Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Berlin

1901

Briefe an Otto Modersohn

Berlin, den 13. Januar 1901.

Ich bin nun in Berlin und fühle mich sehr zahm und sehr eng und möchte die Wände sprengen und ein Stück Himmel sehen. Ich glaube, ich werde diese zwei Monate es doch sehr schwer haben. Ich passe in solch eine Stadt nicht, hauptsächlich nicht hierher ins elegante Viertel. Da falle ich aus dem Rahmen. In Paris, das Quartier latin, das war doch etwas anderes. Die Menschen um mich sind süß und freundlich. Aber ihr Leben spielt sich doch sehr in einer standesgemäßen Veräußerlichung der Dinge ab. Dabei sind es zarte, vibrierende, sensitive Frauen, Gartenblumen, und mein Blühen ist doch so sehr im Felde. Es wird schon alles werden, nur kommt meine arme kleine Seele in einen Käfig. Wenn ich ihr Worpsweder Freiheit ließe, würde sie in ihrer Ungebundenheit in diesem Glasschrank viel Schaden anrichten.

Gesehen habe ich noch nichts. Nur viele Gesichter. Davon hat mich manches interessiert und angezogen. Im ganzen beherrscht mich stark das Gefühl von beschnittenen Flügeln. Wenn ich mein Leben erst geordnet habe in Kunst und Kochen, dann wird's wohl bester sein. Hier in der Nähe ist eine Kochschule beiderlei Gestalt, einfacher Mittagstisch und Puterbraten.

Lieber, war unser letzter Eistag zusammen nicht schön? Und war es hinterher bei Euch noch so schön als bei mir? Ich denke daran mit Sehnsucht. Ist Worpswede überhaupt nicht wunderschön? Ob Ihr wohl heute wieder auf dem Eise seid? Mich würde es so für Dich freuen. Das bringt Leben und Pulsschlag und Fröhlichkeit.

Heute nachmittag gehe ich zu Rilke und danke ihm auch in Deinem Namen für die »Geschichten vom lieben Gott«. Leider gefallen sie mir nicht alle ganz. Es wird schwer sein, darüber zu sprechen. Nun, wir werden ja sehen. Er ist ja ein Mensch, der Dinge leicht macht.

Wenn Herma Dich einmal wieder besucht, dann laß Dir von ihr noch einmal »Ich denke Dein« sagen. Ich küsse Dich innig, mein Roter, bin Dein mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzem Gemüte.

Berlin, den 15. Januar 1901.

Ich war heute im Museum und hörte die Englein im Himmel singen. Es war so schön, daß ich gleich zu dir kommen muß. Kunst ist doch das Allerschönste. Hier in Berlin mit den vielen Federhüten und den furchtbar lärmenden Elektrischen ist sie mir eine süße, liebe Mutter und ein Obdach in dieser Pein. Dann sitze ich ganz still in all diesem Lärm und krieche ganz in mich zusammen. Und in mir lächelt es und meine Seele weilt in seligen Gefilden.

Dein Rembrandt ist ein Mensch, ein großer, ein mächtiger, ein König. Ich kann ihn nicht überall annehmen. In vielen Stücken liegt er mir sehr fern und außerhalb mir, so die »Tröstung der Witwe«. Er hat auch eine Farbigkeit, in die ich mich erst hineinschauen mußte, eine, die mir auf den ersten Blick nicht sympathisch war. Aber dann hast Du recht: in dem hat es gezittert. Die kleine Skizze vom Engel im Stalle bei Josef und Maria in Bethlehem ist wunderbar. Das Licht auf den Flügeln des Engels und halb auf seinen Armen, und seine Hände, und die Maria mit einem blauen Tuch und einem merkwürdigen roten, und der Kuhkopf. Das alles ist so rührend menschlich und so tief, tief empfunden.

O, diese Tiefe in unserem Herzen! Sie war mir lange mit Nebeln verhüllt und ich kannte und ahnte sie wenig. Und nun ist es mir, als höbe jedes meiner inneren Erlebnisse diese Schleier, und ich täte einen Blick hinein in diese süße, zitternde Dunkelheit, die alles das in sich birgt, was es wert macht, ein Leben zu leben.

Ich fühle stark, wie alles Bisherige, was ich von meiner eigenen Kunst erträumte, noch lange nicht innerlich genug empfunden war. Es muß durch den ganzen Menschen gehen, durch jede Faser unseres Seins.

Ein Engelein, das besonders lieblich sang, war eine Böcklin-Photographie bei Keller & Reiner. Otto, die war wundervoll. Kennst Du sie? Drei Mädchen gehen durch den Abend am Wasser entlang. Die Vordere, Dunkle, schreitet in dunkle Schleier gehüllt, und hinten ist eine bezaubernde Blondine mit schwimmendem Angesicht. Die müssen wir eigentlich haben, sie sind so wundervoll. Eigentlich mag ich Böcklin nur noch ganz leise für mich denken, denn ganz Berlin schwätzt laut davon. Daß doch die Leute alles in ihre Mäuler nehmen müssen, auch Veilchen und Rosen.

Den Velasquez sah ich heute zum Schluß. Er wirkte mir sehr verfeinert kühl, und ich glaube, zu gemäßigte Atmosphäre für mich. Ein Haus mit Zentralheizung paßt nicht mehr für mich. Auf der Diele soll es kalt sein und in der Stube warm, und wer an den Ofen faßt, der soll sich brennen, und Leben sei überall! Nur keine Hoftemperatur, dann brauche ich auch hohe Absätze und seidene Strümpfe und froufrou-Röcklein und in die Unkosten will ich Deine Zukunft lieber nicht stürzen.

Sehr liebe ich die alten Deutschen und ihre Beweinungen Christi. Heute aber sah ich einen, der wirkte ein wenig zu wohlgenährt und zu zufrieden. Was hungernde, suchende Seelen sagten, dem höre ich gerne zu.

Wundervolle alte Holzschnitzereien sah ich und feine alte Relief-Porträts, aus getöntem Wachs aus Karl V. Zeit. Ich sah überhaupt viel Schönes und lebe noch darin.

Lieber, ich habe noch keinen Brief von Dir bekommen. Als ich mir aber heute all die Pracht beschaute und alle die Herrlichkeit, da war es mir, als hättest Du mir geschrieben oder ich mit Dir gesprochen, denn unsere Seelen würden in vielem zusammengeklungen und geläutet haben.

Am Sonntag bei Rilke war es schön. Als ich seine Stimme hörte, war es mir wie ein Stückchen Worpswede, obgleich ich vorher durch dies Getöse der großen Stadt ein wenig verängstet war. Er las mir den letzten Akt vom letzten Hauptmann. Das war ganz wie sein »Hannele«.

Wenn M. mal wieder bei Euch ist, so laß Dir singen: »Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus«. So ist mir manchmal zumute, wenn ich fühle, wie viel Wonne auf dieser Erde ausgeschüttet ist.

Und das Kochen! ... Bis jetzt habe ich mir nur Küchen angeschaut, bin aber noch nicht zum letzten Entschluß gekommen. Überall ist ein Haken dabei. Aber das kommt auch noch.

Und nun laß Dir schnell noch Deinen roten Bart recht innig, recht bräutlich küssen, mein König.

Berlin, den 15. Januar 1901.

Das war schön, als Du gestern unter Clara Westhoffs Flagge vor mir erschienst. Ich trug Dich den ganzen Tag mit mir herum, und als ich des Sehens müde war, setzte ich mich in eine stille Ecke neben jene entzückende Dame des Verochio, die mit ihren schlanken Händen Blumen an der Brust hält. Da las ich Dich noch einmal, nachdem ich viel Schönes gesehen hatte, und sprach mit Dir. Ich war bei Böcklin gewesen, und habe ihn noch nie so schön gesehen. Erst jenes Frühlingsbild mit den drei Lebensaltern. Da ist so sehr viel Rührendes in Gras und Blumen. In der Ferne, hauptsächlich rechts, entzückende Silhouetten entlaubter Bäume. Das kleine Wässerlein so einfach und liebevoll, und sehr reizvoll das silbrig hellblaue Mädchen vom Liebespaar, mit einem zarten Schleier auf dem Hut. Ich bin so froh, dies alles noch soviel stärker empfinden zu können als früher. Böcklin sprach in seinem Buch gegen ein vorherrschendes Blau. Mir scheint in diesem Bilde der Himmel zu blau. Ich glaube, er würde noch frühlingsseliger sanfter auf mich wirken, wenn er abgetönter wäre.

Im »Gefilde der Seligen« ist für mich links eine wunderbare Ecke. Ein Liebespaar, das aus güldenen Schalen Leben trinkt, – so tief und farbig und groß und einfach ist da alles, auch der dunkle Rasen, auf dem sie sitzen, und das schweigende Wasser davor ... Aber Dr. M. hat recht: die Bilder halten sich nicht gut, dies Bild und noch ein anderes, ich glaube die Pieta, hat viele Risse.

In der »Schlafenden Nymphe und den Faunen« habe ich mich an einzelnem so sehr erfreut. Der große farbige Eindruck war für mich nicht so befriedigend. Die große braune Masse der Faunenkörper hätte vielleicht als Gegengewicht mehr Blau im Bilde erheischt. Ich habe mir das wenigstens als Grund gedacht, daß es ziemlich unerfreulich auf mich wirkte. Aber der silbrige Schleier über der Nymphe, der ist etwas. Wie der über dem Fleisch liegt und es darunter anschlagen läßt und wie seine Silbertupfen funkeln. Wunderbar sind auch der Efeu und die mit Flechten überzogenen Steine und der Krug, auf dem sie ruht.

Ja, Otto, im Leben ist viel, viel Wunderbares. Da habe ich oftmals das Gefühl, als müßte man ganz still und fromm dazwischen sitzen und den Atem anhalten, auf daß es nicht entfleucht.

Lieber, es ist Abend geworden. Ich sitze ganz allein hier oben in der stillen Etage und mir kommen allerlei süße Gedanken. Da muß ich Dich noch einmal ganz leise umarmen, so recht mit der Seele. Vorhin hat M. im dunklen Nebenzimmer wundervoll Klavier gespielt. Dann ist auch sie weggegangen. Ich wünschte, Du hörtest sie einmal. Es ist etwas ganz Weiches, ganz Zartes, sehr Trauriges, Schmerzvolles. Da gibt sie sich ganz, während im Wort ihre scheue Seele zurückhält. Nun muß auch ich weg. Lieber, weg von Dir und von mir, hinaus unter die Menschen.

Berlin, den 18. Januar 1901.

Arnold Böcklin ist nun nicht mehr. Lieber, das ist eine Nachricht, die mich sehr beschäftigt. Ich denke an ihn, den Großen. Das war ein schönes Sterben. Ich meine damit, er hatte noch so viel in sich. Er ist nicht einer von denen, die allmählich durch die Macht der Zeit ausgehöhlt wurden, Über die Familientragödie von seinem Sohne weiß ich wenig. Ich glaube, sie war ihm viel Bitternis. Aber daß einer mit dreiundsiebzig Jahren noch mächtige Bitternisse empfinden konnte, das ist mir dies Wundervolle ... Lieber, daß wir zusammen noch sein Buch lasen, noch vor seinem Tode. Mir ist es, als hätten wir ihm noch vor dem Scheiden die Hand gedrückt.

Dieser Tod stimmt mich sehr ernst, beinahe fromm. Wenn der Baum im Herbst die Blätter fallen läßt, dann schaut man dem zu und segnet den Willen der Natur. Denn die Kraft stirbt nicht und im Frühling ersteht ein neuer grüner Zauber. Und der Geist, der Geist Böcklins, wo bleibt er wohl? Erscheint er uns wieder in Blumen und Bäumen? Vielleicht sehe ich ihn nächsten Frühling auf dem Weyerberge blühen. Wenn ich das bedenke, so vertausendfacht sich meine Liebe und Demut vor jedem Grashalm. Und ich hatte sie bisher schon so herzinnig lieb. Ich glaube aber, ich werde frommer, vielleicht grade in dieser unfrommen Stadt. Du weißt, Lieber, christlich meine ich damit nicht, denn Kirchen gibt es hier genug. Aber fromme Augen sehe ich so wenig.

Nebenan begleitet M. Schumann-Lieder und ihr Bruder G. singt dazu vom Nußbaum und einem Mägdelein, »das dächte die Nächte und Tage lang, wußte selber nicht was« ... In mir ist ein merkwürdiges, weiches, träumendes Lebensgefühl in diesen Tagen. Zwischen diesen großen, kalten, alten neuen Häusern sehe ich so wenig vom Himmel, aber ich weiß ihn und trage ihn in mir. Es sind Tage des sanften Säuselns.

Dein Brief heute morgen geleitete mich zur ersten Kochstunde. Ich trug ihn in der Tasche und er lernte mit mir Salzkartoffeln und Pellkartoffeln kochen, Kartoffelmus, Bouillon und Soßen und Rindfleisch. Wir beiden fühlen wohl, daß wir es besser hatten als die andern. Laß Dich küssen, Lieber.

Und mein Zimmerlein ist lang und schmal. Die Hauptsache darin ist ein wunderbares, weiches Bett. Es steht aber auch ein Pult darin, vor dem ich jetzt schreibe, und ein Schrank und ein Waschtisch. Über dem Bett hängt Deine Studie und mit Rosenwolken erwache ich jeden Morgen, schaue sie mir ein wenig an und weile gleich die ersten fünf Minuten jedes Tages in Worpswede. Es hängt auch dort unser dreier Bild, Clara Westhoffs, Deins und meins, da schaue ich Dir jeden Morgen in die Augen. Merkst Du es wohl? Dann wende ich mich zu meinem Alpenveilchen, das mir Sorgen macht und nicht recht blühen will und das Köpfchen hängen läßt. Und dann geht es mit einem Satze aus dem Bett.

Berlin, den 26. Januar 1901.

Gestern am Sonntag war ich mit M. in der »Neuen Gemeinschaft«, von Heinrich Hart errichtet in Friedrichshagen, Du weißt. Es war am Vormittag. Es wurde viel über Nietzsche gesprochen, gelesen, etwas über den jetzigen Stand der Dinge und Gedichte von Herrn Hart deklamiert. Es scheint mir viel Eitelkeit zu sein, langes Künstlerhaar, Puder und zu große Korsettlosigkeit. Ich bin ja nicht grade für jenes Kleidungsstück, nur soll man es auch nicht vermissen. Wenn alle diese Simsons doch eine Delila hätten, die ihnen die Locken schneiden wollte. Und wenn auch ihre Kraft von ihnen wiche, ich glaube, die Welt würde nicht darunter leiden. Heute abend bin ich zum Souper im weißen, ausgeschnittenen Seidenkleid mit Veilchen bei G.'S. Bekannte aus meiner Dresdner Kinderzeit.

Also Du warst in meinem Brünjesstübchen. Hast Du denn auch die Uhr angetickt? ... Ja, Kunst! ... Lebe wohl, mein Otto. Laß Dich umarmen und Dir lange in die Augen schauen.

Berlin, den 26. Januar 1901.

Mein Lieber, da habe ich eben wieder meine Briefe aus der braunen Reisetasche geholt, denn darin werden sie versammelt, und habe mit Euch gesessen in meinem Stübchen und über vieles, vieles gesprochen. Und das ging schön ... Ich sitze hier in Berlin vier Treppen hoch, sehe trotzdem wenig Himmel und unter mir aus dem Hofe tönt das gleichmäßige Getön einer teppichklopfenden Schönen an mein Ohr. Ich führe hier ein merkwürdiges Leben, eigentlich eines ganz in mir allein. Ich versuche mich so viel als möglich meinen Verwandten mitzuteilen, denn es sind feine, liebe Frauen. Aber dieses Mitteilen geht doch nur bis zu einem Grade, dann hat es eben ein Ende. Und was übrigbleibt, singt und summt dann in mir und lullt mich in dieser realen Stadt in einen Traum ein. Ich lasse es mir gerne gefallen, denn es geht schön, und so träume ich mich über die zwei Trennungsmonate hinweg. Dann höre ich viel Musik, nicht in Konzerten, sondern im Zimmer, und dann fühle ich Dich bei mir und blicke Dir in die Augen und fühle Deine weichen Hände über mein Haar gleiten und über Wangen und Hals –

Gestern hatte ich einen merkwürdigen Abend bei Keller und Reiner. M. und ich hatten Billette geschenkt bekommen und gingen mit wenig Erwartungen hin. Durch mehrere Ausstellungszimmer an schlanken, feinen Gläsern vorüber und wundervollsten Böcklins, gelangte man in den Hintersaal, der mit Kerzen und mattüberzogenen elektrischen Lampen in feierlichem Lichte stand. Die Creme Berlins war versammelt. Man saß auf großen gemütlichen Sesseln, die zwanglos gruppiert waren. M. und ich drückten uns in eine stille Ecke, von wo aus wir spähen konnten, aber nicht erspäht wurden. Da habe ich seit langer Zeit einmal in Stille und Einfalt Kleider genossen und einen wundervollen schwarzen Sammethut. Und dann verlöschte das elektrische Licht. Wir saßen bei der sanften Kerzenhelle. Hinten am Klavier scharten sich die Kerzen und leuchteten auf eine liebliche Verochio-Dame, die Blumen hält in zarten, schlanken Fingern. Und dann wurde uns vorgelesen, von Gobineau, einem Franzosen, aus seinem Drama »Renaissance«, ein Gespräch zwischen Michelangelo und der Vittoria Colonna. Und der Geist dieser beiden großen Menschen kam zu mir, so wie er zu mir kleinem Mädchen kommen kann.

Kennst Du die Liebessonette von Michelangelo? ... Da ist dieser harte, riesenstarke Mann kinderweich. Und er war ein Gefäß, das die Liebe wohl fast sprengen konnte. Wie hat sie ihn geschüttelt! Und er gab sich ihr hin mit jeder seiner Fasern und war sanft wie ein Lamm. Und trotzdem war in jeder dieser Fasern mehr Kraft und Innerlichkeit und Menschentum, als sonst in einem ganzen Menschen. Und doch blieb er still. Als die Vittoria vor ihm starb, da wagte dieser Riese ihr nur die Stirn zu küssen und die Hände, und nicht den Mund. Mich erfüllt es mit Demut und Frömmigkeit, daß ich das von ihm wissen darf.

So saß ich bei Keller und Reiner. Und da tönt Musik und eine Männerstimme und eine Frauenstimme verstricken sich ineinander und singen Liebe. Ich schaute vor mich hin und zu den blau behangenen Wänden und den schönen Leuchtern und einigen Rysselbergeschülern, die ich nicht liebe, aber in dieser Stunde gern litt, und da war es, wo ich Dich in fast greifbarer Nähe fühlte, Lieber. Ich kroch ganz hinein in meine stille Ecke, wo mich niemand sah, und war bei Dir. Allabendlich und allmorgendlich habe ich ein stilles Zwiegespräch mit Dir. Abends bei der Kerze lese ich noch einen oder den andern stillen Brief. Und morgens schaue ich in Deine Studie und auf Dein Bild. Nun habe ich noch einen kleinen Druck von Böcklin dazu gestellt und schaue in seine Augen, denen tiefste Pein und tiefste Lust der Welt zu schauen vergönnt war. Und an der andern Seite hängt ein gelbes Kränzlein von Immortellen, die ich dem alten Blumenfrauchen an der Potsdamer Brücke abkaufte und in einer stillen Stunde zum Kranze wand. Wenn der ein paar Nächte noch über mir und meinem Bette geleuchtet hat, dann schicke ich ihn Dir, Lieber.

Und das Kochen? Ich sage Dir, ich lerne. Und kann schon falschen Hasen und Kalbsfrikassee und beinahe Mohrrüben. Ich bin dann meistens zwischen zukünftigen Köchinnen, die mir also nicht durch Bildung am falschen Platze auf die Nerven fallen können. Die Oberkochfrau hat zu den andern gesagt, ich hätte schönes Haar, und die eine Köchin nennt mich vom Augenblicke an, wo sie wußte, daß ich schlicht und recht den schönen Namen Becker führe: »Beckerchen«. Ich stecke alles schmunzelnd und sinnig ein.

Rilke sehe ich jeden Sonntag bis jetzt. Dann besuche ich ihn in seinem großen Zimmer in Schmargendorf und wir haben schöne, stille Stunden. Er dankt Dir sehr für Deinen Brief und läßt Dich durch mich grüßen, obgleich schon die Adressen auf den neuen Kuverts, die er mir gab, Grüße an Dich seien, wie er sagte ... Und Clara Westhoff? Kommt sie wohl bald? Schön, Lieber, daß Ihr Euch so viel seht. Mir ist für die Zukunft so wohl, wenn Ihr Euch gut versteht. Sie ist solch ein feines Geschöpf. Und grüße die Leutchen auch im Barkenhof.

Und nun noch eins: Ich wünsche mir sehr ein helles, hübsches Kleid und hier ist so schöne Gelegenheit dazu. Kannst Du mir es wohl spendieren? Zirka 50 Mark. Weißt Du, wenn es nicht gut geht, dann bin ich auch nicht traurig. Nun lebe wohl, Lieber, ich will M. und Tante H. die Einsamen Menschen von Hauptmann vorlesen.

In Innigkeit und großer tiefer Liebe grüßt Dich aus der Ferne

Deine Braut.

Berlin, den 31. Januar 1901.

Ich dachte mir grade aus, daß ich nicht mehr weißes Briefpapier haben wollte, sondern blaues, graublaues. Und da kam Dein großer blauer Brief und war blau. So sind unsere beiden Gehirne auch in der Ferne miteinander verknüpft. Und wenn der eine »blau« denkt, dann muß der andere unwillkürlich mitmachen. Das ist schön, nicht?

Nun ist Clara Westhoff da und hat mir so viel von Dir erzählt und wie schön es in Deinem Atelier ist, Du Lieber. Und Deine Briefe erzählen es auch, und dann verschweigen sie noch so vieles, daß ich mich so sehr darauf freue, wenn ich die Dinge erst in ihrer Schönheit zu schauen bekomme. Aus Deinen Briefen strömt immer solch ein sanfter, wunderbarer Hauch, daß ich dann erst recht fühle, wie schlecht es mir im Augenblick doch geht. Das heißt: wenn ich nicht Ich wäre, oder vielleicht grade, weil ich Ich bin. Wenigstens, es kommt so viel Moorluft und Birkenschönheit und Allgewalt der Natur. Ja, Otto, wenn wir erst unserer kleinen Moorhütte zupilgern, und wenn wir erst tausend andere Dinge tun können, das wird wunderbar.

Also Clara Westhoff. Wir haben schon sehr viel voneinander gehabt, gestern eine Feierstunde bei Böcklin. Unser Ball war weniger. Die Frauenemanzipation ist doch in diesem Rottenauftreten sehr unschön und unerfreulich.

Ein stiller Abend in Schmargendorf bei Rilke. Und jetzt gehen wir gleich zum Museum. Es ist noch vor dem Morgenkaffee. Ich hatte nur das Gefühl, ich wäre sehr lange nicht bei Dir gewesen. So nehme ich Dich in aller Liebe in meine Arme und streiche ganz sacht über Dein weiches Haar.

Dein treues Weib.

Berlin, den 3. Februar 1901.

Lieber,

ich bin noch voll von der Verkündigung des Engels: »Du aber bist der Baum«, die Rilke vorlas. Und das wird an uns beiden geschehen, Lieber, und ich falte still die Hände. Ich kann nur immer still sein, und dann ist es mir, als ob der Atem auch spärlich käme, und dann kommen nur wenig Worte zutage. Die kommen aber auch aus der alleruntersten Tiefe von mir und die müssen Dir erzählen von Dingen, die sie gesehen haben. Und das sind dann meine Liebesbriefe. Ich weiß nicht, ob ich Dir gesagt habe, was ich Dir sagen wollte. Ich bin auch müde, weißt Du.

Hast Du Dein Kränzlein zum Sonntag erhalten? Wo hängt es? Ich küsse Dich und segne Dich und schreibe Dir morgen einen Brief, Du.

Berlin, den 4. Februar 1901.

Schreibe ich Dir immer nur von lauter Malen und von nichts anderem? Steht nicht Liebe in den Zeilen und zwischen den Zeilen, leuchtend und glühend und still und minnig, so wie ein Weib lieben soll und wie Dein Weib Dich liebt?

Lieber, ich kann mein Letztes nicht sagen. Es bleibt scheu in mir und fürchtet das Tageslicht. Dann kommt es im Dämmern oder in einer Nacht einmal hervor. Aber weißt Du, die Welt ist ihm so fremd. Mit der Zeit kommt dann wohl eine Zeit, wo Du fühlst, daß ich es gar nicht sagen mußte, sondern daß in lautlosen Stunden Du in mich übergegangen bist und ich in Dich. Ich glaube, es ist meine Jungfräulichkeit, die mich bindet. Und ich will sie tragen, still und fromm tragen, bis eine Stunde kommt, die auch die letzten Schleier hinwegnehmen wird. Und dann? – – –

Aber daran denke ich wenig in dieser Stadt. Manchmal, wenn ich abends im Bette liege und Deine Studie auf mich strahlt, oder morgens, wenn ich erwache, oder in einer stillen sinnenden Stunde. Sonst tue ich es nicht in dieser Stadt, denn die Dinge, die meine Ideen mit diesem Heiligsten verbinden, sind nicht schön und nicht rein. Wenn der Frühling über den Weyerberg zieht und grüne Schleier über die kleinen Birken spannt und jedes Bäumlein sich schauernd zur Befruchtung rüstet, wenn aus der Erde der junge Lebensgeruch strömt, dann wird es auch mir die Stirne küssen und wonniglich durch mein ganzes Wesen ziehen und der Drang von mir zu Dir wird wachsen und zunehmen bis zu einem Tage, da ihm die Erfüllung wird. Aber daran laß mich jetzt noch wenig denken und wolle nicht, daß ich davon rede. Lieber, laß noch Dein Bräutlein in seinem Winterschlaf.

Das war alles gestern abend. Heute morgen berichte ich Dir noch schnell von allen schönen Dingen. Am Sonntag erlebte ich mit Clara Westhoff ein wundervolles Konzert: die Symphonie Eroika von Beethoven. Da kommt der wunderbare Trauermarsch darin vor, der immer wieder und wieder hervorbricht, getragen und leise. Und darauf kommt ein sonnen- und weltfreudiger Satz. Der wirkt so süß auf die schluchzende Seele. Lieber, bei der Musik stand es auf einmal fest in mir, daß Du zu meinem Geburtstag hier sein müßtest. Kommst Du? Kommst Du? Ich will Dich nicht quälen, noch ein Wörtchen mehr darüber sagen. Du fühlst natürlich selbst am besten, wie es um Dich steht und um Deine Arbeit, und ob Dich dieser Abstecher nicht stört. Ich möchte so gerne mit Dir zusammen die Böcklins schauen. Überhaupt – –

Und ein Kleidchen darf ich mir kaufen? Ich danke Dir schön. Das macht mir viel Spaß und Freude. Wenn ich es habe, will ich Dir davon berichten.

Berlin, den 8. Februar 1901.

An meinem Geburtstage, Lieber, und Dein Bräutlein ist jetzt fünfundzwanzig Jahre alt.

Du Lieber, Du Meiner, Du Inbrünstig-Guter Du.

Da kam es über mich geströmt aus der Holzkiste und es überrieselte mich Liebe, Liebe und wieder wonnige Liebe. Du hast soviel Schönheit und Güte auf mich herabgestreut – und einen traurigen Brief. Das mußt Du nicht tun, Lieber, mußt nicht Dir Gedanken machen über eine Karte in großer Müdigkeit geschrieben. Ich bin der Stadt und des Kochens und der Menschen und dieser tausend Rücksichten müde und sehne mich nach Freiheit, nach Luft und nach Menschen und sehne mich nach Dir. Aber ich will tapfer sein und nicht klagen. Nur glaube ich, länger als Februar werde ich es wohl hier nicht aushalten. Ist das Dir recht?

Dein Bildlein, Lieber, waren süße Klänge aus einer andern, aus Deiner und meiner Welt. Hier höre ich so viel Teppichklopfen und Türenschlagen und man stößt sich an vielen eckigen Kanten die Gliederchen wund. O, wenn ich erst wieder bei dem Rosenbusch und bei den beiden Menschen und bei den Blümelein und bei der Birke bin. Hier sind Mauern, Mauern, Mauern und schwülstige Renaissanceschnörkel, wohin man auch schaue. Da ist es eine Wohltat, an Dich zu denken in Deiner Einfachheit. Nein, Lieber, Du bist nicht kompliziert. Das weiß ich und wußt ich und werde ich wissen. Und ich danke Dir das. Ich weiß nicht, ob ich kompliziert bin. Und wenn ich es wäre, müßte ich wohl so sein. Und dann würde ich Kompliziertsein auch keinen Fehler nennen. (Wenn ich nun bei Dir wäre, dann würde ich Dir bei diesem letzten Satze ganz schnell meine stark ausgebildete Zungenspitze zeigen.) Aber so, so, so. Eben, ich muß bald wieder bei Dir sein, nicht wahr? Soll ich? Ich koche fünfmal die Woche und da lerne ich schnell. Und kann bald genug für uns beide kochen. Weißt Du, sonst kommst Du ins Spinnen und Sinnen und ich vergehe an Luftmangel. Nun, Clara Westhoff wird Dir ja bald von mir erzählen.

Ja, Dein Bild ist so schön, so sehr, sehr schön. Dies Birkengeriesel auf dem Abendhimmel und dieser Blumenfrieden. Ja, Lieber, so sieht es in meiner Heimat aus. –

Nun schreibe mir bald. Schreibe mir gleich. Heute, meinen Geburtstag werden wir draußen im Grunewald im Schnee verleben. Ich brauche einmal wieder Natur. Da machen wir uns gleich auf nach Schlachtensee. Dort steht das Haus leer, in dem ich zwei Winter gewohnt habe. Du weißt, bei der Tante und dem Onkel, die in Australien sind. Derselbe Onkel ist auch der norwegische Onkel. Fühlst Du wohl, daß ich bei Dir bin? Eigentlich immer bei Dir. Oder bei Dir in meinen schönsten Augenblicken. Immer, wenn ich etwas Schönes sehe, sehe ich es mit Bezug auf Dich. Und wenn ich Musik höre, ist mir, als ob Du um mich wärst und als ob ich Dich ahne. Sei innig umarmt.

Berlin, den 12. Februar 1901.

Mein geliebter Mann, das war wieder ein schöner Brief. Nun bist Du wieder froh und ich bin wieder froh. Und nun mußt Du mir auch versprechen, nicht wieder traurig zu werden. Oder: Traurigsein ist wohl etwas Natürliches. Es ist wohl ein Atemholen zur Freude, ein Vorbereiten der Seele dazu. Nur eins möchte ich nicht: daß Du denkst, daß diese traurigen Stunden durch mich oder durch meine Briefe kommen. Nein, die liegen dann in Dir, folgen einer heiteren Stimmung, wie der Februar dem Januar.

Ich bin, glaube ich, heute Philosophin, zu deutsch: auf Glatteis, da will ich denn mit Energie aufs feste Land zusteuern, auf daß ich mir nicht ein Bein breche.

Papa schrieb mir rührend zu meinem Geburtstage. Er verbreitete sich auch über meine Aussteuer und wollte mir tausend Mark geben und ich sollte mich dann mit dir bereden. Ich habe ihm aber gesagt, daß ich nur zweihundert Mark brauche, damit will ich mich hübsch instand setzen. Und dann bist Du hoffentlich mit mir zufrieden. Das andre Geld sollen nur die Zwillinge zu ihrer Ausbildung behalten.

Lieber, ich habe wieder ein Stücklein in den Haushalt. Wieder ein Spiegel, und wieder aus Glas, aber klein. Er ist so bezaubernd, da konnte ich nicht widerstehn. Ich erhandelte ihn mir nächtlicherweise bei einer höchst originellen Judenfrau. Die hat noch ein graues Glasteebrett mit Karaffe und zwei Trinkgläsern mit türkisblauen Punkten darauf und Gold. Das ist auch wunderbar und muß auch unser werden. Und Du, das »Kleidchen«, was Du mir zum Geburtstage schenktest, das wird mein Hochzeitskleid. Denke einmal. Das lasse ich mir hier machen. Und dann bin ich ungefähr fertig.

Ich denke so oft jetzt daran, daß wir uns im Sommer ganz gehören werden. Dann bin ich Dein minniglich Weib. Wir müssen uns nun vorher alles schön überlegen und alles in uns und um uns darauf rüsten, dann wird uns die Zeit nicht lang. Ganz billige kleingeblümte Tapetenproben habe ich auch schon, darauf werden goldene Rahmen schön aussehen. Heute habe ich mir auch aufgeschrieben, wie ein Haus wohl sein muß, wenn wir eins in zehn Jahren bauen. Das will ich immer tun und Du mußt es auch. Es gehen einem so viele nette Gedanken durch den Kopf. Die vergißt man sonst wieder, bis man soweit ist. Und dann denke ich, daß ich Elsbeth malen werde mit ihrem goldenen Gelock und daß wir drei in der Heuzeit uns in einen großen einsamen Heuhaufen setzen werden und miteinander spielen wie drei große Kinder. O, ich denke mir überhaupt immer so viel Schönes aus. Du auch?

Und daß Du die Schülerin nun doch genommen hast, das tut mir leid. Wir wollten es doch grade nicht tun. So ein bißchen Geld und so viel Ärger und Ernüchterung. Kannst Du es nicht noch rückgängig machen?

Berlin, den 16. Februar 1901.

Lieber, ich war heute viel bei Dir und diese Tage viel bei Dir und bin überhaupt bei Dir. Da will ich Dir noch ein ganz klein wenig schreiben, damit Du etwas zum Sonntag hast. Und dann wird auch Clara Westhoff wiederkommen und wird Dir viel von mir und Berlin erzählen, und dann werden die letzten Wochen der Trennung für Dich schneller dahinfließen. Für mich fängt es jetzt an, richtig schwer zu werden. Zuerst waren die Eindrücke alle noch so neu und mein Mut war frisch. Nun werde ich aber müde unter allen diesen Müden, denn von jenem siegreichen entgegenlächelnden Leben, davon wissen sie nichts. Und ich kann ihnen davon auch nur erzählen, wie ein Märchen, denn sie kennen es nicht. Und dann muß ich es ihnen bleicher erzählen, und die tiefen Farben verschweigen, die es hat, denn es würde sie traurig machen, weil ihre Augen sie nicht sehen. Und ich liebe doch die Tiefe der Farbe wie mein Leben und brauche sie zum Leben, wie die Luft.

Nun noch ein Weilchen.

Also, Lieber, setze Dich gleich hin und schreibe mir auf ein Zettelein, ob Dein Geburtstag am einundzwanzigsten oder am zweiundzwanzigsten ist, auf daß Dein Weiblein zur rechten Zeit erscheine. Und nächstes Jahr? Da liegt dann neben Dir auf einem großen weißen Kopfkissen ein anderer Kopf mit einem rotbraunen, dicken Zopf und ruft Dir Guten Morgen! zu.

Noch eins: Papa beruhigt sich nicht über die Aussteuerfrage, der Gute. Ich soll alles jetzt anschaffen, weil ich jetzt in Berlin bin und Zeit habe. Ich soll Dich nun fragen, ob Du meinst, ob wir für das Haus noch Leinen brauchen. Bitte, vergiß nicht, darauf zu antworten, da Papa mit väterlicher Gründlichkeit für mich sorgt.

O, wäre ich weiter, o, wäre ich zu Haus! Weißt Du, ich kann schon eine ganze Menge. Deinet- und meinetwegen könnte ich schon kommen. Dies tue ich nur meinem Vater zuliebe, daß ich noch hier bin. Nun irgendwo auf Wiedersehn, Du lieber Mann Du.

Und Du schreibst, Du malst Akt. Hast Du Modell? Erzähle mir nur immer mehr.

Sei geküßt von mir.

Berlin, den 19. Februar 1901.

Lieber, Lieber, Lieber! Ich habe mir heute Hemden und Hosen und Nachthemden gekauft und alles für Dich. Und dabei sind auch süß circenhafte. Und ich glaube, Du wirst mich gerne darin sehen. Ich habe sie ordentlich ein bißchen hübsch genommen, wie Du sie liebst. Und dann habe ich gestern und heute einen blauen Brief bekommen und dann denke ich daran, daß nun wohl bald diese strenge Zeit der Kochprüfung vorüber ist. Und das alles und vieles, vieles dazu gibt mir ein Gefühl von jubelnder Glückseligkeit. Du hast so recht: das Leben ist wunderbar, und uns beiden Leutchen geht es so gut. Das heißt, mir erst ganz und völlig nach Beendigung meines Berliner Läuterungsprozesses. Und weißt Du, ich halte es nicht mehr so lange aus ohne zu malen.

Und daß Du so glücklich bist in Deiner Kunst! Hallelujah! Und die malerische Idee des Bildes um einen Menschen und eine menschliche Gestalt hängen. Ja, das scheint auch mir ein Traum.

Du, wenn Du ein Postpaket schon vor dem zweiundzwanzigsten bekommst, dann mußt Du es noch nicht aufmachen. Das schicke ich nur dem sechsunddreißigjährigen Otto Modersohn.

Dresden, den 23. Februar 1901.

Meine Reise von Berlin nach Dresden war wonnig. Überall saß der Frühling hinter jedem Strauch und ich fühlte, wie es frische Knospen trieb. Die kleinen Bäche waren von dem schmelzenden Schnee hoch angeschwollen und rauschten hurtig dahin. Die Wiesen waren mit großen Lachen bedeckt, die dem blauen Himmel entgegenjauchzten. Überall saß der Frühling. Ich mußte an Zwintscher denken. Ich kam in seine Gegend mit den Weinbergen und den Obstbäumen darin und den runden Keltertürmen auf dem Kamm der Berge. Zwischendurch las ich Michelangelos Gedichte, die sich in ihrer Größe, Einfachheit und Demut auf mich legten. Das war ein Mensch! Die Stare sind auch wieder da. Und nächsten Sonntag? Nächsten Sonntag schwinge ich mich morgens um acht Uhr in die Kleinbahn und eile zu Dir und werfe die Welt und ihren Schimmer hinter mich. Und dann beginnt für mich wieder ein schönes, stilles, ernstes Leben mit Tiefgang, um mit Dr. Hauptmann zu reden. Hier und in Berlin wollte ich immer tiefer, als es die anderen Leute wollten. Da gab es eine ewige Reibung.

Ich habe lange, lange nichts von Dir gehört. Nun, dann denke ich immer, Du malst etwas Schönes, und als demütig Weib fühle ich, daß das natürlich vorgeht. Meine Verwandten grüßen Dich alle herzlich und wir sind überall aufs freundlichste eingeladen.

Ich schreibe wohl jetzt noch weniger »Liebesbriefe« als früher? Ich las den »Lear« und stand wieder ganz unter dem Bann seiner Größe. Ich las aber auch: Cordelia liebt und schweigt. Das scheint mir ein verwandtes Gefühl zu sein. Außerdem ist mein Gemüt in dieser Stadtluft zu vielem Staub und zu vieler Konvention ausgesetzt. Sei innig geküßt von

Deinem Mädchen.

Februar 1901.

Lieber, ich komme mir vor wie jenes Paar, das wir zusammen in Hamburg in der »Zauberflöte« sahen, das soundsoviele Proben überwinden muß, um endlich zur Glückseligkeit zu gelangen. So ist auch diese Dresdener Reise bei meinem Heimwehgefühl nur eine neue Probe. Mir wird hier so sehr viel unverdiente Liebe und Güte entgegengebracht. Aber weißt Du, ich bin der Welt müde und sehne mich nach meinem stillen Stüblein und nach anderer Arbeit als Kochen und Umherreisen. Nun, bald hat die Sache ja auch ein Ende und ich bin wieder bei Dir und in meinem Element. Der Fisch gehört eben ins Wasser und ich in die Einsamkeit. Das habe ich wieder einmal gesehen. Nun, ich habe vielleicht einiges innerlich profitiert, noch außer dem Kochen. Gestern stieß ich unerwartet auf Dein Bild mit dem alten Weiblein hier in der Dresdener Galerie. Das war eine große Freude, plötzlich diese bekannten lieben Töne klingen zu hören. Aber weißt Du, Deine letzten Bilder sind noch reifer, hauptsächlich technisch. Dies hast Du wohl auf einer andern Untermalung gemalt? Da gibt es einige Unebenheiten in der Farbe und die Hütte steht kompakter auf der Luft als sie es jetzt tut. Es ist aber doch ein Otto Modersohn und macht mir Freude.

Berlin, den 8. März 1901.

Ich sitze hier bei gepacktem Koffer, durch ein mütterliches Telegramm zurückgehalten. Ich sollte noch nicht kommen und immer noch kochen, kochen, kochen. Das kann ich nun aber nicht mehr, will ich auch nicht mehr, tue ich auch nicht mehr. Das ist vom Menschen mehr verlangt, als er kann. Das ist Frühlingsvergeudung, wenn ich hier hinter hohen Mauern danach hungern soll. Also ich reise Sonnabend doch. Hoffentlich wird es nicht ungemütlich zu Hause. Und Sonntag komme ich zu Dir. Nun doch. Trotz alledem. Weißt Du, ich muß alle Deine Bilder sehen. Das kann ich doch nicht länger ertragen, daß soviel Augen sie begrüßen und meine nicht. Ja, ich sage Dir, ich muß mich durch eine Waberlohe hindurchkämpfen, ehe ich wieder in meinen Frieden gelange. Aber dieser Frieden ist des Kampfes auch wert.

Nun Sonntag! Ich küsse Dich! Meine Seele hungert so nach Tiefe und inbrünstiger Vertiefung und Schönheit. Das gibt es hier nicht. So eine Stadt veroberflächlicht, wenigstens mich. Und ich will gar nicht oberflächlich sein, habe gar keine Lust dazu, noch Freude daran. Sei mir geküßt ...

*

Familienbrief

Berlin, den 8. März 1901.

Meine liebe Mutter,

daß mein Wiederkommen ein so unangenehmes und gestörtes wird, macht mich sehr traurig. Es tut mir so sehr leid, Vater Unruhe zu machen; gerade, wo ich weiß, daß er in diesen Tagen nervöser ist denn je. Lieben, wie soll ich Euch es denn nur in Worten schreiben, wie es für mich gar keinen anderen Weg gibt, als nach Hause kommen. Ich möchte so sehr gern, daß unser Wiedersehen nicht trübe ist, das ist ja gar keine Gelegenheit, um trübe und traurig zu sein. Von Anfang an habe ich zwei Monate für meinen Berliner Aufenthalt festgesetzt. Ich habe meine Zeit gut angewandt, Mutter. Nun geht es aber nicht länger. In mir schreit etwas nach Luft, das will sich nicht besänftigen lassen. Ich habe Euch das schon einmal in einem Brief geschrieben, den Ihr für einen Karnevalscherz hieltet. Ich führe hier ein Leben, das gar nicht mein Leben ist. Mein eigenster innerster Mensch hungert, hungert nach Tiefe und Ruhe. Die Art, wie ich hier an die Kunst und an das herantrete, was für mein Leben das Höchste ist, wird mir durch die Verhältnisse veroberflächlicht. Es bedrückt mich so, daß meine Seele nicht freudig und angefacht unter ihnen gehen kann, wie sie es muß. Und jetzt heischt sie Freiheit von mir, und ich gebe sie ihr, ich halte sie nicht länger.

Es ist nicht nur Sehnsucht nach Otto Modersohn, die mich treibt, ich kann aber diese teppichklopfende Luft und hohen Häuser nicht mehr aushalten. Und warum? Ich habe hier ein großes Teil für den Haushalt gelernt. Daß ich nicht perfekt bin, weiß ich von selber. Aber dieses lernt sich ja auch nur in meinen eigenen Verhältnissen.

Liebe Mutter, ich schreibe Dir dieses alles, weil ich weiß, daß Du auch diese Stimme in uns kennst, die will. Und das ist unsere eigenste Stimme. Ihr gebe ich nach. Haltet es nicht für ruchlos oder herzlos. Ich kann nicht anders. Ich muß. Und daß ich dieses Muß in meiner Natur habe, dessen freue ich mich. Denn das ist der Instinkt, der sie leitet.

Liebe Mutter, mein Brief ist sehr verworren. Aber es erregt mich, daß ich Euch Ärger bereite. Ich schreibe Dir und hoffe, daß Du meine Worte in Deine liebe sanftere Sprache übertragen Papa sagen wirst, damit unser Wiedersehen ein nicht gestörtes wird. Es ist so traurig, daß Ihr Euch an mir ärgert. Da ist doch auch hin und wieder etwas zum Freuen an mir, ich meine noch außer meiner Verlobung.

Lies diesen Brief mit Milly durch und besprich ihn mit ihr, und versucht, Euch ein wenig in meine Seele zu versetzen, die nach Freiheit lechzt und ihre Fesseln sprengt. Es ist nicht Schlechtigkeit von ihr. Es ist auch nicht Schwachheit von ihr. Es ist Stärke. Es ist gut, sich aus Verhältnissen loszulösen, die einem die Luft benehmen.

Ich stehe hier, ich kann nicht anders. Amen.

Eure Paula.


 << zurück weiter >>