fragte der seidne Mann.

»Das will ich Ihnen sagen, Herr Pfrieme. Sehen Sie, ich bin ein Gelehrter, wie Sie wissen. Aber was hilft mir das? Ich bin gezwungen mein Licht unter einen Scheffel zu setzen, anstatt es vor den Leuten leuchten zu lassen, und andern Gelehrten mit meinen Einsichten nützlich zu werden. Hätten wir in dieser Gegend – – Aber so haben wir nicht. Ich habe, unter uns gesagt, schon seit geraumer Zeit meine Meditationen über manche Gegenstände schriftlich entworfen, worinn ich über viele Dinge der Welt ein Licht aufstecke ...«

Ey, das wäre viel! Sind Sie ein Autor?

»Lassen Sie sich nur erst sagen, lieber Herr Pfrieme! da überraschten mich neulich Seine Gnaden am Pulte, als ich meine Aufsätze ein wenig befeilete – denn wir besuchen einander ohne Komplimente. Ey Herr Lektor, sagte der gnädge Herr, darf man wohl einmal in ihre Hefte kucken? – Ich mogte einwenden, was ich wollte – und bey so vornehmen Herren darf man denn nicht allemal recht viel einwenden –«

Das ist ganz natürlich, Herr Lekter.

»Kurz, er bemächtigte sich meiner Hefte, und las über zwo geschlagne Stunden drinn. Ich muß gestehen, lieber Herr Lektor, sagte er, ich kann mich nicht satt lesen. Sie haben ihren Materien sehr gründlich nachgedacht. So ein Buch, wenn das gedruckt würde, wäre werth, daß Könige und Kaiser es auswendig lernten. – Ich wollte das nun freylich nicht an mich kommen lassen, können Sie leicht denken ...«

Ganz natürlich, sagte Herr Pfrieme.

»Aber der gnädige Herr sagte: Ich habe das lange an Ihnen getadelt, mein liebster Herr Lektor, daß Sie allzu bescheiden sind. Ich bin Ihr aufrichtiger Freund, sagte er, und mein unmaßgeblicher Rath ist der, Ihr Werk je eher je lieber drucken zu lassen. – Nun wissen Sie wohl, lieber Herr Pfrieme, daß der Rath eines solchen Freundes ein gemeßner Befehl ist. Zudem sind Seine Gnaden ein Herr von tiefen Einsichten, und ich thäte ihm gern den Gefallen, wenn es möglich zu machen wäre. Aber in diesem Lande! – Man muß nicht daran denken. In magnis et voluisse fat est, wie Aristoteles sagt. – Seine Gnaden mögen dermalen mit meinem guten Willen fürlieb nehmen.

Dem Himmel sey Dank, daß die lange Rede des Schulmeisters zu Ende ist! Die Finger schmerzen uns vom Nachschreiben, und wir wünschen herzlich, daß unsre Leser vom bloßen Lesen nicht etwa die Darmgicht bekommen mögen! Um das so viel an uns ist zu verhüten, haben wir von neun lateinischen Brocken, womit sie verbrämet war, achte weggelassen, so wie wir gemeiniglich die lateinische Gelehrsamkeit des schwarzen, und die Flüche des grünen Mannes zu unterdrücken pflegen. Wir konnten nicht wohl umhin, dem Leser ein merkliches Beyspielchen zu geben, daß das schwarze Genie lügen konnte als wenn es gedruckt wäre, und in welche endlose Länge er, der sich selbst gar zu gern hörte, seine Reden auszuspinnen pflegte, wo ers irgend durfte. Der grüne Mann aber, der nicht wie unsre Leser in des Ludimagisters Wahrhaftigkeit Mißtrauen zu setzen befugt war, hörte diese lange Legende aufmerksam an, thät darauf seinen Mund auf, und hub an, den Pechdrat seiner Gegenrede zu drehen, wie folgt:

Es ist leider mehr als allzuwahr, mein werther Herr Lekter, daß hier zu Lande andre Mariten besser geästimiret werden, als Gelehrsamkeit. Aber da ein Gelehrter billig ein Kospolit seyn muß, so wollt ich Sie wohl rathen, nicht auf dieses Land zu sehen, sondern auf die Welt. Die muß darum nichts zu kurz kommen, weil das Land, worinn Sie leben, noch nicht kulturiret ist. Sie müssen Ihr gelehrtes Werk drucken lassen ...

»Das will ich ja eben gern, Herr Pfrieme! Sie kapirten mich nicht. Aber da steckt eben der Knoten, daß ich nicht weiß, wo? Und weit von hier das wäre meine Sache nicht; dazu habe ich meine aparten Ursachen.«

Was? wissen Sie da keine Mauen anzusetzen? Da müßte doch Rath zu werden. Wissen Sie was, Herr Lekter? Vielleicht kann ich Sie darunter dienen, und das sollte mir ein wahres Plasir seyn.

– Im Vorbeygehen gesagt: kein Mensch war bereitwilliger zu Diensterbietungen als der seidne Schuster, aber kein Mensch war träger zu Dienstleistungen. Seinen alten wackelöhrigten Karrengaul, seinen Geldbeutel, sein Haus und – seine Kinder dazu, alles was er hatte, bot er vornehm an, wenn er wußte, daß man – nichts brauchte. Faßte man ihn aber ja beym Worte, so war das Roß vernagelt, oder in andern Fällen eine eben so paßliche Ausflucht bey der Hand, es wäre denn etwa, daß er mit der Wurst nach dem Schinken geworfen hätte. Von dem geringsten erwiesenen Dienst aber pralte er sein lebenlang. Bey Anlässen hergegen wie der gegenwärtige, wo er nur mit Rath und Worten zu dienen hatte, war er sehr, recht sehr dienstfertig.

»Könnten Sie das? rief der entzückte Schulmeister. Wissen Sie wirklich hier herum eine Druckerey, oder einen Künstler, der eine machen könnte?«

Das nun wohl eigentlich nicht, Herr Lekter! Aber wir haben einen Mann hier, der ein Tausendkünstler ist, der nimmt Pränumeration an auf Bücher. Ich habe seit vielen Jahren auch bey ihm gepränumeriret. Habe zwar noch kein Buch gekriegt, aber das wird schon noch kommen. Gut Ding will Weile haben, und seine künftigen Bücher sind hol mich – gut Ding. Ich habe da unter andern vor ein Jahrer zehne auf ein Buch gepränumerirt, das soll heißen: Neu eröffnetes Ein mal Eins, mit historischen, kritischen und geographischen Randglossen. Das wird meiner Seel'n kapitales Buch werden! Alle Mathematici im ganzen Lande sollen dran arbeiten, und die Randglossen will er selbst machen ...

»Dann stehet zu besorgen, fiel der Ludimagister mit einer schlauen Miene ins Wort, daß die vielen Köche den Brey verderben werden, wie das Adagium sagt. Aber, Herr Pfrieme, der Mann denk ich wird mir nicht viel helfen können. Ich bin nicht Willens auf mein Werk pränumeriren zu lassen. Auch hab ich keine zehn Jahre Zeit.«

Der Mann könnte Ihnen denn doch Anleitung geben, mein Herr Lektor. Sonst wenn Sie wollen gepränumeriret haben, will ich auch pränumeriren. Ich habe einen hübschen Imperatus von Büchern, wohl an die zwanzig Stück, wo ich alle auf pränumeriret habe, und mein Vor- und Zuname in gedruckt steht. Andre Bücher mag ich nicht haben. Sie können ja mal zu dem Manne gehen. Schadt ja nicht. Ich will Ihnen hinbringen.

»Ey ja, wenn Sie meynen, Herr Pfrieme.«

Nun kam in einer blank gescheuerten kupfernen Kanne der Kaffe, samt Zubehör. Die Herren setzten sich und das grüne Genie ließ sichs doppelt gut schmecken, weil es ihm nichts kostete. Was aber beym Kaffe geredet wurde, und wie des Exschusters giftige Zunge, zum Zeitvertreib der Frau Wirthinn, die wieder ins Zimmer kam einen guten Namen nach dem andern meuchelmördrisch anfiel, ärgerliche Liebeshändel zwischen Bürgerweiber und Musketiers, zwischen Meisterinn und Gesellen, zwischen Geistlichen und Weltlichen, zwischen Fräulein und Grafen, ungeheure Lügen und nichtsbedeutende Wahrheiten mit schändlicher Großpralerey und schmutziger Niederträchtigkeit durchmischet, herschwadronirte, und ohne auf Charakter, Stand oder Würde zu sehen, die Einwohner des Orts Straßenweise durch seine ehrlosen Spießruthen jagte, und keines Menschen, selbst seiner leiblichen Brüder nicht schonte, – und alles das aus Drang des Genie; – ferner, wie er seine eignen Heldenthaten, seine Wege zu weiland seines Vaters Geldschranke und den Spinden seiner Hausgenossen herposaunte, und es als ein großes Kompliment ansah, daß die Wirthinn ihn, und zwar auf keine sehr versteckte Weise, der Giftmischerey beschuldigte: – alles das enthalten wir uns, wie billig, um weder dem Fiskal noch der Obrigkeit des Ortes ins Amt zu fallen oder vorzugreifen. Der Ludimagister aber fand an dem verläumderischen Talent des alten Sünders ein innigliches Behagen, und in dessen giftigen Romanen die kräftigste Nahrung für seinen Geist; denn im Grunde war er selbst ein hämischer Bube, nur daß ers nicht so auslassen durfte. In Dörfern pflegen Lästerungen gar zu bald rund zu kommen, und er hatte jeden Bauren zu schonen, wenn er in seinen außerordentlichen Einkünften, welche doch manchem Dorfschulmeister das meiste bringen, keinen Defekt spüren wollte.

 


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