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Jetzt, meine Freunde, laßt uns fröhlich sein und alle Sorgen vergessen und aller Trübsal der Welt! rief der König mit einem heitern Lächeln. Hebt eure Gläser und stoßt mit mir an: Es lebe die Heiterkeit! Es lebe der Scherz und die Freude!
Er hob sein Glas empor, und die Freunde taten es ihm nach, die Gläser stießen mit hellem Klang aneinander, dann setzten sie sie an die Lippen und leerten sie aus und setzten sie schweigend wieder auf die Tafel nieder.
Friedrich blickte mit einem strahlenden, köstlichen Ausdruck umher auf den Kreis der Freunde, die mit ihm an der runden Tafel saßen. Sein Auge weilte auf jedem dieser lächelnden Gesichter und schien auf dem Grunde derselben lesen zu wollen, dann ließ er den Blick hinausschweifen in den Garten von Sanssouci, der durch die geöffneten Saaltüren seine lieblichen Düfte, seinen Vogelgesang, seine erquickende Abendkühle hereinsandte, während der Mond mit goldenem vollen Angesicht hereinschaute, als wolle sein Glanz wetteifern mit dem Glanz der Wachskerzen, die an dem über der Tafel hängenden kostbaren Kronleuchter von Bergkrystall brannten.
Das ist ein köstlicher Abend, sagte der König, und wir wollen ihn mit allen Sinnen genießen; und indem er den im Hintergrunde des Saales stehenden Lakaien einen Wink gab, fuhr er fort: Schließt die Türen und öffnet die Fenster, setzt das Dessert auf und den Champagner, und dann hinaus mit euch!
Geräuschlos und eilig wurden seine Befehle vollzogen, und als dann die Lakaien sich entfernt und die Türen hinter sich ins Schloß gedrückt hatten, blickte der König wieder umher im Kreise seiner Freunde und grüßte jeden mit einem Lächeln und einem freundlichen Neigen des Kopfes.
Willkommen, ihr alle, alle, sagte er, so lange hat mein Herz sich gesehnt, euch alle beisammen zu haben, und nun endlich seid ihr hier. Da ist Voltaire, dessen Marquise erst von einem Buch, einem Rinde und dann vom Leben entbunden werden mußte, um ihn von seiner Liebe zu entbinden und nach Berlin freizugeben. Da ist Algarotti, der Schwan von Italien, der immer seine Flügel ausbreiten und uns entfliehen möchte nach dem Lande der Orangen und der Flöhe. Da ist La Mettrie, der nur deshalb bleibt, weil er endlich sich überzeugt hat, daß der Kapwein bei mir echt und die Gänseleberpasteten wirklich aus Straßburg sind. Da ist d'Argens, der sich hierher geflüchtet hat, weil es sonst kein Land in Europa gibt, wo nicht eine Geliebte auf ihn harrt, der er mit tausend Schwüren ewige Treue angelobt. Da ist Bastiani, den wir nur hier haben, weil die schlesischen Damen, nachdem sie ihm in langer und inbrünstiger Ohrenbeichte alle ihre schönen Sünden gebeichtet haben und er sie von allen absolviert hat, doch jetzt wieder Zeit haben müssen, um einige neue schöne Sünden begehen zu können, und täten sie's auch nur, um diese dem schönen Abbé Bastiani beichten zu können. Da ist endlich Mylord Marschall, der Edelste und Beste von uns allen, dessen Gegenwart ich seiner politischen Treue und dem Unglück der Stuarts danke!
Und da ist vor allen Dingen noch der Salomon des Nordens, rief Voltaire, da ist Friedrich, der jüngste von uns allen und doch der Weiseste, da ist der Philosoph von Sanssouci, da ist Apollo, der Göttersohn, welcher sich zu uns herabgelassen hat als unser König.
Ah, nichts vom König heute, sagte Friedrich. Nach Sonnenuntergang gibt's in Sanssouci keinen König mehr. Der König verläßt alsdann dies Haus und begibt sich in irgendeines seiner Schlösser, Gott weiß wohin, nur hier ist er nicht. Wir sind also ganz unter uns und ganz sans gêne. An dieser Tafel gibt es keinen König. Wir sind hier nur sieben Freunde, die miteinander plaudern, und wenn ihr wollt, sieben Weise!
Das also ist die Konfidenztafel, rief Voltaire, die Konfidenztafel, von der mir d'Argens so viel erzählt hat und die vor meinen innern Augen glänzte wie König Arthus' Tafelrunde. Es lebe die Konfidenztafel!
Sie lebe, und die erste Sitzung heute abend wollen wir damit beginnen, daß wir uns alle einige Konfidenzen machen, sagte der König. Jeder soll etwas erzählen, irgendeinen pikanten, seltsamen Zug aus seinem Leben, eine erlebte Anekdote oder ein kleines süßes Geheimnis, das er den Freunden, aber nicht der Frau anvertrauen darf. Der Älteste von uns fängt an.
Ich fürchte, das bin ich, sagte Voltaire, obwohl ich Euerer Majestät bekennen muß, daß mein Herz noch gar keine Runzeln und keine weißen Haare hat. Das Alter, dieses ekle schauerliche Weib, welches mit grinsendem Lächeln hinter jedem Menschen herschleicht und den Moment belauert, wo es ihm die durchlebten Jahre auf seiner Stirn verzeichnen kann, das Alter hat nur mein Angesicht mit seiner widerlichen Maske überklebt. Mein Herz ist jung geblieben, und wenn die Weiber nicht so kurzsichtig wären, daß sie nur die Fratze da und nicht mein inwendiges Gesicht sehen können, so würden sie mich nicht den alten Voltaire nennen, sondern mich lieben und anbeten, wie sie es in meinen jungen Jahren so viel getan.
Gebt Acht, er will uns heute von irgendeiner Herzogin erzählen, die ihn auf einen Altar gestellt, um ihn anzubeten, sagte der König.
Nein, Sire, ich will Ihnen erzählen von einer Kränkung, die mir von allen Kränkungen, die ich je erfahren, die bitterste gewesen und die ich nie vergessen kann.
Als ob er jemals eine Kränkung vergessen könnte, es sei denn, daß er sich gerächt hätte, rief d'Argens.
Und seinen Feind als Hasenpastete mit köstlichem haut goût verspeist hätte, fügte La Mettrie hinzu.
Wahrhaftig, wenn ich alle meine Feinde verspeisen sollte, so würde ich ewig an Indigestionen leiden, und in meiner Verzweiflung zuletzt sogar zu La Mettrie meine Zuflucht nehmen. Man weiß ja, daß, wer an unheilbaren Krankheiten leidet, zuletzt sogar die Kunst der Quacksalber nicht verschmäht.
Sie vergessen, daß La Mettrie wirklicher, studierter Arzt ist, sagte der König mit anscheinendem Ernst.
Im Gegenteil, er erinnert sich dessen, rief La Mettrie lachend. Der beste Arzt ist immer auch der größte Quacksalber oder der größte Totengräber, wie Sie wollen!
Still, rief der König. Voltaire hat das Wort. Er will uns den Superlativ empfangener Kränkungen erzählen. Hören wir!
Ach, mein Herz wird traurig, Sire, denn von allen Schmerzen, die es gibt, ist mir der Schmerz des Rückwärtsschauens in die Vergangenheit der bitterste. Ich sehe mich da eben als jungen Mann, als diesen Arouet, dem Ninon de l'Enclos ihre Bibliothek und eine Pension vermachte, und der mit zwanzig Jahren in die Bastille wandern mußte, weil er Gott und den König zu wenig, die Marquise de Villars und einige andere Damen des Hofes zu viel geliebt hatte. Aber außer den vornehmen Damen gab es da noch ein schönes junges Kind, welches ich liebte, vielleicht weil sie eine Eigenschaft besaß, welche ich bei meinen vornehmen Gönnerinnen nie bemerkt hatte, weil sie unschuldig war. Ah, meine Freunde, Sie hätten Phyllis sehen sollen, und Sie würden gesagt haben, daß keine Rosenknospe schöner, keine Lilie reiner sei. Und doch war sie nur die Tochter eines Zigeuners und einer Mausefallenhändlerin, und tanzte auf dem Drahtseil in den Vorstadtgärten.
Ach, ach, die Göttin der Unschuld, scheint mir, tanzt in der Welt immer ein wenig auf dem Drahtseil, sagte der König, ich werde mich daher nicht wundern, wenn auch Ihre kleine Göttin Phyllis herunterfiel.
Sire, sie fiel herunter, aber in meine Arme, und wir schwuren uns ewige Liebe und ewige Treue. Nun, Sie kennen ja alle aus Erfahrung diese Schwüre, mit denen man jeden neuen Treubruch zu besiegeln pflegt, und welche die Holzscheite sind, mit denen man das Feuer der Liebe unterhält. Die Holzscheite verbrennen, und dann hört die Liebe auf. Wer kann dafür? Unser Feuer brannte lange, und denken Sie nur, Phyllis, welche ich vom Drahtseil der Unschuld heruntergezogen und zu einer Tänzerin auf der Bühne erhoben hatte, Phyllis war trotzdem noch so unschuldig und naiv, daß sie glaubte, unsere Liebe müsse endlich durch die Ehe gekrönt werden. Ich aber war damals schon ein guter Republikaner und fürchtete alle Kronen, am meisten die, mit welcher die Ehe mich schmücken könnte. Ich sagte also, daß Ninon de l'Enclos mir in ihrer Weisheit den Schwur abgenommen, mich niemals zu vermählen, damit nicht meine Enkelin sich in mich verlieben könnte, wie's ihr Enkel doch mit ihr getan!
Aussicht ist vorhanden, sagte La Mettrie, denn sicher hat des Teufels Großmutter auch einen Mann gehabt, und warum sollte sich ihre Enkelin also nicht in Sie verlieben?
Phyllis hielt mich aber nicht für des Teufels Großvater, sondern für den Teufel selber. Sie weinte und schrie, und warf mir alle unsere Liebesschwüre wie zerfetzte Königskronen ins Angesicht. Ich starb indessen so wenig davon, wie sie an ihrem Liebesgram; um mir zu zeigen, wie treu sie mich geliebt, vermählte sie sich mit einem reichen Grafen von Ventadour.
Und Sie, nicht wahr, Sie waren der Brautführer? fragte der König. Sie übergaben dem Grafen die holde Jungfrau und schwuren, daß Sie nie ein keuscheres Weib gesehen?
Nein, Sire, ich befand mich wieder in der Bastille und verließ sie nur als ein Verbannter aus Frankreich. Als man mir endlich erlaubte, heimzukehren nach Paris, ging ich zu meiner Gräfin Ventadour, zu meiner Phyllis früherer Zeit. Ah, jetzt war sie eine vornehme Dame, welche nichts mehr von den süßen Tollheiten ihrer Jugend wußte, nichts mehr von ihrem Vater, dem Seiltänzer, und ihrer Mutter, der Mausefallenhändlerin, nichts mehr von dem jungen Arouet, dem sie einst unter einem Fliedergebüsch geschworen, zu ihm, wie zu Gott, immer nur »Du« zu sagen. Jetzt nannte sie mich »Sie« und war, dank der Geschicklichkeit eines großen Heraldikers, die Tochter eines vornehmen Spaniers, gesegnet wenigstens mit sieben Ahnen. Da sie sehr gute Diners gab und man an ihrer Tafel sehr guten Wein trank, vergaß man ihre etwas dunkle Vergangenheit, und Phyllis war anerkannte Gräfin Ventadour, was beweist, daß eine Gräfin und eine Phyllis doch immer nur aus einem Teig geknetet sind. Frau Gräfin Ventadour war noch immer leidlich schön, nur etwas taub, und daher kam es, daß sie sehr laut sprach, wenn sie nur zu flüstern glaubte. Sie lud mich ein, in ihrem Salon eins meiner neuen Werke vorzulesen, und ich war schwach genug, die Einladung anzunehmen. Ich hatte meinen Brutus vollendet aus England mitgebracht, und brannte vor Begierde, den Beifall der Pariser zu empfangen. Ich begann also im Salon der Gräfin von Ventadour, im Kreise der Vornehmsten des Adels, der Wissenschaft und Künste, meine Tragödie vorzulesen. Man lauschte mir in atemloser Spannung, und an der tiefen Stille, die mich umgab, an den glänzenden Augen meiner Zuhörer, an dem leisen Gemurmel des Beifalls sah ich, daß ich noch immer Voltaire sei, und daß die Henkershände, welche meine Lettres philosophiques ins Feuer geworfen, nicht auch meinen Ruhm und mein Genie hatten verbrennen können. Während ich las, schlich ein Lakai leise auf den Zehen zum Kamin, um dort das erlöschende Feuer ein wenig aufzustoßen. Neben dem Kamin saß seine Herrin, die Gräfin Ventadour. Sie flüsterte mit ihm; ich las ein wenig lauter, um ihr Geflüster unhörbar zu machen. Es war gerade die erhabenste, die größte Szene meiner Tragödie. Mein eigenes Herz bebte, als ich sie las, und hier und dort sah ich Augen sich mit Tränen füllen, welche nie geweint, und Seufzer von Lippen zittern, welche immer nur zu lächeln pflegten. Jetzt kam im Monolog des Brutus, der überlegte, ob er dem Vaterlande die Köpfe seiner Söhne opfern sollte, eine Pause, und just, als ich schwieg, rief die Gräfin Ventadour mit lauter Stimme, während sie zu flüstern glaubte: » Vergeßt nur nicht Mostrich zu den Schweinsköpfen zu geben.« Mémoires de la Marquise de Créqui. IV, 401.
Ein lautes Gelächter unterbrach hier den Erzähler, und selbst Voltaire, hingerissen von der allgemeinen Lustigkeit, mußte einstimmen in ihr Lachen.
In der Tat, das war ein sehr pikanter Mostrich, sagte der König lachend, und ich meine, diese Schweinsköpfe müßten Ihnen wundervoll gemundet haben. Aßen Sie sie auf oder waren Ihre Zähne stumpf vom Mostrich?
Nein, sie waren scharf genug, um zu beißen, und ich biß. Ich hatte in der ersten Wut mein Buch zugeschlagen und schrie: »Mostrich, Madame! Nun, da Sie einen Schweinskopf haben, so braucht Ihnen Brutus nicht die Köpfe seiner Söhne zu liefern!« Und damit wollte ich gehen. Aber die arme Gräfin, die jetzt erst ihr unglückliches Quiproquo erfahren, eilte mir nach und beschwor mich so lange mit Bitten und mit Flehen, zu bleiben und weiter zu lesen, bis ich mich erweichen ließ. Ich blieb also und las, aber nicht den Brutus. Die innere Wut machte mich zum Improvisator, und dicht neben der Gräfin Ventadour sitzend, umgeben von diesem stolzen, heuchlerischen Adel, der Phyllis als Gräfin anerkannte, weil sie ein gutes Haus machte, umgeben von diesen vornehmen Schmarotzerpflanzen, die sich überall anranken, wo sie die Mauer einer guten Küche oder eines gefüllten Weinkellers finden, improvisierte ich ein Gedicht, das meine stolze Gräfin und ihre Satelliten an ihre Phyllis-Zeit erinnerte und die Lacher auf meine Seite brachte. So entstand das Gedicht: » Le Tu et le Vous«, und das ist die Geschichte von meinem Brutus und den Schweinsköpfen mit Mostrich! Mémoires de la Marquise de Créqui. IV, 201.
Und man muß gestehen, daß diese Geschichte gut ist, sagte der König. Sie werden Mühe haben, d'Argens, uns eine ebenso pikante zu erzählen.
Auch wage ich das gar nicht zu versuchen, Sire, sagte der Marquis, sich tief verneigend. Voltaire ist von jeher ein Kind des Glücks gewesen, und ihm ist immer das Außerordentliche begegnet, während ich beinahe in Gefahr war, das recht gewöhnliche, alltägliche Schicksal eines jüngern Sohnes zu haben und ein Geistlicher zu werden!
Ach, die Idee ist drollig, d'Argens, der an nichts glaubt, als an Aberglauben, d'Argens ein Geistlicher! rief der König lachend. Wie entgingen Sie der Gefahr?
Nur durch das Beispiel meines um ein Jahr ältern Bruders, der von einer leidenschaftlichen Frömmigkeit in der Jesuitenschule so fanatisch und bigott geworden war, daß er die Welt und die Menschen verachtete und überall seine haarsträubenden Tiraden gegen die sinnlichen Freuden, wie unschuldig sie immer sein mochten, losdonnerte. Dem heiligen Xaver als Belehrer zu gleichen, und keusch und züchtig zu sein wie der kindische Heilige Alois Gonzaga, das war sein höchstes Ideal, und in seiner unzüchtigen und leicht getrübten Keuschheitswut schlich er sich einst in die Kunstkammer unseres ältesten Bruders, um die schönsten Gemälde Titians zu vernichten, die herrlichsten nackten Statuen des Altertums zu verstümmeln. Dann rühmte er sich frohlockend seiner Tat, die er ein heiliges Tugendopfer nannte und gar nicht begreifen konnte, daß andere sie als einen Vandalismus bezeichneten. Unsere Familie fürchtete alles Ernstes für den Verstand des armen jungen Heiligen, den die Jesuiten mit ihrem gottseligen heuchlerischen Fanatismus so bis aufs äußerste getrieben. Man wandte sich endlich an den Ältesten und Weisesten unserer Familie, an den Bischof von Vannes, und fragte ihn um Rat. Er sann eine Weile nach und sagte dann: »Ich werde den armen Jüngling bald von seiner fanatischen Torheit aufs sicherste kurieren. Ich werde ihn zum Priester weihen.«
Wahrlich, Ihr Oheim der Bischof war ein weiser Mann, sagte der König. Er wollte das Übel durch das Übel vertreiben, und wußte sehr gut, daß niemand weniger Ehrfurcht hat vor der Kirche, als diejenigen, welche sie gebaut haben und sich ihre Priester nennen.
Das war allerdings die Meinung dieses hochwürdigen Herrn, und mit einem geheimnisvollen Lächeln sagte er: »Wenn er oft Beichte hört, wird er schon den Lauf der Welt kennen lernen.« Und er hatte recht. Mein fanatischer Bruder erhielt die Priesterweihe, und nach kurzer Zeit ward er ein sehr toleranter, wohlwollender und nachsichtiger Mann und Beichtvater. Unsere Weiber in der Provenze beichten lebhaft und umständlich, und das fruchtete so viel, daß mein frommer Bruder aufhörte ein frommer Büßer zu sein Nicolai. Heft I, 44..
Gesegnet also sei das Land, wo die Weiber noch umständlich beichten, sagte der König, es wird alsdann nicht von fanatischen Priestern verdüstert werden. Aber Sie sagten uns nicht, Marquis, inwiefern der keusche Fanatismus Ihres Bruders Sie selber von der Tonsur befreite?
Sire, mein Vater fürchtete, ich könnte meine Priesterlaufbahn mit ebensolchem bigotten Wahnsinn beginnen, und mein Bruder möchte keine Weiber übrig lassen, welche mich durch die Beichte heilen könnten. Er schlug mir also vor, statt ein Priester der Kirche ein Priester der Welt zu werden, und statt in der Kirche zu beten, lieber für das Kreuz zu fechten. Sein Vorschlag gefiel mir; ich ging nach Malta und ward dort Malteserritter.
Und Ihre erste Waffentat als begeisterter Kreuzritter war ohne Zweifel die, daß Sie sich hinsetzten und Ihre lettres juives schrieben? fragte der König. Diese anmutigen lettres, in welchen der Kreuzritter das Christentum verspottet und der geoffenbarten Religion seinen Fehdehandschuh hinwirft?
Nein, Sire, ich begann mein Kreuzrittertum damit, daß ich mich in das Land der Ungläubigen begab, um zu sehen und zu erprüfen, ob man wirklich auch glücklich und zufrieden leben könne in einem Lande, wo es keinen Messias und keine Kruzifixe gab. Ich ging also nach der Türkei.
Aber Sie trugen Ihren schützenden Talisman bei sich, bemerkte der Abbé Bastian!, das Kreuz auf Ihrem Mantel!
Ah, eine Bemerkung, welche ganz unseres frommen Abbés würdig ist, sagte der König. Niemand kennt besser die schützende Wirkung eines Kreuzes als der Priester, welcher es erfunden, und der Schneider oder Tischler, welcher es gemacht hat. Sagen Sie also, Marquis, bewährte sich Ihr Talisman? Gingen Sie nicht zu den Ungläubigen über?
Sire, ich wollte mir wenigstens zuerst ihren Tempel betrachten und ihrem Gottesdienst zuschauen, bevor ich mich entschiede, ob ich ein ungläubiger Gläubiger oder ein gläubiger Ungläubiger sein wollte!
Ich glaubte, Sie wären niemals ein Gläubiger, sondern immer nur ein Schuldner gewesen, rief Voltaire mit seinem boshaften Lachen.
Vielleicht kommt das daher, bemerkte d'Argens ruhig, daß ich nicht das Talent eines großen Dichters besaß, und nicht auf Wucherzinsen auszuleihen und keine kluge Handelsspekulationen zu machen verstand. Auch hat mich keine Courtisane zu ihrem Erben eingesetzt und keine Maitresse mir eine Pension verschafft.
Sehen Sie da, rief der König lachend, unser guter Marquis hat schon von Ihnen gelernt, Voltaire, und macht es Ihnen nach. Er versteht auch schon zu kratzen und zu beißen.
Ja wohl, sagte Voltaire mit einer tiefen Verbeugung, es gibt Geschöpfe, welche den Menschen alles nachmachen, selbst ihre bösen Angewohnheiten, vielleicht weil sie sie für Tugenden halten.
Das Antlitz des Marquis erglühte, und heftig auffahrend, war er im Begriff, eine Antwort zu geben, als der König die Hand über den Tisch streckte und sie auf seinen Arm legte. Antworten Sie ihm nicht, sagte er, Sie wissen wohl, der große Dichter verwandelt sich zuweilen in eine boshafte Tigerkatze, die dann die höfliche Sprache der Menschen nicht versteht. Achten Sie also nicht auf ihn und erzählen Sie weiter!
Nachdem der König so gesprochen, zog er seine Hand zurück und berührte dabei, anscheinend aus Versehen, das silberne Salzfaß, das auf der Tafel stand. Es fiel um und schüttete seinen Inhalt über das Tischtuch aus.
Der Marquis stieß einen leisen Schrei aus und erblaßte.
Ach, mein Gott, rief der König mit gut gespieltem Schrecken, welch' ein Unglück ich da angerichtet habe. Schnell, schnell, meine Freunde, laßt uns ein Gegenmittel gebrauchen gegen die Tücke der Dämonen, die, wie unser guter Marquis behauptet, aus einem umgestoßenen Salzfaß hervorschlüpfen. Schnell, schnell! Nehmt jeder eine Fingerspitze Salz und werft es empor in die Lichter des Kronleuchters. Ah, wie das knistert und knackt. Nicht wahr, Marquis, das sind die höllischen Geister im Fegefeuer? Jetzt noch eine Prise Salz für jeden von uns; die werfen wir hinter uns über die linke Schulter, indem wir fröhlich dabei lachen Thiébault. V. 344. . Voltaire, Sie müssen die doppelte Portion verschütten, denn Sie, mein Freund, haben zuviel Salz und machen dadurch oft Ihre schönsten Gerichte ungenießbar.
Ah, Sire, Sie reden nur von dem Salz meiner Scherze, sagte Voltaire, aber niemand gedenkt daran, daß das eigentlich nur das salzige Naß meiner Tränen ist, welche über meine Wangen gelaufen und sich auf meinen Lippen zu beißendem Spott kristallisiert haben. Nur die Unglücklichen und viel Geprüften machen scharfe Witze und besitzen einen schneidenden Humor.
Nicht doch, das ist immer nur eine Folge schlechter Verdauung, unterbrach ihn La Mettrie. Die Maschine unseres Körpers läßt sich von dem Stäubchen Phosphor, Eiweiß und Fett, das die Poeten Geist, ich aber Gehirn nenne, nicht bestimmen, sondern sie wirkt bestimmend auf dasselbe ein. Wenn man daher traurig ist, so kommt das aus dem Unterleib, und um heiter und guter Dinge zu sein und seinen Geist scharf, klar und frisch zu erhalten, hat man also weiter nichts zu tun, als gut zu essen und gut zu verdauen. Molière würde wahrlich nicht so gute Lustspiele geschrieben haben, wenn er, statt der Rebhühner und Trüffeln, die für ihn von König Ludwige Tafel abfielen, sich mit Sauerkohl und dicken Erbsen hätte nähren müssen. Der Mensch ist eine Maschine, weiter nichts!
La Mettrie, ich werde Ihnen morgen nichts als Rebhühner und Trüffeln zu speisen geben, sagte der König lachend, wehe Ihnen aber, wenn Sie mir übermorgen kein Lustspiel à la Molière schreiben. Das wäre in der Tat die beste Art, die Welt Ihr Werk l'homme machine vergessen zu machen. Aber wir vergessen ganz, daß Marquis d'Argens uns noch den Schluß seiner Erzählung schuldig ist. Wir haben ihn als Malteserritter verlassen, und Sie begreifen, daß wir ihn in dieser Klemme nicht länger lassen dürfen. Das hieße ja wahrhaftig, ihn zur Frömmigkeit und Tugend verdammen wollen! Erzählen Sie weiter, lieber Marquis. Sie sehen, wir haben unser Salz geworfen und die Dämonen gebannt. Sie dürfen also ohne Gefahr Ihre Geschichte fortsetzen.
Ja, sagte der Marquis, sie zu erzählen ist allerdings weniger gefahrvoll, als sie zu erleben, obwohl ich gestehen muß, daß auch die Gefahr des Erlebens seine Reize hat. Ich wollte, wie ich die Ehre hatte zu erzählen, gern einem Gottesdienst in der großen Moschee in Konstantinopel beiwohnen, und meinen Bitten, die ich mit einer Handvoll Goldstücke zu unterstützen wußte, gelang es, den guten Türken, welcher die Schlüssel der süperben Sophia in Verwahrsam hatte, zu überzeugen, daß es kein so großes Verbrechen sei, einen ungläubigen Christen dem Gottesdienste der gläubigen Muselmänner beiwohnen zu lassen. Und in der Tat, er riskierte nichts als eine kleine Bastonade, während ich, wenn ich entdeckt ward, dem Henkerstode nur dadurch entgehen konnte, daß ich den Turban nahm und ein Muselman ward.
Und welch einen strenggläubigen Christen die heilige Mutterkirche da an dem Verfasser der lettres juives verloren haben würde, sagte der König lächelnd.
Aber welchen exquisiten Harem die Stadt Konstantinopel gewonnen haben würde, rief Voltaire. Mylord Marschall, ein Glück für Sie, daß Ihre schöne Muselmännin damals noch nicht geboren war, der Marquis würde sie Ihnen ohne Zweifel sonst abgekauft haben.
Wenn Zuleima sich verkaufen lassen wollte, so wäre nichts an ihr zu bezahlen, sagte der Lord mit einem sanften Lächeln.
Sie haben recht, Mylord, rief der Marquis mit einem stechenden Seitenblick auf Voltaire, ja wahrlich, Sie haben recht, nichts ist verächtlicher als die Käuflichkeit und die Freundschaft, die sich bezahlen läßt.
Wie Ihr Küster der heiligen Sophia, sagte Algarotti, der auf Voltaires Lippen schon eine scharfe Antwort blitzen sah. Es glückte Ihnen also wirklich, den guten Muselman zu bestechen, und Sie gelangten zu dem unerhörten Glück, einem muselmännischen Gottesdienst beizuwohnen?
Ich gelangte dazu. In der Nacht vor einem großen Feste führte mich mein Türke in die Moschee und verbarg mich dort hinter einem großen Bilde, das auf einer über dem Hauptportal angebrachten Tribüne aufgestellt war. Dies war ein ziemlich ungefährliches Versteck, denn diese Tribüne ward nicht benutzt, und Jahre mochten vergangen sein, daß man sie nicht geöffnet hatte. Außerdem war sie auf der Abendseite der Moschee belegen, und Sie wissen wohl, daß die Bekenner Mohammeds in ihrem Tempel immer das Antlitz nach Mekka, das heißt nach Konstantinopel, nach der Morgenseite hingewandt haben müssen. Ich war also sicher, daß keiner dieser frommen Ungläubigen zu mir sich umschauen würde.
Ich konnte von hier aus mit aller Bequemlichkeit und Ruhe dem ganzen Gottesdienst beiwohnen, nur machte ich meinem Türken, der neben mir sich versteckt hielt, viel Angst und Sorge, weil ich sehr oft, der Lebhaftigkeit meiner Neugierde nachgebend, hinter meinem Bilde hervortrat, und mich ein wenig über die Brüstung lehnte, um besser sehen zu können. Mein armer Muselman beschwor mich aber dann mit so jammervollen Mienen, zurückzutreten, und deutete mit solcher Angst auf seine Fußsohlen, daß ich schon Mitleid üben und wieder in mein Versteck zurückkehren mußte. Aber endlich, trotz des feierlichen Gottesdienstes und meiner höchst feierlichen Andacht, ward doch das Tier in mir rege und besiegte meine Göttlichkeit. Mich hungerte, und da ich diesen Fall vorhergesehen, hatte ich meine Taschen mit einer guten Flasche Wein, einem halben Schinken und frischem Weißbrot beschwert. Das alles zog ich jetzt hervor, breitete meine Schätze auf der Erde aus und begann zu frühstücken. Der Muselman betrachtete mich mit Entsetzen, und es würde ihn nicht gewundert haben, wenn das Dach der heiligen Moschee über dem Christenhunde zusammengefallen wäre, der es wagte, den Tempel zu entweihen, indem er Wein trank und Schinken aß, welches beides der Prophet verboten hat. Aber das Dach stürzte nicht ein, selbst dann nicht, als mein Muselman, dem ich gedroht, wenn er's nicht täte, mich öffentlich zu zeigen, mit mir von meinem Wein trinken und von meinem Schinken essen mußte. Er tat es anfangs mit wütenden Blicken und grimmigem Stirnrunzeln, immer emporblickend, als fürchte er, das Schwert des Propheten werde herunterfallen und sein Haupt vom Rumpfe trennen. Aber bald familiarisierte er sich mit seinem Verbrechen und vergaß die heiligen Zeremonien, welche da unten in der Kirche mit so vieler Pracht und so vielem Glanze gefeiert wurden. Ja, selbst als der Gottesdienst beendet war und alle Devoten schon die Moschee verlassen hatten, so daß wir es ungefährdet auch tun konnten, bat mich mein Muselman, noch ein wenig zu bleiben, und wir verzehrten miteinander als sehr gute Freunde den Rest meines Schinkens und tranken die letzte Neige meines Weins auf das Wohl des Propheten, indem wir der bestandenen Gefahren uns lachend freuten Thiébault. V, 318 flgd.. Als wir uns endlich entfernten, ward mein guter Muselman nachdenklich und traurig, und endlich gestand er mir, daß er das glühendste Verlangen fühle, ein Christ zu werden. Der Schinken hatte ihm gar so wohl gemundet, und der Wein war so gut gewesen, daß er ganz von Begeisterung für eine Religion durchdrungen war, welche nicht bloß für die Seele, sondern auch für den Leib so gute Speise darbot. Ich war ein zu guter Christ, um nicht seinem Verlangen hilfreich beizustehen. Ich nahm ihn also in meine Dienste, und als wir die Türkei verlassen hatten und wieder auf christlichem Boden uns befanden, genügte mein Muselman dem frommen Gelüste seiner Seele und ward ein Sohn der alleinseligmachenden Kirche, um ohne Gewissensbisse seinen Wein zu trinken und seinen Schinken essen zu können. So war also mein Besuch der heiligen Moschee doch von segensreichen Folgen für das Seelenheil eines Menschen gewesen, denn dank meinem Schinken und meinem Wein hatte ich eine Seele aus dem Fegefeuer des Unglaubens befreit. Das ist indessen das einzige Mal gewesen, daß es mir gelungen ist, Proselyten zu machen.
Aber der Gewinn einer solchen Seele genügt, um Ihre eigene Seele dereinst aus dem ewigen Fegefeuer zu befreien, sagte der König. Wenn Sie einst sterben, Marquis, so dürfen Sie sagen: Ich habe nicht umsonst gelebt, denn ich habe dem Himmel eine Seele gewonnen.
Vorausgesetzt, rief Voltaire, daß der Schinken, mit welchem der Marquis den Muselman bekehrte, nicht das Hinterteil eines dieser holden Tiere zierte an dem Tage, an welchem der Teufel, wie in der Heiligen Schrift steht, unter die Säue fuhr. Dann hätte sich der arme neugebackene Christ an diesem Schinken erst recht das ewige Verderben gegessen.
Hoffen wir, daß dem nicht so gewesen, sagte der König. Jetzt, Mylord Marschall, ist an Ihnen die Reihe, uns eine pikante Anekdote, oder auch, wenn Sie wollen, eine Heldentat aus Ihrem schönen, an Tugend, Großmut, Wahrheit und Treue so reichen Leben zu erzählen. Ah, Messieurs, jetzt lassen Sie uns andächtig sein, die Augen niederschlagen und unser Herz erheben. Ein tugendhafter Mann wird sprechen, und wahrlich, die Tugend ist eine heilige Göttin, welche von wenigen geliebt wird, und der man in unserer jammervollen Welt sehr wenig Altäre errichtet, weil sie so wenig Priester hat. Mylord Marschall indessen ist einer ihrer ersten und ihrer edelsten Priester. Sie können das schon glauben, wenn ich es Ihnen sage, ich, welcher so oft schon getäuscht worden, daß ich oft fast versucht war, gar nicht mehr an die Existenz der Tugend zu glauben. Mein edler Keith hat mich gezwungen, doch wieder an sie zu glauben, und dies Gefühl tröstet mich, und ich danke es ihm Des Königs eigene Worte. Bourdais, Portrait de Frédéric le Grand p. 255..
Und mit einem Blick voll unaussprechlicher Liebe reichte der König dem neben ihm sitzenden Freunde die Hand dar, welche dieser mit einem sanften Lächeln an seinen Busen drückte.
Die Gesichter der übrigen Herren waren ernst, fast düster geworden; für sie alle waren die Worte des Königs ein Dolchstoß gewesen, und jeder von ihnen litt an den Schmerzen der empfangenen Wunde. Aber der König achtete nicht darauf, er weidete seine Blicke an dem Anschauen des edlen, stolzen und schönen Angesichts seines Freundes, und dachte gar nicht daran, daß, indem er dem einen seine Zärtlichkeit und Achtung bezeugte, das für die übrigen wie eine Nichtachtung und ein Vorwurf erschien.
Nun, Freund, wollen Sie uns etwas erzählen? fragte er, oder sind unsere Ohren zu sündhaft und unkeusch, um etwas von den heiligen Mysterien Ihres Lebens vernehmen zu können?
Ah, Sire, es gibt gar keine Mysterien in meinem Leben, sagte Mylord Marschall mit leisem Kopfschütteln. Mein Leben liegt vor der ganzen Welt und vor den Augen meines Königs wie ein offenes Buch da, in dem jedermann lesen kann.
Und aus dem jedermann sich Belehrung und Erbauung schöpfen kann, sagte der König. Es ist ein Buch der Noblesse, aus dem jeder Edelmann lernen kann, wie er seinem König treu sein soll in Not und Tod. Ah, Mylord, es gibt wenig Menschen, die es sich gleich Ihnen zum Ruhm anrechnen dürfen, daß sie zum Schafott verurteilt wurden! Der Prätendent von Schottland muß in Wahrheit ein liebenswerter Fürst sein, da Sie für ihn Ihr Leben auf das Spiel setzten.
Er war mein rechtmäßiger König und Herr, sagte der Lord, und darum war ich ihm Treue schuldig. Daß man mich dafür zum Tode verurteilte und dann begnadigte, indem man mich aus England verbannte, darf ich mir jetzt nicht mehr als ein Unglück anrechnen, da ich dadurch des Glückes teilhaftig ward, in der Nähe Euerer Majestät leben zu dürfen. Aber auch meine Treue für den Prätendenten dürfen Euere Majestät nicht zu hoch stellen, denn sie floß nicht aus einer ganz reinen Quelle, und wenn ich mutig und furchtlos damals mein Leben einsetzte, so lag das auch mit daran, daß das Leben wenig Wert für mich hatte und daß ich in der Verzweiflung meines Herzens den Tod meinen willkommensten Freund genannt hätte. Wäre ich glücklicher gewesen, würde ich vielleicht weniger tapfer gewesen sein.
Und wollen Sie uns erzählen, weshalb Sie unglücklich waren? fragte der König.
Sire, es ist eine kleine, ganz einfache Geschichte, wie sie häufig im Leben vorkommt, obwohl jeder, dem sie begegnet, wohl meint, daß kein anderer das gelitten hat, was er leidet. Sehr viele Herzen sind so mit einem Grabstein bedeckt, unter denen ihr Glück eingesargt ist, und die Menschen wissen es nicht und gehen lächelnd daran vorüber. Ich habe mein Herz auch so still verblutet und mein Glück eingesargt, und doch stand es leuchtend und hell wie eine goldene Morgensonne über mir und lächelte mich an mit tausend köstlichen Verheißungen, und grüßte mich mit wunderbarem Zauberglanz. Wenn ich dieses junge, schöne, so unschuldsvolle, so keusche und züchtige Mädchen ansah, das vor mir aufgegangen war, wie eine holde Purpurrose, an der die noch unberührten Tautropfen des Himmels hingen, so wollte es mir scheinen, als sende mir Gott in ihr seine schönste Offenbarung, und ich betete an, indem ich liebte. Sie war die Tochter einer der ersten französischen Adelsfamilien, und als ich, ein ganz junger schüchterner Mensch nach Paris kam, hatte man mich an ihre bei Hofe sehr einflußreiche und mächtige Familie empfohlen. So sahen uns täglich, anfangs mit einer seltsamen Überraschung, dann mit einer tiefen Bewegung, dann hörten wir einander sprechen, ohne zu wagen uns anzureden, und dann endlich wagte ich nicht mehr überhaupt in ihrer Gegenwart zu sprechen, weil meine Stimme so sehr zitterte. – Eines Tages, als ich in einer großen Gesellschaft neben ihr saß, erlaubte ich mir, sie leise zu fragen: »Wenn ich es wagte, Sie zu lieben, würden Sie es mir verzeihen?« Sie blickte nicht auf, aber sie sagte ganz leise: »Ich würde glücklich sein.« – Dann sanken wir beide wieder zurück in unser Schweigen der Etikette, nur zuweilen uns mit einem von Glückseligkeit strahlenden Antlitz betrachtend. Das dauerte sechs Wochen, sechs Wochen eines schweigenden, unaussprechlichen Glückes. Dann endlich überwand ich meine Schüchternheit und machte das süße Geheimnis meiner Liebe zu einer öffentlichen Bitte, indem ich bei dem Vater meiner Viktoire um ihre Hand anhielt. Er sagte sie mir zu und führte mich selbst zu meiner Geliebten, die sich errötend an mein freudetrunkenes Herz lehnte. In diesem Moment trat ihre Großmutter herein, mit strengem Gesicht und zornigen Blicken fragte sie mich, ob es gegründet, daß ich Protestant sei? Ich erwachte wie aus einem glücklichen Traum. In dem Entzücken, welches mich monatelang begeisterte und durchglühte, hatte ich gar nicht an alles das gedacht. Die Liebe war meine Religion gewesen, und ich hatte keiner andern bedurft, um Gott anzubeten. Aber diese Religion genügte nicht, sie mußte sich auch in eine Kirche fügen. Ich sagte also, daß das Gerücht begründet, daß ich ein Protestant sei. Viktoire stieß einen lauten Jammerschrei aus und sank ihrem Vater ohnmächtig in die Arme. – Zwei Tage darauf verließ ich Frankreich. Viktoire wollte mich nicht wiedersehen und verweigerte mir ihre Hand. Ich kehrte nach England zurück, gebrochenen Herzens, verzweifelnd, wahnsinnig fast vor Kummer. In diesem Delirium meiner Schmerzen schloß ich mich dem Prätendenten an und machte für ihn die abenteuerlichsten und gefahrvollsten Unternehmungen, die endlich damit endeten, daß ich verhaftet und verurteilt ward. – Das, Majestät, ist die einzige Liebe meines Lebens gewesen, und Sie sehen wohl, es läßt sich wenig von ihr erzählen.
Der König blickte still vor sich hin, und da er schwieg, wagte niemand, die Stille zu unterbrechen. Selbst Voltaire unterdrückte den boshaften Scherz, der schon auf seinen Lippen schwebte, und begnügte sich zu lächeln.
Wie hieß doch der Spruch, den Ihnen Ihr Vater mitgab, als er Sie aus seinen Armen in die Welt entließ? fragte der König nach einer langen Pause. Mich dünkt, Sie haben mir einst davon erzählt.
Sire, er hieß:
Als du bei der Geburt emporschlugst deine Blicke,
Da lächelt' jeder dir, und du, mein Sohn, du weintest.
Ach, lebe nun so gut, daß, wenn dein Aug' einst bricht.
Dann jeder weint und klagt, und man dich lächeln sieht!
Quand vos yeux, en naissant, s'ouvraient à la lumière,
Chacun vous souriait, mon fils, et vous pleuriez.
Vivez si bien, qu'un jour, à votre dernière heure,
Chacun verse des pleurs, et qu'on vous voie sourire.
Sie haben dieses Wort Ihres Vaters erfüllt, sagte der König, Sie haben so gelebt, daß Sie einst lächeln werden, wenn wir alle weinen, und daß niemand, der Sie einmal geliebt hat, Sie vergessen kann. Auch Ihre Viktoire wird Sie nicht vergessen haben. Sahen Sie sie niemals wieder?
Doch, Sire, ich habe sie einmal wiedergesehen, als ich mich hierher begab und mein Vaterland auf ewig verloren hatte. Ah, Sire, es war ein schönes und herrliches Wiedersehen nach zwanzigjähriger Trennung. Der Schmerz der Liebe war verharrscht, aber die Liebe war geblieben. Das gestanden wir uns beide. Unsere Herzen waren so von Liebe erfüllt gewesen, daß ein anfangs schmerzliches, dann aber ein unendlich süßes ewiges Erinnern an unsere Liebe darin zurückgeblieben war, und wir niemals aufgehört hatten, aneinander zu denken. Es scheint, daß, um ewig und treu zu lieben, man sich nur wahr und redlich lieben und dann sich trennen muß. Die Gewohnheit und das tägliche Begegnen streift alsdann nicht den Ätherstaub des Himmels von den Flügeln dieser Liebe ab, welche dem Himmel entstammt und zum Himmel zurückgekehrt ist, um dort als ein nie verlöschender Stern über unserm Haupte zu glänzen. – Als ich Viktoire wiedersah, war sie längst vermählt, und für die Welt hatte sie vielleicht aufgehört, schön zu sein. Für mich war sie's immer noch, und als sie mich ansah, schien es mir, als ob die Schleier endlich von meinem Leben fortgenommen würden und als ob die Sonne wieder schien. Doch, Sire, das alles wird Sie wenig interessieren. Wie sehr indessen ich Viktoire noch damals liebte, das werden Sie daraus ermessen können, daß ich für sie das einzige kleine Gedicht gemacht, welches ich meinem unpoetischen Gehirn jemals abringen konnte.
Ah, lassen Sie es uns hören, Mylord, sagte der König.
Wenn Euere Majestät es befiehlt und Herr von Voltaire es verzeihen will, sagte Mylord Marschall mit einer sanften Verneigung.
Ah, ich verzeihen, Mylord? rief Voltaire. Ich lebe, seit ich Sie höre, wie in einem Wunderlande, dessen Existenz ich nie geahnt und zu dessen blumenduftender Schönheit ich kaum wage, meine unheiligen Augen aufzuschlagen. Die Märchen meiner Jugendträume, scheint es mir, werden wahr, und ich vernehme eine Sprache, von der wir armen Söhne Frankreichs, die unter der Regentschaft des Herzogs von Orleans erzogen worden, keine Ahnung hatten. Ich beschwöre Sie also, lassen Sie uns Ihr Gedicht hören!
Mylord Marschall nickte ihm lächelnd zu, und indem er sich dann rückwärts lehnte in seinen Sessel und die tiefen blauen Augen zur Decke emporhob, rezitierte er mit seiner klaren, sonoren Stimme folgende Verse:
Un trait lancé par caprice
M`atteignit dans mon printemps.
J´en porta la cicatrice
Encore sous mes cheveux blancs.
Craignez les maux, qua'amour cause,
Et pleignez un insensé
Qui n´a point cueilli la rose
Et que l'épine a blessé.
Mémoires de la Marquise de Créqui I, 122.
Jetzt, fuhr der Lord rasch fort, um jedes Lob und jede Bemerkung über sein Gedicht abzuwenden, jetzt, Majestät, bleibt mir nur noch ein Geständnis übrig, und wenn Sie über meine Verse nicht gelacht haben, so wird gewiß mein Geständnis Sie lachen machen, Messieurs. Ich bin, aus Liebe zu meiner verlorenen Jugendgeliebten, katholisch geworden. Ich dachte mir, daß die Religion, der Viktoire ihre Liebe opferte, die wahre Religion, in der alle Liebe wurzelt, sein müßte. Ich wollte im Geist der Ihre sein, im Leben, sowie im Tode. Jetzt, meine Herren, lachen Sie, denn ich bin im Geist und in Wahrheit ein Katholik!
Sublime! flüsterte Voltaire.
Niemand von uns wird lachen, sagte der König fast streng. Wohl dem, der gläubig ist und sein Herz auf das Kreuz lehnen und sich davon gestützt und getragen fühlen kann. Er wird dann nicht schwanken und in der Irre umhertaumeln, wie es uns armen, kurzsichtigen Sterblichen so oft geschieht. Werden Sie uns nun nicht den Namen Ihrer Geliebten nennen, oder ist das ein Geheimnis, das wir nicht wissen dürfen?
Sire, unsere Liebe war so rein, daß sie ihr Auge vor der ganzen Welt aufschlagen darf. Meine Geliebte hieß Victoire de Froulay, und sie ist jetzt die Marquise von Créqui.
Ah, die Marquise! rief Voltaire lebhaft. Die geistreichste und berühmteste Frau in Paris.
Sie lebt also noch? sagte der König gedankenvoll. Möchten Sie sie wiedersehen, Mylord?
Auf eine Stunde wohl, Sire, um ihr zu sagen, daß ich katholisch bin und daß wir uns im Himmel wiederfinden werden.
Ich werde Sie als meinen außerordentlichen Gesandten nach Paris schicken, Mylord, und Sie sollen der Marquise meine ehrerbietigsten Grüße bringen Mylord Marschall ging dann zu Anfang des Jahres 1751 als außerordentlicher Gesandter des Königs nach Paris..
Euere Majestät machen dadurch ein herrliches Epigramm auf König Georg von England, sagte Voltaire lachend. Denn zwei seiner edlen Rebellen werden die Freundschaft von Frankreich und Preußen vertreten. Lord Tirconnel, der Irländer, ist französischer Gesandter in Berlin, und Lord Marschall Keith, der Schotte, wird preußischer Gesandter in Paris. Ah, Mylord, wie wird die edle Marquise erfreut sein, wenn ihr treuer Ritter ihr sein schönstes Eigentum, seine kleine Muhammedanerin Zuleima vorstellt. Wie wird Zuleima glücklich sein, wenn sie ihr das Weib zeigen, welches Sie geliebt. Sie wird dann sehen, daß auch Mylord Marschall einst ein Herz gehabt und eine Frau geliebt hat.
Ich werde der Marquise meine kleine Zuleima bringen, sagte der Marschall, und wenn ich ihr erzähle, daß sie ein Geschenk meines Bruders ist, der sie bei der Erstürmung von Oschakow, wo er als russischer Feldmarschall kommandierte, aus den Flammen der brennenden Stadt rettete, so wird sie es begreiflich finden, daß ich der armen Waise eine Heimat und einen Vater gegeben habe. Wenn Euere Majestät indes erlauben, werde ich ihr auch noch vorher einen Gatten geben. Mein Kammerdiener, der Tartar Iwan, liebt Zuleima, und ich werde sie ihm zur Frau geben, wenn Euere Majestät nichts dawider haben.
Geben Sie sie ihm, sagte der König lächelnd. Nur wird es schwer sein, hier in Berlin diese Ehe einzusegnen, denn Ihr Tartar hat, wie ich glaube, die Ehre ein Heide zu sein?
Er ist ein Anhänger der persischen Religion, Sire.
Also ein Feueranbeter, sagte der König. Da schlage ich vor, daß Voltaire als Priester diese Ehe einsegnet, denn wo man das Feuer anbetet, da darf Voltaire, der Mann des Feuers und der Glut, wohl Priester sein!
Ah, Sire, ich glaube, daß wir alle Perser sind, rief Voltaire lächelnd. Wir beten alle das Licht an und verabscheuen die Finsternis, und Sie, Majestät, Sie sind für uns Gott Ormuzd, dem alles Licht entströmt, und jeder Priester ist für uns ein Ahriman, der Gott der Finsternis. Begnadigen Sie mich also, Majestät, und lassen Sie mich auch selbst im Scherz nicht die Rolle eines Priesters spielen. Übrigens, wozu bedarf es für diesen glückseligen Heidensohn des Priesters? Ist nicht die Sonne, Gott Ormuzd, selber da? Stellen wir also, mit Euerer Majestät Erlaubnis, die beiden Liebenden auf die oberste Terrasse von Sanssouci, wo sie vom hellen Strahl der Mittagssonne wie in heiliges Feuer getaucht sein werden. Dazu können la divine Marianne Cochois und Denys einige mystische Tänze ausführen, und so ist die Trauung nach persischem Ritus erfolgt.
Und es bleibt nur noch übrig, daß Euere Majestät uns dann ein solennes Hochzeitsessen geben, rief La Mettrie, ein Hochzeitsessen, bei dem es an den seltensten und auserlesensten Speisen nicht fehlen darf, zur Ehre dieser seltenen Hochzeit!
Ah, seht nur, wie ihm die Augen glänzen vor Wonne, rief der König lachend, La Mettrie wäre bereit, die ganze Welt zu verheiraten, vorausgesetzt, daß sein eigenes Leben dann in einem fortgesetzten Hochzeitsschmaus bestände. Aber hören Sie, bevor Sie wieder essen, ist jetzt an Ihnen die Reihe zu erzählen. Besinnen Sie sich also schnell und tischen Sie uns eine pikante Anekdote aus Ihrem Leben auf.