Balduin Möllhausen
Der Piratenlieutenant – Teil 2
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundvierzigstes Capitel. Auf den Mississippidampfern.

Der Abend war längst hereingebrochen. Arthur hatte sich, nachdem er die Zeit bis dahin mit vergeblichen Nachforschungen nach Eberhard hingebracht, seinem alten Freunde, dem Pelzjäger wieder zugesellt. Bei Redsteel war er dagegen nicht gewesen; einestheils scheute er sich, mit demselben in Verkehr zu treten und seine Papiere zurückzufordern, bevor er sich mit Eberhard in Einvernehmen gesetzt haben würde, und dann wieder begriff er, daß jener, wenn er wirklich um Eberhards Verbleib wußte, ihm schwerlich zuverlässigen Aufschluß ertheilte. Seinen Besuch auf der Villa hatte er ebenfalls aufgeschoben, wenigstens auf so lange, bis es ihm gelungen sein würde, Licht in eine Sache zu bringen, welche sich als ein undurchdringliches Geheimniß vor Allen aufthürmte. –

Längere Zeit hatte er, ernstlich mit ihm berathschlagend, neben Sans-Bois vor dem Kaminfeuer gesessen. Die Indianer, durchaus einverstanden mit der angekündigten neuen Verzögerung ihres Aufbruchs, begannen bereits ihre Vorbereitungen zur Nachtruhe zu treffen, als plötzlich die Thüre mit Heftigkeit aufgerissen wurde und ein junger Mann, anscheinend der Kellner eines Dampfbootes, hereinstürmte und dringend nach einem gewissen Herrn Arthur fragte.

Sans-Bois und Arthur hatten sich erhoben, und Letzterer, dem Kellner entgegentretend, fragte überrascht, was man von ihm verlange.

»Sind Euch gestern Papiere auf etwas seltsame Art abhanden gekommen?« forschte der Kellner fast athemlos, als ob er eine lange Strecke laufend zurückgelegt habe.

»In mehr, als seltsamer Weise,« antwortete Arthur hastig, »bringt Ihr dieselben etwa zurück?«

»Das nicht; aber es ist Euch an der Wiedererlangung der betreffenden Gegenstände viel gelegen?«

»Sie enthielten meine ganze Habe.« »Wohlan, Herr, ich bin von einem Eurer Freunde beauftragt – ich glaube, Eberhard Braun ist sein Name – Euch die Mittel und Wege anzugeben, wie und wo Ihr Euer Eigenthum in Empfang nehmen könnt.«

»Eberhard Braun?« fragte Arthur befremdet, »warum bringt er sie nicht selbst, wenn der Zufall sie ihm in die Hände spielte?«

»Ich bin außer Stande, Euch darüber Auskunft zu ertheilen,« versetzte der Kellner ausweichend, »ich weiß nur, daß ein schlanker deutscher Gentleman, der im Begriff steht, binnen höchstens einer Stunde auf einem Dampfboot nach dem Süden abzureisen, mich schickt; daß er ferner den Dampfer um keinen Preis verlassen und dadurch gar verfehlen möchte, und mir namentlich streng anempfahl, vor keinem Andern, als dem Mr. Arthur selbst, den Namen Eberhard Braun zu erwähnen.«

»Befand sich Jemand bei ihm?« fragte Arthur, der ein gewisses Mißtrauen gegen den Boten aufsteigen fühlte.

»Eine tief verschleierte Dame, ich glaube wenigstens, sie gehört zu ihm, denn sie kamen zugleich an Bord, obwohl sie sich dann trennten und, so viel ich bemerkte, Jeder seinen eigenen Weg verfolgte.«

»Ich errathe,« wendete Arthur sich in deutscher Sprache an Sans-Bois, »er will dem Schlage, von welchem er glaubt, daß er ihn vernichtet, ausweichen, und hat sie zur Flucht überredet. Die Angst vor Redsteel, ihre gegenseitige Anhänglichkeit – sie sahen keinen andern Ausweg, und nun möchte er mir die Papiere, welche er durch List oder Gewalt den Schurken entwand, persönlich einhändigen.«

»Wenn nur keine Verräthereien dahinter stecken,« bemerkte Sans-Bois, »ich traue dem Burschen nicht; solche Kellnerseelen lassen sich zu Allem gebrauchen.«

»Ich hege keinen Argwohn,« versetzte Arthur schnell, »die Sache liegt zu klar.«

»Sie haben nicht vergessen, auf welche Art man sie um die Papiere betrog?«

»Keineswegs; feindlich gesinnte Menschen ließen sie mir entwenden, während jetzt Freunde, nachdem die Documente entweder ihren Zweck erfüllten oder verfehlten, mir dieselben zurückerstatten möchten.«

Sans-Bois schüttelte zweifelnd das Haupt.

»Jedenfalls sind die Papiere mir werthvoll genug, um nicht vor einem Versuch der Wiedererlangung selbst unter schwierigen Umständen zurückzuschrecken,« fuhr Arthur noch entschiedener fort, indem er sich rüstete und heimlich eine Drehpistole zu sich steckte.

»Wo liegt das Dampfboot?« fragte er darauf hastig den Kellner.

»Ohne Führer möchte es Euch schwer werden, vor's rechte zu gelangen, denn es haben noch mehr Böte geheizt. Ich selbst begebe mich indessen an Bord zurück, und wenn Ihr mir folgt – ich glaube, 's wäre der kürzeste und sicherste Ausweg.«

»Gut, beeilen wir uns,« versetzte Arthur, zugleich wurde er gewahr, daß Sans-Bois sich ebenfalls zum Aufbruch rüstete.

»Sie gehen mit?« fragte er verwundert.

»Ohne Zweifel,« antwortete der Pelzjäger ruhig, »das Verfahren des Burschen erscheint mir nicht unverdächtig, und in Zeiten, wie die jetzigen, kann man nicht zu vorsichtig sein.«

Freundlich reichte Arthur Sans-Bois die Hand, dann gab er dem Kellner ein Zeichen und gleich darauf trat er mit diesem auf die Straße hinaus. Sans-Bois schloß sich ihnen an, nachdem er zuvor im Vorbeigehen Brise-glace leise aufgefordert hatte, ihm unbemerkt nachzufolgen. Seine Absicht, obwohl nur in kurzen Andeutungen enthalten, war verstanden worden, denn kaum hundert Schritte weit waren die drei Wanderer von dem Kosthause entfernt, da schlüpfte der gewandte Indianer ebenfalls auf die Straße hinaus, ohne Säumen die Richtung einschlagend, in welche er die schattenähnlichen Gestalten seiner Freunde kaum noch zu unterscheiden vermochte. –

Nach etwa fünf Minuten erreichte der Kellner in Arthurs und Sans-Bois' Begleitung den Mississippi, wo er sich sogleich nördlich wendete. Anstatt aber auf dem Pflaster vor den zum Theil noch offenen Läden und Spelunken zu bleiben, schritt er ganz über die Straße hinüber, wo er sich beständig hart am Bollwerk des Stromes hielt. Links von ihm dehnte sich also die doppelte und dreifache Reihe der Dampfer aus, von welchen einzelne sich vielleicht schon seit Jahresfrist kaum von der Stelle bewegt hatten, während rechts die völlig vereinsamte Fahrstraße sich hinzog und nur noch vor den Häusern Gruppen rohen Gesindels und Flußarbeiter singend und die Luft mit ihrem tollen Gelächter erschütternd, einherschwankten.

»'s ist manchmal nicht recht geheuer, mit denen da drüben im Dunkeln zusammenzutreffen,« entschuldigte der Kellner, daß er sich für den hindernißreichen Boden entschieden hatte, auf welchem man seinen Weg zwischen straff gespannten Tauen und Anhäufungen von Kisten, Ballen und Fässern hindurch suchen mußte.

»Vorwärts, vorwärts,« trieb Arthur ungeduldig, »oder wir erleben, daß der Dampfer losmacht, bevor wir heran sind.«

Dies waren die einzigen Worte, welche auf dem ganzen Wege gesprochen wurden; Hindernisse und Unebenheiten nahmen immer wieder aufs neue die Aufmerksamkeit Aller zu sehr in Anspruch.

Der Himmel war dunkel und schwer bewölkt; wie reich mit Thürmen geschmückte Wälle hoben die großen Flußdampfer vor dem tiefgrauen Hintergrunde ab. Die Strömung rauschte eintönig zwischen den Schaufeln der in träge Ruhe versenkten Räder; nur hin und wieder schimmerte ein einsames Licht von den schwimmenden, mehr oder minder die Spuren des Bürgerkrieges an sich tragenden Gasthöfen herüber. Das rege Leben, welches in guten Zeiten selbst die Nächte hindurch den lang ausgedehnten Quai von St. Louis charakterisirte, fehlte gänzlich. Wo sonst unablässig eben eingetroffene oder sich zum Aufbruch rüstende Fahrzeuge ihre überflüssigen Dämpfe zischend in's Freie sandten, da erschallte jetzt nur an drei oder vier Stellen und durch weite Zwischenräume von einander, getrennt, das eigenthümliche Kreischen.

Nach der Lage ihres Ziels fragten weder Arthur noch Sans-Bois. Dasselbe zeichnete sich deutlich aus durch die auf dem Radkasten eines Dampfers befestigte Laterne und den Feuerschein, welcher aus dem Maschinenraum in die Nacht hineinströmte und zwei schmale weiße Dampfsäulen, die zischend den Sicherheitsventilen entstiegen, röthlich beleuchtete. Es war der einzige Dampfer in ihrem Gesichtskreise, der sich reisefertig machte.

»Wohin seid Ihr befrachtet?« fragte Arthur, als sie sich ihrem Ziele bis auf ungefähr zweihundert Schritte genähert hatten. »Stromabwärts nach New-Orleans,« lautete die Antwort des Kellners, der trotz der Hindernisse, auf welche sie immer wieder stießen, begonnen hatte, ein Negerliedchen zu pfeifen.

»Was für Ladung?«

Einige wenige Passagiere, dafür desto mehr türkischen Weizen. Ziemlich harte Zeiten dort unten.«

Sie befanden sich so nahe, daß sie eine Reihe von Männern unterschieden, welche beim Scheine einer brennenden Pechpfanne Heizungsmaterial und volle Säcke über zwei andere Fahrzeuge fort an Bord des zur Fahrt bestimmten Dampfers trugen. Durch die Eile, mit welcher die Leute auf der einen Planke hin und auf der andern zurückschritten, wurde der Raum so beschränkt, daß das Einschiffen von Passagieren jedesmal eine Störung verursachte. Arthur und seinen alten Gefährten überraschte es daher nicht, daß der Kellner, anstatt sie in das Gedränge zu führen, sie aufforderte, eine kurze Strecke vor der Einladestelle ihm nach einem andern Dampfboote hinauf zu folgen. Von diesem sollten sie dann über die dort liegenden Planken von Schiff zu Schiff gehen, bis sie endlich, vor dem rechten angekommen, über die Brüstung des Hintertheils desselben mit leichter Mühe würden hinübersteigen können.

»Dort oben in der erleuchteten Kajüte wartet der deutsche Gentleman« rief der Kellner rückwärts, als er sicheren Schrittes über die erste Planke hineilte, »außer diesem Schiff noch zwei,« fügte er mit erhobener Stimme hinzu, »ja ihrer zwei sind's, nicht weniger und nicht mehr!«

Sie hatten auf dem ersten verödeten Dampfer festen Fuß gefaßt, als eine kurze Strecke hinter ihnen, trotz der kalten Jahreszeit, eine Fledermaus laut zirpte, wie wenn sie, durch den ungewöhnlichen Besuch von Menschen auf dem Fahrzeug aus irgend einem Winkel aufgescheucht, ängstlich hin und her geflattert wäre.

Sans-Bois vernahm das Zirpen und schien es zu verstehen, denn er hustete und fluchte laut über den halsbrechenden Weg, worauf er beruhigt seinem jungen Gefährten dicht auf dem Fuße nachfolgte.

Der Kellner war unterdessen vor der Planke angekommen, welche von dem ersten Dampfboot nach dem Hintertheil des zweiten hinüberlag.

»Nehmt Euch in acht, Gentlemen,« rief er wieder rückwärts, »'s ist 'ne ziemlich harte Stelle hier; wir müssen ganz um den Radkasten herum, aber die Beleuchtung kommt uns zu statten; 'n paar gute Sprünge und wir sind zur Stelle!«

Noch sprechend, trat er auf eine andere Planke, welche auf der ersten so ruhte, daß sie, wie er gesagt hatte, dicht neben dem Radkasten hinlief, und mit beiden Händen an der hohen Bretterwand hintastend, bewegte er sich langsam vorwärts.

Obwohl die Streiflichter, welche von der Pechpfanne ausgingen, zwischen Brettern, Gebälk und Galleriestützen hindurch die Planke und einen Theil des Radkastens trafen, so diente die flackernde Beleuchtung doch mehr dazu, zu blenden und zu beirren. Arthur und Sans-Bois fanden indessen ihren Weg glücklich nach dem schwankenden Brett hinauf, wo ungefähr vier Fuß tief unter ihnen die Fluthen des Mississippi sich murmelnd zwischen den Schaufeln und eisernen Stangen brachen, drei Ellen weiter dagegen an den glatten Bugplanken des eben verlassenen Schiffes hinglitten.

»Nur noch 'n paar Schritte und Ihr habt festen Boden,« ermunterte der Kellner, indem er, am Ende der auf einem Querholz ruhenden Planke und zugleich des Radkastens angekommen, sich leicht über die Gallerie schwang.

Arthur, an welchen San-Bois sich dicht anschloß, wollte seinem Beispiel folgen, als aus der Ferne plötzlich ein kurzes indianisches Gellen ertönte, welches fast augenblicklich durch ein helles Jauchzen auf dem eben verlassenen Dampfboot beantwortet wurde. Zugleich drang aber auch der gedämpfte Ruf eines Mannes aus der zuerst angedeuteten Richtung herüber, der schon allein in seinem Ausdruck eine dringende Warnung enthielt.

»Eberhard Braun! Eberhard Braun!« hieß es mit unverkennbarer Todesangst, daß selbst die auf der Einladestelle beschäftigten Arbeiter aufmerksam darauf wurden, »Eberhard Braun! Keinen Schritt weiter, oder Ihr seid des Todes!«

Arthur, noch auf dem Brett stehend, kehrte sich bestürzt um. »Unheil im Winde,« murmelte Sans-Bois, »Halloh, Brise-glace!« – weiter kam er nicht, denn die wenigen Sekunden, welche nach dem ersten indianischen Gellen verstrichen waren, hatten gerade hingereicht, ihren verborgenen Feinden ein entscheidendes Uebergewicht über sie zu verleihen.

Sans-Bois sprach noch und Arthur streckte eben die Hände nach der Gallerie aus, da tauchten seitwärts von dem Radkasten zwei Schatten auf, und bevor noch eins der beiden hinterlistig in eine Falle gelockten Opfer die unmittelbare Nähe einer Gefahr ahnte, sank der bleierne Knopf eines kurzen, geschmeidigen Stabes mit betäubender Gewalt auf Arthurs Haupt nieder, während ein breites Bowiemesser, flüchtig im Schein der Pechpfanne blitzend, den alten Jäger in die Seite traf.

Schwer fielen die beiden Männer von der Planke in den Strom hinab, der sich brausend über ihnen schloß. Keiner von ihnen hatte einen Laut von sich gegeben; gelangten sie aber durch die Berührung des kalten Wassers vielleicht zu dem Bewußtsein ihrer hoffnungslosen Lage, so erstickten die Fluthen schnell ihre Stimmen, indem sie von denselben zwischen die Schaufeln und das Gitterwerk des schräge gegenüberliegenden Dampfers gepreßt wurden.

Fast gleichzeitig mit ihrem Sturz schlüpfte der Kellner auf das geheizte Dampfboot zu, wo er mit Leichtigkeit an's Ufer entkam. Die beiden hinter dem Radkasten verborgenen Mörder dagegen sprangen auf die Planke und entflohen in der Richtung, aus welcher ihr verrätherischer Genosse Sans-Bois und Arthur herbeigeführt hatte.

Gewandt glitten sie an dem Radkasten hin und über die Brückenplanke auf das andere Dampfboot zu. Dort aber, als sie eben über die Gallerie steigen wollten, prallten sie gegen eine bis dahin unbemerkt gebliebene Gestalt an, welche ihnen den Weg vertrat. Ein nackter Arm fuhr zweimal mit der Schnelligkeit des Blitzes durch die Luft, zwei knirschende Schläge erdröhnten, und wiederum nahmen die heftig strömenden Fluthen einen dem Verderben Geweihten in sich auf, während der entsetzliche Todesschrei des andern die mit dem Befrachten des Dampfers beschäftigten Arbeiter herbeirief. Der Elende hatte mit letzter schwindender Kraft, bevor er in sein nasses Grab hinabsank, die unterste Latte der Gallerie umklammert. Doch ehe die mit der Pechpfanne herbeieilenden Leute viele Schritte zurücklegten, durchschnitt das Messer des nur noch für die Gefühle einer unversöhnlichen Rache zugänglichen Brise-glace die Sehnen an seinen Handgelenken. Die krampfhaft angespannten Finger des hinterlistigen Meuchelmörders erschlafften; seinen erneuten Todesschrei erstickten die Wellen des Mississippi, welche ihn, ohne auf Widerstand zu stoßen, zwischen den beiden Fahrzeugen hin seinem Gefährten nachtrugen. Lauter aber und gellender erschallte nunmehr der Ruf des Indianers, die herbeistürmenden Gefährten zur größten Eile anspornend. – – –

Als Arthur, Sans-Bois und Brise-glace in so geheimnißvoller Weise das Kosthaus verließen, schauten die zurückbleibenden Omahas und der Mestize nur ganz flüchtig auf sie hin, worauf sie fortfuhren, sich mit gedämpfter, seltsam vibrirender Stimme in den Schlaf zu singen.

Zehn Minuten verstrichen, da wurde abermals die Thüre aufgerissen und in derselben erschien, bleich und verstört, in der linken Hand ein Packetchen Papiere haltend, Eberhard Braun.

»Lieutenant Arthur!« rief er mit gewaltiger Anstrengung aus, denn er war so schnell gelaufen, daß er kaum noch Athem zu schöpfen vermochte, »Lieutenant Arthur! Wo sind Arthur und Sans-Bois?« fragte er, als auf seinen Ruf sich nur die Indianer aufrichteten und ihn verwundert betrachteten.

»Gegangen, Alle gegangen und Brise-glace mit ihnen,« antwortete der Mestize gleichmüthig.

»Zu spät, zu spät! Mein Gott, zu spät!« Rief Eberhard verzweiflungsvoll aus, und dann fragte er mit sichtbarer Todesangst: »Und Ihr wißt nicht, wohin sie sich gewendet haben?«

»Kann's nicht verrathen,« versetzte der Mestize mit unerschütterlicher Ruhe, »wurden Alle geholt und werden heimkehren zu seiner Zeit.«

»So will ich's Euch sagen!« schrie Eberhard so heftig, daß die Indianer, nichts Gutes ahnend, emporsprangen, »auf ein Dampfboot sind sie gelockt worden, von wo sie nie wieder heimkehren, wenn nicht –wie lange ist es her, seit sie aufbrachen?«

»Eine Viertelstunde; kann sein, etwas mehr, kann sein, etwas weniger,« antwortete der Mestize wieder.

»Dann mögen sie vielleicht noch gerettet werden!« rief Eberhard, indem er, von einer schwachen Hoffnung beseelt, sich hastig der Thüre wieder zuwendete, »und Ihr, wenn Euch an dem Leben Eurer Freunde gelegen ist, folgt mir nach! Aber Eile ist geboten! Folgt mir auf dem nächsten Wege zum Wasser hinunter!«

Die letzten Worte verhallten Bereits auf dem Hausflur; in die Omahas aber und in den Mestizen fuhr es plötzlich wie neues Leben. Das wilde Auftreten Eberhards und seine augenscheinliche Besorgniß hatten sie überzeugt, daß die Abwesenden wirklich in Gefahr schwebten; ohne daher zuvor zu berathen, ergriffen sie ihre Waffen, worauf sie die Decken um ihre Schultern warfen und in ihrer flinken und geräuschlosen Weise dem Davonstürmenden nacheilten.

Sie holten ihn gerade vor dem Quai ein, wo er stehen geblieben war, um sich bei einigen ihm Begegnenden nach der Lage des südwärts bestimmten Dampfers zu erkundigen.

»Dort oben,« antworteten diese, stromaufwärts weisend, »braucht Euch nicht zu übereilen, wenn Ihr mit wollt, 's wird wohl noch 'ne Stunde oder zwei dauern bevor er losmacht!«

Länger wartete Eberhard nicht. Die Blicke auf den fernen, von dem offenen Maschinenraum und der Pechpfanne ausströmenden Feuerschein gerichtet, stürzte er, gefolgt von den Indianern, in rasender Eile davon, beständig die Mitte der spärlich durch Laternen erleuchteten Straße haltend, wo er weder durch Fußgänger, noch durch aufgestapelte alte Schiffsgerätschaften und Kaufmannsgüter gehindert wurde. Als er aber nach kurzer Zeit bis in die Hörweite seines Ziels gekommen zu sein meinte, da raffte er seine ganze Kraft zusammen und laut schallte es von seinen Lippen durch die Nacht:

»Eberhard Braun! Keinen Schritt weiter, oder Ihr seid des Todes!«

Zu seinem Rufen gesellte sich indessen noch das warnende Jauchzen seiner Begleiter, die, seine Absicht errathend, Sans-Bois und Brise-glace dadurch ein sicheres Warnungszeichen zu geben gedachten. Brise-glace's kurzes Gellen belehrte sie, daß sie verstanden worden seien, in ihrer Richtung wurden sie gelenkt durch den Todesschrei des Mörders, und als derselbe sich noch einmal halb erstickt wiederholte, da setzten sie, ähnlich flüchtigen Hirschen, von Dampfboot zu Dampfboot, von Planke zu Planke und über Gallerien fort, bis sie endlich bei dem Jova eintrafen.

»Wo sind Arthur und Sans-Bois?« fragte Eberhard, der mit seinen Begleitern nicht gleichen Schritt gehalten hatte, aber kurz nach ihnen auf der verhängnißvollen Stelle erschien.

»Da hinunter,« antwortete der Jova, auf die Stelle deutend, auf welcher die beiden Freunde von den tödtlichen Waffen getroffen worden waren, »habe ihnen aber zwei Hunde nachgeschickt –«

»Zu Hülfe! Leute zu Hülfe!« fiel Eberhard dem Indianer in die Rede und dahin gewendet, wo die Arbeiter sich mit der Pechpfanne näherten.

Dieselben stiegen eben nach dem Vordertheil des Dampfers hinauf, auf welchem Eberhard sich befand, und gleichzeitig fiel der Schein der seitwärts gehaltenen Pechpfanne auf den schmalen Wasserspiegel zwischen den beiden Fahrzeugen.

Von wilder Verzweiflung ergriffen, starrte Eberhard auf die wirbelnden, roth beleuchteten Fluthen. Ein Stück Treibholz wand sich gerade vor dem Radkasten des gegenüberliegenden Dampfers aus dem Strudel hervor und trieb schnell und kreiselnd in schräger Richtung dem Lande zu, wo es gleich darauf zwischen den tief in das Wasser hineinreichenden Schaufeln des Nachbardampfers verschwand.

»Wo das Holz hinschwimmen, da auch Männer hintreiben!« rief Brise-glace, der nach der verhängnißvollen Stelle hinübergesprungen war und von dort aus ebenfalls die Bewegung des Treibholzes beobachtet hatte. Eberhard dagegen schwang sich entschlossen über die Brüstung, und nachdem er den Fackelträger aufgefordert, ihm zu leuchten, glitt er, auf seine Fertigkeit im Schwimmen bauend, in die eisigen Fluthen hinab.

Obgleich die Kalte des Wassers ihm bei seiner furchtbaren inneren Erhitzung fast den Athem raubte, schien die Verzweiflung ihn unempfindlich gegen deren Einfluß gemacht zu haben, und mit Todesverachtung sich an der glatten Schiffswand hintastend, gelangte er schnell unter den Radkasten, wo die Schaufeln mit den sie verbindenden Stangen ihm einen sichern Halt boten. Zugleich streifte aber auch die Beleuchtung der tief gesenkten Pechpfanne über ihn hin, und sich zwischen den roth angestrichenen Reifen und Gitterwerk verlierend, traf sie grell einen menschlichen Unterarm und eine Hand, welche sich im Starrkrampf um eine der eisernen Stangen geschlossen hatte.

»Hülfe!« rief Eberhard kaum verständlich vor innerer Aufregung zurück, »zu Hülfe, um Gotteswillen! Oder es ist zu spät!«

Dreimal plätscherte und brauste das Wasser um ihn herum, und drei schwarz behaarte Köpfe schossen neben ihn hin, von welchen zwei ihm beistanden, Sans-Bois, der um ein Haar an dem Rade vorbeigetrieben war, über die Oberfläche des Wassers emporzuheben und seine Hand von der Stange zu lösen, wogegen der Mestize, in das Rad hineinkletternd, Arthurs Körper auffand und mit allen Kräften arbeitete, denselben ebenfalls über Wasser zu schaffen. Letzteres gelang ihm erst mit Hülfe Eberhards, indem Arthur, durch den Schlag mit dem Bleiknopf vollständig betäubt, ähnlich einem Stück Zeug von der Strömung unter das Rad gerissen worden war, wo er mit dem Oberkörper über einer Schaufel hängen blieb, während die Fluthen seine Füße noch immer stromabwärts drängten.

Von allen Seiten streckten sich den im Wasser Befindlichen hülfreiche Hände entgegen, welche ihnen die zugeworfenen Stricke um die leblosen Körper ordnen halfen, und sanft und vorsichtig zogen sie dieselben nach dem Verdeck hinauf, wo man sie behutsam neben einander niederlegte. –


 << zurück weiter >>