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Anhang

Auszüge aus dem Tagebuche Otto Modersohns

27. Januar 1901.

Paula hat eine Menge charakteristischer Eigentümlichkeiten, die mir vom ersten Male an, wo ich sie sah, auffielen und zwar, wie ich gleich hinzufügen will, mich fesselten.

Lebendigkeit, Gewandtheit, das war der erste Eindruck, als sie bei uns Besuch machte. Der Kopf mit dem üppigen kastanienbraunen Haar hob sich leicht akzentuiert von der einen zur anderen Seite, ein munteres Auflachen oft. Wenn sie mit der Alten aus dem Armenhaus an unserem Hause vorbeischritt, gefiel mir immer die jugendfrische Erscheinung, wie sie die Alte am Arme führte, wie sie pikant ging, mit den Zehen den Fuß zuerst aufsetzte. Und so oft sie uns besuchte, war sie uns sympathisch, ja immer lieber. Helenen (meine erste Frau) war sie sehr sympathisch, weil sie so natürlich und zwanglos war, was wir anfänglich nicht gedacht. Sie räkelte sich einmal auf dem Sofa, legte den Kopf hinten an, was uns besonders auffiel im Verhältnis zu der steifen Frau X.

Ganz entzückend sah sie aus in dem weißen Kleide mit rotem Korallengürtel und mit der lila Bluse; wie hörte sie immer reizend zu, wenn ich erzählte von Insekten und Vögeln; wie erzählte sie ihre lustigen Fahrten ohne Geld aus der Schweiz (von wo sie mir eine Heuschrecke sandte) über München, Nürnberg, Dresden, Leipzig.

Mein Mensch hatte ihr gefallen, mein Künstler. Sie war einmal in meinem Atelier, ich zeigte ihr meine Studien und Kompositionen: »O, Herr Modersohn, was haben Sie für wundervolle Sachen!« – Sie kniete auf dem Strohteppich und betrachtete alles mit Interesse. Ich besuchte sie einige Male in ihrem Atelier bei Garves. Eines Abends sprach ich über Rembrandt, sie saß vor dem Ofen, es war sehr kalt im Zimmer. Ich hörte, daß sie so geringe Mittel hätte, was mir sehr leid tat. Einmal war ich bei ihr, um ihre Bilder zu sehen, die sie in Bremen ausstellen wollte. Sie gefielen mir nicht, nicht intim, zu plakatmäßig, was ich ihr sagte. Nach der schlechten Kritik in Bremen kam sie mit Frau B. in mein Atelier, munter, aber doch wütend über Fitger.

Anmut in Kleidung, Haltung, Bewegung, Redeweise verbreiten einen wahren Zauber um sie. Und wenn sie zerrissene alte Kleider trägt, es wirkt bei ihr alles anmutig, eine andere könnte neue tragen und wirkte nicht so. Anmutig kleidet, bewegt sie sich, spricht sie, lacht sie, ißt sie, liest sie, liegt sie usw. Wie anmutig wirkt sie beim Schlittschuhlaufen, wo sie so graziös mit ihrem braunen Kleidchen und dem Pelz sich vor mir wiegte. – Drollige Dinge macht sie mit ihren Händen, wie sie etwas greift, zum Munde führt; sie hält die Sachen oft nach unten, biegt das Handgelenk sehr, – darin liegt sehr viel Anmut. Damit hängt das pikante, akzentuierte Kopfwiegen, Kopfvorneigen zusammen. Dann ihre Füße und Beine; ihr Gang ist drollig und persönlich. Sie hat einen riesigen Schritt, setzt die Fußspitze zuerst auf. – Wie im Geistigen, so im Körperlichen schlägt sie oft mit den Füßen hintenaus und dann kommt die Spitze der Zunge blitzschnell zum Vorschein. Ihr Lachen ist ein ganzes Kapitel für sich. Sehr oft umspielt ihre Mundwinkel ein Lächeln. Oft macht sie: ha, ha, ha, mehr gesprochen. Ihr Lachen ist mir so äußerst lieb und daß es so oft kommt. Zu ihrem Gesicht steht frohe, heitere Laune so sehr gut. Trauer macht sie mir fast fremd, wenn ihre Tränen rollen. Famos sieht sie aus, wenn sie beim Lesen oder Gesang zuhört, den Kopf geneigt sitzt sie mit ernster Miene da, voller Aufmerksamkeit.

11. März 1902.

Ich bin wirklich überrascht durch Paulas Fortschritte; wenn sie sich so weiter entwickelt, bin ich sicher, daß sie wohl etwas sehr Feines in der Kunst leisten wird. Zunächst ist sie sehr persönlich; nichts Konventionelles, Hergebrachtes. Früher schätzte ich besonders ihr Urteil, jetzt aber auch ihre Leistung. Verstanden wird sie von niemandem. Mutter, Geschwister, Tanten, alle haben ein stilles Übereinkommen: Paula wird nichts leisten; sie nehmen sie nicht für ernst. Und so in Worpswede, – nie wird nach ihrer Arbeit gefragt. Vogeler sagt: »Der Frau muß die Kunst ganz klein sein«; nach Paula fragt er nie, nach Brünjes-»Atelier« kommt er nie. Er kennt sie nicht, er würdigt sie nicht, hält sie für ganz verfehlt. Es ist gut. Ich freue mich meiner Paula, die eine wirkliche große Malerin ist. Sie malt heute schon besser wie Vogeler und Mackensen. Mein Urteil ist nicht etwa von Liebe diktiert, wie ihre Familie meint. In aller Stille wird sie weiter streben und wachsen und eines Tages alle in Erstaunen setzen. Darauf freue ich mich. Sie ist künstlerisch durch und durch. Bei Paula ist alles naiv, still da. Koloristisch ist sie sehr veranlagt und in der großen Bilderfassung noch mehr vielleicht. Darin ist Paula gerade auf einem sehr feinen Wege, wie sie ihre Persönlichkeit verflechtet mit der Natur. Sie ist groß bei der Intimität. Ihre Sachen wirken größer gesehen wie einige von mir bei ihr. Sie gibt weniger, das aber intim und stark.

9. April 1902.

In unsern Kunstansichten, im Geschmack passen Paula und ich ausgezeichnet zusammen. Wir beide lieben das Naive, Merkwürdige (unsere Wohnung, Brünjes-Atelier, mein Atelier). Jetzt macht sie überall kleine Beete im Garten, kleine intime Plätze mit Bänken, Glaskugel. Mackensens Garten wird ökonomisch angelegt, am Ende's städtisch mit Bosketts usw., Vinnen ist Großgrundbesitzer, bei Overbeck auch alles städtisch drinnen und draußen, – nur Vogeler und wir sind anders. Vogeler nur gegen uns stilvoll, verfeinert – wir naiver, intimer, merkwürdiger. Paula und ich passen da ausgezeichnet in unseren Passionen zusammen.

15. Juni 1903.

Ganz famos ist das Malen mit meiner Paula. Abends lehnen dann unsere frischen Studien in der Veranda am Blumentisch. Gestern abend hat Paula mich wirklich überrascht durch eine Skizze aus dem Armenhaus mit Dreebein, Ziege, Hühnern, – ganz famos in der Farbe, in der Konzeption riesig merkwürdig und mit dem Pinselstiel die Oberfläche kraus, kriselig gemacht. Merkwürdig, wie groß diese Sachen sind, riesig als Maler gesehen. Mich interessiert tatsächlich nicht einer hier in Worpswede auch nur annähernd so wie Paula. Sie hat Witz, Geist, Phantasie, sie hat einen prächtigen Farbensinn und Formensinn. Ich bin voller Hoffnung. Wie ich ihr vom Intimen geben kann, so sie mir vom Großen, Freien, Lapidaren. Wundervoll ist das wechselseitige Geben und Nehmen. Unser Verhältnis ist zu schön, schöner als ich je gedacht, ich bin wahrhaft glücklich, sie ist eine echte Künstlerin, wie es wenige gibt in der Welt, sie hat etwas ganz Seltenes. Keiner kennt sie, keiner schätzt sie. Das wird einmal anders werden.

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