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Von Rechen- und Kochkünsten

Höchst romantisch klingt das: Unsere Fischdampfer gehen bis nach Island hinauf und bis nach der Weißen See, trotzen dort Sturm und Wogen, so klein sie sind, und bringen den Fisch von so weit her zum lieben Deutschland! Wie sich da die Phantasie beleben kann! Und wie die kühnen Seeleute zu beneiden sind, daß sie so vieles Großartige und Eigenartige sehen und erleben dürfen. Romantik im Zeitalter der Maschine!

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Kernstück des Fischereihafens Wesermünde. In der Bildmitte der große Güterbahnhof, der ausschließlich dem Fischversand dient. Links von ihm (am Wasser das Haus mit dem Türmchen) das bekannte Fischereihafen-Restaurant. An dieses schließt sich die mächtige Auktionshalle an. Auch alle sonst auf dem Bilde sichtbaren Gebäude dienen der Fischindustrie.

Die deutschen Reeder denken über die Romantik ein wenig anders. Für sie ist das Ganze zunächst ein Rechenexempel – und dieses Exempel geht meist nicht auf! Eine Islandreise muß er auf fast 22 Tage veranschlagen, eine Reise zur Weißen See auf 26 Tage. »Gedampft« wird auf der Islandreise zweimal 5½ Tage, zur Weißen See und zurück je 8 Tage. In dem einen Falle 11, im andern 16 Tage, während deren nicht gefischt wird – die nichts bringen, nur kosten! Wie bequem haben es doch die Engländer oder die Norweger oder die Isländer! Kurze Reisen, große Fänge: das ist ein Geschäft! Der Deutsche ist auf Grund seiner geographischen Lage der Dumme. Wie ungünstig Deutschland liegt, darüber ließen sich Bücher schreiben, wollte einer diese Frage nach allen Richtungen hin beleuchten. Genug haben wir uns klarlegen lassen (und haben's den andern erzählt), wie wir mitten in einem Kontinent liegen mit Grenzen, die keine Natur schützt, inmitten von Nachbarn, denen nicht viel Gutes zuzutrauen ist – und daß wir deshalb eine militärische Rüstung tragen mußten, schwerer als die jedes anderen Volkes. Daß wir aus demselben Grunde, nun wir waffenlos dastehen, gefährdet sind wie kein zweites Volk. Unsere Seehäfen liegen an einem Meere, das nur sozusagen ein offenes ist, vom Feinde mit Leichtigkeit abzuriegeln ist (wer hätte die Blockade im Kriege schon vergessen!). Ungünstig das Klima unseres Vaterlandes, im Westen zu feucht, im Osten ins Kontinentalklima übergehend und von einem Extrem ins andere fallend – und im Süden abgesperrt durch Europas größtes Gebirge gegen jeden warmen Hauch, den uns das sonnige Mittelmeer spenden könnte. Und ungünstig auch für den, der den Segen des freien Meeres für sein Vaterland einheimsen möchte, für den Hochseefischer.

Es ist nicht nur die Weite der Wege, die den Betrieb der deutschen Hochseefischerei unwirtschaftlich macht. Der Hochseefischer muß hinaus – also dürfen ihn Wind und Wetter nicht schrecken. Ist er aber draußen, dann muß er auch draußen bleiben. Der Engländer, der Isländer, der Norweger kehren in ihren Hafen zurück, wenn es gar zu arg stürmt und tobt und daher an ein Fischen sowieso nicht zu denken ist. Der Deutsche muß bleiben! Der Heimweg kostet zuviel Zeit. Und einen fremden Hafen anlaufen? Man erkundige sich nach den Hafengebühren! Dann versteht man, weshalb der Schiffer lieber auf offenem Meere bleibt. Aber das Rasen der Elemente kostet Material! Sie zerren und rütteln nicht umsonst am Menschenwerk. Jeder Sturm bringt dem Schiffe Schäden, mal geringere, mal schwere. Das Ruder bricht oder die Schraube verliert einen Flügel, oder das Rettungsboot geht über Bord. Erneuert, ersetzt werden muß alles. Wer bezahlt das? Die Versicherung? Den Luxus können sich deutsche Fischdampfer-Reedereien nicht leisten, ihre Schiffe gegen geringere Schäden zu versichern. Auf Totalverlust ist man versichert, und hiermit basta!

Dies alles frißt aus dem Beutel, in den der Erlös der Fangreise hineinkommt! Nein, der deutschen Hochseefischerei blühen keine Rosen! Aber Dornen genug trägt der Stock.

Mit einigen wenigen Zahlen sei der Nachweis für die Berechtigung dieses Pessimismus erbracht.

Im Jahre 1924 hatte der Islandfisch seinen höchsten Preis im Januar. Das Pfund erbrachte damals im Durchschnitt 18½ Pfennig. Gefangen wurden im Januar auf jeden Reisetag (die Zeit des »Dampfens« mitgerechnet) 3224 Pfund. Die ergaben für den Reisetag einen Durchschnittserlös von 596 Mark. Die Kosten für einen Reisetag sind mit 350 Mark anzunehmen. Mithin erbrachte der Januar für jeden Reisetag einen Überschuß von 246 Mark. Freilich gehen von diesem Überschuß noch ab: die Geschäftsunkosten an Land, Steuern, Abschreibungen, Zinsen für das in dem Unternehmen arbeitende Kapital. Trotzdem ist das Ergebnis befriedigend – sofern man nämlich genug Fisch fängt. Der Januar brachte jedoch insgesamt nicht mehr als 55 000 Korb. Die großen Fänge kamen erst im April und Mai mit je rund 200 000 Korb. Ja, wenn nun das Pfund mit 18½ Pfennig, der Korb mit 18,50 Mark bezahlt worden wäre, dann hätte man das ein gutes Geschäft nennen müssen! Aber wie lag der Markt im April und Mai? 7 Pfennig für das Pfund! Der Tagesfang betrug im April 6332 Pfund, im Mai 5465 Pfund, der Tageserlös demnach 443 und 373 Mark. Es wurden also kaum die Reiseunkosten herausgewirtschaftet. Alle Unkosten an Land blieben ungedeckt.

Ein uralter Witz läßt den Bauer fluchen: »Wenn die Hühner legen, sind die Eier billig; und wenn die Eier teuer sind, dann legen die dummen Viecher nicht!« Dieser Scherz, beruhend auf Verkennung des wirtschaftlichen Gesetzes: Preisgestaltung nach dem Verhältnis von Angebot zu Nachfrage, wird für die Hochseefischerei blutiger Ernst. Massenangebote ihrer Ware bringen den Preis jäh zum Sinken. Das Maß, in dem er sinkt, dürfte auf dem Lebensmittelmarkte einzig dastehen: auf wenig mehr als ein Drittel des Höchstpreises! Das ist eine Katastrophe! Wie ist sie möglich? Wie kann sie sich gar Jahr für Jahr wiederholen? Das ist bald erklärt. Fisch ist eine schnell verderbende Ware. Aufspeichern läßt sie sich nicht; läßt sich weder »Hamstern« noch »zurückhalten«. Sie muß fort! Nun gibt es freilich eine ganze Industrie, die Fisch zu Konserven jeder Art verarbeitet. Gewiß, die nimmt einen großen Teil des Fangüberflusses aus dem Markte. Sie macht sich hierdurch um die Allgemeinheit und die Volkswirtschaft im ganzen hoch verdient, denn sie rettet Riesenmengen von Nahrungsmitteln vor dem Verderben. Dem Fischdampfer-Reeder jedoch kommt diese Industrie nur in sehr bescheidenem Maße zu Hilfe. Wartet sie doch (aus berechtigten kaufmännischen Erwägungen) mit ihren Einkäufen solange, bis die Preise ganz niedrig sind. – Diesen Preissturz erlebt die Hochseefischerei jedes Jahr im April, Mai, Juni. Er trägt die Hauptschuld daran, daß der ganze Beruf krank ist und nicht recht auf die Beine kommen kann. Gemildert könnte der Preissturz werden, ganz bedeutend gemildert. Es brauchte nur das große Publikum einzusehen, daß Fischverzehr gerade in diesen drei kritischsten Monaten eine volkswirtschaftlich ernste Forderung ist. Aber weiß der Kuckuck, gerade dann, wenn die deutschen Fischdampfer mit den wirklich reichen Fängen auf dem Markte erscheinen, just dann will kein Mensch Fisch essen! Trotzdem der Fisch sich gerade um diese Seit im besten Zustande der Ernährung befindet, daher auch am besten schmeckt und – am billigsten ist. Kaum ist die Fastenzeit vorüber, schrumpft der Fischverbrauch zusammen. Dieses bedauerliche Verhalten des großen Publikums ist wohl Überrest einer Gewohnheit aus früheren Jahren. Kam die erste sommerliche Wärme, dann traute man dem Seefisch keine »Frische« mehr zu und verzichtete auf ihn. Solche Besorgnis braucht heute keiner mehr zu hegen. Eismaschinen und Kühlwagen nehmen den Fisch in ihre Obhut, und die Eisenbahn befördert ihn täglich in Extrazügen auf schnellstem Wege von den großen Auktionsmärkten in die Großstädte – bis nach München und Wien!

Die hier erläuterten ungünstigen Verhältnisse geben den Schlüssel zum Verständnis einer höchst auffallenden Erscheinung. In der Statistik des erwähnten Jahresberichtes kann man mit Erstaunen lesen: Deutsche Fischdampfer brachten im Jahre 1924 256 Millionen Pfund Frischfisch noch Deutschland und 114 Millionen Pfund Frischfisch nach fremden Ländern (hauptsächlich England und Holland); andererseits mußten 34 Millionen Pfund Frischfisch aus anderen Ländern (und von Fremden gefangen) nach Deutschland eingeführt werden (neben Unmengen von Hering, worüber Näheres im »Herings-Kapitel«)! Man faßt sich an den Kopf und fragt sich: »Was ist das für ein Unsinn! Wir verkaufen nach dem Auslande und müssen dann nach Deutschland einführen? Die deutsche Hochseefischerei scheint den Bedarf des Landes nicht decken zu können; wie darf sie da klagen?!« – Saisonscherze, verehrter Leser! Sind die Fänge gering, dann wollen die Leute bei uns Fisch essen – und muß ihn das Ausland liefern! Zu anderen Zeiten aber bezahlen die Leute so wenig, daß der Verkauf ans Ausland lohnender ist. Als im Mai und Juni 1924 in Deutschland 7 Pfennig für das Pfund geboten wurden, gab es in Aberdeen – zwar noch weniger, nämlich nur 5½ Pfennig; gleichwohl war der Verkauf ihrer Fänge für die deutschen Island-Fischdampfer in Aberdeen weniger verlustreich. Von Süd-Island bis dorthin wird nämlich nur zweimal 2 Tage gedampft (statt zweimal 5½ Tage von Deutschland bis Süd-Island und zurück); die Kosten der Fangreise sind daher um siebenmal 350 Mark gleich 2450 Mark niedriger. Die Fangmenge betrug je Reise durchschnittlich 1300 Korb. Der Erlös war in Aberdeen um 1950 Mark geringer als zur gleichen Zeit in Wesermünde, wegen der ersparten 2450 Mark Unkosten aber im Endergebnis um 500 Mark besser!

Von einer politischen Partei, die sich auf ihr soziales Empfinden besonders viel zugute tut, ist oft genug als einer ihrer wirtschaftlichen Glaubenssätze dieser ausgesprochen worden: Betriebe, die nicht lebensfähig sind, soll man eingehen lassen; sie belasten die Allgemeinheit nur. Mag sich jeder hüten, ähnlich über die deutsche Hochseefischerei zu denken (die zwar durchaus lebensfähig, aber notleidend ist)! Denn die Fischerei im allgemeinen und die Hochseefischerei ganz besonders haben die wichtige Aufgabe, an der Ernährung unseres Volkes mitzuhelfen. Jedes Kind weiß heute, daß unser Vaterland nicht mehr genügend Lebensmittel für alle seine Bewohner hervorbringt. Vor dem Kriege war unsere Landwirtschaft bedeutend genug; heute, nach Abtrennung und Raub wichtiger Getreide- und Knollenfrucht-Provinzen, müssen wir Lebensmittel außerhalb unserer politischen Grenzen suchen. Sollen wir sie anderen Völkern abkaufen? Unsere Handelsbilanz sieht schon erbärmlich genug aus! – Hier liegt die heutige Bedeutung der Fischerei, zumal der Hochseefischerei! Sie erntet, wo sie nicht gesät hat. Sie schafft hochwertige Lebensmittel heran, die wir niemandem zu bezahlen brauchen! Sie schafft dort für ihr Volk, wo allein die Güter dieser Welt noch herrenlos sind. Wo man wirklich nur zuzugreifen braucht, um sie sich anzueignen. Ein in seinen volkswirtschaftlichen Grundlagen so glücklich aufgebautes Gewerbe will das deutsche Volk Not leiden lassen? Ihm die Existenz verweigern? Das ist nicht denkbar! Im Gegenteil: Alles sollte man tun, gerade dieses Gewerbe zu höchster Blüte zu bringen. Und mithelfen kann hier jeder. Es ist nichts nötig, als daß der einzelne erkennt, wo hier der Schuh drückt, und sich dann vornimmt: Gut, ich werde den Leuten ihre Ware dann abkaufen, wenn sie es am nötigsten haben.

Cm verrücktes Geschäft ist diese Hochseefischerei! Spiel an der Börse in Preisdifferenzen ist nichts dagegen. Die Fischpreise gehen rauf und runter wie ein Fahrstuhl. Da kommt so ein Fischdampfer vom Weißen Meere zurück – ahnungslos, vertrauensvoll. Während er sich durch die Schärenwelt Norwegens südwärts schlängelt, überrechnet der Kapitän das vermutliche Ergebnis seiner Reise. Gut gefischt hat er; hat seine 1100 Korb im Eisraum. Er denkt: Nicht schlecht! Erziele ich in Wesermünde nur einen anständigen Durchschnittspreis von 12 Pfennig, dann habe ich 13 200 Mark. Macht für die Reederei 4100 Mark Überschuß, und ich habe an Prozenten meine 800 Mark in der Tasche. Aber wenn wir nur ein bißchen »Schwein« haben, dann kriegen wir vielleicht gar 14 Pfennig, und dann macht der Überschuß 6300 und mein Anteil über 900 Mark! – Milchmädchenrechnung! Als er in Wesermünde einläuft, sieht er die Bescherung schon. Die Pier voller Kollegen, aus Island zurück, mit Riesenfängen. Und sein Reeder begrüßt ihn mit den Verzweiflungsworten: »Mensch, müssen Sie auch ausgerechnet heute kommen! Vier Pfennig kriegen wir morgen, keinen Heller mehr! Für die Fischmehlfabriken haben wir uns geplagt!« – Nun, es wird nicht ganz so schlimm. 7 Pfennig gibt's. Der Reeder setzt bar 1400 Mark an dieser Reise zu, und der Kapitän geht mit 300 Mark nach Hause. – Und dann meldet Kuxhaven, daß dort 8 Pfennig bezahlt wurden, in Aberdeen gar 10, Hull 11 Pfennig! Weshalb ist man nicht dorthin gefahren? Ist das nicht, um sich die Haare einzeln auszuraufen?

Schwarzmalerei? Durchaus nicht. Zeuge bin ich gewesen, wie ein Islanddampfer auf der Auktion in Wesermünde sage und schreibe 4000 Mark »machte« (bei 7600 Mark baren Unkosten!). Andererseits stellen solche Katastrophen natürlich nicht die Regel dar, sonst wäre unsere gesamte Hochseefischerei längst pleite. Die Reedereien bieten selbstverständlich alles auf, derartigen »Reinfällen« vorzubeugen. An einigen Anhaltspunkten fehlt es ja auch nicht. Man weiß, wann der einzelne Fischdampfer ausläuft, wohin er geht – und kann mit ziemlicher Genauigkeit berechnen, an welchem Tage er wieder heimkehren muß. Kann sich erfahrungsgemäß auch ein Bild machen, was der Dampfer wohl fangen und anbringen wird (wenngleich sich der Zufall nicht selten über jede Erfahrung hinwegsetzt). Die Reedereien haben an allen großen Fischmärkten des Inlandes wie des Auslandes ihre Vertrauensleute, deren Aufgabe (neben anderem) es ist, nach diesen Gesichtspunkten die wahrscheinliche Entwicklung des Marktes einzuschätzen. Die Dampfer andererseits haben zum größten Teil Befehl, auf der Rückreise unterwegs einen Hafen anzulaufen und von dort zu melden, was sie gefangen haben. Für die Islanddampfer ist dieser Hafen meist Aberdeen, für die Dampfer aus der Weißen See die kleine norwegische Stadt Honningsvaag (auf der Insel Magerö, deren Nordspitze das bekannte Nordkap bildet). An Hand der Fangmeldungen verständigen sich die Reedereien mit ihren Vertrauensleuten an den verschiedenen Plätzen darüber, auf welchem Fischmarkte am voraussichtlichen Tage des Eintreffens dieses Dampfers der Fisch den besten Preis erzielen wird. Dorthin wird der Dampfer dann dirigiert.

Dies ist, was der Reeder tun kann, um Verlusten durch schlechte Preise entgegenzuarbeiten. Viel ist es nicht. Da jede Reederei die Fangmeldungen ihrer Dampfer geheimhält (sie zu veröffentlichen wäre töricht), so stehen alle Kalkulationen der Vertrauensleute auf schwachen Füßen. Im übrigen versagt dieses ganze Vorausraten hinsichtlich derjenigen Dampfer, die nur in der Nordsee fischen; die können ja unterwegs keinen Hafen anlaufen, weil ihr Heimathafen ihnen sowieso am nächsten ist. So kann man sie von dort auch nicht verständigen, wenn anderwärts günstigere Preise zu erwarten sind. Benachrichtigung wäre möglich, hätten die deutschen Fischdampfer es schon bis zur drahtlosen Telegraphie gebracht. Doch unsere Fischdampfer (im Gegensatz zu denen anderer Völker) fahren noch immer »taub und stumm« auf Fang. Die Einrichtung kostet zuviel, und die Einstellung eines Telegraphisten erst recht. Obendrein fehlt es an Bord an Platz für den Mann.

Als bemerkenswert ist in diesem Zusammenhange zu erwähnen: Nicht alle von Island und der Weißen See heimkehrenden Fischdampferkapitäne haben unterwegs Befehl ihrer Reederei einzuholen, wohin sie mit dem Fang gehen sollen. Die »Nordsee« wenigstens (so wurde mir in Nordenham erzählt) verfügt über mehrere alterfahrene Kapitäne, denen diese Entscheidung selber überlassen bleibt. Es ist nun erstaunlich, was für einen vorzüglichen »Riecher« diese Herren für die Lage der verschiedenen Märkte besitzen, obgleich sie unterwegs doch aller Verbindung mit der übrigen Welt entbehren. Ihre Reederei versicherte mir, daß diese Kapitäne sich in der Einschätzung der Preisaussichten kaum je täuschen. Was die Herren zu solcher »Hellseherei« befähigt, bleibt dem Laien unerklärlich. Mein guter Kapitän Gewald von der »Dortmund« gehört auch zu diesen Hellsehern. Ich war in meiner Neugier aufdringlich genug, ihn zu fragen, wie er das eigentlich mache. Gleich einem richtigen Medium, das hinterher von seinen eigenen Fähigkeiten nichts weiß, zuckte Gewald die Achseln und meinte: »Gott, dat hät een so in'n Gefühl.«

Ein kaufmännisches Organisationstalent mag sich den Kopf darüber zerbrechen, ob der Fischhandel in diese unerquicklichen Verhältnisse bessernd eingreifen kann. Man pflegt ja zu sagen: Das Publikum kauft, was ihm angeboten wird. Also käme es aufs Anbieten an? Wenn es so einfach wäre, den Hausfrauen Fisch aufzureden, dann würde der Fischhandel gewiß nicht zögern, zu Zeiten der lächerlich niedrigen Fischpreise »Fischwochen zu Schleuderpreisen« einzurichten und Massen von Fisch auf den Markt zu werfen. An Versuchen hat es nicht gefehlt, Massenverzehr von Fisch auf ähnliche Weise zu erzwingen. Aber sie sind fehlgeschlagen. Das deutsche Publikum ist nun einmal so eingestellt: ist Ende April gekommen, wird es Mai, Juni, dann sieht kein Mensch mehr den Seefisch an. Der Grund: Ein Überbleibsel aus jenen überwundenen Jahren, als Seefisch bei warmer Witterung verdächtig war (wie wir dies schon vorhin ausführten). Doch noch ein zweiter Grund spricht mit: Gerade ihn wird man der Hausfrau so leicht nicht ausreden. Die ersten warmen Monate im Jahre, die uns Seefisch in Unmengen bescheren, bringen uns auch die ersten Gemüse, nach denen Herz und Magen verlangen, abgestumpft durch die winterlichen Konserven. Jeden Tag Gemüse auf den Tisch! Spinat, Spargel, Salate! – Na, und Fisch »kann« man doch nicht mit Gemüse servieren, und Gemüse nicht mit Fisch. Das »paßt« doch nicht zusammen!

Hier haben wir des Pudels Kern! Die deutsche Küche weiß mit dem Seefisch nichts Rechtes anzufangen. Mag sein, daß gekochter Schellfisch mit einer dünnen Buttertunke nicht zu Spinat paßt und mit Spargel fade schmeckt. Versucht habe ich diese Zusammenstellungen nicht, weiß also nicht, wie sie munden. Aber dies weiß ich: Gebratenen Fisch aller Arten aß ich in Norwegen unendlich oft, mit allen Zutaten eines richtigen Bratens, der durch den Fisch vollkommen ersetzt wurde. Gespickt, mit Zwiebeln, mit Speckscheiben belegt wie Rebhuhn – mit Kartoffelpüree wie mit Kartoffelsalat, mit Kohl und allem Gemüse! Und in Portugal aß ich mich durch unzählige Fischgerichte hindurch mit allen erdenklichen Beigaben: Kopfsalat, Sellerie, Makkaroni, Pilzen, Maronen – gekocht, gedämpft, gebraten – abgezogen mit Ei, in Sahnentunke, in Burgunder! Die Aufzählung könnte noch lange fortgesetzt werden bis zu dem populären Superlativ: »– nun noch Spickaal, un ich hau dir eine runter!« Ja, die Leute können kochen! Und alle diese Gerichte um die Hälfte billiger als Fleischspeisen. So in Gasthöfen und Speisehäusern; im eigenen Haushalt sicherlich noch billiger herzustellen. – In Deutschland fand ich bei allen Reisen kreuz und quer durchs Vaterland eigentlich nur zwei Arten der Fischzubereitung, die sich mit den Kochkünsten Norwegens und Portugals (wie auch Englands) auf diesem Gebiete vergleichen können: gespickter Zander und Karpfen auf polnische Art. Allenfalls ließe sich noch der in »schwimmendem« Fett gebackene Karpfen anführen, den es einzig und allein zu Nürnberg im »Luftsprung« gibt. Alles andere ist mehr oder weniger fade, ist nüchtern – Rheinlachs wie Forelle, Aal mit Gurkensalat wie gebackene Scholle oder Seezunge mit Eieröltunke. Das liegt jedoch nicht am Fisch. Liegt an der deutschen Küche, die mit ihm »nichts anzufangen« weiß.

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»Nordsee«-Fischhalle in München.
Auf dem viktualienmarkt, unweit des »alten Sanktpeter«, steht diese in ihren Normen ungewöhnlich schöne und in ihrer Einrichtung mustergültige Verkaufshalle.

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Um der Bevölkerung den Seefisch als wertvolles Nahrungsmittel ab und zu ins Gedächtnis zurückzurufen, läßt die D.D.F.G. »Nordsee« in den Großstädten, wo sie Verkaufsgeschäfte unterhält, dann und wann ein besonders großes Seetier »spazieren« fahren. Das gibt dann jedesmal richtige Straßenaufläufe.

Der Wahrheit die Ehre zu geben: einen Ort in Deutschland kennt Verfasser, wo man Fisch auf wirklich gute Art und in rechter Mannigfaltigkeit zuzubereiten versteht. Es ist das Fischereihafen-Speisehaus in Wesermünde. Aber diese eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Der Mann, der dort so gut zu kochen versteht, treibt mit seiner Kunst erfreulicherweise keine Geheimniskrämerei, sondern hat der Öffentlichkeit ein Fischkochbuch geschenkt. Und der Deutsche Seefischerei-Verein hielt vor dem Kriege in allen einigermaßen bedeutenden deutschen Städten Fischkochkurse ab, an denen binnen sechs Jahren 600 00 weibliche Wesen teilnahmen. Leider läßt sich nicht behaupten, es sei ein Erfolg dieser Mühewaltungen zu verspüren. Aber dies ist letzten Endes wohl darin begründet, daß die Kochkunst in Deutschland überhaupt nicht auf der Höhe steht, zu der andere Völker sie entwickelt haben.

So müssen wir bedauernd als Tatsache hinnehmen: Seefisch wird in Deutschland nicht gebührend geschätzt. Diese Tatsache kann auch der Fischhandel nicht mit einem Male erschüttern. Es läßt sich nur hoffen, die rechte Einsicht möge sich nach und nach im deutschen Vaterlande ausbreiten. Engländer, Norweger und die romanischen Völker sollten uns in diesem Punkte zum Vorbilde dienen: in England ißt jeder einzelne 40 bis 50 Pfund Seefisch jährlich und (was die Hauptsache ist) das ganze Jahr hindurch, also auch in der warmen, ja heißen Jahreszeit! In Deutschland? 12 bis 15 Pfund! Können auch wir es so weit bringen, dann wird die zeitweise lächerliche Billigkeit des Seefisches unser Vorteil, unser Nutzen sein. Solange aber Seefisch zu gewissen Zeiten trotz Schleuderpreisen nicht gegessen wird, sondern in die Fischmehlfabriken wandern muß, solange sind diese Spottpreise nichts als Ruin für Fischerei wie für Fischhandel.

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Wer Nürnberg kennt, kennt auch die Kaiserstraße dort und in ihr den stilechten roten Sandsteinbau, in dem sich der wundervolle »Nordsee«-Laden befindet.

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Das Innere des Nürnberger Verkaufsgeschäftes der »Nordsee«.

Es ist heute das Bestreben jeder größeren deutschen Fischdampferreederei, sich am Fischgroßhandel zu beteiligen, um sich Einfluß auf die Preisgestaltung der Fischmärkte zu sichern. Eine Sonderstellung nimmt hier von jeher die Dampffischereigesellschaft »Nordsee« ein. Diese Sonderstellung erscheint so ungewöhnlich und vorteilhaft, daß unser Buch sie ein wenig beleuchten mag. Wie sie sich auswirkt, das ist lehrreich für das gesamte Seefischgeschäft. Die Gesellschaft »Nordsee« hat dank früherer weitsichtiger Geschäftspolitik zu erheblichem Teile den Fischkleinhandel in eigener Hand. Es gibt wohl keine deutsche Großstadt ohne eigene Verkaufsstelle der »Nordsee«, ohne einen »Nordsee-Fischladen« (eine Ausnahme bildet bloß Berlin). Die meisten der Leser werden wenigstens einen dieser schönen Läden kennen; und wer in Wien wohnt, mehr als einen, denn dort beherrscht die »Nordsee« sozusagen den gesamten Fischhandel, da sie in der alten Kaiserstadt zweiundzwanzig eigene Läden besitzt! Das ist eine gewaltige Organisation; es kann sie heute niemand nachahmen, denn sie stellt ein Kapital dar, wie es bis auf weiteres in Deutschland nicht aufzubringen ist. Gehören doch neben den Läden auch fast all die großstädtischen Grundstücke der »Nordsee«, meist Vierstockwerksbauten und überall in der besten, also teuersten Stadtgegend (dieser Gesamtbesitz steht mit 3½ Millionen Goldmark zu Buch!). Doch das viele Geld, das in dieser Organisation steckt, macht sich bezahlt. Zunächst eine Selbstverständlichkeit: die »Nordsee-Läden« sichern den Absatz all der schönen Bratmöpse, Rollmöpse, Bismarckheringe, Bücklinge usw. aus den »Nordsee«-Fischwerken in Nordenham. Uns interessiert hier mehr, wie dieses Regiment Verkaufsläden ausgenützt werden kann, um den von den Dampfern angebrachten Fängen einen erträglichen Preis zu sichern. Die Sache ist nicht so organisiert (wie man zunächst vermuten wird), daß diese Läden etwa nur Frischfisch verkaufen, den die eigenen Dampfer der »Nordsee« anbrachten; daß dieser Fisch etwa direkt in die Läden marschierte. Nein, auch er geht, wie aller anderer Seefisch, in die Auktion – der örtlichen Nähe halber auf dem Fischmarkt in Wesermünde. Auf dieser selben Auktion kaufen auch die »Nordsee«-Läden ihren Bedarf, und zwar durch einen gemeinsamen, von der Hauptverwaltung in Nordenham gestellten Einkäufer. Mit diesem stehen die Läden in täglicher telephonischer Verbindung; sie lassen sich berichten, was an jedem Tage zur Versteigerung kommt und welche Sorten voraussichtlich billig sein werden. Nach diesen Angaben geben sie ihren Bedarf auf, und der Einkäufer ersteigert dann die gewünschten Sorten und Mengen (in derselben Weise verhandeln alle Fischgroßhändler im Binnenlande mit ihren Vertrauensleuten). Die doppelte Natur der »Nordsee« als Reederei und als Fischkleinhändler bringt zunächst den einen Vorteil: hat sie als Reeder Verlust durch unbefriedigende Preise, so verdient sie als Kleinhändler durch billigen Einkauf und gleicht so den Verlust aus. Viel wichtiger ist jedoch: Wegen Größe und Bedeutung ihrer Kleinhandelsabteilung kann sie auf der Auktion die Preise für solchen Fisch halten, um nicht zu sagen: treiben, von dem ihre Dampfer gerade viel angebracht haben. Durch die Größe des Bedarfs ihrer vielen Filialen kann sie unter Umständen eine ganze eigene Schiffsladung aus Katastrophenpreisen retten. Einen solchen Fall erlebte Verfasser selber mit. Es war in jenen Tagen, als der oben erwähnte unglückliche Island-Dampfer aus seiner Reise ganze 4000 Mark erlöste. Zur selben Zeit hatte die »Nordsee« einen ihrer Dampfer von Island her unterwegs nach Wesermünde. Man, wußte, was er brachte: genau denselben Fisch, der soeben hatte verschleudert werden müssen. Umdisponieren ließ sich der Dampfer nicht mehr. Was also tun? Da jagten die Depeschen von Nordenham in die Welt hinaus in alle ihre Verkaufsläden: Macht die Lager leer und kauft übermorgen nur den und den Fisch und möglichst viel von ihm! – So wanderte dieser Fisch in die Großstädte; der, den andere Dampfer brachten, endete in der Fischmehlfabrik!

Dieses Beispiel soll mehreres beweisen. Es soll zeigen, wie zwar ein einzelner einmal bei Katastrophenpreisen mit einem blauen Äuge davonkommen kann; daß dies der Allgemeinheit aber nicht möglich ist. Es soll auch dartun, wie schwierig überhaupt das Geschäft für die Hochseefischerei liegt; wie aufgepaßt werden muß, wieviel Aufregung es mit sich bringt. Es soll endlich darauf hinweisen, daß im Seefischgeschäft Anreize zu gewagten Spekulationen liegen. Das ist immer ein Zeichen mangelnder Gesundheit. Unsere Hochseefischerei krankt am übermäßigen Schwanken ihrer Preise und an allgemein zu niedrigen Preisen. Krankheitsursache ist der zu geringe, vor allem auch zu ungleichförmige Fischverzehr in Deutschland. Dies sollte die Allgemeinheit begreifen – und sich bessern! Gerade in der jetzigen armseligen Lage unseres Volkes. Seefisch ist das einzige Lebensmittel außerhalb unserer eng gewordenen Grenzen, das wir niemandem abzukaufen brauchen! Möge diese wertvolle Wahrheit jeder beherzigen!


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