Hans Morgenthaler
Matahari
Hans Morgenthaler

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Hollukki, Aris und mein Fackelzug.

Als ich, zwar unversehrt dem Dschungel entronnen, aber sehr müd und in wenig lieblicher Stimmung, wieder unter der Türe eines Chinesenhauses in einem halbwegs menschenwürdigen Dörfchen sass, konnte ich lange Zeit ein Gefühl des «Verloren- und unendlich grossen und rohen Kräften Ausgeliefertseins» nicht loswerden.

Halbnackt und barfuss, so wie ein Schulbub an freiem Nachmittag in den Wald läuft – das hatte ich jetzt gemerkt – kommt man im Osten nicht weit.

Wer zum erstenmal in jenen indischen Ländern reist, findet sich mit einem gewaltigen Ruck entwurzelt, herausgerissen aus dem Alten, und seine früher so guten und bewährten bürgerlichen Begriffe von Zeit und Entfernung, von Tag und von Nacht verlieren ihren Sinn, werden auf den Kopf gestellt, und aus weiter Ferne schaut dem Versetzten sein altes Leben nach, das in seiner Geregeltheit einesteils schön und begehrenswert, andernteils aber schon fast ein klein wenig lächerlich und kleinlich aussieht.

So vielversprechend und verlockend auf den ersten Blick die Natürlichkeit der grossen neuen Welt dem Ankommenden erscheint, ebenso enttäuscht ist er, entdecken zu müssen, dass er die Fähigkeit längst fast völlig verlor, in ihrer Einfachheit zu leben, wenn er mit Minderwertigkeitsgefühlen merken muss, dass sein Magen die Fähigkeit, Frösche und Hühnerklauen zu bewältigen, eingebüsst hat, ja, dass er kaum mit dem nach Eingeborenenart zubereiteten Reis fertig zu werden vermag.

18 Auf dem nackten Boden zu schlafen, behagt seinen Knochen nicht, und ein jeder muss sich da eingestehn, dass er auf die Dauer und regelmässig niemals die nötige Kraft aufbrächte, um ordentlich wie in gemässigten Ländern zu seinem äusseren Menschen zu sehen.

Mitten im prächtigsten Chinesendorf bin ich Weisser unmöglich – zu diesem Schluss kam ich – und muss zugrunde gehen und verhungern (während Naturmenschen sich vollster Lebenskraft erfreuen), wenn ich nicht, wenigstens einigen meiner europäischen Angewohnheiten Rechnung tragend, die nötigsten Hülfsmittel von dort mitbringe.

Wenig glücklich hockte ich, fast wie ein Bettler unter der Tür eines chinesischen Reichen, der mich schräg ansah und merken mochte, dass der Fremde da reichlich genug zu denken hatte. Neue, noch ganz unbegreifliche Bilder umgaben mich, mein englisch sprechender Boy, zwar ein spasshafter Bursche, dem man nicht rechtschaffen böse sein konnte, war ungeeignet für dieses Reiseleben, war immer abwesend, in irgendeiner Opiumspelunke, wie ich damals dachte. Ich verstand kaum ein Wort siamesisch, und die Zukunft lag zweifelhaft vor mir mit einem Gewirr von Bäumen, heissen Tagen, unverständlichen Lauten und, zwar harmlosen, fast lieben, sicher schönen, aber etwas gar kinderhaften, rückständigen Menschen.

Während ich so in Mutlosigkeit bösen Selbstbetrachtungen nachhing, tauchte in der Dorfgasse einer jener europäisch angehauchten Eingeborenen auf, bei deren Erscheinen mich jedesmal sofortiger Widerwillen 19 packte, und die mir immer um so verhasster waren, je besser sie eine der westlichen Sprachen beherrschten.

Meine Abneigung gegen solche Zwischenträger des Europäertums hat sich mit der Zeit nicht etwa verloren, im Gegenteil; denn was solche Braune im Laufe ihres Umganges mit Weissen annehmen, ist meist nur das Allerschlechteste, genau so wie die Zöglinge von Missionaren keinen Gewinn zu ziehen vermögen aus Religionen, die sie doch nicht verstehen.

In verwaschenem, braunem Kakianzug und weissen Segeltuchschuhen trat der Mann mit jenem freundlichen Selbstbewusstsein im Gesicht, welches ungefähr so sagt: «Mein Herr und Meister kann jedenfalls so gut wie du!» auf mich zu, redete mich in fliessendem Malayisch an – wenigstens nicht englisch, dachte ich – und hatte in zwei Minuten zudringlich fragend: «Woher kommst du, Herr?, was tatest du dort?, wohin gehst du jetzt?» alle meine Reisegeheimnisse aus mir herausgeklaubt, dass ich mir wie splitternackt ausgezogen und hilflos wie ein der Neugierde fremder Menschen ausgesetztes Kind vorkam.

Aber auf einmal besann ich mich, fluchte den Malayen ziemlich grob an, zwar nicht ganz überzeugt, dass er von Grund aus schlecht sei, aber wahrscheinlich doch wegen der ungebremsten Dreistigkeit, mit der er in mich, den Herrn, einzudringen sich erlaubte, und trotzdem schon damals die Vermutung in mir aufstieg, dass der Braune vielleicht eher aus einer Art natürlichen Mitgefühles mit seinem Brudermenschen und hülflosen Fremden, als aus geschäftlicher Neugier spreche.

20 Aber so gutmütig wagte ich in jener Zeit noch nicht recht von einem Eingeborenen zu denken, sondern behielt ein so kaltes und ernst wie mögliches Gesicht bei. Man ist manchmal das, was man ist, absichtlich nicht, weil man weiss, dass man es ist – z. B. eben gutmütig.

Es stellte sich später heraus, dass der Braune selber auch in Minenangelegenheiten unterwegs war, er warf sehr gescheit mit chinesischen Käty (Pfunden) und mit Kubikyards um sich, und dozierte mir ein unfehlbares Mittel vor, wie man den Kuli den Lohn vorteilhaft kürzt, was ich alles als weise Gelehrsamkeit mit einer gewissen Bewunderung des Besitzers derselben hinnahm.

Es dauerte nicht lange, so trug er mir seine Dienste an. Da er zu der Anstellung, die er gerade inne habe, zu wenig gut chinesisch verstehe, darum wolle er seine Stelle wechseln, erklärte er mir.

«Der hat gemerkt, dass mit mir gut Zinn suchen ist!» dachte ich bitter.

Aber nach einigem Hin- und Herreden, und nachdem der Malaye bereits nach meinem im Dorf herumlungernden Boy geschickt und ein halbes Dutzend anderer Verordnungen zu meinen Gunsten getroffen hatte, ging mir ein helles Licht auf über seine Fähigkeiten, besonders seine chinesischen Käty und die andern Fachausdrücke des Minenmannes machten einen grossen Eindruck auf mich, und so sagte ich, um nicht ganz mit ihm zu brechen:

«Ich würde dir auf alle Fälle keinen Satang mehr Lohn geben, als du bisher hattest!» und ich nannte 21 beiläufig einen Tikal im Tag, trotzdem, oder vielmehr gerade weil ich wusste, dass er sicher mindestens das Doppelte verdiente.

Auf diese Weise gelang es mir sofort, mein Ansehn vor ihm wieder herzustellen, er schien jetzt zu begreifen, dass ich's ernst meinte, sein Gesicht verlor den stolzen, rechthaberischen Zug, und in, zwar immer noch belehrendem Ton, aber doch schon ganz von unten herauf und als ob er Mitleid hätte mit mir wegen meiner Unkenntnis in Lohnfragen, meinte er bedauernd: «Herr, du scheinst nicht zu wissen, dass wir Minenvorarbeiter keine gewöhnlichen Kuli sind!»

Ich blieb ernst und antwortete nichts.

Nach ein paar Minuten, da wir kein Wort zusammen gesprochen und nur einander hie und da rasch von der Seite her angeschaut hatten, kam mein englisch sprechender Koch, Ah Tschan, zurück. Der Malaye frass ihn sofort mit verachtenden Augen, mit Augen, die «Opium!» sagten. Ah Tschan schrumpfte unter dem unausgesprochenen Urteil sichtlich zusammen. Es war der Ausdruck einer alten Feindschaft, eines Klassenhasses, der nie aufhören wird; die ganze Verachtung, die ein dschungelharter Mann für den Städter und Weichling übrig hat, lag in dem Blick, den der Malaye dem Chinesen zuwarf.

«Die zwei werden kaum am gleichen Karren ziehen!» dachte ich, aber, mögen die grössten Änderungen nötig werden, schlimmer als ich es bisher hatte, wird's gewiss nicht. Und immer noch halb abweisend und 22 unzugänglich nach aussen, innerlich aber schon voll froher Ahnungen, liess ich nur so nebenbei und weil der Malaye immer noch Sehnsucht nach mir verriet, die Bemerkung fallen: «Einem guten Mann, der stark mit mir in den Wald gehen, und nie ruhn würde, einem, der mir dienen und für mich sorgen würde, als wär ich sein alter Vater – – – einem solchen würde ich gern erlauben, von meinem Reis zu essen, so dass er seinen ganzen Monatslohn unangetastet als Ersparnis auf die Seite legen könnte!»

Jetzt versprach mir der Malaye das Zinn von den höchsten Bergen herab, und für mich seine Beine bis an den Bauch hinauf abwandern zu wollen, und so – man darf und muss sogar Eingeborenen Zutrauen schenken und Keime zu Hoffnungen in ihre Herzen legen, wie man ihnen von ihrem Monatslohn einen Vorschuss zu geben pflegt – schloss sich, ohne dass ich je richtig zusagte, der Vertrag zwischen Aris und seinem Meister, der zwar noch lange kein richtiger Meister war, den aber Aris nach und nach in mühsamer Arbeit dazu erzog. 23

* * *

All der Reichtum an seligen Einblicken in das Wesen einer bessern Welt des Ostens, all die Fülle an kleinen, bezeichnenden und den meisten andern Weissen unzugänglichen, frohen Momente und Erlebnisse, die heute meine Erinnerung an Asien so wertvoll machen, wäre mir nicht in dem Masse zuteil geworden, hätte nicht Aris, mein brauner Malaye, auf Schritt und Tritt mich begleitet. Tsche Aris von Malakka, in den ein gütiges Geschick die Fähigkeit gelegt hatte, zu ahnen und mir nicht übel zu nehmen, dass ich anders sein müsse als die andern Meister, denen er bisher begegnete. Aris, der mir in malayisch, der zierlichen, geigenweichen Sprache des Ostens, aus dem Leben jedes Grashälmleins erzählte, und mir die Wünsche und Träume dieser braunen Welten, ihre Sehnsüchte in guten und schlechten Tagen, in Freude und Leid, in Glück und in Not so wundersam zu schildern wusste, dass mir der heisseste Marsch in mittäglicher Sonnenglut, die mühsamste Bootsfahrt und das längste Warten während der Reise zum schönen Vergnügen und Erlebnis wurde.

Vom Tag an, da ich Aris gefunden hatte, verlor der Dschungel seine Schrecken für mich und auch das abenteuerlichste Unternehmen musste gelingen. Aris war es, der mich in verwandtschaftliche Beziehungen brachte mit all den tiefsinnigen Merkwürdigkeiten, er, der Wanderer Aris, der sich seiner Kraft zu freuen verstand und mein Zigeunerleben aus Überzeugung mit mir teilte, nicht aus Zwang.

24 Immer wieder war er es, der mir half. Wenn ich zweifelte, war sein Rat zur Hand, wenn ich nicht verstand, klärte er mich auf und wenn ich hoffte, brachte sein Wort, aus dem Siamesischen ins Malayische übersetzend, Erfüllung.

Aris wurde mein Diener, mein Dolmetscher, der Mittelsmann im Verkehr mit Chinesen, mit adeligen Würdenträgern, mit meinen Kuli, mit Bootsleuten und den schönen siamesischen Dirnen.

Bei jenen unscheinbaren Begebenheiten, bei Begegnungen am Weg, an Landungsstegen, bei Besuchen im Dorf, im Umgang mit den scheuen, vorsintflutlichen Urwaldleuten, wo das asiatische Leben bedeutsam und klar wie nie sonst offenbar wird und jedes Wörtlein, das aus dem Mund des Eingeborenen kommt, fremde Welt ist und eigenen Klang besitzt, da hat Aris, ohne dies nur zu ahnen, mich reicher beschenkt als ich ihm je zurückzugeben vermochte.

Fast vom ersten Tag an sprach ich in Siam malayisch. Für uns Europäer ist die Landessprache, das Siamesische, das uns, ähnlich wie das Chinesische mit seinen hohen und tiefen Tönen und dunkeln, rauhen Gurgellauten unendliche Mühe macht, zu raschem Erlernen wenig geeignet; und da war es denn ein besonderes Glück für mich, dass ich mich mit Malayisch durchzuschlagen vermochte, und dazu noch einen Menschen gefunden hatte, der nicht nur wie ein gewöhnlicher Übersetzer automatisch seines Amtes waltete, sondern auch alle Feinheiten aus dem Siamesischen in seiner Muttersprache zu vermitteln verstand.

25 Aris war ein Dichter, der den Sinn von Wortzierlichkeiten, von schönen Gedanken und lustigen Umschreibungen nicht nur selber zu geniessen, sondern auch in seiner eigenen Sprache zu wiederholen wusste.

Und nicht etwa nur das Verständis für Elefanten und Krokodile und all die andern groben Durchschnittswunder Siams hat Aris in mir geweckt, sondern Menschen vor allem, eine wundervoll glückliche Menschheit in einer fast vollkommenen Welt hat Aris mir gezeigt, und das war mir doppelt teuer in einer Zeit, da Not und Tod an dem in Hass und Elend zerspaltenen Europa fressen.

Ich möchte ein Loblied anstimmen auf die malayische Sprache, aber ich fühle mich unbeholfen, wenn ich ausdrücken soll, woher meine tiefe Vorliebe für das Malayische stamme.

Zum Teil, ja, mag da vielleicht der Spass mit im Spiel sein, den es bereitet, eine sehr fremdartige und sehr neue Sprache innert kürzester Frist so zu beherrschen, dass man nicht nur ohne Schwierigkeiten sich mit den Einheimischen unterhalten kann, sondern auch die haarfeinsten Wortspiele und (Eigen)-Artigkeiten versteht und herausfühlt und die ganze kindlich-naive Schalkhaftigkeit ihrer Bilder.

Aber es ist nicht nur das. Malayisch ist so voll Harmonie und Musik wie kaum Spanisch. Zierlich schmelzen freundliche Worte aus liebenswürdigen Leuten heraus. Offen, unendlich treuherzig klingen die Vokale. Und die Kürze des Ausdruckes, beim Fehlen aller komplizierten Grammatik, erfordert überall Gefühl, das denn 26 auch wirklich gern und oft und immer in die Sprache hineingelegt wird.

Das empfinden wir, wenn wir zum erstenmal den Boy «Ja!» sagen hören, unser eigenes, deutsches «Ja!», nur offener und mit mehr Ausdruck aus dem Mund eines Einheimischen entgegennehmen.

Und dann vor allem die Bilder dieser Sprache!

Den «Schnellzug» nannten meine Malayen den «stolzen» Zug – (zu stolz, an kleinen Stationen anzuhalten!) Einen Weissen, der von kleinem Körperbau war, bezeichneten sie als Tuan Suku – (Tuan = Herr, Suku = ein Viertel). Das Halszäpfchen ist das «Kind der Zunge!» Ein kleiner Magnet, den ich zu meinen Arbeiten oft brauchte, hiess: Besi brani – (das tapfere Eisen!) und so weiter.

Mata Kaki, Auge des Fusses bedeutet dem Malayen nicht etwa ein Hühnerauge, von dem weiss er nichts, sondern gemeint ist der Fussknöchel. Ein Sarong Surat ist ein Briefumschlag; ein Sarong Kaki ein Beinumschlag, (ein Strumpf).

Als Waldleute mir einen prächtigen, frisch gefangenen Argusfasan brachten, sagte ich zu Aris: «Flechte ihm aus Bambus einen Sarong – einen Käfig! «Hell» und «dunkelrot» nennt der Malaye «junges» und «altes» rot, «braun» ist für ihn «süsses schwarz!» Vertraut war ich von Anbeginn an mit dem orang utan, dem Waldmenschen; meine Chinesen gebrauchten diesen Ausdruck alle Tage zur Bezeichnung der dunkeln, echten, waldbewohnenden Siamesen.

27 Zu all diesen natürlichen Wundern der malayischen Sprache stellte mir nun das Schicksal obendrein noch meinen Diener zur Verfügung, der bei jeder Gelegenheit, wann immer er sprach und erzählte, die ureigensten, echtesten Blüten seiner persönlichen Dichtungen von sich gab.

Wenn ich auf Reisen beim Essen im Boot sass, und dieses neigte sich auf die linke Seite, dann stellte sich Aris auf die rechte und sobald es dunkelte, setzte er sich mit einer Harzfackel zu mir, bis ich die Mahlzeit beendet hatte.

Wenn immer ich mein Badezeug aufnahm, kam er wie ein Schatten und ungerufen, mir mein Tuch aus der Hand nehmend und um mir das Wasser aus dem tiefen Brunnenschacht zu ziehen. Einmal meinte er einladend: «Dudu Tuan – sitz ab!» und versuchte mich sogar zu waschen.

Das war Aris mir – mein Sklave – – ?

Aris wurde mein Freund und heute noch, nach Jahren der Trennung, denke ich manchmal im Schlaf an jene Tage zurück, die ich im Wunderland Siam verbrachte und möchte ausrufen: «Ai, ai Aris, sudah makan? bulih dschalan? – Hast du schon gegessen? Können wir wandern?»

Sein gottergebenes «Ikut Tuan! – Wie du wünschest Herr!» auf alle meine Anreden wurde mir ebenso lieb wie Hollukkis Küchenruf: «Tuan, makan! – Herr, essen!» –

An einem der ersten Abende unseres Zusammenlebens sah ich Aris mit nachdenklichem Gesicht, die Beine 28 unterschlagen, in den Zähnen grübelnd dasitzen. Seine Stirne war feucht und irgendein versteckter Ärger kräuselte sich darauf.

«Aris, warum bist du nicht zufrieden?» fragte ich.

«Wie können wir Diener ruhig sein, wenn es dem Herrn schlecht geht?!»

«Danke, mir geht's nicht übel!» gab ich zurück.

Da wölbten sich seine Augen gross aus seinem Gesicht heraus: «Tuan, wie kann es dir gut gehen, wenn dein Koch so schlecht für dich sorgt – – – !» und nachdem er mir einen langen Vortrag gehalten hatte, dessen Sinn immer wieder darauf hinauslief: «Wie kann man sich einen englisch sprechenden Koch, einen Stadtboy halten – – – !, Pfui!» forderte er das Recht von mir, einen neuen, dschungelfesten Kuki zu suchen.

Der sanfte, ruhige Wunderknabe, den er mir bald darauf brachte, hiess Hollukki.

Während Aris für mich redete und mir allen mühsamen Verkehr mit geschäftlichen Dingen bei der Arbeit im Wald, und die Sorgen um Unterkunft und Transportmittel während der Reise abnahm, so dass mir reichlich Zeit blieb zum Denken, was alles meinem innern Menschen zu gut kam – – – ebenso treulich sorgte Hollukki, mein Kuki für mein Äusseres. Er war es, der Abends mein chinesisches Reisematrazlein ausbreitete, das Moskitonetz drüber, gestern auf einem schmalen Boot, heute in einer Siamesenhütte und morgen vielleicht unterm bärtigen Heiligenbild irgendeines konfuzianisch-chinesischen Gottes. Das kleine, dünngliedrige Chineslein 29 wurde mir nach und nach mit seiner rührenden Sorgfalt und mit seinem unbegrenzten Pflichtgefühl fast wie heilig. Ich dachte oft, so fleissig und anspruchlos wie ein Chinese sollte man sein. Hollukkis Hauptverdienst war, mir zu jeder Stunde und wo immer es sich träfe, auf der Landungsbrücke am Fluss, im Boot auf dem Meer, im Kot des Waldes, im Tempel das nötige: «Makan – Essen» bereit zu haben. Und ich war oft mehr als erstaunt, wie trefflich ihm das gelang, wie die Hühner leise starben unter seinem Messer, und mein Herz jubelte oft dankbar auf, wenn mitten im Durcheinander eines stinkigen Chinesenlädeleins Hollukki nach eifrigem Herumgewerben mir plötzlich ein sauberes Reissüpplein brachte, das so einladend dampfte, dass es wie aus einer besseren Welt zu kommen schien. 30

* * *

Wenn einer vordem zu Hause ein bescheidener Jüngling war, wird er sich, plötzlich im Osten, in der Rolle des Reiseonkels und Elefantenkönigs, angetan mit der Würde des «Tuan – Herrn» erst ungemütlich aufgeblasen und geschwollen vorkommen mit all seinem umfangreichen Gepäck und der ganzen Gesellschaft, die er, ohne dies anfänglich angenehm zu finden, sich zulegen muss.

«Tuan, du brauchst noch Köfferchen, kleine, die die Kuli gut zu tragen vermögen!» sagte Aris heute.

«Tuan, zwei Pfannen genügen nicht!» bettelte Hollukki morgen, und immer herrlicher wurde meine Karawane, trotzdem ich am liebsten auch in Siam einfach mit dem Rucksack am Buckel in den Wald gezogen wäre.

Wenn ich so im Glanz meines Fackelzuges feierlich wie ein Radschah daherkam, zwei, drei Elefanten voraus, mit meinen beiden Dienern und einem halben Dutzend Kuli, dachte ich manchmal: Wie ein sonntäglicher Familienausflug, nur breitspuriger – – –.

So sehr ich mich einschränkte, vielleicht aus einer dummen, angeborenen Abneigung gegen unnötigen 31 Luxus – weniger als vier bis fünf Kuli wurden selten fertig mit meinen Siebensachen – vier Kuli oder ein Elefant, ein kleines Boot, oder ein Büffelkarren.

Vom wichtigsten waren dabei immer das «gelbe» und das «rote» Blechköfferchen, das «Peti kuning» und das «Peti merah», beide fast wasserdicht, aber nicht ganz. In ihnen sah ich ein Symbol dafür, dass ich hinter dem Wald noch schöne menschliche Dinge «Europa, Kultur» mit ihren Annehmlichkeiten zurückgelassen hatte, und sie enthielten eine wohlausgedachte Auslese an Dingen von dort: Schreibzeug, Wäsche, Karten, Werkzeug aller Art und so weiter.

Aber beide hatten ihre Tücken.

Wenn ich mich zum «Gelben» herabliess, um rasch einen Minenplan oder so etwas herauszunehmen, dann war dieser gewiss im «Roten». Um dieses zu öffnen hatte ich links auf den Deckel zu drücken, beim «Gelben» musste ich rechts das Knie gegen die Seitenwand stemmen und beim Zuschliessen gings umgekehrt.

Oft war das «Gelbe» mein Ess- und das «Rote» mein Schreibtisch. Das ewige Auf- und Zumachen zwang mich, den Schlüsselbund am Leibgurt zu tragen wie ein Gutspächter.

Und weil in einem der Köfferchen, ich darf nicht verraten, in welchem (das wusste nicht einmal Aris), die siamesischen Silbertikale aufbewahrt waren, machten sie mir um so elendere Sorge.

Viel harmloser, obgleich auch wichtig, erschienen mir die chinesischen Tragkörbe und Strohsäcke, in denen 32 die Küchen- und Essgerätschaften mitkamen. Sie standen unter Hollukkis Obhut.

Das einzige Liebliche, mir immer sympathische, infolge seines Umfanges aber bei den Kuli verhasste Gepäckstück war mein grüner Bettsack mit dem zwei Zentimeter dicken Chinesenmatrazlein, das immer gleich hart blieb, ob man es auf dem steinernen Boden eines Tempels oder auf dem höckerigen Bambusschragen eines Kulihauses auslegte. In diesem Sack fehlte nie eine leichte Reisedecke und das «Klambu».

Nagelneue Begriffe tun sich dem Dschungelfahrer auf. Visitenkarten werden keine mehr abgegeben, Zugsanschlüsse, Barbierläden, Halsbinden, Lackschuhe – – all das spielt keine Rolle mehr, wichtiger wird: dass die Kuli ihr Futter haben, dass die Elefanten zur Zeit marschbereit sind, dass nicht zuviel und doch alles Nötige, das man im Wald zum Leben braucht, da sei.

Das «Klambu – – – !»

Jetzt hintendrein scheint es mir wundervoll, wie man in die neuen Welten, die sich da auftun, hineinwächst und bald mit den sonderbarsten Begriffen fertig wird. Das «Klambu» wurde mir zur Alltäglichkeit, wie man so sagt «mein grauer Hut!» Aber es ist nicht etwa der Tropenhelm damit gemeint, wie du vermutest, lieber Leser, denn der heisst «Topi», sondern das «Klambu» ist das Moskitonetz, ohne welches eine Nacht im Dschungel gelegentlich zur Selbstzerfleischung werden könnte. –

Oh hartes, schönes Dschungelleben! Oh köstliches «der Herr deiner selbst sein und deiner Getreuen!» Wie 33 herrlich für ein paar Wochen, wie verzweifelt mühsam nach Monaten!

Wie sauer wurde doch das für einen Schreibtischheiligen wie mich: Zwei Jahre lang im Hocksitz der Wilden am Boden herumzurutschen, beim Schein einer Harzfackel auf dem Deckel des «Gelben» zu schreiben, den Bleistift mit dem Waldmesser gespitzt – – – !

*

So anspruchslos und einfach ich auf meine Urwaldreisen zog, so sehr ich manchmal jeden unnötigen Ballast vermied, um beweglich zu bleiben und eher für eine Nacht auf mein Bett und frische Wäsche verzichtete, als meine Karawane um einen einzigen Mann zu vermehren – ein klein bischen etwas Menschliches hatte ich doch immer mit, im gelben Köfferchen wohlverwahrt – mein Tagebuch.

Durch seine weissen Blätter sprach ich mit der Heimat. In kurzen, knappen Sätzen schrieb ich das hinein, was je und je mein Herz bewegte. Auf Märschen während Mittagsrasten, abends im Bambushaus bei Fackelschein, im Boot, wo immer ich genügend Musse fand, legte ich Erlösung findend das hinein, was während eines heissen Tages an wunderlichen Geistgebilden reif geworden war.

Auch alle Briefe an meine zwei, drei Nächsten in der Heimat bewahrte ich im Doppel darin auf. Und das war das besonders Schöne! Denn, wenn nach langer Zeit die Antwort endlich kam, nach Wochen erst, 34 vielleicht erst nach Monaten, dann konnt' ich Zwiesprach halten mit Europa – – –.

O, wie ich da manchmal, Wort um Wort und Satz um Satz abwägend, meine fremden asiatischen Gefühle, die mich fast zersprengen wollten, an der weisen Antwort kluger, nachsichtiger Freunde zu deuten versuchte! 35

 


 


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