Guttenbrunn
Meister Jakob und seine Kinder
Guttenbrunn

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VII.

Die Kirweih war gestorben. Man begrub sie am Dienstagabend mit der neugefüllten Flasche vor dem Großen Wirtshaus. Aber ihr Glanz lag noch lange über dem Dorfe, er leuchtete aus allen Gesprächen und blitzte aus hundert Augen. Und die fröhliche Zeit der Weinlese war angebrochen, eine Arbeit, bei der man plaudern und singen konnte, bei der man mehr Lieder hörte als bei irgendeiner anderen Arbeit des Jahres. Wie in der Spinnstube hallte es in den Weingärten, und auch in diesen Liedern geisterte noch der Übermut der Kirweih.

Nur an der Susi war ein solcher Nachklang des großen Tages, an dem sie die Erste war im Dorfe, nicht wahrzunehmen. Ernst und still tat sie ihre Arbeit und gab auf Fragen karge Antworten. Zur Anmerich aber sagte sie eines Tages, als sie beide allein vom Weingarten heimwärts gingen: »An deiner Stell' möchte ich haiern, Anmerich. Sobald als möglich.« »Des will ja der Philipp aa«, erwiderte diese, »äwer ich möchte halt mei große Hochzich haun. Und die konn m'r doch nar im Fasching mache.« »Ach was! Guck derzu, dass d'unner's Dach kimmscht. `s könnt was dazwischa kumma.«

Die Anmerich schaute sie an. »Was maanscht?«

Susi blickte starr geradeaus auf ihren Weg und kniff die Lippen zusammen. Vor ihnen gingen Leute, hinter ihnen kamen welche nach, sie antwortete nicht. Auch als die Anmerich ihre Frage besorgt wiederholte, öffnete sie den Mund nicht. Aber eine große Perle rollte über ihre linke Wange und fiel in den Staub des Weges. Anmerich sah es und war ergriffen... Da musste sie freilich an ihre Hochzeit denken. Nicht dass ihr um den Philipp gebangt hätte. O nein! Der war eine treue Seele. Aber seine Leute! Die Schande! Das könnte eine traurige große Hochzeit werden. Die halben Gäste möchten ausbleiben. Hatte sie's doch schon damals in Maria Radna geahnt! Ein Unwille, ein Zorn stieg in ihr auf gegen die Schwester, die bisher so hartnäckig schwieg und leugnete und sie jetzt, wo es beinahe zu spät war, überrumpelte. Es war nur gut, dass sie nicht allein des Weges gingen, dass kein überlautes Wort gesprochen werden konnte, ohne von Zeugen gehört zu werden. So kämpfte sie den Unwillen nieder und schwieg. Wagen um Wagen mit den vollen Traubenfässern fuhr an ihnen vorüber und bog in das walachische Dorf ein, in dem die Wirtschaftsgebäude des Grafen lagen, dem man den Zehent schuldete. Heute nahm die Fußgeher keiner mit.

»Läst der Schuft dich sitza?« fragte sie endlich.

»Er muss. Sei' Vatter schickt'n zum Militari. Er enterbt'n. Sie sein so übernander kumme, dass der Chrischtof sich verdinge will. Er bleibt nit derhaam.«

»Mer derfte Zigeuner sein«, entgegnete die Anmerich erbittert. »So a alter Teufel.«

Sie gingen schweigend nebeneinander heim, jede hatte ihre eigenen Angelegenheiten zu überdenken, und es war ganz nutzlos darüber zu reden. Gestern Abend hatte der Christof die Susi mit leisem Finger herausgeklopft und ihr dann stockend, fast weinend vor Erregung alles mitgeteilt. Weil es im guten nicht ging, wollte er es mit Gewalt durchsetzen, dass sie vor Kathrein heirateten. Er verlangte sein Mütterliches und wollte sich ein Häusel kaufen mit ein paar Feldern. Aber da kam er übel an. Der Vater sei wie ein Tobsüchtiger aus einem Narrentum aufgefahren. Es gab einen Lärm, dass die Nachbarschaft zusammenlief. Auch der Großvater mischte sich hinein. Es hätt' sich vielleicht doch machen lassen, sagte der. »Naa, naa, solang ich leb nit!« schrie der Vater. Und auch die Weiber im Haus waren alle dagegen. Die Margret redete wie ein feuerspeiender Drache. Ein Luckhaup könne nur eine Bauerntochter heiraten. Er könne doch kein Tagelöhner werden wegen eines Mädels. »Saldat soll er werde«, sagte der Vater. »Ich kaaf'n nit los.« Der Großvater aber sagte, er dürfte kein Soldat werden, man müsse ihm helfen, ein Bauer zu werden. »Naa, naa«, rief der Vater immerzu, »Saldat soll er wer'n. Zwiebeln solle s'n sechs Jahr. Karniffeln solle s’n. Anderscht werd der nit g'scheit. Und so lang ich leb, kriegt er nit ein' Kreuzer Münz.« Christof trotzte und forderte nur sein Mütterliches. Ja, das erhalte er, sagte man, wenn er volljährig wäre, das heißt, wenn er zurückkomme vom Militär. Er sei daraufhin beim Waisenvater um Rat gewesen und der hätte ihm dasselbe gesagt. Nicht vor dem Vierundzwanzigsten! Werde einer Soldat, erst nach dem Abschied. Also vom nächsten Herbst in sechs Jahren. Denn wenn man ihn im April oder Mai behalte, rücke er ja erst im Herbst ein. Und wenn es dann einen Krieg gebe, wer weiß, ob und wann und wie er wiederkomme. Er war ganz niedergeschlagen.

Da ließ auch Susi alle Hoffnung sinken. Sie weinte still an seiner Brust. Er aber streichelte ihr die feuchte Wange und flüsterte ihr allerlei Liebes zu. Er gehe fort von daheim, tue seinen Leuten die Schande an und verdinge sich auf ein Jahr als Knecht. Und wer wisse denn, wie noch alles ausgehe. Er werde sie schon wieder einmal zu treffen suchen, werde sie nicht verlassen...

Hätte sie das alles der Anmerich erzählen sollen? Sie vermochte es nicht. Es war ja auch schon beinahe zu spät für diese. Wie lange wird es denn dauern, und das ganze Dorf ist voll von den Ereignissen. Die Schwester tat ihr leid, darum mahnte sie sie doch noch zur Eile. Und diese begriff ihre Lage sogleich. Sie erwartete heute den Philipp nicht, aber sie schickte ihm, als sie ins Dorf kamen, schon unterwegs einen kleinen Buben mit der Botschaft, sie hätte ihm etwas zu sagen. Und sie erwartete ihn in der Dämmerung beim Haustor, denn das war ihm noch nicht vorgekommen, dass die Anmerich ihn rufen ließ, er kam sehr rasch. »Da bin ich«, schnaufte er. »Hot euer Gickel a Ei gelegt? Was is denn passiert?« »Gar nix, gar nix«, beruhigte sie ihn. Und sie gestand ihm zögernd, sie hätte sich seine Wünsche heute noch einmal gründlich überlegt... Sie wolle also auf die große Hochzeit verzichten und noch vor Kathrein heiraten, wenn es ihm recht wäre.

»Und des is gar nix, sagscht du? Juhu! Mer geihn am Sunntag zum Parra!«

Sie hielt ihm den Mund zu und sagte, jetzt könne er wieder gehen. Sie habe ihren Leuten noch kein Wort gesagt, und er dürfe erst morgen Abend wiederkommen. Und er pflückte sich schnell ein paar Busserln von ihrem verlangenden Mund und eilte heim. Seine Alten werden gucken!

»Gott verzeih mer die Sünd'!« sagte Anmerich, ihm nachblickend. Sie machte sich einen heimlichen Vorwurf daraus, dass sie ihm nicht die volle Wahrheit gesagt hatte. Aber durfte sie das? Die Männer müssen nicht alles wissen.

Die Frau Eva machte schon seit Tagen ein langes Gesicht. Sie ging still ihren vielfältigen Arbeiten nach und redete nur das Notwendigste. Als die Anmerich ihr und dem Vater nach dem Abendessen mitteilte, dass sie sich auf Wunsch des Philipp zu einer Herbstheirat entschlossen habe, schaute die Mutter groß auf. Sie blickte von einer zur anderen, und Susi erhob sich und verließ die Stube. Meister Jakob lobte den Entschluss. Wozu das große Getue im Fasching, das immer so viel Geld verschlinge und Arbeit gebe. Da der Philipp sich auch ein eigenes Haus bauen wolle, könne er sich dazu viel von der Hochzeit sparen. Er sei ein gescheiter Bub.

»Äwer seid'r denn fertig mit allein, Motter? Do häwe m'r jo in drei Woche Hochzich!« sagte er. »Was machscht denn far a G'sicht, Eva? Guck se doch an, Anmerich. Sie is, mir scheint, bös, dass es koin groß Hochzieh git.«

»Du hoscht's richtig errate. Ihr Männer seid ja solche Kreuzköpp«, sagte Frau Eva spöttisch und folgte der Susi.

»Was hat sie denn?«

»Loss sie, Vatter. Sie is verdrießlich, dass eins ums andere fortkommt. Z'erscht der Johann und der Peter und jetzt ich. Und sie hat sich halt so g'freut uf de Fasching. A groß' Bauernhochzich hot se mer mache wolle.«

»Na, die mach einer halt bei der Susi, wenn ihr's jetzt uf amo lso eilig habt«, sagte er unbefangen. Und er steckte sich noch eine Pfeife an und ging mit dem Jakob in die Werkstatt hinüber, um etwas zu besichtigen, was diesem, wie er fürchtete, misslungen war. Dass sein Haus immer leerer wurde, empfand auch der Vater. Aber konnte es anders sein? Dem Johann ging es gut in der Fremde, der Peter gehörte, wenn er Schmied werden wollte, in die Lehre, und die Anmerich heiratete. Was war daran so Besonderes? Meine Eva wird wunderlich, dachte er. Durch die Anmerich aber ließ er ihr sagen, er sei einverstanden, dass der Franzl zu ihm in die Lehre komme. Das war ein kleiner Vetter, den die Mutter immer schon empfahl, der Meister aber wollte lieber einen fremden Buben als einen Verwandten. Jetzt gab er nach.

Voll Befangenheit zeigte Jakob, der junge Gesell, dem Meister in der Werkstatt, bei Licht, ein heut Abend vollendetes Wagenrad. Seit einiger Zeit hatte man sich nämlich zwei von den neu erfundenen Petroleumlampen in der Werkstatt aufgehängt, man konnte jetzt ohne Gefahr auch bei Licht arbeiten, was früher bei den Unschlittkerzen nicht gut möglich war. Der Vater beguckte das Rad unter der Lampe, ließ es von Jakob, der einen Stock durch die Nabe gesteckt hatte, über ein langes Brett rollen und horchte auf den leisesten Ton seines Ganges. »Die Speichen sitzen gut«, sagte er, »die Felgen greifen fest ineinander und schließen den Ring, aber ein bisserl holterpolter geht es noch. Horch, horch... Das ruft noch nach dem Hobel. Wenn auch der Schmied seinen Reifen drum herumlegt, jede Unebenheit rächt sich«, sprach er. Und ganz hochdeutsch wurde der Meister, wenn er vom Handwerk redete.

Aber wie steht's denn mit der Nabe? Ist sie sauber durchgearbeitet? Er betastete sie an jedem Einsatz einer Speiche, er zog den Stock aus der Nabe, sah von der einen Seite durch, dann von der andern.

»Ach so!« sagte er und sein Gesicht wurde ernst. »Hoscht des nit glei saage könne?«

Jakob stand da wie ein Sünder. Es war ihm im letzten Augenblick passiert. Als er mit dem letzten Hammerschlag eine Speiche antrieb und das Rad geschlossen schien, gab es einen Ton, als ob ein Glas gesprungen wäre. Er sah nach dem Fenster, er guckte nach der Lampe, endlich entdeckte er, dass die Nabe seines Rades einen Sprung erhalten hatte. Er sei so dünn wie ein Spinnenfaden, man sehe ihn kaum. Und wenn der Schmied seinen Eisenreifen um die Nabe lege, werde der Sprung sich wohl ganz schließen, meinte er schüchtern.

»Ja, ja, ja! Und wenn ein bisserl Wagenschmier hineinkommt, ist die Blessur weg und der Invalid kann laufen«, spottete der Vater. »Niemand kann dann mehr nachweisen, wer ihn angeschossen. Aber ich hab ihn in zwei Wochen wieder da im Spital. Nix da! So wird beim Jakob Weidmann nicht gearbeitet. Wenn du nicht wie ein Ochse dreingeschlagen hast, wie du fertig warst, dann ist eine andere Spannung in dem Rad, die die Nabe nicht ausgehalten hat. Nimm den Zollstab, schau nach, mess’ ab. Und wenn du den Fehler gefunden hast, dann wirf die Nabe ins Feuer und mach eine neue. Aber zuerst suche den Grund.«

»Die Arbeit! Und das teure Holz!« seufzte Jakob.

»Des hättscht du früher bedenke solle, mein Lieber. Eine Nabe nimmt man nicht leicht. Durch sie geht die Achse, sie ist das Herz von jedem Rad. Felgen kann man auswechseln, Speichen kann man ersetzen, aber wo eine Nabe den Dienst versagt, ist der Wagen hin.« Er schlug Feuer und steckte die Pfeife wieder an, die kalt geworden war. Dann setzte er sich auf einen Hackstock und sah zu, wie der Sohn das Rad unwillig auseinander schlug.

»Na, na«, sagte er, »nur nit so hitzig. Denk lieber ein bisserl nach, was so ein Rad ist, und was die Nabe darinnen bedeutet. Mir ist einmal der Gedanke gekommen, die ganze Welt sei nichts als ein Rad und unser Herrgott wäre die Nabe darin. Kannst du dir die Welt ohne ihn denken? Und das war wie ein Blitz. Seither habe ich eine höhere Meinung von der Wagnerei gehabt... Weißt du denn überhaupt, was so eine Nabe bedeutet? Ich bin die Nabe in unserem Haus. Nehmt mich weg, und es geht noch ein paar Schritte holterdipolter, dann ist's aus. Du sperrst, wenn nicht der Johann schnell kommt, die Werkstatt zu, weil dir noch kein Mensch vertraut, und die Mutter geht mit den Mädeln in Taglohn... Wer ein gutes Rad bauen kann, mein Lieber, der kann etwas... So ein Wagenrad ist gewiss ein Gleichnis der Welt. Was meinst du, wie lange die Menschheit gebraucht hat, bis sie imstande war, ein Rad zu machen? Und auf die Nabe ist's angekommen, solange die nicht erfunden war, gab's kein Fahren. Sie trägt. Sie Sammelt alle Kräfte in sich und teilt sie dem Wagen mit. Sie muss gesund sein. Der Wagner, der eine kranke Nabe aus der Hand gibt, ist ein Pfuscher oder ein Betrüger. Mach weiter und steck sie in Ofen.«

Mit einem kurzen Gutenachtgruß verließ der Meister die Werkstatt. Der Sohn aber heulte beinahe vor Zorn über sein misslungenes Werk. Die gescheite Rede des Vaters machte wenig Eindruck auf ihn; sein Spott tat mehr weh als ein ordentliches Scheltwort getan hätte.

Der Entschluss des Christof, sein Vaterhaus zu verlassen und sich als Knecht an einen Bauern zu verdingen, war rascher gefasst als durchgeführt. Keiner nimmt vor Einbruch des Winters gern einen Knecht ins Haus zum Faulenzen. Erst zu Maria Lichtmess werden die Knechte gedungen, so dass sich die eine Hälfte des Winters auf den alten, die andere auf den neuen Herrn verteilt. Sollte der Christof Luckhaup von Haus zu Haus fragen gehen? Das wird er nicht tun. Lieber läuft er gleich nach Temeschwar und stellt sich freiwillig. Ist er ein Jahr früher fertig.

Aber die Bas’ Liesl, die ihn mit scharfem Aug' beobachtete und zu der er auch ein gewisses Vertrauen hatte, wusste Rat. Sie hatte schon heimlich mit dem Vetter Niklos geredet, und der war gar nicht dawider, dass sich ihm der Christof anbiete auf ein Jahr. Er brauchte Hilfe beim spätherbstlichen Anbau, er hatte sich ein bisschen zu viel aufgeladen beim Pacht der Foltzschen Wirtschaft. Über die weiteren Pläne der Bas’ Liesl lächelte der Vetter Niklos spöttisch. Der Christof sei ein Dickschädl wie sein Vater, sonst täte er das nicht, was er jetzt macht. Bei dem werde sie sich keinen Kuppelpelz verdienen. Aber sie ließ sich nicht irre machen. Und sie steckte es dem Christof heimlich, dass der Vetter Niklos eigentlich einen Knecht suche. Merken durfte der Bub nichts. Und er solle die Bas' Liesl auch niemandem verraten, forderte sie, nicht dem Vater, nicht dem Bruder, dem Jungbauern, sagen, dass sie ihm den Rat gegeben. Sie war ja dafür, dass er im Haus bleibe, aber wenn er seinen Kopf aufsetze und durchaus wolle...

Da lag ein Ausweg. Denn vor dem Militär war dem Christof doch nicht recht geheuer. Es dienten keine Bauernsöhne, alle kauften sich los, und man zahlte für die sechs Jahre sechshundert Gulden. Kleinhäuslerssöhne, auch Handwerker boten sich oft an. Wer aber einmal als Stellvertreter gegangen, der blieb in der Regel auch dort und ließ sich neuerlich sechs Jahre bezahlen. Dann hatte er ein kleines Kapital und konnte etwas anfangen in der Heimat. Brachte er's bis zum Feldwebel, nahm er auch eine dritte Kapitulation und stand sich gut dabei. Die sechshundert Gulden für solch einen Stellvertreter aufzubringen, daran konnte Christof, wenn er sich mit dem Vater verfeindete, nicht denken, aber die letzte Entscheidung noch ein halbes Jahr hinauszuschieben, war ihm doch sehr recht. Und er ging zum Vetter Niklos, gab ihm den Handschlag und nahm das Angeld. Dem Vater meldete er beim Abendessen, was er getan. Er sei zwanzig Jahre alt und lasse sich nicht länger schuhriegeln im Haus für nichts. Er wolle künftig wissen, wofür er sich schinde und plage. Und behalte man ihn bei der Stellung, wär's ihm auch recht. Sei er eben der erste Luckhaup bei der Soldateska.

Der Johann und die Margret wunderten sich nicht wenig, dass der Vater dies so ruhig anhörte. Unter seinen dunklen buschigen Augenbrauen heraus blickte er spöttisch auf den Buben, der eine so kecke Rede führte. Wusste er doch um das Vorhaben der Bas' Liesl. Und es war noch lange nicht Frühling und Stellungszeit.

»Tu, was du willscht«, sagte er. »Wann dir des Brot, des du als Knecht verdienscht, besser schmeckt, iss es. Äwer kumm mer mit nix. Wer sein Vaterhaus verlässt wie du, der verliert jede Anspruch.«

»Oho!« rief Christof, »des wer'n m'r schun sehga. Adjes.« Und er ging und wurde Knecht neben Anna, der Magd. Der Hannes aber sagte zum Vater: »Was taun mer denn ohne den Chrischtof? Des is doch gar nit zu mache.«

»Is mei' Sach'. Übers Jahr kannscht du dir 's jo annerscht ei'richte«, erwiderte dieser kurz abweisend.

Einige Zeit vorher schon gab es im Hause des Meisters Jakob eine fast ähnliche Verhandlung über die Susi. Der Mathes Wörle, ein Vetter aus der Zengrafschen Freundschaft in Altrosenthal, hatte die Frau Eva nun doch wegen einer ihrer Töchter heimgesucht. Sein alter Bauernhof lag draußen im Schwarzwaldviertel, er hatte eine gute Partie gemacht und war wohlhabend. Aber es hatte ihn ein großes Malheur getroffen, seine Frau war krank, und er blieb kinderlos. Mit der ersten Mutterschaft war seine Mali verunglückt und konnte sich nicht mehr zusammenrappeln. Nichts Traurigeres als ein Bauernhof ohne Kinder, ein Haus mit einer kranken Bäuerin.

Der Vetter Mathes kam und bat die Frau Eva um ihre Susi. Wenn diese künftig einmal einen Bauern wie den Christof heiraten solle, da müsse sie doch das Wirtschaften von Grund auf kennenlernen. Wo könnte sie das besser lernen als bei ihm? In einem Hause, wo die Bäuerin das ganze Jahr in der Stube hocke oder im Bette lag? Das sagte er ingrimmig. Er wolle das Mädel nicht als Magd behandeln, eine solche sei ja ohnehin im Hause, sondern als Stellvertreterin der Bäuerin. Die Susi soll in die Lehr' kommen zu ihnen und bleiben, solang sie mag. Seine Frau sei neuestens ganz unbrauchbar und es verschlampe alles im Hause, sie selber mit. Käme man abends todmüd heim, gebe es nicht einmal etwas Warmes. Es gehe nicht mehr. Er wisse sich keinen Rat. Und da wäre ihm das mit der Susi in den Sinn gekommen. Es könne aber auch eine andere ihrer Töchter sein. Die Bas' Eva möchte ihm doch die große Freundschaft antun und ihm eine ihrer drei Mädeln geben.

Sie war aber nicht bereit dazu, sie brachte allerlei Einwände vor, auch den seiner Jugend. Der Bauer zählte fünfunddreißig und hatte ein krankes Weib; der suchte wohl etwas anderes als eine Magd. Er möge sich doch eine ältere Person suchen, eine Wittib, die mehr Erfahrung habe in der Wirtschaft und in der Krankenpflege, nicht aber so ein neunzehnjähriges junges Blut, das leicht in Verruf kommen könne. Er widersprach. Er habe es schon versucht mit einer Alten, aber es hätte mit Streit und Ärgernis geendet. Alte Weibspersonen fügen sich nicht, die wollen alles nach ihrem Kopf machen, so wie sie es gewohnt sind, die schicken sich nicht ins Haus. Seine Mali sei aber auch eigensinnig. Sie brauche eine Helferin, die sich ihr liebreich anfreunde, die sie gern haben könne. Dann ginge alles anders. Von ihm aber sei nichts zu befürchten. Er wäre ganz zermürbt in diesen zehn Jahren, die das nun dauere, es freue ihn schon das Leben nicht mehr, er käme sich vor, als wäre er fünfzig und nicht fünfunddreißig.

Nach einigem Zaudern versprach Frau Eva dem Vetter Mathes, sie werde seine Frau einmal aufsuchen und mit ihr reden. Zuerst müsse man hören, was die sage. Sie sei in der Sache die wichtigste Person.

Und jetzt, nachdem die Susi der Mutter unter einer Flut von Tränen alles gebeichtet, die Treue des Christof aber in den hellsten Farben gemalt hatte, jetzt wollte sie endlich diesen Besuch machen. Sie sah weiter, ihr erschien die Lage ihres Mädchens aussichtslos. Seit ein paar Tagen war sie wie betäubt, sie sah und hörte nichts, und ihr ganzes Wesen schien nur von dem einen Gedanken erfüllt: Die Schande! Die Schande! Sie wusste zwar nicht, wie sie dieser Schande auf dem Umweg über das Haus des Mathes Wörle entrinnen sollte, aber es war doch vielleicht eine Ablenkung. Und der Vater! Dieses große Kind! Ihm durfte nichts gesagt werden, ihn durfte dieser Schlag nicht aus heiterem Himmel treffen, da musste etwas ausgedacht werden... Die Susi war wohl überrascht von dem Antrag des Mathes Wörle, aber im Grunde konnte sie nichts dagegen sagen. Ihr erschien alles willkommen, was sie ihrer Freundschaft und Nachbarschaft für einige Zeit aus den Augen brachte. Mit Schmerz dachte sie an die Hochzeit der Anmerich, mit Schrecken an die winterliche Spinnreih ihrer Freundinnen, die sie werde meiden müssen und in der sie der Gegenstand aller Spott- und Stachelreden sein werde. Wenn sie's bedachte, war schon der Gedanke eine Wohltat, an das andere Ende des Dorfes kommen zu können, in eine Krankenstube, die einen Vorwand abgab für ihr Verschwinden. Ja, ja, die Mutter sollte den Weg nur recht bald machen.

Und die Frau Eva machte ihn. Sie fand ein verfallenes, krankes Weib im Lehnstuhl sitzen, das voll Eifersucht und Bitterkeit war, dass dem Mann seine Gesundheit nicht gönnte und in ihm den Schuldigen ihrer eigenen Not erblickte. Sie schien zu lechzen nach einer Aussprache, ihr Redestrom floss unaufhörlich, und sie sprach rückhaltlos von dem Jammer ihrer Ehe, von den Gründen ihrer Erkrankung. Sie hätte der Schonung bedurft nach dem Malheur, das ihr passiert war, aber die kannte der Mann nicht, er wollte Kinder haben. Und so sei sie von ihm Schritt für Schritt zugrunde gerichtet worden. Jetzt flenne er, jetzt sei er in Verzweiflung. Aber es sei zu spät. Am liebsten wäre sie tot, denn sie hätten beide die Hölle auf Erden... Wenn er morgens ins Feld fahre und habe eine Magd auf dem Wagen, liege sie den ganzen Tag in Krämpfen. Und wenn er abends heimkomme und sie habe nicht groß aufgekocht für ihn und seine... tobe er. Und er habe auch schon einmal beim Pfarrer angefragt, ob er sie nicht loswerden könne, ob man diese Ehe nicht trennen sollte. »Gott, Gott, wann nimmscht du mich zu dir!« rief sie. So schlimm hatte sich's die Frau Eva nicht vorgestellt. Und in ein solches Haus sollte sie ihr Mädel geben? Die Susi? Aber die hatte das Recht verwirkt, wählerisch zu sein.

Und endlich kam die Kranke, nachdem sie sich alles vom Herzen heruntergeredet hatte, auch auf den Zweck des Besuches, den sie kannte. Es war auf ihren Wunsch geschehen, dass der Mathes den Weg zur Bas' Eva machte und sie um eine ihrer Töchter bat. Ja, sie wolle einen neuen Grund legen in ihrem Haus, wolle es noch einmal versuchen, in ein fahrbares Geleise mit ihrem Mann zu kommen. Sie allein könne nichts mehr leisten. Sie brauche eine Wirtschafterin an ihrer Seite, eine gute Seele, die ihre Launen ertragen könne und sich langsam einarbeite in alles. Wenn Gott will, sie werde die Zähne zusammenbeißen bei dem Gedanken, könne sie vielleicht einmal die Bäuerin werden... Aber sie bitte sich aus, dass das dem Mädel nicht gesagt werde. Betrügen lasse sie sich, solang sie lebe, nicht.

Frau Eva war ganz wortkarg geworden. Sollte sie diesem kranken Weib, das so offen mit ihr redete, die Wahrheit sagen? Und durfte sie dieser Frau etwas verheimlichen, das nach einiger Zeit ja doch offenbar wurde? Sie konnte keinen Entschluss fassen, die Scham verschloss ihr den Mund. Aber sie ging mit dem Versprechen fort, sie werde ihr einmal ihr Mädel schicken. Sie möchte sich doch mit der Susi selber aussprechen. Tüchtig sei sie. Sie arbeite im Feld wie eine, sie spinne ihren Hanf, koche selbständig, sie melke die Kühe und füttere das Vieh, verstehe aber auch Handarbeit aller Art, könne lesen und schreiben und rechnen und werde gut zu brauchen sein in einer großen Wirtschaft. Aber die Hauptsache sei ja doch, dass sie der Bas' Mali auch gefalle. Sie gebe sie nicht gern vom Hause fort.

»Schickt mer sie! Schickt mer sie!«, bat die Bäuerin beim Abschied. »Äwer recht bald!«

So erbittert die Mutter gegen die Susi auch war, so ungern sie ihr ein Wort mehr gab als nötig, berichtete sie ihr doch alles. Und sie riet ihr ab, sich in dieses Fegefeuer zu begeben. Weiß Gott, was daraus entstehen könnte. Aber die Susi hatte sich schon so eingelebt in den Gedanken, sie sah ihre Zukunft daheim in so düsteren Farben, dass sie sich selbst an diesen Rettungsanker - und als solcher erschien ihr der Antrag - klammerte und ihn nicht mehr loslassen wollte. Sie war bereit, gleich hinüber zu gehen zur Bas' Mali. Das verbot ihr die Mutter. Sie solle einige Tage warten und sich die Sache richtig überlegen. Man müsse sie ja auch dem Vater einstweilen beibringen.

Nachdem drei Tage verflossen waren seit dem Besuch der Mutter und der Vater nicht gerade nein gesagt hatte, machte sich die Susi am vierten auf den Weg. Sie ging im Werktagsgewand, band sich ein nonnenhaftes dunkles Tuch über ihr welliges Braunhaar und legte alle Zeichen von Hoffart ab. Niemand sollte in ihr die Vortänzerin vermuten, niemand das schönste Mädchen des Dorfes wiedererkennen. Das hatte seine Rolle ausgespielt. Die Bäuerin sollte nichts in ihr finden als eine dienstwillige Magd.

Und die Bas' Mali und die Susi sprachen sich gut. Diese hörte all das noch einmal an, was die Kranke schon der Mutter erzählte, und sie empfand warmes Mitleid mit dieser Frau, deren Lebensglück so in die Brüche gegangen war. Ein stolzer, großer Hof, auf dem zwei Bauerngründe vereinigt worden waren durch ihre Heirat mit dem Wörle, lag verödet da, weil es der Frau versagt war, ihn zu beleben und zu bevölkern. Hinfällig, mit dem ewigen Zank im Hause, stand sie einer Wirtschaft vor, der sie nicht gewachsen war. Ja, sie wollte sich dieser Armen widmen, wollte ihr eigenes Unglück vergessen und ihre Schande hier verbergen, so gut es ging. Wenn sie nur wüsste, ob sie's schon sagen dürfe... Da fragte die Bäuerin plötzlich, wie lange sie wohl bei ihr bleiben würde können, wann der Christof sie zu heiraten gedächte. Jetzt rang Susi sich das volle Geständnis ab... Sie erzählte ihr weinend von dem Kampf und der Treue des Christof, sagte ihr, dass dieser um ihretwillen Knecht geworden, und dass er Soldat werden solle. Sie werde wohl auf ihn warten müssen, bis er wiederkehre. Aber das alles wolle sie nicht daheim abwarten, nicht unter den Augen ihrer Eltern und Geschwister.

Das erschloss ihr das Herz der Bäuerin. »Du arme, arme Haut! Do hoscht du freilich recht, dass d' zu mer kimmscht. Sollscht's gut haun bei uns.« Das Mitgefühl mit dem Mädchen war echt. Aber es war getragen von der blitzartigen Erkenntnis, da biete sich ihr eine junge Seele an, die Zuflucht bei ihr suche, die sie werde festhalten können an ihrer Seite, die sie sich noch erziehen könne, wie sie wolle, und die an einen anderen Mann gebunden und ungefährlich war. Ungefährlich für den Mathes! Das empfand sie wie ein unverhofftes Geschenk des Schicksals. Mit gebundenen Händen sozusagen kam die Susi in ihr Haus. Das war ihr recht. Und dafür musste man auch die kleine Beigabe, die sie vielleicht brachte, duldsam hinnehmen.


Als der Philipp seinen Eltern so unerwartet mit der Meldung ins Haus fiel, er werde lieber nicht den Fasching abwarten, sondern gleich im Herbst heiraten, waren diese doch ein wenig überrascht. Die ganze Versprechung mit der Anmerich Weidmann war ihnen nur abgerungen worden. Die Mutter, die sich zuerst gefügt, hatte lang beim Vater dafür gearbeitet, dass ihrem Einzigen der Weg frei würde zu seinem vermeintlichen Glück. Sie hatte zwei Kinder verloren am Scharlach, und der Philipp war ihr um so teurer. Der Vater ergab sich nur mit Widerstreben. Er wollte eine Bauerntochter mit einem Grund. Beide aber glaubten, Zeit zu haben bis ins nächste Jahr. Da kam jetzt etwas plötzlich die Mahnung, dass sie sich bereit machen sollten, den ersten Platz im Hause zu räumen. Auch war ja für den Hausbau, den man für das junge Paar plante, noch gar nichts geschehen. Das mache nichts, versicherte der Philipp. Es habe Mühe genug gekostet, die Anmerich von der großen Hochzeit im Fasching abzubringen, und da sie jetzt einverstanden sei, wolle er nicht länger warten. Sonst besinne sie sich am Ende wieder anders.

Das wirkte beim Vater, Philipp wusste es. Denn die Ersparnis war nicht gering, wenn man sich mit einer einfachen Hochzeit beschied. Und dass ein Mädel so klug dachte, gefiel dem Alten an der Anmerich. Aber diesmal war die Mutter gegen Philipps Wunsch, sie wollte ihre große Bauernhochzeit haben. Der Vater erklärte sich nach einigem Zögern mit Philipps Wunsch einverstanden, und sie ließ sich überstimmen. Und Ferdinand Trauttmann, der Vater, nahm sogleich die Sache in seine Hand. War doch noch eine Form unerfüllt geblieben, die Werbung um die Anmerich bei ihren Eltern unterblieb bis heute. Das erschien ihm jetzt als ein grober Verstoß. »Es wird am Sonntag gutgemacht werden«, sagte er, »ehe das junge Paar zum Pfarrer geht.« Er besuchte den Taufpaten und den Firmpaten des Philipp, den Gunkel und den Knapp, und bat sie um die Erfüllung dieses Ehrenamtes. Und sie taten es gern.

Ferdinand Trauttmann war einer der wenigen Bauern im Dorfe, die noch wussten, woher ihre Vorväter stammten, die noch Familienpapiere und Aufzeichnungen aus der Zeit der Einwanderung besaßen. Und durch eine dieser Aufzeichnungen war er ein Wortführer der Gemeinde geworden in einer großen Sache. Aber bisher ohne Glück. In einem Gebetbuch, das sein Urgroßvater einst im Namen der Kaiserin Maria Theresia erhalten hatte, standen die Worte: »Ausstockung des Waldes vom Grafen J. S... Wingert angelegt uf unsere Koschte. Hunnert Jahr Zehent zu leisten. Schwere Sach'! Große Geldnot anno 1745.« Und auf Grund dieser Entdeckung forderte die Gemeinde Rosenthal von den Nachkommen des Grafen die Erlassung des Zehents, als die hundert Jahre voll waren. Eine andere Urkunde darüber fand sich leider nicht. Und die Gemeinde wurde abgewiesen. Sie möge ihre Sache doch beweisen, ließ ihr der Graf sagen, der Zehent gelte für ewige Zeiten. Man entschloss sich, den Prozessweg zu betreten. Und da kam man überein, dass der Trauttmann den Grafen klagen solle, weil er allein einen Beweis habe. Er tat es und wurde mit Hohn zurückgewiesen, denn nach den ungarischen Gesetzen durfte kein bürgerlicher Untertan und kein Bauer einen adeligen Herrn klagen. Da hieß es freilich das Maul halten. Aber dann kam die Revolution. Die brachte neue Gesetze und schaffte auch, wie man hörte, den Zehent und die Robot ab. Nun, man spürte noch nichts davon, der Zehent von der Weinernte wurde weiter genommen. War das in Ordnung? Es nahm sich niemand der Sache an, einzig und allein der Trauttmann dachte immer wieder nach, wie man zu seinem Recht kommen könne. Und das brachte ihn bei den Behörden in den Ruf eines unruhigen Kopfes. Selbst in der Gemeinde hatte man kein volles Verständnis für ihn; seitdem er abgewiesen worden war, schien die Sache erledigt zu sein. Aber bei Ferdinand Trauttmann war sie gut aufgehoben, und er weihte auch den Philipp in sie ein. Dieser nahm sie sogar wichtiger als der Vater und hatte seitdem jedes Jahr Streit mit den gräflichen Knechten, die gern zu tief in die Fässer der Bauern griffen. Sie begnügten sich nicht, den Zehent in Trauben zu nehmen, sie stiegen auf die anrollenden Wagen auf, zerstampften die Trauben in den offenen Fässern und schöpften so viel Most ab, als das Gebinde Trauben fasste. Das war ein offenbarer Gewaltakt, man konnte es einen Betrug nennen. Und Philipp scheute sich auch gar nicht, das zu tun. Er hatte auch diesmal wieder solch einen Streit, und der Vater musste ihn warnen, nicht so hitzig zu sein.

Aber was kümmerte dem Bauer jetzt die Zehentsache! Der Philipp ging am Sonntag nach dem Hochamt mit der Anmerich zum Herrn Dechant Schuh und meldete, dass er diese heiraten wolle. Er bat um das dreimalige Aufgebot. Das war dem Pfarrer immer ein willkommener Anlass, seine Gemeindekinder zu prüfen, ob sie ihr Christentum nicht vergessen hätten. Sogleich griff er nach dem Katechismus. Aber sie bestanden vor allen Fragen. War also die Christenlehr', die der Herr Dechant seit einigen Jahren für die der Schule Entwachsenen eingeführt hatte, doch eine gute Sache. Jakob Schuh hielt dem verlobten Paar eine Rede über den Ernst des Ehebündnisses, über ihre Pflichten gegen Gott, ihre alten Eltern und ihre zu erwartenden Kinder. Er forderte, dass sie vor der Trauung beichteten und kommunizierten und entließ sie mit einem Glückwunsch. Auch einen Gruß an die beiderseitigen Eltern fügte er hinzu.

Das war schnell gegangen. Ganz gerührt verließ das Brautpaar das Pfarrhaus, in dem andere Paare oft lang verweilten, auch zwei oder dreimal hinbeschieden wurden. Selbst die Frau Rosina, die Wirtschafterin, gratulierte ihnen, dass sie so leicht davongekommen. Diese Pfarrersköchin, die der Pfarrer Schuh sich einst mitgebracht, war die einzige Ungarin in der Gemeinde. Es ging ihr schwer mit dem Schwäbeln, aber so viel hatte sie schon gelernt, dass sie sich verständlich machen konnte.

Als das Brautpaar so allein durch das menschenleere sonntägliche Dorf ging - denn es war schon bald Essenszeit - mit geröteten, glücklichen Gesichtern, da wussten alle, die ihnen aus den Fenstern nachguckten, um ihr Vorhaben. Schau, schau! Hat sie's also doch erreicht, die Anmerich. Wird das mit der Susi auch so leicht gehen? Die Leute fragten sich's, denn man wusste schon von dem Schritt des Christof.

Philipp geleitete seine Braut heim. Der Franzl Schäfer, der neue Lehrbub, riss die Türe weit auf, als das Brautpaar erschien, und die Anmerich gab ihm lachend einen Patsch auf die Wange. Sie fanden ein freudig bewegtes Haus, denn soeben waren die beiden Werber fortgegangen, die Philipps Eltern geschickt hatten. Es war alles in schönster Ordnung, so wie es sich gehörte. Die Susi kochte, die Kathl deckte den Tisch, die Mutter ging mit roten Backen ab und zu. Meister Jakob aber begrüßte seine Anmerich mit einem Kuss. Und er drückte dem Philipp die Hand. Er lasse seinen Vater schön grüßen, und er werde am nächsten Sonntag nach dem ersten Aufgebot bei ihm erscheinen wegen dem Ehekontrakt. Man werde der Anmerich ja auch allerlei mitgeben können in die Ehe. Mit der Mutter sei es schon besprochen, was sie außer der Ausstattung kriege. Ein Joch gutes Getreidefeld auf dem Postgrund, einen Krautacker im Wiesental, einen Weingarten, eine Kuh und ein Kalb und zwei junge Mutterschweine. Und ein paar Oleanderstöcke, lachte der Meister, könne sie auch haben.

»Und verzig Pund g'schlessana Bettfedern und fufzig Elle gebleichte Lei'wand, die sie selber g'schpunna hot«, sagte die Mutter. »Und einen neuen Wagen mach' ich dir«, fügte der Meister noch zuletzt hinzu.

»Ja, do is ja die Anmerich reicher als ich!« scherzte der Philipp.

Er empfahl sich rasch, da er pünktlich zum Essen daheim sein wollte, denn die beiden Brautwerber waren heute zu Gast bei seinen Eltern. Nachmittags komme er wieder.


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