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XI. Barbarina

Der Besuch, welchen die stolze Frau Großkanzlerin der stolzen Tänzerin gemacht, hatte für Barbarinas unschlüssiges und zauderndes Herz eine endliche Entscheidung herbeigeführt. Dieses Herz, welches weder von dem Flehen des Herrn von Cocceji, noch von seinen eigenen Wünschen bezwungen werden konnte, es war von dem Stolz der Frau Großkanzlerin zu einem Entschluß getrieben worden, und dieselbe hatte daher gerade das Gegenteil von dem erreicht, was sie beabsichtigte.

Sie war gekommen, um Barbarina zu beweisen, daß sie niemals daran denken könne, die Gemahlin ihres Sohnes zu werden, und sie hatte durch ihr hochfahrendes und beleidigendes Wesen Barbarina so sehr gereizt, daß sie jetzt aus Rache tun wollte, was sie früher der Liebe verweigert hatte. Sie wollte die Gemahlin des jungen Herrn von Cocceji werden, und da sie in ihrem glühenden Zorn das der stolzen Frau Großkanzlerin ins Gesicht geschworen hatte, so verlangte nun auch ihr Stolz und ihre Ehre, daß sie ihren Schwur erfülle.

Von beiden Seiten also begann jetzt ein lebhafter Kampf, von beiden Seiten wurde er mit gleicher Erbitterung, gleicher Energie geführt.

Der Herr Großkanzler mochte immerhin seinem Sohn mit seinem Fluch drohen und ihn feierlich vor Gericht enterben, sein Sohn liebte deshalb die Barbarina nicht weniger glühend, und als seine Mutter zu ihm in schmähenden und anklagenden Worten über die schöne Tänzerin sprach, erwiderte er mit höflichem Ton, aber mit fester Entschiedenheit: daß er sich solche Sprache über eine Dame, welche bald seine Gemahlin sein werde, entschieden verbitten müsse.

Die Frau Großkanzlerin war außer sich vor Entsetzen, und jetzt gelang es ihren Überredungskünsten und ihren Bitten, ihren Gemahl zu bewegen, daß er zu dem letzten und für die äußerste Gefahr aufbewahrten Mittel seine Zuflucht nahm, zu diesem Verhaftsbefehl nämlich, den der König seinem Großkanzler gegeben hatte, und kraft dessen er seinen Sohn den Zauberbanden der Ariadne entführen und ihn auf das Schloß Alt-Landsberg bringen konnte.

Man machte also von diesem Verhaftsbefehle Gebrauch. Eines Tages erschien der Herr Geheimrat von Cocceji nicht wie sonst auf dem Kammergericht, und niemand wußte, wohin er gegangen war. Seine Diener sagten indes aus, daß mitten in der Nacht eine Kutsche vor seiner Wohnung angefahren sei, daß der General von Haak mit zwei Soldaten in das Haus gekommen und sich zu dem Herrn von Cocceji in das Zimmer begeben habe, bei dem er längere Zeit geblieben sei. Dann war der General in Begleitung des Geheimrats wieder erschienen und mit demselben in die bereitstehende Kutsche gestiegen.

Beim Einsteigen aber hatte Herr von Cocceji Gelegenheit gefunden, seinem vertrauten Diener ein Stückchen Papier in die Hand zu drücken und ihm zuzuflüstern: Schnell an die Signora.

Dieses Papier, welches der treue Diener sofort der Signora Barbarina brachte, enthielt nur diese Worte: »Man verhaftet mich. Treffen Sie alle nötigen Vorkehrungen und erwarten Sie mich täglich. Sobald ich wieder frei bin, wird unsere Trauung sein.«

Und Barbarina traf ihre Vorkehrungen; sie unternahm öfters kleine Reisen, welche sie mehrere Tage von Berlin fernhielten, und in Berlin kaufte sie sich ein schönes und prachtvolles Haus, vielleicht nur, um der Frau Großkanzlerin zu beweisen, daß sie gar nicht gesonnen sei, Berlin zu verlassen und nach Italien zurückzukehren.

So vergingen einige Monate. Der König, welcher die Bitte des Großkanzlers bewilligt und seinen Sohn hatte verhaften lassen, der König konnte indes nicht darein willigen, daß man einen seiner Untertanen, seiner Beamten in längerer Gefangenschaft hielt, während man ihn vor keinen Richter stellen konnte, weil er durchaus weder gegen den König noch gegen die Gesetze sich versündigt hatte, weil man ihn keines andern Verbrechens zeihen konnte, als daß er das Weib, welches er liebte, auch heiraten wollte.

Man mußte sich also wohl entschließen, den Geheimrat von Cocceji wieder von dem Schlosse Landsberg zu entlassen.

Er kehrte wieder nach Berlin zurück, und sein erster Gang war nicht zu seinen Eltern, sondern zur Barbarina, welche jetzt in ihrem neuen Hause in der Behrenstraße wohnte.

Einige Stunden später hielt ein Wagen vor der Tür ihres Hauses, und Barbarina mit ihrer Schwester kam in Begleitung des Herrn von Cocceji, um den Wagen zu besteigen, welcher rasch von dannen fuhr.

Wohin waren sie gefahren? Niemand wußte das. Selbst die Spione der Frau Großkanzlerin, welche beständig das Haus der Tänzerin umlagerten, konnten das von der zurückgebliebenen Dienerschaft nicht erfahren. Aber nach einigen Tagen brachten sie ihr die Nachricht, daß die Barbarina zurückgekehrt sei, daß der Geheimrat von Cocceji mit ihr in ihrem schönen neuen Hause wohne, und daß die Dienerschaft von dem Herrn von Cocceji den Befehl erhalten, die Signora jetzt »Frau Geheimrätin« zu nennen, da sie jetzt seine angetraute Gemahlin sei.

Die Frau Großkanzlerin lachte verächtlich dazu und hielt das nur für einen Theatercoup. Aber plötzlich hielt eine Equipage vor ihrem Hause, und als die Frau Großkanzlerin ein wenig neugierig selber an das Fenster trat, sah sie, daß der Kutscher und der Bediente eine sehr schöne von Gold strotzende Livree trugen und daß aus dem Schlag dieser glänzenden Kutsche, die mit dem Wappen der Cocceji geziert war, die Signora Barbarina hervorschaute.

Entsetzt trat sie vom Fenster zurück. Da kam der Bediente mit einer Karte herein, die er der Frau Großkanzlerin ehrfurchtsvoll überreichte.

Ich bin nicht zu Hause, ich nehme keinen Besuch an, schrie die Frau Großkanzlerin, nachdem sie die Karte angeschaut hatte.

Der Diener eilte von dannen, und gleich darauf hörte man auf der Straße das Davonrollen des Wagens.

Es ist also doch wahr, und sie hat gesiegt, ächzte die Frau Großkanzlerin, immer noch die Karte anstarrend, welche nichts als die lakonischen Worte enthielt: Monsieur de Cocceji, Madame de Cocceji, née Barbarina, p. f. v.

Aber sie soll nicht siegen, ich werde es nimmermehr dulden, daß Barbarina meine Schwiegertochter genannt werden kann, rief die stolze Frau dann wieder mit neuem Mut. Diese Verbindung muß rückgängig gemacht werden, diese Ehe ist ungültig, denn sie ist gegen die Gesetze des Landes, Barbarina ist eine Bürgerliche, und kein Adliger darf ohne die Einwilligung des Königs sich einer Bürgerlichen vermählen. Ich werde mich also dem König zu Füßen werfen, und er wird diese Ehe lösen!

Und der König war in der Tat erzürnt und ganz geneigt, dem Flehen des Großkanzlers und seiner Gemahlin nachzugeben. Er hatte erst vor kurzem an die katholische Geistlichkeit in Berlin den strengen Befehl erlassen, keine Ehe ohne vorheriges Aufgebot und ohne vorherige Legitimationen einzusegnen, und es reizte daher seinen Zorn, daß diese es dennoch vielleicht gewagt, seinen Befehlen zu widerstreben und heimlich und in der Stille den Herrn von Cocceji mit der Barbarina zu trauen.

Das war es, was den Zorn des Königs erregte und weshalb er dem Kabinettsminister von Uhden den schriftlichen Befehl erteilte, genau nachzuforschen, mit welchem Recht die Tänzerin Barbarina es wagen könne, sich Frau von Cocceji zu nennen, und wenn sie dazu berechtigt sei, zu ermitteln, welcher Priester die Trauung vorgenommen habe, da Seine Majestät beschlossen, denselben wegen seines Ungehorsams strenge zu bestrafen.

Der Minister von Uhden, ein persönlicher Freund des Großkanzlers, war sehr bereit, diese Angelegenheit mit aller Strenge zu verfolgen und sandte an die Barbarina den Befehl, am nächsten Tage zu ihm zu kommen, weil er im Auftrage des Königs sie gerichtlich zu vernehmen habe Schneider. Geschichte der Berliner Oper. Beilagen S. 12..

Als Barbarina dieses lakonische Amtsschreiben erhielt, blickte sie lange stumm und schweigend vor sich nieder, und ein tiefer Schmerz sprach aus ihren Zügen.

Und was wirst du tun, Schwester? fragte Marietta.

Ich werde zum König gehen, sagte Barbarina, aus tiefem Sinnen erwachend.

Zum König, rief Marietta entsetzt.

Ja, Schwester, zum König. Ich will wissen, warum er mich haßt.

Aber der König ist heute nach Potsdam gefahren.

So werde ich nach Potsdam fahren. Befiehl, daß der Kutscher anspannt und auf der Post Relaispferde bestellt. In einer Viertelstunde will ich fahren.

Und was soll ich deinem Gemahl sagen, wenn er vom Kammergericht heimkehrt?

Barbarina sah ihr mit stolzen festen Blicken in die Augen. Sage ihm, daß die Frau von Cocceji sich nach Potsdam begeben hat, um dem König persönlich ihre Verheiratung anzuzeigen, und um seine Anerkennung derselben zu bitten.

Barbarina, flüsterte ihre Schwester leise, höre mich. Dein Gemahl ist traurig und verzagt. Er hat mich zu seiner Vertrauten gemacht. Er sagt, du habest ihn geheiratet nicht aus Liebe, sondern aus Depit, und im Grunde deines Herzens liebtest du ihn nicht.

Ich werde es lernen, denn ich will es, sagte Barbarina traurig. Oh, ich habe einen starken Willen, und mein Herz soll mir schon gehorchen müssen.

Sie lächelte, als sie das sagte, aber es war ein trauriges und schmerzvolles Lächeln, welches ihrer Schwester Tränen in die Augen trieb. – –

Der König war allein in seinem Studierzimmer im königlichen Schlosse zu Potsdam. Er saß an seinem Schreibtisch und war eifrig mit Schreiben beschäftigt, als die Tür leise hinter ihm geöffnet ward und der Marquis d'Argens mit lebhaften und neugierigen Blicken hereinschaute. Als er sah, daß der König gar nicht auf ihn achtete und ihn gar nicht gehört hatte, wandte er sich leise um und winkte der Dame, welche bis jetzt hinter ihm gestanden hatte, näherzutreten. Leise und geräuschlos trat sie ein. Der Marquis nickte ihr lächelnd zu und verschwand wieder jenseits der Tür, welche er leise wieder ins Schloß fallen ließ. Die Dame, welche bis dahin ihr Antlitz verschleiert hatte, warf jetzt mit einer hastigen Bewegung den Schleier zurück, und man sah jetzt Barbarinas bleiches schönes Gesicht und ihre großen funkelnden Augen, die mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Schmerz und Glück auf den König hingewandt waren.

Aber der König hörte noch immer nichts, plötzlich war es ihm, als ob er einen leisen Seufzer vernähme, als ob eine süße, lang entbehrte Stimme leise seinen Namen flüsterte.

Er stand hastig auf und wandte sich um. Da an der Tür lag sie auf ihren Knien. Es war dieselbe Tür, vor welcher sie vor fünf Jahren aufgelöst in Tränen und Verzweiflung gekniet hatte, und seitdem hatten sie sich niemals wieder gesprochen. – Wie damals lag sie weinend auf ihren Knien und hob flehend ihre Hände empor zu dem König und bat um Gnade und Mitleid.

Der König war anfangs erbleicht vor Überraschung, und seine Stirn hatte sich in finstere Falten gelegt, aber als er sie ansah, als er wieder in diese großen dunkeln unermeßlichen Augen schaute, da überkam ihn eine tiefe Wehmut, ein schmerzlich süßes Gefühl von Freudigkeit und Glück. Die Wolken verschwanden von seiner Stirn, ein wunderbarer, rührend schöner Ausdruck überflog, wie ein Sonnenstrahl, sein Angesicht, und seine Augen strahlten in einem feuchten Glanz.

Mit einem sanften Lächeln näherte er sich der Barbarina. Stehen Sie auf, Barbarina, sagte er, und der Ton seiner Stimme machte ihr Herz höher klopfen und trieb Tränen in ihre Augen. Stehen Sie auf, Barbarina. Sie kommen zu mir auf eine ungewöhnliche Art, aber Sie kommen doch in einem schönen Gefolge, – in dem Gefolge der Erinnerungen, und ich, von welchem die Menschen sagen, daß ich keine Religion habe, ich habe wenigstens die Religion der Erinnerungen, und darum will ich Ihnen nicht zürnen. Stehen Sie also auf, Barbarina, und sagen Sie mir, was Sie zu mir führt.

Er reichte ihr die Hand dar und richtete sie empor. Wie sie ihm jetzt gegenüber stand, immer noch so hold und schön, immer noch mit diesem tiefen Auge voll Leidenschaft und Glut, mit dieser zauberhaften duftigen Schönheit, da fühlte der König es wie einen tiefen Schmerz in seiner eigenen Brust, einen Schmerz, für den er keine Worte und keinen Ausdruck hatte.

Lange standen sie sich schweigend gegenüber, der König, immer noch Barbarinas Hand in der seinen haltend, ihre Blicke ineinander ruhend und sich wunderbare, geheimnisvolle Märchen zuflüsternd.

Ich sehe Sie umflattert von holden, lächelnden Genien, sagte der König endlich, diese Genien, das sind die Stunden, welche einst gewesen, Barbarina. Ach, Barbarina, umringt von diesen Genien haben Sie für mich das Aussehen eines Engels. Warum waren Sie es nicht? Warum waren Sie nichts als ein Weib? Ein leidenschaftliches, herrisches Weib, das gebieten wollte, statt nur zu lieben, das nicht genug hatte, von dem Manne angebetet zu werden, sondern auch den König sich unterwerfen wollte, bis der König den Mann in sich unterdrücken und sein eigenes Herz bezwingen mußte, um König zu bleiben. Oh, Barbarina, warum waren Sie ein herrisches Weib, statt der Engel zu sein, der Sie doch wirklich sind?

Sie hob leise die Hand empor, als wollte sie ihn bitten zu schweigen. Ich habe das alles begriffen, sagte sie, denn ich habe viel darüber gedacht, immer, Nacht und Tag, bis ich Sie verstanden habe, Sire, bis ich erkannte, daß Sie recht gehandelt. Jetzt aber, Sire, bin ich nicht mehr ein herrisches Weib, sondern nur noch ein demütiges. Und in dieser Demut, meines Stolzes ganz entäußert, komme ich zu Ihnen, Sire. Ich komme zu Ihnen, wie man zu Gott geht, Sire, wenn man kummervoll ist und schwer beladen. Ich komme zu Ihnen, wie man in eine Kirche geht, wenn man sein Herz erleichtern will, indem man seine Sünden beichtet, und Gott anfleht, uns beizustehen, unser eigenes Herz zu bezwingen. Sire, dies ist also eine heilige und große Stunde für mich, und was ich Ihnen jetzt sagen will, das dürfen nur Sie und Gott wissen.

Sprechen Sie, Barbarina, sagte der König, und Gott möge Sie hören.

Sire, ich komme, Ihre Hilfe anzuflehen.

Ah, deshalb, sagte der König, und ein spöttischer Ausdruck flog über seine Züge hin. Ich hatte das vergessen. Sie wollen jetzt Frau von Cocceji heißen.

Ich heiße so, Sire, sagte sie sanft, aber man will diese Ehe für ungültig erklären und kraft der Gesetze sie auflösen.

Und deshalb kommen Sie zu mir, rief der König. Sie fürchten für Ihren schönen Titel?

Ah, Sire, sagte Barbarina stolz, Sie denken nicht so klein von mir, daß Sie meinen, ein elender Titel könne mich reizen.

Ah, Sie haben also den Herrn Geheimrat von Cocceji aus Liebe geheiratet? fragte der König.

Sie sah ihm fest und groß ins Angesicht. Nein, Sire, ich habe ihn nicht aus Liebe geheiratet.

Und weshalb alsdann?

Um mich zu retten, Sire, ja, um mich zu retten. Weil ich das Vergessen nicht lernen konnte. Ah, Euere Majestät sagten vorher, daß Sie die Religion der Erinnerung hätten, ich aber, Sire, ich bin die schmerzzerrissene, gepeinigte, fanatische Priesterin dieser Religion gewesen, ich habe täglich vor ihrem Altar gelegen, und mein Herz gegeißelt in Andacht und Pein, und meine Augen matt geweint. Endlich eines Tages raffte ich mich auf und beschloß, diesen Altar meiner Religion zu verlassen, zu fliehen vor meinen Schmerzen, und mein Herz das vergessen zu lehren. So ging ich nach England, so nahm ich Lord Stuarts Anerbieten an und entschloß mich, seine Gemahlin zu werden. Aber es war alles umsonst, alles vergeblich, was auch meine Lippen sprechen mochten, mein Herz lag immer noch blutend und zuckend vor dem Altar meiner Erinnerungen. Sie waren mit mir gezogen über das Meer. Sie grüßten mich mit geheimnisvollen Liebesklängen, sie riefen mich mit diesen zwei großen, wundervollen Augen, die klar und blau sind, wie der Himmel und geheimnisvoll und tief wie das Meer. Diese Augen, Sire, riefen mich zurück, und ich konnte ihnen nicht widerstehen. Ich fühlte, daß ich lieber durch sie sterben als sie entbehren wollte, und so entfloh ich am Tage vor meiner Vermählung aus England und kehrte hierher zurück. Und der alte Zauber kam wieder über mich, aber auch der alte Schmerz. Jetzt fühlte ich, daß ich mich vor mir selber retten müßte, wenn ich nicht wahnsinnig werden wollte, daß ich mein Herz in feste Bande schlagen, daß ich meine Liebe zur Gefangenen meiner Pflicht machen müßte, um endlich dieser Qualen Herr zu werden. Noch schwankte ich in diesem Entschluß, da kam die Großkanzlerin, und ihr stolzer Übermut weckte meinen Stolz, daß er sogar meinen Kummer übertäubte, und ich nichts hören durfte, als nur ihn. So ward ich die Gemahlin Coccejis, so habe ich mich in diese Ehe hineingerettet, wie in einen Hafen, in dem ich ausruhen will von allen Stürmen. Aber ach, Sire, was ich auch versuchen mag, wie sehr ich auch bemüht gewesen, ein neues Leben anzufangen, die Religion der Erinnerungen läßt ihre Priesterin nicht los, sie hält ihre mystischen Hände über mich ausgestreckt, und mein Herz jauchzt ihr wider meinen Willen entgegen. Sire, erretten Sie mich. Ich habe mich in diese Ehe geflüchtet, wie man in eine Klosterzelle entflieht vor der süßen Liebe der Welt. Sire, gebieten Sie, daß man mich aus dieser Zelle nicht wieder vertreibe, daß man mich still und unangefochten Gott und meiner Pflicht leben lasse. Oh, Sire, meine Seele hat ihre Schwingen eingebüßt, sie liegt matt und krank zu Ihren Füßen, helfen Sie ihr, daß sie genese.

Wie sie jetzt schwieg und ihre gefalteten Hände flehend gegen den König ausstreckte, sah er stumm, aber mit strahlendem, lächelnden Antlitz zu ihr hin. Dann nahm er ihre beiden Hände und neigte seine Lippen auf dieselben nieder und küßte sie mit einem langen, heißen Ruß, der Barbarina erschauern und ihr Herz stillstehen machte vor schmerzlichem Entzücken.

Barbarina, sagte er mit seiner schönen klangvollen Stimme, Barbarina, ich danke Ihnen! Gott und der König haben Sie gehört. Sie sagen, daß Sie die Priesterin der Religion der Erinnerungen sind. Nun wohl denn, ich bin auch ihr Priester, und ich sage Ihnen, daß auch ich manche Nacht vor ihrem Altar mein Herz gegeißelt habe. Das Leben verlangt schwere Opfer, und von den Königen mehr als von andern Menschen. Ich habe eines Tages meinem Königtum ein so großes Opfer gebracht, daß es mir schien, es könne nach diesem mir nichts mehr schwer werden zu überwinden. Die Toren und die Gedankenlosen sagen, daß das Leben ein Vergnügen ist. Ich aber, Barbarina, ich sage: Das Leben ist eine Pflicht! Gehen wir hin, und erfüllen wir sie!

Ja, gehen wir hin, und erfüllen wir sie! rief Barbarina mit strahlenden Augen. Sire, ich will gehen, sie zu erfüllen. Aber schwach wie ich bin, bitte ich Sie noch um eins! Es gibt keinen Lethetrank mehr, aus dem man sich Vergessenheit trinken kann, und doch muß ich vergessen und einen Schleier werfen über meine ganze Vergangenheit. Helfen Sie mir, Sire! Ich muß fort aus Berlin. Verbannen Sie meinen Gemahl in irgendeine kleine Stadt; sie wird für mich ein offenes Grab sein, aber ich werde mich bemühen, dieses Grab mit Blumen zu bepflanzen, deren Duft meinen Gemahl erfreuen soll.

Ihr Wille soll geschehen, sagte der König traurig,

Ich danke Ihnen, Sire, und jetzt leben Sie wohl!

Leben Sie wohl, Barbarina!

Er nahm ihre beiden Hände in die seinen und sah ihr lange in das schöne, von himmlischer Begeisterung strahlende Angesicht.

Beide sprachen kein Wort, sie nahmen Abschied voneinander mit ihren Blicken, mit dem sanften, wehmutsvollen Lächeln, das ihre stummen Lippen umstrahlte.

Leben Sie wohl, Sire, flüsterte Barbarina nach langer Pause noch einmal, indem sie sanft ihre Hände aus denen des Königs zurückzog und auf die Tür zuschritt.

Der König folgte ihr. Geben Sie mir Ihre Hand, sagte er, ich gehe mit Ihnen.

Ja, Sie gehen mit mir, wohin ich auch gehe, flüsterte Barbarina kaum hörbar.

Der König führte sie in das anstoßende Zimmer, in welchem sich zwei Türen befanden, die eine, welche auf den Korridor führte, auf welchem sich die kleine Treppe befand, über welche man zu einer Seitenpforte des Schlosses gelangte, die andere, welche in den großen Vorsaal führte, in welchem die Kavaliere und das Gefolge des Königs sich zu versammeln pflegten.

Barbarina war über die kleine Treppe gekommen, und sie lenkte jetzt ihre Schritte der dahinführenden Tür zu.

Nein, nicht da hinaus, sagte der König, mein Hof erwartet mich im Vorsaal, denn es ist die Stunde, in welcher wir zur Parade gehen. Ich will Sie meinem Hofe zeigen.

Barbarina dankte ihm mit einem süßen Lächeln, folgte ihm schweigend zu der andern Tür, welche der König aufstieß und mit der Barbarina an seiner Hand in den großen Vorsaal trat.

Da waren die Generäle in ihren glänzenden Uniformen, die hohen Hofbeamten und Kavaliere in ihren goldgestickten Gewändern und den brillantenfunkelnden Orden, und alles neigte sich ehrfurchtsvoll und tief, und niemand wagte auf seinem Antlitz die Überraschung und das Erstaunen zu zeigen, welches jeder doch empfand.

Der König führte Barbarina mitten in den Saal, und indem er dann ihre Hand losließ, sagte er laut: Madame, ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen. Ihr Wunsch soll erfüllt werden. Ihr Herr Gemahl soll als Präsident nach Glogau gehen. Ich werde diese Ernennung noch heute ausfertigen.

Sein stolzer und kühner Blick flog im Kreise seiner Kavaliere suchend umher, bis er Herrn von Pöllnitz entdeckt hatte.

Herr Oberzeremonienmeister, sagte der König, führen Sie die Frau Präsidentin von Cocceji zu ihrem Wagen.

Herr von Pöllnitz stürzte hervor und stellte sich mit einer tiefen Verbeugung an Barbarinas Seite.

Der König winkte Barbarina noch einmal seinen Abschiedsgruß zu, den sie mit einer zeremoniellen, der Etikette gemäßen Verneigung erwiderte. Dann nahm sie den Arm des Herrn Oberzeremonienmeisters von Pöllnitz, und unter dem Schweigen der ganzen glänzenden Versammlung verließ Barbarina den Saal.

Der König blickte ihr nach, bis sie verschwunden war, dann atmete er hoch auf, und sich mit einem sanften Lächeln an sein Gefolge wendend, sagte er: Messieurs, lassen Sie uns auf die Parade gehen! Nachdem der König auf die Bitten der Barbarina dem Geheimrat und General-Fiskus von Uhden befohlen hatte, von jeder weiteren Verfolgung der Barbarina abzustehen, weil, wie es in der Ordre des Königs heißt: »Diese Heirat der sogenannten Barbarina mit dem Herrn von Cocceji doch einmal geschehen ist, und ohne viele Inkonvenienzen nicht wohl redressiert werden kann,« schrieb der König auch an den Vater des Herrn von Cocceji, und zeigte ihm an, »daß er, um diesem langjährigen Familienzwist endlich ein Ende zu machen, seinen Sohn aus Berlin versetzen, aber dabei Bedacht nehmen werde, daß diese Versetzung auf eine billige Art geschehe, »und Euer Sohn an seinem Traktement und Charakter nichts dabei verliere. Ihr werdet leicht einsehen, daß alles, was ich hierunter tue, aus einer Faiblesse von mir gegen Euch geschieht, indem sonst Euer mehr angeführter Sohn, solange er in meinen Diensten nichts versieht, auch nicht von mir zu bestrafen sein würde, da dessen unbesonnene Heirat eigentlich Meinen Dienst nicht affiziert.« In einem andern Schreiben an den Groß-Kanzler, in welchem der König demselben anzeigt, daß er den Geheimrat nach Glogau versetzen werde, sagt der König: »es wird mir angenehm sein, wenn Ihr in Eurem etwa weiter zu tuenden Vorschlägen wegen Eures Sohnes Euch nicht so gar hart über sein Sujet ausdrücken werdet, da derselbe doch eigentlich nichts in seinem Dienst versehen hat.« Schneiders Geschichte der Berliner Oper. Beilagen S. 16. Die Barbarina ging mit ihrem Gemahl nach Glogau, und kam nie wieder nach Berlin zurück und ihre Ehe mit dem Herrn von Cocceji soll eine sehr glückliche gewesen sein. Noch vor ihrem Tode bestimmte sie ihr Vermögen, das aus drei schönen Rittergütern in Schlesien und einem Barvermögen von 100 000 Talern bestand, zur Gründung eines adligen Fräuleinsstiftes von achtzehn Personen. Dafür erhob König Friedrich Wilhelm II. sie 1789 in den Grafenstand. Sie starb als Gräfin von Campanini den 7. Juni 1799 in einem Alter von 75 Jahren zu Warschau in Schlesien.


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