Johann Richard zur Megede
Der Ueberkater Band I
Johann Richard zur Megede

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Elftes Kapitel

Es ist nicht etwa wegen der Skorpione, die, wie ich mich überzeugt habe, vornehmen Saharahotels ihre Aufwartung nur in fest zugebundenen Einmachegläsern zu machen pflegen, und es ist dann allerdings recht pläsierlich, die lieben Tierchen in diesem Verließ gelbgrün vor stiller Wut den Stachel heben und senken zu sehen; der eine Bursche zielte direkt nach meiner Pfote und traf natürlich nur das Glas. Es ist vielmehr, weil ich das Souterrain nun genügend studiert habe. Also ich kehre in die hohen Regionen zurück, in die ich durch Geburt und Bildung gehöre. Erst die Welt von unten, dann die Welt von oben! Da der Berg nicht zum Propheten spazierte, spazierte der Prophet zum Berge, und wir sind ja fast im Lande des Propheten.

Ich hatte diese Tage die Freude, einen lieben Freund wiederzusehen. Diese im schönsten Sinne historische Begegnung fand in dem gemütlichen Bogengang vor dem Speisesaal statt, den ich teils der Diners, teils der Afrikaner wegen zu frequentieren liebe. Ich habe nun einmal den Zug für das Große, Unbekannte, – zum Beispiel die Gazellenlapatte neulich mundete vortrefflich. Graf Rhyn befand sich, wie ihm zukommt, gerade im Kreise der berühmten Reisenden, und wir erkannten uns sofort. Wenn ich auch nur graziös-gemessen in seine sehnsüchtig ausgebreiteten Freundesarme eilte, so war doch im Augenblick mein ganzes Herz bei dem großen Forscher, den der Jüngling damals töricht belächeln durfte, den der Mann heute aber herzlich verehrt. Lieber Rhyn, ich biete Ihnen die Pfote zum Gruß: »Ich bin kein Dutzendkater, und Sie sind kein Dutzendmensch. Ich weiß, was Sie hierher führt, lieber Freund, und ich werde Ihnen behilflich sein bei dem Gewünschten.« Dies internationale Wiedersehen erweckte natürlich einen begeisterten Widerhall in aller Herzen. Gerade die berühmtesten Afrikaner befühlten und betasteten mich in dem begreiflichen Hochgefühle, die reinste Vergeistigung des Katertums leibhaftig vor sich zu sehen. Mein Freund hatte die Herren darauf vorbereitet, indem er bei der Vorstellung sagte: »Entweder ist dies mein Carlo, oder wenigstens sein Geist, denn solchen Ueberkater gibt's nicht zweimal.« Ich nickte leutselig nach allen Seiten. Nicht einbegriffen dabei waren zwei Gäste, die sich süßsauer lächelnd über die Tatsache hinwegtäuschten, daß ein wahnsinniger Kater jetzt unter den großen Entdeckern glänzt. Graf und Gräfin Quedenberg, deren Adel mir noch keineswegs feststeht, konnten sich einiger hämischen Bemerkungen natürlich nicht enthalten. Für mich existieren angemaßte Grafenkronen nicht, aber eine einzige, verdächtige Fußbewegung hätte genügt, um diesen Idioten zu einem toten Mann zu machen. Ich fackle nicht mehr, und Graf Rhyn fackelt hoffentlich auch nicht mehr. Ach, wie herzerquickend doch diese Nasenschmarre aufleuchtete!

Da große Afrikaner leider auch kleine Neuigkeitsjäger sind, so war der Mann mit dem unvermeidlichen Tropenhelm sofort in der Lage zu berichten, daß ich im Souterrain und bei meiner Zofe logiere. »Mein Lieber, Sie scheinen etwas zu lange in Afrika gelebt zu haben. Von dem letzten Bourbon und seinem hübschen Kammerkätzchen zugleich zu sprechen, das gehört an keinen Kneiptisch. Unsterbliche steigen zu den Sterblichen hinab, aber sie bleiben Unsterbliche.« Als später der Name Lasowitz fiel, bemerkte die in mehr als einer Beziehung zweifelhafte Gräfin: »Da erkenne ich meine extravagante Josefa wieder! Wenn dieser Kater denn durchaus nach Afrika mit mußte, so hätte er die Reise viel praktischer als Vorlegeteppich machen können.« Es folgte darauf ein ganz ordinäres Banditengelächter, das der eben hinzutretende Lasowitz verstärkte. Nur mein Freund Rhyn sagte vornehm gelassen wie immer: »Ein lebendes Tier ist mir unter allen Umständen interessanter als ein totes. Sie lieben eben keine Tiere, Gräfin. Aber dafür können Sie nichts.« Und dieses Weib, das seinen Mann schon damals brutalisierte, gab sofort klein bei. »Ja, Sie haben recht, Graf. Aber denken Sie an den riesigen Baumkater, den Sie selbst geschossen und ausgestopft haben!« Er antwortete mir mit unverständlicher Objektivität: »Ja, da haben Sie wieder recht, Gräfin.« Aber gleich darauf ging er, wie diese Quedenberg glaubt, pikiert, weil sie ihn Graf genannt hatte, was er noch immer nicht liebt, wie ich glaube, aufs tiefste empört, weil er diese kaum wiederzugebenden Blasphemien über mich hatte anhören müssen.

Als mein Freund ging, ging ich auch. Der Idiot sieht aus, als wenn er selbst den Gottesfrieden des Hotels brechen könnte – und sie bricht ihn schon ganz gewiß, wenn's ihr paßt! Aber vielleicht Nähtischteppich, und unter den Füßen dieses mißratenen Geschöpfs? Nimmermehr! Jedes Haar sträubt sich bei dem Gedanken. Da ziehe ich es denn doch vor, die lebendige Sofazierde einer wohlanständigen Dame zu sein. Ich ging also direkt zu meiner großherzigen Josefa. Als ich die breite Steintreppe furchtlos und treu emporstieg, konnte ich durch die geöffnete Küchentür noch gerade die appetitliche Mütze des Kochs und die klätschigen Häubchen von zwei Jungfern erblicken. Es war die Lasowitzsche, die sich mit der Quedenbergschen unterhielt; ich erkannte die letztere lasterhafte Kreatur sofort, die wahrscheinlich ebenso wie ihre Herrin an Gemeinheit noch zugenommen hat. Und kaum hatte sie mich erblickt, da kreischte sie auch schon los: »Das ist ja der Kater mit der Tollwut!« Gewöhnliche Leute, zu denen Zofen nun einmal gehören, sind dumm, wankelmütig, abergläubisch, und schon meine Nachmittagsmilch kann vergiftet sein. Anna, die immer heimlich ist und noch neulich meiner engelsguten Josefa eine Spitze entwendete, wird sich mit dieser kreischenden Gemeinheit nur zu bald verständigen. Es gibt keine schlimmeren Verbündeten als Heimlichkeit und Gemeinheit. Ich ruhte darum auch nicht eher, bis ich vor dem Schlafzimmer meiner teuern Freundin stand.

Ich miaute sanft. Mir wurde zögernd aufgetan, zögernder jedenfalls, als es so hohes Vertrauen verdient. Ich hätte mich verletzt fühlen können, ich durfte es nicht! Mit kleinen Empfindlichkeiten rettet man' keine großen Seelen. Denn in dem Augenblicke, als ich meine teure Freundin vor mir sah in vollkommener Straßentoilette, und trotzdem in einem unaufgeräumten Schlafzimmer, da sagte ich mir: »Carlo, diese Frau flieht den gemeinsamen Salon und die bekannten Menschen, und flieht eigentlich nur sich selbst! Dahinter steckt . . .?« Trotz meines Genies wußte ich in dem Augenblicke nicht, was dahinter steckte. Aber entschlossen, sofort und alles zu wissen, sprang ich mit einem einzigen lautlosen Satze macchiavellistischer Diplomatenmoral auf das kleine Reisepult, zu dem sie gleichgültig nach einem gleichgültigen Empfange zurückgekehrt war. Es war ihr Tagebuch, das sie durchblätterte, und sie kämpfte offenbar mit einer starken Regung, mich sogleich den Segnungen des Souterrains wieder zuzuführen. Aber ich saß so jungfräulich sittsam und machte dazu so treue Hundeaugen, daß sie nur achselzuckend in ihrer Lektüre fortfuhr. Sie ist eine Frau, und Frauen verraten in schwachen Stunden alles, ausgenommen ihre Toiletten und ihre Tagebuchgeheimnisse. Sie wünschte offenbar keinen Mitwisser! Aber es bedurfte nur winziger, blinzelnd erhaschter Bruchstücke für mich, um sonnenklar zu sehen, daß sich hier eine Komödie oder Tragödie vorbereitete, und daß ich allein fähig, die notwendige Intrige zu schürzen.

Die Dame sitzt scheinbar sehr apathisch da, einen hochmütig gelangweilten Zug um die Mundwinkel, sie ist im Begriff, sich und die ganze Welt zu verachten. Ich bekam auch einige Verachtungsblicke mit ab, so eisige, daß ich inmitten der Wüste mich nach einer deutschen Ofenbank sehnte. Einmal schob sie mich sogar mit dem Arm beiseite, als sei ich ein schmutziger Verräter. Aber ich kenne die Frauen und weiß, daß sie Komödiantinnen sind, auch vor sich selbst. Darum verwunderte es mich gar nicht, als sie nach einer Weile anfing, mich wie geistesabwesend zu streicheln; die Liebkosung steigerte sich, wurde immer leidenschaftlicher, immer bewußter, bis ich zuletzt einen heißen Kuß zwischen meinen göttlichen Ohren spürte. Ich denke darauf nicht etwa wie früher: »Carlo, was sind doch alle Weiber in dich vernarrt!« Ich konstatierte nur lächelnd die Tatsache, daß eine Frau liebt, und daß der Geliebte nicht ihr Mann ist. Daran kann mich auch nicht irre machen, daß ich wieder fast heftig weggeschoben wurde, ja, daß sogar die Worte fielen: »Ach, ich mag dich auch nicht, Tier; ich mag euch alle nicht.« Im Gegenteil, von diesem Moment an war es einfach Pflicht, mich auf dem Chaiselonguekissen zu installieren, den Gatten, die Zofe zu beobachten, und schnurrend jenen Intrigenfaden weiterzuspinnen, der einst von einem verliebten Mann eingefädelt und jetzt erst von einer verliebten Frau aufgenommen werden wird.

»Verleugnen Sie Ihr Geschlecht nicht, teure Frau, das dem unsern so nahe verwandt ist! In jeder verliebten Frau steckt eine Katze sowohl in bezug auf den Instinkt als auf die Moral. – Wer sich schüchtern umsieht, wird selbst auf den erlaubtesten Wegen häßlich beargwöhnt; wer sie dreist wandelt, wird auch auf den verbotensten ehrfurchtsvoll begrüßt. Jedenfalls: niemals die Sünden bereuen, bevor man sie begangen hat, und niemals sie beichten, bevor man der Absolution sicher ist!« . . . Ich finde das seidene Chaiselonguekissen so angenehm gegenüber der baumwollenen Bettdecke der Zofe, und die Stille der Beletage so standesgemäß gegenüber dem Lärm des Souterrains, daß ich der innerlich hochbeglückten Josefa durch knisterndes Streifen am Jupon zu verstehen gab, daß ich bis auf weiteres Schicksal und Sofa mit ihr zu teilen großherzig bereit sei . . . Sie verstand sich nur zögernd dazu, das heißt, sie verschleiert ihre Gefühle bereits recht geschickt. Und bei meiner Katerehre schwöre ich es, sie soll den Mann haben, den sie liebt, selbst wenn sie nicht wollte! . . . Das ist wahre Freundschaft, reine Herzensgüte. Ueberhaupt mein ganzes Olympiergefühl empört sich, Menschen, die so komfortabel logieren, inmitten ihres Luxus allein, doppelt allein zu lassen, wie ich ja auch selbstlos dem kranken Reichen sein Diner lieber verschöne – der mich außerdem dafür streichelt; als die kalten Kartoffeln dem gesunden Armen wegzustehlen – der mich dafür noch schlägt. Wer beim Hoftraiteur einbricht, schädigt nicht die Volksküche . . . Im übrigen hat die hohe Wertschätzung, die mein Freund Rhyn hier überall genießt, mich belehrt, daß Männer Farbe bekennen müssen auf jeden Fall. Der Mantel mag meinetwegen im Winde wehen, der Träger wenigstens muß fest stehen. Männer, aber nicht Leutnants beherrschen die Situation.

Ueberhaupt Mann sein, man selbst! – Ich hoffe sicher, daß mein Freund Rhyn es nie gestatten wird, daß der Idiot mit einem Schießgewehr spielt, solange ich in der Nähe bin, wie Josefa lieber zulassen dürfte, daß das Gift, das die Quedenberg für mich mischt, in ihrem Suppenteller Platz findet, als in meiner Milchschüssel. Die beiden Leute sind mir ja schon von früher so viel Dank schuldig!

Ich habe jetzt so viel weiße Gedanken zutage gefördert, daß auch einige schwarze vonnöten sind. Es wäre mir zum Beispiel eine Herzensfreude, wenn dieser sporenklirrende Lasowitz übers Jahr solche Hörner besäße, daß er in sein eignes Haus nicht mehr hineinkönnte . . . Und wenn ein gewisses ehrvergessenes Weib aus Verzweiflung darüber Gift nimmt – mir auch recht. Der Idiot hat dann einfach die Verpflichtung, sich totzuschießen . . . Und wenn ich nun mit eignen Augen sehe, wie die liebe Josefa und der liebe Rhyn das heimliche Glück gefunden haben, das ich ihnen immer gegönnt und schon so lange prophezeit habe – welches Glück dann auch für mich!


Es weht jetzt zuweilen so eine sehnsuchtsvoll weiche Luft – und eine köstlich törichte Zeit naht . . . Wenn ich mir vorstelle, wie ich den Annunziatenorden um den Hals als postillon d'amour für andre und später nur für mich durch die Wüste rasen und bei der Gelegenheit diesen verblendeten Korankatern das Evangelium der wahren Liebe mit Flammenschrift über den Nasen einbrennen werde, so wird die Kulturmission der Bourbons, die im christlichen Europa beendigt zu sein scheint, sich im mohammedanischen Afrika glänzend erneuen. Carlo von Bourbon hat nicht umsonst in Italien Macchiavelli und in Deutschland Carlyle studiert – die unfehlbarste Staatsweisheit in die unfehlbarste Persönlichkeit gegossen . . . Es bereiten sich große Dinge vor.


Ich habe sie ja gleich erkannt, die afrikanische Sonne! Den Tag über in Josefas Zimmer – wundervoll. Aber gegen Abend beginnt der Körper auf einmal die Hitze wieder auszustrahlen. Ich muß hinaus! – Sie ist wie ein Verhängnis, diese afrikanische Sonne. – Darum jedoch keine Angst: Carlo begeht keine Jugendtorheiten mehr . . . Wenn ihn noch einmal die Liebe überkommen sollte, so müßte es ein Gefühl sein so tief und groß, daß es auch den Mann bezwingt. Es wird ein heiliges Gefühl sein! Schon jetzt jeden Abend um die bestimmte Stunde erscheint der Mahner: ›Carlo steh auf – suche – finde! Unter Zauberpalmen, in einem Zaubergarten ist eine Wunderblume erblüht, die nur für dich duftet und leuchtet, die Blume von Morgenland, die der Prinz von Abendland allein brechen darf . . . Carlo, in deinen erlauchten Eltern einten sich Frankreich und Italien – dir aber ist das Größere beschieden: Du wirst Orient und Okzident vermählen! . . . O, ich kenne dieses Mahnen, das bald wie ferner Sirenengesang die Nerven streichelt, bald zärtlich wispernd die Ohren kitzelt, bald wie mit glühenden Zangen die Schnurrhaare zwickt. Gegen dieses letzte Stadium hilft keine Vernunft. Ich warte ruhig ab. Die Verirrungen des Kindes, die Don Juan-Passionen des Manns – vorüber! Meine Gefühle jetzt werden den Tiefen der Seele entquellen, und mit dem letzten Liebesseufzer muß auch der letzte Atemzug verhaucht sein. – Prinzen haben immer vielmal geliebt, bis sie einmal lieben . . .

Zurzeit durchwandle ich Nacht für Nacht die Oase.

Josefa, Carlo wacht für dich! Als kluger Feldherr rekognosziert er das Terrain, wo nach allem Ermessen die Schlacht geschlagen wird. Zuweilen, teure Freundin, möchte ich Sie mitnehmen zu dieser nächtlichen Exkursion . . . Wie lehrreich, von Dach zu Dach vorsichtig steigend erst das europäische Viertel zu durchwandeln mit der Ruhe, der Reinlichkeit, den regelmäßigen kleinen Häuserkarrees, hinter grünen Läden die Tugend in wohlverdientem Schlummer – höchstens ein Hausknecht, der gähnend im Türbogen steht oder ein Turko ohne Urlaub mit einer algerischen Sulamith im Dunkeln flüsternd. Auch in Afrika streicht die Liebe über den Zapfen . . . Darauf beim Café de Paris die Grenze zwischen Orient und Okzident: gemeine Getränke, noch gemeinere Lieder, die ausgepfiffenen Sängerinnen der Matrosenkneipen von Marseille, erst auf der Estrade im Kostüm, dann unten bei dem Publikum mit dem Teller. Selbst der Turkosergeant schuppt sich, wenn ihn diese seidenen Kleider streifen. Aber in der Ecke mit aufgestemmten Armen hockend zwei Negermestizen und ein würdiger Kabylenscheich, der von Zeit zu Zeit den Kopf schüttelt. Hier werden die Eingeborenen verdorben und die Zugewanderten nicht gebessert. Als ich in einem hohen Baume versteckt auf dieses kleine schmutzige Tingeltangel schaute, fragte ich mich vergeblich, warum Biskra das Paradies der Sahara genannt wird . . . Es ist nach diesen Einblicken nicht verwunderlich, wenn ich mit äußerster Vorsicht zu den Ouled-naël hinüberschleiche. Eine enge, stickige Gasse mit heißem Fettqualm und arabischen Volksküchendüften. In einer Höllenküche kann es nicht unappetitlicher schmoren als in den letzteren. Die Häuser klein, seltsam bunt bemalt, mit maurischen Erkern, holzvergitterten Harembalkons. Zwischen diesen Häusern wallt es auf und ab von Arabern, Soldaten, Touristen – es muß entschieden die interessanteste Gegend von Bistra sein. Ouled-naëls wohnen da, die arabischen Schönen, denen die Lebewelt von Paris sinnbetört in jedem arabischen Frühling zureisen soll. Die Lebewelt von Paris bemerkte ich nicht, und die Ouleds sind wahrhaftig nicht spröde! Von ihrer Schönheit weiß ich nur, daß sie schwarzbraun sind und breite Gesichter haben, von ihrer Moral nur, daß sie gern kostbare Zieraten um Hand und Fuß tragen und darum die schönen, verlangenden Augen nicht verschleiern. Jedenfalls, was ich auf einer sehr beschwerlichen Dachwanderung durch Jalousieritzen und Rouleaulöcher erraten konnte, war derart, daß wohl jede dieser holdlächelnden Houris dreist sich rühmen kann, die europäischen Goldsorten aufs beste zu unterscheiden, daß aber sonst diese dunkeln Wilden keineswegs besser sind als die weißübertünchten Europäer. Es kroch aus allen Fensterritzen ein schweres Haremsparfüm – ich hatte bei jedem Schornsteinschatten die unheimliche Empfindung, ein dicker Tugendwächter könnte plötzlich mit seinen heimtückischen Pfoten nach mir langen . . . Ich kalkuliere, es ist ein Stück Orient, das ein Quedenberg ohne seine Frau und ein Lasowitz selbst mit seiner Frau besuchen wird – Interesse hat es für beide Herren. Ich möchte auch behaupten, dort den hellen Paletot des Grafen Bloome auf der Straße gesehen und gleich darauf seine Stimme hinter einem Balkongitter gehört zu haben. Es war nach seinem Souper, er hatte kurz vorher der Gräfin (?) die Hand geküßt und war todmüde in sein – Hotelzimmer gegangen. Also muß entweder der Herr Graf sich in seinem Hotelzimmer oder ich mich in der Straße der Ouled-naëls getäuscht haben. Von einer Fata Morgana bei Nacht hörte ich noch nichts.

Später saß ich noch eine ganze Weile auf einer Gartenmauer, den Blick auf den düstern Palmenwald und die dürre Wüste . . . Wenn Carlo der Mann lieben sollte, so würde seine Liebe uferlos sein wie dies Meer! Carlo dem Jüngling deuchte die Azurschale des Garda schon zu groß. In Afrika dehnt sich eben alles ins Unermeßliche. – Die Ouled-naël-Gasse, deren Lärm unter mir toste, deren Qualm aber zu mir emporstieg, ekelte mich an. Ich fühlte eine tiefe Sehnsucht nach der reinen Luft der Oase, den ernst rauschenden Palmen . . . Menschen wandeln nicht ungestraft unter Palmen, wohl aber Kater! – Meine teure Josefa, der Palmenwald hatte Sie enttäuscht bei Tage? Der menschliche Tag ist überhaupt nur eine einzige große Enttäuschung. Man verbringt ihn am vernünftigsten in der Sonne und mit geschlossenen Augen . . . Aber kommen Sie einmal mit mir um die mitternächtige Stunde zu den Palmen! Der Mond im Zenit, die Natur im Negligé. Wie poetisch wandelt sich's auf den gespenstisch fahlen Lehmmauern. Das Wasser schleicht unten die Straße lang. Die ganze Oase gleicht einer wunderbaren Ruine. – Die Blätterschatten liegen unbeweglich, der Mond kriecht gleißnerisch vom Stamm bis zu den Wipfeln, der Erdboden im täuschenden Zwielicht. Und ich lautlos über all die Mauern hin, die bald sinken, bald steigen. Hier raschelt eine Maus, dort eilt ein Skorpion, in der Ferne schnuppert ein Hund. Jede Mauerbiegung, jede Nische kann eine Ueberraschung bringen. Zuweilen erhebt sich dicht vor mir eine weiße Gestalt, ein Oasenwächter starrt mich an, ich starre wieder – dann kauert er sich von neuem lautlos unter der Palme zusammen. Zuweilen huscht auch eine Turkokatze, scheu und ungesellig, eine echte Barbarin – bald darauf kreischt's, flattert's, ein melodisches Gegurgel. Daß diese Wüstenkatzen doch keine Ahnung von arabischer Gastfreundschaft haben und ihre Vögel grundsätzlich allein dinieren! Später sah ich den glücklichen Jäger auf der Mauer hocken, die Schnurrhaare noch voll warmer, duftender Federn . . . Da beginne ich natürlich auch nach den schattigen Palmenkronen zu schielen, und wenn's im Holze knarrt, zaubert meine Phantasie sich gleich den sagenhaften Vogel Bül-Bül vor, dessen Wunderstimme ich im Augenblick weniger hochschätzen würde als seinen Hals. Aus Wißbegier fing ich eine Oasenmaus. Dieselbe unbegreifliche Abneigung gegen Greifchenspiel bei diesen Tieren – derselbe fade Geschmack wie in Europa! Wenn auch solche Oase kein gepflegter Jagdpark ist, so dürfte sie doch ein reizender Liebesgarten sein. Und wenn der Nachtwind durch die Palmen zieht, zieht es auch ahnungsvoll durch mein Gemüt. Ich ahne die große, einzige Liebe, von der nur die Menschen schreiben und die nach der Meinung aller Verständigen ausschließlich auf dem Monde ihren Unterstützungswohnsitz hat. Ich blinzle den Mond an. Eigentlich sieht er mir viel zu wehmütig aus. – Aber irgendwo muß es doch diese große, einzige Liebe geben – es muß!


So hatte ich nun Nacht für Nacht die Oase durchstreift, ohne etwas andres gefunden zu haben als Katzen, Mäuse, Menschen, Skorpione – allerdings einmal zischte eine Schlange, die wahrscheinlich Fröschen nachstellt . . . Und die innere Stimme schweigt nicht!

Da begegnete ich der Falbkatze. Sie saß auf der höchsten Mauerzinne diesseits der Straße, und jenseits bellte sich von derselben Mauerzinne ein einäugiger Oasenköter heiser. Sie aber saß unbeweglich und starrte auf die Wüste. Obgleich gläubiger Katholik nach Geburt und als Bourbon, aber überlegener Freigeist nach dem Herzen und als Staatsmann – konnte ich doch bei ihrem Anblick einen kleinen Gespensterschauer nicht unterdrücken. Das macht der Orient mit seinen Dschins, die als Spukgestalten aus jedem Wüstenbrunnen aufsteigen. Die Vernunft wird schwankend, denn wer weiß, ob die Ueberzeugung, die in Europa unbedingt richtig ist, in Afrika nicht unbedingt falsch ist. Es gibt zum Beispiel überzeugte Atheisten, die bei Gewitter grundsätzlich an eine Vorsehung glauben. Mit dem guten Prinzip kann man zeitlebens Schindluder spielen, aber das Böse wird sofort grob. Jedenfalls sah die fahle alte Dame im Mondlicht noch fahler aus. Norne, Hexe, Oasennymphe? – Selbst ihr Schatten hat in seiner fahlen Unbeweglichkeit was Unheimliches . . . Ich wollte ahnungslos abbiegen, aber das gelblich leuchtende Auge hatte mich bereits erspäht – und ich bin ein Mann, der den Gottseibeiuns nicht fürchtet. Auch lag in dem gelbgleißenden Blick etwas Dämonisches, das man schon aus Klugheit nicht reizt, denn diese alternde Circe könnte imstande sein, mich im Umsehen zur Oasenmaus zu verwandeln und gleich darauf mit Appetit zu verspeisen.

Ich ging also als Ritter ohne Furcht und Tadel zu ihr: »Bon jour, ma princesse.«

Sie antwortete darauf nur durch ein höhnisches Hüsteln. Erst einige Minuten später, als der heisere Hund zur Zisterne hinabgesprungen war, um sich durch einen Trunk zu stärken, fragte sie lauernd: »Nun, mein Prinz, wie gefällt Ihnen Afrika?«

«Vorzüglich, namentlich die Frauen.«

»Wie alle Frauen!« Darauf lächelte sie nur noch höhnischer: »Junger Mann?«

»Prinzeß?«

»Wenn Sie ein echter Bourbon sind, Prinz, so ist die Stunde gekommen . . . Dort drüben in der Wüste« . . . und sie zeigte auf ein weißes Haus in der Sahara, das sehr tot und überhaupt wenig einladend aussah zu dieser Stunde, »sind die heißen Bäder und dort lebt einsam die schönste und edelste afrikanische Fürstentochter – meine Tochter . . . Die Gegend ist gefährlich, Prinz! Noch neulich fingen dort Menschen eine ausgewachsene Hyäne, an dem kleinen Salzsumpf lauert die Minutenschlange . . . Ich sage nichts weiter . . . Aber wenn Ihr ein echter Bourbon seid, Prinz –« Darauf ging sie nach einer steifen Verbeugung. Ich sah ihr nach und fand eine verdächtige Ähnlichkeit mit einer alten Dame, die gern kuppelt. – Ich werde den Teufel tun und eine orientalische Sklavin ehelichen!

Als ich auf einem Umweg über Alt-Biskra heimkehrte – es roch echt morgenländisch aus all den Lehmhäusern mit Fenstern ohne Fenster – aber die Wüste breitete sich wieder vor mir groß und stumm. »Wenn diese alte Dame am Ende . . . Man weiß ja nie . . .« Und einen Augenblick hatte ich in den olympischen Beinen das Gefühl, als zöge es mich in jene Wüste hinaus, nach jenem weißen Hause, das ich nicht sehen kann . . . Eine afrikanische Fürstentochter! Die Liebe heißer, die Scheidung schneller . . . Im Osten schimmert's fahl. Eigentlich sehne ich mich nicht nach der Sonne.

Als ich wie gesagt durch das Hausknechtspförtchen in das Hotel schlüpfte, schlief Josefa. Was haben's die Menschen doch gut! Eine ganze Nacht sorgte ich mich um ihre Zukunft – und sie schläft.


Meine Frühstücksmilch war heute zum zweitenmal kalt. »Teure Freundin – wenn Sie es bleiben wollen – vergessen Sie nicht, daß Leistung Gegenleistung verlangt! . . . Ich habe in Ihrem Dienst einer afrikanischen Fürstentochter entsagt!« . . . Habe ich das eigentlich? . . . Nicht unbedingt, aber doch . . .

Nach dem Diner überreichte meine liebe, liebe Freundin mir dann einige Kakes, und ich habe beschlossen, nachdem ich so viel für sie getan habe, noch viel mehr für sie zu tun.

Die Welt ist eben gut, solange es mir ausgezeichnet schmeckt und ebenso serviert wird; sie ist schlecht, sobald es mir miserabel schmeckt und ebenso serviert wird.

Also Josefa, das nächste Mal die Milch nicht kalt, dafür aber die Kakesbüchse!


Die Jagdexpedition ist nun endgültig beschlossen. Teilnehmer: Quedenberg, Bloome, Peter, Graf Rhyn. Die Waage schwankte lange. Außer dem Ehepaare und meinem Mann hatte eigentlich niemand rechte Lust. Graf Rhyn wollte durchaus nach El-Kantara zurück, Bloome wollte durchaus nicht mit. Und ich gönne Peter diesen Ausflug doch von Herzen, wie ich ihn mir auch von Herzen gönne. Ich möchte Wochen, auch länger hier allein sein, allein sein, so lange als möglich. Denn die Abspannung der Reise kommt nach. Ich kann als verheiratete Frau doch auch ruhig vierzehn Tage allein mit meiner Jungfer im Hotel logieren. Und daran scheiterte die Expedition beinahe, das heißt, mehr weil Bloome als Kavalier zurückbleiben wollte, was Peter mir direkt zum Vorwurf macht. Ach, ich will wirklich keinen Krieg mit meinem Manne! Und Bloome? – Es ist so unsagbar töricht! Was kann mir Bloome je bedeuten . . . Außerdem war Jeanette fest entschlossen, mit zu nomadisieren, mit zu jagen. Sie soll ihre Hasen und ihre Hühner mit Passion schießen jetzt. Sie freut sich so auf die Jagd, und ich gönne sie ihr ganz gewiß. Wenn sie ahnte, wie ich sie ihr gönne! . . . Aber es gibt einen stärkeren Willen: Graf Rhyn. Er will nicht, und sie bleibt. O, er muß eisig befehlen können, daß gerade die ihm blind gehorcht!

Jetzt ist alles in Ordnung. Die zwei Frauen bleiben allein zurück. Die zwei Frauen, die sich so vortrefflich beschützen werden, weil sie sich so achten und so lieben. Ihr klugen Herren der Schöpfung! Ihr hättet allerdings nicht leicht zwei Frauen zusammenbringen können, von denen die eine mich so wenig liebt, und von denen die andre sie so wenig achtet. Wir werden ganz gewiß allein sein zu zweien!

In acht Tagen geht's los. Die europäischen Herren der Expedition sind sehr aufgeregt, die afrikanischen sehr ruhig.

»Du, da können wir auch ganz gut von Tuaregs attackiert werden!« – Peter. Ihm ist diese Jagd ein wundervolles Abenteuer.

»Zu so 'ner Spritztour nehme ich mir 'ne Flinte und 'nen Rucksack auf den Rücken, und nu: Maultier, lauf!« – Bloome. Ihm ist's höchstens Sonntagsjägerei.

Von Quedenberg weiß ich nur, daß ihm Graf Rhyn achselzuckend sagte:

»Ja, Liebster, Bester, wenn Sie einen Hemdenkoffer und ein halbes Dutzend Anzüge mitnehmen wollen, da können wir ja noch ein Dutzend Kamele chartern.«

Graf Rhyn hat eben nur bestimmt, was mitzunehmen ist, und damit ist für ihn die Sache erledigt.

Jedenfalls wird überlegt und gepackt, und man rennt sich in unserm Salon beinahe um vor Eifer. Peter ist jagdlustig und verliebt zugleich, er brennt auf Mufflons und Gazellen und die harte Poesie des Zeltlagers, und er möchte mich doch auch wiederum nicht missen mit all dem weichlichen Luxus, den schmeichelnden Parfüms der hypereleganten Dame. Er versichert mir hundertmal täglich, daß ich die reizendste Frau sei, und fragt, ob ich ihn auch nicht vergessen würde . . . Und dann starrt er wieder stirnrunzelnd durch die Expreßzüge seiner Pürschbüchse und schimpft vor sich hin. Er, dem Ordnung und Anzug so viel gilt, läuft im Salon mit einer Jagdweste umher . . . Er ist auf einmal so jung, so hübsch, so frei! Ich mag ihn so, und er erinnert mich an die besten Zeiten unsrer Brautschaft, wo er mich durchaus überreden wollte, Fuchsjagden in Schottland mitzureiten. Wir haben sie nicht gelitten. Wir haben überhaupt alles andre getan, als was wir uns vorgegaukelt hatten gegenseitig. Und etwas von der harmlosen Jugend meiner Mädchenzeit kommt mir dabei zurück. Ach, damals, wo man noch nicht dachte, wo man nur lebte! – Und ich verstehe alles, alles, seine Jugendlust und seinen Liebesgram. Er steckt mich beinah an. In unsrer Fasanerie bei Mama werde ich wahrscheinlich nächstes Jahr die Fasanenhähne von den Bäumen knallen . . . Dabei weiß ich genau, daß ich das nie tun werde, nie! Ich wüßte wahrhaftig nicht, warum gerade ich nachäffen sollte, was mir eine Quedenberg vormacht.

Aber jetzt kommt das für mich Unbegreifliche, ja Verletzende. Peter schwärmt beinah für Rhyn, fragt ihn um Rat, um jedes und alles, ob er Bloome für gentlemanlike hält, ob man sich auf Gazellen auch mit dem Winde anpürschen könne, ob die Nichte des Geheimen Kommissionsrats und ihre Junogestalt ihn nicht doch ein wenig gereizt hätten. Er bespricht eben Dinge . . . Ich mag ja wieder an nichts etwas finden, aber Rhyn, der zu den Menschen gehört, die weder Konfidenzen machen noch lieben, ist gegen meinen Mann doppelt zugeknöpft. Was dem einen wie eine Offenbarung vorkommt: der Graf, gilt dem andern höchstens ein mitleidiges Achselzucken. Nach der Richtung hin glaube ich ihn von früher gut genug zu kennen. Herr Rin ist im Grunde noch hochmütiger und exklusiver als Graf Rhyn. Und dieser Mann wünscht nun einmal, nichts mit uns zu tun zu haben! Peter glaubt's nicht, aber ich weiß es . . . Auch bei dem Revanchediner für Bloome im Hotel Royal glänzte er durch Abwesenheit. Er mußte durchaus nach El-Kantara, wie ich damals durchaus nach Venedig. Ich soll ihn nicht herzlich genug aufgefordert haben. Kann sein. Aber Peter tat's doch an meiner Statt fast zu herzlich . . . Von Herzen kann man einen Mann nicht einladen, der so leicht und so häßlich vergessen konnte. Der Herr Rin, den ich damals kannte, und der Graf zu Rhyn, den ich heute kenne, sind zwei grundverschiedene Menschen. Was meinen Mann allein mit ihm verbindet, der Graf, das trennt mich von ihm. Die schlichtbürgerliche Moral von einst hielt ich hoch, die gräfliche von jetzt verachte ich. Aber was mich innerlich wirklich trifft, ist etwas ganz andres! Peter, der bei dem Gedanken an den winzigsten Fleck auf meinem weißen Kleid ganz rabiat wird – und ich habe doch wahrhaftig keinen! – den geniert der häßlich große Plarren bei Jeanette Quedenberg nicht. Nein, er sieht's mit Interesse, fast mit Behagen, der Handkuß ist herzlicher von Mal zu Mal. Ja, wozu küßt denn der Herr der Dame die Hand? Doch nur, weil er wenigstens annimmt, daß diese Hand unbedingt rein ist! Ich habe natürlich mit Peter darüber kein Wort gesprochen. Im Gegenteil, ich habe Jeanette sogar verteidigt, einmal warm, als er wie selbstverständlich behauptete, daß das Aeußerste längst geschehen sei. Das Aeußerste! Warum eigentlich jeder Mann nur an dieser letzten Kapitalfrage hängt? – Die Menschen, die zeitlebens schlüpfrige Pfade wandeln, die gleiten nie aus, aber die es zum erstenmal tun, die stürzen der Länge nach. Wer der Beschmutztere von beiden trotzdem ist, das weiß jedes Kind. Aus diesem Gefühl heraus würde ich eine Frau, die fällt, niemals fallen lassen . . . Aber Jeanette Quedenberg wird nie fallen, und das ist mir das Schmutzige, Unfaßbare . . . Jedoch das versteht kein Mann.


Während Peter und Quedenberg dieser Expedition wegen eigentlich zu nichts Vernünftigem mehr zu haben sind und neulich sogar nach Constantine reisten wegen kleinkalibriger Patronen, habe ich mit Bloome Maultier geritten. Sie gehen einen merkwürdigen stöckrigen Paß, und an den wollte ich mich gewöhnen. Die Sporenhilfen gibt man mit einem Stock hierzulande; das Zaumzeug besteht aus einem Strick. Reißt man links, geht's links; reißt man rechts, geht's rechts; wagt man aber mal die beiden Zügelenden zugleich zu fassen und versucht wie andre vernünftige Menschen mit Gebißfühlung zu reiten, bleibt der Gaul rettungslos stehen. Vorläufig jedenfalls benimmt sich das Maultier unter mir wie das Schicksal über mir: es führt mich absonderliche Wege. Einmal wurde es mir allerdings zu viel. Es bockte, ich hieb, und schließlich ging's mit mir durch in dem törichten Wahn, daß ich 'runterfallen würde. Ich bin noch nie von meinem kleinen arabischen Fliegenschimmel heruntergefallen, und Peter, der ihn mir anritt, sagte selbst, das Vollblut habe abscheuliche Mucken. – Und ein Mietsmaultier sollte mich aus dem Sattel kriegen? Jeanette schießt, und kann nicht reiten. Josefa reitet, und kann nicht schießen. Manchmal habe ich mich im Verdacht, ich pacete so scharf, jemand zum Possen, der gar nicht da ist.

Jedenfalls macht's mir Freude und ich fühle mich wohl dabei. Bloome reitet als Groom neben mir oder hinter mir. Von der Gegend sehe ich wenig. Mein neues Tier ist betagt oder träumerisch veranlagt und stolpert bei jedem Stein. Dafür straft's Bloome, der höllisch aufpaßt, jedesmal mit einem Jagdhieb. Die einzige Leidtragende dabei bin ich. Denn wenn der Klepper schuldbewußt zusammenruckt, rucke ich erst recht. Ach, hätte ich doch das Maultierfell und den Maultiereigensinn, dann wäre mir die Schicksalspeitsche auch für alle Zukunft gleichgültig! Man ruckt und ruckt, und den eignen Weg geht's doch.

Bloome ist mir gegenüber sehr Kavalier, und zum Dank dafür will ich ihn verheiraten. Ich bekomme manchmal solche Tantenanwandlungen junger Frauen. Daraus entwickelt sich dann ein mehr oder weniger scherzhafter Dialog.

Ich: »Graf, Sie sind dreißig Jahre und müssen sich verloben!«

Er: »Gegen wen, wenn ich fragen darf?«

Ich: »Ach, es gibt doch nette Mädchen genug!«

Er: »Haben Sie mich schon mal genau angesehen, Baronin?«

Ich: »Na, berückend sind Sie allerdings nicht, lieber Graf, wenigstens äußerlich.«

Er: »Und innerlich?«

Ich: »Ich denke, daß Sie furchtbar leichtfertig sind, aber eine vernünftige Frau würde Sie schon zur Raison bringen und dann mit Ihnen ganz glücklich werden.«

Er: »Glauben Sie? – Ich glaube nicht! Sehen Sie, gnädigste Frau, wenn eine so schwer reich ist, daß sie sich einen armen Grafen kaufen kann, und so häßlich, daß sie mit mir siegreich konkurriert: so ist das eine wundervolle Sache, solange eben die Zechinen langen. Aber lange langen werden sie nicht, darauf gebe ich Ihnen mein Wort! Kenne mich . . . Und nachher? Ich bitte Sie, gnädigste Baronin, auch ihre beste Freundin darf meiner Frau dieses Glück nicht wünschen. Denn treu, ich treu? Der Coeur-Dame bin ich treu. Aber keiner andern, und wenn sie auch noch so häßlich wäre.«

Ich: »Graf, Sie sollen vernünftig reden!«

Er: »Ja, ich rede ja schon ganz vernünftig. Rhyn und ich haben ausgemacht, wenn wir mal in Ehren grau geworden sind, – danach bekomme ich allerdings nie graue Haare, – ziehen wir uns in irgendeine Sahara-Oase zurück, er mit seinem Herbarium, ich mit einem Spiel Karten. Und dann kriegt er das Kopfnicken über all den trockenen Pflanzen, weil die einzig grüne, auf die er doch immer heimlich gehofft hat, sich in der Gesellschaft nun schon ganz gewiß nicht findet, und ich die Schwermut, weil unter all den schmutzigen Karten die richtige Coeur-Dame dito verschwunden ist.«

Ueber den geistreichen Schluß will er sich totlachen, während ich mich ärgere. Und nachher lache ich widerwillig auch, und wir peitschen lachend unsre Maultiere aus ihrem stöckrigen Paß zu einem wilden Galopp. Und eine Stunde später mache ich wieder den Heiratsvermittler und ernte wieder den lustigen Refus. Ich mag seine Geschichten. Sie sind immer leichtfertig, immer lustig. Und ich lasse mich gern von der Lustigkeit andrer anstecken. Gerade hier, gerade jetzt, wo es doch eigentlich so langweilig ist. Peter und Jeanette wundern sich manchmal, daß ich über ein Nichts lachen kann. Ich lache über das Nichts, weil ich über das Nichts lachen will. Den Abend bin ich dann todmüde.

Ach, wenn doch endlich die Expedition unterwegs wäre, und ich allein!


Graf Rhyn soll ja ein so unvergleichlicher Führer sein durch die Oasen. Führer ist er uns überallhin gewesen, ein unvergleichlicher wohl nur für Jeanette Quedenberg.

Wir sind nach Sidi Olba hinübergefahren, der großen Nachbaroase, wo die älteste Moschee Algeriens steht. Sonnenbrand, entsetzlicher Weg, um das mohammedanische Gotteshaus die ekelste, zudringlichste Horde von Bettlern und Kranken . . . Ich habe wieder so viel tote Augen gesehen! – Wir Neulinge waren wohl sämtlich enttäuscht von dem berühmten Bau, der etwas Bröckelndes, Fahles, Unheimliches wenigstens äußerlich hat für mein Gefühl. Im Innern schlanke, weiße, schmucklose Säulen, die Marmor sein könnten, aber wahrscheinlich überkalktes Holz sind. Ich möchte nicht fragen, ich scheue mich vor einem überlegenen Lächeln. Angeekelt aber waren wir alle von dem entsetzlichen mohammedanischen Schmutz und dem widerlichen Bettelhandwerk. Blindheit: Metier –, schrecklich! . . . Und was bedeuten unsre Almosen, gegenüber all den Almosenbedürftigen? Sie versiegen wie der Tropfen im Sand. Bloome hat recht: Schmutz und nochmals Schmutz, das ist der Orient.

Auf der Rückfahrt – wir mußten natürlich wieder durch dieselben brennenden Wüstenwellen – hatte ich auf Augenblicke die Empfindung, daß der Koran und seine Lehre recht hat. Was hat's für einen Sinn, in dieser fahlen Oede, die mit Gespensterarmen alles gierig umklammert, alles gierig aufsaugt, an irgendein Entrinnen denken zu wollen? Was geschieht, geschieht ja doch! – Alles Mühen ein ohnmächtiger Tropfen. Diese Leute müssen gern sterben, leicht; sie kennen hienieden nur die Wüste des Lebens, drüben wandeln sie in den Gärten des Propheten, in labendem Schatten . . . Aber der Mohammedanismus ist doch wieder so hart, so dürr, so fremd, um ihn hat eine ganze Welt in Haß gelodert einst! Während ich so träumte, schraubte sich über uns ein großer Raubvogel in langsamen Spiralen zu schwindelnder Höhe. »Der dürfte es da oben bei der Sonne etwas heiß haben!« lachte Quedenberg. »Du meinst kalt,« verbesserte seine Frau. Graf Rhyn sah dem Vogel lange schweigend nach, und erst als er kaum sichtbar, ein winziger im Aether schwimmender Punkt kreiste, sagte er fast träumerisch: »Ja, es gibt auch Täler- und Höhenmenschen, genau so. Und die für die Berge geboren sind, die sollten eigentlich urplötzlich abstürzen, alle, und die für die Täler geboren sind, die sollten eigentlich langsam siechen, alle . . .« Und darauf zu Bloome mit einem eigentümlich harten Aufblitzen seiner grauen Augen: »Bloome, Spital oder Kugel?« – »Kugel!« Und das Wort Kugel machte die Runde bei den Herren. Sie haben alle die Ueberzeugung, Höhenmenschen zu sein. Wir beiden Frauen schwiegen. Unsereiner mag ja unerbittlich zu den Tälermenschen gehören. Und doch habe auch ich einmal die Höhen geliebt! . . .


Den Abend waren wir dann bei den danseuses de ventre. Nach der arabischen Moschee das arabische Tingeltangel. Viele Menschen sollen eigens hierherkommen, diese Tänzerinnen zu sehen. Das dürften wohl Franzosen sein. Ich bin Deutsche und habe kein Gefühl dafür.

Ein wüster Raum, schmutzig, angefüllt mit Menschen und Gerüchen, an den Lehmwänden ein paar schreiende Vorhänge, der Fußbuden schlechter Estrich. In der Ecke ein Araber, der am Lehmherd den türkischen Kaffee bereitet – kleine Emailletassen, der Grund bis zum Rand, das Getränk schwarz und unerträglich süß – aber gerade das letztere lieben die Orientalen. Die Wandestrade entlang Araber, junge, alte, hockende, sitzende, mit weißem Turban oder schmutzigem Fez; dazwischen die Kabylen vom Atlas mit den grau verblaßten biblischen Gesichtern, den hellen, habsüchtigen Augen, der leuchtende Araberburnus wechselnd mit dem schmierigen Kabylengewand. Sie sprechen kein Wort, bewegen sich kaum, nur zuweilen langt die Hand bedächtig nach der Kaffeetasse, die ebensoviel Stunden aushalten muß, als sie Schlucke zählt. Gegen die Straße zu als Vorhang ein bunter Teppich, der sich alle Augenblicke lüftet: Straßengesindel, das hineinglotzt, Europäer, die hinaus wollen. Gurgelndes Arabisch, britisches Kauderwelsch, breites deutsches Lachen, darüberhin das scharfe, elegante Französisch. Am liebsten wäre ich sofort wieder gegangen. Es waren die Gerüche einer Tierbude, und die Eingeborenen starrten auf mich wie auf ein Tier . . . Nein, das können unmöglich die freien Söhne der Wüste sein, das ist das entnervte Oasengesindel, das von dem Backschisch der Europäer die eigne Faulheit nährt! Aber mein Mann wollte durchaus bleiben, ebenso Quedenbergs; die beiden andern Herrn stellten anheim. Sie zucken die Achseln und sehen's doch gern. Wir nahmen Platz an kleinen Blechtischchen unten, die uns der arabische Kellner eilfertig hinschob, und tranken glühendheißen Kaffee. Jetzt begann auch die arabische Tänzerin. – Tänzerin? Tanz? – In weißlichem Gewande ein junges abgeblühtes Geschöpf, dunkel überhaucht, mit unbeweglichen Zügen, starren Augen; und die schiebt sich immer in kleinem Kreise herum, scheinbar ohne die Füße zu bewegen oder irgendein Glied, eine unverständliche Statue, an der nichts lebt als der Leib. Die Araber starren wie elektrisiert. Darauf ein Tamburinschlag, die Hände fallen ihr gleich wieder automatisch zurück. Die Körperbewegungen werden immer krampfhafter, immer schneller, die Araber beugen sich vor mit leuchtenden Augen, man glaubt sie schwer atmen zu hören. Und so geht es weiter mit den Verrenkungen – nicht wilde Grazie, nicht schöne Nacktheit, nur häßlich, unsagbar häßlich ist dies Bild!

Graf Rhyn und seine Dame unterhalten sich sehr eindringlich. Sie folgt gespannt, wie er erklärt. Schließlich lächeln sie.

Mich langweilt's allmählich. Aus halbgeschlossenen Augen sehe ich weiter nichts, als an den Wänden die dunkel polierten Gesichter, die heiß glänzenden Augen, und neben dem Lehmherd apathisch kauernd einen Soldaten der Fremdenlegion in vernachlässigter Uniform, an dem abgenommenen Fez die Troddeln zählend. Wie er den Blick jetzt hebt: ein rätselhaftes blasses Auge in einem stumpfen Gesichte. Er ist sicher Europäer, vielleicht Deutscher, er hat irgend etwas Scheußliches begangen oder er wird's noch begehen, und doch ist in diesem Gesichte ein Zug, der mein Mitleid weckt. Die Fremdenlegion liegt viel weiter drüben nach Marokko. Was will der Mensch hier? Während ich ein Schicksal zu wittern glaube, das wahrscheinlich nie existiert hat und höchstens in der »Fremdenlegion« besteht, sehe ich wie durch einen Schleier einen schwarzen mageren Sudanneger mit krummen Knien sich drehen und plärren. Auf dem Wollkopf ein Muscheldiadem. Und er springt und schreit und schlägt auf eine Trommel, bald laut, bald leise, eine wahre Höllenmusik. Ehe ich mich's versehe, steht er vor mir, den Menschenfressermund mit den weißen Zähnen weit geöffnet. Ich drehe mich weg. Jedoch Peter wirft ihm lachend ein schmutziges Zweisousstück in den Mund, die andern desgleichen, und das Scheusal fletscht zum Dank die Zähne, rollt die Augen.

Darauf habe ich genug. Wir gehen. Wie der Kellner vor uns höflich den Teppich hebt, schaue ich noch einmal zurück. In dieser Glut, in diesem Miasma kann's eigentlich nur Skorpionen und Wilden auf die Dauer wohl sein. – Eine Ouled-naël tanzte wieder und die Araber starrten gierig; der Fremdenlegionär aber zählte noch immer stumpfsinnig die Quasten seines Fez. Dieser Mensch hat mich bis in den Traum verfolgt.

Am andern Tag waren wir in dem berühmten Park von Landré. Herrliche Bäume, ein Grünen und Duften wie in einem Gewächshaus, an den seltenen Stämmen Porzellanschilder. Ich kann mir wohl vorstellen, daß zur Sommerszeit dieser wohlgepflegte Garten in den märchenhaftesten Formen und Farben blüht, die Wohlgerüche der Tropen aushaucht. Und rings um die gelbe Lehmmauer, die ihn abschließt: die brennende durstende Wüste, aus der von ferne noch eine vergessene Palme winkt neben einem vergessenen Haus. Der Neger, der uns führte, verlangte durchaus unsre Visitenkarten. Ist's die Passion seines Herrn, auch die Visitenkarten aller Länder in seinem Landhaus zusammenzutragen, nachdem er bereits die Pflanzen aller Länder hier zusammengetragen hat? Naturforscher sind merkwürdige Leute, ihre wahre Neigung entdeckt man ganz zuletzt. Graf Rhyn sprach über den Wert und Unwert solcher wissenschaftlichen Gärten. Jedoch nur Jeanette vermochte ihm zu folgen. Ich hätte nie geglaubt, daß sie Blumen liebt.

Nachmittag waren wir in den heißen Bädern. Sie sind nicht weit. Man fährt in einem Tram hin, und gewiß ist es interessant, aus der harten Lehmwüste, die sich bis zu den Dunes de sable hinüberzieht, plötzlich ein maurisches Haus emporwachsen zu sehen. In der Vorhalle war's so angenehm kühl, in den Schwefelquellen so stechend heiß. Aber man macht doch die Torheit mit, als wenn eine Wüstentherme für alles gut sei. Mir fehlt nichts, weder äußerlich noch innerlich, trotzdem habe ich gebadet. Auch hübsche schmachtende Araberinnen mit viel Silberschmuck und Odaliskenaugen flanierten in den Gängen umher. Die Herren lachten und machten sich gegenseitig Zeichen. Ich weiß auch, daß es Ouled-naëls sind und warum sie sich nicht verschleiern. Es ist doch bei den Herren immer dasselbe Gefallen, gestern bei den Tänzerinnen, heute in den Bädern. Das Ewigweibliche zieht sie hinab. Peter und Quedenberg fanden sich bei der Gelegenheit merkwürdig. Gegen Abend gingen wir zu Fuß zurück.

Damit wären die Touristensehenswürdigkeiten von Biskra erschöpft. Es ist eine andre Welt, eine interessante Welt, und vielleicht wird sie mir einmal als Erinnerung teuer. Bis jetzt kann ich nicht sagen, daß mir irgend etwas von der großen Poesie der Wüste aufgegangen wäre. Aber, wenn ich so vom Rande des Palmenwaldes aus den äußersten Horizont absuche, die gelbgraue, verschwommene Linie, dann faßt mich eine Art Sehnsucht und auch eine Art Zorn. Die wirkliche Wüste liegt viel weiter draußen! Ich will mal mitten drin in dieser Wüste stehen, mitten drin, wo mir kein Oasenhauch die wunderbare Monotonie verkümmert. Dann wird mir vielleicht etwas von der Größe des Orients und der Geschichte seines Glaubens aufgehen. Aller Glaube ward doch in der Wüste geboren.

Jeanette mag ja einen idealen Führer gehabt haben, ich habe ihn nicht gehabt. Ich möchte ihn auch nicht gehabt haben.

Uebermorgen geht's nach Saada. Es ist weit. Mehr als drei Meilen. Und ich freue mich sehr darauf.

Wir haben gestern noch über den Islam gesprochen und unsre Unfähigkeit, ihn zu begreifen. Darin waren wir Europäer alle einig. Dabei kamen wir auf Religion überhaupt zu sprechen, und Graf Rhyn, der sich gern in Paradoxen bewegt, sagte: »Ich würde aus allen Religionen das Bußgebet streichen. Die einzige Buße ist die Tat.« Das quält mich. Hat er recht? Ich habe so viel gebetet und so wenig getan.

Außerdem muß ich noch folgendes bemerken: Graf Rhyn ist niemals unhöflich gegen mich gewesen, nur kühl, wie er es ja eigentlich gegen alle ist. Mir wird's kühler vorgekommen sein, weil ich ihn wärmer gekannt habe. Zwischen uns existiert eben nichts mehr als eine zufällige Bekanntschaft, und das markiert er. Wenn sich Jeanette Quedenberg mir gegenüber auf denselben Standpunkt stellt, so ist das erst recht begreiflich. Sie ahnt, was früher gespielt hat, und wie es geendet. Da sie die Freundin, vielleicht die Geliebte dieses Mannes ist, muß sie Partei ergreifen, und zwar nicht für mich. Das ist alles so sonnenklar! Nur daß ich ein echtes Frauenzimmer bin, das verwöhnt und verblendet am liebsten alle Männer zu seinen Füßen sehen möchte. Man studiert im Leben langsam um, und ich am langsamsten. Also Graf Rhyn ist mir ein völlig fremder Herr, und Gräfin Quedenberg eine völlig fremde Dame. Ich bin ebensowenig nach Afrika gekommen, ihre Freuden zu stören, wie sie die meinen. Warum engagiere ich mich eigentlich für oder wider Leute, die mit mir nichts zu tun haben wollen, und mit denen ich auch nichts zu tun haben will? Wissen möchte ich nur, ob die Frau für den Mann ebenso stark fühlt, und wenn, ob er auch für sie stark fühlt. Weib bleibt Weib, und in Romanen interessiert uns schließlich doch am meisten, ob sie sich kriegen und ob sie glücklich werden.


Saada. – Die da gewesen sind, raten uns ab. Doch ich will: es ist die freie Wüste.

Ich hatte von einem tollen Maultierritt geträumt, wo Bloome und ich ein wenig vor der andern Gesellschaft hergaloppieren könnten, doch wird leider die Tour immer zu Wagen gemacht. Früh um sieben ging's los. Bequemer, leichter Wagen, geblümte Kattunkissen unter uns, luftiges Kattunverdeck über uns. Vorn drei Pferde nebeneinander, die hochbeinigen berberischen Grauschimmel mit den langen Schwänzen, magere, feingliedrige Kracken, die nur unter der Peitsche gehen. Auf dem Bock der arabische Kutscher und der arabische Diener des Grafen Rhyn in weißem Turban und weißem Burnus. Wenn der Herr und der Diener miteinander Arabisch sprechen, überläuft mich ein ehrfürchtiges Gruseln. Es klingt so fremd, – und ich bin Deutsche . . . Quedenberg und mein Mann sind nicht von der Partie, weil sie Saada auf ihrem Wege nach Tuggurt und Ouargla so wie so berühren müssen. Erst ging's durch die ganze Oase. Die Palmen nickten uns wie erwachend zu, die Blätter noch schwer vom Tau. Dann kamen grüne Weizenfelder, die im Halbkreis die Oase umziehen. Die Felder werden heller, gelber, verschwinden. Wir sind in der Wüste. Lehm und Sand und staubgrünes Kraut in uferloser Ebene, und so weiter, immer weiter, bis der Horizont in der Wüste ertrinkt. Eine ausgefahrene Straße führt durch und der Telegraphendraht. Der Wagen schwankt, die Pferde schnauben. Rechts und links bauen sich auf gelbem Blachfeld winzige Sandhügel auf, vom Wind zusammengetragen, vom Wind auseinandergeweht, und zwischen ihnen das harte, graue Grün verstaubt, erblindet, und doch emsig wuchernd. Weiterhin tauchen dürre Tamariskensträucher auf, ein Wüstenfuchs schnürt vorsichtig durch diesen verdorrten Wald. Dann kommt ein Kamelskelett, halb im Sande begraben, dann noch eins, – noch eins, – als zeichneten sich alle Saharastraßen nur durch Leichen . . . Und jetzt die erste echte Karawane, die ich im Leben sehe, natürlich eine ganz kleine Karawane. Die hageren Kamele mit dem staubverfilzten Fell, dem wiegenden, schattenhaften Gang, den dummen Lasttieraugen; auf dem Höcker die Eingeborenen, die Männer schmutzstarrend, die Weiber verschleiert, – aus dem bauschigen Burnus eines Weißbarts schaut eine winzige Gazelle. Der Weißbart lächelt jüdisch, die Gazelle mit den unendlich zarten Gliederchen schaut aus fragend glotzen Augen zu uns. Ich hätte das Tierchen den Leuten vielleicht abgekauft zu seiner und meiner Qual, jedoch Rhyn rief ein arabisches Wort, und wir fuhren rasch vorüber. Die Sonne brannte heißer; in den weißen Burnussen auf dem Bock spielte der Morgenwind. Die Straße war voll tief ausgefahrener Lehmgeleise, der Wagen stöhnte, die Pferde prusteten. Rechts zieht das dürre Tamaristengestrüpp getreulich mit, ein ausgewaschenes Flußbett schaut rissig und wild dazwischen hervor. Kein Tropfen Wasser – aber früher muß hier ein Bergstrom getost haben. Ein Bergstrom in der Wüste! Aber zur linken wird der graugrüne Schimmer stärker. Er streicht über die Ebene wie ein leiser Hoffnungshauch, und zugleich tauchen in der Ferne kleine dunkle Punkte auf, häufiger, immer häufiger, sie bewegen sich langsam, verschwinden tauchen wieder auf. Jeanette fragte für mich. Es sind Kamele, Hunderte von Kamelen, die diese Hungerweiden gierig abgrasen, wie etwas Köstliches. Später, als wir näher gekommen, erkannten wir deutlich die Schiffe der Wüste. Und wirklich hoben sie sich gegen den weißen Horizont so scharf ab wie Schiffe auf dem Meer.

Wir sahen schon lange Fenster von Saada her blinken. Doch nur langsam kam es näher, kriechend langsam, wie alles in der Weite. Ein brauner, festungsartiger Kasernenbau, den Fremdenlegionäre in den sechziger Jahren errichtet oder bewohnt haben; ich werde aus der Inschrift über dem Portal nicht recht klug. Jetzt gilt diese Gegend als absolut sicher, und man schob die Legionen längst gegen das räuberische Marokko vor. Dies Saada liegt trostlos.. Kein Baum, kein Strauch, nur unter dürren Sträuchern eine schmutzige Quelle. Innen sieht das Gebäude mit seinem viereckigen Hof und seinen Bogengängen wie eine verödete Karawanserei aus. Die wöchentliche Post von Tuggurt nimmt ihr Relais hier. Sonst trieben sich nur ein paar ältliche Araber am Portal herum, die ihre Neugier unter ihrer Würde verbargen, und halbnackte Kinder, die im Hof herumtollten. Ein dunkler, schlanker Bengel ritt einen Esel im Kreise herum, immer Galopp, statt der Peitsche eine blanke, scharfe Sichel schwingend. Es war echt: der Wüstensohn – die geschwungene Sichel – das unbarmherzig gequälte Tier. Sie reiten hier merkwürdig, die Leute, fast auf der Kruppe, und der kleinste Esel trägt den stärksten Mann. Hier nahmen wir das mitgebrachte Frühstück in einer Art Wachtstube an einem wackligen Tisch, auch die schmutzigen Strohstühle längst ausgedient. Der Blick auf den Hof. Die Wüstensonne brannte bereits unbarmherzig auf dem flachen Dach; an den gelblichen Mauern in dem Bogengang die Araber lehnend mit den gleißenden Augen. Ich höre noch den dumpfen Gurgelton und bewundere ihre orientalische Gelassenheit. Es ist doch eine Oede und eine Menschheit, die man nicht versteht.

Vielleicht war Saada allen die eindrucksloseste aller Biskratouren – mir nicht. Ich habe mich noch niemals mit so heiß klopfendem Herzen in der heißen Wüste gefühlt, wie hier. Es waren freilich nur kurze Momente.

Nachdem wir des Sitzens in der Wachtstube und des gequälten Esels überdrüssig geworden, gingen wir ins Freie. Es war heißer Mittag, und Hitzdunst flimmerte über der schmutzigen Quelle und ihren dürren Tamarisken. Die Wüste, stumm, gelb, ohne Leben. Der ferne Felswall hinter Biskra verschwommen wie täuschendes Gewölk, doch der braune Sarg der Dunes de sable hell, grell, eine Apotheose des ewig dürstenden Sandes. Wir gingen zu den Beduinen, die nicht weit ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Die Männer mit den weidenden Kamelen weit drüben am Horizont, im Zelt nur die Frauen und Kinder und ein tobender Hund von der spitzschnauzigen gelben Oasenrasse. Wir gingen hinein. Zuerst eine Alte, die an der verglimmenden Asche kauerte, grau wie diese Asche selbst, eine Hexe, die uns arabisch beschimpfte. Dann eine Junge mit zwei lallenden Kindern, etwas Negergesicht, die Fingernägel hennarot, am nackten Arm eine plumpe Silberspange, im Ohr ein Stück Koralle, die mit ihrer leuchtenden Farbe gut zu dem filzigen Zigeunerhaar stimmte. Die Silberspange habe ich dem Weibe abgekauft, allerdings erst viel später und heimlich. Ich habe, glaube ich, einen unsinnigen Preis dafür bezahlt, doch ich wollte wenigstens eine echte Erinnerung aus der echten Wüste mitnehmen. Ich werde die Spange immer tragen. Erinnerungen soll man ja heilig halten. Soll man das wirklich immer, Mama?

Als wir zurückkamen, hielt gerade die Post von Tuggurt auf der Wüstenstraße, ein wenig abseits vom Haus. Es war ein schwerer Verdeckwagen. Im Fond ein Araber in helle Decken eingewühlt, – er mochte wohl krank sein, – vorn beim Kutscher eine schwere Eisenkiste: die Post. Drei abgetriebene, nasse Pferde abgeschirrt, drei frische trübselig in die Strange. Es geht rasch. Wo Frankreich befiehlt, wird nicht gesäumt. Der einzige anständige Passagier: ein eleganter Kapitän der Chasseurs d'Afrique in der hellblauen Schnürjacke seiner Truppe, stand dabei und rauchte eine Zigarette. Ein spitzbärtiger Herr von einer andern Touristengesellschaft, die eben angekommen war, interviewte den Franzosen, der mit knapper Höflichkeit Antwort gab. Ein halber Gruß des Offiziers aus dem Wagen heraus – der französische Gruß für Deutsche – und das Gefährt ratterte schwer aber schnell auf Biskra zu. Ich sah ihm nicht nach. Es fährt ja zur Oase, und Oasenwünsche habe ich im Augenblick nicht.

Wir mußten auch an den Rückweg denken. Während Bloome mit dem Kutscher verhandelte, ging ich ums Haus herum nach der abgewandten Seite, wo viele Meilen weit Tuggurt liegen soll. Die Ferne lockte. Da standen aber bereits Graf Rhyn und Gräfin Quedenberg. Ich trat höflich zu ihnen. Sie standen und schauten, und ich schaute auch.

»Verstehen Sie hier, warum ich die Wüste liebe, mehr liebe als See oder Hochgebirge, und daß ich immer wieder zu ihr zurückkehren muß?« Eine Antwort kam nicht. Da bemerkte er mich: »Verzeihung!« Ein kalter Zug sprang um seinen Mund. Dann sprach er ruhig weiter.

Ich weiß nicht, was es war, und für mich war's sicher nicht bestimmt. Und doch war's für mich. Denn ich habe ihn verstanden, sie nicht.

Es war wie damals in Gaino. Tempi passati. Da lag sie endlich vor mir, die freie Wüste! Gelb, dürr, trostlos unter einem weißlich lastenden Himmel. Und der afrikanische Gluthauch darüber, sengend, mordend, erbarmungslos. Und kein Maß in dieser Oede, kein Leben in diesem Brand, nur Kiesel und Sand. Das Meer ohne Wasser! Am blassen Horizont die Oede in der Oede sterbend, – der heiße Tod. Ich fühle sein Nahen, wie er riesengroß durch die Rieseneinsamkeit schreitet; und wie er auch brennenden Auges sucht nach Lebendigem, nur der eigne heiße Schatten wandelt neben ihm. – Rings um den Tod nur Tod . . . Der Tod schreitend in Lichtfluten. Der heiße Tod! Unsrer ist kalt . . . Von der Wüste kam ein Windhauch – ein zitternder, sterbender. Mir schlug er wie Lohe ins Gesicht . . . Der Mann neben mir hat nichts zu mir gesprochen, aber ich habe ihn verstanden. In dem Glutatem der Wüste lebt auch der Firnhauch der Höhen. Das Unermeßliche drückt, und doch macht's frei. Muß man denn immer in die Wüsten gehen, um sich selbst zu finden? Und wenn ich, die ich gefesselt bin von meiner Geburt an, einmal diese Fesseln breche, brechen muß, weil ich wenigstens sterben will in der Wüste, in der Freiheit . . .

Josefa Lasowitz, du bist verheiratet, du hattest ein Kind, der Mann hier neben dir ist ein fremder Mann, sein Herz gehört der Frau, die ihn nicht versteht . . . Und das deine, Josefa? In dem Augenblick war's mir, als fühle ich die sanfte Nähe meiner Mutter und den feinen Duft ihrer Hand, die sich auf meine Augen legt: »Mein Kind, du suchst wieder draußen das Glück, das nur daheim zu finden ist.« – Es war ihre Stimme, ihr Bild, die mir das unklare Sehnen bannten. Und ich dachte an Peter und unser totes Kind. Das tote hat uns das Glück hinweggenommen, das lebende bringt's uns wieder zurück!

Die beiden andern gingen bald. Jeanette schien mißgestimmt. Während der Wagen anspannte, ging ich langsam Schritt für Schritt um das Kasernenviereck herum. Hüben das graue Grün, die weidenden Kamele, in wolkiger Ferne die kahlen Atlashöhen wie braunes Felsgestade, gegen das der Ozean brandet. Dann über die Wüstensträucher und das ausgewaschene Flußbett hinweg das Dünenufer, und dann wieder das uferlose Meer. Ich wollte mir das Bild einprägen, und angesichts der großen, schweren Monotonie, die dieser tiefe, weiße Dunsthimmel mit stummer Glut doch überall deckt, mußte ich an den Glauben dieser Wüstenmenschen denken. Was hier aus Glut und Oede geboren wird an Gedanken und Gefühlen, das muß wie die Wüste selbst sein, in leidenschaftlichen Sinnen lodernd oder in dumpfer Askese verdorrend. Und die ihren Gott zu suchen in diese glühende Wüste hinauswandeln, in diese erbarmungslose Oede, die werden nur den leidenschaftlichen Gott finden, der rächt und richtet und die Welt in Flammen setzt, sein Reich zu gründen. Sie werden wie Mohammed ihre dürstende, darbende Menschheit in einem Glaubenssturm fortreißen und mit ihrem heißen Glauben neue Wüsten schaffen, weil sie und ihr Glaube nur aus den Wüsten geboren sind. Woher sie kamen, dahin kehren sie zurück. Ihr Glaube ist nicht unser Glaube und ihr Gott nicht unser Gott. – Aber wenn ich auf die Wüste sehe und die Glut spüre, die da ist, und die größere ahne, die noch kommt, und die starre Oede, die bleiben wird, weil sie immer war: dann sage ich mir, was sollte der Orient mit dem Gott des Okzidents? – Ihr Jehova ist in Feuergluten dahingefahren, und ihr Himmel muß ein irdisches Paradies sein. Solcher Wüstenglaube kann in sich verbrennen, erstarren, aber er wird niemals feige werden, träge einschlummern, und seine Söhne werden immer für ihn zu sterben wissen. Die Wüste predigt nichts von Milde oder Liebe, sie predigt Krieg oder Entsagung . . . Es klingt vermessen, aber es muß doch etwas Gewaltiges sein um einen Glauben, der so einseitig fanatisch ist, daß sein niedrigster Bekenner uns verachtet. Ach, manchmal möchte ich ihn auch haben, diesen engen, heißen Glauben! . . . Mein Glaube ist lau bei aller Inbrunst. Und wenn einmal ein leidenschaftliches Gefühl riesengroß um ihn emporloht – was werden mein Glaube und ich dann sein? In Flammen begraben . . .

Jedenfalls ist mir Saada unvergeßlich. Ich weiß nicht, warum die Wüste so stark mich gerade hier gepackt hat. Es war überhaupt heute alles anders wie sonst. Auch auf der Rückfahrt; ich hatte heiße Sehnsucht nach Peter und doch dumpfe Angst vor dem Wiedersehen. Ich mache so große Worte und bin doch so klein. Als die blaßgrünen Konturen der Weizenfelder näher kamen, begrüßte ich die Oase wie eine Heimat. Peter und Quedenberg waren uns entgegengekommen bis zu dem verfallenen türkischen Fort in Alt-Biskra, dessen Lehmmauern so echt orientalisch in dem Abendschatten der Palmen lagen. Wir stiegen natürlich aus und gingen zu Fuß bis zum Hotel. Ich umarmte Peter leidenschaftlich, als hätten wir uns Monate nicht gesehen. Ihm fiel's auf, und er sagte verwundert: »Schatz, was hast du?« Ich habe nichts, gar nichts. Ich bin nur in der Wüste gewesen, und ihre Monotonie ist so groß.

Als mich die Jungfer im Schlafzimmer umzog, war ich matt zum Weinen. Aber unten beim Diner wurde ich wieder frisch zum Lachen. Ich ging früh und heimlich zu Bett. Peter konnte mir nur durch die Tür gute Nacht sagen. Ich hatte mich eingeschlossen wie gewöhnlich, aber gerade heute hätte ich's nicht tun sollen.

Heut ist Freitag. Montag reisen sie.


Ich bin die letzten beiden Tage zu Hause geblieben. Ich war nicht etwa krank, aber ich wollte wenigstens in diesen beiden letzten Tagen meinem Mann die liebevolle Hausfrau sein, die ich ihm so selten gewesen bin. Irgend etwas im Leben muß man doch lieb haben, und an dieses Liebste muß man sich klammern. Vor einer Abreise ist solch Gefühl immer am stärksten.

So haben wir denn zum allerallerletztenmal gepackt, ohne Jungfer und Hausdiener, auf meinen direkten Wunsch. Vielleicht war's auch die Laune der großen Dame, die mal die kleine Frau spielen will. Aber mir war wirklich so ums Herz, so hausmütterlich, so zärtlich! Solche Stimmungen muß man nutzen. – Wir haben eine Unordnung gemacht im Salon, als ob zwei ungezogene Kinder packten. Und wie Kinder waren wir ja auch, Kinder, die lustig kreischend im Sande spielen, während schon die Flutwelle heranrauscht die ihre törichten Burgen zerstören muß . . . Das Hotel wird uns kündigen und die Packesel werden streiken. Aber wir wollen ja auch heute andre Menschen sein! Selbst das Frühstück war das kleiner Leute, die auf dem blanken Tisch ihre Sandwiches liegen haben, ihren Kaffee im Ab- und Zugehen trinken. Peter war ganz gerührt. »Ja, warum kann's dann nicht immer so sein, Schatz?« – Und ich zeigte darauf nach der Sonne. »Ja, warum kann die denn auch nicht immer scheinen?« Er fand den Vergleich anmaßend, und ich eigentlich auch. Trotzdem zog er mich darauf gewaltsam auf den Schoß und wollte mich verliebt küssen. Ich erlaubte es aber nicht. Er soll mich nicht küssen, ich will ihn küssen! Auch im letzten Moment lasse ich die Kaprice nicht. – Dann wollte ich ihm seinen Gewehrkoffer packen, aber da ist er wieder kapriziös. An Büchsen und Sättel dürfen keine Frauen . . . Und während er mir lustig erklärte, was ich schon längst weiß, nämlich: daß er eigentlich drei Geliebte hat, die Frau, das Pferd und die Jagd – kroch ein Fetzen Gewölk draußen über die Sonne, und drinnen einer über mein Herz. Ich möchte dem Manne gern alles sein, der mir alles ist. Ehe ist doch Gemeinschaft. Mama sagt davon: »zu wenig Gemeinschaft kühlt ab, zu viel übersättigt . . .« Und eigentlich will's mir doch nicht in den Kopf, daß wir nach der Bibel uns mit Leib und Leben gehören sollen, wir beide, – und doch zeitlebens die kleinen, egoistischen, lügnerischen Kämmerchen in unsern Herzen hüten, in die wir von Jahr zu Jahr mehr mit unsern Passionen flüchten, bis das große wirkliche Herz ganz verödet ist. Warum auf die Dauer immer nur die kleinen Passionen zusammenführen, während die große auf die Dauer trennt? Das ist doch die Idee aller Mütter, daß man alles im Leben entdecken darf, nur nicht sein Herz.

Ich dachte so ketzerisch und hielt gerade unsre beiden Ferngläser in der Hand. Sie sind natürlich das Neueste, Teuerste, man sieht durch beide gleich gut. Trotzdem ist meins von Goerz und seins von Zeiß. Die kleinen Passionen vereinen uns schon ganz gewiß nicht! Aber geärgert habe ich mich doch nachher, daß man immer über Kleinigkeiten stolpern muß, je kleiner, je mehr. Und die echte Zärtlichkeitswallung für Peter, aus der echten Wüste mitgebracht, ließ sich heute nicht mehr irre machen. Sie war in der letzten Nacht so unbegreiflich stark!

Ich war in dieser Nacht leidenschaftlich aufgeregt in dem Gedanken, daß er morgen in die Wüste geht, vielleicht niemals mehr zurückkehrt. Ich hing weinend an seinem Hals und sagte: »Ach, bleib doch, Peter, bleib!« – Er hätt's nicht getan und ich hätt's nicht zugelassen im Ernst, aber es war mir nun einmal so ums Herz . . . Es war überhaupt eine wunderbare Nacht. Es war wie ein Rausch. Ich mußte jemand umarmen, ans Herz drücken, Wahnwitziges stammeln, was nur die Nacht deckt. Als wenn ich den Liebesbecher nie geleert, so dürstete mich danach . . . Ich konnte kein Auge zutun in der Nacht. Ich lag in einer trockenen, heißen Glut. Ich dachte schon, es wäre Fieber, – und Fieber war's auch.

Als ich zum Frühstück kam, sagte Peter: »Donnerwetter, Josefa, was siehst du matt aus! . . . Ich sollte noch einen Tag zugeben.«

»Gib ihn nicht zu, Peter. Auf keinen Fall! Ich fühle mich ganz wohl.«

Der Rausch war verflogen. Ich spürte nur noch einen dumpfen Kopfdruck.

Jedenfalls bin ich auch jetzt so klar und nüchtern, und es ist am Vormittag nach dieser Nacht, daß ich die vorstehenden Zeilen schrieb. Ich könnt' es vielleicht ebensogut abends tun, vielleicht noch besser, weil ich dann allein bin. Doch wer weiß am Abend vom Morgen.

Sie wollen erst nachmittags aufbrechen, um Mensch und Tier zu schonen in der stechenden Saharahitze. Es ist Vollmond, und sie gedenken die Nacht durchzureiten. Um solchen Ritt beneide ich sie fast. Es muß wundervoll sein, einsam in der kühlen, schweigenden Wüste! Der Gedanke an Einsamkeit, der mir hier die Brust engt, weitet sie mir dort.

Wir haben noch ein letztes feierliches Dejeuner im Royal, wozu Quedenbergs eingeladen. Darauf begleiten wir Frauen per Wagen die Jagdkarawane noch ein Stück auf dem Wege nach Saada.


Es ist Mitternacht. Ich sitze in meinem Schlafzimmer. Sie sind fort. Und ich bin so allein . . .

Das letzte Gabelfrühstück im Royal war gut. Es herrschte die fröhliche Abschiedsstimmung, die für einen Jagdausflug paßt. Ich war die Fröhlichste. Graf Rhyn brachte den Abschiedstoast aus, kurz, trocken. Er kehrt nicht mehr nach Biskra zurück. Ich hob darauf das Glas im Namen der Zurückbleibenden und sagte nichts als »Weidmannsheil«.

Um fünf Uhr brach die Karawane auf: die vier Herren, Rhyns arabischer Diener und die Treiber für die Packtiere. Wir fuhren eine kurze Strecke die Saadastraße mit. Graf Rhyn gab das Zeichen zu unsrer Rückkehr. Er mag Sentimentalitäten nicht. – Ein letzter flüchtiger Händedruck von allen und für alle. Peter liebt die Jagd doch mehr als mich. Unser Wagen hielt. Wir winkten, sie winkten zurück, viele Male; Graf Rhyn nur einmal und ganz leicht. Er war es auch, der sofort Trab befahl. Als wir zurückfuhren, Jeanette nervös, ich ruhig, sprachen wir kaum ein Wort. Vor dem arabischen Kirchhof sagte sie plötzlich: »Wenn der Kutscher fährt, was er kann, sind wir in dreiviertel Stunden auf dem Col de Sfa. Mit dem Glas können wir sie da noch sehen. Wünschen Sie mitzufahren?« Es war eine kühle Aufforderung, dennoch sagte ich ja.

Der Col de Sfa ist einer von den Felsen, die Biskra auf der andern Seite im Halbkreis umschließen, und der Blick auf die Wüste berühmt. Von hier aus sahen die französischen Soldaten zuerst in einer Vollmondnacht die Sahara, und sie riefen aus: »Das Meer, das Meer!« – Ich bin schon einmal mit Peter dort gewesen. Es war ein dunstiger Tag, und die Wüste schwamm in trägem Grau . . . Wir fuhren wie rasend, und immer wieder trieb Jeanette Quedenberg den Kutscher an. Sie gab sich auch keine Mühe, ihre Aufregung zu bemänteln. Zu den verschlossenen Naturen gehört sie, zu den feigen nicht. – Endlich! Wir mußten noch den Felsen in die Höhe klettern. Sie rang nach Luft, als wir oben waren, ich atmete nicht stärker als sonst . . . Ich weiß nicht, ob ich eine verächtliche Komödiantin bin, auch vor mir selbst, oder ob es die Vorsehung liebt, mich unversehens aber tödlich zu treffen.

Da lag sie wieder, die freie Wüste, so groß, so traurig. In den braunen Atlasbergen verglommen die letzten Sonnenstrahlen. Im fahlen Grau starrte die unermeßliche Oede. Wir sahen beide durch unsre Ferngläser, aber voneinander entfernt, vielleicht aus Instinkt . . . Und da war auch die Karawane, klein, puppenhaft, es schien, als käme sie nicht von der Stelle.

»Sehen Sie Rhyn, Josefa?«

»Ja, er reitet ganz vorn!«

Und ich sah und sah und wunderte mich in meinem Herzen, wie leicht doch das Scheiden von einem Jugendtraum. Mein Mann ritt ganz weit rechts. Ich glaube wenigstens, daß es mein Mann war . . . Und plötzlich – war es eine tückische Bodenwelle oder eine List der Finsternis? – verschlungen die Karawane, der Reiter vorn wie verschluckt von der Wüste. Ich habe sie auch nicht wieder finden können, nur Peter allein ritt ruhig weiter . . . Und da setzte mir das Herz aus und die Zähne schlugen zusammen, ich fühlte einen Stich, weher als in Sirmione damals, weher als je ein Stich. Und eine tödliche Angst packte mich, und ich konnte nur brennenden Auges denken: »Laß sie alle verderben: Peter, die andern, aber rette ihn, ihn!« – Es war eine Todsünde. Ich weiß es. Aber schwimme gegen den Strom, in dem du versinkst!

Wie ich nach Hause gekommen bin, weiß ich nicht recht. Es war dunkel, und das tat uns beiden wohl. Als mir vor dem Hotel meine Jungfer aus dem Wagen half, sagte sie: »Frau Baronin bluten ja!« Ich hatte mir die Lippe durchgebissen und es nicht einmal gemerkt.

Und nun sitze ich in meinem Schlafzimmer um Mitternacht, kaum vierundzwanzig Stunden älter, und alles um mich predigt von der letzten Nacht. Und ich fühle, wie mir die böse, heiße Träne ins Auge tritt, die diese letzte Liebesnacht verwünscht, weil sie die nicht versteht, nicht verstehen kann . . .

Was sollen mir Erinnerungen, Schatten? Was ich gestern war, bin ich heute nicht mehr. Ich kann nicht anders . . . Ich liebe ihn, ihn! – Und ihn allein begleite mein sündig' Gebet . . .


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