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VII. Frau von Cocceji

Der Marquis d'Argens hatte ganz recht gehabt. Barbarina war mit ihrer Schwester aus England nach Berlin zurückgekehrt und bewohnte wieder ihr schönes und glänzendes Hotel in der Behrenstraße. Aber nicht mehr wie früher war ihr Haus umlagert von glänzenden Equipagen und Reitern, nicht mehr wie sonst eilte die Elite der vornehmen Männerwelt zu ihr hin, um sie zu bewundern und anzubeten.

Barbarinas Haus war verödet und einsam, und Barbarina selbst war eine andere geworden, sie war nicht mehr die Tänzerin, die flatternde Sylphide, sie war eine ernste stolze Königin, imponierend in ihrer fast strengen, bleichen Schönheit, rührend durch diesen weichen, wehmütigen Zug, der ihre Lippen umspielte und so sehr kontrastierte zu ihren stolzen, flammenden Blicken.

Barbarina befand sich in dem Salon, in welchem wir sie früher gesehen, umgeben von ihren fürstlichen und gräflichen Verehrern, strahlend in Glück und Anmut. Heute war dieser Salon leer, und niemand war bei Barbarina, als ihre treue Schwester Marietta.

Barbarina lag lang hingestreckt, die Arme über der Brust gekreuzt, auf dem Diwan. Sie hatte das Haupt zurückgelehnt auf das weiße golddurchwirkte Kissen, auf welchem ihre schwarzen Locken, Schlangen gleich, umherringelten; mit starren Blicken schaute sie empor zu der Decke, ganz verloren in ernstes, schwermütiges Sinnen.

An dem kleinen, ganz mit Papieren bedeckten Tischchen neben ihr saß ihre Schwester Marietta, eifrig damit beschäftigt, die Briefe zu erbrechen, welche auf dem Tisch lagen, und deren Inhalt ihrer Schwester mitzuteilen.

Als sie jetzt einen neuen Brief erbrach, erheiterten sich ihre Züge, und ein glückliches Lächeln strahlte von ihrem Angesicht.

Ein Brief aus Milano von dem Impresario Vinatelli, sagte sie.

Barbarina blieb unbeweglich und starrte unverwandt zu der Decke empor.

Vinatelli bietet dir ein glänzendes Engagement, Schwester! Er schreibt, daß ganz Italien dich mit Ungeduld zurückersehne, daß alle Städte deine Anwesenheit begehren. Er wolle aber der erste sein, der dich wieder deinen Landsleuten zuführt.

Hast du ihm geschrieben, daß ich ein Engagement suche? fragte Barbarina mit ihrer sonoren klangvollen Stimme.

Nein, Schwester, sagte Marietta, leicht errötend. Ich schrieb ihm, als einem alten vielbewährten Freunde, nur von diesem ruhelosen, unerquicklichen Nomadenleben, das wir führen, und daß du durchaus in London nicht auf der Bühne erscheinen wolltest.

Und daraus folgert er, daß ich in Mailand wieder auftreten möchte? Schreibe ihm, daß ich ihm danke für seine Anerbietungen, daß ich aber weder in Mailand, noch in irgendeiner andern Stadt Italiens wieder auftreten werde.

Wir werden also gar nicht wieder zurückkehren in unser schönes Vaterland? fragte Marietta weinerlich.

Sagte ich das, Schwester? Ich werde nur nicht dort auftreten, das war es, was ich sagte.

Aber Schwester, er bittet so sehr, und außerdem bietet er dir eine so enorme Gage.

Ich bin reich genug, Marietta.

Man kann niemals reich genug werden, Schwester! Reichtum ist Macht, und je mehr Millionen man auszugeben hat, desto mehr wird man von den Menschen geliebt werden.

Was kümmert mich die Liebe der Menschen, ich verachte sie alle, alle, sagte Barbarina ungestüm.

Du verachtest sie alle? fragte Marietta mit einem schlauen Lächeln. Alle? Auch Cocceji?

Barbarina richtete sich hastig aus ihrer ruhenden Stellung empor, und sich auf den Ellenbogen lehnend, blickte sie ihre Schwester mit großen erstaunten Augen an.

Du glaubst also, daß ich Cocceji liebe? fragte sie.

Mein Gott, du hast es mir ja selber gesagt, rief Marietta.

Ah, ich habe es ihr selber gesagt, murmelte Barbarina verächtlich, indem sie wieder in ihre vorige, ruhende Stellung zurücksank.

Ja, Schwester, entsinne dich doch, fuhr Marietta eifrig fort. Denke doch, wie traurig du warst, als wir vor einem Jahre Berlin verließen, wie du weintest und klagtest, und immer rückwärts schauend aus dem Wagen leise seufztest: »Mein Glück, meine Liebe bleibt in Berlin zurück«. Da fragte ich dich, wie sich dein Glück und deine Liebe nenne, und du sahst mich erstaunt an und fragtest: »Weißt du's nicht? Ich liebe Cocceji«. Aber wirklich, Schwester, ich glaubte es dir nicht. Ich dachte, du verließest nur Berlin, weil die Mutter des Herrn von Cocceji dich so sehr darum gebeten hatte und weil du großmütig genug bist, immer nur das Glück anderer, nicht dein eigenes zu wollen. Weil du so bist, gingst du ja auch nur nach London, wo uns Lord Stuart Macintosh erwartete.

Armer Lord, sagte Barbarina gedankenvoll. Ich habe mich schwer an ihm versündigt. Er hat mich treu geliebt, treu auf mich gewartet. Er war so glücklich, als ich kam, um endlich mein Wort zu lösen und seine Gemahlin zu werden. Gott weiß, daß es mir ernst damit war und daß ich mir geschworen, ihm ein treues Weib zu sein. Aber mein Wille war schwächer als mein Herz. Ich fühlte meine Ohnmacht, und am Tage meiner Vermählung entfloh ich. Armer Lord Stuart.

Und an diesem Tage, als du mir, in Tränen aufgelöst, befahlst, schnell unsere Sachen zu packen und heimlich mit dir zu fliehen, an diesem Tage sagtest du: »Ich kann nicht, kann nicht einem Manne mich vermählen, den ich nicht liebe. Diese Luft hier erstickt mich! Ich muß nach Berlin zurück. Ich muß nach Berlin zurück, wo er weilt, den ich liebe, den ich ewig lieben werde!« Da fragte ich dich wieder, wer es sei, den du liebtest? Und wieder antwortetest du mir: Cocceji! – Und nun wunderst du dich heute, daß ich an diese Liebe glaube? Es ist also möglich, daß man bezweifeln kann, was du sagst? Es ist möglich, daß Barbarina ihrer Schwester, ihrer treuesten und ergebensten Freundin, etwas sagt, was vielleicht nicht wahr ist? Daß Barbarina vor ihrer Marietta ihr Herz unter Schleiern verhüllt, und sie nicht mehr darin lesen soll?

Wenn ich das täte, sagte Barbarina müde, so geschähe es gewiß nur, weil ich selbst scheue zu lesen, was in meinem Herzen geschrieben steht. Sei also mitleidig, Sorella, hebe den Schleier nicht auf, welcher mein Herz verhüllt. Laß es ruhig und still seine Wunden schließen und genesen.

Wird es genesen, Schwester, wenn wir hier bleiben? fragte Marietta schüchtern und mit unterdrücktem Weinen. Oh, laß uns fliehen! Folge dem Ruf Vinatellis, es ist der Ruf Gottes. Das Schicksal selber zeigt dir den Weg, den du gehen sollst. Komm also, Barbarina, komm! Laß uns heimkehren in unser Vaterland, heimkehren nach unserer schönen Roma. Bleibe nicht länger in diesem kalten Norden, bei diesen kalten Herzen. Laß uns heimkehren nach Italien.

Ich kann nicht, kann nicht! rief Barbarina mit einem schmerzvollen Aufschrei. Ich habe kein Vaterland mehr und keine Heimat, ich bin keine Italienerin mehr, keine Römerin, ich bin nur ein heimatloses, armes, verdammtes Geschöpf, die Ahasvera meines eigenen Herzens, welches nicht einmal sterben und sich verbluten kann, welches verdammt ist zu leben und seiner Qualen sich bewußt zu sein.

Halt ein! Halt ein! rief Marietta, sich in Tränen zerfließend über ihre Schwester hinneigend. Sprich nicht mehr, Schwester! Du hast recht, wir wollen den Schleier nicht lüften, welcher dein Herz bedeckt. Es wird genesen!

Es wird genesen, wiederholte Barbarina matt, und indem sie ihre Schwester fest an ihr Herz drückte, weinte sie bitterlich.

Das Eintreten eines Dieners machte sie beide emporschrecken. Barbarina wandte sich ab, ihr weinendes Antlitz zu verbergen. Der Diener meldete, daß draußen eine Dame stehe, welche die Signora durchaus zu sprechen begehre.

Sage ihr, daß meine Schwester unwohl sei, daß sie niemand empfangen könne, befahl Marietta.

Aber der Diener kehrte nach kurzem Verweilen zurück mit einer Karte in der Hand, die er Marietten überreichte.

Die Dame behauptet, daß die Signora sie annehmen würde, wenn sie ihren Namen gelesen, sagte er.

Die Großkanzlerin von Cocceji, las Marietta.

Barbarina erhob sich hastig von dem Diwan. Du willst sie annehmen? fragte Marietta.

Ich will sie annehmen, sagte Barbarina, indem sie dem Diener einen Wink gab, die Dame hereinzuführen.

Barbarina war jetzt wieder wie verwandelt. Die Trauer und Indolenz war von ihr abgefallen, ihr Auge hatte wieder Feuer, ihre Wangen wieder Rosenfrische, und mit einem anmutvollen Lächeln ging sie der stolzen hohen Frauengestalt entgegen, welche eben in der Tür erschien.

Ah, gnädige Frau, wie gütig Sie sind, sagte Barbarina mit einem leichten Anflug von Spott. Kaum bin ich in Berlin angekommen, so erfreuen Sie mich wieder mit Ihrem Besuch und gönnen mir die Auszeichnung, eine der vornehmsten und tugendhaftesten Frauen Berlins in meinem Hause zu empfangen.

Die Großkanzlerin warf einen ihrer verächtlichsten, stechendsten Blicke auf dieses schöne junge Weib, das mit so lächelnder Unbefangenheit es wagte, ihr ins Antlitz zu schauen.

Ich bin indessen nicht gekommen, um Ihnen einen Besuch zu machen, sondern um mit Ihnen zu reden.

Ich glaube, daß das dasselbe ist. Man macht immer nur denjenigen Besuche, mit denen man zu reden wünscht, rief Barbarina.

Besonders, wenn diejenigen, mit denen man zu reden hat, sich einer Unterredung zu entziehen trachten, sagte die Großkanzlerin mit schneidendem Ton. Ich habe zweimal zu Ihnen geschickt und Sie auffordern lassen, zu mir zu kommen, Sie haben es abgelehnt.

Weil ich gewohnt bin, daß diejenigen, welche mich zu sehen wünschen, zu mir kommen, sagte Barbarina ruhig. Überdies, Madame, verstehe ich das Deutsche zu schlecht, um ermessen zu können, inwiefern es den Formen der Höflichkeit genügt, wenn Sie sagen, »daß Sie mich haben auffordern lassen, zu Ihnen zu kommen«. In meiner Sprache hat man dafür eine feinere Wendung, und wenn man da jemand einladet, so bittet man um die Ehre seines Besuches.

Und indem Barbarina das sagte, verneigte sie sich mit lächelnder Anmut vor dieser stolzen Frau, welche sie mit so geringschätzenden und zornigen Blicken betrachtete.

Es ist heute das zweite Mal, sagte sie, daß ich gezwungen bin, eine Unterredung mit Ihnen zu suchen.

Das erste Mal hatten Sie eine Bitte an mich zu richten, und ich war so glücklich, Ihnen diese Bitte erfüllen zu können. Möchte das heute wieder der Fall sein, denn ohne Zweifel kommen Sie wieder als Bittstellerin zu mir, sagte Barbarina mit dem einschmeichelnden Wesen einer Katze, welche kratzt, indem sie zu streicheln scheint.

Die stolze Großkanzlerin fühlte sich in der Tat verwundet, und ihre Stirn legte sich in tiefe Falten, aber sie hielt ihren Zorn zurück, denn Barbarina hatte recht, sie kam wirklich als Bittstellerin.

Als ich Sie vor einem Jahre sah, sagte sie, bat ich Sie, meinen Sohn zu heilen von dieser Liebe, welche ihn wie das Fieber eines Wahnsinnigen befallen hatte, welche ihn seiner Pflichten, seiner Stellung, seiner Eltern vergessen ließ, um ihn zu heilen, indem Sie Berlin verließen und ihm den Anblick Ihrer verführerischen Schönheit entzögen.

Und ich erklärte mich bereit dazu, unterbrach sie Barbarina. Ja, ich erfüllte Ihre Bitte und verließ Berlin, nicht aber, um Ihnen einen Dienst zu erweisen, sondern weil ich Ihren Sohn nicht liebte, und weil nichts lästiger und langweiliger ist, als einer Liebe zuhören zu müssen, die man nicht teilt. Aber sehen Sie, gnädigste Frau Großkanzlerin, das ist ein Unglück, welches mich überallhin verfolgt. Ich verließ Berlin, um einer langweiligen Liebe zu entgehen und, und floh nach London, um da eine ebenso langweilige Liebe wiederzufinden. Ich bin also wieder von London entflohen, um der Gefahr zu entgehen, die Gemahlin des Lord Stuart Macintosh zu werden.

Und warum sind Sie wieder nach Berlin zurückgekehrt? fragte die Großkanzlerin in herrischem Ton.

Barbarina blickte sie befremdet an. Madame, sagte sie, darüber bin ich niemandem Rechenschaft schuldig.

Darüber sind Sie mir Rechenschaft schuldig, rief die Großkanzlerin, durch Barbarinas Stolz bis aufs äußerste gereizt. Darüber sind Sie mir Rechenschaft schuldig! Mir, der Mutter des Herrn von Cocceji, den Sie mit Ihren Zauberkünsten verführt und zu einem Wahnsinn gereizt haben, in welchem er seinen Eltern und selbst dem Zorn seines Königs trotzt, um dieser schmachvollen Liebe nachzuhängen, welche ihn und unsere ganze Familie mit Schande bedeckt.

Barbarina stieß einen Schrei der Wut aus und stürzte mit einer wilden Bewegung vorwärts.

Madame, rief sie, der Großkanzlerin Arme mit ihren beiden Händen packend und ihr ins Antlitz starrend, Madame, Sie haben diese Liebe eine schmachvolle genannt. Sie haben gesagt, daß eine Verbindung mit mir Ihre Familie mit Schande bedeckt. Nehmen Sie diese Worte zurück, ich bitte Sie.

Ich nehme nichts zurück, denn ich habe die Wahrheit gesagt, sagte die Großkanzlerin, sich von Barbarinas Händen freimachend.

Nehmen Sie sie zurück, Madame, zu Ihrem eigener Besten, rief Barbarina drohend.

Ich kann nicht, und will nicht, sagte die Großkanzlerin gebieterisch. Und wenn Ihr Hochmut und Stolz Sie nicht ganz und gar verblendet haben, so müssen Sie mir mit dem Takt Ihres Herzens zugestehen, daß ich recht habe. Die Tänzerin Barbarina kann niemals die Schwiegertochter der Großkanzlerin von Cocceji werden. Das hieße aller Sitte, aller Ehre Hohn sprechen, das hieße unsere Ahnen noch in ihrem Grabe beleidigen und unsern Adel beschimpfen. Und doch wagt mein unglücklicher Sohn an eine solche Entehrung zu denken, doch hat er in seinem trotzigen Wahnsinn sogar mich, seine eigene Mutter, mit harten Worten angelassen, weil ich ihm das Unsinnige und Unmögliche seiner Wahl vorstellte.

Ach, ich liebe ihn darum, rief Barbarina mit einem wundervollen Lächeln.

Die Großkanzlerin fuhr, ohne sie zu beachten, fort: Selbst gegen seinen Vater hat dieser unglückliche Sohn zu opponieren gewagt, und dem Zorn seines Königs selbst will er Trotz bieten. Oh, Signora, in dieser Angst meines Mutterherzens wende ich mich an Sie. Haben Sie Erbarmen mit mir und meinem armen unglücklichen Sohn. Er ist verloren, zugrunde gerichtet, entehrt, wenn Sie mir nicht zu Hilfe kommen. Wenn Sie ihn wirklich lieben, so wird Ihre Liebe Sie lehren, ihm das Opfer der Entsagung darzubringen, und ich werde Sie dafür segnen und Ihnen allen den Kummer verzeihen, den Sie mir bereitet haben. Wenn Sie ihn aber nicht lieben, dann werden Sie nicht so grausam sein, um Ihres Hochmuts, Ihrer Laune willen das Glück und die Ehre einer ganzen Familie zu untergraben, dann werden Sie meiner Bitte Gehör geben, diese Stadt verlassen, und so weit fortgehen, daß mein Sohn Sie nicht erreichen und Ihnen nicht folgen kann.

Dann müßte ich ins Grab gehen, rief Barbarina, denn außerdem gibt es keinen Ort, wohin er, wenn er mich wirklich liebt, mir nicht folgen kann, denn mir, Madame, kann es nicht gelingen, wie Ihnen, unbekannt und unbeachtet die Welt zu durchreisen. Wo ich bin, da weiß man es, denn mein Ruhm ist der Herold, welcher in jeder Stadt meine Ankunft verkündet, und jede Stadt trägt mir, wenn nicht die Schlüssel ihrer Tore, doch die Schlüssel ihrer Herzen entgegen. Man weiß in der Welt außerhalb Preußens nichts von der hochadeligen Familie Cocceji, aber überall und allerorten weiß man von Barbarina, denn ich bin eine Künstlerin, und die Lorbeerkränze, welche man überall mir dargebracht, sie sind niemals von einer unwürdigen Handlung, einem entehrenden Gedanken von mir entweiht worden. Es gibt nichts in meinem Leben, das ich zu bereuen, nichts, dessen ich mich zu schämen hätte. Und dennoch haben Sie es gewagt mich anzuklagen, dennoch haben Sie den frechen Mut gehabt, in meinem eigenen Hause mich zu beleidigen.

Sie vergessen, mit wem Sie die Ehre haben, zu reden, rief die Großkanzlerin.

Madame, Sie haben das zuerst vergessen, ich folge nur Ihrem Beispiel, weil ich mir denke, daß die Frau Großkanzlerin immer nur das Schickliche und Wohlanständige tun kann. Sie haben mich in meinem eigenen Hause beleidigt, sagte ich. Und dennoch fordern Sie jetzt von mir, daß ich großmütig sein, daß ich Ihren Sohn aufgeben soll? Weshalb sollte ich das tun?

Weil ich denke, daß vielleicht noch ein Funke von Ehrgefühl in Ihrer Brust wohnt, und weil Sie also wissen sollen, daß meine Familie Sie niemals aufnehmen, niemals Sie anerkennen, sondern Ihnen fluchen und Sie verabscheuen wird, wenn Sie die Frechheit so weit treiben, meinen Sohn zu einer Vermählung mit Ihnen zu zwingen. Weil Sie wissen sollen, daß der ganze Adel, daß das Haupt des Adels, der König, auf unserer Seite stehen. Denn der König, Signora, begünstigt Sie nicht mehr, der König hat uns sein Wort gegeben, uns beizustehen, und mit allen Mitteln der Güte und der Gewalt meinen Sohn an einer Verbindung zu hindern, von welcher der König an mich schreibt, daß sie meinen Sohn mit Schande bedeckt Schneider. Geschichte der Oper in Berlin. Beilagen S. 13..

Das ist nicht wahr, rief Barbarina, deren Augen jetzt drohende Blitze schossen.

Das ist wahr! Und es ist wahr, daß der König, um diese Schande von unserer Familie abzuwenden, meinem Gemahl einen Verhaftsbefehl übergeben hat, von dem wir, falls unsere Bitten, unser Flehen, unser Zürnen erfolglos bleibt, sofort Gebrauch machen können, indem wir ihn dem General von Hake zur Ausführung übergeben Schneider. Geschichte der Oper in Berlin. Beilagen S. 13.. Bedenken Sie also wohl, was Sie tun. Treiben Sie uns nicht auf das Äußerste, denn ich sage Ihnen, es gibt einen Punkt, wo die Elternliebe aufhört und wir nur noch als die Häupter unserer Familie mit der Strenge handeln werden, welche die Gesetze und der König uns bewilligen. Gehen Sie also in sich, Signora, beugen Sie Ihren stolzen und hoffärtigen Sinn, verlassen Sie Berlin, kehren Sie heim in Ihr Vaterland. Ich wiederhole Ihnen nur, treiben Sie uns nicht auf das Äußerste.

Barbarina hatte ihr mit kalter spöttischer Ruhe zugehört. Nicht eine Muskel ihres Antlitzes hatte gezuckt. Sie war wundervoll anzuschauen in dieser kalten, imponierenden Haltung, mit diesem blassen durchsichtigen Antlitz, mit diesen glühenden, fest aufeinander gepreßten Lippen, diesen feurigen, großen Augen, welche mit ihrem zornigen Funkeln und ihren stolzen Blicken alles das aussprachen, was ihre Lippen verschwiegen.

Madame, sagte sie langsam, und jedes Wort betonend, Madame, Sie haben mich auf das Äußerste gebracht. Es war nicht meine Absicht, mich mit Ihrem Sohn zu vermählen. Aber Sie haben gemacht, daß das jetzt ein Ehrenpunkt für mich geworden ist. Jetzt, Madame, werde ich dem Flehen Ihres Sohnes nachgeben, jetzt werde ich mich mit ihm vermählen.

Das heißt, Sie wollen meinen Gemahl zwingen, von dem königlichen Verhaftsbefehl Gebrauch zu machen?

Barbarina zuckte verächtlich die Achseln. Verhaften Sie Ihren Sohn immerhin, sagte sie, Sie werden dadurch Ihrem Namen nur eine neue Berühmtheit geben, und den letzten Funken von Pietät und Gehorsam in dem Herzen Ihres Sohnes ertöten. Verhaften Sie ihn! Die Liebe hat Flügel und wird ihm überall folgen, und wird ihn vor den Altar geleiten, vor welchem er sich mit der Barbarina vermählt. Weder Ihr Fluch, noch Ihr Verhaftsbefehl, noch der Wille des Königs wird das verhüten können, und ehe sechs Monden vergehen, wird Barbarina, die Tänzerin, sich Frau Geheimrätin von Cocceji nennen.

Nimmermehr wird das geschehen, rief die Großkanzlerin, zitternd vor Wut.

Das wird geschehen, sagte Barbarina lächelnd, indem sie sich tief verneigte. Und damit, Madame, denke ich, ist der Zweck Ihres Besuches erreicht, und wir haben einander nichts mehr zu sagen. Es bleibt mir nur noch übrig, mich Ihrer Huld und Gnade zu empfehlen und Ihnen zu danken, daß Sie mir die Ehre Ihres Besuches gegönnt haben. Erlauben Sie, daß ich meinen Lakaien rufe, damit er Sie zu Ihrem Wagen geleite.

Sie klingelte und befahl dem eintretenden Diener, die Flügeltüren zu öffnen und der Frau Großkanzlerin von Cocceji ihren großen Muff zum Wagen zu tragen.

Frau von Cocceji erblaßte vor Zorn. Sie hatte inkognito kommen wollen, und jetzt nannte Barbarina vor dem Lakaien ihren Namen. Ganz Berlin würde also heute noch erfahren, daß die Frau Großkanzlerin der Barbarina einen Besuch gemacht.

Geben Sie mir den Muff, sagte sie unwillig zu dem Diener. Es ist nicht nötig, daß Sie ihn tragen. Ich bin zu Fuß gekommen.

Zu Fuß, wiederholte Barbarina lächelnd. Freilich, man hätte sonst Ihre mit dem hochadligen Wappen gezierte Equipage vor meiner Türe halten sehen, und Sie wollten inkognito kommen. Ich danke Ihnen noch einmal für die Ehre Ihres Besuches und empfehle mich Ihnen mit dem frohen Wunsch: Auf Wiedersehen!

Auf Nimmerwiedersehen, sagte die Frau Großkanzlerin, einen wütenden Blick auf die lächelnde Tänzerin werfend, und dann stolz und hochaufgerichtet der Tür zueilend.


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