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Häfen und Märkte

Von Fischmärkten und Fischauktionen ist jetzt soviel die Rede gewesen, daß der Leser begierig ist, Näheres darüber zu hören.

Deutschland besitzt drei große Fischmärkte: Wesermünde, Altona, Kuxhaven. Die Reihenfolge entspricht ihrer Bedeutung. Wesermünde ist der größte Fischmarkt, mehr als doppelt so groß wie die beiden andern. Zahlen beweisen: Im Jahre 1924 wurden in Wesermünde 12 Millionen Korb Fisch (der Korb zu je 1 Zentner) verauktioniert, in Altona und Kuxhaven je 5 Millionen Korb. An Geld ergab dies Umsätze von 15½, 7 und 6½ Millionen Mark. Das sind gewaltige Zahlen. Dabei sind sie nicht einmal Endziffern, denn hier sprechen wir ja nur von dem, was die Dampfer an Seefisch anbringen, während auch die Logger, die Segler, die Kutter noch da sind.

12 Millionen Korb Fisch an einem einzigen Platze im Laufe eines Jahres verauktioniert! Es ist klar: zur Bewältigung solcher Warenmengen gehören besondere Vorrichtungen. Zunächst einmal für die Dampfer, auf denen die 12 Millionen Korb angebracht wurden. In Wesermünde sind 155 Fischdampfer beheimatet; hinzuzurechnen sind die 42 Fischdampfer unserer guten Freundin, der »Nordsee« in Nordenham, denn auch sie landen ihre Fänge meist in Wesermünde. Zusammen sind das 197 Dampfer. Wenig gerechnet, läuft jeder Dampfer einmal im Monat mit Fang ein und bleibt zwei bis drei Tage im Hafen liegen. So sind im Jahre 1924 in Wesermünde mehr als 2000 Anladungen erfolgt mit rund 5000 Liegetagen. Täglich haben somit 14 Dampfer im Hafen gelegen. Durchschnittlich! In ruhigen Zeiten weniger, in der Hochsaison jedoch das Doppelte, das Dreifache! Es ist somit einzusehen, daß zum Betriebe eines großen Fischmarktes entsprechende Hafenanlagen die erste Voraussetzung bilden. Der größte Fischdampferhafen Deutschlands ist, wie nach dem Gesagten begreiflich, das frühere Geestemünde, das seit seiner Vereinigung mit Lehe nun Wesermünde heißt. Wir wollen darauf verzichten, den Leser mit Zahlen zu langweilen, wollen ihm nicht die Ausmaße dieses Hafens vorbeten. Es mag die Versicherung genügen: er ist eine gewaltige Anlage – und trotzdem zu klein, so daß an seiner Vergrößerung seit Jahren gearbeitet wird. Riesengroß ist dieser Fischereihafen (und groß sind auch die Häfen in Altona und Kuxhaven); dennoch fehlen ihm die mächtigen, vielstöckigen Warenschuppen und Silospeicher, die wir in den Welthandelshäfen bewundern. Aufgestapelt werden in einem Fischereihafen Güter eben nicht. Ein Fischereihafen ist nicht mehr als ein Umschlaghafen: schnell herein mit der Ware – und möglichst schnell wieder hinaus mit ihr! Auf diesen Zweck ist alles zugeschnitten. Zu den hervorstechenden Eigenschaften eines Fischereihafens gehört daher, daß sich in ihm alles zu ebener Erde abspielt. Er beansprucht deshalb viel Raum, viel Platz. Je mehr Dampfer in ihm beheimatet sind, um so länger müssen seine Kai-Anlagen sein, um recht vielen Fahrzeugen gleichzeitig das Löschen zu ermöglichen. Die Kais müssen niedrig sein, damit die Dampfer ihre Fischkörbe aufs Land setzen können, ohne Krane zur Hilfe zu benötigen. Wo der Fischereihafen im Gebiete von Ebbe und Flut liegt, wo also bei Niedrigwasser die Kais zu hoch über dem Wasserspiegel liegen würden, läßt man den Hafen ein geschlossenes Becken bilden, das gegen Ebbe und Flut abgeschleust werden kann. Die an Land kommenden Fischkörbe müssen sogleich einen Schuppen vorfinden, wo sie gegen Regen wie gegen Sonnenschein geschützt sind. Der Schuppen muß so lang wie der Kai sein und breit genug, um auf die Länge eines Fischdampfers (etwa 50 m) dessen gesamte Ladung, Korb an Korb gestellt, beherbergen zu können und zugleich noch Platz für die Abfuhr zu lassen. Unmittelbar an dem Schuppen müssen die Räume der Aufkäufer liegen, um hier den Fisch versandfertig zu packen. Und unmittelbar hinter den Packräumen muß sich der Fischerei-Güterbahnhof befinden, wo der versandfertige Fisch in die Kühlwagen verladen wird, um ins Innere des Landes abzurollen. Ein Fischereihafen ist daher sehr übersichtlich angelegt, sehr einfach, völlig unkompliziert – aber stets importierend durch die Größe der von ihm eingenommenen Fläche. Die üblichen bildlichen Ansichten der Fischereihäfen sagen nicht viel, denn sie geben immer nur einen bescheidenen Ausschnitt aus dem Ganzen wieder. Lehrreich sind erst Bilder aus der Vogelschau. Wir sind in der angenehmen Lage, unserem Buche ein solches Bild, aufgenommen vom Flugzeug aus, vom Wesermünder Fischereihafen beigeben zu können.

Siehe Bildunterschrift

Waschen und putzen des Herings und der kleinen Schellfische und Wittlinge, die hinterher geräuchert werden sollen. Links hinten hängen schon Fische auf den eisernen Stangen, an denen sie in den Räucherofen geschoben werden.

Siehe Bildunterschrift

Vor dem Bratofen.
Der zukünftige Bratfisch wird in Mehl gewälzt. Hinten der Brater mit der fahrbaren Bratpfanne, die in den Ofen hineingeschoben wird.

Unter denen, die sommers zur See reisen, werden sich auch manche unserer Leser befinden. Diesem und jenem von ihnen wird unser Buch Lust gemacht haben, den Aufenthalt im Seebade zur Besichtigung eines unserer Fischereihäfen zu benützen. Ihnen sei ein guter Rat erteilt: Verliert nicht Tagesstunden mit solchem Besuche! Bei Tage ist in einem Fischereihafen so gut wie nichts zu sehen. Die Arbeit dort geht in der Nacht vor sich, und die Auktion findet in aller Herrgottsfrühe statt. Die Dampfer beginnen mit dem Löschen ihrer Fänge erst am Abend – im Sommer kaum vor zehn Uhr. Korb für Korb kommt dann stundenlang aus dem mächtigen Bauche des Schiffes herauf und wird in die große Halle (die wir vorhin Schuppen nannten) geschoben. Dort übernehmen die Beamten des Hafens den Fisch. Sie sortieren ihn noch einmal und packen ihn um in Kisten, von denen eine jede ziemlich genau 120 Pfund Gewicht faßt. Die Kisten haben keine Deckel; sie sollen ja auch nicht verschlossen werden, denn der Käufer will sich überzeugen, wie der Inhalt aussieht (die Katze im Sack wird auch auf Fischmärkten nicht gekauft). Hingegen weisen die Kisten übereinstimmend eine kleine Merkwürdigkeit auf: sie haben oben auf ihren Längswänden schmale, flache Leisten. Wie wir später hören werden, haben sie den Zweck, den Bietern zu ermöglichen, sich auf die Kisten, deren Inhalt sie ersteigern wollen, zu stellen.

Siehe Bildunterschrift

Links aufeinandergesetzt eine Anzahl Horden, auf denen der Bratfisch zwanzig Minuten im Bratofen gebraten wurde. Nun wird er zusammen mit Gewürzen und Essig säuberlich in Blechbüchsen gepackt.

Siehe Bildunterschrift

Die Büchsen mit den Fischmarinaden werden durch Maschinendruck rein mechanisch geschlossen (deutsche Marinaden werden nicht luftdicht verschlossen, da sie nicht lange haltbar zu sein brauchen).

So reiht sich im Laufe der Nacht dort in der Halle Kiste an Kiste. Sie bilden Kompanien, Bataillone, Regimenter – schließlich steht eine ganze Armee dort in Reih' und Glied, die Reihen zwanzig Kisten breit und die Glieder unübersehbar, die ganze lange Halle hindurch, von vorn bis hinten. Wer die Parade abnehmen will, kann ein Viertelstündchen laufen, bis er Glied für Glied passiert hat. Inzwischen ist es Morgen geworden. Um sieben Uhr beginnt die Auktion. Die Bieter finden sich ein und auch die Versteigerer mit ihren Schreibern. Doch nicht jeder darf mitbieten. Es geht hier zu wie auf der Börse: nur Zugelassene dürfen sich beteiligen.

Und dennoch: nicht wie auf der Börse. Überhaupt nicht wie auf einer ordentlichen Auktion. Der Leser hat einer Versteigerung sicherlich schon beigewohnt. Er erinnert sich, daß der Versteigerer den Gegenstand, auf den zu bieten ist, den Versammelten zeigt, ihn dann auf den Tisch stellt und nun auf Gebote wartet. Wie dann einer »eine Mark« bietet, die Gebote groschenweise hinaufgehen, der Versteigerer jedes Gebot wiederholt, schließlich, wenn keiner der Bieter das letzte Gebot übertrumpft, mit lauter Stimme in den Saal ruft: »Zwei Mark achtzig zum ersten – zum zweiten – und« (mit erhobener Stimme) »zum dritten!« und dann – krach! – den Hammer auf den Tisch schlägt. Das ist die Art, wie ein Nachlaß versteigert wird oder gepfändete Sachen. Das Kunterbunt, das hierbei unter den Hammer kommt, lockt Bietlustige aus allen Kreisen an, Gebildete und Ungebildete, gelehrte Sammler wie Althändler und Trödler, die grundsätzlich keine Auktion versäumen und mit dem Versteigerer gut bekannt, oft befreundet sind und von ihm, wenn sich die Geschichte in die Länge zieht, eine Tasse Kaffee (auf Kosten der Versteigerungsmasse) vorgesetzt erhalten, um sie bei guter Laune zu erhalten. Denn ohne diese Stammkundschaft bliebe erfahrungsgemäß vieles unverkauft – und gerade die Stücke, die ins Geld laufen. Es kommt so ein Zug von Gemütlichkeit in das Ganze. Scherzworte fallen, das übrige Publikum legt seine ursprüngliche Scheu ab und fängt Unterhaltungen an, erst über die ausgebotene Ware, dann über Dinge allgemeiner Natur – und schließlich herrscht in solchem Auktionslokale eine Stimmung und ein Lärm, als wäre das Ganze eine Volksbelustigung oder als würde hier Judenschule gehalten.

Nicht viel anders geht es auf Versteigerungen zu, die nur von einem bestimmten Kreise von Personen besucht werden. Berühmt in diesem Sinne sind ja die Holzauktionen – seit einem Gassenhauer, den alle Welt kennt und den ein findiger »Komponist« in jüngster Seit zu einem Foxtrott »veredelt« hat. Aber es lohnt sich auch, Wiesenverpachtungen beizuwohnen, auf denen die Bauern zusammenströmen, um sich Heu und Grummet fürs Vieh zu sichern, indem sie sich die Preise hochtreiben. Diese ländlichen Versteigerungen finden herkömmlich in Gasthöfen statt, bedeuten allen, die sich eingefunden, einen Festtag – und dem Wirte ein Bombengeschäft. Getrunken, gelacht, gelärmt wird genügend. Kommt man als Radfahrer ahnungslos vormittags durch die Dorfstraße gefahren und hört aus dem Gasthause fröhlichen Lärm ohne Musik, dann kann man sicher sein: dort ist Nutzholz- oder Brennholz- oder Wiesenauktion – je nach der Jahreszeit.

Wer zu einer Groß-Fischauktion mit der Erwartung gehen sollte, dort zu einer ähnlichen »Gaudi« zu kommen, der würde sich schwer enttäuscht sehen. Das hat Verfasser am eigenen Leibe erfahren müssen. Als er Norwegen verließ, um die Informationsreise zum Fisch anzutreten, nahm er dort auch Abschied von einem Freunde, der vor dem Kriege in Geestemünde gelebt hatte. Und dieser Freund kündigte ihm an: »Na, auf der Geestemünder Fischauktion werden Sie Ihr blaues Wunder erleben! So etwas von Radau und Gebrüll spottet jeder Beschreibung!« – Verfasser hat versäumt, sich an Ort und Stelle zu erkundigen, ob das früher wirklich so gehalten worden ist. Jetzt jedenfalls geht die Fischauktion erheblich anders vor sich, nämlich geräuschlos.

Die Armee von Kisten ist in Kompanien geteilt, wie wir bereits erwähnten, und kompanieweise wird der Fisch versteigert. Wegen der beängstigenden Menge der Ware kann das natürlich nicht von einem einzelnen Versteigerer bewältigt werden. Es wäre hoffnungslos, diese Massen in einer Versteigerung ausbieten zu wollen. Das Schlachtfeld wird deshalb geteilt: mehrere Auktionen werden gleichzeitig abgehalten.

Jeder der Versteigerer, von zwei Schreibern begleitet, hat zu seiner Verfügung eine Art Kanzel oder Katheder. Hinter dessen Tisch thront in der Mitte die Hauptperson; die beiden Schreiber rechts und links von ihm. Da der Berg auch hier nicht zum Propheten kommt, d. h. die Ware nicht zum Versteigerer, so muß dieser sich zu ihr hinbemühen – und natürlich Schreiber und Katheder mitnehmen. Der Einfachheit halber hat man letzteres auf Räder gesetzt und kann es nun (samt den drei Männern) hinschieben, wohin man es haben will. Von seiner Höhe herab bezeichnet der Versteigerer die Kompanie Kisten, die gerade ausgeboten wird. Die Bieter sind selbstverständlich durch vorher genommenen Augenschein längst »im Bilde«, welchen Fisch sie ersteigern wollen. Sie stellen sich (oder ihre Gehilfen) neben die Kisten oder auch auf diese. Das ist dann als Zeichen zu nehmen, daß sie sich diese Ware so leicht nicht entgehen lassen wollen, und hält die Konkurrenz (die in diesem Fall kollegial denkt) davon ab, die Preise zu treiben – in der Voraussetzung, ihrerseits gegebenenfalls die gleiche Rücksicht zu finden, und nun geht das Bieten los. Aber hier wird nicht gerufen: »Zwölf – zwölf einhalb – dreiviertel – dreizehn –!« Bieter und Versteigerer verständigen sich vielmehr nur durch Blicke und durch Zeichen, die sie sich mit den Fingern geben. Gesprochen, gar geschrien wird so gut wie nicht, und wer als Unkundiger zu solcher Auktion kommt, kann sehr leicht den Eindruck gewinnen, es verhandelten hier Taubstumme miteinander. Stumm, wie der Fisch ist, sind auch Käufer und Verkäufer! Diese Fischauktionen, die auch sonst musterhaft organisiert sind, möchten wir schon allein aus diesem Grunde für einfach vorbildlich bezeichnen. Ist es doch für einen Kulturmenschen stets eine wahre Erhebung, wenn er sich überzeugen kann, daß Menschen selbst dann ohne Geschrei und Gebrüll auskommen, wenn sie in Massen versammelt sind und es ums liebe Geld geht.

Ist eine Kompanie Kisten einem der Bieter zugeschlagen, so belegt ein Beamter des Fischereihafens jede der Kisten mit einem Zettel, auf dem der Name des Ersteigerers in schönen Lettern gedruckt steht. Er trägt diese Zettel auf einem großen Brett, wo sie so viele Stöße bilden, wie es zugelassene Firmen und Händler gibt. Der Herr Versteigerer mit seinen beiden Schreibern wird unterdessen in seiner rollbaren Kanzel zur nächsten Kompanie Kisten geschoben, und die Vorgänge wiederholen sich hier. Kommt die Reihe an die dritte Kisten-Kompanie, so sind bei der ersten meist die Dinge schon so weit gediehen, daß die Arbeitsleute des Ersteigerers sie fortschaffen, um den Fisch für Bahnversand neu zu packen. Weit haben sie es nicht mit den Fischkisten: drüben, in der anderen Längswand der bandwurmartig langen Auktionshalle winken ihnen schon die Türen, die hinein zu den Packräumen führen – und kommen sie mit ihren Kisten hier hereingeschoben, dann können sie schon durch die jenseitigen Fensterchen die Gebäude des Güterbahnhofes sehen, wo abends und nachts die Fischzüge noch Süden abrollen.

Sollte der Leser, der auf seiner Badereise einen großen Fischereihafen besichtigen will, das Frühaufstehen scheuen und bei sich denken: Ach was, um neun komme ich auch noch zurecht! – so würde er eine Enttäuschung erleben. Die Tausendmarkscheine sind hier schnell umgesetzt. Um neun Uhr ist die Auktion bestimmt vorüber; und um zehn Uhr verraten nur noch kümmerliche Rückstände an Kisten, die noch nicht abgeholt wurden, daß hier vor kurzem Tausende von Zentnern Fisch ihren Eigentümer gewechselt.

So geht das in Wesermünde jeden Tag (allenfalls den Hochsommer ausgeschlossen) und Wochentag und Sonntag machen hier keinen Unterschied. In Altona und Kuxhaven ist das nicht anders, nur nicht ganz so gewaltig an Umfang und Bedeutung, aber noch immer lebhaft genug, daß der Laie Mund und Nase aufsperrt, erhält er einen Einblick in das rechte Leben und Treiben dort. In Altona landeten 1924 die Dampfer 1205 mal ihren Fang, und in Kuxhaven 1152 mal. Daß in diesen drei Häfen derartig ungeheure Mengen Seefisch zusammenströmen können, hat seinen Grund in der Geographie und Völkerverteilung Mittel-Europas. Elbemündung und Wesermündung bilden für den mittleren Kontinent die nächsten Seehäfen; und von dort aus wird mit frischem Seefisch ein Hinterland versorgt, dessen Bevölkerung auf 100 Millionen Menschen geschätzt werden darf. Ähnliche Verhältnisse trifft man in der Alten Welt nicht wieder an. Deshalb stehen die drei Fischereihäfen Wesermünde, Altona und Kuxhaven ohne Rivalen da. Nur einige englische Häfen erreichen sie an Bedeutung, übertreffen sie sogar zum Teil noch, doch aus gänzlich anderen Gründen. Es sind dies Aberdeen, Hull und Grimsby. Was dort an frischem Seefisch gelandet wird, dient nämlich im großen und ganzen nicht der Ernährung der Engländer und Schotten. Man macht aus ihm in der Hauptsache Klippfisch und verkauft diesen hinterher weiter in die katholischen Länder der wärmeren Zonen.

Aberdeen war bis zum März 1926 in England der einzige Hafen, wo deutsche Fischdampfer ihren Fang landen durften. Da sich die Preise dort aber oft genug äußerst ungünstig für den Verkäufer gestalteten, versuchte die »Nordsee«, diese Erlaubnis noch für einen zweiten Hafen zu erwirken. Unterstützt von der deutschen Botschaft und vom Konsulat in Hull gelang ihr dies auch: seit dem 1. März 1926 darf sie in Grimsby anlanden lassen. Besonders entzückt hierüber waren die Fischdampfer-Reeder von Grimby natürlich nicht, denn sie hatten wohl damit zu rechnen, daß das größere Fischangebot an ihrem Platze die Preise senken wurde. Sie hatten auch verlauten lassen, den Deutschen würde der Besuch Grimbys wenig gut bekommen. In der Tat: Als der erste deutsche Fischdampfer dort einlief (es war die »Chemnitz« aus Nordenham), wimmelte es in den Fischdocks von Grimsby von Leuten, die entschlossen schienen, den deutschen »Angriff« mit allen Mitteln zurückzuschlagen. Doch die englische Regierung, die nun einmal ihr Wort gegeben hatte, ließ den deutschen Fischdampfer nicht im Stiche. Unter dem Schutze zweier englischer Kreuzer hielt die »Chemnitz« ihren Einzug, und unter Bedeckung durch ein erhebliches Polizeiaufgebot löschte sie! So tatkräftiges Auftreten der Obrigkeit (gegen die eigenen Bürger – zum Schutze von Ausländern!) wirkte, nicht nur für dieses eine Mal, sondern auch für die Folgezeit: eine große Reihe deutscher Fischdampfer haben seither ihren Fang in Grimsby statt in Aberdeen anbringen können.

Die Engländer gelten bekanntlich auch heute noch vielen ahnungslosen Seelen als sehr »praktisch« – trotzdem die englische Mark noch immer zwölf Groschen (statt vernünftigerweise zehn) hat, trotzdem England überhaupt noch kein Dezimalsystem in Maßen und Gewichten kennt und die Herren Advokaten und Richter sich mittelalterliche Puderperücken aufstülpen müssen, wenn sie in Aktion treten – von den Maskeraden ganz zu schweigen, die aufgeführt werden, wenn London einen neuen Oberbürgermeister bekommt. Dieser englische Sinn fürs »Praktische« bewährt sich auch auf den dortigen Fischauktionen. Überall in der Welt versteht man unter einer »Auktion« ein Versteigern der Ware, d. h. fängt an mit kleinem Gebot und bietet allmählich mehr und mehr. In England ist's umgekehrt. Will einer in Aberdeen oder Hull oder Grimsby seinen Fisch »versteigern«, dann muß erst einmal er den versammelten Bietern sagen, was er haben möchte; und nimmt zu diesem Preise keiner den Fisch, dann muß er mit seiner Forderung heruntergehen – und das tut er schrittweise, in kleinen Stufen, bis einer zugreift (für harmlose Gemüter: Wer zugreift, tut dies nicht etwa aus Besorgnis, der Fisch könne noch billiger werden!). Dieses englische Verfahren steht also durchaus auf der Höhe der Verkaufsmethoden eines »Seyfferts Oskar« auf der Leipziger Messe: »Hier, diese eleganten Hosenträger kosten nicht vier Mark, nicht drei Mark, nicht zwei Mark. Eine einzige Mark! Will se keener? Denn neunzig Pennje – achtzig! Wirklich keener? Na, denn schlagt eich 'n Nagel ins Kreize un hängt eire Hosen da dran uff!«

Neben diesen Welt-Fischhäfen gibt es nicht wenige Fischhäfen und Fischmärkte, die gleichfalls Ruf besitzen, zum wenigsten europäischen. Da sind noch in Deutschland zu nennen: Hamburg, Bremerhaven und Emden. In Hamburg (nämlich auf dem Fischmarkte in St. Pauli) kamen 1924 1,3 Millionen Korb frischen Seefisches zur Versteigerung, in Bremerhaven rund 1 Million und in Emden ½ Million. Emden ist unter unseren größeren Fischereihäfen der jüngste. Eigentlich ist er erst seit dem Jahre 1924 in Betrieb und hat sich selbstverständlich in der Kriegszeit wie während Revolution und Inflation nicht entwickeln können; um so weniger, als sein Hinterland seit 1918 von der Entente besetzt war, nämlich die Rheinprovinz und zeitweilig ja auch der Industriebezirk.

Deutschland kann auch auf diese Häfen stolz sein; gleichwohl ist zu sagen, daß ihre Bedeutung über eine örtliche nicht hinausgeht. Hamburg-St. Pauli könnte sich nie und nimmer gegen Altona halten, wenn nicht hinter ihm eine Millionenstadt läge, die sich dort versorgt. Und mit Bremerhaven ist es nicht anders. Auch Kiel besitzt einen ansehnlichen Fischereihafen und eine Fischverkaufshalle; aber ganze Güterzüge voller Seefisch gehen von dort nicht ins Hinterland, wie von den drei großen Fischereihäfen aus, und am allerwenigsten tägliche Güterzüge.


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