Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band II
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

In der Gefangenschaft

Vierzehn Tage waren seit Weatherton's Gefangennahme verstrichen, vierzehn Tage, von welchen er schon zehn in Fort Utah in strenger Haft zugebracht hatte. Über die Behandlung fand er im allgemeinen keinen Grund zu klagen. Es war ihm ein sauberes Gemach in einem festen Blockhause eingeräumt worden, in welchem er sogar beständig die Gesellschaft des alten getreuen Raft genoß. Auch wurde ihm an Speisen das Beste verabreicht, was überhaupt dort aufgetrieben werden konnte; doch trugen dergleichen Rücksichten wenig dazu bei, seine Mißstimmung zu verscheuchen. Er war und blieb Gefangener im vollsten Sinne des Wortes, ein Gefangener, der nicht nur während der Nacht auf das strengste bewacht wurde, sondern der auch am Tage den ihm angewiesenen Raum nicht nach Willkür verlassen und nur zu gewissen Stunden sich in der Begleitung einer mit Büchse und Revolver bewaffneten Schildwache im Freien ergehen durfte.

Nicht im entferntesten ahnte er, was über ihn beschlossen worden war, denn er kam mit niemand in Berührung, der ihm irgendwelche Aufklärung zu geben vermocht hätte. Alle, die ihm etwa begegneten, wichen ihm aus, oder zeigten sich ernst und verschlossen gegen ihn. Offenbar betrachtete man ihn nicht weniger als einen Feind des Mormonentums, als die täglich durch neue Truppensendungen anwachsende Armee auf der andern Seite des Wahsatchgebirges.

Noch weniger, als über seine eigene nächste Zukunft, wußte er über den Stand der Politik. Er erriet allerdings, daß der Kampf noch nicht begonnen habe; eben so entging ihm nicht der Eifer, mit welchem die Mormonen sich rüsteten und im Gebrauch der Waffen übten, Verschanzungen aufwarfen, und sogar Frauen und Knaben zu allem mit heranzogen. Dagegen wurde sorgfältig vor ihm geheim gehalten, daß von der Regierung in Washington schon vor Monaten wirklich ein Ultimatum an die Mormonen gerichtet worden sei.

Laut diesem nun sollten sie bis zu einem bestimmten Tage den Vereinigte-Staaten-Truppen und dem ihnen von der Regierung zu Washington bestimmten Gouverneur ihre Gebirgspässe öffnen, widrigenfalls dieselben mit Waffengewalt angegriffen und genommen werden würden. Bedingungen also, die in ihrer unveränderten Form von den Mormonen einstimmig verworfen wurden und sie außerdem veranlaßten, nur noch energischere Maßregeln zur Verteidigung ihrer Religion und ihrer Unabhängigkeit zu treffen; doch hatten sie nicht versäumt, auch ihrerseits ein Ultimatum zu stellen, bis zu welcher Grenze sie die Unabhängigkeit ihrer Staatsverfassung dem Frieden zum Opfer zu bringen geneigt seien, wenn man auch kaum auf etwas anderes als den Donner der Geschütze in Beantwortung dieser Gegenbedingungen gefaßt war.

Daß sie bereits vor dem unvermeidlich erscheinenden blutigen Kampfe um ihre Existenz einen feindlichen Offizier in ihre Gewalt bekommen hatten, einen Offizier, von dessen Anwesenheit man im feindlichen Lager vorläufig noch nichts wußte, war ihnen doppelt lieb und erwünscht. Sie eröffneten ihren Gefangenen zwar, daß man sie binnen kurzer Frist frei ziehen lassen würde, doch beabsichtigten sie in Wahrheit nichts weniger, als ein Mittel aus den Händen zu geben, durch welches sie in entsprechenden Fällen einen Druck auf die Entschließungen ihrer Feinde meinten ausüben zu können.

Weatherton verstrich die Zeit unterdessen langsam und träge. Vergeblich hoffte er auf Nachricht von Falk und den Delawaren, vergeblich spähte er durch das vergitterte Fenster nach Zeichen von der Ankunft und Nähe Hertha's, und oft bereute er schon, sich mit so zweifelhaften Aussichten auf Erfolg seiner jugendlich phantastischen Pläne in die Hände der erbitterten Feinde seines Landes und seiner Regierung gegeben zu haben.

So saß er eines Nachmittags auf dem kleinen Hügel, von welchem aus der eine volle Aussicht auf das Fort und die hinter demselben aufstrebenden malerischen Bergketten genoß. Jim Raft hatte sich neben ihn auf das Gras geworfen, und war, nachdem er sich müde geärgert und die Mormonen bis in den Abgrund der Hölle verwünscht, in ein dumpfes Brüten verfallen. Nichts störte ihn also in seinen Betrachtungen, es sei denn, daß seine Blicke den Wachposten streiften, der sich in geringer Entfernung von ihm ebenfalls niedergekauert hatte und, die lange Büchse quer vor sich auf den Knieen, die seiner Wachsamkeit so streng Anempfohlenen beständig im Auge behielt.

Weatherton hatte seine Blicke auf das Tor gerichtet, während Raft allmählich auf den Rücken gesunken war, den sonnigen Himmel grimmig anstarrte und dabei den Tabak ungeduldig in seinem Munde hin und her rollte.

Beide waren so sehr in ihre Gedanken vertieft, daß sie nicht merkten, wie sich von der andern Seite her, immer an dem Flüßchen hinauf und dann auf den Hügel zu, auf welchem sie sich sonnten, mehrere Reiter näherten, die, in einer augenscheinlich sehr ernsten Unterhaltung begriffen, die Gefangenen ebenfalls nicht beachteten.

Erst als eins der auf dem sandigen Wege geräuschlos einherschreitenden Pferde am Fuße des Hügels laut schnaubte, schnellte Raft wie eine Sprungfeder aus seiner nachlässigen Lage empor, und gleichzeitig wendete Weatherton sich langsam nach den Fremden um.

Eine seltsame Überraschung spiegelte sich in ihren Zügen, als sie die Reiter gewahrten, eine Überraschung, die als eine unangenehme, aber auch als eine freudige gedeutet werden konnte.

Auf die Reiter dagegen schien der Anblick der Gefangenen einen noch viel tiefern und offenbar einen erschreckenden Eindruck auszuüben, denn zwei von ihnen hielten ihre Pferde so heftig an, daß dieselben sich hoch aufbäumten.

Indem Weatherton seine Augen mit ruhigem Ausdruck auf sie heftete, bemerkte er, daß sie erbleichten und ihn wie eine Erscheinung aus der Geisterwelt anstarrten, die Worte aber, welche sie im Begriff gewesen zu sprechen, ihnen auf der Zunge erstarben.

Er triumphierte innerlich, denn Jansen und Rynolds, die Schiffbrüchigen, welche er einst retten half, und die jetzt bebenden Herzens vor ihm hielten, lieferten ihm ja selbst durch ihr Benehmen den unwiderleglichen Beweis, daß sie wenigstens mit um den Angriff wußten, der auf dem Werft von New York gegen sein Leben unternommen worden war.

Doch nur kurze Zeit blieb es ihm gestattet, sich an dem Entsetzen der beiden Mormonen zu weiden, denn kehrte auch die Farbe nicht so schnell auf ihre Gesichter zurück, so trugen dieselben in der nächsten Minute schon wieder einen vollständig ruhigen Ausdruck, der nur noch einen Anflug von Erstaunen über das unvermutete Zusammentreffen zeigte.

Elliot, der durch das plötzliche Anhalten seiner Begleiter um einige Schritte vorausgekommen war, und La Bataille, der sich eine kurze Strecke hinter ihnen befand, hatten ebenfalls ihre Pferde zum Stehen gebracht, und befremdet beobachteten sie eben so wohl ihre Gefährten, wie die ihnen unbekannten Gefangenen, welche noch immer in ihrer alten Stellung auf dem kleinen Hügel verharrten. Denn auch La Bataille, der feige Schlangen-Indianer, obgleich er sich zu Dienstleistungen für Weatherton benutzen ließ, hatte letzteren noch nie gesehen, und war, als er das Übereinkommen abschloß, allein mit den Delawaren in Berührung gekommen.

Jansen's und Rynolds' Verwirrung dauerte also nur einige Minuten, und der Wachposten hatte Elliot den Rapport über seine Gefangenen noch nicht abgestattet, da ritten die beiden ersteren schon zu Weatherton heran, um ihn zu begrüßen und auf dem Mormonengebiet willkommen zu heißen.

»Ihr seid der letzte, mit dem ich hier zusammenzutreffen erwartet hätte«, sagte Rynolds, der zuerst seine volle Ruhe wiedergewann, indem er sich mit gezwungener Höflichkeit vor dem Offizier verneigte.

»Ich glaub' es wohl«, antwortete Weatherton mit einem bezeichnenden Lächeln, sich von der Erde erhebend und die kalte Begrüßung eben so förmlich erwidernd.

Rynolds biß sich auf die Lippen und blickte auf Jansen, der das Wort ergriff.

»Ich freue mich, Gelegenheit zu finden, die Gastfreundschaft vergelten zu können, die uns einst am Bord Eures Schiffes erwiesen wurde«, hob er an, »bedauere aber, Euch als Gefangenen wiederzusehen. Wie ich hoffe, sind die Ursachen Eurer Haft von der Art, daß es meinen Einfluß nicht übersteigt, Euch innerhalb ganz kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt zu sehen. Ich habe ja die Ehre, Euch lange genug zu kennen, um für Euch als Bürge auftreten zu dürfen«. Hier verzog er sein Gesicht zu einem ähnlichen bezeichnenden Lächeln, wie Weatherton kurz vorher Rynolds gegenüber getan.

»Für Euren guten Willen sage ich Euch meinen aufrichtigsten Dank«, entgegnete Weatherton, der auf den Zügen der beiden Mormonen noch immer zu lesen glaubte, wie sie vergeblich strebten, sich seine Anwesenheit und überhaupt sein Weilen unter den Lebenden zu erklären. »Ich muß Euch indessen dringend ersuchen, Euch meinetwegen nicht weiter zu bemühen. Mein Freund Raft und ich sind auf den Verdacht hin, das Amt von Spionen übernommen zu haben, hierher gebracht worden. Das Ungerechtfertigte eines solchen Verdachtes wird auch ohne Euer Zutun erkannt werden, und ich bin dann der Notwendigkeit überhoben, Eure freundlich angebotenen Dienste als eine Art Bezahlung für erzeigte kleine Gefälligkeiten entgegenzunehmen«.

Auf Jansen's Lippen schwebte eine bittere Antwort; er besann sich indessen und machte nur eine kurze stumme Verbeugung.

»Ihr habt die Reise von New York wohlbehalten zurückgelegt, wie ich sehe«, fuhr Weatherton nach einer kurzen Pause fort. »Ihr werdet es daher wohl natürlich und deshalb verzeihlich finden, wenn ich mich auch nach dem Ergehen der anderen zu Eurer Gesellschaft gehörenden Mitglieder erkundige«.

Eine Wolke verfinsterte Jansen's Gesicht bei dieser Frage. Dieselbe schien eine Menge widerwärtiger Erinnerungen wachgerufen zu haben, denn verlegen drehte er sich im Sattel, um seine Blicke rückwärts zu senden, wo ein langer Zug von Wagen und Reitern sich langsam am Flüßchen hinaufbewegte und schon bis auf eine kleine Viertelmeile herangekommen war. Der Karawane vorauf, etwa in der Mitte zwischen dieser und dem Fort, war ein leichter, von sechs Maultieren gezogener Reisewagen sichtbar, hinter welchem mehrere hochgewachsene, unbekleidete Indianer herschritten, denen sich wieder ein Trupp Reiter anschloß.

Während Jansen, von Gefühlen der widersprechendsten Art bewegt, über eine zu erteilende Antwort nachsann, hatte Rynolds sich zu Elliot hinüberbegeben, dem er mit allen Zeichen großer Besorgnis eine Reihe von Erklärungen zuflüsterte, wobei er verstohlen mit den Augen auf Weatherton deutete.

Was er mitteilte, konnte nur wenig freundlicher Art sein, denn indem er noch sprach, wurde des Kommandanten Gesicht düsterer und drohender Blicke des giftigsten Hasses schossen aus seinen unter den buschigen Brauen fast verschwindenden Augen hervor, und heftig rieben sich seine Zähne aufeinander, als er Weatherton's schlanke Gestalt so aufrecht und mit einem bezeichnenden Ausdruck von stolzer Würde vor Jansen stehen sah.

»Allerdings finde ich es natürlich, daß Ihr Teilnahme für diejenigen hegt, die einst Eure Gastfreundschaft genossen«, sagte Jansen endlich zu dem auf eine Antwort harrenden Leutnant, und ängstlich flogen seine Blicke zwischen der sich nähernden Kalesche und den Blockhütten des Forts hin und her, »gewiß sehr natürlich, und ich schätze mich, glücklich, Euch benachrichtigen zu können, daß Alle die Beschwerden der Reise auf überraschend leichte Art überwanden, in der Tat, ohne jemals erhebliche Spuren von Erschöpfung an den Tag zu legen, obwohl wir mehrere Monate in dem unwirtlichsten Teil der nordamerikanischen Wüsten zubrachten«.

»Wilson, bringt die Gefangenen in ihre Zelle zurück!« rief Elliot jetzt der nur wenige Schritte vor ihm stehenden Schildwache zu, aber absichtlich so laut, daß sein Befehl von Weatherton vernommen werden mußte. »So lange noch keine anderen Bestimmungen getroffen sind, habt Ihr für deren Sicherheit zu haften, und in dem Gewirr eines ankommenden Trains läßt sich befürchten–«.

Jansen hatte sich abgewendet. Offenbar scheute er sich, Weatherton's Blicken zu begegnen. Rynolds dagegen vermochte ein schadenfrohes Lächeln nicht zu unterdrücken, als die Gefangenen schweigend bei ihm vorüber dem Hofe des Forts zuschritten, und die Schildwache, mit der Büchse auf der Schulter, ihnen auf dem Fuße nachfolgte.

»Es wäre jetzt gerade die geeignetste Zeit, Eure Nichte den Burschen sehen zu lassen«, sagte er dann spöttisch zu Jansen, indem sie sich der Toröffnung des Forts zu in Bewegung setzten; »gerade die rechte Zeit, um an der Brust des unvergessenen Freundes Trost über den Verlust der abtrünnigen Schwester zu suchen. Es hätte ein rührendes Wiedersehen werden können, ohne den glücklichen Gedanken des Kommandanten«.

Elliot fuhr bei der Erwähnung seiner Person wild empor. »Glaubt Ihr wirklich, daß er einen so tiefen Eindruck auf das Mädchen gemacht?« fragte er, und seine Lippen bebten vor innerer Wut bei dem Gedanken, daß die ihm bestimmte Gattin, den Gesetzen zum Trotz, vielleicht freundliche Gefühle gegen ein Mitglied der so verhaßten Gentiles hege.

»Ich hatte Gelegenheit genug, Herta Jansen zu beobachten«, antwortete Rynolds, seine Worte langsam abmessend, um deren Wirkung nachhaltiger zu machen, »und ich tat es mit einer Eifersucht, als wäre sie mein Eigentum gewesen. Ich spreche daher aus innigster Überzeugung, indem ich behaupte, daß die größte Vorsicht geboten ist, wenn sie nicht eines guten Tages dem Beispiel ihrer unglücklichen Schwester folgen soll. Nur würde sie alsdann nicht allein dem eitlen Seeleutnant nacheilen, sondern auch noch das Erbteil ihrer Schwester, nämlich deren Knaben, mit sich fortnehmen. Es wäre ein Triumph für die Gentiles, die beiden einzigen rechtmäßigen Besitzer des großen Vermögens plötzlich als abtrünnige Mormonen unter sich erscheinen zu sehen«.

»Den Knaben meint Ihr?« fragte Elliot erbleichend, »des Knaben sollten wir geraubt werden?« wiederholte er tonlos; gleich darauf war er aber wieder Herr seiner selbst; ein Strahl von Rynold's lauernden Blicken, den er in seinen Augen aufgefangen hatte, schien ihn zum Bewußtsein zurückgerufen zu haben, und ruhiger, aber mit unheilverkündendem, drohendem Tone fuhr er fort: »Mag er sich hüten, nicht zu große Opferwilligkeit für sie zu zeigen; mag sie sich vorsehen, nicht zu warme Teilnahme für ihn an den Tag zu legen. Sein Wächter erzählte mir, er sei auf den Verdacht des Spionierens eingebracht worden, und zwischen einem Spion und einer Kugel liegt nur ein einziges auszusprechendes Wort«.

Ehe sie in den Eingang des Hüttenvierecks einbogen, wo schon eine große Anzahl der Bewohner des Forts zum Empfang der neuen Ankömmlinge versammelt war, hielt Elliot sein Pferd noch einmal an, und nachdem er sich überzeugt, daß La Bataille sich außerhalb der Hörweite befand, wendete er sich an seine Begleiter.

»Ihr behauptet also, es bestehe eine heimliche Neigung zwischen Hertha Jansen und dem Schiffsleutnant«, sagte er, seine Blicke in die Augen der beiden Schweden förmlich einbohrend, »gut, es mag darum sein, laßt sie sich lieben, so viel sie nur immer wollen; was das junge, im Glauben an unsere heiligen Satzungen noch schwanke Rohr nicht aus frommer Neigung und Hingebung für die geläuterte Religion tut, das geschieht ebenso sicher, vielleicht noch sicherer, wenn dadurch ein geliebtes Haupt von dem sicheren Verderben gerettet wird. Schweigt über Alles, meine Brüder; ich kenne die hiesigen Verhältnisse genau; überlaßt mir, nach eigenem Ermessen zu handeln, und es wird mir gelingen, alles zur Ehre des Erlösers und zur Verherrlichung des neu gegründeten Zion auszuführen«.

Bei diesen Worten leuchtete Elliot's Gesicht in wildem Enthusiasmus, und Grausamkeit und eine ungewöhnliche Willenskraft sprühten zugleich aus seinen finster beschatteten Augen.

»So geschehe es zur Ehre des Erlösers und zur Verherrlichung des neu gegründeten Zion«, wiederholten Jansen und Rynolds, indem sie, Elliot's Beispiel folgend, ihre Pferde anspornten. Gleich darauf wurden sie auf dem Hofe von den herbeieilenden Männern mit zutraulichem, aber eigentümlich gemessenem Wesen als Brüder willkommen geheißen. –

Weatherton und Raft waren um diese Zeit bereits in ihr Gefängnis zurückgekehrt.

Ursprünglich war die Hütte nicht zu einem Gefängnis bestimmt gewesen, man hätte bei dem ganzen Bau sonst wohl mehr Rücksicht auf Festigkeit genommen. Außerdem sah man es der eisernen Fenstervergitterung sowohl, als auch den übrigen Beschlägen an, daß sie erst nachträglich, als man vielleicht in Verlegenheit um ein Gewahrsam für eingefangene böswillige Eingeborene geriet, angebracht worden waren.

Wenn nun die vier nackten Wände, der staubige Lehmfußboden und der einfache Kamin als hinreichende Bequemlichkeit für Indianer erachtet wurden, so hatte man sie doch als ungenügend für zivilisierte Menschen befunden, und deshalb nach Weatherton's Ankunft einen Tisch und zwei Feldstühle in das Gemach gestellt, wie auch eine Schütte duftendes Heu hinzugefügt, welche die Gefangenen dann durch Ausbreiten ihrer Decken in erträgliche Lager verwandelten.

Die Waffen waren ihnen bei ihrem Eintritt abgefordert worden, dagegen hatten sie alle übrigen Sachen, welche sie bei sich führten, mit hinein nehmen dürfen. Sie erfreuten sich daher derselben Bequemlichkeiten, welche ihnen das Leben im Freien geboten hatte, vielleicht noch größerer, indem sie sich unter einem sichern, schützenden Obdach befanden.

Während Raft also auf und ab wanderte und jedesmal, wenn er an dem vergitterten Fenster vorüberkam, seine Blicke in's Freie sandte, wurde seine Aufmerksamkeit bald durch diesen, bald durch jenen Gegenstand gefesselt, und indem er sich dann, je nachdem er gestimmt war, lauten Schmähungen oder philosophischen Betrachtungen hingab, verschaffte er Weatherton eine Art von Unterhaltung, welche ihm, trotz seiner trüben Stimmung, manches Lächeln entlockte.

»Ich sage Euch, Dickie, der Heilige mit dem verbissenen Gesicht ankert seitlängs von zwei Frauensleuten und spricht zu ihnen, daß eine blinde Stückpforte in denselben seine Ehefrauen erraten würde«.

»Woraus schließt Du das, Jim?«

»Hm, die eine lacht ihm freundlich zu und nickt, und die andere schaut vor sich nieder und weint wie 'ne tropische Regenwolke. Goddam! hat er sich auch mit zwei Weibern zusammensplissen lassen, so geschieht ihm das doch kein Recht, die eine auf die andere eifersüchtig zu machen«.

»Wer weiß, Jim, Du magst Dich irren«.

»Nein, Herr, 's ist originell! Halt! jetzt läßt er sie backbordwärts abtreiben und steuert seiner Wege. Aha, die Wagen sind in Sicht, er geht ihnen entgegen, bei Gott! eine Kalesche kommt den Hof heraufgesegelt, wie sie die Königin von England nicht leichter hat; hält mit vollem Winde gerade auf den Heiligen zu«.

So weit war Raft mit seinem Rapport gekommen, da stand Weatherton an seiner Seite, und mit einer Spannung, von welcher er sich kaum Rechenschaft abzulegen wußte, schien er den bezeichneten Wagen mit den Augen gleichsam verschlingen zu wollen.

Was der Wagen enthielt, blieb ihm indessen verborgen, denn das Gefährt war eins jener mit einem kastenähnlichen ledernen Verdeck versehenen Wägelchen, wie sie zur Beförderung der Postsachen durch die Prärien gebräuchlich sind.

Die mittelsten Seitenleder des Verdecks waren aufgerollt worden, der Rest derselben verbarg daher die in dem Wagen Sitzenden noch immer so, daß Weatherton eben nur teilweise die Gestalten von Damen zu unterscheiden vermochte.

Der Kutscher hatte unterdessen die Pferde gerade auf Elliot zugelenkt, und da dieser mit der Hand auf sein Haus deutete, so fuhr er im scharfen Trabe vor der bezeichneten Tür vor.

Obschon Weatherton, seit er neben Raft am Fenster stand, für weiter nichts als die Kalesche Teilnahme hegte, so glaubte er doch zu entdecken, daß von den Bewohnern des Forts, namentlich von den Frauen und Kindern, eine gewisse Zurückhaltung und Kälte beobachtet wurde, die allerdings für die Ankommenden manches Angenehme hatte, von einer ändern Seite aber auch wieder unsanft berühren, die nach einem freundlichen Willkommen sich Sehnenden sogar zurückstoßen mußte.

Weatherton achtete nicht auf das wirre Getreibe; er achtete nicht einmal darauf, daß eine Gesellschaft ungewöhnlich hochgewachsener Indianer, geführt von La Bataille, unter der Plattform ihr höchst einfaches Lager aufschlug. Er achtete nur auf den kleinen Wagen und harrte mit ungeduldiger Spannung auf den Zeitpunkt, in welchem die noch immer nicht sichtbaren Frauen aussteigen und sich endlich ihm zeigen würden.

Da trat Elliot, der noch einmal in sein Haus und namentlich in die für die Fremden hergestellte Beratungshalle zurückgekehrt war, an den Wagenschlag heran. Nach ihm folgten Jansen, Rynolds und der stellvertretende Kommandant des Platzes, während Elliot's beide Frauen in der Tür stehen blieben, um, als »seine Verwandte«, die junge Reisende mit einem freundlichen Willkommen in die für sie vorläufig bestimmte Wohnung zu führen.

Was man sprach, vernahm Weatherton nicht, er befand sich zu weit entfernt, und nur als leises Murmeln drangen die verschiedenen Stimmen zu ihm herüber; doch glaubte er jene eigentümliche stille Ehrerbietung zu bemerken, welche man so gern geneigt ist denjenigen zu zollen, die durch harte Schicksalsschläge in tiefe Trauer versetzt wurden.

Endlich stieg eine der Damen, unterstützt von Elliot, aus. Weatherton blickte schärfer hinüber; es war nicht die, welche er suchte, aber wäre er noch dreimal so weit entfernt von dem Wagen gewesen, so würde er an den gezwungenen und gezierten Bewegungen, wie auch an der Art, in welcher sie sich mit ihrer ganzen Schwere auf Elliot's Arm lehnte, die französische Gouvernante erkannt haben.

»Bei Gott, das alte kauderwelsche Wrack!« sagte Raft mit einem Anflug von guter Laune, denn er erinnerte sich in diesem Augenblick aller der Scherze, welche das Schiffsvolk des Leoparden über die dürre, anspruchsvolle Französin hatte vom Stapel laufen lassen. »Ja, das kauderwelsche Wrack; der schöne Lotsenvogel kann also nicht fern sein«.

Weatherton antwortete nicht, aber auf seinen erregten Zügen stand geschrieben, daß er Raft's Meinung teilte.

Jetzt stieg die zweite Dame aus dem Wagen und schritt, Jan- sen's Arm ergreifend, der Haustür zu.

»Hertha Jansen«, sagte Weatherton unbewußt vor sich hin, aber mit einem solchen Ausdruck von Wehmut und inniger Teilnahme, daß Raft, als habe er die Wunde, von welcher die gräßliche Narbe in seinem Gesicht herrührte, zum zweiten Male erhalten, einen Schritt zurücktrat und mit einer Mischung von Entsetzen und Erstaunen auf seinen Liebling hinstarrte.

Weatherton verfolgte fast atemlos vor innerer Gemütsbewegung Hertha mit den Augen, bis sie endlich in der Haustür verschwand. Nur einmal öffnete er seine, wie vor Schmerz zusammengepreßten Lippen, und: »armes, armes Kind!« murmelte er leise und unbewußt vor sich hin.

Und wohl hatte er Ursache zu dieser Bezeichnung; denn außerdem, daß er ahnte, welches Los Hertha, wenn ihr keine Hilfe wurde, bevorstand, war sie ja auch nicht mehr das enthusiastische, kindlich heitere Wesen, welches so vertrauensvoll in die Zukunft schaute, so wie er sie an Bord des Leoparden kennengelernt hatte.

Ihre Gestalt schien gebeugt, ihr Lebensmut gebrochen zu sein, und tiefe Trauer und fromme Ergebenheit sprachen aus ihren Bewegungen, indem sie mit sanftem Neigen ihres Hauptes die Umstehenden begrüßte und, ohne den Ort, der ihr zum vorläufigen Aufenthalt bestimmt war, auch nur einer oberflächlichen Prüfung zu unterwerfen, Elliot's Gattinnen die Hand reichte, um sich von ihnen in die neue Heimat einführen zu lassen.


 << zurück weiter >>