Hans Morgenthaler
Matahari
Hans Morgenthaler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mata Hari, Auge des Tages, heisst die malayische Sonne – – – – – – – – – – – –

Sie ist die Wundervolle, die dem Urwald die Kraft gibt, zu wachsen.

Wenn Matahari in taufeuchter Pracht aus dem glitzernden Waldmeer aufsteigt, erwachen Tausende der buntesten Schmetterlinge; sie brütet in tagelang-heissem Werk dieses seltene Leben aus, und all diese braunen Menschen sind ihre.

Matahari ist die Gewaltige, die uns Weisse stark macht und krank zugleich.

Und wenn allabendlich die dunkle, tropische Nacht in schwüler Sehnsucht ihr jubelndes Lied anhebt, so ist 6 das zu Ehren Mataharis, der zur Ruhe Gegangenen, die jeden kommenden Morgen neu erwacht.

Matahari gebietet über ein weites Reich, wo in der unermesslichen Freiheit des Dschungels, in zeitloser Ungebundenheit, der Andächtige seine alte Welt zu vergessen und sich selbst neu zu finden vermag.

Und auch im Bann der malayischen Sonne werden ihm noch von jenen weiten, kostbaren Sekunden, da er steil aufstaunt und seinem Schicksal dankt, das ihm auch diese Tage noch schenkte – – –.

*

Als ich im Spätherbst eintausend neunhundert und siebzehn im Zickzack durchs Mittelmeer und nach Indien fuhr, hatte ich keine klare Vorstellung von dem, was meiner dort wartete. Siamesen, Chinesen, Malayen, Buddhismus und tropischer Urwald, all diese Sinnbilder jener Welten lagen ausserhalb des engen Kreises meines jungen Lebens.

Einzig die Berge meiner Heimat trug ich damals im Herzen, sonst nichts – – als vielleicht noch das Andenken an ein paar Menschen – –.

Und doch ist mir heute, als ahnte ich dazumal schon jene heidnische Güte des Ostens voraus, als seien mir doch schon eh sie mir vertraut wurden, jene menschenleeren Landstriche des Dschungels, das weite Meer und die Tropensonne lockende Sterne einer wundervollen Zukunft gewesen, die sich mir auftat, strahlend und hell und reich an Freiheit und Wundern.

7 Mir scheint jetzt, ich wusste schon, als ich den im Herbstschnee prangenden Bergen mein «Lebetwohl» zurief, dass meine Abreise nicht ein Scheiden und Untreuwerden bedeute, dass ich nicht fortging, sondern heimkehrte, in die Urheimat zurück, in eine mir zwar vollständig neue Welt, aber doch eine Welt alten Erlebens und unverdorbener Ursprünglichkeit.

Und dass schon von jeher als Ahnung in mir gelegen haben müsse, was später zur frohen Überzeugung wurde:

Dass auch im fernen tropischen Urwald und im gottverlassenen Streiflein sonnverbrannten Dünensandes irgendwo an der hinterindischen Küste die gleichen Ewigkeitswerte liegen, wie im Reich der ehernen, über alle Zeiten und Menschenbegriffe hoch hinausragenden Berge – –.

Mein gestrenger und hoher Beruf, die Geologie, führte mich in jenes wenig bekannte Wunderland der Erde, wo Siam sich dünn und schmal die Malakka-Halbinsel hinab dem Äquator zudrängt und der Sonne. Wo die Siamesen unmerklich in Malayen übergehen, in den Zinnminen Tausende emsiger Chinesen schaffen, wo in den weitverstreuten Dörfern die Vertreter fast aller östlichen Rassen, vom hochgewachsenen Hindostani bis zum kleinen Japaner leben, im Schlamm der Reisfelder Herden ungeheuerlicher Wasserbüffel weiden und im Schatten überschlanker Kokos- und Arekapalmen in spitzgiebligen Hütten friedliche Braune ein Paradiesdasein führen.

Nicht weniger als drei ganz neue und fremde Kulturen warteten da auf mich, die siamesisch-buddhistische, 8 die malayisch-mohammedanische und als weitaus bizarrste und spukigste – – die chinesische Welt.

Und Zeiten öffneten sich mir, da ich Abend für Abend, wenn die samtene Nacht aus dem Dschungel aufstieg, mir sagen durfte: viel Merkwürdiges ist mir heute begegnet, zwar auch viel Mühseliges, und Dingen stand ich gegenüber, die ich nie begreifen werde – – aber, es war ein schöner Tag. –

Der malayische Zipfel des Königreichs Siam ist noch so ursprünglich und im Schutz seiner Wälder noch so unberührt geblieben, wie nur wenige der benachbarten indischen Länder.

Zum grossen Unterschied von den Vereinigten Malayischen Staaten und den Straits Settlements, wo unter englischem Einfluss westliche Ideen auf geradlinigen Automobilpromenaden bis ins hinterste Tal und Dorf vordringen (um das Zinnerz zu holen), ist Südsiam heute noch ohne Strassen.

Enge Dschungelpfade helfen den geringen Inlandverkehr vermitteln, Kuli, Boote und Elefanten, und das ganze Land ist, abgesehen von den wenigen Reisfeldern rund um die Dörfer und in den Anschwemmungen der Flüsse, von dichtem, jungfräulichem Urwald bedeckt.

Nicht einmal die holzfressende Eisenbahn, die in drei Tagen den zwölfhundert Kilometer langen siamesischen Teil der Malakka-Halbinsel durchschnauft, oft langgezogen pfeifend, weil die Wasserbüffel mit Vorliebe auf dem Schienenstrang wandern, vermochte bis jetzt dem Land viel zu nehmen. Ich glaube, es liessen sich Dutzende 9 von Haltestellen aufzählen, wo mit Ausnahme der Bahningenieure nie ein Weisser ein- oder ausstieg.

Herden wilder Elefanten hausen noch dicht an der Bahn. Einem malerisch-barfüssigen Stationsvorstand stahl der Tiger seinen Hund zwischen zwei fahrplanmässigen Schnellzügen weg, was zwar nicht allzu viel heissen will, da diese nur dreimal jede Woche verkehren.

Granitene Bergrücken durchziehen die Malakkahalbinsel, stellenweise die Grenze bildend mit Birma. Eine dieser Ketten dringt, sich in burgartige Inseln auflösend, bis weit in den Golf von Siam hinaus. Die Berge sind unbewohnt und werden auf Jahrzehnte hinaus ein sicherer Zufluchtsort bleiben für das viele Wild, das heute noch alle Wälder erfüllt, wenig belästigt und halbzahm.

Der Kau Yai – der Grosse Berg – erhebt sich bis siebzehnhundert Meter spitz-pyramidenförmig und steht über dem Meer wie der Niesen über dem Thunersee.

Aber nur klein ist die Fläche Landes, die so in steilen Bergen emporragt, gesunde Hochebenen fehlen völlig, und die Wohnungen, Dörfer und bebauten Gebiete liegen fast ausnahmslos in den mit Recht als malariaverseucht verschrieenen Sumpfniederungen.

Den Flanken der grossen Gebirgsketten, oft bis weit in die Ebene hinaus, sitzen Reste einer alten Sedimenthülle auf, ringsum angenagte, auffallende Kalk-Zähne und -Zacken, die mit seltsam bleichen Gesichtern über das wogende Waldmeer schauen.

Die Oberläufe der Flüsse sind zwischen Steilwänden 10 tief eingeschnitten, die Mündungen, zur Flutzeit überschwemmt, wimmeln von Krokodilen.

Auf weite Strecken bestimmen rotangewitterte Tonschiefer das Landschaftsbild, in erhöhter Lage nur mit magerem Bambus und Elefantengras bestanden, bei trockenem Wetter verzweifelt dürr und unfruchtbar, und zur Regenzeit zerfliessend, sich auflösend und alle Wege fusstief bedeckend mit zähem Lehmschlamm und Kot.

*

Chinesische und siamesische Minenleute kamen ins Kontor meiner Firma, etwa ein Päcklein mit Erzmustern in der Hand und erzählten und fabulierten von unermesslichen Schätzen, die irgendwo tief im Wald lägen, und da war jedesmal ich der Mann, der «rasch hingehen» musste, um zu sehen, ob die Träume vom Gold und Zinn und Silber zu Hoffnungen berechtigten, oder ob es wirkliche Träume seien.

Auf die kurze Meldung: «Ich weiss Zinn an diesem oder jenem Fluss, in der und der Provinz», auf ein paar Brocken Erz in der Hand eines armseligen Eingeborenen hin, hatte ich meine Koffern zu packen, schleunigst den Weg unter die Füsse zu nehmen, und so kam ich tiefer in den Wald und weiter im Land herum als andere Weisse, und mehr in Berührung mit allem Echten als Leute, die vielleicht jahrzehntelang in einer der östlichen Städte lebten, oder die – zwar auch im Innern – aber sesshaft in einem behaglichen Bungalow wohnten.

11 Alle diese Unternehmen waren immer von viel romantischem Wichtigtun und geheimnisvollem Gerede umgeben, und nur selten wusste ich bei Beginn der Reise, wohin die Führer mich bringen würden. Und bei der Habgier, die den meisten Menschen und allen Minenleuten eigentümlich ist, gab es da für sie, die oft zu kühn das Glück vom Himmel herabzuzerren versuchten, schwere Enttäuschungen, aber auch für mich.

Ein lustiges derartiges Reislein, gleichsam aus meiner Lehrbubenzeit, kommt mir da in den Sinn.

Der Obmann eines kleinen Dörfchens wollte mich an den Tinpet Fluss führen (wie einem doch solche Namen im Gedächtnis bleiben!), von wo er Erzmuster hergebracht hatte. Er entwarf mir einen holprigen Reiseplan, den ich seiner Eigenart und Echtheit wegen bis heute aufbewahrt habe.

Als ich ihn fragte: «Hat's dort Hütten und Leute?» legte sich sein Gesicht in wichtigen Ernst: «Nein, non pa! – Da werden wir im freien Wald schlafen!» Er sagte das im Ton, wie etwa ein Gebirgler einem Städter ankündigt: «Da wird's ein Heulager absetzen!»

Mich lockte das damals um so mehr.

Er rüstete eine Schar von Waldleuten aus, sechs oder sieben Jäger und Wurzelmenschen mit Vorderladerflinten aus jenen, heutzutage so menschlich und unschuldig aussehenden Zeiten der ersten portugiesischen Einwanderer, begleiteten uns, als wir, ohne viel Federlesens zu machen, an einem heissen Morgen aufbrachen, um «schnell hinzugehen.»

12 Stundenlang lief ich dünstig und heiss hinter meinen Leuten her, mich tausendmal bückend und windend und durch die Wirrnisse der Lianen und Bäume drückend, bald wanderten wir in Bachbetten, dann wieder auf schmalen Uferrippen, Baumstämme mit Schnörkelzeichen standen, für mich merkwürdig und unverständlich, am Weg, und für sie, die die Waldsprache selber mit dem Messer einzuhauen verstanden, wie Wegweiser. Ich hatte damals noch eine besondere Achtung vor dem Spürsinn der Braunen und verehrte diese Waldmenschen, von denen ich abhängig war wie ein Säugling von seiner Amme, zu ihrer grossen Verwunderung und so, wie etwa ein ahnender Jüngling eine Berühmtheit angafft. Oft bogen wir in eine Elefantenspur ab und folgten den grossen ovalen Fussabdrücken, die sich in einer merkwürdigen Kette durch den Wald hinzogen, stundenweit, neue Fussspuren kamen dazu, oder zweigten ab, und manchmal schloss sich das Blätterdach darüber und über uns, dass wir auch in die Knie gesunken und gebückt kaum durchzuschlüpfen vermochten.

Einmal, als die Elefantenspur so recht deutlich war, erhob sich ein furchtbares Gestampfe und eine Bande schwarzer Wildschweine raste grau davon.

Ich hatte damals kaum genug zu essen mit, kein Bett, nicht einmal eine Decke und wollte «nur rasch hin» ohne im geringsten auf mein Wohlergehn Bedacht zu nehmen – wie es sich etwa für Leute geziemt, die zu etwas Rechtem kommen wollen.

Als wir gegen Abend den Fluss erreichten, die Füsse 13 vom Sand und von den Blutegeln zerfressen, als sich da herausstellte, dass die ganze Anstrengung für nichts sei, und keine Spur von Erz zu finden war, da sah ich das Ende meiner Kräfte nahe, und sobald die Leute mir ein notdürftiges Bambusgestell zum Schlafen hergerichtet hatten, sank ich müd und enttäuscht darauf.

Die Siamesen lärmten noch ein bischen am Feuer herum, kochten Reis, den sie, in Bananenblätter verpackt und Bambusröhren als Kochtöpfe benutzend, brieten. Dann rollten sie sich wie Igel zusammen und verkrochen sich in die Wurzelstöcke grosser Bäume oder in Erdlöcher.

Todmüde schlief ich bald ein. Als ich um Mitternacht zufällig aufwachte, war ich allein. – –

Ich mochte rufen wie ich wollte, keine Antwort. Das Feuer war verglommen, der Wald umgab mich mit seiner Dunkelheit und nicht ein Scheinchen des Mondes, kein einziges Sternchen leuchtete durch die Finsternis. Der Fluss rauschte seine Wassermassen durch die Nacht heran, meine Stimme überdonnernd, und ich legte mich halb ohnmächtig – einen Ausweg aus dem furchtbaren Wald würde es jetzt nicht mehr geben für mich – wieder auf mein Bambuspritschchen, das mitten in der Elefantenspur stand. – –

Beim Tagwerden kamen die Leute zurück. Jeder hatte ein Bündel Frösche in der Hand, die sie zum Frühstück verspeisten.

Sie versicherten mir sehr eifrig, dass sie nicht lange weggewesen seien, und dass die Elefanten und übrigen 14 grossen Tiere des Waldes gewiss längst die vielen Menschen gerochen und Reissaus genommen hätten. Auf dem Rückweg aber, kaum hundert Meter hinter unserm Rastplatz, stiessen wir auf die badewannegrossen, frischen Spuren des berüchtigtsten Einzelelefanten des wilden, einsamen Tales. – –

*

Matahari, Auge des Tages, heisst die malayische Sonne. – – Sie ist die Wundervolle, die dem Urwald die Kraft gibt, zu wachsen. –

Wenn Matahari über den glasgrünen Himmel in den blauen Abend versinkt, werden bang geahnte Märchen zu Wirklichkeiten, sie brütet in tagelang-heissem Werk dieses seltene Leben aus, und all diese braunen Menschen sind ihre.

Matahari ist die Gewaltige, die uns Weisse stark macht und krank zugleich.

Und in ihrem Reich entstehen Bilder, die glutfarbig in uns fortleben werden, so wie das Nachtlied des Dschungels fortklingt, bis weit hinein in die matten Tage der Wiederkehr nach dem blassen Europa, das ewige Preislied auf Matahari, Matahari, die malayische Sonne. – – 15

 


 


 << zurück weiter >>