Guttenbrunn
Meister Jakob und seine Kinder
Guttenbrunn

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II.

Zum Hause Jakob Weidmanns gehörten auch drei Weingärten, ein paar Joch Getreidefelder auf dem Postgrund beim Schwarzwald und einige Kraut- und Kartoffelfelder. Und so gab es immer zu schaffen in der Wirtschaft. Die Gründe, zusammengeerbt von väterlicher und mütterlicher Seite, wurden von den Töchtern, die immer von einem der Söhne begleitet waren, bearbeitet, und ergaben alles Nötige fürs Haus. Nur in der Erntezeit griff man weiter aus, übernahm man Getreidefelder für den Schnitt und gegen Entlohnung durch einen Anteil. Der Vatersbruder nebenan, der Vetter Hannes, war dankbar für solche Mithilfe. Und jeder Bauer im Dorfe suchte sich ähnliche Helfer aus der Handwerkerzunft und aus den Kleinhäuslern, die kein eigenes Getreide zu fechsen hatten. Das Brot für das ganze Jahr verdiente sich im Schnitt jeder in der Gemeinde, der Lust dafür hatte. Auch in den Taglohn zu gehen war für niemanden eine Unehr', der Bauer schätzte seine Helfer und behandelte sie wie Familienmitglieder, die Bäuerin aber kochte auch für die abends Heimkehrenden, wie zur Kirchweih. Der Lohn war mäßig; aber jedes Haus legte noch ein »Vergelt's Gott« drauf, denn die Arbeit ehrte, der Fleiß war rühmlich und brachte eine gute Nachrede. Und die Bauern gingen bitten um die Mithilfe, wenn die Zeit da war. Das junge Getreide wollte im Frühjahr rasch vom Unkraut gesäubert sein, die Kartoffeln und der Kukuruz mussten gehackt und gehäufelt werden, und jeder Wingert rief wiederholt nach gründlicher Durcharbeit, ehe die reifen Trauben an den Reben hingen, die auch aufgebunden und gestützt sein wollten. Die Anmerich hatte da und dort im Taglohn mitgeholfen, wenn die eigene Arbeit getan war, sie schaffte mit allen um die Wette und man wunderte sich gar nicht, dass ein junger Bauer um sie warb. Der Ruf ihrer Tüchtigkeit war in jedermanns Mund. Die Susi geriet ihr nach.

Wenn sie sich im Weingarten mit einer Hacke am Morgen in eine Reihe mit den andern stellte, flog sie voran, keiner holte sie mehr ein. Und um nicht so aufzufallen, mit ihrer Kraft und ihrem Eifer, übernahm sie lieber gleich zwei Zeilen. Die schönen weißen Leinenbatschker mit den langen blauen Strümpfen wurden abgelegt, und barfuss, in kurzem Rock und Hemd, warf man sich in die Arbeit. Die braunen Arme und die prallen Waden der gebückten Mädchen leuchteten im Sonnenbrand. Ein Joch Weingarten, das in mehreren Schlägen, die durch Zwischengräben getrennt waren, den Berg hinanstieg, lag lange vor Sonnenuntergang hinter den fleißigen Weidemannsmädeln, und sie traten immer als die ersten, frisch gewaschen, den weiten Heimweg an. Beinahe geputzt sahen sie aus, so nett und sauber waren sie. Wenn sie nicht die Hacken auf der Schulter getragen und die Wasserkrüge in der Linken gehalten hätten, man würde geglaubt haben, sie kämen von einer Wallfahrt. Die leergegessenen Tornister trug immer der Jakob oder der Peter. Sie gingen zu Fuß wie alle, die nicht Pferd und Wagen hatten, aber sie wurden gar oft von den Bauern, die sie mit ihren Wagen einholten, durch Zuruf aufgefordert mitzufahren. Doch sie taten spröde, und die Wagen waren ja in der Regel voll gepfropft. Es musste eine schon sehr müde sein, wenn sie die Einladung annahm. Oder es gedachte eine daheim noch etwas zu schaffen oder der Mutter zu helfen, wenn sie Vorsprung gewann. Etwas andres war es, wenn jemand aus der bäuerlichen Verwandtschaft oder Nachbarschaft nachgefahren kam, die Zengrafs, die Trauttmanns, der Vetter Hannes, der Nachbar Staudt oder sonst wer. Da stiegen sie geschwinder auf. Zwei ihrer Weingärten lagen ja recht weit ab, hinter dem Hotter der walachischen Nachbargemeinde. Dort hatten die Rosenthaler Schwaben vor Iangen Zeiten einem Grafen die Urwälder ausgestockt und die Bären und Wölfe daraus verjagt. Das Holz wurde geteilt, die kahlgeschorenen Berge aber gehörten den Kolonisten, wenn sie sie mit Wein anpflanzten und dem Grafen den Zehent gaben. Den Wein pflanzten sie. Und den Zehent gaben sie bis heute. Aber der Weg zu diesem Besitz war weit, es hieß immer früh aufstehen, wenn man im Weingarten zu tun hatte. Und wenn die Schwaben an dem walachischen Dorfe vorbeifuhren, rechneten sie immer damit, dass sich da Arbeitswillige meldeten und mitgenommen werden mussten. Und das war denn auch meistens der Fall. Die Walachen warteten vor ihrem Dorf, feilschten mit den Bauern um den Lohn und stiegen auf. Ein Verlass auf sie war nie, denn sie hielten immer wieder gern einen Ruhetag, und man konnte auch die vielen griechischen Feiertage nicht zählen, an denen ihnen die Arbeit verboten war. Erst wenn diese fremden Taglöhner, die keiner liebte und ohne die man in größeren Wirtschaften nicht nachkam, am Abend wieder abgeladen waren, gab es häufiger Rückfahrtgelegenheit für die vielen Fußgänger. Aber bis sich das begab, waren die drei Weidmannsmädeln meist schon daheim. Denn einen frühen Feierabend gewährten die Bauern ihren walachischen Taglöhnern nicht. Die mussten für dreißig Kreuzer schaffen, so lange die Sonne am Himmel stand. Taten sie's doch selber auch.

Der Johann ging fort und der Jakob trat an seine Stelle als erster Gehilfe des Vaters. Ein zierliches kleines Rad hatte sich der Johann in den letzten Tagen gemacht für sein Felleisen, denn jeder Wanderbursche trug auf diesem das Abzeichen seines Handwerks, der Schuster einen Stiefel, der Schlosser einen Schlüssel, der Balbierer eine blanke Messingschüssel, der Wagner ein Rad. Es brauchte keine Vorstellung auf der Herberge, jeder sah, wer der andere war. Und beim Ludlmann, dem jüdischen Wanderhändler, der mit einem einspännigen Planwagen durch die Dörfer zog und sich auf einer Holzpfeife die Kundschaften melodisch herbeiblies, hatte Frau Eva für den Johann die nötigen Sachen, eine Schere, Nadeln und Zwirn, Lederriemen, Halstücher, Knöpfe, Seife, Hosenträger, einen Lauskamm und sonstige Ausrüstungsgegenstände für lange Wanderschaft eingetauscht. Sie gab alte Leinwand dafür hin, deren Flachs man einst selber gesponnen, Fetzen, von denen sie nicht wusste, was der Ludlmann damit anfangen könne. Und sie hatte dem Johann heimlich doch einen großen Strudel gemacht und einen Kranzkuchen, und auch eine geräucherte Speckseite dazugepackt. Dass er nicht umkehren würde, wenn das aufgezehrt war, wie der Schuster Sepp, das wusste sie. Dazu war ihr Bub zu stolz. Die Anmerich drückte ihm von ihrem ersparten Taglohn ein paar Silberzwanziger in die Hand, und die Susi gab ihm ihr Liederbuch mit. Er möge ihr überall, wohin er komme, ein schönes neues Lied einschreiben und es einst wiederbringen. Man brauche schon notwendig neue Lieder in den Spinnstuben. Er versprach es. Und es war ihm lieb, dass ihn die heimatlichen Lieder fortan begleiten sollten. Er selber war ein guter Ziehharmonikaspieler und sein Instrument nahm er mit. So wollte er auch gleich die Weisen der Lieder, die er etwa hören würde, aufschnappen und mitbringen. Am Fronleichnamstage nach der Vesper war der Johann ausgezogen, und die Geschwister und ein paar Freunde gaben ihm das Geleite bis hinaus auf die Temeschwarer Komitatsstraße. Am Vormittag hatte er noch teilgenommen an der Prozession, die durch das reichgeschmückte Dorf zog. Alle Wege waren mit Gras und Wiesenblumen bestreut, alle Gassen mit frischen grünen Zweigen abgesteckt, die Glocken läuteten, die Musikanten spielten, der Kirchenchor sang fromme Lieder und die Schützen gaben vor jedem Altar ihre Salven ab. Es war die dankbar demutsvolle Begrüßung des Wunders, das sich in der Natur draußen vollzogen hatte, eine jubelvolle Bitte um die Erfüllung alles dessen, was bis jetzt verheißen ward, um eine gute Ernte.

Da ging der Johann noch mit der Gemeinde im Gefolge der beiden Zünfte. Und sein frommer Vater als Vorsteher der einen trug auch einen Fuß des Himmels, unter dem der Herr Dechant mit dem Allerheiligsten in Händen einherschritt. Denn mit dem Dorfrichter und dem ersten Geschwornen trugen immer die Vorsteher der beiden Zünfte an diesem Tage den Himmel, zwei Bauern und zwei Handwerker. Diese waren den Bauern gleichgestellt in der Kirche, wenn sie auch in der Gemeinde selten ein Amt bekleideten. Mit dem mächtigen Eindruck des Tages im Herzen zog Johann von dannen. Seine Begleiter, Buben und Mädchen, von denen ihm eines einen Blumenstrauß anhing, waren lustig und sannen noch auf einen Schabernack. Sie geleiteten den Johann durch das Gässel, wo einer alle alten Stiefel des Dorfes flickte, der seit Jahren ein Ziel des Spottes war bei solchen Anlässen. Und so einmütig, als säßen sie in der Spinnreih, stimmten sie plötzlich das alte auf ihn gemünzte Lied an:

Der Schuster-Sepp, der wandern soll,

Weint laut und jammert sehr:

»O Mutter lebet ewig wohl,

Euch seh ich nimmermehr.«

Die Mutter greint entsetzlich:

»Das lass ich nicht geschehn,

Du darfst mir nicht so plötzlich

Aus deiner Heimat gehn.«

»O Mutter, nein, ich muss von hier,

Ist das nicht jämmerlich?«

»Mein Kind, ich weiß dir Rat dafür,

Verbergen will ich dich.

In meinem Taubenschlage

Verberg ich dich, mein Kind,

Bis deine Wandertage Gesund vorüber sind.«

Mein guter Seppel merkt sich dies

Und tut, als ging er fort,

Nahm kläglich Abschied und verließ

Sich auf der Mutter Wort.

Doch abends nach der Glocke

Stellt er sich wieder ein,

Ritt auf dem Schusterbocke

Zum Taubenschlag hinein.

Jetzt standen sie vor des Seppels Haus und kollerten lachend ihr Lied:

Da ging er; welch ein' Wanderschaft,

Im Schlage auf und ab,

Und wartete, bis ihm zur Kraft

Die Mutter Nudeln gab.

Beim Tag war er auf Reisen,

Und auch in mancher Nacht,

Da hatt' er mit den Mäusen

Und Ratten eine Schlacht.

Begleitet von einem saftigen Fluch kam ein alter Bauernstiefel in die Mitte der Sänger geflogen, und sie beeilten sich weiter zu kommen. Aber sie schenkten ihrem Opfer auch das letzte Gesätz nicht:

Einst hatte seine Schwester Streit

Nicht weit von seinem Haus,

Er hört, wie da ein Bettler schreit

Und guckt zum Schlag hinaus.

Mein Seppelein ergrimmte,

Macht eine Faust und droht:

»Wär' ich nicht in der Fremde,

Ich schlüg' dich mausetot!«

So scherzte man sich zum Dorf hinaus. Aber als es gegen das Ende ging, schlug die Stimmung um, den Begleitern Johanns riss der Faden ab. Und es gab ein groß Händeschütteln und Glückwünschen. Johann blieb fest. Er nahm seine Ziehharmonika, die ihm an einem Lederriemen an der linken Seite baumelte, zur Hand und spielte:

Muss i' denn, muss i' denn

Zum Städtle hinaus, Städtle hinaus

und marschierte tapfer weiter, nur mit dem Kopfe den Dank nickend für all die Zurufe und Grüße der Kameraden. Nicht mehr umsehen wollte er sich. Aber als er außer Sicht seiner Begleiter war, da schwenkte er den Hut und grüßte doch noch einmal den heimatlichen Kirchturm und alle, die in seinem Schutze wohnten. Wer weiß, ob er je wiederkehrte.

Es ging ein Aufatmen durch die dreitausendköpfige Gemeinde vor dem Schnitt. Alle Frühsommerarbeit war getan, die Kartoffeln und der Kukuruz waren gehäufelt, die Weingärten aufgebunden, die Brache gepflügt. Man schnaufte aus und konnte Kräfte sammeln für die größte Arbeit des Jahres, die freudigste und schwerste zugleich. Aber die Jugend bedurfte dessen nicht, sie wollte den Sonntag vor Peter und Paul freihaben für ein Tänzchen im Großen Wirtshaus. Und die schwäbischen Dorfmusikanten putzten ihre Instrumente blank. Die Geige vermochte freilich keiner von ihnen so recht zu führen, dafür hatte bloss der Herr Oberlehrer eine Hand, aber blasen konnten sie tüchtig. Die türkische Musik, das hatte man zu Fronleichnam wieder gehört, die verstanden sie. Und ihr Kapellmeister, der Eckerts Mathes, war nicht umsonst Musikkorporal gewesen im Deutschbanater Regiment, er ließ nichts Falsches durch. Auf die vorwitzige Klarinette, die auch am Fronleichnamstag immer was Extras spielen wollte und schandbar gixte, hatte er's besonders scharf. Mit dem Lannerts Peter probte er alle Tänze durch, ehe er ihn wieder an die Klarinette ließ. Na, es ging. Die lieben alten Liedertänze, die sich die Ureltern einst aus dem deutschen Vaterland mitgebracht, die hatte er sicherer im Maulwerk als die Kirchenmusik. Ja, es ging.

Und die Jugend von Alt- und Neurosenthal strömte an dem letzten Sonntag vor der Ernte, an dem der Pfarrer über das Abendmahl und seinen tiefen Sinn gepredigt hatte, zum Tanze nach dem Großen Wirtshaus. Das Dorf lag auf einer welligen Hochfläche, die sich gegen Osten hinabsenkte in die fruchtbare Tiefebene des Maroschtales. Zwischen der älteren und der neueren Siedlung lag ein Einschnitt, ein Tal, durch das ein Bächlein floss. Und in dem Tal hausten die Handwerker, die nicht viel Raum brauchten für ihr Gewerbe, in zwei Häuserreihen. Auf der Höhe links entwickelte sich das alte Dorf, mit Kirche, Schule, Gemeindehaus und Wirtshaus, auf der Höhe rechts die neuere Siedlung. Und jede hatte eine lange, in gleicher Richtung laufende Hauptgasse mit allerlei Nebengliedern. Aber die Hauptgasse von Altrosenthal machte an ihrem Ende im Osten eine Biegung nach rechts und traf unten an der Steinbrücke, die sich über den Bach wölbte, mit der Hauptgasse von Neurosenthal zusammen. Vereint liefen sie an der kleinen Siedlung der walachischen Halter, denen man sein Vieh anvertraute, vorbei und verzweigten sich hinaus in die Wiesen und Felder und die nahen, zum Ort gehörigen Weingärten, die hauptsächlich den Altrosenthalern eigneten. In allen Gassen standen Bäume vor den blanken weißen Häusern mit den grünen Sprießelläden, die frühen Maulbeeren reiften schon, und die Linden und Akazienblüten dufteten im Abendsonnenschein. Und überall sangen verliebte Vögel.

Aus all den weitverzweigten Gassen und Gässel, in denen Hof an Hof und Werkstatt an Werkstatt grenzte, scharwenzte die verliebte Jugend hinüber nach dem Zauberort, wo ein letzter Tanz vor der Ernte winkte. Die Schönen kamen aus der Öbergass und aus der Innergass, aus dem Tal und aus dem Grund, aus dem Pentschek und aus dem Schwarzwald, und da durften doch die aus der Herrnsgass nicht fehlen. Dort wohnten die Allerschönsten. Die Väter saßen daheim über den Sensen und Sicheln und dengelten im ganzen Dorf um die Wette für die Ernte, die Frauen und Mütter aber, die sonst so gern rundum im Tanzsaal hockten, sich an dem Anblick ihrer Kinder ergötzten und die Lose der Zukunft aus den Ereignissen solch eines Abends beredeten, sie hatten heute viel zu viel Arbeit vor sich, auch sie blieben daheim. Sie prüften und wogen ihre Vorräte für die Erntezeit, berechneten die Bedürfnisse, suchten die Nester ihrer Hühner ab und zählten die Eier, sie hielten ihre Jüngsten an zum Butterstoßen, die Großväter mussten noch Wein abziehen oder sonstwo helfen. Es schepperte und polterte und pumperte überall an diesem Sonntag, aber die mannbare Jugend flog aus und niemand wollte sie halten. Man brauchte ihre gute Stimmung für die Erntezeit und keine verdrossenen Gesichter. »Tanzt, tanzt euch aus«, sagte auch die Frau Eva zu ihren Mädeln. Und die braune Susi und die rotbackige Kathl, die noch in den dummen Jahren war, ließen sich's nicht zweimal sagen und machten sich schön. Nur die Anmerich blieb auf Wunsch des Philipp Trauttmann daheim. Nach ihren blonden Zöpfen sollte keiner mehr langen, an denen hing er selber.

Das Große Wirtshaus, ein alter Bau von herrschaftlichem Ansehen, war eigentlich nichts als ein großer Saal mit ein paar Nebenräumen. Über einige Staffeln stieg man von der Gasse empor zu dem Eingang, der beinahe mitten in den Saal führte. Rechter Hand baute sich ein hoher bretterner Gang auf festen Pfosten auf, ein Hochsitz für die Musikanten, und an den Wänden des Saales liefen Bänke rundum für die Zuschauer. Zur Linken kam man in die schmalen Nebenräume, die sich nach dem Hoftrakt hin fortsetzten. Gegenüber der Eingangstür von der Gasse befand sich ein Ausgang, der nach dem Hausgang und über ein paar Stufen in den Hof hinabführte. Dieser Hof war von gewaltiger Ausdehnung und rückwärts von einem Einkehrschuppen für Fuhrwerke und einem Stall überquert. Eine vielbenützte Kegelbahn streckte sich hinter dem Hause. Und jenseits dieser Hofwelt lag der Gemüse- und Obstgarten des Wirtes, der immer ein Pächter war. Denn der Besitz war ursprünglich kameralisch, er gehörte der Wiener Hofkammer, ehe er der Gemeinde zufiel. Die »Arenda« wurde immer für ein paar Jahre versteigert, und diesmal hatte sie Peter Albetz errungen, seines Zeichens eigentlich ein Schuster, aber ein weltgewanderter, weltgeläufiger Mann mit den allerbesten Manieren.

Das Große Wirtshaus, neben dem es auch kleine im Dorfe gab, war ein Heim für alle Feste und Veranstaltungen, auch für Versammlungen und für die ganz großen Bauernhochzeiten, für die jedes Privathaus zu eng geworden wäre. Und auch für englische Reiter, für fahrende deutsche Komödianten und Zauberer, die sich manchmal hierher verirrten und am liebsten gegen Eintrittsgelder in Naturalien spielten. Am häufigsten aber gehörte das Haus der tanzfreudigen Jugend, die von einem wahrhaft rheinischen Karnevals- und Kirchweihfieber besessen war.

Eine Lust waren ihr solche Sommerfeste. Die Mädchen standen im Freien draußen, von der Ausgangstür nach dem Hofe zu bildeten sie eine helle Gasse, und ihre zwei Reihen reichten oft tief hinab in den Hof. Die Buben hatten ihren Sammelpunkt ebenfalls im Hofe. Und wenn die Musik zum Antritt rief, stürmten sie durch die Reihe der Mädchen und wählten sich, die ihnen gefielen. Die Übriggebliebenen standen da wie am Pranger, sie konnten nicht einmal dem Tanze zusehen oder sich als Mauerblümchen in eine Ecke drücken, als wären sie nicht vorhanden. Und eine Dorfschöne überwachte die andere in dieser Mädchengasse, man hörte jedes Wort, das da gesprochen, fing jeden Blick auf, der da ausgetauscht wurde. Was hier geschah, das wusste am nächsten Morgen das ganze Dorf.

Wer wird die Weidemanns Susi heute zum Ersten führen? Das war die Frage für alle ihre Freundinnen aus Neurosenthal. Keine hatte ihr den Maibaum gegönnt. Und sie fragte sich's selber, wenn sie Ausschau hielt nach dem Kreis der im Hofe versammelten Buben. Welcher konnte es gewesen sein? Der Mergl, der Schilling, der Knapp oder der Staudt? Oder einer aus Altrosenthal? Wer denn? Zuletzt kam sie auf den, den sie meinte, auf den kecken Luckhaups Christof, der sie schon aus der Sonntagsschule immer so gern heimbegleitet hatte. Oder der Wichner? Der Klotz? Der Theiß? Wie er verstohlen herschaute, der Christof... Na, der soll ihr kommen. So ein hochmütiger reicher Bauernsohn. Da käm' sie schön in die Mäuler der Leute. Sie hätte sich's aber denken können. Und sie hatte sich's auch gedacht.

Musik! Die Klarinetten weit voraus. Sie lockten und jauchzten, dass der Ländler allen in die Beine fuhr.

Notenbild
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Und die Buben stürmten in die lichte Gasse. Zehn flinke Hände wollten nach der Susi langen, aber der Christof hatte sie schon. »Oho!« sagte er. Und voll Hochmut blickte er seine Mitbewerber an. »Ich bin do.«

»Na, du bischt weiter wer«, antwortete der Schilling Franz aus Neurosenthal und nahm die Kathl.

Susi hatte es ja gewusst... Hand in Hand mit ihm schritt sie willenlos in der Reihe der Paare dem Eingang zu, hinter ihr zischelte es her: »Er war's, er war's.« Christof sagte kein Wort, aber sie verstand den festen Druck seiner Hand. Es war ja eine Ehre für eine Handwerkerstochter, und sie wurde beneidet. Aber es wehrte sich etwas in ihr gegen diesen Überfall, eine warnende Stimme flüsterte ihr tief innen zu: »Hüte dich!« Und als er sie jetzt mit starken Armen durch den Saal schwenkte und ihr ins Ohr fragte: »Bischt mer bös, Suserl?« Da fand sie den Mut, ja zu sagen. »Ja!« »Den Dank häb ich erwart't von dir«, lachte Christof und tanzte wie toll in die Mitte des Saales, als wäre Kirweih und er der Vortänzer. »Sie sollen's alle sehen, dass ich dich haben will, haben will, dass ich dich haben muss, haben muss«, flüsterte er übermütig im Takte der Musik, und sein heißer Atem strich über ihre Wange. Sie konnte den Kopf nicht weit genug weghalten von dem seinen, er war's imstande und hätte sie geküsst. Es waren Zuschauerinnen genug gekommen aus der Nachbarschaft des Großen Wirtshauses, und sie rissen die Augen auf. Auch die Mittanzenden bemerkten, woran sie mit dem Christof und der Susi waren. Dass sie die Schönste war im Saal, das bestritt ihr niemand, aber dass sie das erreichen sollte, glaubte keine. Die Bauerntöchter sahen sie mit scheelen Augen an, die Buben aus Neurosenthal aber steckten alsbald die Köpfe zusammen draußen im Hof und redeten dem Christof allerlei zu Gehör. Solche Schläge hätte noch keiner bekommen. Auf so eine Kirweih freuten sie sich schon lange. Er reckte sich und sah höhnisch um sich. Die Altrosenthaler standen alle zu ihm.

Susi wusste nicht, wohin sie blicken sollte, Als sie wieder draußen stand in der Reihe, so viele feindliche Augen sah sie auf sich gerichtet. Zum Glück hatte sie die Kathl neben sich. Aber auch der Fratz, der noch gar nicht hierher gehörte, schien verdrossen zu sein, er antwortete nur einsilbig auf alles, was die Susi im überhitzten Eifer redete. Und als der Tanz wieder anging und die Klarinette gellend zu einem Langaus rief, da griffen die Buben aus Neurosenthal wie auf Verabredung nach anderen Mädchen, sie holten die Kathl neben der Susi fort und alle Nachbarinnen, nur sie blieb stehen. Lachend kam zuletzt der Christof und nahm sie wieder. »Die Affe! Die Schlappschwänz!« sagte er. Und sie ging trotzig erhobenen Hauptes mit ihm und drückte seine Hand wie zum Danke. Justament! Und wenn sie alle zersprangen! Sie war auch nicht mehr böse auf den Christof. Sie ließ ihn reden und flüstern und wurde aufgeräumter von Tanz zu Tanz. Sie taten, als ob sie allein wären in all dem Trubel. Wie ein Rausch war es über sie gekommen...

Und plötzlich war die Susi vom Tanzboden verschwunden. Aber auch den Christof sah niemand mehr. Und die Kathl wollte schier in die Erde sinken vor Scham.


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