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Im Kampf gegen das Verderben

Mit Superlativen soll vorsichtig sein, wer für die Öffentlichkeit schreibt; gleichwohl dürfen wir hier ohne Übertreibung sagen: Keines von allen Lebensmitteln ist von so schnellem Verderb bedroht wie der Fisch.

Je größer die Zahl derer wird, die Fisch als Speise verlangen (vergrößere sie sich nun durch die natürliche Vermehrung der Bevölkerung oder durch wachsende Beliebtheit des Fisches), je größere Mengen Fisch im Binnenlande verlangt werden und zu allen Jahreszeiten dorthin geschafft werden – und je reicher der Fang infolge verbesserter Verfahren und Geräte ausfällt, um so mehr Arbeit und Geist wird darauf verwendet, den Kampf gegen schnelles Verderben siegreich zu bestehen.

Das erste, was der Fischhandel tun kann, um den von ihm ersteigerten Fisch vor dem Verderben zu bewahren, ist dieses: richtig verpacken und schnell versenden! Das Verpacken ist weniger schwierig, als der Unkundige wohl vermuten möchte. Die Verpackung besteht aus geflochtenen Weidenkörben. In die kommt zu unterst eine Schicht kleingehackten Eises, Auf diese eine Lage Fisch, dann wieder Eis. Nun noch eine Lage Fisch, Eis darauf, eine Matte darübergelegt, nochmals Eis darauf, und der Fisch kann in den Kühlwagen. Dort hält er sich zwar tagelang, aber besser wird er natürlich nicht; deshalb ist bei der Beförderung höchste Eile geboten, zumal auch dem Verkäufer im Fischladen noch eine Spanne Zeit gelassen werden muß; was heute früh eingeht, ist natürlich nicht immer schon am Abend verkauft. So gut geht das Fischgeschäft denn doch nicht.

Für die Forderung des deutschen Fischhandels, den Fisch schnell zu befördern, hat die Deutsche Reichsbahn eigentlich immer Verständnis gezeigt (doch müßte sie Krabben und ähnliche Seetiere, die nicht in die Auktionen kommen, mit Schnellzügen befördern). Das Verständnis ist auch nicht geringer geworden, seit sie Dawes-Bahn geworden ist; bloß die Frachtsätze hat sie seitdem hinaufgeschraubt. Aber sonst rollen noch wie vor dem Kriege täglich aus den Güterbahnhöfen der großen Fischereihäfen die Sonder-Güterzüge nach Deutschland hinein, sogar mit erhöhter Geschwindigkeit von 40 bis 50 km in der Stunde. Von diesen Eilgüterzügen werden in Wesermünde täglich die folgenden vier abgelassen:

nachm. 6.55 nach Berlin und Sachsen,

nachm. 9.40 nach dem Rheinlande,

nachm. 10.26 nach Braunschweig, Magdeburg und Sachsen,

nachm. 10.40 nach Süddeutschland (über Bebra).

Sind die Zufuhren an Seefisch besonders groß, so läßt die Reichsbahn nach Bedarf besondere Eilfischzüge verkehren. Es werden dann die genannten Züge doppelt gefahren.

Gleichwohl zeigt sich auch bei diesem Bahnversande, wie unglücklich die Lage unserer Fischereihäfen im Verhältnis zum Binnenlande eigentlich ist. Man sehe sich die Karte von England an. Es gibt dort keinen Ort, von dem aus die Küste nicht binnen einiger Stunden zu erreichen ist – auch mit Güterzügen. Und dann vergleiche der Leser die kleine schematische Zeichnung über die Verhältnisse in Deutschland. Er sieht dort die verschiedenen Zonen, die zwölf, achtzehn, sechsunddreißig, vierzig Güterzug-Stunden von den Fischereihäfen abliegen. Bis München vierzig Stunden! Das klingt noch erträglich; mag für München selber auch erträglich sein. Aber von München aus werden andere Städte versorgt, und die erhalten ihren frischen Seefisch unter den heutigen Verhältnissen zu spät. Die Gefahr, daß unterwegs etwas verdirbt, ist zu groß – und sie bleibt nicht immer bloß Gefahr. Gescheite Leute sind deshalb schon auf den Gedanken gekommen, den frischen Seefisch mit Flugzeugen in die entfernten Großstädte zu schaffen. Schnell ginge das wohl, und von diesem Gesichtspunkte aus könnte man sich die Sache schon gefallen lassen. Aber wie steht es mit den Kosten?! Erklärt doch der Fischhandel schon die heutigen hohen Dawes-Frachtsätze für »untragbar« (um dieses herrliche Modewort auch in unserem Buche wenigstens einmal zur Geltung kommen zu lassen).

Siehe Bildunterschrift

 

Ob sich auf diesem Gebiete etwas bessern läßt, wie sich's bessern läßt, das sind Dinge der Organisation und kümmern uns hier nicht weiter. Vielmehr interessiert uns hier die Frage: Hat denn noch kein Mensch ein Verfahren erfunden, den Seefisch als solchen zu konservieren? »Als solchen!« Dies soll bedeuten: so konservieren, daß der einzelne Fisch in seiner natürlichen Größe erhalten bleibt und, wenn genußfähig gemacht, trotz der Konservierung den Geschmack des frischen Fisches behält.

Welchen Wert ein solches Verfahren haben kann, läßt sich am besten ersehen, sofern man die Leistungen der bisher in Deutschland geübten und bekannten Konservierungsmethoden kritisch betrachtet. Da gibt es: Einsalzen, Räuchern, Einlegen in Essig, Braten; ferner: Sterilisieren und dann luftdicht einschließen wie die bekannten Ölsardinen, Dauerware, die der Norweger treffend »Hermetik« nennt. Alle diese Verfahren sind sehr lobenswert und brauchbar. Doch erfüllt keines von ihnen das, was wir hier im Auge haben. Sie sind anwendbar nur auf kleine Fischsorten – oder auf mittlere, die in kleinere Stücke geschnitten werden, wie beispielshalber die »Gabelbissen«. Und was sie hauptsächlich vermissen lassen: die so konservierten Fische ergeben nie und nimmer ein Mittagessen! Ihr Platz ist nur auf der Abendtafel, höchstens noch – bei Wohlhabenderen – auf dem Frühstückstisch. Die Grundlage unserer Ernährung bildet jedoch das Mittagessen, und auf der Mittagstafel hat nur ein richtiger großer Fisch etwas zu suchen, der heiß serviert werden kann. Denn ein kaltes Mittagbrot ist in Anbetracht unserer anders gearteten Gewöhnung nie und nimmer ein Mittagessen; ist für ein solches immer nur »Ersatz« (im üblen Sinne der Kriegs- und Nachkriegszeit). Bismarckheringe, Rollmöpse, Ölsardinen, geräucherte Flundern zu kochen, zu braten oder sonstwie heiß zu machen – auf diesen Gedanken wird kein vernünftiger Mensch kommen.

Ähnliche Kalamitäten liegen übrigens auch bei unserer Fleischnahrung vor; diese Tatsache darf hier nicht übergangen werden. Richtige große Bratenstücke auf längere Zeit haltbar zu machen: dafür gibt es eigentlich nur ein Verfahren, das Einpökeln. Auf den Fisch übertragen, erhalten wir jenes Erzeugnis, das wir als Klippfisch kennen – der in Deutschland kaum Freunde haben dürfte. Einzelne gebratene oder gekochte Portionen Fleisch stellt unsere Industrie als sogenannte Jagdkonserven her. Wir wollen dieses Erzeugnis hier nicht herabsetzen; wer es jedoch aus Erfahrung kennt, wird wissen, wie wenig schmackhaft es ist und wie vor allem das Fleisch weich und unansehnlich geworden ist. Gerade diese Erfahrung wird jeden von vornherein von dem Versuche abhalten, den schon von Natur weicheren Fisch auf gleiche Weise konservieren zu wollen. Der neueste Weg, Fleisch für Koch- und Bratzwecke zu konservieren, ist das Gefrierverfahren. Mit Gefrierfleisch hat uns Amerika ja in den letzten Jahren zur Genüge überschüttet. Beliebtheit hat es sich bei uns nur in mäßigen Grenzen errungen. Das liegt – es sei dies besonders betont, um einer gerechten Beurteilung das Wort zu reden – in erster Linie am Fleische selber! Was uns Amerika schickt, ist in der Hauptsache Schaffleisch. Das ist schon an sich nicht jedermanns Sache, selbst dann nicht, wenn es ganz frisch und bester Güte ist; wer einmal den Vorzug gehabt hat, längere Zeit hauptsächlich von Schaffleisch leben zu müssen (wie der Verfasser auf Island), in dem erwächst eine »unüberwindliche Abneigung«. Das weichliche, talgige Schaffleisch paßt nicht zum deutschen Geschmack; und dies ist der eine Grund, weshalb Gefrierfleisch bei uns wenig volkstümlich geworden ist. Der andere Grund ist in gewissen Mängeln des Gefrierverfahrens zu suchen; es lockert die Fasern und läßt die äußeren Fleischpartien leicht auftauen.

Da der Mensch, wenn es sich ums Geld dreht, so leicht nichts unerprobt läßt, so hat man sich auch an einem »Gefrierfisch« versucht. Man machte sich die Sache leicht. Hängte nämlich den Fisch ins Kühlhaus oder bei Frostwetter einfach ins Freie und ließ ihn so »gefrieren«. Um es kurz zu sagen: es ist nichts dabei herausgekommen. Der Fisch hatte an Geschmack verloren, dafür aber nichts besser konserviert als seinen typischen, jedoch wenig geschätzten Geruch. Zudem taute er leicht wieder auf und war in der Faser unansehnlich geworden. –

Irgendwo stand einmal zu lesen, in Amerika konserviere man Lachse, indem man sie mit einer Eisglasur überzieht. Dabei ließ sich nicht viel denken; die Nachricht klang zu geheimnisvoll. Im Jahre 1924 brachte die skandinavische Presse die Meldung, dieses amerikanische Verfahren würde jetzt in Dänemark auf den frischen Seefisch angewendet; eine neue Zeit bräche damit für die Fischerei herein. Worte wurden genug um die Sache gemacht, doch ging nichts Genaueres aus ihnen hervor. Da die nordische Presse sowieso zu Übertreibungen und Überschwänglichkeiten neigt, dieses kolumbische Ei auch in Dänemark ausgebrütet sein sollte, das auf dem Welt-Fischmarkt nur eine verschwindende Rolle spielt, so ließ ich die Sache auf sich beruhen und vergaß sie schließlich.

Um so freudiger ward ich überrascht, als ich auf den vielen Fahrten und Gängen, die mich zum Fisch und seinen Schicksalen führten, in Deutschland selber auf ein Unternehmen traf, das große Seefische durch Abkühlen und Eisglasieren zu konservieren vermag. Die Leistungen dieses Verfahrens setzen tatsächlich in Erstaunen. Der Fisch hält sich in Kellerräumen wochenlang, in Kühlräumen monatelang, wird ohne Eis versandt, ist leicht aufzutauen, unterscheidet sich nach dem Auftauen in nichts von einem frisch angebrachten Fisch und ist auch dann noch mehrere Tage haltbar. Ich schreibe das hier nicht etwa bloß, weil es so auch in den Anpreisungen der Fabrik (der Kühlfisch-Aktiengesellschaft Wesermünde) zu lesen ist; wir hoffen, der geneigte Leser hat sich aus allem, was er bisher in diesem Buche hörte, überzeugt, daß Verfasser grundsätzlich nur immer seinem eigenen Urteile traut, sich nicht leicht etwas »aufreden« läßt. So ist er nicht nur in die Kühlfisch-Werke hineingekrochen, sondern hat Güte und Haltbarkeit des Kühlfisches selber ausprobiert. Zu diesem Zwecke ließ er sich einen Kühlfisch mit der Post kommen (für Feinschmecker: eine wundervolle Riesen-Seezunge von mehr als 60 cm Länge und fast 8 Pfund Gewicht!). Die Verpackung bestand aus nichts anderem als einigen Bogen glatten Packpapiers, in üblicher Weise mit Bindfaden umschnürt. Der Fisch war am 10. Februar nachmittags zwischen 6 und 7 Uhr zur Post gegeben; am 13. Februar vormittags ½11 Uhr wurde er zugestellt. Er war also 63½ Stunden unterwegs. Beim Auspacken zeigte sich alles Papier völlig trocken; nur der innerste Bogen war auf seiner Innenseite leicht angenäßt. Der Fisch war bis auf die Mittelgräte, also durch und durch, aufgetaut und weich. Als er abgezogen war und in Stücke geschnitten wurde, ergab sich, daß er gleichwohl innen noch völlig kalt war; beim Hantieren mit den Stücken verursachte die Kälte fast Schmerzen in den Fingerspitzen. Unter diesen Umständen konnte kaum überraschen, daß der Fisch im Innern noch vollkommen blutfrisch war; er blutete tiefrot, als sei er eben erst gefangen gewesen – und doch war er sechs Wochen alt! Erst hatte er sieben Tage auf dem Fangschiffe in Eis gelegen, dann anderthalb Tage in Wesermünde in der Auktionshalle, und zuletzt fünf Wochen bei der Kühlfisch-Aktiengesellschaft. Es läßt sich hieraus ersehen, wie glücklich an allen Stellen das Verderben bekämpft wird.

Das Fleisch der Seezunge war völlig fest in der Faser wie bei einem ganz frischen Fische. Diese Festigkeit behielt es bei allen vier Arten, in denen das Riesentier zubereitet wurde: gebacken in schwimmendem Fett, gebacken in Muscheln als feines Ragout, gekocht zu Fischsuppe mit Fischstücken-Einlage, eingekocht in Gallert.

Acht Tage später wurde derselbe Versuch mit einem Schellfisch wiederholt. Er hatte die gleichen, nach jeder Richtung befriedigenden Ergebnisse.

Das bisher vermißte Konservierungsverfahren für großen Fisch ist jetzt da! – Ob es in seiner heutigen Gestalt wirtschaftlich ist, ob es sich noch verbessern ließe – dies sind Fragen, die nicht hier zu erörtern sind.

Die mit beträchtlichen Geldmitteln gegründete Aktiengesellschaft Kühlfisch mußte für ihr Verfahren begreiflicherweise gänzlich neue, dem neuen Zwecke angepaßte Gebäude errichten. So sieht es dort einstweilen blitzsauber und appetitlich aus. Daß dieses erfreuliche Bild mit der Zeit an Sauberkeit einbüßen wird, ist nicht zu befürchten, denn das Verfahren bringt nicht den geringsten Schmutz mit sich. Verraten, werden darf hier, daß es in der Hauptsache aus folgendem besteht: Es wird durch chemische Mittel eine starke Sole (Salzwasser) herabgekühlt bis auf etwas mehr als 20 Grad unter Null. Der Frischfisch (ausgenommen, doch sonst als ganzes Stück) kommt in diese Sole und wird auf deren Temperatur durch und durch gekühlt. Der nunmehr harte und feste Fisch wird herausgenommen, erst jetzt geköpft (mit prachtvoll glattem, nicht faserndem Schnitt) und in Wasser von null Grad getaucht. Auf Grund seiner niedrigen Temperatur gefriert das Wasser, das seine Oberfläche berührt, an dieser zu einer Glasur von Eis. Diese Glasur ist es in erster Linie, die den Fisch weiterhin tadellos erhält, denn sie schließt ihn von der Außenluft hermetisch ab. Der so behandelte Fisch kommt in Kühlräume, die auf 10 Grad unter Null gehalten werden. Ihn aus dieser niedrigen Temperatur wieder aufzutauen, dazu gehört soviel Wärme, daß auch in lauer Luft lange Zeit vergeht, bis er wieder weich geworden – was nicht weiter verwunderlich ist, denn das gleiche führt uns die Natur in jedem Frühjahr vor: Wenn schon längst die Schneeglöckchen und die Krokus sprießen, dann hält sich noch immer das Eis in Teichen und Seen, und deren Wasser behält allen Frühlingslüften zum Trotz die Temperatur von null Grad, bis das letzte Krümchen Eis geschmolzen ist. Die Menge der zum Schmelzen nötigen Wärme läßt sich durch einen einfachen Versuch von jedem Laien ermitteln. Man bringe in einem Topfe 1 l Wasser zum Kochen, erhitze es also auf 100 Grad Celsius; dann schütte man 1 kg trockenen Schnee hinein. Der Schnee wird schmelzen und fast 1 l Wasser ergeben; ist er geschmolzen, so wird der Topf 2 l Wasser enthalten. Und welche Temperatur werden die 2 l Wasser besitzen? Der Unkundige wird gefühlsmäßig raten: Nun, etwa die Hälfte zwischen null und 100 Grad, also 50 Grad oder vermutlich etwas weniger. Mißt er nach, so findet er zu seiner Verblüffung, daß die 2 l nur null Grad Temperatur haben! Eis oder Schnee zum Schmelzen zu bringen erfordert also genau soviel Wärmezufuhr, wie nötig ist, die gleiche Menge Wasser von null Grad auf 100 Grad zu erhitzen! Nun wird dem Leser begreiflich sein, weshalb der tief unter null Grad gekühlte Fisch sich so lange in gefrorenem Zustande hält.

Das Kühlfisch-Verfahren ist jedem sonstigen Gefrierverfahren überlegen durch die Schnelligkeit, mit der es arbeitet. Ein achtpfündiger Kabeljau ist in der Sole binnen 2 Stunden durch und durch auf -21 Grad gefroren. Beim Gefrierenlassen an der Luft (also auch in Kühlhäusern) sind 36 Stunden erforderlich! In dieser achtzehnmal längeren Zeit wird obendrein nur eine Abkühlung auf -15 Grad erzielt. Während der 36 Stunden gehen in dem Fisch gewisse Zersetzungen vor sich; sie haben zur Folge, daß sich die Fleischfasern lockern, wohl gar reißen, und nach dem Auftauen fällt das Fleisch des luftgefrorenen Fisches nicht selten auseinander, oft schon beim Zerschneiden, und fast immer beim Kochen. Das Kühlfisch-Verfahren mit seiner Dauer von nur 2 Stunden läßt es zu solchen Zersetzungen nicht kommen. Daher ist der Kühlfisch nach dem Auftauen dem Frischfisch gleichwertig, wie mir dies durch unsere oben beschriebenen Versuche selber erprobt hoben. Das Kühlfisch-Verfahren verändert die Struktur des Fischfleisches so wenig, geht so glimpflich mit dem Fische um, daß es nicht einmal die Lebenskraft des lebenden Gewebes vernichtet. Es mag unglaublich klingen, wie eine Münchhauseniade anmuten – und ist dennoch Wahrheit, daß man folgenden Versuch angestellt hat: Lebende Karpfen wurden in die Sole gebracht! Binnen weniger Minuten waren sie hartgefroren. Man nahm die stocksteifen Fische nun wieder heraus und legte sie in lauwarmes Wasser. Siehe da: die glanzlosen Augen der »toten« Fische klärten sich, die Kiemendeckel fingen zu arbeiten an, und bald tummelten sich die Fischlein wieder wohl und munter, als seien sie nie »erfroren« gewesen! Gewiß ein Beweis, daß die tödliche, erstarrende Kälte ihre Lebensgeister zwar zum Stillstand gebracht hatte, ihre inneren Organe aber in nichts verändert hatte.

Hoffen wir, das Kühlfisch-Verfahren möge sich nach jeder Richtung bewähren! Ist es doch das bisher einzige, das für deutsche Verhältnisse und für deutschen Geschmack paßt. Es sind hier noch zwei andere, seit fast 200 Jahren geübte Verfahren zu erwähnen, deren Produkte in Deutschland jedoch keinen Anklang gefunden haben und voraussichtlich auch kaum je finden werden: Stockfisch und Klippfisch. Im Kriege, während der Hungerblockade, haben wir sie uns mehr oder weniger – meist weniger – gefallen lassen; noch jetzt mag mancher schaudernd an den »Frost« zurückdenken, den zum Beispiel die soldatische Feldküche aus ihm fabrizierte (kaum gewässert, mit Sauerkraut in einem Topf gekocht und dann – wenn's gut ging – nachts völlig erkaltet in Stellung vorgebracht!). Nun, über die Geschmäcker ist jeder Streit müßig. Die katholischen Mittelmeervölker schätzen Klippfisch und Stockfisch sehr, hauptsächlich in der warmen Jahreszeit, wenn Frischfisch einen Versand absolut nicht verträgt, und es gehen ganze Schiffsladungen von ihm auch nach Südamerika und nach Westafrika.

Klippfisch und Stockfisch sind die urwüchsigsten Konserven auf diesem Gebiete. Das Wesentliche an ihrer Herstellung ist dies: sie werden beide an der Luft getrocknet. Der Unterschied zwischen Klippfisch und Stockfisch ist ein doppelter. Zunächst der, den das Auge auch des Unkundigen ohne weiteres feststellen kann: Stockfisch ist nur ausgenommen, behält oder im übrigen beim Trocknen seine runde, walzenartige Körperform; aus dem Klippfisch hingegen wird die Mittelgräte herausgelöst, die beiden Körperhälften werden aufgeklappt und der ganze Fisch flachgepreßt (wer's nicht besser weiß, kann meinen, zu Klippfisch würde nur Plattfisch verarbeitet). Der andere, nicht ohne weiteres sichtbare Unterschied: Klippfisch wird eingesalzen, Stockfisch nicht.

In der Natur der Sache liegt es, daß man zu Klippfisch immer größere, ansehnliche Exemplare bevorzugen wird, während stockfischmäßig auch kleinerer Fisch behandelt wird (Verfasser sah in Finnmarken Stockfisch zum Trocknen aufgehängt, der so klein war, daß man ihn schlecht und recht für nichts anderes als Hering ansehen konnte). Im allgemeinen läßt sich sagen: so gut wie ausschließlich ist es Schellfisch jeder Art, der zu Klippfisch und Stockfisch verarbeitet wird; also Kabeljau (Dorsch), Köhler, der sogenannte Hechtdorsch und der Wittling (auch Merlan genannt). Erfunden sind beide Verfahren in Norwegen; für den Klippfisch nimmt das Städtchen Kristiansund die Ehre für sich in Anspruch. Klippfischbereitung kam von dort noch Island und Schottland, und dieses letztere dürfte die beiden anderen Länder heute überflügelt haben. Herstellung von Stockfisch jedoch ist noch heutigentags so gut wie Monopol für Nord-Norwegen. Ein Besuch dort oben ist in der Saison, d. h. in den Monaten Februar bis Juni, sehr interessant, wenngleich in mancher Hinsicht kein reiner Genuß. Die östlichste Ecke von Nord-Norwegen (der Schwanz des »Pudels«, den Skandinavien auf Landkarten bildet), sie ist die eigentliche Heimat des Stockfisches. Von Natur wüst und öde, bestenfalls im Juli und August mit etlichen kümmerlichen Gräsern bestanden, »belebt« sie sich während ihrer Saison. Mit totem Fisch, mit Fischmumien. Überall an der Küste findet der Besucher dann eigenartige Gestelle aus langen hölzernen Pfählen, als hätte man lauter hölzerne Wäscheleinen gezogen. An ihnen wird der Stockfisch zum Trocknen aufgehängt: die Schwanzflosse des einen wird durch einen Schnitt geschlitzt, die Schwanzflosse eines zweiten durch den Schlitz gesteckt und so ein Zwillingspärchen geschaffen, das man aufhängen kann, ohne sonstiger Befestigung zu bedürfen. So reihen sich auf den wagerechten Querstangen Fisch an Fisch – und Stange an Stange. So weit man blickt: nichts als dieser Fisch, nach Millionen zählend. Die Köpfe sind sämtlich abgeschnitten und mit Bindfaden gebündelt; richtige große Trauben sind aus ihnen gebildet. Sie hängen an den Pfählen, die die Querstangen tragen, oder sind auch einfach auf den nackten Erdboden gelegt. In Abständen ragen aus diesen Kompanien und Regimentern von Trockengestellen lange Stangen auf, an denen allerlei baumelt: Rutenbüschel, ansehnliche große Stücke blanken Bleches – am häufigsten aber tote Möwen. Das sind die hier durchaus nötigen Vogelscheuchen, denn der Fischer hat seine Plage damit, daß ihm die zahllosen Möwen nicht den aufgehängten Fisch wegfressen. Von toten Möwen als Vogelschreck verspricht man sich dort oben offenbar am meisten. Man gibt den geflügelten Fischräubern mit ihnen einen deutlichen Wink: Seht ihr, so geht's auch euch! Die Holzgestelle sind so hoch, daß auch große Leute unter dem baumelnden Fisch aufrecht hindurchgehen können. Wie man im Orient unter Palmen wandelt, läßt sich in Finnmarken also unter Stockfisch wandeln – stundenlang, meilenweit, sofern man sich nicht durch den widerlichen Gestank vertreiben läßt. Auch empfiehlt sich, mit dem Lustwandeln zu warten, bis der Fisch halbwegs trocken ist; die ersten acht Tage tropft er nämlich mit anerkennenswerter Ausdauer. Kurz, ästhetisch ist das Ganze keineswegs. Aber ein gutes Geschäft soll es sein und muß es wohl sein, sonst fänden sich dort oben am Eismeer nicht jedes Jahr an die 30 000 fremde Fischer ein.

Weit appetitlicher ist der Umgang mit dem Klippfisch, wenigstens wenn ihn der Unbeteiligte zu sehen bekommt. Dann liegt er schon ein bis zwei Monate in großen Schuppen im Salz, sieht schon ganz hübsch weiß aus und riecht auch nur noch wenig. Seines Gewichtes wie seiner Größe halber kann man ihn nicht an Stangen oder Leinen aufhängen, sondern legt ihn zum Trocknen platt auf die nackte Erde. Wer die Reise zum Nordkap einigermaßen zeitig im Jahre antritt, kann ihn unterwegs noch überall auf den felsigen Klippen liegen sehen. Dieser Örtlichkeit soll er auch seinen Namen verdanken; soll Klippfisch heißen, weil er auf Klippen trocknet, während Stockfisch nach den »Stöcken« genannt sein soll, an denen er beim Trocknen baumelt. Sprachgelehrte bestreiten diese Namenserklärungen; wohl mit Recht. Klippfisch kommt offenbar von dem skandinavischen Worte »klippa«, das »schneiden« bedeutet; er ist also der »geschnittene« Fisch (was er ja tatsächlich auch ist, wie wir vorhin erklärten). Und im übrigen heißt eine »Klippe« im Norwegischen nicht Klippe, sondern »skjär« (gesprochen »schär«). Die Isländer, die heute einen ganz besonders guten Klippfisch liefern, legen ihn auch gar nicht auf Klippen, sondern auf das in ihrem Lande weit verbreitete Lavagestein. Große, mächtige ebene Plätze sind auf Island mit diesem Gestein belegt; fast könnte man sagen: gepflastert. Es ist, wie jede Lava, sehr porös und soll Feuchtigkeit in sich aufsaugen, so daß es ganz besonders geeignet als Unterlage für den Fisch ist, der trocknen soll. Ihm schreibt man zum großen Teil die Güte des isländischen Klippfisches zu. Das mag wohl sein. Das Beste beim Trocknen tut aber doch der langanhaltende sommerliche Sonnenschein und die reine, dünne, daher trockene Luft. In aller Morgenfrühe, sobald die Sonne zu wärmen beginnt, wird der Klippfisch ausgelegt, ein Fisch dicht neben den andern, so daß der Fuß kaum Platz zwischen ihnen hat. Sieht man so einen großen Trocknungsplatz von weitem, so kann man wohl meinen, es habe dort geschneit. Spät am Abend wird der Tisch wieder zusammengenommen, in runden Stapeln aufgestapelt und mit Planen bedeckt, um ihn gegen Tau und sonstige Feuchtigkeit zu schützen. Ist dieses Verfahren fünf- bis sechsmal wiederholt, dann ist der Klippfisch fertig. Man bündelt ihn und umschnürt ihn mit Stücken von einer Art Sackleinwand. Weiterer Verpackung bedarf er nicht. Hieraus erklärt sich seine Billigkeit.

Auf Besuchen in den warmen katholischen Ländern kann man sich sehr schnell überzeugen, wie volkstümlich der Klippfisch dort ist. Wie bei uns die Obstfrauen an den Straßenecken sitzen oder auch die Würstchenhändler ihren Stand aufgeschlagen haben, so findet man in den südlichen Großstädten überall leichte Zeltbuden, in denen neben Eßkastanien und gerösteten Nüssen auch Klippfisch feilgeboten wird. Und in den Häfen erscheinen immer wieder Segelschiffe aus den Nordländern, die Tausende von Ballen Klippfisch anbringen.

Dem Klippfisch und dem Stockfisch steht in der Tat der Weltmarkt offen. Wir haben dies zu schildern und nachzuweisen versucht, um die Bedeutung ins rechte Licht zu setzen, die der deutschen Fabrikation dieser Fischkonserven zukommt. Ja, auch in Deutschland wird Klippfisch und Stockfisch seit einer Reihe von Jahren hergestellt! Nicht für den deutschen Verzehr, oder für die Ausfuhr ins Ausland. Da haben wir zunächst in Wesermünde die »Ersten Deutschen Stock- und Klippfischwerke«; dann die jüngeren, nicht ganz so bedeutenden Dierking-Werke in Kuxhaven. Diese beiden Werke haben im Jahre 1924 nicht weniger als 30 Millionen Pfund Seefisch (300 000 Korb!) vor dem Schicksal bewahrt, in die Fischmehlfabriken wandern und dort als Viehfutter enden zu müssen! Was bedeutet dies für unsere Volkswirtschaft? Nun, dies Exempel ist nicht schwer: Als Futter hätte diese Fischmenge einen Wert von höchstens 2 Millionen Mark; als Klippfisch jedoch nicht unter 5 Millionen Mark! Das bedeutet zunächst einen glatten Unterschied von 3 Millionen Mark zugunsten des Klippfisches. Dieser Wertzuwachs ist für unsere Volkswirtschaft besonders erfreulich, weil ihn das Ausland an uns gezahlt hat; nahm doch das Ausland all diesen Klippfisch ab.

Siehe Bildunterschrift

Der Herr Generaldirektor Wr... bei seinen Lieblingen, den Klippfischen.

Es leuchtet ein, daß sich durch Erzeugung von Stockfisch und vor allem von Klippfisch bedeutende Möglichkeiten für das deutsche Fischereigewerbe (in seiner Gesamtheit) öffnen. Erfreulich ist, daß die Erzeugung gelang, obgleich ihre natürlichen Vorbedingungen bei uns künstlich ersetzt werden müssen; erfreulich ist, daß der deutsche Klippfisch sich auf den Hauptmarken ohne Schwierigkeit einführte; erfreulich auch, daß die Herstellungskosten niedrig genug blieben, um der deutschen Ware Absatz zu sichern. Freilich ließen sich diese Kosten so niedrig nur halten, weil die deutsche Klippfischfabrikation gleich fabrikmäßig einsetzte, dies will sagen: unter Einstellung von Maschinen, z. B. für das Köpfen des Fisches und für das Herausschneiden der Mittelgräte. Aber diese Maschinen wollten erst erfunden sein, weil sie noch nicht existierten! Der Anfang war für diese neue deutsche Industrie also nicht leicht.

Siehe Bildunterschrift

Wo man den Klippfisch wiederfindet.
Klippfisch, der soeben mit einem norwegischen Segler im Hafen von Oporto eintraf, wird zum Speicher geschafft – nicht etwa mit dem Ochsenkarren, sondern nach landesüblicher Sitte auf dem Kopfe der Hafenarbeiter. Der Leser mag sich selber ausrechnen, wieviel Mann laufen müssen und wie oft, um einen Segler von 300 t zu löschen.

Siehe Bildunterschrift

Freiluft-Warenhaus in Oporto. Neben allen möglichen anderen Waren prunkt als Hauptstück der Klippfisch – sehr zur Freude der Norweger und Isländer.

Seit etwa einem Jahre hat sich nun noch ein drittes deutsches Werk hinzugefunden. Das ist niemand anders als unsere gute Freundin, die »Nordsee« in Nordenham. Dort ist die Klippfischherstellung mit vorbildlicher Tatkraft und in ausgedehntestem Maße aufgenommen worden. Es ist kaum jemand mehr dazu berufen als diese größte aller deutschen Dampffischerei-Gesellschaften. Mit Staunen sah ich, welch ungeheuren Räume dort dem neuen Erzeugungszweige dienstbar gemacht worden sind; überzeugte mich voller Freude, daß der Klippfisch aus Nordenham vom isländischen nicht zu unterscheiden ist, und hörte an Ort und Stelle, nämlich in Portugal bei den Großhändlern, wie man seine Güte dort rühmte.

Das sind glückliche Entwicklungen, und gleichwohl alles erst Anfänge. Sie lassen jedoch hoffen, es werde sich hier eine wirklich große Industrie aufbauen. Zur Verwertung der Riesenfänge unserer Fischdampferflotte wie zur Ausfuhr ins Ausland – und dadurch zur Besserung unserer Handelsbilanz!


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