Balduin Möllhausen
Das Mormonenmädchen. Band II
Balduin Möllhausen

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2.

Im Wahsatchgebirge.

Der Paß, welcher sich durch das Tal des »Emigrations-Baches« hinzieht und, dabei einen Bergrücken übersteigend, dem »Canyon-Creek« folgt, darf, seiner Nähe wegen, als Hauptausgang aus dem Salzseetal gegen Osten betrachtet werden. Die Mormonen, dieses erkennend, haben schon in den ersten Jahren an diesem Paß gebaut und gebessert, und den Weg für die schwersten Trains zugänglich gemacht, wofür sie dann, um die Kosten der schon geschehenen und noch fortlaufenden Arbeiten zu bestreiten, ein ganz geringes Wegegeld für jeden dort fahrenden Wagen und jedes dort getriebene Stück Vieh von den Reisenden einforderten.

Wie die Wichtigkeit dieses Passes in Friedenszeiten nicht unterschätzt wurde, so trat dieselbe in dem Winter von 1857 – 1858, und in dem darauf folgenden Frühling, als auf der Ostseite des Wahsatchgebirges die Vereinigte Staaten-Truppen lagerten, noch merklicher hervor. Von Seiten der Mormonen war daher alles aufgeboten worden, an geeigneten Stellen solche Vorkehrungen zu treffen, daß mit einer geringen Zahl von Streitern einer hundertfachen Übermacht der Eintritt in das heimatliche Tal verwehrt werden konnte.

Das Wahsatchgebirge bildete also in seiner ganzen Ausdehnung eine mächtige Vormauer der Mormonen, und wo nur immer die Bodengestaltung einen Übergang als möglich erscheinen ließ, da hatten sie, weithin gegen Norden und Süden, kleine, ziemlich rohe Befestigungen errichtet, von welchen aus sie dann alle Zugänge vollkommen beherrschten. –

Der Schnee war aus den Tälern und Niederungen verschwunden, und immer höher nach den Bergabhängen hinauf dehnte sich die heitere grüne Farbe aus, welche die milden warmen Frühlingslüfte überall dem vom langen Winterschlaf erwachenden Erdreich, und wenn es das leblose Gestein kaum bedeckte, wie durch Zauber entlockten.

Es war um die Zeit des flüchtigen Frühlingsschmuckes und in den späten Nachmittagstunden eines sonnigen Tages, als seitwärts von dem zwischen dem Canyon-Creek und dem Emigrations- Creek gelegenen »Mountain-Paß«, in einem abgeschlossenen, kaum zugänglich erscheinenden Felsenwinkel ein kleines, mit trockenem Holze unterhaltenes und daher rauchloses Feuer loderte. Dasselbe brannte so lustig und flackerte so hell, als wenn es die Strahlen der sinkenden Sonne, die nicht mehr in den Felsenwinkel zu dringen vermochten, hätte ersetzen und zugleich die beiden Männer, die vor demselben saßen und sinnend in die Glut schauten, erfreuen und unterhalten wollen.

Nach ihrer Umgebung zu schließen, hatten die beiden einsamen Jäger schon längere Zeit an diesem Orte zugebracht. Der Boden war nämlich ringsum wie eine Tenne festgestampft, und hart an der nördlichen überhängenden Felswand war aus duftenden Tannenzweigen eine kleine Hütte errichtet worden, die, obgleich nur winzig, doch dicht und fest genug erschien, selbst den rauhesten Regen- und Schneestürmen Trotz zu bieten und den in ihr Lagernden einen behaglichen Schutz zu gewähren.

Dicht neben der Hütte, an einem von Pfählen und Zweigen hergestellten Gerüst hingen Waffen, wie sie im fernen Westen gebräuchlich, und außerdem ein Vorrat von gedörrtem und frischem Wildfleisch, ein sicheres Zeichen, daß die Bewohner der Hütte, mochten sie auch sonst die triftigsten Gründe haben, sich verborgen zu halten, am allerwenigsten gegen Not zu kämpfen hatten.

So klein dieses halb unterirdische Reich also war, so wunderbar schön hatte es die Natur ausgestattet; dann wohin man die Blicke auch wenden mochte, überall trafen sie auf die malerischste Zusammenstellung von riesenhaften Tannen, bemoosten grauen Felsen, abgestorbenen Baumstämmen und niedrigem, immergrünem Gestrüpp. Dazu hatte sich, wie um dem ganzen Bilde noch mehr Leben zu verleihen, in der Mitte der kleinen Fläche, in einer Vertiefung des undurchdringlichen Gesteins, durch den Zufluß des geschmolzenen Schneewassers ein seichter Teich gebildet, in welchem sich die schief gewachsenen Tannen und die zerrissenen Felswände, als seien sie wer weiß wie gefallsüchtig, gar anmutig spiegelten.

Daß die vor dem Feuer sitzenden Bewohner dieses wunderlieblichen Verstecks nicht blind für Naturschönheiten waren, dafür erhielt man die sprechendsten Beweise, wenn man in die nach der Südseite zu offen gelassene Hütte hineinblickte und dort eine aufgeschlagene Zeichenmappe gewahrte, auf welcher eine mit Künstlerhand sauber ausgeführte, aber noch nicht ganz beendigte Bleistiftskizze der Hütte mit der nächsten Umgebung hingelegt worden war.

Wer von den beiden Männern der Künstler war, erriet man auf den ersten Blick, beide in ihrer hinterwäldlerischen Bekleidung kaum eine Verschiedenheit zeigten. Denn während in der Physiognomie des einen tieferer Ernst und eine gewisse militärische Entschlossenheit zu Tage traten, schaute der andere so keck und sorglos in die Welt hinein, wie eben nur ein mit einem glücklichen Temperament begabter Künstler vermag, der sich überall zu Hause fühlt, wo er für Geist und Hand Beschäftigung findet, und der es mit zu den höchsten Genüssen des Lebens rechnet, aus einer romantischen Naturumgebung immer neue Eindrücke zu gewinnen, welche, tief und nachhaltig, dereinst nur mit seinem Leben von ihm scheiden.

Wären nun eine »Hand« von der Bemannung des Leoparden, und ein Kunsthändler von New York urplötzlich vor die beiden Gefährten hinversetzt worden, so würden sie in denselben, trotz der Verkleidung und trotz der übermäßig langen Barte und der wetterzerrissenen Gesichtszüge, den Lieutenant Weatherton und seinen Freund Falk sogleich wiedererkannt und als alte gute Freunde begrüßt haben.

Ja, die beiden Männer, welche vor fünf Monaten erst in New York durch einen wunderbaren Zufall zusammengeführt worden waren, saßen jetzt als unzertrennliche Gefährten mitten im Wahsatchgebirge, umgeben von doppelten Gefahren.

Auf der einen Seite nämlich die Mormonen, von denen sie leicht als Spione betrachtet und gefangen genommen werden konnten, auf der ändern Seite die amerikanische Armee mit hochgestellten Offizieren, in deren Macht es lag, Weatherton die abenteuerlichen Fahrten zu verbieten, die, wie so oft große Folgen aus kleinen Ursachen entspringen, leicht zu einem verfrühten blutigen Zusammenstoß der einander gegenüberstehenden erbitterten Streiter führen konnten.

Sie hatten also doppelten Grund, sich verborgen zu halten, und es war ihnen bis jetzt auch so vollkommen gelungen, daß sie sich nicht nur schon ganz an ihre Lage gewöhnt, sondern auch allmählich die Besorgnisse, welche sie anfangs hegten, verloren hatten und mit einer gewissen behaglichen Ruhe in den Tag hinein lebten.

Sechs Wochen waren ihnen also in dieser Weise vergangen; sechs Wochen, in welchen sie den bösen Schneestürmen, die gewöhnlich den Übergang des Winters zum Frühling bezeichnen, Trotz geboten, sechs Wochen, in welchen sie von allem Verkehr mit der äußern Welt abgeschnitten gewesen und andere Menschen höchstens aus der Ferne von sicheren Verstecken aus beobachtet hatten.

Sie befanden sich tief genug im Gebirge, um der Jagd nach Herzenslust obliegen zu können, während ihre Pferde in einer nahen Sackschlucht, die kaum jemals ein Weißer betreten haben mochte, untergebracht worden waren. Da ferner ringsum die unzugänglichsten Gebirgswildnisse sie umgaben, durch welche sie, Dank ihren Führern, auf, selbst den Mormonen noch unbekannten Wildpfaden gewandert waren, der Knall ihrer Büchsen eben so wenig den von den Mormonen besetzten Engpaß, wie das noch weiter entfernte Lager der Vereinigte-Staaten-Armee erreichte, so war das Gefühl der Sicherheit, welchem sie sich hingaben, gerechtfertigt, und lange noch hätten sie dort zubringen können, ohne in ihrem Einsiedlerleben gestört zu werden, sogar auch dann, wenn auf allen Seiten die wilde Kriegsfackel entzündet worden wäre. –

Die Strahlen der Sonne drangen also nicht mehr in den anmutig geschmückten Felsenkessel hinein, und sehr bald machte sich daher in demselben die dem Gestein entströmende feuchte, winterliche Kälte fühlbar.

Weatherton schürte mechanisch mit einem dürren Holzsplitter zwischen den Kohlen, und hielt denselben, sobald er Feuer gefangen hatte, wie eine brennende Kerze in beiden Händen, aufmerksam die kleine Flamme betrachtend, die sich allmählich seinen Fingern näherte.

»Gerade sechs Wochen leben wir nun schon in unserem Gefängnis«, unterbrach er die schon wenigstens zehn Minuten dauernde Stille, »ja, gerade sechs Wochen, und wir sind noch immer so klug, wie an dem Tage, an welchem wir zum ersten Mal dieses Feuer hier anzündeten.«

»Geduld, Geduld«, versetzte Falk mit seiner unverwüstlich guten Laune; »unsere wackeren Freunde werden zur rechten Zeit bei uns eintreffen, denn wie sie sich auf ihr Handwerk verstehen, haben sie schon allein dadurch bewiesen, daß sie uns an einen Ort führten, von dem man behaupten könnte, er läge auf dem Monde, so ungestört sind wir während der ganzen Zeit geblieben. In der Tat merkwürdig, es scheint auf dem nordamerikanischen Kontinent keinen Punkt zu geben, welchen die Delawaren-Jäger nicht wenigstens einmal in ihrem Leben besuchten, keine Landstrecke, auf welcher sie sich nicht ebenso leicht zurechtzufinden wüßten, wie auf ihren heimatlichen Jagdgründen am Arkansas. Die Sucht nach Abenteuern ist ihnen angeboren, denn irre ich nicht, so leisten sie uns ihre Dienste eben so sehr aus Lust zur Sache, wie des zugesicherten Lohnes halber.«

Weatherton nickte; seine Gedanken waren mit anderen Dingen beschäftigt, als mit Indianern.

»Wo der Leopard jetzt wohl kreuzen mag«, fragte er plötzlich, wie aus einem Traume erwachend.

»Hoho!« erwiderte Falk laut auflachend, »es geht Euch wohl wie Jim Raft, der am Heimweh nach den blauen Wassern des Ozeans leidet?«

»Das Meer ist allerdings mein Element, und wird es auch bis zu meinem Lebensende bleiben«, entgegnete Weatherton, indem er sich zwang, in des Freundes Fröhlichkeit einzustimmen, »doch würde es unehrlich von mir sein, wollte ich behaupten, daß ich mich in diesem Augenblick an Bord des Leoparden zurücksehnte. Meine Äußerung entsprang aus ganz anderen Gefühlen; ich gedachte der letzten Tage, die ich auf dem braven Schiff zugebracht habe.«

»Ihr gedachtet des schönen Mormonenmädchens, auf dessen erste Bekanntschaft ich neugierig bin, wie auf die ewige Seligkeit, und ferner fragtet Ihr Euch, ob der von Euch getane Schritt nicht voreilig gewesen«, fügte Falk mit glücklich sorglosem Ausdruck hinzu.

»Nein, gewiß nicht«, versetzte Weatherton mit entschiedenem Wesen. »Ich leugne nicht, daß mir Hertha Jansen's Bild vorschwebte, zugleich fühlte ich aber auch, daß es mir weder an Mut noch Ausdauer gebreche, das einmal begonnene Werk als Mann zu Ende zu führen. Ich möchte fast behaupten, mein guter Wille befestige sich mit jedem nutzlos verbrachten Tage mehr und mehr; nur stelle ich mir oftmals die Frage, ob unsere Mühe und die Opfer an Zeit, welche wir bringen, endlich von dem gewünschten Erfolg gekrönt sein werden, denn streng genommen, ist der Brief Eures kalifornischen Freundes doch nur ein schwaches Argument, um unser bisheriges Verfahren, selbst unsere ganze Reise zu rechtfertigen und verständig erscheinen zu lassen.«

»Ein schwaches Argument nennt Ihr Werner's Brief?« fragte Falk, und seine sorglosen Züge nahmen auf einen Augenblick einen tiefernsten Ausdruck an, »ich selbst halte ihn für das stärkste Argument, welches uns hätte geboten werden können. Ich kenne Werner schon lange und weiß, daß ich auf jedes seiner Worte so fest wie auf die uns umgebenden Felsen bauen darf. Sein Brief wurde von Panama aus zurückgeschickt; er hatte daher volle zehn Tage Zeit gehabt, die Mormonengesellschaft zu beobachten und betreffs ihrer ferneren Pläne zu belauschen und auszuforschen. Wenn er also schreibt, dieselbe gedenke von San Diego aus die Reise nach dem Salzsee anzutreten, so muß es wahr sein, und da von dort aus nur der eine Weg hierher führt, so unterliegt es kaum einem Zweifel, daß es den Delawaren gelingt, genaueres über die von uns Gesuchten auszukundschaften.«

»Wenn sie auf dem zweiten Teil der Seereise ihre Absichten nicht geändert haben und, anstatt nach San Diego, nach San Francisco gegangen sind«, wendete Weatherton unmutig ein.

»Was kaum denkbar ist«, erwiderte Falk, denn San Francisco ist, wie Ihr selbst mir mehrfach versichert habt, nicht der Ort, so viel Kriegsmaterial, welches gegen die Vereinigte-Staaten-Armee bestimmt ist, auszuschiffen; und daß sich eine verhältnismäßig große Masse desselben an Bord befand, hatte Werner ja schon ausgeforscht, noch eh' der Dampfer die Höhe von Cap Hatteras erreichte. Gesetzt aber den Fall, Eure alten Passagiere, die mit der Munitionssendung vielleicht nur in mittelbarer Verbindung standen, hätten sich von derselben getrennt, um von San Francisco aus aufzubrechen, so könnte ihr nächstes Ziel doch nur immer der Salzsee sein. Der strengere Winter auf der nördlichen Route würde allerdings ihren Aufbruch verzögert haben, allein gewiß keine Stunde länger, als unumgänglich notwendig; denn des jungen Mädchens Begleiter sind schlau genug, einzusehen, daß ein allzu langer Verkehr unter den »verfluchten Gentiles«, wie sie alle Nichtmormonen unhöflicher Weise zu nennen belieben, Gefahr bringend für das Seelenheil und das Vermögen ihres armen Opfers werden und die Augen der Obrigkeit auf ihr finsteres Treiben lenken dürfte. Befinden sie sich aber erst am Salzsee, dann müßte es mit dem Teufel zugehen, wollten wir sie nicht ausfindig machen.«

»Das Übelste bleibt, daß wir keinem einzigen Mormonen, wenn uns ein solcher begegnen sollte, trauen dürfen«, sagte Weatherton sinnend, »und das, was wir sowohl über Hertha Jansen, wie über das traurige Geschick ihrer verheirateten Schwester zu wissen wünschen, können wir bei der jetzigen drohenden Zeit auf keine andere Weise, als eben nur durch die Mormonen selbst erfahren. Sie sind in zu hohem Grade fanatisiert, um noch bestechlich zu sein, und eine Gelegenheit zum Belauschen, wie damals in dem Garten, dürfte sich in diesen Regionen kaum bieten.«

Weatherton schwieg, und zündete einen neuen Holzsplitter an, um ihn ebenfalls langsam in der Hand verbrennen zu lassen.

»Ich bin neugierig, zu erfahren, hob er endlich an, »ob der Deutsche, der mich damals so hinterlistig in die Falle lockte, einer von den beiden Abenteurern ist, deren Ihr mehrfach in Euern Mitteilungen als untergegangener Charakter erwähntet?«

»Ohne Zweifel«, antwortete Falk schnell, »doch wartet, ich will Euch den Beweis liefern«; mit diesen Worten sprang er auf, und nachdem er ein kleines Skizzenbuch und Bleistift aus der Hütte geholt, nahm er wieder neben Weatherton Platz, worauf er eifrig zu zeichnen begann. »Jedenfalls haben sich die beiden sauberen Gesellen anwerben lassen, wie wären sie sonst wohl auf den Gedanken gekommen, sich auf demselben Dampfboot, mit welchem die Mormonen und Werner reisten, einzuschiffen?« fuhr er fort, während die Bleifeder in schnellen Zügen über das Papier flog; »ihr falsches Kartenspiel war kein Geheimnis mehr, und da mag ihnen das Pflaster von New York etwas zu heiß geworden sein. Nach Eurer Beschreibung wäre es dieser«, sagte er dann, Weatherton das, obgleich nur mit wenigen Strichen ausgeführte, aber doch unverkennbare Portrait des Grafen darreichend.

»Ja, der war's!« rief Weatherton überrascht aus, indem er die Skizze aufmerksam betrachtete, »ein Irrtum kann nicht obwalten, denn zwei einander so ähnliche Menschen kann es auf der Welt nicht geben. Nun, ich hoffe ihm noch zu begegnen, und dann soll er mir büßen, sowohl für den schweren Fall und die Wunde, als auch für das Entwenden der Durchsuchungsordre.«

»Daß er die Ordre entwendete, bleibt noch zu beweisen«, versetzte Falk, mit Wohlgefallen seinen stattlichen Gefährten beobachtend, der offenbar darüber nachdachte, wie es wohl möglich sei, mit ein paar Strichen nicht nur ein ähnliches Portrait zu entwerfen, sondern auch den Ausdruck des Originals in demselben getreulich wiederzugeben, »viel eher ist anzunehmen, daß sein Busenfreund den Diebstahl ausführte, während er selbst mit Euch beschäftigt war. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wozu Leute fähig sind, wenn sie erst einen gewissen Grad der Gesunkenheit erreicht haben. Streng genommen, leistete Euch der Graf übrigens einen Dienst, denn hättet Ihr nicht an Eurer Kopfwunde darniedergelegen, so würde es Euch schwerlich gelungen sein, für Euch und Raft einen so langen Urlaub zu erhalten.«

»Was ohne die Ursache der Kopfwunde auch wohl nicht nötig gewesen wäre«, fügte Weatherton in demselben Tone hinzu, »denn wer weiß, wozu die Durchsuchung vielleicht geführt hätte, vielleicht zur Befreiung des armen Mädchens.«

»Hätte es nun zum Guten oder Bösen geführt«, entgegnete Falk, »so wollen wir vorläufig nicht unzufrieden mit unserer Lage sein. Wir haben die Reise hierher, Dank den auf der Emigrantenstraße zerstreuten Regierungskaravanen, trotz des Winters und der Schneestürme in verhältnismäßig kurzer Zeit zurückgelegt; ferner hatten wir das gute Glück, mit den besten Führern des ganzen Kontinents zusammenzutreffen, und dann endlich befinden wir uns hier so wohl, wie sich zwei bescheidene Menschenkinder unter freiem Himmel nur immer befinden können, und das ist originell, wie Mr. Raft sagt.«

»Segel in Sicht, Herr!« ließ sich Raft's Stimme von dem östlichen Rande des Felsenkessels her vernehmen, wo eine Gruppe hundertjähriger Tannen dicht am Fuße der Felswand dem spärlichen Erdreich entsprossen war und unter dem Schutz der aufstrebenden Gesteinsmassen eine solche Höhe erreicht hatte, daß die dichten Wipfel noch über die angrenzende Mauer hinausschauten.

Weatherton und Falk fuhren bei dem ungewöhnlichen Ruf empor und näherten sich mechanisch ihren Waffen, während erste- rer mit gedämpfter Kommandostimme hinaufrief: »Welche Richtung?«

»Nordnordost bei Nord, denk' ich, Herr!« lautete die Antwort, und indem der Bootsmann noch sprach, teilten sich die dunkelgrünen Zweige des hervorragendsten Tannengipfels noch weiter auseinander, und aus der dadurch entstandenen Öffnung schoben sich zwei mächtige Fäuste, die ein Fernrohr so fest und regungslos in der Hand hielten, als wenn sich dasselbe in einem Schraubstock befunden hätte.

»Wie viel sind es ihrer?« fragte Weatherton, nachdem er Raft hinlänglich Zeit gelassen, die fraglichen Gegenstände genauer in's Auge zu fassen.

»Kann's nicht ausmachen, Herr! sind gerade hinter einer steinernen Schwellung!«

»Sollten es die Delawaren sein?« wendete Falk sich jetzt an seinen Gefährten.

»Sie sind, außer einigen Utah-Wurzelfressern, die Einzigen, welche den Pfad nach diesem Versteck kennen«, gab Weatherton zur Antwort. »Der Winter ist vorbei, und die elenden Wilden, die so lange am Rande der Niederungen verborgen gewesen, beginnen, ihre Ausflüge in die Gebirge hinauf zu unternehmen. Unmöglich wäre es nicht, daß wir Besuch von einigen dieser armseligen Geschöpfe erhielten.«

»Indianer, die unter der Flagge der weißen Menschenkinder segeln!« rief der Bootsmann von seinem luftigen Sitz herunter, denn er hatte das Fernrohr wieder gestellt und einen Blick auf die sich nähernden Gestalten erhascht, als dieselben eben am Rande eines Abgrundes um einen Felsvorsprung herumbogen. »Jetzt sind sie wieder außer Sicht, zwei Mann hoch; gehen zu Fuß und haben die Pferde im Schlepptau! sah sie ganz genau!« rapportierte er, als wenn er sich im Mastkorbe des Leoparden befunden hätte. .

»Wie weit sind sie noch entfernt?« fragte hierauf Weatherton nach einer Weile wieder.

»Denke, vier oder fünf Kabellängen«, antwortete Raft nach kurzem Sinnen.

»Da kommen sie wieder hervor, verdammt! anderthalb Knoten die Stunde!« rief er plötzlich aus, schärfer hinüberspähend »sehe aber nur einen Mann mit zwei Gäulen im Schlepptau; muß vorhin doppelt gesehen haben, macht aber die Landluft, das ist originell!«

»Ein Mann mit zwei Pferden?« fragte Weatherton gespannt.

»Ein Mann mit zwei vierfüßigen Kreaturen, denke, 's können nur Pferde sein!«

»Herunter, Jim!« rief der Lieutenant dringend, denn er bezweifelte die Ankunft der Delawaren nicht länger; aber daß einer derselben so urplötzlich zurückgeblieben war, erfüllte ihn mit Besorgnis, weshalb er sich mit eigenen Augen von der Wahrheit der Sache überzeugen wollte.

»Aye, Aye, Herr!« antwortete Raft auf Weatherton's Kommando, und nachdem er das Fernrohr behutsam zusammengeschoben und in das mittels eines Riemens an seinem Halse befestigte Futteral gesteckt, begann er, eilfertig und gewandt auf den Zweigen der Tanne wie auf den Sprossen einer Leiter niederzusteigen.

Da die Tanne den einzigen Ausweg aus dem Felsenkessel bildete, so waren, um das Hinauf- und Heruntersteigen zu erleichtern, auf der Seite, auf welcher andere Bäume es den vom Rande des Abgrundes aus in die Tiefe Spähenden verbargen, die hindernden Zweige entfernt worden. Der auf diese Weise geschaffene Weg war indessen so schmal, daß eben nur ein Mann zur Zeit sich auf demselben fortbewegen konnte.

Weatherton wartete daher so lange, bis Raft sich unten befand, ehe er selbst sich, nachdem er das Fernrohr an sich genommen, nach dem Mastkorb, wie der Bootsmann den luftigen Sitz nannte, hinaufbegab.

»Jim hat Recht«, rief Weatherton in diesem Augenblick nieder, »es ist der Schwarze Biber mit den beiden Pferden; von John sehe ich indessen keine Spur. Der Biber hat seine Richtung geändert, und anstatt zuerst bei uns vorzusprechen, lenkt er seine Schritte niederwärts nach der Schlucht hin, in welcher wir unsere Pferde untergebracht haben.«

»Mr. Raft, die Sache ist verdächtig«, sagte Falk zu dem Bootsmann, »denn ich glaube kaum, daß die Delawaren ohne einen triftigen Grund von ihrer gewohnten Weise abweichen würden.«

»Will verdammt sein«, entgegnete Raft, die Achseln zuckend, »wenn ich etwas Verdächtiges darin sehe. Laßt kommen, wer Lust hat, wir liegen schon seit sechs Wochen hier; gehören also gute Hände dazu, uns den Ankerplatz streitig zu machen.«

»Jim, komm schnell herauf und beziehe die Wache, ich muß den Biber sprechen und erfahren, wie seine Sendung abgelaufen ist!« schallte es von den Baumwipfeln nieder, und fast gleichzeitig begann die Krone, in welcher Weatherton saß, zu schwanken, als ob ein Sturm sie heftig bewegt hätte. Das Schwanken verstärkte sich immer mehr, und als dann endlich die äußersten Zweige den Rand der Felsenmauer berührten, da sah man plötzlich eine Gestalt sich von dem zurückschnellenden Baume trennen, und fast gleichzeitig stand Weatherton wohlbehalten auf festem Boden. Er überzeugte sich dann noch durch einen Blick rückwärts, daß Raft im Begriff war, seinen Befehl auszuführen, und so schnell es der mit scharfem Gerölle bedeckte abschüssige Boden gestattete, eile er den Abhang hinunter, um in der vorbeilaufenden Schluchtsenkung mit dem Delawaren zusammenzutreffen.

Noch hatte er die Hälfte der Entfernung, welche ihn von der Schlucht trennte, nicht zurückgelegt, da gewahrte er plötzlich John, wie derselbe in gebückter Stellung über einen Felsenkamm hinüberglitt und danach die Richtung nach dem versteckten Lager einschlug.

Offenbar hatte er Weatherton nicht bemerkt, denn erst nachdem er eine kurze Strecke gelaufen war, stand er plötzlich still, worauf er dem Offizier die unzweideutigsten Zeichen gab, unverzüglich wieder umzukehren.

Dieser, gewohnt, den wohlüberlegten Anordnungen der scharfsinnigen Delawarenjäger stets pünktlich Folge zu leisten, wartete nicht auf eine Wiederholung des Zeichens, sondern schlug sogleich den Rückweg am. Da er aber jetzt bergan zu steigen hatte, und Steinblöcke und Felstrümmer ihn bei jedem Schritte hinderten, so kam er nur sehr langsam von der Stelle. Er befand sich daher noch gegen hundert Schritte weit von den aus dem Felsenkessel hervorragenden Tannen entfernt, als John bereits am Rande des Abgrundes eingetroffen war und sich in ein anscheinend sehr eifriges Gespräch mit dem Bootsmann und Falk eingelassen hatte.

Plötzlich traf ein leiser Ausruf sein Ohr, und indem er emporschaute, bemerkte er, daß John sich niederwarf, zugleich aber durch eine Handbewegung ihn bedeutete, sich so schnell als möglich zu verbergen. Er nahm sich keine Zeit, nach der Ursache der Warnung zu forschen, aber die Gefahr von daher erwartend, von woher die Delawaren gekommen waren, kauerte er sich hinter einen nahen Felsblock so nieder, daß er von dorther nicht entdeckt werden könnte, er selbst aber hinüberzuspähen vermochte.

Mehrere Minuten vergingen; auf den Abhängen wurde es so still, als ob noch nie ein lebendes Wesen dieselben betreten habe. Der Schwarze Biber war hinter einer Biegung der Schlucht verschwunden, das von den Pferden auf dem Gehsteig erzeugte Geräusch längst verhallt, und fast unmerklich senkte sich die Dämmerung auf Berg und Tal, die entfernteren Gegenstände in unbestimmte Formen einhüllend.

Da glaubte Weatherton auf dem nördlich ihm gegenüberliegenden Abhänge eine Bewegung zu bemerken. Er richtete das Fernrohr auf den fraglichen Punkt hin, und ein eigentümliches Gefühl der Besorgnis bemächtigte sich seiner, als er eine lange Reihe nackter, aber wohl bewaffneter Eingeborener entdeckte, die, einer hinter dem ändern, behutsam auf der schmalen Abflachung am Rande der tiefen Schlucht hinschlichen, in welche der Schwarze Biber sich mit den Pferden hinabbegeben hatte.

Aus ihrem Benehmen ging hervor, daß sie vorläufig nur den beiden Delawaren nachspähten und an nichts weniger als an die Nähe weißer Jäger dachten. Indem aber die Reihe der dunkeln Figuren sich weiter,vorwärts bewegte und immer neue Gestalten im Hintergrunde auftauchten, entdeckte Weatherton auch mehrere Mitglieder, die nicht nur nach Art der Dacotah-Indianer vollständig bekleidet und in Decken gehüllt waren, sondern auch mit Federn geschmückte Mützen auf ihren Häuptern und lange Büchsen auf den Schultern trugen. Die Dämmerung verdichtete sich indessen so schnell, daß ihm die Möglichkeit geraubt wurde, mehr zu unterscheiden, und lange dauerte es dann nicht mehr, so fielen auch die äußeren Umrisse der geheimnisvollen Gesellschaft mit den nächtlichen Schatten zusammen.

Weatherton schaute noch immer unverwandt nach der Richtung hinüber, in welcher er die verdächtige Bande wußte. Nichts war zu sehen, als die schwarzen Massen der zerklüfteten Berge, so wie der mit Sternen übersäte Himmel, der sich in unbeschreiblicher Pracht über der starren Wildnis wölbte. Seine Gedanken waren aber mehr mit den Mitteilungen beschäftigt, welche er von den Delawaren zu erwarten hatte, als mit seiner augenblicklichen Lage, und ungeduldig harrte er auf ein Zeichen von John, sich wieder mit seinen Gefährten zu vereinigen.

Da legte sich eine Hand mit leisem Druck auf seine Schulter. Erschreckt fuhr er empor, doch ebenso schnell beruhigte er sich wieder, als er John's Stimme erkannte, der ihn warnte, keinen Laut von sich zu geben.

»Habt Ihr die Mormonen mit dem Mädchen gefunden?« fragte er den Delawaren, und seine Stimme bebte vor ängstlicher Spannung.

»Wir haben sie gefunden, und innerhalb einer oder zwei Wochen werden sie in Fort Utah eintreffen«, antwortete John, der wohl einsah, daß es vergebliche Mühe sein würde, zu versuchen, mit Weatherton eine Beratung anzuknüpfen, ohne ihm vorher, wenigstens oberflächlich, den Erfolg ihrer Sendung an den Rio Virgin mitgeteilt zu haben. »La Bataille, der schurkische Schlangenindianer, dieses Mal nicht lügen, als er uns riet, ihm und dem Kommandanten von Fort Utah unbemerkt nachzureisen. Aber Geduld – sagt mir, was Ihr durch Euer Augenglas entdeckt habt?«

»Eine Bande nackter Indianer, mutmaßlich Utahs, die von mehreren Kriegern eines ändern reicheren Stammes geführt werden.«

»Sonst nichts?«

»Sonst nichts, es sei denn die Richtung, welche sie eingeschlagen haben; die einbrechende Dunkelheit verhinderte mich, mehr zusehen.«

»Müßt ein schlechtes Glas haben«, versetzte der Delaware leise, »schlechter als meine Augen. Sah ich doch deutlich weiße Männer mit farbigen Decken auf den Schultern und Federn auf ihren Kopfbedeckungen.«

»Was? weiße Männer?«

»Ja, weiße Männer als Indianer verkleidet. Wohin gingen sie?«

»Wenn ich mich nicht täuschte, dann folgten sie dem Schwarzen Biber nach. Die Pferde müssen die Aufmerksamkeit der Bande auf sich gelenkt haben.«

»Ganz recht, folgten Sikitomaker nach«, bekräftigte John, »folgten uns schon nach, als wir in dem Emigrations-Paß seitwärts abbogen, um hierher zu gelangen. Wir hatten die Reise an Fort Utah vorbei, den Jordan hinauf und durch das Salzseetal zurückgelegt, ohne bemerkt oder beachtet worden zu sein. Wer uns so frei reiten sah, hielt uns für Mitglieder von befreundeten Stämmen, weil sie nicht glaubten, daß andere Menschen sich durch ihre Postenketten hätten hindurchschleichen können. Erst in dem Engpaß selbst sind die Kundschafter aufmerksam auf uns geworden, denn seit jener Zeit wurden wir erst gewahr, daß man uns nachspürte. Möglich, die Mormonen wollen sich über die Richtung des unbekannten Pfades Gewißheit verschaffen. Wahrscheinlicher mißtrauten sie uns, und setzten deshalb eine Bande ihrer Utah-Späher auf unsere Fährte. Wäre leicht gewesen, sie in die Irre zu führen; lag aber nicht in unserer Absicht. Wollten Euch vorher warnen und zugleich die Bande vorbeiziehen lassen. Sikitomaker erwartet sie bei den Pferden. Gelingt es ihm, sie zu überzeugen, daß nur zwei Delawaren-Jäger, die sich um ihren Krieg nicht kümmern, in ihre Reviere eingedrungen sind, dann mögt Ihr Euch für gesichert betrachten, denn lange halten sie sich nicht ohne Grund hier auf.«

»Wollen wir nicht nach unserm Lager zurückkehren?« fragte Weatherton, dessen Besorgnisse nach diesen Eröffnungen zum Teil geschwunden waren.

»Nicht von der Stelle rühren«, entgegnete John ruhig, aber bestimmt. »Wir nicht wissen, wie nahe die Utahs. Einige Utahs kennen ganz gewiß das Versteck, in welchem Ihr so lange zugebracht habe. Den Salzwassermann und die Malende Hand habe ich auf einen Besuch der Utahs vorbereitet; das Feuer ist vollständig ausgelöscht«

»Bei Gott, Lieutenant Dickie, ich dachte schon, Ihr würdet die ganze Nacht zwischen den Steinen zubringen wollen!« ertönte jetzt Raft's heißere Stimme von seinem Mastkorbe her.

Weatherton machte eine Bewegung, wie um emporzuspringen; der Delaware aber hielt ihn zurück, indem er die Hand auf seinen Arm legte und ihm zuflüsterte, wenn ihm seine Freiheit und sein Leben lieb seine, seine Anwesenheit nicht zu verraten.

»Wer seid Ihr?« fragte eine unbekannte Stimme, die sich, dem Schall nach zu schließen, ganz in Raft's Nähe befinden mußte.

»Wer, beim Satan, seid Ihr selbst?« schnaubte Raft, der seinen Irrtum zu spät eingesehen hatte und sich vor Wut über sich selbst, wie über die fremde Störung nicht mehr zu mäßigen vermochte. »Ich frage Euch, wer Ihr selbst seid, und woher Ihr kommt, und verdammt sollt Ihr sein, wenn Ihr mir nicht antwortet!« rief er noch grimmiger aus, und gleichzeitig knackte der Hahn seiner Pistole.

»Wir sind Mormonen und bei dem jetzigen Stande der Dinge gebietet uns die Pflicht der Selbsterhaltung, keine fremden Gesichter auf unserm Gebiete zu dulden. Ihr wißt, Herr, Spione sind vor dem eigentlichen Ausbruche des Krieges ebenso gefährlich, ja, noch gefährlicher, als nach gelieferten Schlachten«, lautete die Antwort, die indessen mit einem gewissen Grade von Höflichkeit erteilt wurde.

»Meine Gefährten und ich sind keine Spione«, erwiderte Weatherton mit Würde. »Ich gehöre nicht zu denjenigen, die gegen die Mormonen entsendet wurden. Unsere Absichten sind friedlicherer Natur; schon seit Wochen haben wir hier gehaust und einzig und allein der Jagd gefrönt.

»Ihr verratet in Eurer Sprache den Gentleman«, versetzte der Wortführer der Mormonen nach kurzem Sinnen, »könnt Ihr uns daher als Gentleman auf Euer Wort versichern, daß nur die Jagd Euch hierherführte?«

»Das kann ich nicht versichern, wohl aber, daß ich in keiner Beziehung zu dem ausbrechenden Kriege stehe. Die Waffen, die mein Gefährte und ich führen, sind nicht dazu bestimmt, gegen die Mormonen erhoben zu werden.«

»Auf welche Veranlassung seid Ihr hierhergekommen, und warum habt Ihr Euch so lange verborgen gehalten?«

»Die Gründe, die mich bewogen, die Reise von den Vereinigten Staaten bis hierher und noch weiter zu unternehmen, sind nicht mein eigenes Geheimnis, ich muß mich daher weigern, nähere Auskunft darüber zu erteilen. Warum ich mich aber verborgen hielt, ist nicht schwer zu erraten. Hier befindet sich eine geeignete Lagerstelle, weiter unterhalb notdürftige Weide für meine Pferde; dort drüben stehen die Regimenter der Vereinigten Staaten, denen ich mich in diesem Augenblick nicht zu nähern wünsche, und auf der entgegengesetzten Seite wieder die Feldwachen der Mormonen, die meinen freien Bewegungen wohl ebenfalls Beschränkungen auferlegen würden. Was blieb mir daher in einer solchen Lage übrig, als hier, wo es nicht an Wild mangelt, mich gleichsam häuslich niederzulassen?«

»Wir nehmen also Euer Ehrenwort dafür, daß nicht feindliche Absichten gegen die Mormonen Euch hierher brachten?« fragte der Wortführer ausdrucksvoll.

»Es verstößt gegen meine Grundsätze, bei jeder Gelegenheit mein Ehrenwort anzubieten, am allerwenigsten mir fremden Personen gegenüber-«

»Gut, Dickie, gut«, wagte der Bootsmann seinen Lieutenant murmelnd zu unterbrechen, »je mehr Ehre auf der Zunge, je weniger Ehre im Herzen, das ist originell, oder ich will zum letzten Mal im Leben »Alle Hand an Deck!« gepfiffen haben.«

»Ihr hört, was mein Gefährte sagt«, fuhr Weatherton fort, indem er ein Lächeln unterdrückte, »was er eben aussprach, sind nicht weniger meine eigenen Gesinnungen. Da Ihr Euch aber für Mormonen ausgebt, was ich natürlich keinen Grund habe zu bezweifeln, da ich mich ferner auf dem Gebiet der Mormonengemeinde befinde und Euch daher, als einer kriegführenden Partei, das Recht zugestehen muß, mich auszufragen und Euch über meine Persönlichkeit und meine Zwecke zu unterrichten, so versichere ich gern auf mein Ehrenwort, daß ich durchaus keine feindlichen Absichten gegen das Mormonentum hege.«

»Wer führte Euch an diesen Ort, der selbst unseren besten Jägern so lange verborgen blieb?«

»Zwei Delawaren, mit denen ich in den Rocky Mountains zusammentraf. Sie haben einen Jagdzug unternommen, um nach Biberdörfern zu forschen, und schon seit mehreren Tagen erwarte ich sie zurück.«

Der Mormone schien nachzudenken, wenigstens trat ein längeres Schweigen ein, welches nur zeitweise durch das Stöhnen des verwundeten Indianers unterbrochen wurde, dessen mit einem dichten Haarwuchs bedeckter harter Schädel ihn allein davor bewahrt hatte, daß Raft's Cutlaß ihm den Kopf in zwei gleiche Teile spaltete.

»Die Delawaren sind schon zurück«, sagte der Mormone endlich.

»Schon zurück?« fragte Weatherton mit erheuchelter Verwunderung.

»Schon zurück, und zwar waren sie es, die uns den Weg hierher zeigten.«

»Ich sehe keinen Grund, warum sie es hätten nicht tun sollen«, entgegnete Weatherton, der auf eine derartige Mitteilung vorbereitet war, »wundere mich aber, daß sie mir noch keine Gelegenheit gegeben haben, sie zu begrüßen.«

»Sie sind in der Querschlucht dort unten weiter abwärts gezogen.«

»O, ich weiß, sie wollen ihre Pferde den meinigen zugesellen; auch lieben sie es, in deren Nähe zu schlafen, während ich es vorziehe, mich mehr häuslich einzurichten. Ich bin kein geborener Kavallerist.

»Nach Euerm groben Gefährten zu schließen, seid Ihr Seemann?«

»Allerdings bin ich das; das Seeleben ist mein selbstgewählter Beruf.«

»Vereinigte-Staaten-Marine?«

»Vereinigte-Staaten-Marine«, antwortete Weatherton.

Diese letzte Mitteilung schien den Mormonen abermals zum Nachdenken zu veranlassen. Offenbar ging er mit sich zu Rate, welches Benehmen einem Offizier der Vereinigten Staaten gegenüber, ohne sich oder die Sache seines Volkes zu kompromittieren, wohl am ratsamsten und geeignetsten sein dürfte.«

»Ihr werdet zugestehen«, sagte er auffallend höflich, nachdem er zu einem Entschluß gekommen, »daß Ihr Euch auf feindlichem Boden befindet.«

»Ohne Zweifel, seit meine Regierung es für gut befunden hat, Euch den Krieg zu erklären und nach Abbruch der letzten Friedensunterhandlungen die Feindseligkeiten zu eröffnen.«

»Wohlan denn, Euch gegenüber besitze ich die Macht, und befinde mich daher im Vorteil. Ich will indessen keinen Schritt weiter tun, ehe ich Euch nicht die Frage vorgelegt habe: welche Handlungsweise Ihr von mir erwartet?«

»Ich erwarte von Euch die Behandlung eines Gentleman«, antwortete Weatherton schnell, und hoffe, daß Ihr geneigt seid, Euch nicht weiter um mich zu kümmern, mit anderen Worten, mich in dieser Wildnis meinem Schicksal zu überlassen.«

»Es gibt nur zwei Wege für Euch, zwischen welchen ich Euch die Wahl lasse«, entgegnete der Mormone bestimmt. »Hier bleiben dürft Ihr nicht, denn auch mir obliegen Pflichten, ebenso gut wie Euch, wenn Ihr Euch auf Eurem Schiffe befindet. Ich werde Euch also eskortieren, und zwar entweder bis ins Lager der Vereinigten-Staaten-Truppen, wo ich Euch dem Kommandierenden übergebe, oder nach Fort Utah, wo Ihr Euch allerdings als Gefangener zu betrachten habt, bis über kurz oder lang eine Auswechslung stattfindet.«

»Das eine wäre so unangenehm wie das andere«, versetzte Weatherton, das Für und Wider beider Fälle flüchtig erwägend, »es scheint daraus hervorzugehen, daß eine Beschränkung meiner Freiheit unvermeidlich geworden ist. Aber Ihr sagtet ja wohl Fort Utah?«

»Ja, Fort Utah, es ist dieses der Ort, an welchem wir unsere Kriegsgefangenen zum Teil unterzubringen gedenken.«

»Ihr werdet mich doch nicht als Kriegsgefangenen betrachten?« fragte Weatherton, dem es immer schwerer auf die Seele fiel, seiner Freiheit beraubt zu werden.

»Darüber vermögen nur Höhere zu entscheiden«, antwortete der Mormone mit einer an Gleichgültigkeit grenzenden Kälte.

Weatherton gab sich wieder einem trüben Sinnen hin. Er fühlte, daß es vergebliche Mühe sei, den Mormonen zu einem Vergleich aufzufordern, laut dessen er sich vielleicht an einem bestimmten Tage an irgend einem zu verabredenden Orte zu stellen haben würde. Übrigens widerstrebte es ihm auch, gute Worte an jemanden zu vergeuden, der seinen gefährlichen Fanatismus schon allein dadurch bekundete, daß er, um seinen geheimnisvollen, vielleicht finsteren Zwecken zu dienen, die Verkleidung eines Indianers angelegt hatte.

Er mußte sich also entscheiden. An die Truppen der Vereinigten Staaten ausgeliefert werden hieß, die ganze Reise umsonst gemacht haben. Bei den Mormonen dagegen, namentlich in Fort Utah, wohin es ihn nach des Delawaren jüngsten Mitteilungen zog, durfte er darauf rechnen, unter den Höhergestellten und Einflußreicheren mit zugänglicheren Personen in Berührung zu kommen, die nicht nur seinen Vorstellungen williges Gehör schenken, sondern vielleicht auch, begabt mit wärmeren Herzen, sich zur freundlichen Teilnahme für Hertha Jansen und deren Geschick bereden lassen würden.

»Gentlemen, ich bin bereit, Euch zu folgen«, sagte er dann mit ernster Würde, »und zwar nach Fort Utah; ich wünsche indessen, meinen Gefährten und meine geringen Habseligkeiten, die dort unten liegen, nebst meinen Pferden mit mir zu nehmen. Meine Waffen bleiben selbstverständlich in meinen Händen. Späterhin, wenn wir an Ort und Stelle angekommen sind und ich weiß, wem ich dieselben zu übergeben habe, werde ich mich in die Notwendigkeit und in die Lage eines Gefangenen fügen. Vorher aber, Gentlemen, trennen sich dieselben nur mit meinem Leben von mir.«

»Es ist Euch alles zugestanden, was einem Gentleman geziemt«, sagte der Mormone höflich, vielleicht mehr mit schlauer Berechnung und weil er von Weatherton's Benehmen unwillkürlich Achtung empfand, als aus Neigung, einem Gentile überhaupt mit Höflichkeit zu begegnen. »Bis wir in Fort Utah eingetroffen sind, wo andere über Euch zu bestimmen haben, macht Ihr sowohl, als Euer Gefährte nur Ansprüche auf den Namen und das Verhältnis unserer Begleiter. Ihr sollt sogar nicht einmal durch ausgestellte Wachen an den Zwang erinnert werden, welcher gewiß durch die gegenwärtige Lage der Mormonen gerechtfertigt wäre.«

Weatherton antwortete durch eine anerkennende stumme Verbeugung. Er fühlte, daß er sich einem den gebildeteren Ständen entsprossenen Manne gegenüber befand, und wußte nicht, sollte er sich mehr über die Entsagung und Energie wundern, mit welcher derselbe die Rolle eines eingeborenen Kriegers übernommen hatte, oder über die Kraft und schlaue Berechnung, mit welcher er die ihm untergebene wilde Bande nach Willkür lenkte und bändigte. Dabei entging ihm aber, daß er ein großes Gewicht darauf legte, ihn scheinbar auf seinen eigenen Wunsch nach Fort Utah zu bringen; noch weniger ahnte er, daß man ihm schließlich dennoch nicht gestattet haben würde, sich zu den Vereinigte- Staaten-Truppen hinüber zu begeben. Lagen doch die triftigsten Gründe vor, nicht ruchbar werden zu lassen, daß die Banden der Eingeborenen, welche die feindlichen Lager umschwärmten und die noch unterwegs befindlichen Provisionskaravanen beunruhigten, abschnitten, überfielen und sogar verbrannten, von verkleideten Mormonen geführt wurden.

Der Trupp brach nun auf. Weatherton, Raft und die drei Mormonen beschlossen den Zug. Alle waren schweigsam. Letztere sprachen nicht, aus Achtung vor des jungen Offiziers Gefühlen; dieser dagegen war versunken in Betrachtungen über die seltsame Lage, in welche er, wie es ihm jetzt schien, einem Phantom nachjagend, sich blindlings gestürzt hatte. Und dennoch war es kein Phantom; denn schwebte nicht Hertha Jansen seinem Geiste so deutlich in ihrer bezaubernden Anmut vor, daß er sie wirklich von Angesicht zu Angesicht vor sich zu sehen wähnte? Und befand er sich nicht auf dem Wege nach Fort Utah, wo er voraussichtlich auf die eine oder die andere Art mit ihr zusammentreffen mußte?

Er erschrak fast, als er sich bei einer kurzen Biegung der Schlucht einem hellflackernden Feuer gegenüber befand, um welches sich noch gegen dreißig Utahs in weitem Kreise gelagert hatten, die mit einem Ausdruck hämischer Freude und gespannter Neugier ihre finsteren, unheimlichen Blicke auf ihn richteten.

Langsam und ruhig wanderten seine Augen über die wilde Bande. Es waren lauter kleine, aber sehnige Gestalten, die außer ihren gräßlichen, ungekünstelten Malereien nur wenig Kleidungsstücke aufzuweisen hatten.

Am folgenden Morgen schon in aller Frühe brach man auf, und kurz war der Gruß, welchen die Mormonen mit den zurückbleibenden Delawaren austauschten. Man hatte keinen Versuch gemacht, dieselben zur Mitreise zu veranlassen, noch weniger wagte man ihnen mit irgendwelchem Zwange zu drohen. Die Mormonen hegten eine heimliche Scheu, sich mit ihnen zu verfeinden, und wenn sie auch nicht auf ihren Beistand gegen die Vereinigten Staaten hoffen durften, so genügte es ihnen schon, wenn diese verwegenen und listigen Jäger neutral blieben und ihre oft unschätzbaren Führerdienste nicht ihren Feinden anboten. –

Die letzten Nachzügler der Bande der Utahs waren kaum zwischen den nächsten Felsenhügeln und Schluchten verschwunden, da schritten Sikitomaker und John langsam zu dem Felsenkessel hinauf.

Sie trafen Falk besorgnisvoll in der Tanne sitzend und trübe nach der Richtung hinüberschauend, in welcher der Freund ihm entführt worden war.

»Ich hätte ihn nicht verlassen sollen«, rief er den sich nähernden Delawaren vorwurfsvoll zu. »Ich fürchte, es ist keine edle Rolle, welche ich übernommen habe«.

»Rolle?« antwortete der Schwarze Biber, die Achseln mitleidig zuckend, »weiß nicht, was Ihr meint. Denke, Ihr sollte lachen, daß Ihr noch frei seid, wie der Habicht, der dort oben den schmelzenden Schnee auf den Bergen umkreist. Besser zwei gefangen, als drei. Traue den Mormonen nicht weiter, wie ich sie sehe; können immerhin auf den Gedanken kommen, Euern Freund und den Salzwassermann als Spione zu erschießen«.

»Gerade deshalb, Delaware, hätte ich nicht von ihrer Seite weichen sollen«, versetzte Falk, den des Indianers Worte mit Schrecken erfüllten.

»Merkwürdige Ansichten«, erwiderte der Schwarze Biber, und auf seinem gelblich-braunen Gesicht spiegelte sich die spöttische Verwunderung, die er empfand. »Scheint, Ihr wollt lieber mit erschossen werden, als noch länger Bilder mit Eurer Zauberhand schaffen. Nein, nein, es ist besser so; zwei Delawarenjäger vermögen viel, zwei Delawarenjäger und eine weiße Zauberhand aber noch mehr. Ihr müßt helfen, Euern Freund befreien, und frei soll der Gefährte des Schwarzen Bibers, der mit ihm vor demselben Feuer aß, und schlief, werden, und müßte ich Fort Utah an allen vier Enden anzünden und die ganze amerikanische Armee mitten in die heilige Salzseestadt führen. Aber steigt herunter, Mann, und macht uns Platz; unsere Pferde müssen ruhen und wir auch; dort unten ist es besser, als hier oben«.

So sprechend, zog er an dem ihm von Falk zugeworfenen Strick die schwanke Baumkrone nach sich, und bald darauf hatten sich die drei Gefährten zum gemeinschaftlichen Mahl und zur Beratung vor der kleinen Hütte vereinigt.


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