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Nachdem Hertha zu ihrem Onkel hineingegangen war, hatte Elliot Demoiselle Corbillon aufgefordert, ihn auf einem kurzen Spaziergange zu begleiten. Da die hinterlistige Französin nicht weniger als er selbst ihre eigenen, allerdings leicht zu durchschauenden Pläne hegte, so kostete es ihm keine große Mühe, sie für seine Dienste zu gewinnen und die Ausführung von Aufträgen zu erlangen, vor welchen ein wahrhaft weibliches Gemüt unter allen Verhältnissen mit Abscheu zurückgebebt wäre. In ihrer krankhaften Sehnsucht aber, sich nach langem, vergeblichem Harren endlich als den Mittelpunkt eines gemächlichen Familienlebens zu erblicken und im Kreise der Ihrigen als würdige Hausfrau weise zu schalten und zu walten, war es ihr schnell zur Gewohnheit geworden, sich trotz ihres vorgeblich zarten Nervensystems über alle sonst gebotenen Rücksichten hinwegzusetzen und sich schon dann zu beruhigen, wenn nur die äußeren Formen beobachtet wurden.
Was man sich scheute, Hertha offen mitzuteilen, war ihr längst kein Geheimnis mehr; dafür hatte der schlau berechnende Rynolds in der Heimat bereits Sorge getragen. Die Umstände nun, welche sie damals veranlaßten, sich ohne Bedenken der Lehre des Mormonentums in die Arme zu werfen, die bestimmten sie jetzt, sich jeder, noch so unwürdigen Handlung zu unterziehen, wenn sie dafür eine Gelegenheit zu entdecken glaubte, sich als eifrige Anhängerin der geläuterten Religion auszuweisen und infolge dessen einer um so günstigeren Bestimmung hinsichtlich ihrer eigenen Person entgegensehen zu dürfen.
So war sie auch schnell bereit, Elliot's Aufforderung pünktlich nachzukommen. Sie bat ihn nur, so lange zu zögern, bis sie sich durch das Umhängen von wärmeren Kleidungsstücken gegen den schädlichen Einfluß der kühlen Abendluft geschützt haben würde, da es doch möglich sei, daß der Genuß der schönen Natur sie länger, als ursprünglich beabsichtigt, im Freien zurückhalten würde.
Sie erschien auch wirklich schon nach einigen Minuten, doch war die Umhüllung weniger erwärmend, als glänzend. Es sei denn, daß eine Unzahl von seidenen Schleifen und Bändern, die um ihren Kopf und überall, wo sie sich nur hatten anbringen lassen, lustig flatterten und wehten, gute Wärmeleiter gewesen wären und die löbliche Eigenschaft besessen hätten, einen mehr knöchernen als zarten Körper vor Erkältung zu bewahren.
Als sie auf den Flur hinaustrat, traf sie daselbst Elliot in tiefem Gespräch mit seiner ersten Gattin. Sie war zu sehr von Eifer, sich pünktlich zu zeigen, erfüllt, um den wehmütigen Ausdruck in den noch immer schönen, aber abgehärmten Zügen zu bemerken, mit welchem diese zu Eilliot emporschaute und zugleich flüsternd zu ihm sprach.
»Noch einige Tage soll ich warten, ehe ich ihn wiedersehe?« fragte sie leise und mit einem scheuen Seitenblick auf die herbeirauschende Französin.
»Gedulde Dich, sie gehen schnell dahin«, antwortete Elliot ernst, indem er ihr die Hand reichte und sich dann der Haustür zuwendete.
Die trauernde Mutter seufzte tief auf und wollte sich in ihr Gemach zurückziehen; da näherte, sich ihr Demoiselle Corbillon mit ihrem süßesten, herablassendsten Lächeln.
»Ich grüße Dich, meine Schwester«, sagte sie, die junge Frau auf die Stirn küssend, und dann den mit flatternden Bändern und künstlichen Blumen fast verhüllten Kopf mit jugendlichem Übermut zurückwerfend, beeilte sie sich, an Elliot's Seite zu gelangen.
»Ein süßes, liebes Wesen, Eure Frau«, sagte sie nach einer Weile, als Elliot, der die Richtung nach dem Ausgange des Hofes eingeschlagen hatte, noch immer keine Miene machte, die Unterhaltung zu eröffnen, »ich könnte sie lieben wie meine wirkliche Schwester, und möchte sie stets um mich sehen.«
Elliot verzog den Mund zu einem leisen spöttischen Lächeln, antwortete aber nicht. Auch Demoiselle Corbillon schwieg infolge dessen, doch unterließ sie nicht, hierhin und dorthin, so sie vor den Türen nur immer ein Gesicht entdeckte, welches sie schon einmal in ihrem Leben gesehen, mit liebenswürdigster Gebärde zu grüßen und zu nicken.
Erst als sie eine Strecke von dem Fort entfernt waren, ihr Gespräch also nicht mehr belauscht werden konnte, schien Elliot sich zu erinnern, daß er nicht allein sei und zu welchem Zweck er die Französin um ihre Begleitung gebeten habe.
»Miß Corbillon«, hob er an, indem er stehen blieb und scheinbar teilnahmlos seine Blicke auf das zu seinen Füßen munter da
hinsprudelnde Flüßchen heftete, »ich brauche wohl nicht zu wiederholen, daß Euer kluges Benehmen, Eure Hingebung für das Mormonentum die allgemeine Anerkennung findet, und dadurch sogar schon die Aufmerksamkeit des Propheten auf Euch hingelenkt worden ist.«
Die Französin lächelte mit erkünstelter Anmut und Bescheidenheit, während ihr scharfes Vogelgesicht sich vor innerem Entzücken gelblich rot färbte.
»Ich bin in den ernstesten Grundsätzen erzogen worden«, antwortete sie nach kurzem Zögern, ihre Augen niederschlagend und einen tiefen Seufzer ausstoßend, »mein Leben hat, indem ich schon im zarten Alter eines noch nicht zur Jungfrau herangereiften Kindes als Lehrerin und Leiterin mir an Jahren weit überlegener Damen auftrat, eine doppelt ernste Richtung erhalten. Es ist daher wohl ziemlich natürlich, daß ich mit Leib und Seele mich einer Religion hingebe, welche ihre Anhänger, ohne Unterschied des Ranges oder irdischer Bevorzugungen, mit gleicher Liebe in ihr Herz schließt und ihre Flügel schirmend über sie ausbreitet.«
Um Elliot's Mund spielte wieder der kaum bemerkbare höhnische Zug, doch schien die Antwort der Französin ihn zu befriedigen, wenigstens lag dieses in der Art, in welcher er mit dem Haupte nickte.
»Wir wissen alles«, sagte er dann, indem er auf dem Ufer langsam dem Lauf des Flüßchens folgte; »ausgerüstet mit ungewöhnlichem Scharfsinn, habt Ihr begriffen, daß es nicht genug ist, nur in der vorgeschriebenen Weise Gott zu verehren. Wir sollen auch unsere ganzen Kräfte aufbieten, die Gemeinde der Heiligen der letzten Tage durch Zuführung von neuen Gläubigen zu vermehren und ihren Glanz zu vergrößern. Ebenso dürfen wir aber auch vor keinem Mittel zurückschrecken, um die Wankelmütigen im Glauben zu befestigen. Ihr, meine würdige Schwester, werdet daher nicht versäumt haben, das junge Mädchen, ich meine Eure Schutzbefohlene, welche dazu bestimmt ist, meiner Familie einverleibt zu werden, genau zu beobachten.«
»Ich habe es nicht versäumt«, antwortete Demoiselle Corbillon triumphierend, »und wahrscheinlich sind es wichtige Entdeckungen, welche ich Euch infolge dessen zu eröffnen habe.«
»Hertha Jansen und der junge Abenteurer haben sich also gesehen und gesprochen?« fragte Elliot, die Stirn tief runzelnd.
»Sie haben sich gesehen, und zwar unter den glücklichsten Umständen. Keiner von ihnen ahnt, daß sie absichtlich zusammengeführt wurden. Streng genommen war es ja auch nur ein Zufall, der eben aus Euern wohlberechneten Anordnungen betreffs der Gefangenen entsprang.«
»Und Ihr habt gehört, was sie miteinander sprachen?« fragte Elliot, ohne sich die Mühe zu geben, seine Neugier zu verbergen.
»Nur teilweise vermochte ich ihre Worte zu unterscheiden«, entgegnete Demoiselle Corbillon, »sie standen in der Nähe jener schrecklichen Indianer, denen ein junges, unbescholtenes Mädchen stets weit ausweichen sollte. Der Anstand gebot mir, mich fern zu halten. Auch leugne ich nicht, daß ich diese Wilden fürchte, ich bin sogar überzeugt, sie würden, trotz der Dunkelheit, sogleich meine Nähe gewittert und mich verraten haben. Allein verstand ich auch nicht jede ihrer Äußerungen, so darf ich doch frei behaupten, daß beide von einer tiefen Leidenschaft füreinander ergriffen sind.«
»Also das Mädchen auch für ihn?« fragte Elliot, einen durchbohrenden Blick auf die Französin werfend.
»Ganz gewiß«, antwortete diese nach einem mißglückten Versuch, ihre schmale Oberlippe verächtlich emporzukräuseln; »ich begreife zwar nicht, was Hertha, deren Geschmack zu bilden ich mir die unsäglichste Mühe gab, an dem jungen Toren bewundert; das aber kann ich mit gutem Gewissen versichern, daß sie nicht minder zärtliche Gefühle für ihn hegt, wie er für sie.«
»O, sie wird ihn bald genug vergessen«, versetzte Elliot mit drohender Gebärde.
»Glaubt das nicht«, erwiderte Demoiselle Corbillon bedauernd, ihre dürre Hand vertraulich auf des Kommandanten Arm legend, »Hertha ist noch ein Kind, und man hat Beispiele erlebt, daß eine romantische Jugendliebe viele Jahre hindurch nicht vergessen worden ist. Ich stimme indessen Euern Ansichten vollkommen bei, eine derartige Jugendneigung kann auf das wahre eheliche Glück keinen erheblichen Einfluß ausüben, und mit einiger Konsequenz und Überlegung bekämpft, muß sich dieselbe allmählich verbluten; und dann«, fügte sie mit einem verschämten Seitenblick, in welchen sie ihren ganzen Liebreiz zu legen versuchte, hinzu, »das wahre Glück stellt sich auch erst in den späteren Jahren ein, wenn die Flatterhaftigkeit der Jugend etwas verrauscht und ernsteren, nachhaltigeren Gefühlen gewichen ist.«
In Elliot's Gesicht wurde ein Zug der Schadenfreunde sichtbar. Er dachte an Holmsten, der durch die ernsteren und nachhaltigeren Gefühle beglückt werden sollte. Die Schadenfreude ging indessen schnell in einen Ausdruck des verhaltenen Grimmes über, indem Weatherton's Bevorzugung durch Hertha Jansen lebhaft vor seine Seele trat.
»Oh, ich halte Dich in meiner Hand«, murmelte er zähneknirschend vor sich hin, »Dein Leben für ihre Liebe, oder Deinen Tod für ihre Halsstarrigkeit; und schließlich noch ihren – Besitz.«
»Was sagtet Ihr?« fragte die Französin neugierig.
»Ich sagte, daß ich Eure treuen Dienste noch weiter würde in Anspruch nehmen müssen«, antwortete Elliot in fast wegwerfendem Tone, »es ist indessen nicht genug, trügerische Schlüsse zu ziehen, wenn sich dieselben auch wirklich der Wahrheit nähern. Ich verlange mehr von Euch, soll ich mich entschließen, in das Euch beschiedene Los lenkend mit einzugreifen –«
»Und welches Los ist mir zuerkannt worden?« unterbrach die Französin schnell ihren Gefährten.
»Ich verdenke Euch nicht, daß Ihr gespannt seid, einen Blick in die Zukunft zu werfen«, versetzte Elliot mürrisch, »und ich will Euch gern verraten, daß, wenn meine Wünsche in Betracht gezogen werden, Ihr wahrscheinlich die Stelle von Hertha's verstorbener Schwester einnehmen werdet.«
Als die Französin dieses hörte, bebte sie vor Entzücken. Die Aussicht, die Gattin eines so begüterten Mannes zu werden, übertrag ihre kühnsten Hoffnungen, und kaum achtete sie noch auf das, was Elliot ihr noch mitteilte und von ihr verlangte.
»Ich wiederhole also, fuhr Elliot nach kurzem Überlegen fort, »Ihr müßt mir auf alle Fälle verbürgte Nachrichten verschaffen. Merkt auf jedes Wort, welches Hertha äußert, mag sie sprechen, zu wem sie wolle. Eine Andeutung, wenn sie nicht gerade auf einem Irrtum beruht, kann von entscheidender Wirkung sein. So bitte ich Euch vor allem, noch heute Abend Euern Scharfsinn in Anwendung zu bringen. Es geht zwischen Onkel und Nichte irgend etwas vor, und ich fürchte, daß Jansen sich schwach gegen das Mädchen zeigen wird. Auf Euch beruht jetzt viel; Ihr müßt, mit mir vereinigt dahin wirken, daß unsere wohl überlegten und durch ihre Zwecke geheiligten Pläne nicht durch eine leicht zu entschuldigende väterliche Liebe durchkreuzt werden. Ihr gehört, kraft der in Euch wohnenden Energie und Umsicht, schon jetzt mit zu den Stützen des Mormonentums, seid mit dazu auserkoren, den Tempel in dem neu gegründeten Zion zu verherrlichen. Darum gehet denn hin, meine Schwester, und handelt, wie eine höhere Stimme es Euch durch mich geheißen.«
So sprechend streckte Elliot seine Hand gebieterisch nach dem Fort zu aus, über welches das flammende Abendrot seine ganze Glut ausgegossen hatte. Seine hohe Gestalt wurde ebenfalls von dem purpurroten Schimmer beleuchtet, und wie er so stolz aufgerichtet da stand, sein Gesicht den Fanatismus ausstrahlend, in welchen er sich teils selbst hineingeredet hatte, den er aber auch teilweise erheuchelte, um einen desto tieferen Eindruck auf die Frazösin auszuüben, da bebte letztere scheu vor ihm zurück, als wenn sie in der Tat einen drohenden Heiligen der Wüste vor sich gesehen hätte. Zum ersten Mal beschlich sie die unbestimmte Ahnung, daß sie sich in der Gewalt von Leuten befände, welche sie als ein willenloses Werkzeug betrachteten und am allerwenigsten von ihr einen Widerspruch dulden würden. Hatte sie sich vorher schon fest entschlossen um sich allmählich eine ihren Neigungen und Wünschen entsprechende Stellung unter den Mormonen zu sichern, alles, was in ihren Kräften stand, aufzubieten, so trat jetzt als zweite Triebfeder noch eine unerklärliche Furcht hinzu, etwa wie bei einem auf dem Markt verkauften Sklaven, der sich, erfüllt von Besorgnissen, in mancherlei Mutmaßungen über seinen neuen Herrn ergeht.
Schweigend wanderte sie nach dem Fort zurück. Die Hoffnung einer baldigen Vereinigung mit Holmsten, welche sie eben noch in so hohem Grade beglückte, hatte viel von dem geträumten Glanze verloren. Ihre aufrechte, stolze Haltung war plötzlich verschwunden; sogar die Schleifen und Bänder auf ihrem Kopfe, durch die feuchte Nachtluft erschlafft, schienen nicht mehr so lustig und frei flattern zu wollen, seit sie zu dem eigentlichen Bewußtsein ihrer Ohnmacht, ihrer geradezu hilflosen Lage gelangt war. Aber in ihrem Herzen kochte und gährte es; sie beneidete Hertha Jansen um ihre Jugend und Schönheit, und hätte sie alle, die in näherer Beziehung zu derselben standen, mit einem Schlage vernichten können, so würde sie es in diesem Augenblick mit Freuden getan haben. Sie wünschte ja so sehnlich, sich dafür zu rächen, daß sich alles um jene drehte, während sie selbst eine untergeordnete Rolle zu übernehmen gezwungen war. –
Als Demoiselle Corbillon sich entfernte, blickte Elliot ihr noch eine Weile nach. Das höhnische Lächeln war wieder auf seine Lippen getreten und verkündete, in wie hohem Grade er ihren falschen, zur Verräterei hinneigenden Charakter verachtete.
»Auch solche Leute muß es geben«, sprach er bitter vor sich hin, »ihre Dienste sind oft wichtiger, als die schwersten Opfer redlicher Menschen.«
Indem der finstere Mormone so sprach, ballten sich seine Fäuste krampfhaft; einen unheilvollen, drohenden Blick sandte er nach der Richtung hinüber, wo das Gefängnis lag, und gesenkten Hauptes schlug er dann den Rückweg nach dem Fort ein. –
Die Dämmerung war schon eingetreten, als er den Eingang des abgeschlossenen Hofes erreichte. Da drang aus einer offenstehenden Tür das Geräusch von Männerstimmen zu ihm herüber. Dasselbe rührte von den Leuten her, welche die stehende Wache des Postens bildeten und zugleich den Beruf hatten, die streitbaren Männer des Forts in der Bedienung der Geschütze einzuüben.
Einen Augenblick blieb er stehen, wie um das Gespräch zu belauschen; dann aber, als sei ihm plötzlich ein Umstand von größter Wichtigkeit eingefallen, schritt er schnell auf die Tür zu, und seinen Kopf in dieselbe hineinsteckend, rief er mit gebieterischem Ausdruck den Namen »Absalon!« Eine Stimme antwortete aus dem Innern des Gemaches, und gleich darauf trat die verkommene und verwilderte Gestalt des Grafen zu ihm in's Freie.
Derselbe hatte es nämlich für zweckmäßig gehalten, seinen angestammten Namen mit einem andern zu vertauschen, der nach seiner Ansicht angenehmer in den Ohren der Mormonen klingen mußte. Der Wunsch, seine Ahnen nicht dadurch zu beleidigen, daß er in der untergeordneten Stellung eines Bombardiers ihren Namen verunziere, mochte indessen mit zu diesem Wechsel beigetragen und ihn in seinem Entschlusse bestimmt haben.
Elliot antwortete auf des Grafen Begrüßung nur durch ein leichtes Kopfnicken, worauf er ihn aufforderte, ihn auf einem Spaziergang um das Fort zu begleiten.
Schweigend und ganz langsam traten sie ihren Weg an; offenbar wollte Elliot, um sich jeder Beobachtung zu entziehen, den Einbruch der Dunkelheit abwarten, denn mehrere Male blieb er stehen, seine Blicke, wie bewundernd, zu dem immer mehr schwindenden Abendrot emporsendend.
»Ein schöner Abend, Mr. Absalon«, sagte er endlich, nachdem sie sich wohl eine Viertelstunde in weitem Bogen um das Fort hinbewegt hatten.
»Ein sehr schöner Abend«, antwortete der Graf mechanisch, während er vergeblich darüber nachsann, zu welchem Zweck Elliot seine Begleitung gewünscht haben könne.
Nachdem sie wiederum eine kurze Strecke zurückgelegt hatten, stand Elliot plötzlich still. »Ihr seid ein alter Soldat«, hob er zu dem Grafen gewendet an, und seine Blicke hefteten sich mit solcher Festigkeit auf den Angeredeten, daß dieser deren Wirkung durch die Dunkelheit hindurch förmlich zu fühlen glaubte, »ein Soldat, vertraut mit der militärischen Disziplin, ein Soldat, dem man ohne Besorgnis einen Auftrag von der höchsten Wichtigkeit anvertrauen darf.«
»Ich bin Soldat und Edelmann«, antwortete der Graf, sich stolz emporrichtend, denn die Gelegenheit war zu verlockend, als daß er nicht nach langer Zeit endlich einmal wieder der Vergangenheit hätte gedenken sollen.
»Ihr würdet also bereit sein, mit Rücksicht auf den jetzigen Kriegszustand, im Falle es sich als notwendig herausstellen sollte, ein Stückchen blutige Arbeit zu übernehmen?«
»Es wäre nicht das erste Mal«, entgegnete der Graf in derselben Weise; »im Duell und auf dem Schlachtfelde habe ich meine Faust vielfach erprobt.«
»Es gilt weder einem Duell, noch einer Feldschlacht«, versetzte Elliot zögernd, denn er begann leise Zweifel zu hegen, ob er in dem Grafen auch den rechten Mann gefunden habe, »es gilt nur, einen gefährlichen Gefangenen, den man zu befreien beabsichtigt, an der Flucht zu verhindern und ihm nötigenfalls eine Kugel durch den Kopf zu jagen. – Es ist eine sehr mißliche Angelegenheit«, fuhr er nacheiner kurzen Pause fort, als er eine gewisse Unentschlossenheit an dem Grafen zu bemerken glaubte, »nicht jeder ist imstande, dieselbe zu ordnen, ohne die politischen Wirren nach außerhalb noch mehr zu verwickeln. Ihr wißt, der eigentliche Krieg hat noch nicht begonnen; noch stehen die beiden Heere sich nur gerüstet einander gegenüber, und noch ist es möglich, daß, wenn die Regierung der Vereinigten Staaten auf unser Ultimatum eingeht, die fraglichen Punkte auf friedlichem Wege entschieden werden. Aus diesen Gründen also darf der erwähnte Auftrag nur in die Hände eines solchen Mannes niedergelegt werden, den ein scharfer Blick und ein höherer Grad von Weltbildung dazu befähigen, eine derartige Aufgabe, ohne nach der einen oder der andern Richtung hin zu verstoßen, zu lösen.«
»Der Mann wäre gefunden«, bemerkte der Graf mit wachsender Spannung, »und wenn der Auftrag nur mit den Pflichten eines Edelmannes im Einklange steht, so wird er gewiß nicht zaudern, denselben zu übernehmen.«
»Ich weiß nicht, was Ihr die Pflichten eines Edelmannes nennt? Mann ist Mann, und wer ist mehr?« versetzte Elliot mit schlecht verhehltem Unwillen; »jedenfalls kann ich Euch die Versicherung erteilen, daß der Auftrag nicht gegen die Pflichten des Mr. Absalon verstößt, so wie ich ihn kenne.«
»So laßt denn hören«, erwiderte der Graf kleinlaut.
»Es befinden sich hier im Fort Utah zwei Gefangene, gegen welche die Beweise eines an uns zu verübenden Verrates vorliegen«, begann Elliot langsam und jedes einzelne Wort gleichsam abwägend.
»Ich hörte von ihnen, doch sind sie mir noch nicht zu Gesicht gekommen, nicht einmal ihre Namen kenne ich«, fiel der Graf Elliot in die Rede.
»Namen tun nichts zur Sache«, versetzte dieser hastig; »es muß Euch genügen, zu wissen, daß sie mit feindlichen Absichten in unser Tal drangen, daß wir das Recht besitzen, sie als Spione hinrichten zu lassen, und daß unsere Feinde auf der andern Seite des Gebirges viel darum gäben, namentlich den einen wieder in ihrer Mitte zu sehen. Wie viel den Gentiles an unseren Gefangenen liegt, haben sie bewiesen, indem sie bereits Leute zu ihrer Befreiung aussandten, die damit begonnen haben, unsern gemeinschaftlichen Freund Rynolds hinterlistig zu ermorden.«
»Es ist also doch wahr? Ich habe die Nachricht von Rynolds' Tode nur für ein Gerücht gehalten«, bemerkte der Graf so ruhig, als hätte er von dem Verenden eines Stückes Wild gesprochen.
»Ja, Rynolds ist tot, und noch andere unserer Gemeinde werden der ausgesendeten Mordbande, unter welcher man auch Indianer vermutet, zum Opfer fallen, wenn wir nicht durch energische Mittel deren finsterem Treiben vorbeugen. Die in unserer Gewalt befindlichen Spione erschießen, dürfen wir noch nicht, um nicht die schwebenden Verhandlungen dadurch abzubrechen, sie aber entfliehen lassen, hieße zwei Bluthunde mehr auf unser verfolgtes Volk hetzen.«
»So lasse man sie ruhig im Gefängnis sitzen«, wendete der Graf lakonisch ein.
»Um ihren Helfershelfern immer neuen Grund zu geben, sich mordend in unserem Tale umherzutreiben, schließlich das Fort anzuzünden und mit den befreiten Gefangenen davon zu gehen. Nein, das wäre ebenfalls unweise gehandelt. Wir verfügen nicht über so viele Leute, um zugleich die in unser Tal führenden Pässe besetzt zu halten, den innerhalb unseres Gebietes umherschleichenden Mördern bis in ihre Schlupfwinkel nachzuspüren und unsere Niederlassungen und Familien vor nächtlichen Überfällen zu behüten. Der Grund des Übels muß behoben werden, und ist der behoben, dann dürfen wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit wieder den gegen uns heranrückenden Feinden zuwenden. –
»Durch Zufall ist es mir gelungen, zu entdecken, daß die Freunde unserer Gefangenen, dieselben also, welche Rynolds ermordeten, auf mir unbegreifliche Weise noch immer in Verbindung mit letzteren stehen und ein Komplott zu deren Befreiung geschmiedet haben. Dieses zu hintertreiben, soll nun Eure Aufgabe sein. Doch versteht mich recht, es kommt nicht darauf an, die Gefangenen zurückzuhalten, sondern unseren Feinden eine Probe unserer Wachsamkeit zu liefern und auf gerechtfertigte Art das Urteil an den beiden Spionen zu vollstrecken.«
»Was so viel heißt, ich soll sie hinterrücks wie Hunde totschießen«, bemerkte der Graf.
»Mögt Ihr das halten, wie Ihr wollt«, versetzte der Mormone, den diese Antwort verdroß; »es herrscht jetzt der Kriegszustand an und um den großen Salzsee; wir verfügen nicht über den hundertsten Teil der Mittel, wie unsere Feinde, aber die Mittel, welche wir besitzen, müssen wir auf alle nur denkbare Weise benutzen und ausbeuten. Man erteilt Euch also zum Beispiel den Befehl, einen gewissen Punkt dieses Forts genau zu überwachen; man hat Euch gesagt, daß auf diesem Punkte zwei Spione gefangen gehalten werden; man bezeichnet Euch ferner die Stunde, zu welcher dieselben mit Hilfe ihrer Helfershelfer ausbrechen; was nun können wir von Euch in einem solchen Falle erwarten? Bedenkt aber wohl, es sind Rücksichten zu nehmen, zuerst auf unsere Feinde und dann auf die durch den jüngst verübten Mord aufgeregten Gemüter unseres Volkes.«
»Eure Frage ist nicht schwer zu beantworten«, erwiderte der Graf in fast wegwerfendem Tone; »ich werde meine Schuldigkeit als Soldat tun; ich werde den entspringenden Gefangenen zurufen, still zu stehen, und wenn sie meiner Aufforderung nicht augenblicklich Folge leisten, so feuere ich auf sie. Treffe ich sie nicht, so ist es nicht meine Schuld, zumal sie zum Ausbrechen wohl nur die nächtliche Dunkelheit gewählt haben dürften.«
»Gemäß der mir zugekommenen Angaben werdet Ihr Euch nahe genug bei ihnen befinden, um ihnen ein Messer in den Leib stoßen zu können. –«
»Oder selbst einen guten Messerstich in Empfang zu nehmen«, unterbrach der Graf kaltblütig seinen Gefährten.
»Eben darum seid auf Eurer Hut«, fuhr Elliot fort, »kommt ihnen zuvor, und Ihr leistet uns nicht nur einen großen Dienst, sondern Ihr leistet ihn auch in einer Weise, die nicht ohne erheblichen Einfluß auf Eure ganze Zukunft bleiben wird. Ich würde die Euch vorgeschlagene Rolle gern selbst übernehmen, wenn es sich mit meiner Stellung als Befehlshaber dieses Postens vereinigen ließe, und sonst befindet sich niemand hier, dem ich, der augenblicklich herrschenden blinden Erbitterung wegen, die Sache anvertrauen dürfte.«
»Von meiner Zukunft sprecht Ihr?« fragte der Graf hohnlachend »meine Zukunft macht mir keine große Sorge, seit meine Vergangenheit nicht mehr zu ändern ist. Doch verzeiht, meine Vergangenheit kann kein Interesse für Euch haben, ich streifte ab von der Gegenwart, ich hätte Euch einfach mein Wort darauf geben sollen, daß ich den mir angewiesenen Posten vollständig ausfüllen werde.«
»Ihr wollt ihn auch so ausfüllen, daß uns von Seiten unserer Feinde kein Vorwurf treffen kann?«
»Ich verspreche es auf mein Ehrenwort.«
»Auch die Sache geheim zu halten?«
»Auch die Sache geheim zu halten!«
»Wohlan denn, Euer Wort ist mir mehr wert, als zehntausend Eurer Eide und schriftlicher Versprechungen. Ersteres habt Ihr vielleicht noch nie gebrochen, letztere dagegen dutzendweise, oder Ihr hättet Eurem Vaterlande schwerlich den Rücken gekehrt.«
»Mein Wort brach ich nie«, antwortete der Graf, der nicht übel Lust hatte, den Beleidigten zu spielen, sich aber schnell eines Bessern besann; »habe ich meine Verpflichtungen zuweilen nicht bis auf`s Jota gelöst, so lag das mehr in den unglücklichen Verhältnissen, als in meinem Willen. Übrigens, mein Herr, wenn alle diejenigen immer auswandern sollten, welche hin und wieder einen Juden prellten oder Wechsel ausstellten, die etwas über ihre Kräfte gingen, so möchte wohl ein großer Teil der Blüte der europäischen Nationen für dort verloren sein und Euer Heer einen beträchtlichen Zuwachs von mutigen und militärisch gebildeten jungen Leuten erhalten.«
»Bah!« antwortete der Mormone geringschätzig, »wir gebrauchen Männer, und keine Marionetten. Aber hier ist das Gefängnis«, fügte er mit leiserer Stimme hinzu, auf die schwarze, von keiner Fensteröffnung unterbrochene Rückwand des bezeichneten Blockhauses deutend. »Ich weiß noch nicht genau, wie sie ihre Flucht bewerkstelligen wollen, jedenfalls aber wißt Ihr, wohin Ihr Euch auf ein Zeichen von mir zu begeben habt.«
Er wollte noch weiter sprechen, die Worte erstarben ihm aber auf der Zunge, als er plötzlich durch die von Balken hergestellte Wand, deren Fugen an manchen Stellen nur sehr spärlich mit Lehm verkittet worden, den Ton einer bekannten Stimme vernahm, und zwar noch immer deutlich genug, um bei schärferem Lauschen die Worte sogar verstehen zu können.
Einen Augenblick blieb er unentschlossen, dann aber bat er den Grafen noch einmal, sich die Stelle genau zu merken, worauf er ihn, unter dem Vorwande, den Spaziergang ganz allein weiter fortsetzen zu wollen, mit kalten und sehr wenig höflichen Worten entließ.
»Schandmenschen, diese Mormonen«, murmelte der Graf im Davonschreiten, »zwar mutig wie die Löwen, aber keine Formen, keine Lebensart. Durchschaue den bäuerischen Wicht; will den Gefangenen aus dem Wege geräumt haben, und besitzt selbst nicht den Mut, den aus einer solchen Tat entspringenden Folgen mit kühner Stirn zu begegnen. Der reine Plebejer, trotz seines imponierenden Wesens. Kann's indessen nicht mit ihm verderben, und muß mich der Aufgabe notgedrungen unterziehen. Vielleicht besser, daß ich es übernehme, als ein anderer. Rufe die Kerle an, schieße hinter ihnen her, wobei ich doch genug halte, um sie nicht zu gefährden, und sind sie fort, so sind sie fort, und mich kann weiter kein Vörwurf treffen. Habe schon einmal, ohne die Folgen zu ahnen, meine Hand zum Verderben eines harmlosen, vertrauenden Mitmenschen geliehen – hu, schrecklich! könnte ich doch nur das Bild des schändlich gemordeten jungen Mannes aus meinem Gedächtnis verbannen!«
Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte, wie um seinem erwachenden Gewissen und den ihn folternden Schreckbildern zu entrinnen.
Elliot hatte sich unterdessen der Rückwand des Blockhauses, welche mit den die Häuser verbindenden Palisaden eine fortlaufende Linie bildete, genähert. Behutsam über die roh behauenen Balken hintastend, entdeckte er bald eine Stelle, an welcher er mit Leichtigkeit und ohne störendes Geräusch zu erzeugen, den Lehmkitt samt dem Heu aus einer breiteren Fuge entfernen konnte. Da er ein langes Bowiemesser bei sich führte, so gelang es ihm mittelst diesem sehr bald, die Fuge so weit zu öffnen, bis ihm das Durchschimmern von schwachen Lichtstrahlen durch die schmalen Ritzen des inwendig geborstenen Lehmüberzuges gebot, mit seiner Arbeit inne zu halten. Gern hätte er auch einen Blick in das Gemach geworfen, allein er mußte befürchten, durch das Niederfallen der zerbröckelnden Lehmteile nach innen eine Entdeckung herbeizuführen. Außerdem hatte er auch während seiner Arbeit einige Worte erhascht, welche ihn in solche Spannung versetzten, daß er jetzt nur noch daran dachte, auf das zu horchen und zu lauschen, was in dem Gefängnis verhandelt wurde.
Er brachte daher sein Ohr in die Nähe der geöffneten Fuge, und da tiefe Dunkelheit alles verhüllte, er selbst aber, wie er an die Wand geschmiegt dastand, noch um so viel weniger bemerkt werden konnte, so gab er sich, ohne Besorgnis vor Entdeckung, gänzlich der Aufgabe hin, die ihn in den Besitz von so wichtigen Geheimnissen bringen sollte.
Als Elliot's Aufmerksamkeit zuerst durch Jansen's Stimme gefesselt wurde, war dieser eben erst bei Weatherton eingetreten und hatte, nachdem der Wächter und Raft hinausgegangen waren, sich vorläufig erkundigt, ob man es ihm und seinem Gefährten in ihrer Haft an nichts fehlen lasse.
»Ich komme eigentlich nicht, um mich nur nach Eurem Befinden zu erkundigen«, versetzte Jansen auf Weatherton's Erklärung, indem er das kleine Fenster schloß und dann auf einem der beiden Holzschemel Platz nahm; »andere Beweggründe sind es, welche mich zu diesem Besuch veranlassen. Vor allen Dingen aber betrachtet mich als Euern Freund und laßt Euch an meiner Seite nieder, damit wir unsere Stimmen dämpfen können. Ich wünsche nicht, daß außer Euch noch jemand meine Worte höre.«
»Mein Freund?« fragte Weatherton befremdet, und die Erinnerung an seine Erlebnisse in New York gab seiner Stimme einen ironischen Ausdruck; »ich denke, es war kein Zeichen von übergroßer Freundschaft, daß man mich in eine Falle lockte; um welche Ihr unbedingt gewußt habt.«
»Sprechen wir nicht davon«, versetzte der Mormone kalt, denn er war auf eine solche Anklage vorbereitet. »Genüge Euch die Versicherung, daß von meiner Seite nie ein Anschlag auf Euer Leben gebilligt worden wäre und noch weniger unternommen wurde, wenn ich auch hier am Salzsee offen mit denjenigen stimmte, die Euch als Spion behandelt und erschossen wissen wollen. Alles das liegt hinter uns; die Vereinigten Staaten sind uns an Hilfsmitteln hundert- und tausendfach überlegen, und wo uns die Macht fehlt, da sind wir gezwungen, in den äußersten Mitteln unsere Zuflucht zu nehmen. Als man Euch in New York nachstellte, beabsichtigte man einer Durchsuchung des Dampfbootes und der Entdeckung einer bedeutenden Waffe von Kriegsmaterial vorzubeugen. Es wurden dazu Wege gewählt, die vielleicht nicht mit den Gesetzen des geselligen Verkehrs übereinstimmen, die aber zwischen zwei Krieg führenden Mächten vollständig am rechten Orte sind. Der beabsichtigte Zweck ist erreicht worden, Ihr dagegen seid dem Verderben entronnen, wozu ich Euch jetzt von ganzem Herzen Glück wünsche.«
Die Erklärung des sonst so ernsten und undurchdringlichen Mormonen klang so aufrichtig und wohlwollend, daß Weatherton, seltsam dadurch berührt, keinen Augenblick an seinen Worten zweifelte und die dargereichte Hand mit dem ihm angeborenen Edelmut ergriff und drückte.
»Sprechen wir also nicht weiter über längst geschehene Dinge«, sagte er mit einer Anwandlung von jugendlich fröhlicher Laune, »ich bin hier, und zwar wohlbehalten, was ich meinem Freunde Raft zu danken habe. In der Reihe derjenigen aber, die mir zu meiner Rettung Glück wünschen, stehe ich selbst ganz gewiß obenan, und wäre ich auch nur gerettet worden, um hier, gegen alles Völkerrecht, auf einen lächerlichen Verdacht hin erschossen zu werden.«
»Wollte man Euch erschießen, so fänden sich andere und triftigere Gründe dazu«, antwortete Jansen bedeutungsvoll, »es läge zum Beispiel die auf Euern Wunsch und Namen ausgestellte Durchsuchungsordre gegen Euch vor –«
»Welche niemals und bei keinem Volke der Erde eine Hinrichtung rechtfertigen würde«, unterbrach Weatherton den Mormonen trotzig, um einen Anflug von Besorgnis zu verbergen. Er entsann sich nämlich, daß ihm die betreffende Ordre in New- York entwendet worden war, und mit Recht befürchtete er, daß ein solcher Beweis in den Händen erbitterter und fanatisierter Feinde diesen einen genügenden Grund biete, mit den allerstrengsten Maßregeln vorzugehen.
»Die Ansichten darüber sind verschieden«, erwiderte Jansen; »ich glaube nicht, daß sich zehn Mormonen, und zwar zivillisierte Mormonen, am Salzsee befinden, die nicht mit ruhigem Gewissen, auf diese Anklage hin, Euer Todesurteil unterschreiben würden.«
»So mögen sie es tun«, versetzte Weatherton kaltblütig, doch ich verspreche Euch, die Vereinigte-Staaten-Regierung wird die Mormonen dafür zur Rechenschaft ziehen.«
»Aber nicht, wenn man Euch als den überführten Genossen und Helfershelfer von Mördern verurteilte!«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Weiter nichts, als daß Eure Freunde, welche sich eine Zeit lang auf der Antilopeninsel verborgen hielten, entweder aus Rache oder zum Zweck Eurer Befreiung Rynolds erschlagen haben.«
»Das ist unmöglich!« rief Weatherton erbleichend aus, indem er mit einer schnellen Bewegung emporsprang.
»Nicht nur möglich, sondern sogar erwiesen«, antwortete Jansen mit unerschüttlicher Ruhe, wobei er den jungen Offizier aufmerksam beobachtete, um aus dessen Benehmen zu erraten, in wie weit er mit den vermeintlichen Mördern in Verbindung stehe; »sie kamen auf drei Pferden von der Antilopeninsel nach der Salzsee-Stadt, töteten dort einen Hund, lockten Rynolds auf irgend eine Art aus der Stadt, legten ihn, nachdem sie ihn ermordet, zum Hohn mitten auf die Brücke und schlugen dann wieder die Richtung nach der bekannten Insel ein.
»Alles dieses wurde durch unsere besten Utah-Späher festgestellt, doch ist es ihnen bis jetzt noch nicht gelungen, den Schlupfwinkel der verborgenen Feinde zu entdecken. Es müssen sich ganz hervorragende indianische Führer in ihrer Begleitung befinden, denn einem anderen wäre es kaum möglich, sich der Wachsamkeit unserer Kundschafter zu entziehen. Aber um auf Euch zurückzukommen; man hat Euch in der Gesellschaft von zwei Indianern gefunden, und es unterliegt wohl kaum noch einem Zweifel, daß diese, in Verbindung mit einem Weißen, darauf ausgehen, Euch zu befreien und den ihnen in den Weg tretenden Rynolds ihrer eigenen Sicherheit wegen ermordet haben. So lange nun die eigentlichen Mörder noch nicht eingefangen sind, wird man sich natürlich an Euch halten, und ob unter solchen Umständen Eure Lage eine gefahrlose ist, werdet Ihr selbst so gut wie ich ermessen.«
Die Nachricht von Rynolds' Ermordung, und der Glaube daß die Tat wirklich von Falk und den beiden Delawaren ausgeführt worden sei, wirkten zu erschütternd auf Weatherton ein, als daß er die Aufregung, in welche er geraten war schnell zu besiegen vermocht hätte.
»Mr. Jansen!« rief er aus, und zwar so laut, daß der Mormone, um ihn zu warnen, den Finger auf den Mund legte. »Ihr kennt mich lange genug, um beurteilen zu können, ob ich, selbst wenn mein Leben auf dem Spiele stände, zu einer entwürdigenden Lüge meine Zuflucht nehmen würde. Ich räume Euch gegenüber daher offen ein: daß Freunde von mir in der Nähe des Salzsee's weilen; wenn aber Jemand ermordet worden ist, so sind sie die letzten, von denen eine solche Tat erwartet werden darf, sie müßten denn in der Verteidigung ihres Lebens gehandelt haben. Weitere Nachforschungen, ich bezweifle es keinen Augenblick, werden, ergeben, daß sie so unschuldig sind, wie ich selbst, und Rynolds' Mörder ganz wo anders zu suchen sind, als unter friedlichen Jägern; welche mit nicht weniger als feindlichen Absichten Euer Tal betraten.«
»Sei dem wie es wolle«, entgegnete Jansen, mit kalten Blicken, aber innerem Wohlgefallen Weathertons hohe kräftige Gestelt messend, »mich führte nicht die Absicht hierher, Euch einem Verhör zu unterwerfen, aber alle nur denkbaren Fälle mit Euch zu erwägen; im Gegenteil, ich wünschte Euch auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche Euch umringen und bedrohen, ehe ich näher auf den eigentlichen Zweck meines Besuches eingehe. Ich sagte Euch bereits, Ihr hättet mich in diesem Augenblicke als Euern Freund zu betrachten,« fuhr er fort, als Weatherton, noch immer bestürmt von den widerstreitenden Gefühlen, wieder Platz genommen hatte, »um so mehr noch als Euern Freund, weil Ihr, vielleicht ohne es zu wissen, mir einen Beweis Eurer achtungswerten Gesinnungen gegeben habt. Ihr sahet meine Nichte Hertha und unterhieltet Euch längere Zeit mit ihr?« fragte er dann, plötzlich von seiner Erklärung abspringend.
»Einen glücklichen Zufall nenne ich es, der mich am gestrigen Abend mit Miß Jansen zusammenführte,« antwortete Weatherton etwas befangen, jedoch Jansen's durchbohrenden Blick eben so fest erwidernd.
»Kein arger Zufall, wenn man Tausende von Meilen gereist ist, um jemandem zu begegnen,« versetzte der Mormone mit halb beifälligem Nicken.
»Ich kann nicht leugnen, die Reise unternahm ich nur, um Eure Nichte wiederzusehen, weil ich –«
»Weil Ihr sie leidenschaftlich liebt und weil Ihr sie für Euch zu gewinnen hoffet,« unterbrach ihn Jansen vollständig ruhig.
»Ob ich die junge Dame liebe, ist eine Frage, die niemand ein Recht hat, an mich zu stellen,« erwiderte Weatherton nicht ohne einige Verwirrung, denn er hätte von dem strengen Mormonen alles andere eher erwartet, als eine solche Erklärung; »jedenfalls verdient sie einen höheren Grad von Liebe und Rücksicht, als ihr, wenn ich mich nicht täusche, von allen Seiten erzeigt wird. Beruhigt Euch indessen; mögen meine Gefühle für Hertha Jansen noch so tief und innig sein, ich kam nicht in der Hoffnung, sie für mich zu gewinnen, sondern aus Teilnahme für sie, um das ihr drohende Geschick vielleicht noch von ihr abzuwenden. Oder wollt Ihr etwa auch mir gegenüber die unter den Mormonen herrschende Sitte der Vielweiberei ableugnen?«
»Junger Mann, seid nicht vorschnell in Sachen, die Euch zu fern liegen, als daß Ihr sie richtig zu beurteilen vermöchtet,« versetzte Jansen, seine forschenden Blicke noch immer fest auf den Offizier geheftet. »Meine Nichte ist Mormonin und darum wird sie sich in die Pflichten einer Mormonin fügen. Doch ich bin nicht gekommen, um mich in Erörterungen über religiöse Streitfragen mit Euch einzulassen. Die treueste Anhänglichkeit und Liebe zu dem Kinde meines früh verstorbenen Bruders hat mich zu einem Schritte bewogen, vor welchem ich in jedem anderen Falle zurückgebebt wäre. Wie Ihr meine Nichte leidenschaftlich liebt, so ist sie Euch nicht weniger in Liebe zugetan. Hättet Ihr je von Eurer Leidenschaft zu ihr gesprochen, so wüßte ich es, darauf dürft Ihr Euch verlassen, und ich wäre jetzt nicht bei Euch. Wenn ich aber Eure gegenseitige Zuneigung erwähne, so geschieht es eben sowohl, weil ich dazu berechtigt bin, als weil ich mich in meinen Beobachtungen, nicht getäuscht habe. Ich wußte es schon damals, als ich nach unserer Trennung sie fern von Euch zu halten wünschte, hoffte aber, die Zeit und die Entfernung würden ihren Einfluß auf das noch so kindlich fromme Gemüt des jungen Mädchens nicht verfehlen. Trotz meiner Vorsorge habt Ihr uns wieder aufzufinden gewußt, und Euer Erscheinen droht alle Pläne scheitern zu lassen, welche ich zum irdischen Glück und zum Seelenheil des Kindes schon seit Jahren entwarf und seitdem sorgfältig hegte.«
Weatherton schaute unterdessen gespannt auf ihn hin, und wenn auch die Mitteilung daß Hertha ihm mit inniger, jungfräulichen Liebe zugetan sei, in seinem Herzen gleichsam fortvibrierte, so suchte er doch vergeblich zu enträtseln, welcher Zweck Jansen eigentlich bei seinen Eröffnungen leite.
»Ich halte Euch für einen braven Mann,« begann der Mormone endlich wieder, »für einen Mann, der allerdings bis jetzt noch als ein Feind unseres Volkes betrachtet werden muß, dem es aber leicht sein würde, alle ihn treffenden Vorurteile und Anklagen zu besiegen und niederzuschlagen. In Eurer Hand liegt es, das Glück meiner Nichte zu begründen und sie vor den gebotenen, allein zu umgehenden patriarchalischen Gebräuchen unserer Kirche zu bewahren, die Euch bei Eurer Kurzsichtigkeit so verdammungswürdig erscheinen.«
»Ich?« fragte Weatherton erregt, während ihm alles Blut zum Herzen drang, »ich soll sie vor dem traurigen Lose, welches ihrer hier harrt, bewahren können? O Mr. Jansen, glaubt meiner Versicherung, sollte mir das gelingen, dann hätte ich die heilige Aufgabe erfüllt, welche ich mir stellte, als ich mich zu der gefährlichen Reise entschloß!«
»Mr. Weatherton,« fuhr Jansen dann nach einer längeren Pause plötzlich mit heftiger Erregtheit fort, indem er die eine Hand auf des Offiziers Schulter legte und mit der anderen dessen Rechte ergriff, »Mr. Weatherton, ich bin alt genug, um Euer Vater sein zu können, denkt daher, daß väterliche Gefühle für Euch mich beseelen. Mr. Weatherton, tretet zum Mormonentum über, und Hertha ist die Eurige! Unterbrecht mich nicht, unterbrecht mich nicht,« rief er mit Wärme aus, als er gewahrte, daß Weatherton, wie von einem tödlichen Schrecken befallen, die Hand abwehrend gegen ihn aufhob; »hört mich zu Ende, und dann nehmt Euch erst Zeit zum Überlegen, ehe Ihr eine Entscheidung trefft. Ihr als Mann habt es in Eurer Gewalt, die in unserer Glaubenslehre vorgeschriebenen und von Euch gemißbilligten Satzungen zu umgehen. Ihr seid nicht gezwungen, mehr als eine Gattin an Euch zu fesseln, zumal Ihr Euern Aufenthalt nicht hier zu nehmen brauchet und dort leben dürfet, wo Hertah sich am heimischsten fühlt. Überlegt das alles, mein junger Freund, vergeßt auch nicht, daß Hertha selbst eifrige Mormonin ist und lieber ihr Leben auf den Altar des Herrn niederlegt, als von ihrem Glauben läßt, daß sie dagegen an Eurer Seite das Glück finden würde, welches sie in so hohem Grade verdient, ein Glück, welches ihrer ganzen Denkungsweise, ihrem Charakter so vollkommen entspricht.
Obgleich Weatherton nun noch immer bleich und mit hochwallender Brust fast regungslos dasaß, so hatte er während des Mormonen langer Rede doch Zeit genug gefunden, seine durcheinander wirbelnden Gedanken zu sammeln und neue Fassung zu gewinnen. Als Jansen geendigt, reichte er ihm mit wehmütigem, aber freundschaftlichem Ausdruck die Hand. »Mr. Jansen,« sagte er ruhig und fest, »Ihr habt mit ehrendem Vertrauen zu mir gesprochen, gestattet mir daher, daß ich Euch mit derselben rücksichtslosen Offenheit antworte, so wie es sich unter Männern geziemt. Sagt mir vor allen Dingen, weiß Eure Nichte um Euren Besuch und kennt sie den Zweck, welchen Ihr verfolgt?«
»Sie ahnt es nicht und soll es auch nie erfahren, es sei denn, ich führe Euch als Mormonen bei ihr ein,« gab Jansen zur Antwort.
»Mr. Jansen,« begann er tiefbewegt, »Ihr habt mir einen Blick in die irdische Seligkeit vergönnt; zugleich aber habt Ihr einen Preis gesetzt, welcher mir dieselbe in unerreichbare Ferne rückt. Ich kann nicht, ich darf nicht meinen Glauben ändern! Nehmt mir das Leben, behandelt mich als einen verächtlichen Spion, ja als Mörder, aber dringt nicht weiter in mich ein, einen Schritt zu tun, der mich meiner eigenen Verachtung preisgäbe. Und Hertha, dieses edeldenkende zartfühlende, holde Wesen? Müßte auch sie mich nicht verachten, wenn ich um irdischer Vorteile willen, selbst um in ihren Besitz zu gelangen, leichtsinnig die Religion, in welcher ich erzogen wurde, mit einer anderen vertauschte, deren Gebräuche meinen Ansichten von Gottesverehrung so sehr zuwiderlaufen? Nein, Eure Nichte steht zu hoch, ist mir zu heilig, um sie zum Gegenstand eines feilen Handels zu machen. Ich selbst aber besitze zu viel Selbstachtung, um mich zu irgend einer Handlung hinreißen zu lassen, die in so krassem Widerspruch zu meinen Begriffen von Ehre und männlichem Pflichtgefühl stände, und über welche ich ihr gegenüber vor Scham erröten müßte.«
»Junger Tor!« versetzte Jansen, und sein Gesicht legte sich wieder in strenge Falten, während seine Augenwinkel noch feucht schimmerten, »ich will Euer Wort nicht gehört haben.«
Eine Weile schaute Jansen noch finster vor sich nieder, dann stand er auf, und dem sich ebenfalls erhebenden Weatherton die Hand auf die Schulter legend, blickte er ihm ernst und bewegt in die Augen.
»Weiß Gott, ich meinte es treu und redlich mich Euch und meiner Nichte,« hob er an, und seine Stimme zitterte vor verhaltener Wehmut. »Aber Ihr mögt recht haben; betrachten wir daher unsere Zusammenkunft als einen Traum, es sei denn, daß Ihr Euch eines andern besännet. Nicht, um noch weiter in Euch zu dringen, sage ich dies, sondern weil ich mich jetzt, namentlich nachdem ich einen so klaren Einblick in Euren ehrenwerten Charakter gewonnen, mich schwer und ungern von einem Gedanken trenne, der mir als eine Eingebung Gottes erschien.«
»Gibt es denn gar keine Möglichkeit, Eure Nichte dem traurigen Lose zu entziehen, welches ihr aus den Gebräuchen – nun, Ihr nennt sie ja patriarchalische – notwendigerweise erwachsen muß?« fragte Weatherton mit einer gewissen Schüchternheit.
»Hertha ist Mormonin,« antwortete Jansen streng, seine Hand von Weatherton's Schulter zurückziehend; »sie ist Mormonin und hat sich demnach den Gesetzen ihrer Religion zu unterwerfen. Ich stand im Begriff, Rücksicht auf ihre eigene Meinung zu nehmen, ihr eigenes Herz zu befragen; da dieses aber nicht ausführbar, ohne sie zu einer Abtrünnigen zu machen, so bleibt sie Mormonin im vollen Sinne des Wortes.
Mit einem kalten »gute Nacht« entfernte sich darauf der Mormone. Als Jim Raft wieder eintrat, lag Weatherton auf seinen Decken, in tiefes Nachdenken versunken. Nirgends sah er einen Ausweg; wohin sich seine Gedanken auch wenden mochten, überall tauchte das verlockende Bild des lieblichen Mormonenmädchens mit dem süßen Geständnis auf den Lippen vor seiner erregten Phantasie auf; daneben aber stand immer, als unerbittliches Verhängnis, die drohende Gestalt Jansen's, der ihm in krankhafter religiöser Verzückung die sagenhaften goldenen Gesetzestafeln des Mormonentums als unübersteigliches Hindernis entgegenhielt.
Um diese Zeit erst entfernte Elliot sich von der Stelle, von welcher aus er Jansen's und Weatherton's Gespräch belauscht hatte. Es war eine schwere Stunde gewesen, die er vor der geöffneten Fuge der Blockwand verbrachte; aber obwohl alle Furien der Eifersicht, der getäuschten Hoffnung und des Rachedurstes ihn geißelten, hatte er sich doch keinen Zoll breit von der schmalen Öffnung entfernt, aus Furcht, daß eines der in dem Raum gewechselten Worte seiner Aufmerksamkeit entgehen könne.
Zähneknirschend über Jansen's Treulosigkeit, wie er dessen Besorgnis für Hertha nannte, bewegte er sich an den Palisaden und Häusern hin, dem Eingange des Hofes zu. Sein Blick kreiste wild, und die Gedanken, welche sein Gehirn durchkreuzten waren nur feindlicher Art. Sogar der freundliche Empfang seiner jüngeren Gattin, der ewig lachenden Französin, und der schwermütige Blick, mit welchem die junge Engländerin, die Mutter seiner Kinder, zu ihm emporschaute, sie mochten die düsteren Wolken nicht zu verscheuchen, die sich drohend auf seiner Stirn gelagert hatten.–