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Auf das Geräusch blieb Elliot stehen, und gleich Rynolds wendete er sich mit höflichem Gruß den Ankommenden zu.
»Ah, schon hier?« sagte der Apostel, dem man den Vortritt gelassen hatte, sobald er Rynolds erblickte; »Ihr waret so plötzlich im Gedränge der von der Versammlung heimkehrenden Brüder verschwunden, daß ich glaubte, Ihr wäret wieder nach der Halle zurückgekehrt, um vielleicht noch einen alten Bekannten zu sprechen.«
»Ich dagegen vermutete Euch schon auf dem Wege hierher, und beschleunigte meine Schritte, um Euch einzuholen«, antwortete Rynolds, zuerst dem Apostel mit höflicher Würde, und danach Jansen, der sich in des Apostels Begleitung befand, mit vertraulicherem Wesen die Hand reichend. »Erst nachdem ich hier eingetreten war, entdeckte ich meinen Irrtum, und nur den Versicherungen unserer Freunde hier, die behaupteten, Ihr würdet bald nachfolgen, ist es zuzuschreiben, daß ich nicht sofort umkehrte, um Euch hierher zu begleiten.«
In Elliot's und Holmsten's Ohren klangen Rynolds' Worte wie der schrecklichste Hohn. Sie hatten sich indessen schon einigermaßen mit ihrer gefährlichen Lage vertraut gemacht und ihre Ruhe in so hohem Grade wiedergewonnen, daß weder Jansen noch der Apostel eine Änderung ihrer Gemütsstimmung wahrzunehmen vermochten, selbst auch dann nicht, wenn sie ihre Gesichtszüge einer sorgfältigen Prüfung unterworfen hätten.
Sie waren wieder mit Leib und Seele die finsteren, einsilbigen Mormonen, bei welchen es entweder einer bis zum Fanatismus gesteigerten religiösen Aufregung, oder einer an Tollwut grenzenden Gereiztheit bedurfte, um ihre verschlossenen, gleichsam versteinerten Züge zu beleben.
Jansen unterschied sich in seinem Wesen wenig oder gar nicht von ihnen. Die Beratungen, welchen er in der öffentlichen Versammlung beigewohnt hatte, und welche ausschließlich die ernsten Zeiten betrafen, mochten mit dazu beigetragen haben, ihn noch wortkarger zu machen. Der Apostel dagegen, ein kleiner lebhafter Mann von etwa sechzig Jahren, gefiel sich darin, trotz der bedrohlichen Zukunft ein freudiges und leutseliges Benehmen gegen seine Glaubensgenossen, im Allgemeinen aber ein unerschütterliches Vertrauen auf den Schutz Gottes und auf die Unumstößlichkeit des Mormonenthums zur Schau zu tragen.
In Rynolds nun fand er jemanden, der allerdings nicht so leicht zu fanatisieren war, wie die übrigen Mitglieder der heiligen Herde, der aber, wenn auch nicht aus inniger religiöser Überzeugung, dafür aber mit der Verschlagenheit eines echten Jesuiten sogleich auf alle seine Andeutungen einzugehen wußte und listig die eigene Stimmung nach der des Apostels abmaß. Seitdem Rynolds Elliot und Holmsten in seiner Gewalt wußte, kümmerte es ihn ja nicht weiter, ob ihn dieselben für einen gewissenlosen Betrüger hielten. In der Gunst Jansen's aber hatte er sich im Laufe der Jahre so sehr zu befestigen verstanden, daß es mehr als gewöhnlicher Umstände bedurft hätte, um das Vertrauen, welches derselbe ihm schenkte, wankend zu machen.
Für die Anwesenden selbst zeigte also niemand ein besonderes und auffallendes Benehmen. Es herrschte derselbe Ernst, wie zu allen Zeiten; die Stimmen wurden nicht über das gewöhnliche Maß gehoben; eine zur anderen Natur gewordene Feierlichkeit ruhte auf den Zügen und in den Bewegungen, und mit derselben Feierlichkeit ließen sich auf Holmsten's Einladung alle auf die vor dem Kamin im Halbkreise aufgestellten Stühle nieder.
Man war indessen noch nicht über die ersten einleitenden Bemerkungen hinweggekommen, da änderte der Rauch, der den glimmenden und teilweise noch nicht vollständig ausgetrockneten Holzscheiten in zahlreichen blauen Wolken und Wölkchen entströmte, plötzlich seine Richtung, und anstatt in den weiten, nach oben zu sich verengenden Schlot hineinzuschlagen, erfüllte er in dichten Massen das Gemach.
Hustend und die tränenden Augen reibend, rückten die Männer schleunigst von dem Kamin fort; Holmsten dagegen ergriff ein Schüreisen, und trockene Späne über den Kohlen aufhäufend, gab er sich die größte Mühe, wieder helle Flammen zu erzeugen, die nach seiner Ansicht den Rauch verzehren oder durch den Druck der Wärme wieder in den Schornstein hineintreiben sollten.
Seine Bemühungen erwiesen sich indessen als vergebliche. Es gelang ihm wohl, das Feuer hell aufflackern zu machen, allein wenn früher nur Rauch in die Stube gedrungen war, so folgten jetzt Funken und Aschenstaub nach, so daß auch er sich endlich genötigt sah, wenn er nicht ersticken wollte, sich aus dem Qualm zurückzuziehen.
»So lange das Haus steht, bin ich noch nicht durch Rauch belästigt worden«, rief er keuchend aus, indem er nach den Fenstern hinsprang und dieselben eins nach dem andern emporschob.
»Vielleicht ein Windstoß, der sich in den Schornstein verirrte, oder das Holz ist noch zu grün«, bemerkte der Apostel, sich einem Fenster nähernd, um die durch dasselbe eindringende frische Luft einzuatmen.
»Nein, nein, das ist es nicht«, versetzte Holmsten mit einer Anwandlung von Ungeduld, »draußen regt sich kein Lüftchen, denn seht nur, wie zögernd der Rauch sich in's Freie drängt. Nein, es muß einen anderen Grund haben.«
Kaum hatte er ausgesprochen, da schien es, als habe das Feuer neues Leben erhalten, denn die Flammen schlugen wieder lustig in den Schlot hinein, und ihnen nach folgte allmählich der Rauch, der sich in dem Gemach angesammelt hatte.
Durch Wehen mit Tüchern und Decken gelang es den vereinigten Kräften der fünf Männer, die Atmosphäre in dem Gemach zu reinigen, und da man die Ursache, welche so störend gewirkt hatte, für beseitigt hielt, so nahmen alle wieder auf ihren Stühlen Platz, während Holmsten von einem Fenster zum andern hinschritt und dieselben schloß.
Sobald aber der letzte Flügel in seine alte Lage zurückrollte, strömte der Rauch auch wieder in die Stube hinein, und nicht eher erwies sich dieser Übelstand als gehoben, als bis Holmsten von neuem alle Fenster aufgestützt hatte.
»Ich fürchte, wir werden bei offenen Fenstern zubringen müssen«, sagte Holmsten verdrießlich, zu den Genossen herantretend, die sich wieder im Halbkreise um das Feuer ordneten.
»Die Zugluft trifft uns nicht«, versetzte der Apostel begütigend, »und gegen die eindringende Kälte können wir uns leicht schützen. Ihr habt ja für einen ausreichenden Holzvorrat gesorgt.«
»Ich bedauere nur –«
»Kein Bedauern, kein Bedauern«, fiel der Apostel Holmsten in die Rede, als er sich entschuldigen wollte, »schüren wir das Feuer und vergessen wir nicht, daß die Zeit enteilt.« So sprechend ergriff er das Schüreisen und eifrig störte er die Glut auf, während Holmsten noch einige starke Blöcke leicht brennenden Zedernholzes über die weißglühenden Kohlen aufschichtete.
Nach wenigen Minuten herrschte eine so angenehme Temperatur in dem Gemach, daß man das Eindringen der kalten Nachluft gar nicht mehr fühlte. Der Schein der hoch auflodernden Flammen verdrängte das matte Licht der auf dem Tische stehenden Lampte, und je größere Helle sich in dem Gemach verbreitete, um so schwärzer und undurchdringlicher erschien die schwarze Finsternis, welche hinter den geöffneten Fenstern lag und diesen den eigentümlichen Charakter von gähnenden Abgründen verlieh.
Finstere, fanatisierte Männer unterhielten sich über Tod und Blutvergießen, wie über alltägliche und ganz gewöhnliche Dinge, und dazwischen rezitierten sie fromme Bibelsprüche und andere, die auf Krieg und Märtyrtum Bezug hatten. Oben auf dem schrägen Schindeldach aber, neben dem engen Schornstein, der aus dem Kamin der eben beschriebenen Stube in's Freie führte, kauerte, wie ein neckischer Geist der Unterwelt, John, der gewandte Delaware.
Es war ihm ein leichtes gewesen, mit Hilfe seiner Gefährten nach dem einstöckigen Häuschen hinauf zu gelangen; zu welchem Zweck, das verriet die wollene Decke, die auf dem Rande des Schornsteins hing, und die er mit leichter Mühe über die schwarze, dampfspeiende Röhre hing, sobald er das Geräusch vernahm, mit welchem die geöffneten Fenster niedergelassen wurden.
Unter dem Giebelfenster dagegen, hart an die Mauer gedrängt, so daß ein zufällig in's Freie gesendeter Blick über ihn hinstreifen mußte, lag Falk, während Sikitomaker sich in ähnlicher Weise vor das dem Kamin am nächsten befindliche Vorderfenster hingestreckt hatte.
Sie vernahmen dort fast jedes Wort, welches in dem Gemach gesprochen wurde, und wenn ihnen auch hin und wieder die leiser gemurmelten Stellen der Unterhaltung entgingen, so vermochten sie doch dieselben aus dem Vorhergegangenen und dem Nachfolgenden zu ergänzen. –
»Nachdem wir an dem heutigen Abend in der Mitte der Apostel und Ältesten und unter dem Vorsitz des Propheten unsere Beschlüsse, betreffs einer energischen Kriegführung und des Verwerfens der von den Gentiles gemachten entwürdigenden Vorschläge und Bedingungen, gefaßt haben, meine Brüder im Glauben, dürfte es wohl angemessen sein, unsere Aufmerksamkeit auch einzelnen Privat- und Familien-Angelegenheiten zuzuwenden«, begann der Apostel, nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten und eine weitere Störung durch den Rauch nicht mehr zu befürchten war. »Ich komme zu Euch, mit dem Segen und im Auftrage unseres Propheten, um Eure Ansichten zu erwägen, so weit es tunlich, in seinem Namen die nötigen Anordnungen zu treffen und ihm demnächst Bericht über das Resultat unserer Beratung abzustatten.«
Die vier Zuhörer erklärten durch zustimmende Zeichen und einzelne Worte, daß sie bereit seien, den von dem Propheten erlassenen Befehlen nachzukommen, und der Apostel fuhr fort:
»Da es im Interesse unserer Kirche wie unserer Politik liegt, die Gewalt, namentlich die Gewalt, welche durch Reichtum begründet wird, in solchen Händen zu wissen, welche dieselbe auch weise zur Ehre Gottes und unserer Gemeinde zu gebrauchen verstehen, so erklärt sich der Prophet vollkommen damit einverstanden, er fordert sogar, daß die Nichte unseres treuen Bruders Jansen unserm Bruder Elliot, dem Kommandanten von Fort Utah, als seine rechtmäßige Gattin angesiegelt werde. Ihr, die Ihr Euch hier versammelt habt, seid die einzigen, denen es freisteht, Einwände zu erheben, Einwände, denen vor höchster Seite Beachtung geschenkt werden würde. Ich frage daher nochmals an, ob Eure Wünsche mit den Ansichten des Propheten im Einklänge stehen?«
Alle äußerten sich in beifälliger Weise, doch konnten Elliot und Holmsten nicht umhin, mit einer Art von Beklemmung Rynolds zu beobachten, als derselbe nur einfach nickte und mit der Miene größter Unbefangenheit in's Feuer schaute.
»Es ist gut«, fuhr der Apostel fort, indem er ein Buch aus der Tasche zog und etwas in dasselbe niederschrieb.
»Wie groß ist das Vermögen des Mädchens?« fragte er sodann, sich an Rynolds wendend.
»Die Gesamtmasse beträgt gegen hundertundsechzigtausend Dollar«, antwortete dieser im Geschäftstone, »doch würden davon noch sechzigtausend oder etwas mehr auf den Erben der verstorbenen Schwester fallen.«
»Also auf Euch?« fragte der Apostel Holmsten, und wiederum schrieb er einige Worte in sein Taschenbuch ein.
Holmsten bejahte die Frage, doch entging es Rynolds nicht, daß er befangen wurde und seinem Blick zu begegnen vermied.
»Die kleinere Hälfte würde also schon, ohne weiteres Dazutun, in der Salzsee-Stadt untergebracht werden«, sagte der Apostel, nachdem er eine Weile nachgesonnen hatte; »das genügt indessen nicht. Wie unsere Stadt der Mittelpunkt ist, um welchen sich die Heiligen der letzten Tage scharen und ansiedeln, so soll sie auch der Mittelpunkt des Glanzes und des Reichtums sein. Ihr werdet daher innerhalb kurzer Zeit den Befehl erhalten, hierher überzusiedeln«, wendete er sich an Elliot. »Meldet nur, zu wann Ihr Eure Vereinigung mit dem jungen Mädchen festgesetzt habt, damit darauf Rücksicht genommen werden kann. Je eher, je lieber; denn die Geschäfte häufen sich, und es ist vorauszusehen, daß die nächste Antwort auf unser Ultimatum, welche kaum noch drei Wochen ausbleiben kann, vom Donner der Geschütze begleitet sein wird.«
»Die Wahl des Zeitpunktes der Verbindung soll meiner Nichte überlassen bleiben«, versetzte Jansen, den es unangenehm berührte, daß hier so frei über die Tochter seines Bruders verfügt wurde.
»Und wenn sie die Wahl noch auf Jahre hinausschiebt?« fragte der Apostel schnell in vorwurfsvollem Tone, »wenn sie die Wahl hinausschiebt, bis der Tod dereinst ihren Lebensfaden durchschneidet, wer soll dann verantwortlich gemacht werden für ihr Seelenheil? Nein, mein Bruder, Ihr habt zu bestimmen, und möget Ihr den Tag so nahe wie möglich ansetzen, damit wir außer Besorgnis über das sein können, was ihr im andern Leben bevorsteht.«
»Ihr habt recht«, antwortete Jansen, und ein leichter Schauder durchrieselte ihn, als habe er alle Gedanken an irdische Rücksichten abschütteln wollen, während ein wildes, schwärmerisches Feuer aus seinen Augen leuchtete. »Ich werde mit meiner Nichte Rücksprache nehmen und sie, im Falle sie Bedenken hegen sollte, zu beeinflussen wissen. Verlaßt Euch auf mein Wort, sie wird sich nicht weigern, sie ist fromm, sie ist unverdorben, und wenn es sich darum handelt, ihre Seele von der ewigen Verdammnis zu retten, dann ist es meine heilige Pflicht, zu den äußersten Mitteln zu greifen, zu welchen mich meine Stellung als Vormund und Onkel berechtigt.«
»Ihr seid stark im Glauben, mein Bruder«, versetzte der Apostel, indem er Jansen feierlich die Hand reichte, »Ihr seid ein wahrer Streiter in dem auserwählten Heere des Erlösers, und schon in dieser Welt werdet Ihr den Lohn für Eure fromme Hingebung empfangen.«
Um Rynolds' Lippen spielte ein feines, kaum bemerkbares Lächeln, als er diese prahlenden Worte vernahm und zugleich bemerkte, welchen Eindruck sie auf die drei übrigen Männer ausübten. Für ihn gab es ja weder ein Mormonentum, noch irgend eine andere Religion. Er hatte sich die Aufgabe gestellt, die Verirrungen und Verblendungen anderer Menschen zu seinem eigenen Vorteil auszubeuten, und woran ihn in seinem Heimatlande die Gesetze hinderten, das hoffte er hier in der Fremde ungestraft auszuführen. Nach dem Golde seiner Schutzbefohlenen stand schon seit Jahren sein Sinn, und kaum am Salzsee angekommen, spielte ihm der Zufall die Mittel in die Hand, wenigstens einen beträchtlichen Teil desselben sich aneignen zu können. Er glaubte ein begünstigendes Lächeln der Glücksgöttin zu erkennen, und indem er sich für einen Liebling derselben ansah, wuchs auch sein Vertrauen auf seine List und seine Kühnheit, mit welcher er an die weitere Ausführung seiner langgehegten Pläne zu gehen gedachte. Vertraute und Freunde, auf deren Hilfe er zählen durfte, besaß er nicht, dafür hatte er aber auch keinen Verrat zu befürchten, und seine ehrgeizigen Wünsche reichten ja, neben seinem Durst nach Schätzen, hoch hinauf, höher noch, als er selbst es sich zuzugestehen wagte. –
Niemand hatte auf sein Mienenspiel geachtet, und wenn Elliot oder Holmsten es bemerkt hätten, so würden sie es gewiß als ein Zeichen höhnischen Triumphes gedeutet haben, welchen er darüber empfand, sie nunmehr, unbeschadet seiner eigenen äußeren Würde, nach Willkür knechten und pressen zu dürfen.
Das Schweigen, welches auf die zwischen dem Apostel und Jansen stattgefundenen Erörterungen folgte, schien Rynolds zuerst drückend zu werden, denn er wendete sich plötzlich mit der Frage an den Apostel, was an höchster Stelle über den in Fort Utah befindlichen Gefangenen beschlossen worden sei.
»Die Hand Gottes hat diesen jungen Abenteurer in unsere Gewalt gegeben«, antwortete der Apostel mit Salbung; »Vorläufig ist derselbe festzuhalten. Man weiß nicht, zu welchem Zwecke er noch verwendet werden kann, ob zum Auswechseln, oder zum Erschießen, im Falle es angemessen erscheinen sollte, Repressalien zu üben, denn Aug' um Auge, und Zahn um Zahn, spricht der Herr.«
»Sind von Seiten unserer Feinde noch keine Nachforschungen nach ihm angestellt worden?« fragte Jansen mit seiner tiefen, eine gefährliche Entschlossenheit verkündenden Stimme.
»Bis jetzt noch nicht, und es ist kaum wahrscheinlich, daß überhaupt solche nach ihm angestellt werden«, antwortete der Apostel, einen fragenden Blick auf Jansen werfend.
»Wohlan, so weiß niemand um seine Gefangenschaft, wir können ihn, ohne Besorgnis vor neuen Verwickelungen, bis nach dem wirklichen Ausbruch des Krieges in Gewahrsam behalten«, entgegnete Jansen.
»Wir haben aber die volle Berechtigung, ihn jetzt schon als Spion zu betrachten«, bemerkte Elliot, und in seinen ehernen Gesichtszügen prägte sich so viel Haß und Rachedurst aus, daß selbst Rynolds dabei ein unheimlich ängstliches Gefühl beschlich.
»Nicht nur die Berechtigung«, fügte Jansen hinzu, »sondern ich halte auch in meinen Händen die Beweise, daß er feindliche Absichten schon lange vor seinem Eintreffen am Salzsee gegen die freie Gemeinde der Mormonen hegte und nur verräterische Absichten ihn zu der Reise bewegten, zu welcher er als Seeoffizier gewiß nie in seinem Leben kommandiert worden wäre.«
»Beweise?« fragte der Apostel verwundert.
»Ja, Beweise«, bekräftigte Jansen; »doch, sie kommen nicht aus meinem Besitz. Die Beweise sind der Art, daß das Urteil jeden Augenblick an ihm vollzogen werden könnte. Jedoch erst im entscheidenden Augenblick gedenke ich, Gebrauch davon zu machen. Vielleicht bleibt es mir erspart, mit so durchgreifenden Mitteln gegen den sinnlosen jungen Abenteurer aufzutreten; er gehört ja zu denjenigen, welchen wir unsere Rettung verdanken, weshalb ich ihn lieber ausgewechselt sehen möchte.«
Offenbar verletzte es den Apostel, daß ein Mitglied der Gemeinde etwas vor ihm verbarg, denn er enthielt sich fernerer Bemerkungen und schaute nachdenklich in's Feuer, während er mit dem noch in seiner Hand befindlichen Eisen mechanisch zwischen den Kohlen schürte.
»Trotz der Beweise würde aber doch immer das Urteil einer Bestätigung des Propheten bedürfen«, sagte er endlich mit schlauer Berechnung.
»Die Bestätigung nicht allein, sondern vielleicht sogar der Befehl dazu würde meiner dienstlichen Anzeige folgen«, entgegnete Jansen, ohne die Mißstimmung des Apostels weiter zu beachten. »Glaubt mir, es liegt in unser aller Interesse, wenn ich mit meiner Anklage noch zurückhalte; und wissen einzelne meiner Freunde auch, um was es sich handelt, ihre Anklagen würden ohne die erwähnten Beweismittel den hohlen Tönen des Erzes gleichen. Ihr mögt aber fest darauf bauen, keine Rücksichten, sogar nicht der Umstand, daß er uns aus dem Schiffbruch retten half, würden mich dazu bewegen, Gnade für Recht ergehen zu lassen, wenn es dem Seelenheil auch nur eines einzigen Schafes der auserwählten Herde des Herrn gilt. Mag Feuer und Schwert unser Tal heimsuchen, mögen sogar die Hände unserer Weiber und Kinder von dem Blute der Amalekiter gerötet sein, um so herrlicher wird das neue Zion aus Staub und Asche erstehen, und um so glanzvoller der Tempel des Erlösers über den Erdball strahlen.«
Während Jansen, ergriffen von religiöser Wut, sich in eine Art von Verzückung hineinredete und die in seiner Brust laut werdenden milderen Gefühle sogleich wieder erstickte, hatte der Apostel allmählich seine Augen zu ihm erhoben, und ein Ausdruck des Verständnisses glitt über sein schlaues Gesicht, als er vernahm, daß Jansen die mögliche Vollstreckung des Todesurteils gewissermaßen von der Errettung einer Seele von der ewigen Verdamnis abhängig machte.
»Ich will Euch sagen, was Euch noch fehlt«, sagte er dann langsam. »Es fehlt Euch ein ausgefertigtes Urteil, welchem Ihr nur Namen, Tag und Stunde hinzuzufügen braucht, um mit Nachdruck drohen zu können.«
»Ja, das ist es!« rief Elliot aus, und der von einem jähen Schrecken ergriffene Maler, der sich an dem Fenster, um besser zu hören, auf die Kniee erhoben hatte, glaubte das Knirschen seiner Zähne zu vernehmen; »verschafft mir ein solches Urteil und ich stehe dafür ein, was mir jetzt manchmal in unerreichbare Ferne gerückt erscheint, wird zu unser aller Zufriedenheit endigen.«
Indem er so sprach, suchte er Rynolds' Augen, um ihm zu verstehen zu geben, daß ihm sowohl wie Holmsten diese Versicherung gelte. Es wurde von beiden auch so aufgefaßt, denn die düsteren nachdenkenden Züge der letzteren erhellten sich flüchtig, während Rynolds ohne Scheu, zum Zeichen, daß er mit dieser Erklärung zufrieden sei, offen und zustimmend nickte.
Jansen dagegen war erbleichend auf seinen Stuhl zurückgesunken, und mächtig arbeitete seine Brust unter den widerstrebenden Gefühlen, welche ihn bestürmten. Doch der Kampf in seinem Innern wurde schnell entschieden, als er plötzlich die vorwurfsvollen Blicke Rynold's auf sich gerichtet sah. Der auf künstliche Art wach gehaltene Fanatismus siegte über alle Bedenklichkeiten. Aber er wurde noch finsterer und verschlossener, und das Haupt sinnend auf die Brust neigend, schien er sich an der ferneren Beratung nicht mehr beteiligen zu wollen.
»Ich werde sehen, was sich tun läßt«, erwiderte der Apostel, der hier eine willkommene Gelegenheit sah, die Genossen an sein Übergewicht zu erinnern. »Wird Euch das Verlangte zugestellt, so betrachtet es als einen Beweis des unbedingtesten Vertrauens, welches in Eure Umsicht gesetzt wird; denn Ihr werdet einräumen, meine teuren Brüder, eine solche Vollmacht in den Händen von Leuten, die ihre Leidenschaften nicht vollständig zu beherrschen verstehen, ist eine sehr gefährliche Waffe, eine Waffe, deren Schneide bei unbesonnenem Gebrauch sehr leicht gegen unsere Kirche gewendet werden kann«.
»Wir sind Mormonen und Männer, die im Kampfe gegen die Verhältnisse ihre Leidenschaften beherrschen lernten«, versetzte Elliot mit kalter Ruhe.
»Gewiß, gewiß«, pflichtete der Apostel bei, »was Ihr unserer Kirche seid, bleibt unvergessen; besäßen alle Männer, die wir zählen, nur die Hälfte Eurer Willenskraft, so dürften wir mit weniger Besorgnis der nächsten Zukunft entgegensehen«.
Für Falk hatte dieses kein Interesse mehr, doch wagte er nicht, sich von der Stelle zu rühren, aus Besorgnis, durch ein zufällig erzeugtes Geräusch eine Entdeckung herbeizuführen und in Folge dessen dem gefangenen Freunde den letzten Weg der Befreiung abzuschneiden.
Erst nach Verlauf einer weiteren halben Stunde, als Holmsten abermals einen Versuch mit dem Schließen der Fenster machte, ohne daß dadurch die Stube sich mit Rauch angefüllt hätte, änderte er seine gezwungene Stellung. Er schloß sich darauf dem jungen Delawaren an, der, seine Aufgabe auf dem Dache als beendigt betrachtend, wieder geräuschlos hinuntergestiegen und an seine Seite geschlichen war.
Schnell gelangten sie sodann in den an dem Garten vorbeiführenden Weg, wo sie von dem vorausgeeilten Biber erwartet wurden, doch zogen sie sich nur so weit in der Richtung nach dem Flusse zurück, daß sie, ohne von dem Hause aus entdeckt zu werden, über ihre weitere Handlungsweise beratschlagen konnten.
Sie waren noch zu keinem bestimmten Entschlusse gelangt, da öffnete sich die Tür von Holmsten's Haus, und vor dem schwachen Lichtschimmer erkannten sie deutlich, daß der Apostel, Jansen, Elliot und Rynolds sich verabschiedeten, während Holmsten mit der Lampe in der Tür stehen blieb und ihnen von dort aus durch den Garten nachleuchtete.
Die kleine Pforte fiel in's Schloß, der Apostel rief noch ein sehr leutseliges Lebewohl zurück, welches Holmsten mit entsprechender Höflichkeit erwiderte, und gleich darauf verschwand letzterer im Innern des Hauses. Die Tür wurde mit lautem Geräusch zugeworfen und dann nicht nur der Schlüssel zweimal im Schloß umgedreht, sondern auch noch eben so geräuschvoll zwei Riegel von innen vorgeschoben.
Die Delawaren und Falk beabsichtigten, jetzt nur noch so lange zu warten, bis die Mormonen sich ein wenig entfernt haben würden, um dann gleichfalls den Rückzug anzutreten, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich wieder nach dem Hause hinübergelenkt wurde. Sie entdeckten nämlich, daß in dem Gemach, in welchem die Beratung stattgefunden hatte, jemand das Licht auslöschte. Da aber das Kaminfeuer noch immer einige Helligkeit verbreitete, so konnte es auf keiner Täuschung beruhen, als sie eine männliche Gestalt zu bemerken glaubten, welche das eine Fenster in die Höhe schob, mit vorsichtiger Bewegung durch dasselben in den Garten hinausstieg und danach ebenso behutsam das Fenster wieder niederzog.
Gleich darauf verschwand die Gestalt im Schatten, doch hörte sie in der nächsten Minute, daß die Gartenpforte leise geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Wohin die Gestalt, in welcher sie Holmsten errieten, sich bewegte, vermochten sie nicht zu unterscheiden, weil die schwarzen Häusermassen den Hintergrund bildeten. Sie vermuteten indessen, daß er eine dringende Veranlassung habe, seinen Genossen unbemerkt nachzufolgen, und da sie hofften, aus einer Beobachtung seines heimlichen Treibens Vorteil für ihre eigenen, zum Besten Weatherton's gefaßten Pläne zu ziehen, so kamen sie überein, ihm nachzuschleichen und ihn nicht eher wieder aus den Augen zu lassen, als bis er nach seiner Wohnung zurückgekehrt sein würde.
Obwohl Holmsten seine Schritte nach besten Kräften beschleunigte, gelangten Falk und seine gewandten Gefährten doch nach kurzer Zeit so dicht hinter ihn, daß über seine Person kein Zweifel mehr bestehen konnte, zugleich überzeugten sie sich aber auch, daß sein Spähen den übrigen Mormonen galt, deren Stimmen dumpf und undeutlich zu ihnen herüberdrangen.
Die verschiedenen Parteien verfolgten also denselben Weg, auf welchem John einige Stunden früher Rynolds nach Holmsten's Wohnung nachgespäht hatte. Die vier vordersten Mormonen bewegten sich nur langsam dahin, weshalb es wohl eine Viertelstunde dauerte, ehe sie die vor der weiter abwärts gelegenen Brücke mündende Straße erreichten. Dort nun blieben sie, ehe sie sich in die Stadt hineinwendeten, einige Minuten stehen, wie um über irgend einen Gegenstand ihre voneinander abweichenden Meinungen auszutauschen, und mit ihnen standen regungslos Holmsten und, etwa dreißig Schritte hinter diesem, die spähenden Delawaren mit ihrem weißen Gefährten.
Als der Apostel und seine Begleiter und danach Holmsten ihren Weg in die Stadt hinein wieder fortsetzten und ihre Verfolger bei der Straßenecke anlangten, schlichen Falk und der Schwarze Biber nach der andern Seite der Straße hinüber, wo sie etwas weiter zurückblieben, während John so dicht an Holmsten heranglitt, wie er es ohne Gefahr, entdeckt zu werden, wagen durfte.
In dieser Ordnung bewegte sich sodann die ganze Gesellschaft über die nächsten zwei Querstraßen fort. Bei der dritten endlich blieb die vorderste Abteilung wieder einige Minuten stehen, worauf man sich voneinander trennte, um sich nach den in verschiedenen Richtungen liegenden Wohnungen zu begeben.
Der Apostel und Jansen folgten der Straße noch weiter aufwärts; Rynolds und Elliot dagegen bogen nach rechts in die Querstraße ein, in welcher sie ihren Weg mit vergrößerter Eile fortsetzten.
Nach Zurücklegung von ungefähr hundert Schritten, auf welcher Strecke kein einziges Wort gewechselt wurde, blieb Elliot plötzlich stehen.
»Dies ist das Haus, in welchem ich bei einem alten Freunde mein gewöhnliches Absteigequartier habe, wenn Geschäfte mich nach der Salzseestadt führen«; sagte er, indem er dicht an das nächste Haus herantrat und laut an die Tür pochte.
»So wünsche ich Euch denn angenehme Nachtruhe«, bemerkte Rynolds in sarkastischem Tone, indem er sich Elliot noch einmal näherte; »hoffentlich werdet Ihr meiner in Euern Träumen gedenken und einen Entschluß zu meinen Gunsten fassen. Ihr waret sehr schweigsam heute Abend, schweigsamer, als man sonst gegen seine guten Freunde zu sein pflegt. Bei unserer nächsten Zusammenkunft müßt Ihr gesprächiger sein und nicht vergessen, daß ich durch weise Verwaltung nicht wenig dazu beitrug, die Mitgift Eurer neuen Zukünftigen ansehnlich zu vermehren, und daher wohl verdiene, etwas berücksichtigt zu werden«.
Elliot knirschte vor Wut mit den Zähnen, und seine Finger umschlossen den Türgriff so krampfhaft, als wenn er denselben hätte aus dem Schloß herausdrehen wollen. Eine seinen Gefühlen entsprechende Antwort schwebte auf seinen Lippen; doch fürchtete er, Rynolds noch mehr gegen sich zu erbittern. Da kam ihm der Wirt des Hauses in seiner peinlichen Lage zu Hilfe, indem derselbe den Riegel zurückschob und mit einem Licht in der geöffneten Tür erschien.
»Gute Nacht«, sagte Elliot, Rynolds mürrisch die Hand reichend.
»Auf Wiedersehen«, antwortete dieser spöttisch.
Elliot trat ein, die Tür schloß sich und Rynolds befand sich wieder im Dunkeln und allein.
Er mußte glauben, ein gutes Tagewerk vor sich gebracht zu haben, denn indem er die Straße weiter hinunterschritt, lachte er behaglich vor sich hin, und gleich darauf begann er eine so lustige Melodie vor sich hinzusummen, wie sie in so ernster Zeit wohl selten in der Salzsee-Stadt gehört wurde.
Plötzlich stand er still, und besorgt lauschte er rückwärts. Er glaubte dicht hinter sich Schritte vernommen zu haben, und da es eine alte Gewohnheit von ihm war, sich den Rücken immer frei zu halten, so wartete er, um den später Wanderer bei sich vorübergehen zu lassen.
Derselbe näherte sich schnell, und bald unterschied er eine hohe Gestalt, die sich gerade auf ihn zu bewegte, in Folge dessen er mechanisch die Hand auf den Griff des in seiner Tasche steckenden Revolvers legte.
»Ich muß Euch durchaus noch in dieser Nacht sprechen«, sagte Holmsten leise, indem er dicht vor Rynolds hintrat, dem bei dem Klang der bekannten Stimme eine Zentnerlast von der Brust sank; »ich habe keine ruhige Minute, ehe die bewußte Angelegenheit zwischen uns nicht vollständig geordnet ist –«
»Aber ohne Elliot?« fragte Rynolds überrascht.
»Ja, ohne Elliot«, antwortete dieser, sich scheu umsehend, »hätte ich ihn zum Zeugen unserer Unterredung haben wollen, so wäre es mir ein leichtes gewesen, Euch schon in meinem Hause von meinen Wünschen in Kenntnis zu setzen. Ich schlich Euch heimlich nach, um Euch wichtige Mitteilungen zu machen. Ihr müßt auf alles vorbereitet sein, ehe Ihr wieder mit ihm zusammentrefft. Aber kommt, kommt; laßt uns nicht auf der selben Stelle stehen bleiben; die Mauern haben Ohren, wir müssen frei um uns schauen können«.
»Aber wohin wollt Ihr mich führen?« fragte Rynolds befremdet, als Holmsten mit der Hand unter seinem Arme durchfuhr und sodann, ihn mit sich fortziehend, den Rückweg einschlug.
»Nach meinem Hause«, antwortete Holmsten flüsternd; »dämpft Eure Stimme, bis wir an Elliot's Wohnung vorbei sind, der Zufall könnte ihn an's Fenster geführt haben«.
»Es wäre vergebliche Mühe, Eurem Scharfsinn gegenüber leugnen zu wollen, daß zwischen Elliot und mir wirklich ein geheimer Vertrag besteht«, sagte Holmsten, sobald sie weit genug von Elliot's Wohnung entfernt waren, um von dort aus nicht mehr gehört und gesehen zu werden. »Der Vertrag besteht in der Tat, und da Ihr demselben auf die Spur gekommen seid, so finde ich es Eurem Charakter entsprechend, daß Ihr Vorteil daraus zu ziehen sucht«.
»Wenn Elliot gerade so dächte, so würde es keiner großen Vereinbarungen mehr zwischen uns bedürfen«, bemerkte Rynolds mit geheuchelten Gleichmute. »Ein paar Worte von jeder Seite, ein kleines Schriftstück und drei Unterschriften, und alles wäre beseitigt«.
»Glaubt Ihr, ich würde mich dazu verstehen, Euch eine namhafte Summe für Euer Schweigen auszuzahlen, wenn ich einen andern Ausweg wüßte?« fragte Holmsten mit verhaltenem Grimm.
»Ich müßte Euch schlecht kennen, wollte ich Euch dergleichen liberale Gesinnungen zutrauen«, antwortete Rynolds, dem das offene Geständnis viel besser gefiel, als wenn der sonst so verschlossene Mormone ihm mit einer unnatürlichen, gleißnerischen Freundlichkeit entgegengetreten wäre.
»Wohlan«, fuhr Holmsten in derselben Weise fort, »der Zwang, welchem ich unterworfen bin, hat eine ganz ähnliche Wirkung auf Elliot. Auch er wird sich, kann sich nicht weigern, auf Eure Bedingungen einzugehen, vorausgesetzt, dieselben sind nicht so hoch gespannt, um dadurch unannehmbar zu werden«.
»Fürchtet nichts, ich bin sehr bescheiden in meinen Forderungen«.
»Es kommt darauf an, was Ihr bescheiden nennt, doch davon später; es handelt sich jetzt darum, daß mir, dem doch ein bedeutend kleinerer Anteil von der Erbschaft zufällt, auch geringere Verbindlichkeiten gegen Euch obliegen«.
»Ich glaube kaum; die beiden Schwestern sind ganz gleich bedacht worden, und was Elliot's Braut jetzt mehr erhält, das hat Euere verstorbene Frau schon im voraus bezogen«.
»So lautet das Urteil jetzt, es wird aber anders lauten, wenn Ihr einen Blick in einige Dokumente geworfen habt, die ich unter dem Nachlaß meiner Frau entdeckte, und von deren Wichtigkeit sie keinen Begriff gehabt zu haben scheint«.
»Dokumente?« fragte Rynolds, indem er vor Erstaunen stehen blieb.
»Dokumente, kraft deren meiner verstorbenen Frau, als der ältesten Tochter, noch einige besondere Vorrechte eingeräumt waren«, antwortete Holmsten, sich wieder in Bewegung setzend.
»Hier herum, hier herum«, versetzte Rynolds plötzlich, als er gewahrte, daß sein Gefährte, anstatt die Richtung nach seinem Hause einzuschlagen, dem über die Brücke führenden Wege nachfolgte.
»Laßt nur«, beruhigte Holmsten, »ich habe Euch noch viel, sehr viel mitzuteilen, wir gehen den Fluß entlang, wo wir überzeugt sein dürfen, von niemand belauscht zu werden. In meinem Hause kann ich nicht dafür einstehen, daß meine Frau, befremdet durch Euern späten Besuch, nicht dem natürlichen Triebe der Neugier nachgibt und uns belauscht; und ihr wißt ja, Weiber bleiben Weiber –«
»Also Dokumente?« unterbrach Rynolds seinen Begleiter, denn die unerwartete Kunde hatte ihn in eine so fieberhafte Spannung versetzt, daß er alles andere darüber vergaß und an weiter nichts mehr dachte, als näheres über die ihm unbekannten Schriftstücke zu erfahren. »Glaubte ich doch, die Familienverhältnisse der beiden Mädchen so genau zu kennen«, fuhr er nach kurzem Sinnen fort, »und dennoch sind Dokumente aufgefunden, von deren Vorhandensein ich nichts weiß? Sonderbar, sonderbar; wer dieselben wohl vor mir verborgen gehalten haben mag? Aber sagt vor allen Dingen, worauf beziehen sie sich und wie gedenkt Ihr dieselben zu verwerten?«
»Worauf sie sich beziehen, sollt Ihr nachher selbst lesen, und zu verwenden gedenke ich sie derartig, daß die an Euch zu zahlende Summe nicht von dem mir zufallenden Gelde, sondern von dem Elliot's zu entrichten ist. Durch Euer Eingehen auf meine Wünsche dürfte auch Euch ein höherer Gewinn berechnet werden können.«
»Sehen, sehen, lieber Freund, sehen muß ich die Dokumente, ehe ich über deren Wert zu urteilen vermag, entgegnete Rynolds, sich mit berechneter Schlauheit vertrauensvoll an Holmsten's Arm anschmiegend, innerlich aber triumphierend, daß derselbe sich so rücksichtslos immer tiefer in seine Gewalt gab.
»Ihr sollt sie ja sehen«, versetzte Holmsten wie erzürnt über Rynolds' Ungeduld, »es ist aber für meine eigene Sicherstellung unerläßlich, vorher über einzelne Punkte mit Euch Rücksprache zu nehmen; so zum Beispiel: ob eine zugleich mit Zahlen und Buchstaben angegebene kleinere Summe sich in eine größere, in eine bedeutend größere verwandeln läßt.«
»Ihr wollt mich aufs Glatteis führen?« fragte Rynolds, der, obgleich bebend vor Erwartung, eine ihm gestellte Falle vermutete.
»Seid kein Tor«, antwortete Holmsten mit tiefer, hohler Stimme, die auf eine schreckliche Gemütsbewegung deutete. »Ihr traut mir nicht und überseht, daß ich mit meinen Vorschlägen mich vollständig auf Gnade und Ungnade in Eure Hände gebe. Doch hört, die Bevorzugungen, auf welche in den erwähnten Dokumenten hingewiesen wird, beziehen sich eben nur auf Kleinigkeiten –«
»Worauf?« fragte Rynolds heftig erregt, sich wieder dichter an Holmsten herandrängend und an dessen Seite, ohne auf den Weg zu achten, gerade auf die Brücke zuschreitend. Was nun weiter zwischen den sich gegenseitig feindlich gesinnten Genossen, die einer den andern zu hintergehen trachteten, erörtert wurde, mußte ihnen über alles wichtig erscheinen und ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erheischen, denn sie sprachen jetzt nur noch in flüsterndem Tone, und immer langsamer wurde der Schritt, in welchem sie sich der Brücke näherten.
In sicherer Entfernung hinter ihnen aber folgten Falk und die Delawaren. Dieselben hatten es aufgegeben, irgend etwas von der Beratung der beiden Männer zu erlauschen, und wünschten nur noch unbemerkt über die Brücke zu gelangen, um sich dann zu ihren Pferden und nach ihrer Insel hinzubegeben.
In der Erwartung, daß die beiden Mormonen von der Brücke abbiegen und ihnen den Weg frei machen würden, waren sie unwillkürlich so dicht an sie herangeschlichen, daß sie die schwarzen Umrisse ihrer Gestalten zu unterscheiden vermochten und sogar ihre leise murmelnden Stimmen vernahmen. Zu dem Murmeln der Stimmen gesellte sich aber das Plätschern des Flußes, der sich eilfertig unter der Brücke durchdrängte und seinen gewundenen Weg gegen Norden verfolgte. Das Schneewasser der Gebirge hatte ihn angeschwellt, doch nicht so sehr, daß er sein ganzes Bett ausgefüllt hätte; aber das Geräusch, welches er erzeugte, indem er dahinschoß, verriet, daß in seiner Strömung eine Kraft verborgen sei, die das Durchwaten gefährlich und an manchen Stellen sogar unmöglich mache.
Zu ihrer größten Überraschung entdeckten sie, daß die beiden nächtlichen Wanderer nicht, wie sie vermutet hatten, auf dem Ufer des Jordan hinunterschritten, sondern sich langsam nach der Brücke hinaufbewegten.
Auf der Mitte derselben blieben sie plötzlich stehen und Rynolds ' etwas gehobene Stimme drang zu den verborgenen Spähern herüber.
»Über die Brücke? Wohin wollt Ihr mich denn eigentlich führen?« rief er befremdet aus.
»So vertieft in die Unterhaltung« – antwortete Holmsten mit erheuchelter Zerstreutheit, »doch –«
»Kommt, kommt«, unterbrach ihn Rynolds ängstlich, »laßt uns nach Euerm Hause gehen, die Nacht ist kalt und unfreundlich«.
»Nur auf ein Wort«, versetzte Holmsten, ohne sich von der Stelle zu bewegen, und, seine Stimme klang röchelnd und zitternd; »ich mache Euch einen letzten Vorschlag; tausend Dollar von mir, tausend Dollar von Elliot, und ewiges, unverbrüchliches Schweigen von Eurer Seite«.
»Nicht hier«, antwortete Rynolds, »Euer Anerbieten kann überhaupt nur auf einem Scherz beruhen; aber nicht hier, ich bitte Euch!«
»So geht Eures Weges!« zischte Holmsten vor Wut zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hindurch.
Was dann noch weiter vorging, das vermochten weder die Delawaren noch Falk zu unterscheiden. Sie hörten die Bewegung eines Davonschreitenden, gleich darauf die mit entsetzlicher Todesangst ausgestoßenen Worte: »Alles sollt Ihr!« – die von zwei rasch aufeinander folgenden dumpfen Schlägen erstickt wurden; es folgte ein schwerer Fall auf die Planken der Brücke und in die eilenden Fluten, die sich rauschend auseinander teilten, und dann herrschte ringsum mehrere Minuten hindurch die unheimliche Stille des Grabes. Nur der Jordan plätscherte lauter und unwilliger um einen nicht ganz von den Fluten bedeckten Leichnam herum. Er plätscherte, als habe er denselben nur mit dem größten Widerstreben in sich aufgenommen, oder als wenn er den Mörder, der, über das Brückengeländer geneigt, in die schwarze Tiefe hinabstierte, an die dereinstige Vergeltung hätte mahnen wollen. –
Bei dem ersten Zeichen von einer Gewalttätigkeit war Falk aus seiner gebückten Stellung emporgeschnellt. Fast gleichzeitig legte sich aber auch John's Hand auf seinen Mund; während ihn der Schwarze Biber niederzog und ihm die Worte: »zu spät« zuflüsterte.
Er sah ein, daß es wirklich zu spät sei, den schon geschehenen Mord noch zu verhindern; er sah ein, daß ihm möglicherweise die Rettung des Freundes nicht nur erschwert, sondern auch sogar gänzlich abgeschnitten werden könne, wenn er öffentlich als Zeuge oder Ankläger auftrete, und willenlos ließ er es sich gefallen, daß die Delawaren ihn wie einen Gefangenen zwischen sich hielten.
»Gott, mein Gott, wohin ist es mit mir gekommen!« stöhnte es jetzt von der Brücke zu ihm herüber.
Minuten waren erst seit Ausübung der schwarzen Tat verstrichen, und schon peitschten Holmsten die Furien seines Gewissens über Felder und durch Gärten dahin.
Als Holmsten's Schritte in der Ferne verhallt waren, sprangen Falk und seine indianischen Freunde empor, und von dem gleichen Gedanken beseelt, eilten sie hin, um sich von Rynold's Zustand Kenntnis zu verschaffen.
Sie fanden ihn, nach vielem Umhertasten, noch auf derselben Stelle, auf welche er von der Brücke aus niedergefallen war. Das Wasser bedeckte ihn nicht ganz, und sprudelte so lustig und guter Dinge um ihn herum, als sei er ein modernder Baumstamm oder ein alter Felsblock gewesen, welchen der Zufall dorthin geführt.
Um indessen dem Mörder mittelbar den Beweis zu liefern, daß seine finstere Handlung nicht unentdeckt geblieben sei, und daß Leute lebten, die zur gelegenen Zeit als seine Ankläger auftreten würden, legten sie den Leichnam gerade vor der Brücke nieder, wo er von dem Ersten, der nach Tagesanbruch des Weges kam, bemerkt werden mußte.
Die Ungewißheit darüber, wie er aus dem Wasser dorthin gekommen, sollte für Holmsten eine Quelle endloser Besorgnis sein; das bezweckten die Delawaren, und es gelang ihnen auch vollkommen. –
Nach diesen Vorkehrungen begaben sich die drei Gefährten wieder zu ihren weit abwärts weidenden Pferden, und bald darauf sprengten sie durch das dichte Artemisia-Gestrüpp auf die südliche Spitze der bekannten Insel zu.