Balduin Möllhausen
Der Piratenlieutenant – Teil 2
Balduin Möllhausen

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Sechsunddreißigstes Capitel. Der Millionär und seine Schützlinge.

Mittelst seines Passes und mit Hülfe heimlicher Unionsfreunde, vor allen Dingen aber durch beträchtliche Geldsummen war es Braun gelungen, den »Einsamen Stern«, welchen melancholischen Namen das Dampfboot führte, zur Reise stromabwärts zu miethen.

Da alle Streitkräfte des Südens, bis auf einzelne Guerilla- und Räuberbanden, nach den bedrohtesten Punkten der sogenannten Conföderation entsendet worden waren und Niemand wußte, welche entmuthigenden Nachrichten der folgende Tag bringen würde, so konnte es kaum befremden, daß der »Einsame Stern« die Flußfahrt mitten durch das Rebellengebiet zurücklegte, ohne im Mindesten belästigt zu werden.

Die Einnahme Savannahs und der Marsch der Unionisten auf Charleston und Wilmington, zwei der wichtigsten, noch von den Aufständischen gehaltenen Punkte, wirkten so niederschlagend auf die den südlichen Institutionen ergebenden Gemüther, und verbreiteten einen solchen Schrecken in den Landschaften, welche zunächst von einem Einmarsch der Unionstruppen bedroht wurden, daß Braun auf seiner Rückfahrt nach dem Norden, so weit er eben den Fluß als Straße zu benutzen vermochte, noch weniger zu fürchten hatte.

Obwohl während des blutigen Krieges, welchem auf der einen Seite wilder Fanatismus, auf der andern warmer Patriotismus die unermeßlichsten Opfer brachten, in den wenigsten Fällen die gewohnte Ordnung aufrecht erhalten werden konnte, so hatte der »Einsame Stern,« der größtentheils müßig vor Anker gelegen, sich doch seine alte innere Einrichtung noch ziemlich unverändert bewahrt. Wo kein Gebrauch stattfand, trat auch keine Abnutzung ein, höchstens solche, welche durch die Zeit und mangelnde Kräfte zur Säuberung bedingt wurde. So befanden sich auch die beiden Kajüten, namentlich der kleinere, zum ausschließlichen Aufenthalt der Damen bestimmte Salon, noch in gutem Zustande, so daß sie denjenigen, welche so lange unter freiem Himmel in kalter, dunkler Nacht geweilt hatten, doppelt einladend und behaglich erschienen. –

Braun hatte sich mit Anna und Johannes nach der am weitesten zurückliegenden Damenkajüte begeben, ohne darauf zu achten, daß auch der große Saal sich füllte. Er ahnte nichts weniger, als daß ihm diejenigen nahe seien, deren ungewisses Geschick ihn schon seit langer Zeit mit tiefer Besorgniß erfüllte.

»Es besteht eine innige Beziehung zwischen uns,« begann er eben wieder nach einem kurzen Gespräch mit Johannes zu der neben ihm auf dem Sopha sitzenden Anna, deren Hand in der seinigen ruhte; »eine sehr innige Beziehung, deren Erklärung ich mir indessen für geeignetere Zeiten vorbehalte. Nur so viel sage ich Dir jetzt, und Sie, mein theurer Herr Johannes, sind Zeuge, damit Sie meine Worte zu meinem ehrenwerthen Bruder nach Europa hinübertragen – ich blicke auf Dich, als seist Du meine leibliche Tochter; wird es Dir aber vorläufig noch schwer, mich Vater zu nennen, mich, einen Dir äußerlich ganz fremden Mann, so hoffe ich mit Zuversicht, daß Du Dich bald an das neue Verhältniß gewöhnst und ein Vertrauen zu mir fassest, wie ich es so unendlich gern an Dir verdienen möchte.«

Anna vermochte nur durch einen Blick inniger Dankbarkeit zu antworten, welchen sie schüchtern und erröthend in die mit unbegrenztem Wohlwollen auf sie gerichteten Augen senkte.

»Also bei meinem ehrenwerthen Bruder hast Du lange gewohnt?« fragte Braun darauf gerührt, indem er sanft das dunkle Haar von Anna's Stirn zurückstrich, »es ist doch fast, als hätte die Vorsehung sich die besondere Aufgabe gestellt gehabt, Dir es zu erleichtern, zur Freude meines Alters in mein Haus einzuziehen. Der gute Christian und seine brave Frau, wie sie sich wohl verändert haben! Es sind erst wenige Wochen her, seit Du sie sahst; ihr Bild muß daher noch frisch und lebhaft in Deinem Geiste leben; aber scheue Dich nicht, Du liebes Kind, blicke mich immer wieder an, daß ich in Deine mir so vertrauten Augen sehe – auch Du, meine liebe Anna, hast in solche Augen geschaut, deren letzter Blick für Dich ein Segen war.«

Anna kämpfte gegen die Thränen; sie rang nach Worten, und wie um sich zu ermuthigen, sah sie zu Johannes hinüber, der sie unausgesetzt mit einem wunderbaren Ausdruck von wehmüthiger Freude und inniger Zärtlichkeit betrachtete.

Da klopfte es bescheiden an die Thüre. Dieselbe öffnete sich auf Brauns Ruf, und herein trat, strahlend im höchsten Triumph, Redsteel.

»Redsteel! Mein Gott! Sie hier?« rief Braun erstaunt aus, indem er dem Eintretenden entgegenschritt und freundschaftlich die Hand reichte.

»Ich kam mit den beiden Herrschaften dort zugleich an Bord,« versetzte Redsteel, sich höflich gegen Anna und Johannes verneigend, welche den Gruß ebenso freundlich erwiderten, »ein wunderbarer Zufall führte uns in Nacht und Dunkel mitten auf dem Strome zusammen, – doch hatte ich bereits Gelegenheit, zu beobachten, daß die junge Dame –«

Ja, ja, mein lieber Redsteel,« fiel Braun alsbald mit einem glücklichen Lächeln ein, »mehr als ein bloßer Zufall hat hier gewaltet, – mehr als ein bloßer Zufall führte mich –« er stockte, und Redsteel mit ängstlicher Spannung in die Augen schauend, rief er aus: »Aber mein Gott! Sie kommen allein? Sie zogen doch mit zuverlässigen Begleitern aus? Magnolia und Bella – Ihr Unternehmen ist fehlgeschlagen – und Walebone und Willing, wo sind Sie –«

»Alle an Bord, theuerster Freund, Alle an Bord dieses Dampfers,« versetzte Redsteel schnell mit einer Vertraulichkeit, zu welcher er sich durch die Nachrichten, die er überbrachte, berechtigt glaubte, »Alle wohlbehalten hier, und zwar nicht nur sie, sondern auch diejenigen, welche sich in Ihrem Auftrage an dem gefährlichen Unternehmen betheiligten – doch was säume ich, während in nächster Nähe die treuen Leute vor Begierde brennen, ihren Wohlthäter zu begrüßen!«

»In der Nähe?« unterbrach ihn Braun, der falsch verstanden zu haben glaubte, und sein weißes Antlitz röthete sich flüchtig vor freudiger Spannung.

»Noch ein Wort, mein verehrtester Gönner,« bat Redsteel mit gedämpfter Stimme, Braun, der eben in die große Kajüte hinauseilen wollte, sanft am Arme zurückhaltend, »die Frauen müssen ermüdet und erschöpft sein, namentlich Ihre junge Verwandte –«

»Sie ist nicht meine Verwandte,« fiel Braun ein, sich mit einer gewissen Hoheit emporrichtend, denn es erschien ihm fast, als hätte Redsteel ihn ausfragen wollen, »allein ich hoffe, daß sie binnen kurzer Frist in sehr nahe Beziehung zu mir treten wird.«

»Und ich hoffe es mit Ihnen, mein verehrtester Gönner,« pflichtete Redsteel aalglatt bei und wußte vor Unterwürfigkeit nicht, nach welcher Seite er seine bewegliche Nase hinüberschieben sollte, »ich meinte auch nur, die junge Dame hat, wie ich erwähnen hörte, Entsetzliches erlebt, in Folge dessen ihr Ruhe am meisten nothwendig sein dürfte – ich erwähne dies nur beiläufig, um Sie zu bestimmen, mir noch in dieser Nacht eine Unterredung ohne Zeugen zu gewähren – denn, Herr Braun, ich kann es nicht länger in meiner Brust verschließen – ein namenloses Glück, ein unerhörter Zufall hat mich auf Spuren geführt, welche genauer zu verfolgen meine nächste Aufgabe sein soll, und das erste Mal wäre es nicht, daß Todte aus ihren Gräbern auferständen und Verschollene unter den Lebenden auftauchten.«

Braun erbleichte bei diesen geheimnißvollen Andeutungen. Nach kurzem Kampfe gewann er seine Selbstbeherrschung zurück, und Redsteel, wie die Glaubwürdigkeit seiner Angaben prüfend, ruhig in die Augen schauend, sagte er mit tiefem Ernste:

»Es wäre ein vermessenes Spiel, welches Sie mit mir treiben, begründeten Ihre Angaben sich nur auf leere Muthmaßungen. Erwägen Sie dies wohl, bevor Sie es unternehmen, meinen Geist in eine schmerzliche Vergangenheit zurückzuführen. Binnen kurzer Frist stehe ich zu Ihrer Verfügung; ich würde sagen: jetzt gleich, denn mein Wille beherrscht meine Neigungen, aber ich habe Rücksichten zu nehmen mit den Herzen, die mir in kindlicher Anhänglichkeit und Treue entgegenschlagen. Noch einmal daher: Erwägen Sie wohl, lieber Redsteel, ob Sie mir bei unserer nächsten Zusammenkunft nur Ihre Reiseerlebnisse schildern, oder die Hand an eine Wunde in meiner Brust legen, welche noch nicht hinlänglich vernarbt ist, um nicht von neuem und recht anhaltend bluten zu können.«

Redsteel verneigte sich mit einem selbstbewußten Lächeln und trat zur Seite.

Die hohe Stirn in sinnende Falten gelegt öffnete Braun nunmehr die Thüre.

»Magno –«

Weiter sprach er nicht, denn ein strahlend schönes junges Wesen mit schwarzem Lockenhaar und einer Hautfarbe, die an Weiße mit Alabaster wetteiferte, und eine liebliche nußbraune Schönheit drängten sich an ihn heran, seine Hände mit heißen Thränen und Küssen der innigsten Dankbarkeit und Freude bedeckend.

Da glättete sich die hohe Stirn wieder und das biedere Herz zerfloß gleichsam vor tief empfundener Rührung.

»Habe ich Euch endlich wieder, Ihr lieben Kinder?« rief der alte Herr freudig aus, »und dabei gesund und wohlbehalten?« O, es ist ja, als ob sich Alles vereinige, mir einen recht glücklichen Tag, oder vielmehr Lebensabend zu bereiten. Und auch Ihr, Willing und Walebone? Gott sei Dank, daß wir wieder beisammen sind – aber seht her, Kinder, ich muß Euch meine Tochter vorstellen, meine liebe Tochter und deren treuen Begleiter, und besitzt Ihr auch nur einen Funken von Anhänglichkeit an mich, Euern alten Freund, dann werdet Ihr auch jene lieben und mir treu beistehen, ihnen mein Haus zur Heimath zu machen.« –

Unbedingtes, hingebendes Vertrauen lag in dem Charakter Magnolia's und Bella's. Indem Braun um ihre Liebe für Anna bat, hatten sie derselben ihr Herzen schon zugewendet. Sie fragten nicht, in welchem Verhältniß Anna zu ihrem gemeinschaftlichen Wohlthäter stehe, noch ob die neue Hausgenossin ihnen vorgezogen werden und die erste Stelle in dem Herzen ihres Beschützers einnehmen könne. Als sie aber gewahrten, wie Anna's große Augen sich mit einem rührenden, ängstlich flehenden Ausdruck auf sie richteten, als sie gewahrten, wie die zarte, schlanke Gestalt leise bebte und süße Befangenheit sie fast zu übermannen drohte, da erweiterten sich ihre Herzen in unbegrenztem Wohlwollen, und schnell wich die Schüchternheit aus ihrem Wesen, um einem offenen, herzlichen Entgegenkommen seine Stelle einzuräumen. Dem herzlichen Entgegenkommen aber entsproßten zauberhaft schnell die Keime zu einer treuen, opferwilligen Freundschaft, welche, die erste Verlegenheit, bedingt durch das Fremde in äußerer Erscheinung und Sprache, erstickend, schnell zur üppigen Blüthe gelangte und den Gemüthern da milden Trost spendete, wo verborgener Kummer und banges Hoffen nicht wagten, Andern verständlich an's Tageslicht zu treten.

Johannes war leise zurückgetreten und beobachtete das Bild, in welchem Jugend und Schönheit des Körpers und der Seele sich zu einer so bezaubernden Gruppe vereinigten, mit schwer zu schildernden Gefühlen.

O, wie ihm das Herz blutete bei diesem Anblick! Eine an Neid grenzende Empfindung durchzog seine Seele, jedoch nur auf Sekunden. Je länger er auf die liebliche Gruppe sah, um so ruhiger kreiste sein Blut, um so weniger schmerzlich pochte sein Herz, um so ergebungsvoller gedachte er der eigenen Zukunft, während für Anna, seine zärtlich geliebte Anna, die Hoffnungen sich schöner und rosiger entfalteten. Wie ein treuer Gärtner auf die von den schönsten Blüthen umgebene Lieblingsblume hinschaut, so beseelte auch ihn jetzt nur noch das einzige Bestreben, seine geliebte Anna vor Stürmen zu bewahren, welche, wenn sie das Lebensmark trafen – er wußte es ja aus Erfahrung – um so verderblicher wirken mußten.

Braun hatte sich wenige Schritte von ihm an die Thüre gelehnt und betrachtete mit innigem Wohlgefallen Magnolia und Bella, die sich liebevoll um Anna bemühten und ihr in Worten und Mienen alle die kleinen Aufmerksamkeiten erwiesen, an welchen ein wahrhaft weibliches Gemüth so unendlich reich ist, und die nur von einem sinnigen weibliche Wesen ausgehend, anmuthig erscheinen.

»Und das sind Farbige,« sprach es in seinem Herzen, »Farbige, deren Fesseln fester zu schmieden der Süden mit eiserner Willenskraft trachtete, und welchen die herrschenden Vorurtheile noch für kommende Jahrzehnte eine kaum minder schmerzensreiche Kette sein werden, als die aus Erz geschmiedeten!«

Tiefer neigte er das Haupt auf die Brust, aber der Ernst, welcher auf seinem Antlitz thronte, wich jedesmal vor einem zufriedenen Lächeln, so oft er entdeckte, daß zwischen ihren neuen Freundinnen hindurch Anna's holdselig schüchterne Blicke ihn suchten.

Arthur befand sich noch in der großen Kajüte, wo Kapitän Iron ihn verlassen hatte. Einestheils, um nach dem alten Pelzjäger zu forschen, welchen er nach der ersten Bekanntschaft ganz in sein Herz eingeschlossen hatte, war der rastlose Seemann hinausgeeilt, dann aber auch um den Gang und die Sicherheit des Dampfbootes zu überwachen, welches mit unveränderlichem Pochen, Aechzen und Stöhnen seine dunkle Bahn stromaufwärts verfolgte.

Die zwischen den beiden Kajüten liegende Thür stand halb offen, so daß Arthur den Damensalon theilweise zu übersehen vermochte, ohne von dort aus selbst bemerkt zu werden. Auf diese Weise war er Zeuge des Wiedersehens zwischen Braun und seinen Schützlingen gewesen, und weidete er sich an der rührenden Sorgfalt, mit welcher Magnolia und Bella sich um seine liebliche junge Reisegefährtin bewegten. Was ihn kurz vorher bestimmte, sich freiwillig für die Weiterreise auf dem Dampfer zu erklären, was ihn gleichsam feindlich berührte, das kam jetzt, angesichts der Scene, welche sich vor seinen Augen entwickelte, nicht mehr in Betracht. Braun selbst sah er nicht, dagegen befand sich Johannes in seinem Gesichtskreise, der freundliche junge Mann, welchen er stets mit einem so hohen Grade von Achtung, aber auch mit einer ihm unerklärlichen heimlichen Befangenheit betrachtet hatte.

»Und das sind Farbige,« sprach auch er in Gedanken, als Magnolia und Bella mit jungfräulicher Anmuth Anna zum Sitzen einluden und, ebenfalls Platz nehmend, ihm die Aussicht auf Letztere entzogen, »das sind Farbige, für deren Unterdrückung ich die langen Jahre hindurch kämpfte.«

Ihn schauderte; er wendete sich ab; seine Blicke fielen auf die beiden Mulatten, welche auf dem andern Ende des Saales standen und sich mit ruhigem Ernste unterhielten.

»Farbige,« wiederholte er schmerzlich bewegt, »deren Fesseln und Ketten fester schmieden zu helfen, ich vier der besten Jahren meines Lebens verlor und vergeudete!«

In ernste Betrachtungen versunken, blickte er auf die drei Mädchen hin, so lange, bis er wähnte, von einem Traum umfangen zu sein, in welchem, so oft Magnolia und Bella sich zur Seite neigten und Anna's Augen ihm sichtbar wurden, zwei milde tröstliche Sterne ihm aus einer lieblichen Frühlingsnacht entgegenstrahlten.

Da glitt plötzlich Braun zwischen ihn und die schöne Gruppe.

»Ich überlasse Dich der Sorge dieser beiden treuen Kinder,« wendete er sich zu Anna, ihr die Hand reichend, »Euch aber,« fuhr er zu Magnolia und Bella fort, »vertraue ich meine Tochter an. Säumt daher nicht und begebt Euch zur Ruhe, damit ich morgen in recht klare und zufriedene Augen blicke – und dann wollen wir erzählen und plaudern über unsere Erlebnisse und auch der nächsten Zukunft gedenken.«

Mit einem süßen Lächeln küßte Anna, gleich ihren Gefährtinnen, Brauns Hand, was dieser mit einem unsäglichen Gefühl innerer Befriedigung duldete. Seine Schützlinge begleiteten ihn darauf noch bis an die Thüre, wo Johannes sich ihm zugesellte.

Bevor er schied, ergriff Anna noch einmal seine Hand.

»Was wünschest Du, mein liebes Kind?« fragte Braun, als er in den großen, sich verwirrt senkenden Augen eine stumme Bitte zu lesen meinte.

»Wir sind Herrn Arthur zu unendlichem Danke verpflichtet,« hob Anna tief erröthend an, »in der schrecklichen Lage auf dem feindlichen Schiff verwendete er sich –«

»Stets für meine liebe Tochter,« fuhr Braun gütig fort, als Anna stockte, »und da möchte meine Tochter sich jetzt wieder für ihn verwenden? Doch beruhige Dich, mein Kind, was er an Euch gethan hat, das soll ihm in einer seinem Charakter angemessenen Weise vergolten werden.«

»Er ist Gefangener,« entschuldigte Anna unwillkürlich ihre dem fremden Officier gezollte Theilnahme, »und Johannes wird mir beipflichten,« zog sie diesen mit in's Gespräch, »daß man in den Ausdrücken des Dankes sehr rücksichtsvoll – ich meine –«

Ein gütiges Lächeln, ein billigendes Nicken des ehrwürdigen Hauptes belehrten Anna, daß sie verstanden worden sei, bevor sie noch ausgesprochen hatte, und dann schritt Braun, eingedenk seines Redsteel gegebenen Versprechens, mit lebhaften Bewegungen davon.

Johannes blieb noch ein Weilchen zurück. Anna hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen und küßte ihn, hingerissen von den sie bestürmenden Empfindungen, zärtlich.

»Schlafe wohl, Johannes,« flüsterte sie ihm zu, »ich möchte noch Stunden mit Dir verplaudern, um Dir zu beschreiben, wie wohlthuend der erste Eindruck gewesen, welchen ich im Kreise meiner neuen Freunde empfangen habe. Aber nun gehe auch Du nicht von mir, bleibe bei mir, damit das freundliche Bild der Zukunft, welches meiner Seele vorschwebt, nicht getrübt und zerstört werde.«

»Es soll nicht zerstört werden,« erwiderte Johannes mit halb erstickter Stimme, indem er sich abwendete, »aber nun begieb Dich zur Ruhe – Deine Freundinnen harren bereits auf Dich.« Er zog leise die Thüre zwischen sich und die geliebte Jugendgespielin, die, über das befremdende Wesen des jungen Mannes fast in Thränen ausbrechend, sich langsam den beiden Mädchen wieder zugesellte. –

Braun befand sich um diese Zeit auf dem andern Ende des langen Saales, wo Arthur höflich zur Seite trat, um ihm den Vortritt in ein nur durch einen schmalen Gang von der Kajüte getrenntes Rauchcabinet zu lassen. Die Mulatten waren schon früher hinausgegangen; sie hofften, ihren alten Freund und Gefährten, den biederen Sans-Bois zu überreden, eins der leeren Schlafgemächer für sich in Anspruch zu nehmen.

»Sie sind Lieutenant Arthur?« fragte Braun, indem er, anstatt hinauszugehen, stehen blieb und dem jungen Manne mit großer Herzlichkeit die Hand drückte; zugleich betrachtete er aber auch mit unverkennbarem Wohlgefallen die hohe, tadellos gewachsene Gestalt, welcher die alte abgetragene Uniform eine gewisse kriegerische Würde verlieh.

»Mein Name ist Arthur,« antwortete dieser, sich verbeugend, und indem er seine Hand in die Brauns legt, entfärbte er sich leicht, »ich befinde mich in der Eigenschaft eines Kriegsgefangenen an Bord dieses Schiffes.«

»Erwähnen Sie das nicht,« fiel Braun schnell ein und kräftig schüttelte er des früheren Piratenofficiers Hand, »obwohl es mir immer schmerzlich ist, mit deutschen Landsleuten zusammenzutreffen, welche sich auf Seiten der Vertheidiger der Sklaverei geschlagen haben, so sehe und begrüße ich in Ihnen doch nur einen lieben, einen sehr lieben Freund, welchem ich mich zu endlosem Danke verpflichtet fühle. Bringen wir daher die Umstände, welchen Sie Ihr Hiersein verdanken – oder vielmehr die zwischen dem Norden und dem Süden bestehende Streitfrage nicht zur Erörterung zwischen uns – schon meiner Adoptivtochter wegen bitte ich darum – und glauben Sie mir, Sie haben an dem theuern Kinde eine sehr dankbare und warme Fürsprecherin gewonnen.«

»Und mit Recht,« bekräftigte Johannes, der eben herangetreten war, mit überzeugendem Ausdruck, »und ich selbst kann nur –«

»Sie sowohl, wie Fräulein Werth legen ein viel zu hohes Gewicht auf Gefälligkeiten und kleine Dienstleistungen, durch deren Vernachlässigung man einen harten Vorwurf auf sich lüde,« fiel Arthur schnell ein, indem er dem freundlich forschenden Blicke Brauns auswich und sich Johannes zuwendete; »daß ich aber der Conföderation Treue gelobte und dieselbe nie brach? Wer ist Herr seines Geschickes, daß er jedesmal vorher die Principien zu prüfen vermöchte, zu deren Vertheidigung er vom Zufall berufen wird, zumal wenn er kein anderes Ziel kennt, als sich zu einer höheren Stufe militärischen Ruhmes emporzuschwingen?«

»Ich wiederhole noch einmal, mein theurer Herr Arthur,« versetzte Braun, dem die in des jungen Mannes Worten enthaltene Bitterkeit nicht entgangen war und der zu errathen glaubte, daß die hervorgehobene Sehnsucht nach militärischen Auszeichnungen nur ein leerer Vorwand sei, »lassen wir Alles unerörtert, was auch nur im Entferntesten dazu beitragen könnte, unsere Stimmung zu trüben, der ohnehin in diesen traurigen Kriegszeiten so sehr viel zugemuthet wird. Betrachten Sie sich vielmehr als den herzlich willkommenen Gast meines Hauses, welchen zu erheitern und seine vielleicht nicht ganz freundliche Vergangenheit vergessen zu machen, unser Aller Aufgabe sein soll.«

Arthur verneigte sich wiederum mit förmlicher Höflichkeit.

»Vorläufig werde ich mir die so edelmüthig angebotene Gastfreundschaft mit aufrichtigem Danke zu Nutze machen,« versetzte er ruhig, obgleich es in seiner Seele heftig arbeitete, »sollte ich indessen die erste sich mir darbietende Gelegenheit ergreifen, wieder selbstständig handelnd in's Leben einzutreten, so werden Sie das gewiß nicht als eine Mißachtung Ihrer Güte ansehen, oder gar als einen Ausfluß feindlicher Gesinnungen, welche ich aus dem südlichen Lager mit herüber gebracht haben könnte.«

Diese Antwort fand offenbar den Beifall Brauns; er weidete sich gleichsam an der selbstbewußten, stolzen Haltung des gefangenen Officiers, der dennoch, wie beschämt über seine abhängige Lage, unter seinen prüfenden Blicken die Augen niederschlug.

»Ich achte und ehre Ihre Ansichten, Herr Arthur,« sprach er nach kurzem Sinnen mit der ganzen ihm innewohnenden Herzensgüte, »und bauen Sie darauf, unter meinem Schutze – wenn Sie mir gestatten, mich so auszudrücken – soll Ihnen kein Zwang auferlegt werden; es ist dies die erste und die heiligste Bedingung der Gastfreundschaft. Für mich wünsche ich aber noch besonders, daß aus unserem weiteren Verkehr eine Freundschaft ersprieße, dauernder und wärmer, als dies in dem kurzen Zeitraum von einigen Stunden möglich ist.«

Arthur, der diese Ansprache sichtbar bewegt angehört hatte, verneigte sich am Schlusse derselben leicht und in einer Weise, die ebensowohl als kalte Zurückweisung, wie als dankbare Zustimmung gelten konnte. Braun hielt seine Bewegung für das Letztere, dann ihm herzlich gute Nacht wünschend, drückte er ihm scheidend noch einmal die Hand.

Auch von Johannes verabschiedete er sich, für diesen eine Mahnung, ihm nicht weiter nachzufolgen, sondern, seine körperliche Erschöpfung berücksichtigend, sich in die ihm angewiesene Koje zurückzuziehen.

Arthur war, wie tief ernsten Betrachtungen hingegeben, auf derselben Stelle stehen geblieben, die Augen gesenkt, die Lippen zusammengepreßt. Schwere Zweifel thronten auf seiner Stirne, Zweifel, zu schwer, als daß sie hätten verscheucht werden können durch ein liebliches Himmelsbild, welches ebenfalls seinem Geiste vorschwebte, bald nahe und deutlich, daß er sogar den süßen Ton einer trauten Stimme zu vernehmen glaubte, bald in weiter Ferne, wie verhangen und verhüllt mit einem Nebelschleier.

»Gute Nacht, Herr Arthur,« trat Johannes zu ihm heran, ihm zutraulich die Hand reichend.

Arthur fuhr erschreckt empor.

»O, ich glaubte mich allein,« entschuldigte er sich verwirrt, »der plötzliche Wechsel der Dinge – meine seltsame Lage – das Bewußtsein, für eine verlorene Sache gekämpft zu haben und noch immer durch mein Wort an dieselbe gebunden zu sein – der Anblick der beiden Mädchen in ihrem Verkehr mit Herrn Braun – mißverstehen Sie mich nicht, aber mein Herz ist so voll, ich muß allein sein, um meine Gedanken zu ordnen –« und Johannes' Hand krampfhaft pressend stürmte er auf den matt erhellten Gang hinaus, von wo er sich, immer mit derselben Hast, nach dem obersten vereinsamten Verdeck hinauf begab.

Johannes blickte dem Davoneilenden befremdet nach.

»Sollte ich mich dennoch getäuscht haben?« fragte er sich, tief aufseufzend. »Nein nein, wer wäre wohl im Stande, dies sicherer zu errathen, als ich, ich, der Gefährte ihrer Kindheit, ihr Freund, ich – ihr Bruder? O, ich habe meine untrüglichen Zeichen,« und die Hand auf seine Brust legend, als seien die untrüglichen Merkmale in seinem Herzen eingegraben gewesen, zog er sich in das ihm eingeräumte Schlafgemach zurück.

Die Nacht war weit vorgeschritten; es näherten sich bereits die Morgenstunden.

Unabänderlich polterten und stöhnten die Maschinen; das Schiffsgebäude zitterte in allen seinen Fugen vor dem in seinen eisernen Adern pulsirenden Leben; das Wasser brauste unter den es gewaltig peitschenden Rädern. Klobe auf Klobe warfen die Feuerleute in die sprühende Gluth unter den Kesseln. Von seinem hohen Standpunkte aus spähte der Steuermann mit sicheren, an die Dunkelheit gewöhnten Augen über die sich vor ihm ausdehnende, gewundene graue Fläche, nach den Ufervorsprüngen die Richtung des eigentlichen Fahrkanals berechnend.

Die Indianer schliefen in dem stark durchwärmten Feuerungsraume; eingehüllt in ihre Decken, die Waffen neben sich und um sich, lagen sie da. Sans-Bois befand sich in ihrer Mitte; ob auch er schlief, vermochte man bei einem oberflächlichen Hinblick nicht zu entdecken.

Der rastlose Kapitän Iron mit seinen Sehnen von Eisen und Stahl, suchte den alten Jäger, um ihm eine geeignete Lagerstätte anzuweisen; und als er ihn endlich zu seiner Ueberraschung bei seinen rothhäutigen Genossen zwischen den Holz- und Kohlenanhäufungen fand, betrachtete er ihn längere Zeit sinnend.

»Ich will lieber nicht stören,« sprach er endlich halblaut vor sich hin, »wer weiß, ob ich ihm einen Gefallen damit erwiese,« und sich den Feuerleuten zuwendend, bat er diese, bei ihrer Arbeit vorsichtig zu Werke zu gehen, damit der alte Mann nicht geweckt werde.

Einen letzten freundlichen Blick auf den regungslosen Pelzjäger werfend, entfernte er sich. Dieser aber hatte seine Worte vernommen, denn nachdem des Kapitäns schwere Schritte auf dem Vordertheil des Schiffes verhallt waren, zog er die Decke weiter über sein Haupt.

»Kein Gefallen wäre mir damit erwiesen,« seufzte er in sich hinein, »denn mein Platz ist nicht unter glücklichen Menschen.«


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