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IX. Ein Tag aus dem Leben Voltaires

Voltaire also genoß des seltenen und gefährlichen Vorrechts, dem König die Wahrheit sagen zu dürfen, und er machte von diesem Vorrecht einen grausamen und unerbittlichen Gebrauch. Es schien, als wolle seine eifersüchtige und neidische Natur sich an des Königs Ruhm und Größe dadurch rächen, daß er ihn marterte und quälte mit seinen kleinlichen Ausstellungen und seiner nie ruhenden Tadelsucht, daß er ihn zwingen wollte, Ihn, welchen alle Welt bewunderte und hochstellte, die Augen beschämt niederzuschlagen und einzugestehen, daß er doch niemals emporreichen könne zu dem großen Voltaire.

Auch gestand das der König selber ein, nur tat er es ohne Beschämung, sondern mit lächelnder Ruhe und mit jenem großen, selbstbewußten Sinn, der bereitwillig andern Anerkennung gewährt, weil diese das eigene Verdienst nicht zu schmälern vermag. Voltaire mochte sich noch so sehr erheben und hochstellen, er konnte den König dadurch doch nicht verkleinern, – aber er konnte ihn verstimmen und ärgern, und das war dem boshaften Sinn des großen französischen Dichters schon eine angenehme Genugtuung.

Die übrigen Freunde des Königs sahen diesem Benehmen Voltaires mit Bedauern zu, und besonders war es der Marquis d'Argens, welcher mit seinem feinen und zartfühlenden Sinn sehr bald den Mißmut des Königs und die boshafte Schadenfreude Voltaires verstand.

Eines Tages, als Voltaire vormittags zum König gehen wollte, um mit ihm seine Korrekturen zu machen, fand er im Vorsaal den Marquis, der mit lebhaften Geberden auf ihn zuschritt, und seine beiden Hände ergreifend, ihn mit flehenden Blicken ansah.

Mein Freund, sagte er, der König hat gestern ein Gedicht gemacht, das er mir heute morgen vorlas. Er behauptet, daß darin ein schlechter Reim ist, und das quält ihn. Ich habe versucht ihm das auszureden. Ich weiß indessen wohl, daß der Reim, den er da gemacht hat, schlecht ist, aber Sie würden ihn in die größte Verlegenheit setzen, wenn Sie es ihm sagen, denn er hat sich vergeblich bemüht, einen andern Reim zu finden, und es handelt sich dabei um einen Gedanken, der ihm wichtiger ist, als der Reim. Ich habe daher meinen Tadel zurückgehalten und ihm einige Verse von La Fontaine zitiert, in denen man denselben Fehler findet. Ich habe gesucht, ihn um seiner eigenen Ruhe willen zu überzeugen, daß, wenn dieser Reim auch den Regeln der Schule nicht konform sei, er doch geduldet werden könne. Ich bitte Sie also, widersprechen Sie mir nicht.

Und weshalb sollte ich das nicht tun? fragte Voltaire mit seinem schneidendsten Ton.

Weil Sie es mit Ihrem fortgesetzten, grausamen Tadeln zuletzt dahin bringen könnten, daß der König sich unmutig von der Poesie abwendet und sie aufgibt, während es doch für die Wissenschaften und Künste so sehr wichtig ist, daß die großen und mächtigen Souveräne sie lieben, diejenigen hochstellen, welche sie kultivieren und selber auch mit ihnen sich beschäftigen. Und sagen Sie selber, Freund, was liegt im Grunde daran, ob einige schlechte Reime in den Poesien des Philosophen von Sanssouci sind? Thièbault. V, 437.

Daran liegt, daß der König von mir lernen will, gute Verse zu machen, sagte Voltaire mit scharfem Ton, und daß ich also nicht diese hochverräterische, weibische und feige Liebe zu ihm hegen darf, welche ihm einen Tadel nicht sagt, um seiner Eigenliebe einen kleinen Kummer zu ersparen. Ihnen hat der König sein Gedicht vorgelesen in Ihrer Eigenschaft als bewundernder und lobpreisender Freund, mir wird er es vorlesen in meiner Eigenschaft als pedagogo di sua maestà. Ich werde daher wahr sein müssen, wo Sie schmeicheln durften.

Und niemals war Voltaire unbeugsamer in seinem Tadel, beißender und schärfer in seiner Satire gewesen, als an diesem Tage. Seine Augen sprühten noch vor Schadenfreude, das boshafte Lächeln stand noch auf seinen Lippen, als er von dem König in seine eigene Wohnung heimkehrte.

Ah, sagte er mit einem lauten Lachen, als er sich vor seinem Schreibtisch niedersetzte. Heute wird meine Arbeit sehr gut gelingen, denn ich habe viel gelernt. Friedrich weiß gar nicht, wie sehr er mein Wohltäter ist. Indem ich ihn korrigiere, korrigiere ich mich selber, und indem ich ihm bei seinen Studien durch meinen Tadel nütze, schöpfe ich daraus immer neue Kräfte, um die meinigen richtig zu leiten Voltaires eigene Worte. Oeuvres. LVIII, 363.. Ich will also heute ein Kapitel an meiner Geschichte Ludwigs des Vierzehnten schreiben, und es wird gut werden, denn das Kapitel, welches ich heute aus des Königs histoire de mon temps gelesen, hat mich sehr deutlich gelehrt, welche Fehler ich zu vermeiden habe. Ja, von Ludwig dem Vierzehnten will ich schreiben, ich bin ihm wohl einigen Ersatz dafür schuldig, daß der König die Naivetät gehabt hat, seinen Urgroßvater, den sogenannten Großen Kurfürsten, mit unserm großen Ludwig zu vergleichen. Ich bin gutmütig genug gewesen, ihm diese kleine Gefälligkeit gegen seinen Urgroßvater zu verzeihen, und sie ihm nicht fortzustreichen. Und warum hätte ich das tun sollen? Die Welt wird nicht so töricht sein, mir diese komische Schwäche anzurechnen, zudem schreibt der König nur für sich und seine schmeichlerischen Freunde, er darf also sagen, was er will. Ich aber, ich schreibe für Frankreich, für die Welt! Ach, aber ich fürchte, daß Narren mich beurteilen werden, während ich doch versucht habe, als Weiser zu schreiben Oeuvres. LVIII, 341..

Er nahm die Feder und begann zu schreiben, aber diese Ruhe ward bald unterbrochen durch den Eintritt seines Dieners Tripot, der ihm meldete, daß der Jude Hirsch, den Voltaire zu sprechen verlangt habe, so eben gekommen sei. Voltaire erhob sich hastig von seinem Lehnstuhl und hieß ihn eintreten.

Ich habe vieles mit Ihnen zu verhandeln, mein Freund, sagte er zu dem eintretenden Juden. Tripot, schließe die Tür, und sorge dafür, daß wir ungestört bleiben.

Und nachdem seine Befehle vollzogen, durcheilte Voltaire mit jugendlicher Lebendigkeit seinen Salon und winkte dem Juden, ihm in sein Schlafzimmer zu folgen.

Zuerst, mein Freund, wollen wir einen kleinen Handel machen, sagte Voltaire, indem er die Schatulle einer gewaltigen Kommode öffnete. Sehen Sie, da sind zwölf Pfund der herrlichsten Wachslichte. Ich bin ein armer Mann mit schwachen Augen. Was nützen mir also diese Lichter? Ich darf niemals hoffen, sie anstecken zu können. Da sind ferner einige Pfund Zucker und Kaffee, die Ersparnisse der letzten zwei Monate. Sie werden mir das alles abkaufen, mein Herr, wir werden einen bestimmten Preis für alle diese Dinge festsetzen, und am letzten Tage jedes Monats können Sie, falls ich mit Ihrem Preis zufrieden bin, hierherkommen und die Ersparnisse meines Monats gegen Ihre klingende Münze eintauschen. Machen Sie also Ihren Preis, mein Herr!

Und der Händler machte seinen Preis, aber es schien, als ob der Dichter Voltaire sich noch besser auf den Handel verstehe, als der Jude Hirsch. Er wußte ihm genau den Preis des Zuckers und des Kaffees anzugeben, er wußte die Schönheit der weißen dicken Wachskerzen so beredt anzupreisen, daß Herr Hirsch sich wirklich zu einer Steigerung des Gebots bewegen ließ.

Jetzt zu wichtigern Geschäften, sagte Voltaire. Sie reisen nach Dresden. Sie sollen für mich da ein kleines Geschäft machen. Ich will für achtzehntausend Taler sächsische Steuerscheine kaufen. Sie stehen auf fünfunddreißig und werden, wie Sie wissen, den Untertanen des Königs von Preußen mit vollgültigen Hunderten ausgezahlt.

Aber Euere Exzellenz wissen, daß Seine Majestät es seinen Untertanen bei strenger Strafe verboten hat, von diesen Steuerscheinen aufzukaufen? fragte Herr Hirsch erstaunt. Der König hat diese Bevorzugung seiner Untertanen verlangt, daß uns die sächsischen Steuerscheine für voll ausgezahlt werden, während die eigenen Untertanen des Königs von Sachsen nur den Tageskurs dafür bekommen, aber er hat versprochen, daß seine Untertanen nicht, um sich zu bereichern, aufs neue solche Steuerscheine kaufen dürfen, sondern nur diejenigen, welche sie besitzen, zum Vollwert bezahlt bekommen sollen. Euere Exzellenz sehen also, daß dies Geschäft untunlich ist.

Meine Exzellenz sieht nur, daß Sie ein Narr sind! schrie Voltaire wütend. Denn, wenn Sie nicht ein Narr wären, würden Sie einsehen, daß Voltaire, der Kammerherr des Königs, nicht ein Geschäft unternehmen würde, bei welchem er seinen Ruhm und seinen Namen gefährden könnte. Wenn Voltaire ein solches Geschäft macht, so müssen Sie begreifen, daß er dazu autorisiert ist, daß man es ihm erlaubt hat.

Wenn das ist, sagte Hirsch demütig, so bin ich vollkommen beruhigt und ganz bereit, Eurer Exzellenz zu dienen.

Und wenn Sie meine Aufträge pünktlich und gut ausrichten, so können Sie von mir einer bedeutenden Belohnung versichert sein. Und wie? Sind Sie nicht ehrgeizig? Liegt Ihnen nichts an einem Titel?

Gewiß bin ich ehrgeizig, sagte der hocherfreute Jude, gewiß wäre ich glücklich, wenn ich vielleicht den Titel eines königlichen Hofagenten erlangen könnte.

Kaufen Sie mir diese Scheine in Dresden recht wohlfeil ein, und Sie werden diesen schönen Titel haben, sagte der Dichter der Henriade, des Ödipe und so vieler anderer Meisterwerke mit feierlichem Pathos.

Ich werde nicht mehr geben als fünfunddreißig für Hundert.

Und Sie werden mir für achtzehntausend Taler kaufen, mein lieber Hofagent. Das Geschäft ist abgemacht. Es bleibt also nur noch übrig, die Gelder zu zahlen. Bares Geld habe ich nicht; ich werde Ihnen also Wechsel schreiben. Kommen Sie jetzt in mein Arbeitszimmer.

Sie kehrten dahin zurück, und Voltaire warf das Manuskript seiner Geschichte Ludwigs des Vierzehnten auf einen Nebentisch, um seinen Schreibtisch frei zu haben zur Fertigung seiner Schuldscheine und Wechsel.

Da haben Sie drei Wechsel, sagte er dann. Den einen auf Paris, den andern auf Ihren Vater und den dritten auf den Juden Ephraim. Ziehen Sie dieselben ein und bringen Sie mir meine Steuerscheine.

In acht Tagen, Exzellenz, bringe ich sie Ihnen, und Euere Exzellenz werden elftausend Taler daran verdienen.

Voltaires Augen leuchteten vor Vergnügen. Elftausend Taler! sagte er. Das ist für einen armen Dichter, wie ich, der von seinem Kopf und seiner Feder lebt, immerhin schon eine erkleckliche Summe.

Sie werden diese Summe verdienen, sagte Hirsch mit der Feierlichkeit eines Juden, welcher von einem guten Geschäft spricht.

Er wollte sich entfernen und näherte sich schon der Tür. Aber Voltaire eilte ihm nach und packte heftig seinen Arm.

Sie wollen doch nicht gehen, ohne mir Sicherheit gegeben zu haben? sagte er mit drohendem Ton. Sie denken doch nicht, daß Voltaire ein Kretin ist, der für achtzehntausend Taler Wechsel ausstellt, ohne die Valuta gedeckt zu haben?

Euere Exzellenz haben mein Ehrenwort, sagte Hirsch feierlich.

Voltaire lachte laut. Ihr Wort! Das Ehrenwort eines Menschen für achtzehntausend Taler! Mein Lieber, wir leben nicht im Paradiese, sondern in einem christlichen Staate, und Sie müssen das ganz genau wissen, denn Ihre Väter haben dafür gesorgt, daß wir auf diese Weise beglückt sind. Hättet Ihr Juden nicht die Dummheit begangen, Jesus an das Kreuz zu nageln, so wäre er nimmer als der Messias anerkannt worden. Und Sie denken, daß ich einem von den Söhnen dieser Väter trauen soll? Ei, ei, wer bürgt mir dafür, daß Ihr nicht meine Unschuld und mein Menschenvertrauen auch an das Kreuz schlagen und töten würdet, wenn ich wirklich so arglos wäre, Euch ohne Sicherheit meine drei Wechsel anzuvertrauen.

Ich werde Ihnen Sicherheit geben, sagte Hirsch, indem er einige Maroquinkästchen aus der großen Rocktasche seines Kaftans hervorzog. Ja, Sie sollen Sicherheit haben. Ich wußte nicht, daß Euere Exzellenz ein Geschäft mit mir machen wollten. Ich dachte, daß der vornehme Herr Brillanten von mir kaufen wollte, daher ich habe deren mitgebracht. Da sehen Sie, Exzellenz, das sind für zweiundzwanzigtausend Taler Brillanten. Ich lasse Sie Ihnen als Sicherheit. Denn ich, der arme Jude Hirsch, ich fürchte nicht, daß mich der große Dichter Voltaire betrügen wird.

Die Brillanten sind schön, sagte Voltaire, indem er sie mit lüsternen Blicken betrachtete und sie im Lichte funkeln ließ. Die Brillanten sind schön, und wenn Sie meine Aufträge pünktlich und gut ausführen, werde ich Ihnen einige davon abkaufen. So lange bewahre ich sie Ihnen auf.

Er wollte sie in die Schatulle seines Schreibtisches legen, aber plötzlich zuckte seine Hand zurück, und seine Augen hefteten sich mit einem durchbohrenden Blick auf das ruhige Gesicht des Juden.

Wer bürgt mir aber dafür, daß diese Diamanten echt sind? fragte er, und als Hirsch erzürnt und empört über diesen beleidigenden Verdacht die Stirn runzelte und erbleichte, schrie Voltaire wütend: Diese Diamanten sind nicht echt. Ich sehe es an Ihrem Erschrecken. Oh, oh, Sie glaubten, ein Dichter sei ein gutes, leichtgläubiges Geschöpf, das man ohne viele Mühe täuschen könne. Sie glaubten, ein Dichter habe nichts gehört von diesem famosen Herrn von St. Germain, der Glas zu Diamanten schleifen kann und die schönsten Rosetten in seinem Laboratorium kocht. Ja, ja, mein Lieber, ich weiß davon, und dieses Gebräu des Herrn von St. Germain vermag nicht, mich zu täuschen. Diese Diamanten sind falsch, sage ich.

Diese Diamanten sind echt! rief Hirsch empört.

So wollen wir sie von einem christlichen Juwelier prüfen lassen, sagte Voltaire. Tripot, Tripot, laufe schnell hinüber zum Juwelier Herrn Reclam. Du kennst ihn doch? Er wohnt da drüben an der Ecke der Breiten Straße. Bitte ihn, sich auf einen Augenblick zu mir herüber zu bemühen.

Tripot eilte von dannen und kehrte bald mit dem »christlichen Juwelier« zurück. Aber diesmal hatte der kluge Herr Voltaire sich getäuscht, die Diamanten waren echt, und Herr Reclam erklärte, daß sie sehr wohl den Wert von zweiundzwanzigtausend Talern haben möchten.

Voltaire war also zufriedengestellt, und als er allein war, betrachtete er noch lange diese wundervollen Steine, welche mit ihrem Blitzen und Leuchten ihn entzückten und begeisterten.

Welche Frau kann sich rühmen, so kostbares Feuer in ihren Augen zu haben, wie ihr, sagte er lachend, welche Frau kann sagen, daß ihr Farbenspiel viele Tausende wert sei. Wohl schillern sie in allen Farben, diese lieblichen Frauenherzen, aber das gerade ist ihr Verbrechen, während es bei euch eine Tugend ist, ihr schönen Brillanten. Ach, zu denken, daß ihr ein kleines Landgut wert seid, daß man für diese Handvoll flimmernder Kieselsteine sich ganze Säcke voll schöner vollwichtiger Dukaten eintauschen könnte. Wie dumm sind doch die Menschen, und wie klug ist Gott, und wie richtig hat er spekuliert, als er diese Kieselsteine in das Erdreich senkte, diese Kieselsteine, diese Trüffeln für die Menschenschnauze, nach denen sie ebenso eifrig spüren wie die Schweine in Perigord nach den Trüffeln. Geld, Geld, das ist das Zauberwort, welches die Welt beherrscht. Und ich will viel Geld haben, denn ich will die Welt beherrschen, ich will vor keinem Fürsten und keinem Grafen zurücktreten müssen. Ich will meine Seigneurie haben und mein Schloß, meine eigenen reich gallonierten Lakaien und meine eigenen Untertanen. Ich will selber ein grand Seigneur sein, und die Könige und Fürsten sollen zu mir in mein Schloß kommen und in meinem Vorzimmer warten, wie ich in dem ihrigen gewartet habe. Ich will reich werden, reich um aller Menschen Herr zu werden, auch der Dummen! Die Klugen knechte ich durch meinen Geist, die Dummen will ich knechten durch mein Geld! Reich will ich werden, reich, reich! Darum bin ich hier, darum korrigiere ich das Reimgeklingel des Königs, darum lebe ich jetzt als bescheidener Poet und häufe Zins auf Zins, und spare auch meine Pension von fünftausend Talern, und spare meine Wachslichter und meinen Kaffee. Mögen sie mich immerhin einen Geizhals nennen, wenn ich reich bin, werde ich ein Verschwender sein, und die Menschen, welche sich jetzt schon ärgern über meinen Ruhm, sie sollen dann bersten vor Wut über meinen Reichtum.

Ach, ach, es verlohnt sich nicht der Mühe, ein berühmter Dichter zu sein. Zuviel Demütigungen sind an diesen zweideutigen Dichterstand gebunden, diesen Stand, welcher keine Stellung ist und der erniedrigend in den Augen derer, welche eine Stellung haben, dem Neid derjenigen ausgesetzt ist, welche keine haben. Ich meinesteils bin so erschöpft, so matt gehetzt von diesen Unannehmlichkeiten des Dichterstandes, daß ich, um den Verdruß hinwegzuspülen, mir das verschaffen will, was die Canaille eine glänzende Stellung nennt. Ich will mir also so viel Geld als irgend möglich erwerben, dazu alle Ehren, welche mir zukommen, und Freiheit und Ruhm. Und zu allen diesen Dingen verhilft mir der Aufenthalt bei einem König, der wenigstens das Gute besitzt, daß er keine Vorurteile hat, selbst nicht die des Königtums. Ich werde also in diesem Hafen bleiben, zu dem die Stürme, welche mich so lange verzweifelnd umhertrieben, mich endlich geführt haben. Mein Glück soll so lange dauern, als es Gott gefällt Voltaires eigene Worte. Oeuvres LIX, 110..

Er lachte vergnügt und nahm sein großes Notizbuch zur Hand, in welchem er seine Einnahmen und Ausgaben, den Stand seines Vermögens und seiner Kasse verzeichnet hatte. Es machte ihm Freude, von Zeit zu Zeit sich sein Vermögen zu berechnen, und das Wachsen desselben zu beobachten, es erquickte ihn so sehr, seine Einnahmen mit seinen Ausgaben zu vergleichen und zu finden, daß er, indem er die Zinsen seines eigenen Vermögens, von dem er gar nichts verausgabte, zusammenaddierte mit seiner Pension, von der er sehr wenig verausgabte, sich für jeden Tag bloß durch sein Dasein, durch das Zins auf Zins eine ganz hübsche Summe verdiente, während die Ausgaben jedes Tages so gering waren.

Aber diese Ausgaben ärgerten ihn dennoch, und mit finsterm Stirnrunzeln sagte er: Ich werde einige Ersparnisse einführen. Es ist gemein und schmutzig, daß ich das Futter für die Pferde und die Reparaturen an meinem Wagen bezahlen muß. Wenn der König mir eine Equipage hält, so muß er sie auch erhalten, das werde ich ihm sagen. Auch ist der Haushofmeister ein alter Knauserer, welcher mich alle Monate um einige Pfunde Zucker und Kaffee betrügt, dazu ist das Wachslicht auch dünner und schlechter. Ich werde mich über das alles beim König beschweren. Er muß dafür sorgen, daß Ordnung in seinem Hause ist.

Er schloß sein großes Kontobuch wieder fort, und indem er's tat, murmelte er: Wenn ich eine Jahresrente von Hundertfünfzigtausend Franken erreicht habe, werde ich aufhören zu sparen. Die Götter seien gepriesen, dieses Ziel ist bald erreicht!

Aber, fuhr er mit finsterm Sinnen fort, damit ich dieses Ziel erreichen kann, muß ich hier noch einige Zeit zubringen können, muß ich noch mehrere Jahre meine Pension meinem Vermögen hinzufügen. Nichts darf mich daran hindern, und was mich hindern kann, das muß ich beiseite schieben. Was kann mich hindern? Meine sogenannten Freunde, welche natürlich meine ärgsten Feinde sind. Ach, welch eine idyllische Idee von diesem genialen König, sechs Freunde um sich zu versammeln, von denen die meisten sogar außerdem noch Schriftsteller, das heißt natürliche Feinde sind. Denn wenn man auf eine wüste Insel zwei Schriftsteller, oder zwei Frauen, oder zwei Fromme aussetzte, so daß sie ganz allein aufeinander angewiesen wären, so würden sie bald Ränke gegeneinander spinnen. Die Menschenrasse ist einmal so gemacht, und da es einmal so ist, muß man sich so klug und so vorteilhaft als möglich aus der Affäre ziehen Voltaire. Oeuvres, LVIII, 375.. – Man kann auf der Welt nirgends in Frieden leben, am allerwenigsten aber in der Umgebung eines Königs. Denn den Königen geht es wie den Koketten, ihre Blicke machen eifersüchtig, und Friedrich ist eine sehr große Kokette Voltaire. Oeuvres, LVIII, 378.. Ich werde also meine Nebenbuhler aus dem Felde schlagen müssen, um ganz allein mich seiner Gunst zu freuen. Wer sind meine Nebenbuhler, wer ist mir gefährlich? Sie sind es alle, alle, und ich werde sie alle verjagen müssen. Ich werde so viel Zank, so viel Unfrieden, so viel Bosheit und Ärger unter ihnen aussäen, daß sie alle vor Wut und vor Angst fortlaufen und Gott danken, wenn ich ihnen nicht noch die Nasen abbeiße, ehe sie fortkommen. Ich will ihnen das Paradies hier zu einer Hölle machen, und bei Gott, ich will der Teufel sein, welcher sie mit glühenden Zangen zwickt und ihnen einheizt, bis sie davonlaufen. Ja, bis nach Sibirien davonlaufen soll dieser elende, hochbeinige Pfau Maupertuis, er zuerst und vor allen Dingen und ganz besonders, und d'Argens will ich ihm nachschicken, und Algarotti und den superklugen Lord Marshal und alle andern auch. Wo Voltaires Sonne strahlt, da sollen keine andern Sterne leuchten, ich will es nicht, und ich werde ihnen beweisen, daß Voltaires Strahlen sie alle verbrennen!

Er lachte laut und setzte sich mit vergnügtem Antlitz wieder an seinen Schreibtisch, aber diesmal nicht, um an seinem Geschichtswerk weiter zu arbeiten, sondern um ein Gedicht zu schreiben. Denn Voltaire war heute zu einer Soiree der Königin Mutter geladen, und er wollte in derselben als Improvisator glänzen, und mit seiner Improvisation wollte er vor allen Dingen das Herz der Prinzessin Amalie gewinnen. Seit sie die Aurelie in seinem Rome sauvée gespielt, hatte er eine Art Leidenschaft für die Prinzessin gefaßt, welche es so gut verstand, die Glut und die Schmerzen der Liebe darzustellen, und deren große flammende Augen ihm selber wie ein geheimnisvoller Abgrund der Liebe und der Leidenschaft erschienen.

Er hatte der Prinzessin versprochen, über ein von ihr gegebenes Thema zu improvisieren, und um heute abend Improvisator zu sein, war er jetzt Dichter, überzeugt, daß es seiner Klugheit schon gelingen werde den Wunsch der Prinzessin so zu leiten, daß ihre Aufgabe seinem Gedicht entspräche.

Aber in dieser Beschäftigung unterbrach ihn sein Kammerdiener, welcher meldete, daß im großen Salon eine Menge Herren versammelt seien, welche Voltaire ihren Morgenbesuch zu machen wünschten.

Sie mögen warten, schrie Voltaire, wütend, daß das Eintreten des Dieners ihn um einen pikanten Reim gebracht, über den er eben nachgesonnen.

Aber, gnädiger Herr, es sind einige alte Generäle und mehrere Exzellenzen, stammelte der Diener.

Was kümmern mich ihre Generalsepauletten und ihre Exzellenzschaft. Sie mögen warten oder zum Teufel gehen, wie es ihnen beliebt!

Aber die vornehmen Herren warteten wirklich. Sie warteten geduldig, bis der große Voltaire, der Liebling des Königs, die Gnade hatte, zu kommen, bis er in allem Stolz und Hochmut eines französischen Universaldichters unter die armen deutschen Barbaren trat, um auf sie einige Sonnenblicke seines Geistes fallen zu lassen.

Und immer mehr füllte sich sein Salon, immer mehr vornehme Herren, Generale, Grafen und Fürsten kamen, denn Voltaire war erst seit gestern wieder von Potsdam nach Berlin gekommen, und jedermann beeilte sich daher, ihm seine Aufwartung zu machen und sich seiner Huld und Gnade zu empfehlen Formey in seinen Souvenirs d'un citoyen schreibt: Während der Wintermonate, die Voltaire im Schloß zu Berlin wohnte, machte man ihm als einem wichtigen Günstling den Hof. Prinzen, Marschälle, Staatsminister, Gesandte und Herren vom höchsten Range gingen zu seinen Morgen-Audienzen und wurden mit verächtlichem Stolz von ihm empfangen. Ein großer Prinz hatte die Gefälligkeit, mit ihm Schach zu spielen und ihn jedesmal die zwei Louisd'or Einsatz, um welche sie spielten, gewinnen zu lassen. Bisweilen aber verschwanden die Louisd'or schon vor dem Ende der Partie, man suchte sie und fand sie nicht. ( Souvenirs d'un citoyen. I, 238.). Voltaire war heute in der Tat sehr gnädig, denn da er heute abend ein Gedicht improvisieren wollte, so kam es darauf an, sich für diesen Abend alle Welt geneigt zu machen, damit alle Welt ihm entzückt Beifall zujauchze, und Maupertuis dadurch rasend, und d'Argens, Algarotti, La Mettrie und alle andern Freunde des Königs stumm zu machen vor Neid und Bosheit. Während er also jeden beglückte mit einem freundlichen Lächeln, einem seinen und huldvollen Wort, während er unerschöpflich war in Bonmots und pikanten Witzen, näherte sich ihm sein Kammerdiener und flüsterte ihm zu, daß er ihn notwendig auf einen Augenblick sprechen müsse, und daß es eine Sache von großer Wichtigkeit beträfe.

Voltaire wandte sich mit seinem verbindlichsten Lächeln an seine Gesellschaft, und indem er sie bat, seine Rückkehr abzuwarten, begab er sich in das anstoßende Gemach.

Nun, was gibt es Wichtiges, Tripot?

Gnädiger Herr, es ist Hoftrauer, sagte Tripot mit betrübter Miene.

Voltaire sah ihn mit wütenden Blicken an. Narr, was kümmert mich das?

Das kümmert Sie leider sehr viel, gnädiger Herr, denn Euere Exzellenz wollen heute abend in die Soiree der Königin gehen?

Willst du mich zornig machen, Tripot? Was hat die Soiree mit der Hoftrauer zu tun?

Gnädiger Herr, das ist ganz einfach. Bei einer Hoftrauer erscheinen die Herren nicht im gestickten Hofkleid, sondern im einfachen schwarzen Frack.

Oh, ich habe keinen schwarzen Frack, wiederholte Voltaire mit gerunzelter Stirn.

Es wird daher wohl nötig sein, daß Euere Exzellenz sofort sich einen Frack anfertigen lassen, und ich habe bereits nach Monsieur Pilleneuve geschickt, damit er komme und das Maß nehme.

Bist du rasend, Tripot, rief Voltaire auffahrend. Hältst du mich für einen so unsinnigen Verschwender, einen so hirnlosen Narren, daß ich um einer Abendgesellschaft willen mir ein neues Kleidungsstück anschaffen sollte, ein Kleidungsstück, das sehr viel Geld kostet, und das ich nachher in den Schrank hängen und von den Motten fressen lassen kann. Denn in acht Tagen wird diese Hoftrauer zu Ende sein, ich werde dann nur um einige hundert Franken ärmer sein und einen Frack haben, den ich nicht brauchen kann. Ich werde also heute abend die Soiree der Königin nicht besuchen, das ist das Ganze. Ich werde mich krank melden. Bestelle also den Schneider ab.

Er durchschritt das Zimmer, um sich wieder in den Salon zu verfügen, aber plötzlich zuckte er zusammen und blieb stehen. Ich kann heute abend nicht absagen lassen, murmelte er. Man weiß, daß ich heute abend improvisieren will. Alle Welt ist gespannt darauf und man würde, wenn ich nicht komme, oder mich krank melden lasse, glauben, daß ich mich vor der Improvisation scheue. Meine Feinde würden also triumphieren! Tripot, ich muß heute abend durchaus in die Soiree der Königin gehen!

Dann soll also der Schneider kommen und Maß nehmen?

Dummkopf, rief Voltaire, mit dem Fuß stampfend. Habe ich dir nicht gesagt, daß ich kein Geld ausgeben will. Nimm also dein bißchen Verstand zusammen, und ersinne etwas anderes.

Ah Exzellenz, ich wüßte wohl ein Mittel, aus dieser Verlegenheit zu kommen, nur wage ich nicht, es anzubieten.

Wage es immerhin, jedes Mittel ist gut, wenn es zum Zweck führt.

Da drüben unter der Stechbahn wohnt ein Kaufmann Fromery, dessen Bedienter mein sehr guter Freund ist. Ich habe von ihm erfahren, daß sein Herr sich einen sehr schönen schwarzen Frack gekauft hat, und Herr Fromery hat ungefähr die Figur von Euerer Exzellenz.

Ah, ich begreife, rief Voltaire, dessen Gesicht sich aufzuheitern begann. Du meinst, daß du von deinem Freunde den Frack seines Herrn für mich borgen könntest.

Das meine ich, wenn der gnädige Herr es nicht übel nimmt.

Im Gegenteil, dein gnädiger Herr findet, daß du da eine ganz kapitale Idee hast. Geh, mein Freund, geh und verschaffe mir den Frack des Herrn Fromery.

Und Voltaire kehrte zu seinen vornehmen Besuchern zurück, um sie zu entzücken durch seine geistvolle Unterhaltung und seine Medisancen.

Aber als sie sich endlich entfernt hatten, klingelte er hastig nach seinem Kammerdiener.

Nun Tripot, hast du den Frack?

Exzellenz, ich habe ihn.

Voltaire rieb sich die Hände vor Vergnügen. Es scheint, daß das heute ein glücklicher Tag für mich ist, sagte er leise, ich mache vorteilhafte Geschäfte.

Aber es wird nötig sein, daß Euere Gnaden den Frack anprobieren. Er wird vielleicht zu weit sein, Herr Fromery ist, seit ich ihn nicht gesehen, beleibter geworden.

Der Esel, wie kann er sich unterstehen, beleibter zu werden, während Leute von Geist und Berühmtheit, wie ich, alle Tage dünner werden, schrie Voltaire, während er seinen gestickten Rock abwarf und den Frack des Herrn Fromery anzog. Ja, wahrhaftig, er ist viel zu weit für mich. Oh, oh, sollte man das wohl für möglich halten, der Rock eines jammervollen deutschen Krämers ist zu groß für den größten französischen Dichter! Aber das kommt davon, diese deutschen Barbaren denken an nichts als an den Fraß, sie pumpen ihren Leib auf mit gemeiner kompakter Nahrung, und davon wird ihr Leib alle Tage fetter, während ihr Geist alle Tage dürrer wird. Elende Sklaven ihrer Völlerei sind sie, und nichts kann man von ihnen gebrauchen, nicht einmal einen Rock!

Euere Exzellenz glauben also, daß es unmöglich ist, den Frack so anzuziehen?

Ob ich das glaube? Sehe ich nicht darin aus wie der verhungerte Erbe in dem nachgelassenen Rock seines Vetters, des reichen Brauers? Wird man nicht denken, daß ich eine Vogelscheuche bin, mit denen man die Spatzen aus den Erbsen verjagen will?

Eben trat ein Lakai herein und meldete, daß Monsieur Pilleneuve wünsche vorgelassen zu werden.

Mein Gott, ich vergaß den Schneider abzubestellen! rief Tripot entsetzt.

Und das ist dein Glück, sagte Voltaire, sich plötzlich besänftigend. Diesen Schneider sendet Gott, und er wird aller Not ein Ende machen. Der Frack ist durchaus schön und passend, nur ein wenig zu weit. Der Schneider wird ihn also enger machen.

Ah, Euere Gnaden haben da einen herrlichen Einfall. Er wird die Nähte einlegen und morgen wieder auslassen.

Und mir damit einen schlecht sitzenden Frack liefern, rief Voltaire wütend. Er wird das Zeug abschneiden.

Aber dann wird ihn Herr Fromery nicht mehr tragen können, bemerkte Tripot schüchtern.

So wird er erfahren, daß Voltaire ihm die Ehre erzeigt hat, sich einen Frack von ihm zu borgen, und ich denke wohl, daß das eine genügende Entschädigung ist für einen verschnittenen Frack! Laß den Schneider kommen!

Dank der Geschicklichkeit des Herrn Pilleneuve konnte Voltaire am Abend mit einem sehr gut sitzenden und ganz seiner magern Figur anpassenden Frack in der Soiree der Königin Mutter erscheinen, und niemand ahnte, daß das Trauerkleid des berühmten französischen Dichters dem Krämer Fromery, und die große Brillantagraffe in seinem Spitzen-Chabot und die vier Brillantringe an seiner Hand dem Juden Hirsch gehörten.

Aber glänzender noch als die Brillanten sprühten heute abend seine Augen, feuriger noch waren die Blicke, welche er auf die Prinzessin Amalie heftete, deren bleiche und ernste Schönheit ihn zu immer neuen Witzraketen, zu immer neuen Lobhymnen begeisterte.

Niemand wagte es, diese leidenschaftliche Huldigung, welche Voltaire der Prinzessin darbrachte, unpassend zu finden. Voltaire war nicht bloß der berühmteste Mann seines Jahrhunderts, und dadurch vielleicht berechtigt, selbst einer Prinzessin seine Huldigung darzubringen, Voltaire war der Liebling des Königs, und ihm konnte daher erlaubt sein, was niemand sonst wagen durfte.

Aber doch gab es einen, welcher diese Sprache der Bewunderung, die Voltaire sich heute erlaubte, zu kühn fand, und dieser eine war der König!

Er war eben geräuschlos und unangemeldet, wie er das zu tun pflegte, in den Salon seiner Mutter gekommen und sah mit einem leisen, spöttischen Lächeln zu, wie sich alles um Voltaire drängte, wie jedermann sich beeiferte, ihm sein Entzücken auszudrücken über das eben improvisierte Gedicht und ihn um die Gunst anzuflehen, dasselbe noch einmal zu wiederholen.

Aber wie kann ich wiederholen, was ich selbst nicht mehr weiß, sagte Voltaire. Ein Engel ist an mir vorübergerauscht und hat mit seinen Blicken mir Worte zugeflüstert, die meine entzückten Lippen wie in einer Halluzination gesprochen haben.

Die Nachwelt wird das zu beklagen haben, denn sie wird dadurch um eins Ihrer herrlichen Gedichte betrogen sein, sagte Prinzessin Amalie, welche sehr wohl das Eintreten des Königs bemerkt hatte, und fühlend, daß seine Blicke auf ihr ruhten, sich gleich den übrigen seinem geliebten Günstlinge freundlich bezeigen wollte.

Wenn Euere königliche Hoheit das finden, so werde ich das Gedicht, welches ich eben sprechen wollte, für dieselbe aufschreiben, sagte Voltaire, indem er von dem Spieltisch, an welchem die Königinnen vorher gespielt hatten, den Bleistift und eine der weißen Karten nahm, welche da zum Notieren der Points hingelegt waren.

Er schrieb mit hastiger Hand und überreichte dann mit einer tiefen Verbeugung die Karte.

Der König, welcher immer noch ein schweigender Beobachter dieser Szene geblieben war, sah, wie Prinzessin Amalie, während sie las, errötete und wie sich ihre Stirn bewölkte.

Lassen Sie mich doch dieses schöne Gedicht unsers großen Dichters auch lesen, meine Schwester, sagte der König, indem er näher trat und die Gesellschaft mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßte.

Prinzessin Amalie reichte ihm die Karte dar, und während der König las, standen alle in ehrfurchtsvollem Schweigen da.

Das Gedicht ist sublim, sagte der König lächelnd, als er zu Ende gelesen, und er bemerkte sehr wohl, wie sich der Prinzessin Stirn noch mehr umdüsterte, wie Voltaire hochaufatmete, als sei er von einer drückenden Angst befreit. In der Tat, fuhr der König fort, dies kleine Poem ist so reizend, daß Sie mir schon erlauben müssen, es mir abzuschreiben, meine Schwester. Fahren Sie immerhin fort in Ihren Gesprächen, es stört mich nicht.

Das war eine Bitte, welche von den Lippen eines Königs ein Befehl ist. Man beeiferte sich daher, eine möglichst lebhafte und animierte Konversation zu führen und unbefangen und heiter zu scheinen, während man sehr wohl sah, daß da etwas Ungewöhnliches und Seltsames sich begebe.

Der König hatte sich an den Spieltisch gesetzt und überlas jetzt noch einmal das Gedicht Voltaires, welches so lautete:

Souvent un peu de vérité
Se mêle au plus grossier mensonge;
Cette nuit, dans l'erreur d'un songe
Au rang des rois j'étais monté.
Je vous aimais alors, et j'osais vous le dire.
Les Dieux à mon reveil ne m'ont pas tout ôté,
Je n'ai perdu que mon empire.

(Oft mischt ein bißchen Wahrheit sich
Selbst zu der Lüge noch der groben;
So sah heut' nacht im Traum ich mich
Zu eines Königs Macht erhoben;
Da liebt' ich glühend Sie und wagte es zu sagen.
Die Götter nahmen mir, als ich erwacht, nicht alles,
Nur meine Herrschaft hatt' ich zu beklagen.)

Unverschämt! murmelte der König, und sein zürnender Blick flog hinüber zu Voltaire, der da neben der Königin stand und sich lebhaft mit ihr unterhielt. Wir werden seinen Übermut ein wenig dämpfen müssen, fuhr Friedrich lächelnd fort, indem er eine Karte nahm und rasch zu schreiben begann.

Wahrlich, in diesem Moment hätte sogar der strenge Herr Voltaire zufrieden sein müssen mit seinem königlichen Schüler, denn diesmal machten die Reime ihm gar keine Schwierigkeiten. Nicht einen Augenblick stockte der Crayon, und kein Fuß war zu lang, kein Reim hinderlich.

Als der König sein Gedicht vollendet hatte, steckte er die von Voltaire beschriebene Karte in seinen Busen und näherte sich mit der andern wieder der Prinzessin.

Wirklich, das Gedicht ist pikant, meine Schwester, sagte der König, Amalien die Karte darreichend. Lesen Sie es noch einmal leise, und dann bitten Sie Voltaire, es der Gesellschaft vorzutragen.

Die Prinzessin blickte den König befremdet an. Als sie dann aber las, erhellte sich ihr schönes melancholisches Angesicht zu einem sanften Lächeln, und dem König freundlich zunickend, sagte sie leise:

Ich danke Ihnen, mein Bruder!

Geben Sie nun die Karte an Voltaire, und bitten Sie ihn, zu lesen, sagte der König.

Voltaire nahm mit einer tiefen Verbeugung die Karte, welche die Prinzessin ihm darreichte. Aber als er seine Augen auf dieselbe heftete, lächelte er nicht, wie die Prinzessin, sondern er erblaßte und preßte wütend die Lippen aufeinander.

Lesen Sie doch, sagte der König.

Sire, ich bitte um Gnade, rief Voltaire, welcher schnell seine Fassung wieder gewonnen hatte. Das kleine Gedicht, welches ich da gemacht, ist schlecht und gar nicht der erhabenen Prinzessin würdig, an die ich es zu richten wagte. Aber Euere Majestät müssen gnädigst bedenken, daß der Moment es geboren hatte und also auch nur der Moment ihm seinen Wert verlieh. Wie ich es eben wieder las, fand ich, daß es fade, matt und trivial ist, und Euere Majestät werden daher nicht so grausam sein, mich dazu zu verurteilen, dieses Gedicht vorzulesen, welches ich jetzt schlecht und verdammungswürdig finde.

Oh, le coquin! murmelte der König, während Voltaire mit einer tiefen und ehrfurchtsvollen Verneigung die Karte in seine Rocktasche gleiten ließ.

Als die Soiree beendet war und Voltaire in seine Gemächer zurückkehrte, schwand der freundliche Ausdruck, den er bis jetzt so mühsam bewahrt, aus seinen Zügen, und seine Lippen, welche bis dahin so freundlich gelächelt, murmelten jetzt Worte der Verwünschung und des Zorns. Während er sonst noch mit Tripot zu plaudern pflegte, befahl er ihm jetzt, den silbernen Armleuchter auf seinen Schreibtisch zu setzen und sich still zu entfernen.

Dann, als er allein war, zog er hastig die Karte hervor, und gleichsam, um sich zu überzeugen, daß das, was er da sah, wirklich Wahrheit und kein Traum sei, las er mit lauter, bald vor Wut zitternder Stimme:

On remarque pour l'ordinaire
Qu'un songe est analogue à notre caractère.
Un héros peut rêver, qu'il a passé le Rhin,
Un chien, qu'il aboie à la lune;
Un joueur, qu'il a fait fortune,
Un voleur, qu'il a fait butin.
Mais que Voltaire, à l'aide d'un mensonge,
Ose se croire roi, lui, qui n'est qu'un faquin,
Ma foi! c'est abuser du songe.

(Ganz ohne Grund ist die Bemerkung nicht,
Daß dem Charakter auch der Traum entspricht.
Ein Held kann träumen, daß den Rhein er überschreitet,
Ein Hund, daß er zum Monde aufwärts bellt,
Ein Spieler, daß er sich gewinnt viel Geld,
Ein Räuber, daß er Schätze sich erbeutet.
Daß Voltaire aber mittelst einer Lüge
Sich träumt als König, dieser eitle Geck,
Bei Gott! der Traum verdient wohl eine Rüge.)

Ah, ich bin also schon ein faquin! sagte Voltaire ingrimmig. So weit haben es meine Feinde also schon gebracht, daß der, den man vor einigen Wochen noch den Weisen seines Jahrhunderts, den Virgil Frankreichs nannte, jetzt weiter nichts ist als ein faquin! Aber diesmal habe ich die Zurechtweisung verdient, und das gerade vermehrt noch meinen Zorn. Denn es zeigt mir, daß ich noch immer ein Stümper und ein gutmütiger Narr bin. Warum war ich so wahnsinnig, diesen feierlichen Protestationen des Königs zu glauben, daß er sich niemals überheben, niemals mich den Herrn fühlen lassen werde. Kaum wage ich es, mich ihm gleichzustellen, so schwingt er schon die Zuchtrute, um den Sklaven in den Staub zu beugen. Aber Voltaire ist nicht der Mann, der sich beugen läßt, und es wird ein Tag kommen, wo ich ihm den Ärger dieses Abends mit reichlichen Zinsen zurückgebe. – Aber jetzt ist es für heute genug des Ärgers und der Aufregung. Ich will schlafen, und vielleicht entführt mich mein Traum von diesen kalten erbärmlichen Ufern der Spree nach meinem schönen und glänzenden Paris!

Er rief Tripot und befahl ihm, hinüberzugehen zu den Zimmern des Königs, um Fredersdorf zu melden, daß Voltaire sich sehr leidend fühle und nicht imstande sei, den König mit seinem Gefolge morgen früh nach Potsdam zu begleiten, sondern um Entschuldigung bitten lasse.

Dann begab er sich zur Ruhe, und die Götter erhörten vielleicht sein Gebet und ließen ihn im Traume dieses schöne Paris sehen, wo die Marquise von Pompadour herrschte und die frommen Priester gegen den Atheisten Voltaire predigten, dem der großmütige König von Preußen ein Asyl gegeben. – Vielleicht auch sah er im Traum die Seigneurie seiner Zukunft, sein schönes Schloß Ferney am Genfer See, wo der Atheist Voltaire einen Tempel bauen ließ und ihn mit der stolzen Inschrift schmückte: Deo erexit Voltaire.

Jedenfalls mußten es doch schöne und erquickende Träume sein, welche ihn umgaukelten, denn Voltaire lächelte im Schlafe, und sein Gesicht, welches wachend so oft von kleinlichen und boshaften Leidenschaften entstellt ward, war jetzt von einer klaren und heitern Schönheit, es war das Antlitz eines Dichters, welcher mit geschlossenen Augen in den heitern Himmel schaut.

Der Morgen kam und Voltaire schlief immer noch; selbst das Geräusch der im Schloßhof auffahrenden Equipagen und dann später ihr rasches Davonrollen erweckte ihn nur einen Augenblick. Er hüllte sich nur fester in sein warmes Lager, die weichen Eiderdaunen seines Kopfkissens schlugen über seinem Haupte zusammen und machten es ganz unsichtbar, und hielten jedes Geräusch von ihm fern, damit sein Schlaf durch kein Geräusch mehr gestört werde.

Tripot kam leise auf den Zehen hereingeschlichen und nahm den schwarzen Frack, um ihn wieder hinüberzutragen zu seinem Freunde, dem Bedienten des Herrn Fromery, damit er diese Duodezausgabe des gestrigen prachtvollen und großen Fracks wieder unbemerkt in seines Herrn Kleiderschrank hängen möge, – Voltaire hörte nichts, er schlief ruhig weiter.

Er schlief ruhig weiter, selbst als die Tür jetzt mit Geräusch geöffnet ward und ein junges Frauenzimmer mit frischen roten Wangen und hellen Augen in sein Zimmer trat. Sie trug die einfache Kleidung der Schloßdienerinnen; ein zierliches weißes Häubchen verbarg ihr Haar, das vorn gescheitelt ihre Stirn umgab, eine weiße Schürze mit einem großen Busenlatz war schonend über das einfache gestreifte Wollenkleid gelegt. Auf ihrem vollen bloßen Arm trug sie einen Haufen Linnenzeug, Bettücher und Bezüge, die sie jetzt achtlos auf den Boden warf und sich mit raschen Schritten dem Bett Voltaires näherte, das, gleich den Staatsbetten der großen Könige, nicht an die Wand, sondern frei in das Zimmer hineingestellt war.

Voltaire schlief noch immer; das weiche Kopfkissen war so dicht über seinem Haupte zusammengeschlagen, daß er nichts hören, und das Mädchen ihn gar nicht sehen konnte.

Sie war ganz arglos und unbefangen, die junge Verwalterin der königlichen Betten, sie glaubte ganz einfach, daß Herr von Voltaire, gleich den übrigen Herren, mit dem König nach Potsdam gefahren sei, und sie kam, um in diesem Zimmer zu tun, was sie in allen Zimmern getan, nämlich die Bettlaken abzunehmen.

Mit raschem Griff faßten ihre kräftigen beiden Hände das unter dem Oberbett hervorschauende Bettuch, mit einem gewaltigen Ruck schnellte sie es empor; da ertönte ein lauter Schrei, und eine weiße Gestalt flog, aus dem Bett emporgeschnellt, mitten in das Zimmer hinein, wo sie mit wilden Flüchen und drohend geballten Fäusten sich auf dem Teppich wälzte.

Die Wäscherin stieß einen gellenden Angstschrei aus und entfloh entsetzt aus dem Zimmer, und wäre die Gestalt und die Schlafmütze nicht von lichtem Weiß gewesen, so würde sie geschworen haben, daß es der Teufel in Person gewesen, welcher sich aus dem Bett des großen französischen Dichters hervorgewälzt habe Thiébault. V, 281..


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