Hans Morgenthaler
Matahari
Hans Morgenthaler

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Walddorfwunder.

Immer wieder öffnete sich mir das Tor in die lichte Welt des Dschungels, wo ich, von der Enge des Kontors befreit, aufzuatmen vermochte; immer wieder fand ich einen Ausweg dahin, wo von der zappligen Hast des Erwerbes nichts mehr zu spüren und der Millimeter geschäftiger Spitzfindigkeit vollständig aus war.

Auch in Siam spielt der Gegensatz zwischen Stadt und Land eine wichtige Rolle. Allen Oberflächlichen ist diese der Sitz des Schönen, Reichen und Angenehmen, während die Provinz mit ihrem Einton der Lebensführung und der Rauheit des täglichen Erwerbes niedrig steht in der Gunst auch der Siamesen.

Vielleicht wird dabei noch mehr als bei uns äusserlicher Prunk und Putz für bare Münze genommen.

Ich rechnete es daher Aris in seinem seelischen Guthaben bei mir hoch an, dass er verstand, dass die Stadt nicht ganz wahr sei. «Ich habe Bangkok nicht gern!» sagte er oft zu mir, aber den genauen Grund für seine Abneigung gegen Bangkok habe ich nie herausgebracht. Ich weiss nicht, was für ein furchtbares Erlebnis, das er dort hatte, ihm nicht mehr aus der Erinnerung wollte.

Er war deswegen aber gar nicht etwa ein scheuer Einsiedlermensch, im Gegenteil. Seiner Liebe erfreuten sich die kleinen Dörfer.

Hollukki hatte es in dieser Beziehung gerade umgekehrt. Wenn der nur immer im Gewimmel seiner Chinesenbrüder untergehen konnte!

90 Manchmal sah ich ihn versonnen, den Hut im Genick, in gelben Seidenhosen den Verkaufsläden seiner Landsleute entlang bummeln, als wäre der ewige Sonntag angebrochen und jede Arbeit für immer vorbei.

Und wenn er mich da etwa zufällig erblickte, wenn ich im Auto oder in der Riksha vorüberfuhr, dann grüsste er höflich und fein, ich lachte ihm leise zu, er lächelte wieder, und dann wussten wir beide, dass wir für den Augenblick den Dschungel und unser hartes Leben vollständig vergessen hatten.

Alle meine verschiedenen Aufenthalte in Bangkok zusammengerechnet, wohnte ich mehrere Wochen lang in Siams Hauptstadt – – ganz zu hinterst im Chinesenviertel, wo die Häuser und Hütten, die Lagerschuppen, Boote und Flosse in winkligen Pfahlbaugässchen und Kanälchen sich zu tausenden drängen.

Zu allen Tages- und Nachtzeiten bin ich im Auto, in der vom Kuli gezogenen Riksha, zu Fuss oder auf allen Sorten von Schiffchen durch die engen Weglein gekommen, wo es von Leben wie in einem Ameisenbau wimmelte, manchmal spät in der Nacht vom europäischen Hotel heimkehrend, ganz allein in den schattigen, von letzten, geheimnisvoll davonhuschenden Gestalten belebten Gässchen.

Doch wichtiger waren die Fahrten bei Tag. Immer wieder führten mich diese durch das Alteisengässchen, das ich aus Zweckmässigkeitsgründen so taufte – – weil dort ganze Reihen von Gerümpelbuden standen.

Wenn ich da hinabfuhr, lehnte ich allemal ganz tief 91 in eine Ecke der Riksha zurück und blinzelte in alle Hütten hinein, wo aus Haufen alten Rostes chinesische Madonnagesichter klug hervorblickten, selbst in der Gebücktheit des Alters noch viel Freiheit zu spüren war, und wo splitternackte, gelbe Chineslein zwischen Scherben und Abfall willig und in ahnungsloser Unschuld ihre ersten Verpflichtungen dem Leben gegenüber erfüllten.

Schöne Chinesenjünglinge in blauen oder schwarzen Hosen – sonst nichts an – am Mittag ihres Lebens stehend, den Rücken und Bauch voll Kraft, helläugige Arbeiter werkten zu Legionen, Lastträger, Ruderstangenschaber, Segelnäher, Kübelmacher, Zimmermannen mit ihren reinlichen Berufen, oder, lärmiger und weniger edel beschäftigt solche, die aus der Ausglättung von alten Wellblechrunzeln sich ein genügend einträgliches Handwerk zu machen verstanden. Hunderttausende von emsigen Armen und Beinen arbeiteten, schleppten, klopften, liefen, hämmerten, schmiedeten da Tag um Tag im Wettstreit miteinander am Wohl ihrer selbst und der ganzen Menschheit.

Lange Läden- und Werkstatt-Reihen wuchsen von einem meiner Besuche in der Stadt bis zum nächsten aus dem Boden heraus, Zeugen von Wohlstand und Glück. So viele Menschen da waren, jeder hatte Erfolg.

Sehr wohltuend war es für mich, zu sehen, wie die Frauen mitmachten. Strahlend, hell und gesund geht Frau Dawkay wie eine Sonne im Haus auf und ab, schafft mit, lacht schnell da in die Arbeit hinein, gibt rasch dort einen guten Rat, und die chinesische 92 Hausfrau in der straffen Schönheit ihrer einfachen Kleidung schien mir oft wie eine Garantie für gutes Gelingen.

Die Chinesin ist mir das «Weib»! Nie sah ich so die «Familie», nie so «Mutter und Kind». Ja Seng, ja Tschong Sih, dachte ich etwa, ich ahne, warum du so froh bist.

Und ich kann mir kein glücklicheres, harmonischeres Bild menschlicher Gemeinschaft denken, keines, das besser einen Aufstieg und eine Zukunft des Menschentums zeigt, als so ein Arbeitstag im rostigen Paradies, wie ich bald die ganze spinnwebige Gegend rings um das Alteisengässlein benannte.

Hier in dieser Zusammengepferchtheit, wo die Menschenleben dicht wie sonst nirgends gesät sind, hatte ich manchmal das Gefühl:

Hu, wie viel Leute es doch gibt! Wieviel Tausende, die ohne grössere Mission durchs Leben gehen müssen! Der Herrgott, der über dieses Menschenheer wacht, muss eine reine Buchführung haben, oder aber, es kann ihm unmöglich viel drangelegen sein, ob einer mehr oder weniger sei, lebe oder verdirbt!

Solche Gedanken machten mich manchmal sehr frei!

Umgekehrt hatte ich nie deutlicher die Überzeugung, jemand zu sein und über dem Durchschnitt meiner Umgebung zu stehen, als hier. Ohne dass ich mir darauf zu viel einbildete. Unbehaglich herausragend kam ich mir vor, als ob ich Anstoss, Widerwillen und Neid erregen, oder lächerlich wie eine Gans im Hühnerhof wirken müsste.

Arbeit ist zum Leben nötig! dachte ich auch. Aber 93 nicht verzappelte, nerventötende, weil sinn- und zwecklose Arbeit.

Denn eben so vielsagend waren mir die Bilder, die ich abends sah, da die Tore der Werkstätten sich schlossen, da chinesische Papas den Jüngsten auf dem Arm, nackt an nackt herumgingen, deutlich den Ausdruck vollkommener Zufriedenheit im Gesicht.

Wenn die Kuli zu Fressgemeinschaften sich um den Reiskessel lagerten, die stählernen Leiber frisch gebadet, und chinesische Musik in ihrer verschwommenen Sonnigkeit so abgewandt und erhaben über jedes Übel und alles Leid vom Menam, der heiligen Mutter der Gewässer, herflutete. – – –.

Ich kann heute noch chinesische Doppelsaitengeigenweisen pfeifen und tue das jedesmal dann, wenn meine Gedanken zurückkehren nach Bangkok (es ist immer ein ungemütliches Zeichen), wenn wieder die Erinnerung an jene Abende in mir wach wird, da ich eine Stadt sah, die keine Stadt ist, wo trotz scheinbar verzweifelter Übervölkerung doch die soziale Frage gelöst ist, wo die Nachteile unserer Städte fehlen, ja Vorteile werden und in wundervoller Harmonie zu fast wunschloser Glückseligkeit des Stadtganzen führen.

Von all diesen schönen Erlebnissen weiss ich erst seit kurzem, seit ich wieder im armen, verängstigten Europa bin. Zu Bangkok beginne ich überhaupt erst jetzt in ein klares Verhältnis zu kommen. Wie in allen grossen Städten verlor ich mich dort, nahm Zufälligkeiten für Ernst, konnte den Anschluss an das 94 Wesentliche nie finden, während in den Dörfern draussen das Leben mich viel rascher aufnahm und dem Wichtigen zutrug, weil da der Umgang und Verkehr mit jedermann, vom Dorfobmann bis zum einfachen Landarbeiter hinunter, unvermeidlich oder sogar nötig wurde.

*

An Abenden, die ich während der Reise in Dörfern oder einsamen Weilern verbrachte, trat mit dienerhafter Regelmässigkeit nach dem Essen Aris erwartungsvoll fragend vor mich:

«Tuan, willst du noch ein Spaziergänglein machen?»

Er hatte bald gemerkt, wie gern ich in seiner Begleitung, von Hütte zu Hütte plaudernd, mich umsehen ging.

Wir fanden immer rasch das Sehenswerteste, die stillen, oft ganz in Bäumen verborgenen Tempel mit ihren schnörkligen Verzierungen und den hartgesichtigen, gelben Figuren der Priester drunter, den Markt, kluge Leute, die uns von Erzlagern in der Umgebung zu berichten wussten, oder deren freundschaftliche Gesinnung uns sonstwie von Nutzen werden mochte.

Geduldig wartete Aris halbstundenlang, wenn sein Herr ihm unbegreiflich, aber doch sicher in irgend einer wichtigen Angelegenheit mit einer der rotgoldigen Buddhastatuen im Tempel stumme Zwiesprache hielt. Er, als Mohammedaner, den ein Buddha nichts angeht, wusste zwar, dass auch unser europäische Herrgott nicht dieser 95 da sei, dem der Tuan oft so verliebt nachlief, aber er hatte sich längst daran gewöhnt, in mir den «Tuan pandei – den weisen Herrn» zu sehen, dem man ruhig seine Schrullen lassen konnte.

Immerhin ging es jedesmal wie erlösendes Wetterleuchten über sein dunkles Gesicht, wenn der Tempel und die geschäftlichen Unterredungen beendigt waren, und er es endlich wagen durfte, auch seinerseits einen Vorschlag zu machen (immer den gleichen): «Tuan, ich weiss eine wunderbare Frau; willst du sie sehen – – – !?» Und dabei war sein Vorrat an liebenswürdigen Kosenamen für seine Schönen unerschöpflich:

«Sie hat eine Haut, weich wie ein Reh, sie hat Brüste wie Milchküchlein – – –»

oder umgekehrt, warnend und entrüstet:

«Tida bai – Die ist nicht gut, dürr und hart – – – !»

Alle Leute machten sich eine angenehme Pflicht daraus, mich in jene Häuser zu führen, wo junge, hübsche Mädchen wohnten. Das ist sozusagen asiatischer Anstand dem fremden Herrn gegenüber.

Oft empfing ich Besuch bei mir. Manch eine, vielleicht um das Wohl ihres Kindes allzusehr besorgte dunkelhäutige (oder auch gelbe!) Mutter kam, mir ihr Töchterlein zeigen, trat mit einem anmutigen Knix bei mir ein, die Hände wie im Gebet mit den Flächen aneinandergelegt und graziös in Gesichtshöhe erhoben: «Nai Hang sa bai – Herr, wie geht's?»

Sie tat das meistens mit einer so natürlichen Ergebenheit, dass das Gefühl von Unterwürfigkeit dabei gar nicht 96 aufkam. Braune bezeigen dem Herrn ihre Ehrfurcht, nicht weil sie Angst vor ihm haben, wohl aber im Gedanken: wenn wir ihm ergeben begegnen, wird er gut mit uns sein.

Zu allen Stunden suchten mich die Leute auf, und nur die Essenszeit war ihnen heilig. Nie hätte jemand es gewagt, mich anzureden, wenn ich beim Mahl sass. Gerade die Frauen nahmen das sehr genau. Wenn eine Besucherin zu früh kam, und es hiess: der Herr isst! dann höckelte sie sehr bescheiden und klein in eine Ecke. Essen – – o wundervolle Lebensauffassung! ist bei diesen Leuten eine Art Opfer, seiner Heiligkeit dem Leib dargebracht. «Kin kau leeeee-u? – Hast du deinen Reis schon gegessen?» ist der siamesische Fragegruss des morgens, mittags, abends und immer.

In abgelegenen Dörfern gab es Leute, die absichtlich jedesmal um die Essenszeit in mein Haus kamen, das billige Schauspiel wortlos und mit Behagen, manchmal auch mit stillem Grausen geniessend, weil sie nicht begreifen konnten, dass ein Mensch auch von etwas anderem leben könne als nur grad von Reis und Pfefferschoten. Selten wagte eine Frau mehr als mit den Augen zu reden. Am kühnsten waren auch in Siam, wie übrigens ja auf der ganzen Erde, die Grossmütter. Sie dürfen sich auch dort mehr erlauben als junge Mädchen. Von welchem Recht sie manchmal gern Gebrauch gemacht hätten.

Ich musste immer von der Hauptstadt erzählen. Ein so strahlender, weisser Herr konnte nur in Bangkok zu Hause sein, schien es den Leuten, etwa in einem Palast, 97 und gewiss würde er viel Wunderbares zu berichten wissen. Aber nicht von meinen obenerwähnten Entdeckungen und Beobachtungen, sondern von harmloseren Dingen musste ich den Wald- und Dorfsiamesen erzählen: Von den Tempeln, vom elektrischen Tram, von den grossen prunkhaften europäischen Läden und vom Königspalast mit den weissen Elefanten. Etwas anderes, das ihnen immer viel zu denken gab, war mein Zivilstand. Wie viel Frauen ich hätte, fragten sie mit erwartungsvollem Gesicht, in das die Antwort: Wohl etwa zehn! schon deutlich eingeschnitten erschien. Und wenn ich mir dann so einer braunen, runzligen Grossmutter gegenüber ein bischen aufzuschneiden erlaubte und ihr von meinen zwei Dutzend Frauen erzählte und von meinen einundfünfzig Söhnen und Töchtern, dann passte das ungefähr zu dem, was von einem Bangkok'schen Prinzen zu erwarten war und erhob mich zu höchstem Ansehen in ihren Augen. –

Während ich anfänglich in Siam immer gleich ins Innere rannte auf meine Forschungsreisen, hatte ich später gelernt, wie nützlich es sei, zuerst mit den Dorfleuten zu reden und alles genau zu überlegen, bevor ich in den Wald ging.

Derartigen vorbereitenden Arbeiten wurden deshalb je und je ein paar Tage gewidmet. Und Aris verstand es ausgezeichnet, die geeigneten Gastgeber für mich ausfindig zu machen, meist einfache, aber landeskundige Leute. Besuche wurden empfangen, Erkundigungen eingezogen, und ohne dass ich mich selber viel umtat, 98 erfuhr ich über Aris weg mehr von dem wertvollen Land in der Nähe, als wenn ich, wie die andern Weissen, grossartig beim Gouverneur eingekehrt wäre. Und zudem war ich ganz unauffällig da, gleichsam ohne meinem Aufenthalt viel Wichtigkeit beizumessen, was in Minengegenden, wo alle Leute längere Ohren haben als anderswo, noch von besonderem Vorteil war.

Das waren von den heiligsten Stunden, die ich in Siam verbrachte, auf Besuch im einfachen Haus bei wackern Landleuten.

Zu sehen wie gut, wie freundlich und glücklich es in solchen Hütten zuging, wo ungeschriebene Gesetze gehalten wurden und bei lustigen Gesprächen viel natürlicher Anstand und Mutterwitz zum Ausdruck kam. Wo so sehr im Widerspruch mit meinen Erwartungen alles viel ordentlicher, adeliger und gesunder zuging, als ich je gewagt hätte, mir vorzustellen.

Ich muss das immer wieder feststellen, und wenn ich mir in den Augen meiner Mitmenschen in mächtigen Spatenstichen den letzten festen Grund und Boden abgrabe.

Es ist nicht das tierische Gebot: Mensch gehe unter Wilden wohnen! wohl aber das Überzeugtsein von der Güte, weil Echtheit alles Geschauten in solchen Siamesendörfern. Ich weiss dort, so wie ich die Dinge sehe, sind sie.

Ich möchte natürlich dabei keineswegs bestreiten, dass es nicht auch Edleres gebe als diese Kinderunschuld des Ostens und stehe sofort dazu, dass eine jener geistig-feinsinnigen Freundschaften, wie sie hier vorkommen, höher zu bewerten sei. Aber da leider alles Geistige 99 und Seelische in unserm Leben der Zeit nach gemessen so kurz ist, wie die Sonntage im langen Lauf des Jahres, und da ihm überdies, wie mir scheint, fast immer etwas von Unwahrscheinlichkeit anhaftet, bemächtigt sich meiner bei allem Schönen, das mir in der unnatürlichen Welt «Europa» begegnet, das mehr oder weniger bestimmte Gefühl: «Achtung, zu schön, um wahrhaftig und lebenskräftig zu sein!»

Vielleicht rührt das daher, weil oftmals gerade den zartesten Freundschaften und feinstgesponnenen Beziehungen mit Nebenmenschen das Lebensflämmlein leise, aber plötzlich ausgeht, wie etwa einer tuberkulösen Frau, von der ein dumm-grausames Geschick verlangt, dass sie Kinder gebäre. –

Es gibt auch in Siam solche Ehrenmännerfamilien, wo ein währschafter Name sich durch Generationen bewahrt, eine Art Würde, die weder äusserlichen Titeln noch Reichtum entspricht, sondern aus dem Grund des Menschen selbst ihren Ursprung nimmt. Die Tage, die ich in siamesischen Dörfern zubrachte, waren mir voll festlicher Erkenntnis, da ich Stimmungen und Abhandlungen niederschreiben wollte wie: «Wir Menschen und das Glück», «Das Paradies» usw.

*

Ich muss immer wieder an jene seligen Zeiten zurückdenken, die ich (um nur einen zu nennen) im Hause des P'hu yai Ming verbrachte. Ming war Dorfarzt, 100 siamesischer Wunderdoktor von Beruf und rein menschlich betrachtet war er der Vater Muans. Muan sang, wenn sie nur reden wollte.

Eines Mitternachts erreichten wir im Motorboot K., einen Provinzhauptort, wo ich mich einige Tage aufhalten wollte, um Erkundigungen einzuziehen und einen Vorstoss in die Gegend vorzubereiten.

Man führte mich (ich weiss nicht wer) in das Haus eines Chinesen (ich verstand nie, wie dieser zu der Ehre kam), ich kletterte eine kurze Hühnerleiter hinauf, über ein als Türe vorgestelltes Stück Wellblech, eine Familie schob beim trüben Schein einer Lampe ihre leichten Strohmattenbetten beiseite, Aris sagte: hier ist's gut, und ich war da.

Das Dorf K. war berühmt für seine handgewobene Seidentücher, und auf der Suche nach solchen kam ich eines Tages zufällig in den Bereich Mings und Muans.

Als ich in Begleitung Aris's Muan meinen ersten Besuch machte, lag schnarchend ein robuster Kerl auf ihrem Hausvorplatz, dem ich sofort ohne weiteres jede Krafttat zugetraut hätte. Aber es stellte sich bald heraus, dass er bedeutend harmloser sei, als er aussah.

Dann fragte Aris wegen Tüchern, aber Muan lachte, sie habe nur ein schönes P'ha nong und das könne der Herr nicht gut mitnehmen, da sie es grad anhabe. Alle andern Tücher seien abgetragen. Die könne ich mitnehmen, wenn ich wünsche. Aber ich wünschte nicht, sondern sagte etwas beklommen, weil Muan so schön war, zu Aris: Gehn wir! und als dieser über den raschen 101 Aufbruch unwillig wurde, erklärte ich einfach: Wenn ich Tuch kaufen will, dann will ich nur schönes Tuch kaufen!

Abends kam ich wieder. Jetzt war Muan nicht allein, sondern ihr Vater Ming und Meh Piu, ihre Mutter, beides ältere Leute, sassen ernst und ehrwürdig da, und ich kam mir vor wie einer, der kommt, trotzdem er weiss, dass er nicht kommen soll.

Steig herauf! sagte der Vater, und ich erkletterte die Leiter. Oft bittet man Fremde höflich ins Haus, obschon man sie eigentlich wegweisen möchte.

Es war mir peinlich. Niemand sprach, und doch schien mir, jedes musste wissen, warum ich kam. Endlich sagte Aris: Des Tuches wegen! – – Weil Muan so schön ist, musste ich immerzu denken.

Ming und seine Alte sagten nichts. Muan schwieg und drehte dicke Zigarren aus Blättern, in die sie einheimischen Tabak stopfte. Sie hatte jetzt ein paar Silbertropfenkettelein um, lange, lange, die sie zweimal um den braunen Hals schlingen konnte und die doch noch weit über ihre Brust herabhingen.

Als ich selber schüchtern um mein Tüchlein bat, lächelten Papa und Mama und am meisten die zwei kleinen Brüderchen Muans; die konnten das mit dem Tuch schon gar nicht begreifen.

Erst als sich im Lauf der Zeit einige Spässe, die keine Witze, sondern bitterer Ernst waren, in die Unterredung einschlichen, gewann ich mein Gleichgewicht.

Die Mama sagte: Das schöne Gewändlein liesse sich unter Umständen schon verkaufen, wenn der Herr nicht 102 ein abgetragenes mitnehmen wolle, aber – – – Es freue sie, dass der Herr ihr diese Ehre antue und so weiter, aber – – –. Wie Mütter so zu tun pflegen, machte sie mir zu guten Hoffnungen berechtigende Versprechen, denen sie mit grausamer Wohllust immer wieder durch ein «aber» beizeiten den Garaus machte.

Während mir Muan das Spinnrädlein erklärte und Proben ihrer Handfertigkeit zum Besten gab, sehr lieb und sehr nett – – Meh Piu sagte stolz: mein Töchterlein fürchtet den weissen Herrn nicht (was wie eine Einladung klang) fragte ich nach dem Preis.

«Vierzig Tikal!» sagte die Alte, und gleich darauf lachte sie berichtigend, «doch gebe ich das Tuch nur mit dem Mägdlein drin – – – macht achtzig Tikal.»

Während ich wenig Wohlwollen für eine europäische «Mutter mit Preisliste» aufbrächte, war es mir durchaus verständlich, dass Muan diese achtzig minus vierzig – vierzig Tikal wert sei.

Auf dem Verandapfahlrost sass die Wundervolle, arbeitete mit bronzenen Händen und Füssen, spinnte und lachte dazu, zwischen den spitzgiebligen Dächern unter freiem Himmel, und über die weiten abgeernteten, in gelben Strohstoppeln daliegenden Felder schimmerte bleich der Mond. Die Luft war weich und flimmernd und vom Geruch des heissen Tages gewürzt, der eben erst vorbei war und mir wirbelte das Hirn vor lauter siamesischen Zahlen. Dann lachte Ming mit vielsagendem, unbestimmtem Gesicht, halb einladend, vielleicht wenig erfreut oder gar drohend:

103 «Wenn du Herr wirklich hier arbeiten kommst, kannst du Muan haben!»

Aber als ich unter tausend möglichst ernsthaften Sprüchen versicherte, ich würde bald wiederkehren und in der Nähe ein Haus aufstellen, er möchte mir Muan doch geben, sie könne grad mit mir kommen, das kostbare Tüchlein würde ich ihm zurückschicken, sobald ich ihr ein noch viel feineres gekauft haben würde – – – als ich so redeselig wie noch nie meine Versicherungen abgab, da tat die Mama auf einmal wie eine gewöhnliche beleidigte Mama und sagte kurz und streng: «Plau – nix da!»

Später zog ich in Mings Haus hinüber zum wohnen (weil Muan so schön war), sobald der «Herr Doktor» sich überzeugt hatte, dass ich weder herrisch sei, noch Ungebührliches zu erzwingen suche. Siamesen fürchten manchmal Höherstehende, weil in ihrem absoluten Despotenland jeder Höhere über den Niedrigstehenden fast uneingeschränkte Gewalt hat.

Als Aris ihm tief genug eingeschwatzt hatte: «Ming, mein Tuan sucht nur deinen Rat wegen der Minen, du kennst das Land und bist weise, er wird dich belohnen, wenn du ihm hilfst» – – kam schliesslich eine ganz nette Freundschaft zwischen uns beiden zustande.

Alle siamesischen Bambushäuser sehen einander ähnlich. Auf langbeinigem Pfahlrost ein weiter Hauptraum, nebenan ein paar durch löchrige, unzuverlässige Wände abgeteilte Kämmerchen, von Stühlen und Tischen meist keine Spur, höchstens einige Kisten und Truhen und 104 in einer Ecke des Haupt- und Empfangs- und fast öffentlichen Raumes zwei, drei staubbedeckte Buddhas.

So war auch Mings Haus.

Ming selber war ein herrlicher Mann. Von seinem gepflegten, dunkelbraunen Leib hob sich das weisse Haupt- und Brusthaar leuchtend ab. Er trug nur ein Tuch, immer von derselben Farbe, von jenem schreienden Himmelblau, wie wir in der Schweiz es von den Bauchgürteln italienischer Erdarbeiter kennen. Locker gebunden, Falten werfend und meist in künstlerischer Nachlässigkeit den Nabel freilassend – – – schien Ming gemerkt zu haben, wie hervorragend dieses Blau zu seinem grauen, würdigen Schädel auf dem muskelschönen Körper passe.

Und Muan war ganz die Tochter ihres Vaters. Ich habe sie als Kunstwerk verehrt und angestaunt wie selten ein Weib.

Als schlechthin vollkommen. Als den Menschen in die Welt gestellt vom

Herr
          Gott,
                    Künstler
                                    im Himmel.

Sehet und betet an. Ahnet, dass es Wunderbares gibt, das geradewegs von mir kommt.

Sei nur da, dachte ich, verrichte deine Hausgeschäfte, koche, flechte Bastmatten, stampfe Reis – – – aber lass mich zusehen.

Erlaube mir dazusitzen und über deinem Anblick 105 allerlei zu vergessen. Lass mich in Gedanken deinen Nacken küssen, lass mich mit gespreizten Fingern durch dein kurzgeschorenes Haar fahren, antworte mit deinem blitzenden Lachen auf meine Sprüche – nur sei da.

Sei für mich da, wie Matahari für den Dschungel!

Jedesmal wenn Muan aus dem Garten oder von der Feldarbeit kam, ging sie in die Küchenecke des Hauses und wusch mit einem raschen Guss Wasser die Füsse. Sie tat das wie eine feine Dame in Europa, die beim Betreten ihrer Villa die Schuhe wechselt. Dann suchte sie frische Betelnuss und schaute mich an:

«Nai Hang sa bai?» Herr, wie geht es dir?

Es scheint mir, jeder rohe Stallknecht müsse die wundervolle aaa-Musik in diesem Sätzlein hören.

«Muan ist weich!» sagte einmal Aris und verdrehte die Augen. «Muan ist gut.» – – –

*

Während in der finstern Hälfte des Monats die Leute nach dem Abendessen mit den Hühnern sich schlafen legen, wandert in mondhellen Nächten das ganze Dorf oft bis lange nach Mitternacht herum. Schattentheater, von einfacher Zweitaktmusik begleitet, spielen auf den Dorfplätzen, die jungen Männer ziehen nach den Hütten der Schönen hin und die Alten versammeln sich zu Betelkaukränzchen und erzählen sich wieder und wieder die Abenteuer, die sie im Wald, auf dem Meer, in der Hauptstadt im Lauf der Zeit erlebten.

106 Aris weihte mich oft ganz in alle Familiengeheimnisse ein. Nicht nur vernahm ich die Namen aller Leute, das war noch das wenigste, so schwierig diese manchmal zu behalten, so seltsam überhaupt sie waren.

Es ist nichts Aussergewöhnliches, dass in Siam ein ganz unbedeutender Kerl «Mond» heisst, oder gar «Sonne»!

Um schwer auszusprechende Namen zugänglicher zu machen, führte ich bei mir in meiner Eigenwelt etwa Bezeichnungen aus meinem Tagebuch als umschreibende Hülfsnamen ein, wie man in Algebra Ungeheuerlichkeiten durch Substitutionen beikommt.

Einmal merkte ich mir: Heute begegnete ich zum zweiten mal die «wundervoll-natürliche Frauen gibt's unter diesen braunen Menschen» oder wenn Aris von Frau x oder y sprach, dachte ich unabwendbar an die «weil sie aber Moos und andere fleckige Sachen auf der Brust wachsen hatte.» – – –

Eine im Glanz ihrer falschen Diamanten und goldenen Ketten, in Silber und Festtagsschmuck gar prächtige Dame, trug einen Namen, den auszudrücken nur die französische Sprache dezent genug ist – Madame Constipée.

Daneben kommen auch ganz gleiche Namen vor wie bei uns Herr Schwarz, Herr Rot, Herr Vogel, Herr Wagner, Herr Meister – – wie Kuli so heissen.

Wenig passend schien mir der Name der kleinen, zweijährigen, ratzekahlgeschorenen «Fräulein Haar.»

Ein anderes, zwar siamesisch dunkel aussehendes Mädelchen, dem man aber die Mitwirkung eines Chinesen 107 bei seiner Entstehung an den Augen ablesen konnte, nannte seine Mutter kurzweg «Chineslein!» (Sie musste ja wissen warum.)

Meh heisst auf Siamesisch Frau (Mutter). MehEin anderer Ausdruck für Mädchen ist luck sao = keusches Kind, aber das wage ich fast nicht schwarz auf weiss niederzuschreiben, seit ich weiss, dass die Siamesen das u oft wie ein o und das o wie ein u aussprechen. sao ist eine keusche Frau – ein Mädchen. Lustig ist der Ausdruck Meh mai, das ist eine «neue Frau», eine Witwe oder geschiedene Frau, kurz eine Frau mit «neuen» Möglichkeiten (des sich Verheiratens).

Aber nicht nur das alles vernahm ich in den Dörfern, auch viel Intimeres. Von Rabenmüttern, denen ich das nie angesehen hätte, von geizigen Chinesinnen und umgekehrt von unscheinbaren Ehrenmännern.

* t

In Mings Dorf gab es auch viele Chinesen.

Es ist ein Glück für Siam, dass es die Chinesen in sein Land hereinlässt. In jedem Dorf, das ich auf der Reise berührte, überall, wo gearbeitet wurde, lag die Arbeit in der Hand der Chinesen. Sie sind die Händler, sie sind die Fischer, die Träger der emsigen Entwicklung und reissen und ziehen die trägen Waldmenschen und Bauern, die Siamesen, mit.

In jedem Dorf sind die Hütten der Chinesen zu finden, auf jedem Fluss schwimmen ihre Hausboote, überall sind sie zielbewusst am Werk.

108 Chinesen und Siamesen vertragen sich gut miteinander, besonders die Männlein mit den Weiblein.

Da ich jahrelang tiefgehende Studien in Vererbung und Rassenbiologie machte – es ist eigentlich zum Lachen, was alles ein Mensch im Lauf seines Lebens treibt – sah ich vielleicht etwas besser und deutlicher diese aussergewöhnlich interessanten Beispiele von Kreuzungen der beiden Menschensorten, und deren Resultate.

Der Siamese ist das dunkle, träge, derbe, breitspurige Bauern- und Waldelement.

Der hellere Chinese bringt zur Kreuzung mit eine gewisse Feinheit, Gewerbigkeit und Edelrassigkeit und gibt den Nachkommen Temperament und Schliff.

In der Mischgeneration entstehen so Menschen, die ungefähr die Mitte halten.

Erst in den weitern Generationen treten dann Aufspaltungen ein, Mosaikmenschen, deren eine Merkmale siamesisch sind, während andere chinesischen Einfluss verraten.

Dabei können so ¼China-¾Siam-Menschen, Frauen vor allem, entstehen, die bildhaft schön und rassig sind.

Man muss die in den innersten Stübchen chinesischer grosser Herren und Kenner suchen, wo sie rein nur gehalten werden und gehegt und verehrt und geliebt wie Ziervögelchen. Solche Formen: wie die edelste chinesische Schöne – aber noch dazu – einen feinen Anflug von siamesischem Braun.

Wie eine gewöhnliche Siamesin, aber – Rasse und Feuer, das nur China sonst kennt. –

*

109 Jedesmal, wenn die Sonne am Untergehen war und wie eine goldene Scheibe im Laub hing, wenn die fernen Berge blau eindunkelten und der kühle Abend bald da war, begab ich mich an den Fluss hinunter zum Bad. Wenn dann das Glück mir hold war, gelang es mir, den richtigen Augenblick zu treffen, da auch Muan und ein halbes Dutzend andere schöne Frauen dort waren.

So selbstverständlich die ganze Dorfeinwohnerschaft gemeinsam badete, ich empfand mich selbst anfangs doch immer wie zudringlich und störend, wenn ich da in der gemischten Gesellschaft mitmachte.

Aber es gab da so viel Schönes zu sehen! Und wie angenehm doch dieses Baden war! Nicht wie eine Art besonderer Heldentat, zu der man sich aufraffen muss, wie in unsern eiskalten Bergflüssen, sondern in selig lauwarmem Wasser. Kunterbunt mit Chinesen, rosaroten Wasserbüffeln, dicken, weichen Müttern, jungen Mädchen mit schimmernden Augen und herumspritzenden, übermütigen Mohrenbuben.

Wir möchten uns leicht verführen lassen zu glauben, dass diese Braunen, sonst schon nur leicht bekleidet, splitternackt wie die Eva im Paradies ins Bad steigen. Aber weit gefehlt! So unschuldig ist auch in Siam die Welt nicht. Ich kann mich nicht erinnern, in Siam öffentlich einen nackten erwachsenen Menschen gesehen zu haben.

Siamesen baden in den Kleidern. Nach dem Bad wird das Tuch gewechselt, das neue bleibt bis zum nächsten Tag, bis zum nächsten Bad.

110 Vor allem der Leib der Jungfrau wird sorgsam bewahrt. Später – macht es weniger. –

*

Ich sah, wie man bei Mings zu Nacht isst.

Wie erst die Herren, Ming und seine Gäste – in Siam sind immer Gäste zum Essen da – um den Reiskessel hockten und nachher die Mutter mit Muan und deren Schwester.

Wie sie sorgfältig mit schlanken Fingern den Betelnussknäuel aus dem Mund hervorsuchten und wegwarfen, wie sie rasch die Zähne spühlend und peinlich die Hände waschend mit eleganten Bewegungen nach dem Reis griffen, den hartgekochten zu kleinen Ballen drückten, ein bischen Fleischpaste dazu und Pfeffersalat, und wie sie dann mit flüchtigem Blick in den Himmel wie die Hühner beim Trinken, Handvoll um Handvoll in den Abgrund ihrer, von geschwärzten Zähnen umstandenen Mäuler beförderten.

Jedesmal sobald die Mahlzeit fertig war (Siamesen essen einmal des Morgens und einmal am Abend), räumte Muan säuberlich die Geschirre weg, und Meh Piu, die Grossmutter (Muans Schwester hatte ein Kind), schickte sich an, mit der scharfen Betelnussknabbe Arecafrüchte ihrer grünen Hülle zu entkleiden und den braunen Kern in mundgerechte Stücklein zu zerschneiden.

Zum Betelkauen gehört dreierlei. Die Betelnuss, ein grünes, spinatähnliches Blatt und roter beizender Lehm – die Hauptsache bei dem Spass – der furchtbar scharf 111 ist und mit einem Stäbchen auf die Rückseite des Blattes gestrichen wird, in kleinerer oder grösserer Menge, je nach Geschmack. In dieses also vorbereitete Blatt wird der Nusskern verpackt.

Feinschmecker, wie etwa die alte Meh Piu mit verwöhnten (= abgehärteten) Gaumen, legen dem Betelfuder mit Vorliebe eine Garbe Tabakkraut bei.

Alte, zahnarme Leute verarbeiten in ihrer Not die elend harte Nuss in einer mörserartigen Hülse zu Pulver; aber vom Kauen lassen können sie ebensowenig wie unsere Bergbauern vom Pfeifchen.

Es zieht mich an allen Haaren, der alten Meh Piu ein Kränzlein zu winden, wenn auch ein welkes, und trotzdem ich mir der Schwierigkeit bewusst bin, die es zu überwinden gilt, eine braune Grossmutter ins weisse zu übersetzen.

Ich habe diese Frau studiert wie ein Ingenieur einen Motor. Eines Abends entdeckte ich, wie sie verstohlen auf den Knien rutschend sich an meinen Teetopf hinanschlich und aus dem Ausgussloch lutschte. Das sah bei aller Unappetitlichkeit so drollig aus, dass ich sie ruhig gewähren liess. Schliesslich war sie ja Muans Mutter.

Die Grossmutter war es, die abends den letzten Gang ums Haus machte und eine Stange als Abschluss unter die Türöffnung steckte, wie man etwa bei uns eine Mäusefalle stellt.

Erst nachdem sie diesen allabendlichen Pflichten gerecht geworden war, legte sie sich aufs Ohr, schaute noch eine Zeitlang mit grossen, offenen Augen ins Dach 112 und wartete geduldig, bis endlich der Schlaf auch ihrem Tag ein Ende bereitete.

An solchen Abenden lag etwa der alte Ming, seinen braunen Bauch tätschelnd, an der Wand und schmunzelte jedesmal sichtlich auf, wenn er sah, wie dem weissen Herrn sein Töchterchen gefalle. Und gewiss streckte er sich oft mit der Gewissheit auf seine Matte und mit dem Gedanken: Etwas Rechtes habe ich in meinem Leben sicher zustande gebracht.

Aber bei aller paradiesischen Schlichtheit des Lebens, trotz aller Türenlosigkeit und Unzuverlässigkeit der Bambuswände, so malerisch unsittlich nach westlichen Begriffen sich die heilige Familie – und ich mitten drin – manchmal über den Stubenboden hinlagerte – – ein schönes, festes inneres Gesetz, ein unsichtbar in den Menschen selber drin liegendes Etwas hielt gerade da fast jedes unziemliche Wort und jede anrüchige Tat zurück, wo man nach der haltlosen Ansicht europäischer Begriffe chaotisch tappende, blindwühlende Tierhaftigkeit hätte erwarten mögen.

Sittlichkeit und Anstand, dachte ich, ist das Einhalten der in einer gewissen menschlichen Gemeinschaft als praktisch und notwendig oder wünschenswert erkannten Lebensansichten und Gesetze.

Kultur scheint das Nichteinhalten dieser Dinge zu sein.

Es ist eine Hanswurstenlaune des Westens, dem sensibleren, nervöseren Abendlandmenschen ebenso vielmal anspruchsvollere (und geradezu hoffnungslose!) Gesetze aufzutischen, als er weniger fähig ist, sie zu halten. –

113 Meine Phantasie und alle meine Vorurteile spielten mir oft sonderbare Streiche.

Lag ich da eines nachts auf meinem Matrazlein und Muan und ihre Schwester lachten und kicherten im Kämmerchen nebenan. Die Türe war nur angelehnt. Ming war nicht da, er schlafe bei Verwandten, hiess es, war das sehr seltsam – – dass ich auf einmal dachte: «wo bin ich – – ? – – bin ich nicht in Siam!»

Auch Aris war weg, und Hollukki wusste nicht recht Bescheid:

«Ja, Tuan, vielleicht solltest du hineingehen. Aber vielleicht nicht. Vielleicht möchten sie dir gern den Kopf abschneiden!»

An solchen Abenden fand ich mich oft tief beglückt und steinunglücklich zugleich über mein unentschiedenes, ganz im Bann der Erziehung stehendes, von Natur aus aber unendlich freies und abenteuerliches Wesen. – – – 114

* * *

Reiche Holzschnitzereien im Giebelfeld unterm spitzen Dach eines siamesischen Tempels.

Das sind die gefährlichen Tage und Nächte für den Weissen, der unaufhaltsam in diese neuen Verhältnisse hineinwächst, da du dumpf und unabwendbar die Stunde herannahen fühlst, da auf einmal etwas entzwei sein wird zwischen dir und all jenen Herrlichkeiten Europas, die du bisher als dein höchstes Gut in deinem Herzen behütet hast. Da deine alte Philosophie und Weltanschauung plötzlich zerbrochen vor deinen Füssen liegen wird, eine neue Gottheit vor dir auferstehen will, zu der du dich hingezogen fühlst, die aber doch auch so neu und so fremd und seltsam ist, dass du nur langsam Zutrauen zu ihr zu fassen vermagst und ein Heer von sich 115 widersprechenden Gefühlen deine arme Seele in Uneinigkeit zerreissen.

Da die zackigen Silhouetten unordentlicher Palmenhaine mit romantisch lockenden Hütten und Menschenfiguren darunter sich tiefer in dein geistiges Innere einzuzeichnen beginnen und dir scheint, als könnten die kahlen nüchternen Strassenzeilen und geradlinigen Dinge Europas deinen ins Unermessliche gesteigerten Hunger nach Echtem und Schönem und Natur nie mehr stillen. Da du ohne diese bunten Bilder nicht mehr leben willst!

O, in den Tropen packt das Leben den Weissen Mann unbarmherzig und rüttelt ihn in eine hemdärmlige oder noch nacktere Lebensauffassung hinein. Ich möchte sagen: Das ist mehr als beständiges der Todesgefahr Ausgesetztsein! Du möchtest doch nicht dein bischen mühsam erworbene Kultur dem Osten preisgeben – –.

Ein endloses Geplänkel zwischen dem philisterhaften «Europa und alles Angelernte nicht fahren lassen –» und dem heiss drängenden «diese ganze, neue Welt bis auf den Grund erleben wollen –» rumorte in meinem Innern.

Da ich mich zu fürchten anfing, mir wie verzaubert, wie der ungewollt den Helden eines abenteuerlichen Märchens Spielende vorkam, da ich nicht mehr ich war, sondern ein fast willenloses, von ausser mir liegenden Mächten gehandhabtes Werkzeug. Da ich zu sagen begann: «Tida apa! – Nun denn!» und zu denken: «Leben, du bist seltsam, aber so nimm mich doch, wenn's nicht anders geht!»

116 Da ich mich willig meinem gebietrisch schärfstem Erlebnis zudrängenden Schicksal füge und mit dem Entschuldigungsgedanken: Denn ich bin wie der Bleistift in der Hand eines verrückten Gottes, der greifbar, fassbar machen soll, was immer sein strenger Gebieter im zuzutragen beliebt.

Seit ich aus dem Osten heimkam, bin ich zerrissen von chaotisch durcheinander strebenden, sich gegenseitig auffressenden Lebensansichten.

Nie bin ich meinem eigenen Geistesmenschen so gegenüber gestanden wie dort in Siam, im Osten, wo das Leben offen und froh und wie ein Jubellied am Tag liegt. Wo die Lebensgesetze einfacher, aber befolgt sind, wo noch nicht ein solches Heer komplizierter Vorschriften und Anschauungen über Gut und Böse umgangen werden muss. Wo es auf das «Wie» des Lebens weniger ankommt.

Nie habe ich die Schule, die tief in mir steckt und mit ihr ihre Lehrer inbrünstiger gehasst und verflucht und meine ganze Vorschriftenerziehung als schwerere Last empfunden als damals im Osten unter vorurteilslosen Menschen, die unbewusst und ungehemmt so leben, wie es zuträglich ist und glücklich macht.

Furchtbar diese europäische Schule der Vorschreibung und übernommenen Ansicht, diese Pflichten und Ziele, die einem eingehämmert werden während einer langen Entwicklungszeit und den empfänglichen Europäer so grausam in Besitz nehmen und beherrschen, dass sie ihn zwar vielleicht zu geachteter Stellung, vielleicht sogar 117 zu Geld und Ruhm, aber nie, nie zur Selbstzufriedenheit, Achtung vor sich selbst und zum Glück zu führen vermögen, weil der Weiche, der jenen Lehren wirklich Zugängliche durch sie zu nichts kommt, als seine eigene Unzulänglichkeit immer brennender zu empfinden.

Europa verlangt zu viel von seinem Menschen und gönnt ihm zu wenig. Das Recht und die Möglichkeit zu den billigsten Daseinsfreuden spricht es ihm ab.

In Asien hinten ist das anders. Als erstes gibt das Leben einem jeden alles Nötigste zum Leben: Ein Stück Lendentuch, Reis in den Bauch, eine Frau und den Betelnuss-Schigg. Jeder empfängt das stillschweigend als ersten Vorschuss auf Abrechnung vom Schicksal. Im Osten gibt's weder Wohnungs-, noch Heizungs-, noch Kleidersorgen und selten Hunger. Und diesen Glücklichen schlägt nicht einmal eine Stunde; der halbe Taglohn ist genug zu mehr als allem. Keine verzehrenden, unstillbaren Wünsche quälen diese Menschen. –

Daher die unversiegliche Quelle an stoischer Lebensruhe und Kraft. Ein Kuli arbeitet, weil er Erfolg hat, zu etwas kommt, von dem er nachher sich erholend zehren kann.

Jeder einfachste Braune kann durch Arbeit zu Wohlbefinden gelangen, und sein Aufstieg ist so gewiss, wie er es für den Durchschnittseuropäer nicht ist. Auch geistig gesprochen! Welcher Gebildete hier könnte sich sagen: so, jetzt arbeite ich und werde über die andern hinaufsteigen und glücklich werden – – –.

Froh tut der Asiate sein Werk. Er weiss warum. 118 Ein Kuli denkt: Wenn ich morgen acht Stunden fleissig bin, dann kann ich das und das – – –.

Der europäische Arbeiter flucht: Und wenn ich jahraus, jahrein schaffe, kann ich nicht einmal – – –.

Asien ist eine harmonische Welt; seine Menschen sind von unten bis oben im Gleichgewicht.

Europa !? – – – – – – – – – – – –

Im Abendland, scheint mir, geschehen alle Werke aus der grimmigen, verbissenen Verzweifeltheit heraus, des keine andere Möglichkeit mehr habens, als wahnsinnig zu «arbeiten».

Europa ist unheilbar übervölkert. Für seine Menschen ist es eine Zumutung, da zu sein.

Asien dagegen ist Freude.

Und «Kuli», «Brauner», oder «Eingeborener» heisst nicht etwa kurzweg «weniger gut», «armselig» oder etwas dergleichen.

Es ist nicht so einfach «braun» mit «weiss» zu vergleichen. Vor allem bringe, wer von «Braunen» redet, nie jene furchtbaren, trostlosen Bilder europäischen Proletariates mit in ihrem hoffnungslosen Martyrium der Not und Entbehrung.

Ich hätte manchmal gern so ein Trüpplein halberfrorener Fabrikler in meine neue Welt hineinstellen und zu ihnen sagen mögen: Schaut, so leben sie da. Es sind zwar nur Braune, aber – – so glücklich leben die da am Äquator – – – !

Und wenn dann gar vom Westen her diese furchtbaren Gerüchte herüberdrangen in meine friedliche Welt, 119 wenn ich mitten in der Harmonie östlichen Lebenshaushaltes von den neuesten Erfolgen und Entwicklungen Europas hörte – – Notschreie, Wehrufe, Klagen – – dann war das jedesmal ein neuer Wink für mich, zu zweifeln, mit den alten Vorstellungen meiner Erzieher zu brechen, und das von europäischen Lehrern so fest aufgestellte Gebäude aus Ansichten, Zweckmässigkeiten und Vernünften umzustürzen, wie man ein altes, nicht mehr bewohnbares Haus abreisst, ehe man unter ihm für immer tot und begraben liegt.

Zu zweifeln habe ich in den stillen Welten des Ostens gelernt, wie eine Offenbarung ist der Gedanke in mir aufgedämmert, dass es eine Laune sei, Europa als Kernpunkt aufzufassen, all die Begriffe seiner jungen Kultur als Einziges, Bestes und Muster hinstellen zu wollen, und mich selber und meine weisse Pracht lernte ich unter Braunen anders betrachten.

Und immer wieder schiesst in meine zwar noch nicht gefestigte Lebensauffassung (eine Art buddhistischer Himmel-Höllen-Balance-Religion, die ich immer noch hoffe, etwas ins Gleichgewicht zu bringen) die furchtbar demütigende Frage auf: «Ist Europa wirklich wahr?»

*

Dass man da plötzlich der Held aller Frauen sein soll, war für mich das Besondere unter Braunen, während man früher unter Millionen «gleich viel Chance habender» recht unbeachtet blieb.

120 Die Sympathie, die da jede braune Frau auf einmal für unsere alte, weisse Haut so auffällig verrät, wirkt erst überraschend, dann angenehm und schliesslich je nach dem.

Man ist da allen braunen Ehemännern, Bräutigämmern, Kiltgängern mit und ohne Niederlassungsbewilligung so verblüffend rasch um einen ganzen Büchsenschuss voraus, dass, wer immer Anlagen zur Romantik hat, besser zu Hause bleibe und wer sie nicht hat – erst recht.

Auf Aris machte das sichtlich einen tiefen Eindruck, dass sein Tuan nicht blindlings von diesem Vorzugsrecht ausgedehnten Gebrauch machte, sondern, dass er, wie der Malaye sich das auslegte – selber ein Weisser – offenbar eine Weisse vorzuziehen schien – – –.

Was aber natürlich nicht absolut stimmte. Ich habe mit mancher siamesischen Reisdirne gelacht – die Miss Yonarin aber, die in dem Dorf wohnte, wo ich mein Hauptquartier hatte, jedesmal und absichtlich gern übersehn, wenn ich ihr zufällig auf der Strasse begegnete.

Soviel an Klassengeist, Kastentum und geordneter Ansicht besass Aris, dass er das im Gegensatz zu manch anderem Tuan an seinem fein fand, dass er nicht planlos drauflos patschte, sondern offenbar zu Seinesgleichen halten wollte, wie eine rassenreine Dame aus der guten chinesischen Gesellschaft, die nur für ihre Stammesbrüder Liebe übrig hat, oder allenfalls noch für deren Ahnen, wenn Ahnen nicht über solch windige Dinge wie irdische Liebe erhaben wären! –

Wenn eine Frau oder ein Mädchen in einem Dorf unternehmungslustiger ist als die gute Sitte erlaubt, heisst 121 es ganz harmlos: Sie hat sieben Männer! Aber niemand frisst sie deswegen. Man sagt das «sieben» im Ton, wie man etwa bei uns von einer erzählen würde, «sie hat zum zweitenmal Zwillinge geboren» – – – staunend, man kann's nicht so ganz fassen, aber denkt: nun, sie ist eben anders, es können nicht alle gleich reichhaltig ausgestattet sein mit Fähigkeiten.

Es wird mir fast ein bischen ungeheuer zu Mute, Europa erzählen zu müssen, dass sogar die Strassendirnen in Bangkok etwas göttliches und reines seien, dass nach meiner Auffassung jede sozusagen ehrbare europäische Frau und Trägerin von neun und mehr Jahren Schule die grössere Dirne sei, als solch ein junges, schönes Siameslein, das mit seinem Reizlein spielt, weil es von nichts anderem weiss.

Ich schrieb einst in mein Tagebuch begeistert: In Siam scheint es keine Huren zu geben! Später sah ich mich veranlasst, ein Fragezeichen hinter diesen Satz zu stellen, nachher wieder ein Ausrufungszeichen, und so fort, so lange im Buch Platz war – – aber ich blieb bis heute im Zweifel, wie man jenem sagen solle, so klar ich Bescheid weiss, wenn man mich über weisse Frauen fragt.

Der einzelne Mensch spielt in Siam eine so untergeordnete Rolle, und kann so leicht sein Auskommen finden, dass das Entstehen eines neuen Menschen dort lange nicht von der Wichtigkeit und Bedeutung ist wie bei uns, wo das Kind das Furchtbare an der Ehe ist – 1. das Furchtbare an und für sich und 2. das furchtbar 122 teure und Unsummen von Schutz und Hülfe benötigende und nur zu oft Zeitlebens nie zu befriedigende.

Da ist wieder der ganze Unterschied Asien Europa in zwei Worten. So ein brauner Sprössling lebt anfangs von Luft und Milch (die er wirklich bekommt, was viel wert zu sein scheint) und später von Reis. Ein siebenjähriges Kind in Siam kann sich nützlicher machen und besser den Weg durchs Leben finden, als ein fünfundzwanzigjähriger Student bei uns.

Das gibt der ganzen unseligen Geschichte «Leben» einen harmloseren Anstrich.

Wenn ich Aris recht verstand, legen aber doch auch die Siamesen grossen Wert auf Lebensformalitäten. Dass z. B. ein Mann es nicht zeitlebens bei seiner ein und derselben Ehefrau aushalte, ist ihnen zwar gut begreiflich, aber bei der Heirat hoffen doch alle zusammen, der Vater, die Mutter und die junge Frau inbrünstig: Wenn der Herr Gemahl es nur wenigstens ein paar Wochen aushält und nicht morgen schon wieder fortläuft! Sie denken so weniger wegen den unbequemen Folgen für die junge Mutter, als vielmehr, weil es sich nicht gut machen und ein schlechtes Licht auf die Familie der – Frau werfen würde.

*

Oft und lange habe ich mir Mühe gegeben, herauszufinden, was eigentlich so eine Ehe unter einfachen Waldmenschen zustandebringe, was ihr in Wirklichkeit zu Grunde liege, woraus sie bestehe.

123 Mit dem Heiraten, dachte ich mir, ist es ja sicher grundanders bestellt als unter uns Weissen. Mag es auch vorkommen, dass der eine etwa eines zugehörigen Reisackers wegen sie nimmt (für den er übrigens seinem Schwiegervater ein ganzes Vermögen nach Urwaldbegriffen abladen muss) oder, dass ein anderer seine eine heiratet, weil er sonstwie auf eine weltlich-irdische Art und Weise dabei auf seine Rechnung zu kommen denkt – es hielt ausserordentlich schwer, Zeichen eines höheren, wahren Beweggrundes zu finden. Denn zu vermuten, dass ein Primitivkuli etwas von Anmut oder gar von innern Werten verstände – das schiene doch sicher gesucht – –.

Dass Nai Khan und seine Meh zusammengehören, merkte ich erst, als ich sie zusammen in den Wald gehen sah. (Oft spielt sich ja Allzupersönliches dort ab, weil Bambuswände – nicht dicht schliessen).

Gleich am Morgen nach dieser wichtigen Entdeckung begann ich meine unheiligen Spaziergänge in die Geheimniswelt dieser Waldehe.

«Wenn ich solch ein braunes Frauelein hätte, wie du», dachte ich, als ich Nai Khan's Werkplatz im Minenberg oben prüfte, wo er halbnackt und bis an die Knie im Wasser hämmerte, «wenn ich solch ein Frauelein hätte, würde ich nicht Tag um Tag acht Stunden lang so hart schaffen – –»

Nai Khan hatte immer etwas müdes in den Augen, als ob er noch bei seiner harten Arbeit nur an sie dächte. Und mir war, als ob er nie, nie lache. Mit seinen 124 feingebauten Gliedchen war er ein lebender Vorwurf gegen das zu rohem Beruf verdammende Schicksal. Wie unsinnig schlecht passten doch diese schweren Stemmeisen zu seinen dunkeln Tollkirschaugen.

Erst nach langem Warten und sehr vorsichtigen Umwegen wagte ich es, auch sie ein bischen im Lichte meiner eigenen Betrachtungsweise zu besehen. (Als er sicher bei der Arbeit war).

Ob sie wohl lachen würde, wenn ich lachte – – ?

Ja, sie lachte!

Dann versuchte ich sie zu photographieren. «Siamesin beim Reisstampfen» überschrieb ich schon in Gedanken mein Bildchen – aber da rannte sie plötzlich hinweg, ich weiss heute noch nicht, ob beleidigt oder erschreckt, nur entsinne ich mich noch genau, wie ich damals seine schwarzen Augen die längste Zeit nicht mehr los wurde –.

Oft hielten mich andere wichtige Pflichten von weitern Entdeckungsreisen ab, aber ich nahm meine Aufgabe keineswegs etwa von der leichten Seite. – So stellte ich mich während zwölf Tagen in der Nähe ihres Häuschens auf, wenn er müd und hungrig von der Arbeit kam – aber – nichts – nichts deutliches.

Erst vor kurzem hatten meine Bemühungen endlich bessern Erfolg. Spätnachmittags nach Feierabend war er beim Fussballspiel. Ein aus Bambusspänen geflochtener Ball wird da von ein paar im Kreis stehenden Kuli mit Händen und Füssen und manchmal sogar mit dem Kopf herumgespickt, ohne dass er den Boden berühren soll.

125 Nai Khan war ein eifriger und guter Spieler. Ich bewunderte die Kraft und Gewandtheit des zartgebauten, dünngliedrigen Kerlchens und die, mir nach dem harten Tagwerk unverständliche Lust für das behende Spiel.

Als er nun da so recht mitten drin war, sah ich auf einmal seine Frau zum Bad ausrücken... Sie ging in elastisch schaukelnden Schritten, die Knie etwas nach aussen, obenaus aber sehr aufrecht, wie alle Urwaldfrauen. Das Badetuch trug sie wie einen Turban auf dem Kopf, die helle Sonne schien über ihre braunen Schultern und das Brusttuch hob sich von ihrem Rücken blendend weiss ab. Das Schönste aber, wie bei jeder gehenden Siamesin, war das Lichter- und Schattenspiel in ihren nackten Kniekehlen, und ich habe ihr nachschauen müssen, wie ich vielleicht nie vorher einer Weissen nachgesehen habe – – –.

Sie ging ein paar Schritte an den Spielenden vorüber, dann höckelte sie am Wegrand nieder, geduldig wartend, – auf ihren Herrn und Gebieter wartend.

Und es dauerte eine ganze Weile, bis auch dieser sein Badezeug aufnahm und sich bereit fand, mit ihr zu gehen – –.

Ist das nicht wie bei uns zu Hause! dachte ich da, wo man etwa zu seiner Frau sagt: «Komm um sechse im Geschäft vorbei, dann begleite ich dich auf deinem Gang durch die Stadt».

Das sagt man zu seiner Frau. (Meistens!) Immer muss man zwar noch schnell etwas dringenderes besorgen, aber dann hat man doch ziemlich gern Zeit für sie und 126 schliesslich schaut ein stolzes «Freude-an-ihr-haben» aus jedem gemeinsamen Schritt heraus.

Nai Khan und seine Meh gingen nicht Arm in Arm, sie reichten sich nicht einmal die Hand – (Urwaldwege sind nicht Stadtpromenaden!) – – –

aber wie ich sie dann doch so ganz nur ein Wesen durch den Waldabend schreiten sah, da konnte ich gar nicht anders, als den zwei Glücklichen nachzuwünschen: Findet das beste Plätzlein zum Bad und werdet – – – ganz, ganz sauber – – – ! 127

 


 


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