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XIII. Der letzte Streit

Es war am Vorabend des Weihnachtsfestes. Geschäftig wanderten die Menschen durch die weißbeschneiten Straßen, um in den auf dem Schloßplatz aufgestellten Buden für die Kinder daheim den Tannenbaum und die kleinen Geschenke einzukaufen. Aber doch war der Markt heute weniger besucht von Käufern, wie das sonst zu sein pflegte. Die Verkäufer standen traurig in den Buden und schauten mit gerunzelter Stirn diesen Scharen lachender Menschen zu, welche achtlos an ihnen vorübergingen und nach dem nahegelegenen Gensdarmenmarkt eilten.

Und allerdings, auf dem Gensdarmenmarkt hatte man heute ein seltenes, ungewohntes Schauspiel, wie man es unter Friedrichs des Großen Regierung nur dies eine Mal sehen sollte.

Da war ein Scheiterhaufen errichtet und neben demselben stand der Henker in seiner roten Amtstracht. Wie? Sollte der »Heilige Abend« heute mit einer Hinrichtung gefeiert werden? War es deshalb, daß diese Tausende neugieriger Menschen in dichtgedrängten Reihen den Scheiterhaufen umstanden? Deshalb, daß die Fenster all' dieser Häuser geöffnet und mit Gruppen eleganter Damen und Kavaliere geschmückt waren?

Ha, allerdings wollte man da eine Hinrichtung feiern, aber eine blutlose, welche wenigstens dem Delinquenten keine Schmerzen verursachte. Auch waren die Blicke dieser Tausende jetzt nicht auf den Scheiterhaufen gerichtet, sondern alle schauten sie empor zu diesem Fenster, welches sich da drüben an dem großen Hause auf der Seite der Taubenstraße Taubenstraße Nr. 20. geöffnet hatte. An diesem Fenster stand ein bleicher Mann mit eingefallenen Wangen und kränklicher, gebeugter Gestalt. Aber sein Geist war ungebeugt, das sah man an dem stolz gehobenen Haupt, an dem ironischen, verächtlichen Lächeln, das nicht bloß auf seinen Lippen, sondern auch auf seinem ganzen Antlitz stand, an diesen flammenden, großen Augen, welche sprühende Blicke in der Menge umhersandten, um hier und dort irgendeinen Bekannten zu grüßen.

Dieser Mann war Voltaire! Voltaire, welcher gekommen war, der Hinrichtung beizuwohnen, der Hinrichtung seines Akalia, der allerdings in Leyden gedruckt und in ganzen Ballen nach Berlin gesandt worden war.

Voltaire hatte also sein schriftliches und mündliches Versprechen, er hatte sein Ehrenwort gebrochen, und der König aufs äußerste gebracht durch dieses ehrlose Betragen, hatte in seinem Zorn beschlossen, dasselbe öffentlich zu strafen.

Und jetzt wirbelten die Trommeln, und dann unter dem atemlosen Schweigen der Menge las ein Beamter des Königs das Urteil vor, das Urteil, welches die boshafte, verleumderische Schrift, durch welche der edle, tugendhafte und berühmte Gelehrte Maupertuis dem allgemeinen Gespött hätte preisgegeben werden sollen, welches den Akakia zum Feuertode verurteilte.

Voltaire stand immer noch ruhig und lächelnd an dem geöffneten Fenster, er sah, wie der Henker diese Ballen gedruckten Papiers in das Feuer warf, er sah, wie die Flammen hoch emporwirbelten zum Himmel, und sein Antlitz blieb hell und seine Augen verloren nichts von ihrem glühenden Feuer.

Immer dichter schlugen die Rauchsäulen empor, immer mächtiger schlugen die Flammen zum Himmel auf.

Die Menschen schauten schweigend dieser seltsamen Hinrichtung zu, und das Lachen und plaudern war verstummt. Da hörte man plötzlich ein lautes, spottendes Gelächter, und eine mächtige Stimme rief:

Seht da den Geist Maupertuis', welcher ganz und gar in Rauch aufgeht! Ah, welch' ein dicker und schwarzer Rauch! Wie viel verschwendetes Holz! Der Akakia ist unsterblich! Ihr verbrennt ihn hier, aber er bleibt doch lebendig, und die ganze Welt wird ihn kennen lernen! Denn was für die Unsterblichkeit geboren ist, kann kein Holzscheit verbrennen Thiébault. V, 265..

Es war Voltaire, welcher so sprach. Dann warf er das Fenster klirrend zu und trat in das Gemach zurück.

Leben Sie wohl, Herr von Francheville, sagte er ruhig, ich danke Ihnen, daß Sie mir erlaubt, meiner Hinrichtung beizuwohnen. Sie sehen, ich habe es gut überstanden, denn nicht jeder stirbt, den man verbrennt. Leben Sie wohl! Ich muß aufs Schloß, denn ich habe da ein wichtiges Geschäft.

Mit jugendlicher Lebendigkeit eilte er von dannen und hinunter, zu seinem Wagen.

Das Volk, welches ihn erkannte, jauchzte ihm mit freudigen Zurufen entgegen, und im Triumph fuhr Voltaire durch die Menge, welche ihn mit freudiger Teilnahme grüßte, während der Henker die letzten Ballen des Akakia in die Flamme schleuderte.

Aber in seinen Gemächern im königlichen Schlosse angelangt, verschwand das Lächeln aus seinen Zügen, und sie zeigten jetzt all' die Wut und den Zorn, welche sein Inneres bewegten.

Mit hastiger Hand nahm er aus seinem Portefeuille das vom König unterzeichnete Pensionspatent hervor; dann riß er das blaue Band mit dem großen Ordenssterne von seinem Halse und schnitt mit raschem Griff den kleinen goldenen Schlüssel von seinem Hofgewand ab, das der Kammerdiener da zu seiner Toilette bereit gelegt hatte.

Aus diesen drei Dingen machte er sodann ein Paket, das er versiegelte und auf das er als Aufschrift folgende Verse schrieb:

Je les reçus avec tendresse,
Je Vous les rends avec douleur,
C'est, ainsi qu'un amant dans son extrême fureur,
Rend le portrait de sa maitresse.

Dann rief er seinen Kammerdiener und befahl ihm, dieses Paket sofort hinüberzutragen zum König. Nicht das mindeste Zaudern war in ihm, nicht das leiseste Bedauern über diese große Pension, welche er eben aufgab. Er fühlte, daß er das müßte, daß seine Ehre, sein Stolz das verlangte. In diesem Augenblick war sein Antlitz leuchtend und schön, in diesem Augenblick war er der stolze, selbstbewußte, freie Dichter, der Genius hatte den Menschen in ihm besiegt und leuchtete strahlend von seiner Stirn.

Aber der schöne Moment ging vorüber, und der kleine, berechnende, geizige Mensch trat wieder in seine Rechte ein.

Voltaire erinnerte sich wieder, daß er nicht bloß Orden und Ehrentitel, sondern auch Geld aufgegeben hatte, und ein wütender Schmerz, eine maßlose Angst überkam ihn.

Er eilte zu seinem Schreibtisch hin, und mit zitternder Hast schrieb er an den König einen flehenden Brief, in welchem er um Gnade und Erbarmen bat, um Mitleid mit seiner unglücklichen Lage und seinem tiefen Schmerz Preuß, Friedrich der Große. I, 248..

Und der König hatte Mitleid, Mitleid mit dieser zerstörten Freundschaft, die jetzt in wüsten Trümmern zu seinen Füßen lag und für welche er noch die Pietät empfand, welche man für das Grab eines Verstorbenen hat.

Er sandte Voltaire mit einem freundlichen Schreiben die » bagatelles« zurück und lud ihn ein, ihn nach Potsdam zu begleiten.

Voltaire nahm es an, und die Zeitungen verkündigten, daß der berühmte französische Dichter von dem König seine Orden und Titel und seine Pension wieder erhalten und sich mit dem König nach Potsdam begeben habe.

Aber dieser anscheinende Frieden war nur von kurzer Dauer. Die Freundschaft war gestorben, und gegenseitige Erbitterung war an die Stelle der Liebe und Hochachtung getreten.

Voltaire fühlte endlich die Unmöglichkeit, länger zu bleiben, und gedrängt von den kalten und eisigen Blicken, von dem ironischen, fast verächtlichen Lächeln des Königs, bat er endlich um seine Entlassung, welche ihm der König diesmal nicht verweigerte.

Eines Tages, als der König, umgeben von seinen Generalen, auf dem Paradeplatz stand, meldete man ihm, daß Herr von Voltaire um die Erlaubnis bitte, sich beurlauben zu dürfen.

Der König wandte sich mit ruhigem Antlitz zu ihm um. Ah, Herr von Voltaire, sagte er, Sie wollen also durchaus abreisen?

Sire, unaufschiebbare Geschäfte und besonders meine Gesundheit zwingen mich dazu, sagte Voltaire laut genug, um von jedermann vernommen zu werden.

Der König neigte sein Haupt zu einem leichten Gruß. Monsieur, ich wünsche Ihnen eine glückliche Reise Thiébault. V, 271., sagte er, und wandte sich dann wieder an den alten Feldmarschall Ziethen, um das angefangene Gespräch mit ihm ruhig fortzusetzen.

Voltaire machte eine tiefe, zeremonielle Verbeugung, und ging, um die bereitstehende Postchaise zu besteigen.

So schieden sie. Die Freundschaft war in Asche gefallen, und keine spätern Beteuerungen und Worte konnten sie wieder zum Leben erwecken.

Der König und der Dichter nahmen voneinander Abschied, um sich niemals wieder zu sehen!

 

Ende des vierten und letzten Bandes.


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