Guttenbrunn
Meister Jakob und seine Kinder
Guttenbrunn

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XIX.

Der verschollene Johann war heimgekehrt aus der Fremde! Ganz plötzlich, so wie es die Frau Eva immer ahnte, stand er in der Tür. Und sie verlor die Sprache bei seinem Anblick, das Herz stand ihr still, denn sie meinte, es stünde ihr seliger Jakob vor ihr. Sein Ebenbild aus der glücklichen Zeit ihrer jungen Ehe, das war der Johann! Aber er war nicht allein gekommen, hinter ihm stand ein blasses Weib mit zwei Kindern. Eine herrische Frau.

»Kimmscht endlich aa amol haam, Hannes?« fragte die Mutter ganz zaghaft, mehr erschreckt als erfreut.

»Grüß Euch Gott, Mutterl! Ja, ich bin haamkumme. Mit Weib und Kinnern bin ich do. Guckt se Euch nur an... Die drei sin mein ganze Bagaschi, die g'hören zu mir.«

Mit grenzenloser Verlegenheit blickte die Frau Eva auf die fremde Frau, die nach ihrer Hand langte und ein paar Worte stammelte. Worte, die sie nicht verstand.

»Konn se nit deutsch?« fragte die Mutter, Johann hilflos anstarrend. »Ja ja, des is halt a anners Deutsch wie's schwobische. Mei Rosa red't gottscheeberisch. Ihr werdet's schon lerne von ihr.«

»Ja, Kinner, Kinner, wollt ’r denn, wollt ’r denn...«, Sie verschluckte das Ende des Satzes; sie vollendete die Frage nicht, ob sie denn hier zu bleiben gedächten? Zu grausam erschien ihr solch ein Empfang. Und sie nötigte die Frau, abzulegen, sie fragte die Kinder, ob sie keinen Hunger hätten, und war im Augenblick ganz Großmutter. Sie rief die Kathl herbei und den Jakob. Die Kinder bekamen eine Milchsuppe, für den Johann und seine Rosa wurde eine Bratwurst in die Pfanne gelegt und Wein geholt. Die Mutter sah es ihnen an, dass sie alle müde waren von der weiten Reise und hungrig. Nur jetzt nicht viel fragen, es wird sich schon alles aufklären. Nein, wie der Johann dem Vater ähnlich war! Seinen blonden Bart hatte er, seine Statur, seine Stimme sogar. Wenn der das erlebt hätte! Wenn er ihn hätte sehen können! »Hannes, Hannes, warum bischt denn nit ehnder kumma?« sagte sie. »Der Vatter hot so lang gewart uf dich. Und er hot's nit erlebt.«

Da kam der Johann, während er mit seiner Frau bei Tische saß und sich's schmecken ließ, ins Erzählen. Die Mutter und die Kathl saßen bei ihnen, sprachlos lehnte der Jakob am Ofen. Und auch seine Gertrud, die ein Kleines auf dem Arm hatte, guckte bei der Tür herein, neugierig, was denn da los wäre. Und der Johann berichtete, was er schon geschrieben, in breiter Behaglichkeit. Wie ihn der Meister Hutter, den er in Laibach kennen gelernt, nach Gottschee gerufen und ihn dort festgehalten, wie er sich nach dessen plötzlichem Tode der Rosa verlobte und der Witwe die Werkstatt führte. Aber das sei jetzt nicht mehr nötig, denn der Bruder der Rosa sei inzwischen Geselle geworden, der führe jetzt der Mutter das Gewerbe fort. Und für sie alle wäre diese Werkstatt in Gottschee ja viel zu klein gewesen. Er selber aber hätte sich schon lange nach der Heimat gesehnt. Und so habe er dort Platz gemacht. Und da sei er jetzt, und da bleibe er. Und darauf trank er eines. Das Weib und die Kinder würden sich schon eingewöhnen, sagte er. Ach, ihm sei so wohl, dass er nach so weiter Fahrt wieder im Vaterhaus gelandet wäre.

Jakob verließ das Zimmer und schlug die Türe hinter sich zu.

Da zuckte der Johann auf. Aber er sagte nichts. Er fragte nach dem Peter, nach der Susi. Was denn das mit ihr wäre. Er habe den Brief der Mutter damals nicht ganz verstanden. Aber das viele Briefschreiben führe zu nichts; er hatte den Plan, heimzukommen, ja nie aufgegeben, und da würde er dann wohl erfahren, wie alles ausgegangen sei. »Also, was gibt es denn? Redet doch!«

Die Mutter machte ein tiefbetrübtes Gesicht, ihre Stimme zitterte; jedes Wort, das sie sagen wollte, blieb ihr zur Hälfte in der Kehle kleben. Der Peter, der wäre jetzt in Italien im Krieg gewesen, es gehe ihm aber gut. Die Susi sei noch in Temeschwar, ihre Geschichte jetzt zu erzählen, wäre aber viel zu lang. Sie habe schuldlos gelitten und sei wieder ehrlich geworden vor aller Welt Aber das alles erschien ihr jetzt so gleichgültig, so fern; es drückte ihr die eine Frage das Herz schier ab: Warum er denn nie geschrieben, dass er wiederkommen wollte? Der Vater habe ihm doch nur drei Jahre Urlaub gegeben für die Fremd'. Es sei jetzt alles ganz anders. Ganz anders, als er sich's vorstelle.

»Oho! Oho!« sprach Johann. »Was soll denn so ganz anders sein? Werkstatt und Vaterhaus gehören mir. Wenn ihr so viel Geld gehabt habt, den Jakob loszukaufen und zu verheiraten, so soll er sich damit zufrieden geben und froh sein, dass er nicht Soldat hat werden müssen in dieser Kriegszeit. Das Seinige aber hat er damit wohl erhalten. Und jetzt bin ich da um mein Erbe. Was soll sich denn verändert haben?«

Die blasse Frau an seiner Seite folgte dieser Wendung des Gespräches mit Schrecken. Sie blickte hilfesuchend nach der Kathl aus, und diese verstand sie. Die Kathl winkte ihr und den Kindern und ging mit ihnen in den Garten hinaus. Ein Gespräch aber wollte sich mit der Frau Rosa nicht in Fluss bringen lassen, denn zwischen schwäbisch und gottscheeberisch fand sich keine Brücke. Sie versuchten es hochdeutsch, aber das fiel beiden schwer. Frau Rosa hatte einen Hut mit Federn auf, sie trug einen Reifrock und machte in dieser Umwelt einen völlig fremden, städtischen Eindruck. Ein herrisches Weib! Das sagte sich auch die Kathl. Aber sie wird sich ja nächstens selber ein wenig umwandeln; sie wird sich ja auch halb herrisch kleiden müssen, wenn sie einmal Frau Lehrerin wird. Und sie suchte sich zu befreunden mit der fremdartigen Frau Schwägerin. Die Gertrud aber, die ihnen nachblickte, lachte hellauf, als der Glockenrock durch den Hof nach dem Garten schwappte. Sie hatte etwas so Närrisches in ihrem Leben noch nicht gesehen.

Jetzt konnte die Mutter endlich freier reden, da sie mit Johann allein war; es löste sich der Druck, der auf ihr gelegen. Was er da sage, das hätte heute alles keinen rechten Sinn mehr, erwiderte sie. Er hätte beizeiten kommen sollen, hätte sich um sein Vaterhaus kümmern müssen, als der Vater ihm so ernst schrieb. Aber er sei auch dann nicht gekommen, als sie ihm Vaters Tod meldete. Nur gezwungen, nur in der schweren Sorge, alles aufrecht zu erhalten, habe sie dem Jakob Haus und Werkstatt ins Eigentum übergeben. Was wäre denn geworden, wenn der Jakob Soldat wurde? Er habe sich, anstatt in die Fremde zu gehen, daheim aufgeopfert und jetzt habe er sich auch eine Familie gegründet. Das alles sei nicht mehr zu ändern, Johann sei zu spätgekommen.

»Was??!!« schrie dieser. »Die Mutter will ihren ältesten Sohn aus dem Hause weisen? So weit ist es gekommen mit der Affenliebe für den Jakob? Mit dem werde ich gleich einmal deutsch reden.« Und er riss die Tür auf und stürmte hinüber in die Werkstatt.

Als der Jakob ihn so aufgeregt daherkommen sah, wollte er den Franzl forthaben. Er schickte ihn mit einem Rad, das einen Reifen brauchte, zum Schmied. Und dieser verstand. Er spuckte sich in die Hände, rollte sein Rad kunstvoll zum Tore hinaus und lief hinter ihm her zum Schmied.

Jakob und Johann aber sprachen sich gründlich miteinander aus. Nicht sehr brüderlich. Sie überschrien sich derart, dass alle Weiber im Hof sich zusammenfanden, die Mutter, die Gertrud, die Kathl und die Herrische mit ihren Kindern.

Die Werkstatt zu betreten wagte keine, auch nicht die Mutter Eva, der die Tränen über die Wangen rollten. Sie zog die Kinder an sich, suchte sie fortzulocken vom Schauplatz dieses bösen Streites, aber sie waren zu scheu, sie verkrochen sich hinter der Krinoline ihrer Mutter.

Johann kam hastig aus der Werkstatt heraus. Er hatte einen roten Kopf, er glühte: »Komm, Rosa, wir gehen wieder«, sagte er.

»Aber Kinder, Kinder!« flehte die Mutter.

»Einen Landstreicher hat er mich geheißen. Komm, wir gehen. Aber nicht fort aus Rosenthal, o nein! Wir werden uns Quartier im Großen Wirtshaus nehmen oder beim Herbergsvater Wagner. Dort bleiben wir, bis das Gericht mir zu meinem Recht verholfen. Der Landstreicher wird's euch schon zeigen. Alle müsst ihr aus dem Haus hinaus, mir gehört es. Mir allein.«

So tobte er, achtete nicht auf die Bitten der Mutter, nicht auf seine Frau, nahm das kleinste seiner Kinder, das kaum recht laufen konnte, auf den Arm und ging mit großen Schritten zum Hause hinaus. Zitternd folgte ihm Frau Rosa mit dem zweiten.

Ganz gebrochen setzte sich Frau Eva in der Press nieder. Solch ein Aufsehen! Solch ein Skandal! Das ganze Dorf wird wieder reden von ihrem Hause. Wird denn keine Ruhe? Kein Ende? Warum hatte der Vater sie so früh verlassen müssen! Das alles wäre nicht, wenn er lebte.

Sie war tief unglücklich und weinte ohne Unterlass. Kathl zog sie in die Stube hinein, beruhigte sie und band ihr ein kühlendes Tuch um den Kopf, denn sie meinte, er müsse ihr zerspringen. Wer hätte so etwas vom Johann erwartet. So etwas! Sie war fassungslos.

Der Johann aber, mit dessen Heimkehr und dessen herrischem Weib sich bald das halbe Dorf beschäftigte, hatte sich beim Vetter Albetz im Großen Wirtshaus einquartiert. Und er warb um die günstige Meinung der Freundschaft, ja der ganzen Gemeinde. Er besuchte die Brüder des Vaters der Reihe nach, den Vetter Hannes, den Vetter Niklos und den Vetter Michel. Jedem trug er seine Sache vor. Und auch den Richter und die Geschworenen und die beiden Zunftvorsteher suchte er auf. Und seinen Jugendfreund aus der Lehrbubenzeit, den Stefan Jäger, vergaß er nicht. Er wollte von allen hören, was Rechtens wäre. Der Mutter aber ließ er sagen, dass er acht Tage warte, nicht länger, ehe er sich einen Fischkal nehme und den Prozessweg betrete. Er rate ihr, indessen Ordnung zu schaffen. Er fand überall Gehör; man gestand ihm zu, dass der geltende Brauch für ihn spreche, immer trete der erste Sohn die Wirtschaft an. Das gelte für Bauer und Handwerker. Ob sein Fall nicht eine besondere Ausnahme wäre, das könne man freilich nicht entscheiden, er sei eben doch ein bisschen lange fortgewesen. Der Vetter Hannes redete von dem vielen Geld, das seine Mutter für den Loskauf des Jakob habe aufwenden müssen, und das eigentlich ihm zur Last falle, dem Johann, und nicht umgekehrt. Der Vetter Michel hörte den Johann ruhig an und sagte dann: »Ich waaß nit, du tuscht, als gäb's keine annern Dörfer mehr do im Banat, wo sie ein tüchtige Wagner brauche. Was du da hier verpasst hoscht, des holscht wo annerscht hunnertmol ein. Ich rat dir, denk darüber nach.« Der Vetter Niklos, von dem er sich das meiste erhoffte, war sehr zurückhaltend, er äußerte sich gar nicht, aber er wollte, dass die Familie Weidmann zusammentrete und über die Sache ratschlage. So einfach, wie Johann sich das alles vorstelle, sei es nicht. Seine Frau aber, die er auch mitgebracht hatte, schien dem Meister ganz und gar nicht gefallen zu haben. Er setzte sein boshaftestes Lächeln auf ihr gegenüber.

Als Johann, schon ziemlich ernüchtert einen Tag später die Anmerich besuchte und den Philipp, und auch bei ihnen um Verständnis für seine Sache warb, kam er dort mit ihrem Vater zusammen. Und den wusste er ganz besonders einzunehmen für sich, der ließ sich alles bis ins kleinste erzählen und erklären. Aber zuletzt schüttelte der Ferdinand Trauttmann mit dem Kopfe. Klagen? Prozessieren? Auf was? Das wäre bloß ein Brauch, dass man dem ersten Sohn die Wirtschaft übergebe, aber kein Gesetz. Und es wäre ein Brauch, der nur hier gelte. Man könne ihn halten und auch nicht. Sein Philipp habe einmal gelesen, dass in Schwaben und Franken das Gegenteil Modi wäre, dass man dort erst dem jüngsten Sohn alles übergebe. Die Väter wollen dort länger die Herren sein auf ihrem Hof. Hier im Banat hätten sich die Alten wahrscheinlich von Anbeginn mehr plagen müssen, sie waren früher abgerackert, darum hätte man den Brauch wohl so geändert. Von einem Recht des Johann, er möge ihm glauben, könne gar keine Rede sein. Seine Mutter konnte tun, was sie für das Beste hielt. Und sie hätte wirklich lange genug gewartet. Ja, wenn sein Vater noch lebte, da wäre er vielleicht nicht zu spät gekommen, der hätte den Jakob sicherlich in die Fremd' geschickt und Soldat werden lassen. Aber so? Nein, nein, an einen Prozess möge er nicht denken. Erstens dauere der zehn Jahre und zweitens verliere er ihn. Auch seine Militärpflicht werde dabei zur Sprache kommen. Und das sei allemal nicht ganz ungefährlich.

Das alles drückte die Hoffnungen Johanns tief nieder. Wohl fand er Leute, die anderer Meinung waren, aber die bedeuteten nichts. Und auch sie hielten ihm teils offen, teils versteckt seine herrische Frau vor. Die passe doch nicht hierher. Und als er am Sonntag seiner Rosa so gar nicht dorfmäßig den Arm reichte und sie in die Kirche geleitete, da verspielte er seine Partie bei den Weibern des Dorfes vollends. Sie stellte ihren städtischen Modebettel zur Schau, die Krinoline und den Federhut, und sie legte sogar Handschuhe an. Das setzte ein Gerede! Die herrische Frau will ihm die Wirtschaft führen? »Ja, konn die Kukuruz und Kartoffel hacke? Konn die im Wingert schaffe? Die gehört doch in kein Dorf! Hat der Johann das alles vergessen? Die richte ihn doch zugrunde, wenn sie als Handwerkersfrau die Gnädige spiele.« »Wird er die Säu füttern und die Küh' melke?« fragte die eine. »Wird er im Winter spinne?« eine andere. Sie lachten sich krank über den verrückten Johann und sein herrisches Weib. Warum er denn nicht geblieben sei, wo er war? Die gehöre in eine Stadt. Und das war auch die Meinung der Mutter Eva. Auch sie erblickte in dieser Frau das eigentliche Unglück des Johann.

Und beim Vetter Niklos im Grund fand am Sonntagnachmittag der Familienrat statt. Nur die Brüder des verstorbenen Meisters Jakob fanden sich ein und die Frau Eva. Die Jugend wurde gar nicht geladen; man räumte ihr keine Stimme ein. Der Fall war ja für alle so klar. Und doch tat ihnen der Johann sehr leid, sie suchten einen Ausweg zu seinem Besten. Alle drei Schwäher hießen gut, was die Frau Eva als Mutter getan. Es habe keinen anderen Ausweg gegeben, wenn das Gewerbe fortbestehen sollte. Aber der Niklos und der Michel konnten die Ansicht des Hannes nicht teilen, dass das Geld für den Loskauf des Jakob eigentlich dem Johann zur Last geschrieben werden solle. Der Jakob würde Soldat geworden sein, wenn der Johann rechtzeitig gekommen wäre. Aber er hätte das Haus verloren und wäre heute weiß Gott wo. Wer hat also den Vorteil vom Loskauf gehabt? Doch nur der Jakob. Man könne den Johann nicht doppelt strafen, nicht mit dem Verlust von Haus und Werkstatt und mit der Summe für den Stellvertreter beim Militär. Der Vetter Niklos verlangte im Gegenteil, dass der Jakob dem Johann diese Summe herauszahle. Mit ihr und seinem übrigen Erbteil könne er sich eine eigene Werkstatt und einen Haushalt einrichten, der Streit aber wäre beigelegt. Der Michel stimmte zu, die Frau Eva auch. Der Hannes war schwierig; er ließ die Ansicht nicht fallen, dass sämtliche Geschwister durch Johann geschädigt worden wären. Aber er wollte nicht dagegen sein, den Frieden nicht stören, wenn er so, wie die anderen glaubten, zustande kommen könne.

»Wann er nur nit des herrisch Weib mit gebrunga hätt«, seufzte die Frau Eva, als man zu Ende war.

Und der Vetter Niklos wurde gebeten, dem Johann und dem Jakob den Beschluss mitzuteilen. Derselbe gelte für beide Teile, und zu einem Prozess dürfe es nicht kommen. Der Niklos übernahm die Aufgabe und behielt sich vor, dem Johann eine Bedingung zustellen oder einen guten Rat geben zu wollen. Welchen, verriet er nicht. Er deutete nur an, dass er die Krinoline aus dem Dorf haben möchte. Denn mit der werde er hier doch nichts aufstecken können.

Der Jakob war über den langen Familienrat beunruhigt und wollte seine Mutter noch am Abend ausholen, aber sie sagte ihm nichts. Sie war überhaupt böse, dass er den Johann so roh behandelte und ihn einen Landstreicher hieß. Er brauste auf, wollte wissen, woran er wäre. Aber die Mutter redete nicht. Er möge morgen nur zum Vetter Niklos gehen, da werde er das Seine schon erfahren.

Der Jakob wurde nachdenklich, er wurde ein wenig mürbe. Und er hatte eine recht unruhige Nacht, in der er Zeit gewann, alle Möglichkeiten, die ihm drohten, zu erwägen. Gar zu sicher fühlte er sich in seinem Rechte nicht. Und dass ihm der sechsjährige Soldatenstand erlassen wurde, das schätzte er im Stillen hoch ein. Die Gertrud hätte er dabei sicher verloren, und wer weiß, ob er noch lebte.

Am Morgen, bei Tageslicht, war er wieder trotzig. Er saß im Haus, man musste zu ihm kommen, wenn man etwas von ihm wollte. Aber die Gertrud riet ihm, den Weg zu machen. Sie hielte das nicht mehr aus. Und er machte sich daraufhin bereit. Doch als er ausgehen wollte, um den Vetter Niklos aufzusuchen, kam dieser ihm schon im Hof entgegen. Er hatte alles überdacht und sich zuletzt gesagt, dass er zum Johann mit einer fertigen Sache kommen müsse, wenn er den Streit rasch ausgleichen sollte. Bringen musste er ihm etwas. Also war der Jakob zuerst ins Gebet zu nehmen. Und so kam er gleich selber. Er trat mit ihm in die Stube. Die Gertrud, die sich zögernd entfernen wollte, bat er zu bleiben, sie könne auch hören, was er dem Jakob zu sagen habe. Und er setzte diesem zuerst das Vorteilhafte seiner Lage auseinander und hielt dagegen die des Johann. Die sei sehr traurig. Das müsse auf irgendeine Weise ausgeglichen werden, denn der Johann sei immerhin der Älteste, er besitze nach Väterbrauch ein Vorrecht, das von allen Leuten in Ehren gehalten werde. Und dann teilte er den beiden den Beschluss des Familienrates mit.

»Was?« rief Jakob, »ich soll die ganze Loskauferei allein uf mich nemma? War se nit fars ganze Haus notwennig? Da pfeif' ich uf die Wagnerei, kauf mer um des Geld noch a paar Joch Feld und werd' a Bauer.«

»Nit so hitzig, nit so hitzig!« mahnte der Vetter Niklos.

»Was redscht far ein Unsinn?« sprach die Frau Gertrud. »Bischt du ein Bauer? Maanscht, des geht so von heunt uf marja? Mer bleiwa doo im Haus, koscht's, was es koscht.«

Der Vetter Niklos nickte der Gertrud zu. »So is es a b'schlosse, der Jakob bleibt im Haus und in der Werkstatt. Er weicht nit.«

»Na also«, sagte die Gertrud. »So a Dickkopp!«

»Hoscht du des Geld?« fuhr der Jakob sie an.

»Mer wer'n `s uns schaffe.«

»Des is a Red, Gertreid«, sprach der Vetter Niklos. Jetzt rückte er dem zweiten Ziel näher, den Johann und seine Krinoline - anders nannte er die herrische Frau nicht mehr - aus dem Dorfe zu bringen. »Es is äwer noch was dabei, was far dich wichtig is, Jakob.« Und er legte ihm die Frage vor, ob er es nicht dem Gewerbe für schädlich halte, wenn der Johann auch eine Werkstatt in Rosenthal aufmachen würde. Zwei Wagnermeister Weidmann täten doch wohl nicht gut. Drüben der Stefan Jäger, herüben der Jakob, das wäre gerade der richtige Stand. Wenn sich da ein neuer dazwischen setze, ein Bruder, gebe es doch nur Verdruss, und die Kundschaft laufe auseinander. Man müsste also trachten den Johann fortzubringen in eine andere Gemeinde.

»Dafür soll ich vielleicht aa noch was zahle?« fragte der Jakob erbittert.

»Des taun mer nitta«, warf die Gertrud mit allen Nachdruck ein.

Das meine er auch gar nicht, erwiderte der Vetter Niklos. Aber erleichtern müsse man es dem Johann. Die Mutter werde ihm ja, sowie ihren anderen Kindern, die am Haus nicht beteiligt seien, allerlei mitgeben müssen, ein Joch auf dem Postgrund, einen Weingarten, ein Krautfeld im Wiesental. Das binde den Johann an das Dorf. Wenn er das habe, bleibe er, denn das wäre schon das Brot. Und die neue Werkstatt käme hinzu. Wäre es nicht viel gescheiter, ihm das gar nicht zu geben, sondern Geld dafür zu bieten? Öffentlich verkauft dürfte es nicht werden, das würde er vielleicht nicht leiden. Man müsste es still mit der Mutter abmachen und ihm gleich eine fertige Sache anbieten. »Derno bischt du sei' Werkstatt los, und mer sehe die Krinoline nit mehr im Dorf«, schloss er.

»Ich häb das Geld nit«, sagte Jakob. »Und Schulde mache tu ich nit.«

Die Gertrud, die während der Rede des Vetters ihr Kind trinken ließ, saß mit geneigtem Kopfe da und sann vor sich hin.

»Was sagscht du, Gertreid?« fragte der Vetter. »Wieviel is denn des wert?« fragte sie zurück.

»Na, mer zahlt halt den übliche Preis. Far des Joch Postgrund zwahunnert Gulde, far den Wingert zwahunnert, far den Krautacker hunnert.«

Die Gertrud legte ihren Buben in die Wiege und rechnete im Kopf. Nach einer Weile sagte sie: »Ich werd mit'm Waisevatter rede. Ich häb bei ehm noch tausert Gulde von meiner Motter steihn.«

»Es sin äwer elfte unnert, Gertreid«, sprach der Vetter.

»Ja, ja«, sagte sie verdrießlich.

»Du muscht nit«, erwiderte der Vermittler, der all seine Pläne reifen sah. »Gott behüt'! Was ich g'saat häb, is nar a guter Rat. Ihr könnt mach a, was ihr wollt. Wisse möcht' ich's freilich ball, weil ich doch mit der Motter rede muss, ob sie einverstanne is. Sie waaß noch gar nix von dem Plan. Und wann m'r was erreiche will bei ei'm Mensche, muss m'r z'erscht immer selwer g'nau wisse, was mer will.«

»Mer sein einverstanne, wann die Motter will«, sprach Gertrud. »Häb ich recht?« fragte sie den Jakob, der verdrossen beim Fenster stand. »Na ja, ja!« erwiderte der polternd.

Diese Verdrießlichkeit reizte den Vetter Niklos. »Du tuscht jo, als wann ich was dervon hätt. Soll ich m'r vielleicht noch a üble Nachred' verdiena far mei G'fällichkeit? Du, Jakob, des passt m'r nit. Mach d'r dei' Sach selwer.« Und er langte nach seinem Hut.

»Äwer, Vetter Niklos!« sprach die Gertrud besänftigend. »Loßt'n brumma. Ich kenn ihn besser. Es ist ehm ganz recht, mer wer'n Euch danke, wenn Ihr alles in die Ordnung bringt.«

Jakob zwang sich auch eine hellere Miene ab. »Ja, Vetter Niklos, ich häb mer's überlegt. Mer übernemma die Gründ' ufs Haus.«

»s' is gut«, sagte dieser. »Jetzt geih ich zur Motter nüwer. Und derno kimmt die schwerschte Arweit beim Johann. Ich häb mer do was Scheines ufgalade«


Johann saß mit Weib und Kindern beim Vetter Albetz im Großen Wirtshaus. Er wusste, dass der Familienrat stattgefunden hatte, und wartete noch abends auf irgendeine Botschaft. Es kam keine. Die Männer, mit denen er am Nachmittag in der Wirtsstube geplaudert hatte, redeten ihm wieder allerlei zu Gehör. Da war einer aus Alliosch, dem walachischen Nachbardorf. Er hatte sich drüben einen Viertel Grund gekaaft und auch dort ansässig gemacht, denn der Weg zu seinen Feldern wäre ihm doch zu weit gewesen. Aber an schönen Sonntagen zog es ihn herüber, da kam er auf eine Partie Zwicken und einen Plausch in sein Heimatsdorf. Der schwärmte dem Johann etwas vor von dem guten Platz für einen Wagner. Als ob er bezahlt wäre vom Jakob, ihn von der Heimat fortzulocken, so redete er. Niemand wäre in dem großen Dorf, der einen Wagen machen oder auch nur passabel reparieren könne. Spottbillig kriege der Johann da Haus und Hof für sein Gewerbe. Und es seien schon viele Deutsche drüben. Er möchte sich's doch nicht lang überlegen, am besten wär's, er ginge gleich mit und schaute sich um.

Das lehnte der Johann Weidmann schroff ab. Er bleibe, wo er hingehöre. Aber als er dann abends allein saß und vergeblich wartete, dass die Mutter ihm etwas sagen lasse, da stellten sich beim Glase Wein, das immer wieder nachgefüllt wurde, allerlei trübe Gedanken ein. Wie übereilt hatte er doch gehandelt! Es war nicht nötig, dass er von Gottschee fortging, aber das Heimweh packte ihn eines Tages, und er beschloss die Reise. Es war wie eine Flucht aus den dortigen kleinen Verhältnissen in ein Paradies. So hatte er seiner Frau die Banater Heimat immer geschildert. Und sie fügte sich in die überstürzte Veränderung, ließ ihr kleines Erbe zurück und folgte ihm mit den Kindern. Dachte sie doch, man würde sich in seiner Heimat ins Volle setzen können und aller Sorge ledig sein. Darauf waren sie beide nicht gefasst, den Jakob verheiratet und im Besitze des Hauses zu finden... Johanns kleine Barschaft war stark mitgenommen worden auf der weiten Reise, und jetzt saß er im Wirtshaus mit den Seinen und sah sich in einen Streit verwickelt um sein Erbe. Was immer er anfing, er brauchte Geld. Wenn ihm auch die Werkstatt entgehen sollte, ein paar Gründe musste er ja von der Mutter kriegen, ein leeres Haus wird auch zu finden sein im Dorf; aber ohne Geld konnte er eine eigene Werkstatt nicht errichten... Hatte man gegen ihn beschlossen? Er war dessen beinahe gewiss.... Was sollte er in einem walachischen Dorf? Hier wollte er beweisen, was er auf zehnjähriger Wanderschaft in der Fremde gelernt hatte. Just hier. Er wird's dem Jakob schon zeigen, und auch dem Stefan Jäger gab er immer noch eines vor...

Der Vetter Albetz setzte sich zu seinem letzten Gast, der in sein Weinglas starrte und nicht schlafen gehen wollte. Er suchte ihn auf andere Gedanken zu bringen, denn er wusste worauf er noch immer wartete. Es gelang ihm aber nicht. Der Johann wollte von ihm einen guten Rat haben - einen Rat wie und wo er sich, allen zum Trotz, Kredit verschaffen könne. Als ihm der Vetter Albetz aber den guten Rat gab, solche Gedanken aufzugeben, denn die Leute hätten alles, nur kein Geld, und die wenigen, die eines hätten, die säßen darauf, da wurde er sehr kleinmütig. Ganz tränenselig, mit schwerer Zunge, klagte er alle Welt an und redete Dinge, für die er nicht mehr verantwortlich gemacht werden konnte. Dem Vetter Albetz waren solche Jammerzustände letzter Gäste nicht fremd; er geleitete den Johann bis an seine Zimmertür und wünschte ihm eine geruhsame Nacht.

Als Johann am nächsten Morgen spät erwachte, erinnerte er sich nur dunkel an die Vorgänge vom Sonntag Abend. Es bedurfte einiger Zeit, bis er sich darüber klar wurde, dass gestern vielleicht eine schwere Entscheidung gefallen war und er noch immer nichts davon wusste. Er rief seine Rosa herbei und fragte, ob denn niemand da gewesen sei. Und als sie betrübt verneinte, strich er ihr begütigend über das Blondhaar und sagte, sie möge nur nicht verzagen. Er werde noch heute einen letzten Entschluss fassen. Und da man ihm die Antwort nicht bringe, werde er sie sich holen.

Und er ging zum Vetter Niklos. Dieser saß schon daheim und rauchte seine Pfeife so gemütlich, als ob ihn gar nichts weiter beschäftige. Seitdem sein Sohn den Leuten die Häuser baute, gönnte er sich manchen Ruhetag, aber heute war er eigentlich nur für den Johann daheim. Er hatte am frühen Morgen den Jakob und die Frau Eva dahin gebracht, wo er sie haben wollte, und war dann gleich wieder heim gekehrt. Den Johann aufzusuchen, wäre unklug gewesen; der musste selber kommen. Der Vetter Niklos war ganz sicher, dass er bald käme. Und nun stand er vor ihm. Der erfahrene Meister, der mit so vielen Menschen im Leben verhandelte, der seine Baupläne gegen so viele laienhafte Meinungen und Wünsche durchsetzen musste, er erkannte sogleich, dass der Johann sich nichts Gutes erwartete. Da hatte er ihn ganz in der Hand. Er ließ ihn niedersetzen und bot ihm eine Pfeife an. Vom Rauchen aber wollte der Johann nichts wissen.

»Na, Vetter Niklos, ich komme halt fragen, wie's mit meiner Sach' steht. Ihr lasst mich schön zappeln seit gestern.« »Ich häb dich erwart't«, sagte der Meister. »Und der' Sach' steiht gar nit so übel, wie du vielleicht glaubscht. Ganz im Gegenteil.«

»Wär's möglich?«

»Na ja, von der Werkstatt und vom Haus konn natürlich nit die Red' sein. Des werscht du ja ei'sehga, dass des verspeelt is. Äwer sunscht - ich glaub', du werscht sehr zufriede sein mit uns.«

Johann sah ihm erwartungsvoll auf den Mund. Aber der Vetter paffte den Rauch aus der Pfeife, dass sie nicht kalt werde und machte eine große Pause. »So redet doch endlich!«

Der Vetter Niklos aber fing eine ganz andere Sache an. »Sag mer, Johann, wie steiht's mit der? Konnscht du wieder zurück dahin, wo du warscht?«

»Jede Stund'. Aber sagt mir.«

»Nar Geduld. Du kriegscht also dein volles Erbteil. Äwer mer maane, es is nit gut, wann du daran denkscht, dir dahier a Werkstatt ufzumache.«

»Des will ich aber.«

»Johann, des is nix. Ich maan dir's gut. Du kriegscht dei Erbteil in Geld, du kriegscht mehr, als du erwarte kannscht, aber wenn du do bleiwa willscht, loßt sich des nit macha. Mit dena drei Felder, die du zu erwarte hascht, konnscht du doch nix anfanga. Du brauchscht Geld. Und `s is doch besser, du kaafscht dich wo an, als du sitzscht dahier ohne Geld und ohne Kundschafte und wartscht uf gut Wetter.«

»Ihr wollt mich forthaben.«

»Naa, naa, mach was du willscht. Wann du do bleibscht, kriegscht du halt des, was die Mädcha gekriegt häwe; wann du dich wo annerscht selbständig machscht, kriegscht du amol fünfhunnert Gulde für die Felder und amol sechshunnert. Der Jokob zahlt dir dann raus, was sei Loskauferei gekoscht hot. Es soll nit ufgateilt wer'n uf alle Kinner, wie sich's g'häern tät', es soll dei Abfertichung sein.«

Der Johann schaute zu Boden. Es zuckte um seinen Mund, es biss ihn etwas in den Augen. »Ihr wollt mich forthaben... Gut, ich gehe«, sagte er mit farbloser Stimme. »Ich müsste ein Narr sein, wenn ich das nicht annehmen wollte. Aber wisst Ihr, warum ich nach so vielen Jahren gekommen bin? Sagt's meiner Mutter: Weil ich Heimweh gehabt habe. Jetzt bin ich kuriert. Gebt mir das Geld, und ich zieh mit Weib und Kind in ein walachisches Dorf. Vielleicht hört ihr einmal von mir.«

Und er nahm seinen Hut und ging mit kurzem Gruß von dannen.

Die Krinoline hatte er draußen, der Vetter Niklos, aber es tat ihm doch recht leid, dass der Johann so gekränkt aus der Heimat ging.


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