Johann Richard zur Megede
Der Ueberkater Band I
Johann Richard zur Megede

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Fünftes Kapitel

Ich habe beschlossen, doch einen Abstecher nach meinem Hotel zu machen. Meine Geliebte erscheint mir zwar immer noch recht begehrenswert, aber das Herzblut des grauen Bäckergesellen gehört nicht mehr zu meinen schönsten Träumen. Wenn er seinen Wunden erliegen sollte –, werde ich es ertragen. Sonst, mag er seine Brote backen, wo er will, in Gargnano oder Salò – mir ist's völlig gleichgültig. Meine Geliebte – Isolde ist doch zu romantisch, und mit der priesterlichen Sanktion unsrer Gefühle hat es auch keine besondere Eile – will im Palazzo Bettoni bleiben, obgleich ich ihr eine vakante Hauskatzenstelle in meinem Ort vorschlug. Man könnte sich da sehen, so oft man wollte, und wäre sich anderseits auch nie im Wege. Denn die tägliche Chausseewanderung bis Gargnano? – Auch die Liebe muß ihre vernünftigen Grenzen haben. Daß die vielleicht etwas zu purpurblonde Schöne so sehr an ihrem Haus und ihrem Gargnano oder Bogliacco hängt, ist ja das Zeichen einer sinnigen Gemütsart, aber in der Diplomatie liebt man nun einmal keine züchtigen Hausfrauen, man verlangt die große Dame, die beim Botschaftsdiner präsidiert, elegant causiert, und große Damen haben kein kleines Heimatsgefühl. Ich weiß überhaupt nicht, ob mein Entschluß, hierher überzusiedeln, nicht ein wenig voreilig war. Meine Marchesa hat doch seltsame Gewohnheiten. Es degoutierte mich direkt, als sie neulich vor meinen Augen eine große Eidechse nicht nur gewandt fing, sondern sogar gierig verschlang. Auch für rohe Froschschenkel schwärmt sie.

Ueberhaupt läßt Palazzo Bettoni alles zu wünschen übrig. Der Marchese selbst weilt noch in Brescia, alle Fensterläden sind geschlossen, und wenn ich diesem schmutzigen Portier auch nur in den Polentatopf gucke, knurrt er. Ich vermisse meinen Betteppich, meine ragouts fins. Die Liebe kann doch unmöglich verlangen, daß ich ihretwegen zum Mäusefänger werde. Mäuse gibt's ja allerdings genug, aber sie existieren für unsereinen doch nur zu Jagdzwecken. Meine Geliebte verspeist sie mit Haut und Haar. Was mir anfangs als reizende Marquisenlaune erschien, stellt sich jetzt als ganz gemeiner Hunger heraus . . . Wenn es meiner Freundin einfallen sollte, nach der Isola di Garda überzusiedeln, ich schwämme ihr jedenfalls nicht sofort nach. Ich muß so wie so mit meinen Kräften rechnen . . . Als ich neulich an einem Stehspiegel vorüberstrich, fand ich meine Bewegungen etwas zu verheiratet eckig. Meine Freundin findet mich nur würdig. Ich habe aber schon früher die Ueberzeugung gehabt, daß die Würdigkeit des Alters hauptsächlich in der Steifheit seiner Beine besteht. Das widerstrebt mir. Talleyrand hinkte allerdings, aber er war keineswegs würdig.

Wie gesagt, die Verhältnisse in Gargnano passen mir nicht mehr auf die Dauer. Ich vermisse in diesem verödeten Palast jene geistigen Anregungen, die mir ein volles Hotel auf jeden Fall bietet.

Ich habe innerlich lange gekämpft – der Bäckergeselle zeigte sich wieder, pöbelhaft gesunder als je, und es scheint mir, als wenn ihm gestern meine Freundin einen jener grünlich schillernden Blicke zuwarf, die zwar keine direkte Untreue, aber doch frühere Intimitäten verraten. Ich habe ihr deswegen eine Szene gemacht. Sie bestritt alles. Sie war sogar besonders darauf erpicht, mir unter heuchlerischen Tränen zu versichern, daß sie eine musterhafte Gattin und noch musterhaftere Mutter sein werde . . . Das letztere entschied. Ich halte jetzt unbedingt an ihrer Untreue fest, nicht etwa weil ich daran glaubte, sondern weil es praktischer so ist. Wenn ich früher gefürchtet hatte, daß ein Abschied ihr das Herz brechen könnte, so habe ich jetzt die Ueberzeugung, daß sie sich schon wegen ihrer zukünftigen Kinder nicht übermäßig aufregen wird. Ich hinterlasse ihr ja in der Tat die unzweideutigsten Liebespfänder . . . Mir selbst ist der Gedanke an Vaterfreuden wenig sympathisch. Auch darin bin ich Olympier. Kronos verschlang bekanntlich mit Behagen seine eignen Kinder – das möchte ich meiner stutzschweifigen Freundin nicht antun.

Also ich gehe –, und zwar wähle ich den französischen Abschied. Auf dieser Welt gibt's ja auch keine Entfernungen mehr . . . Addio, Isolde!

Es war ein Traum, ein schöner Traum, aber haben Sie die Güte, ihn allein weiterzuträumen.

Ich kann gar nicht sagen, wie schwer und leicht zugleich mir dieser Riesenweg nach dem Hotel geworden ist. Es war die höchste Zeit, daß ich nach diesen frugalen Jagdfrühstücken meinem verwöhnten Magen wieder etwas französische Küche zuführte. Meine menschlichen Freunde werden mich sicher auf das schmerzlichste vermißt haben. Das gräfliche Tagebuch verlangt dringend nach einem geistreichen Korrektor. Die Terriers sind auch lange nicht mehr geärgert worden.

Auf einen Abschiedsbrief mit den bekannten Floskeln, den ich anfangs an meine Freundin schreiben wollte, verzichte ich doch besser. Ich bin als glänzendes Meteor in diesem Frauenleben erschienen, ich gedenke auch als solches glänzend, aber spurlos zu verschwinden. Ich fühle nur leisen Trennungsschmerz. Die Diplomatie, das Hotel, die Wissenschaft heischen mich. Ich erteile mir hiermit feierlich selbst Absolution, indem ich zur Buße vom plumpen Sinnenrausch zu rein geistigen Sphären zurückkehre.


Der Empfang war geradezu großartige. Dem verlorenen Sohne in der Bibel wurde ein Kalb geschlachtet, mir servierte man ein äußerst zartes Lammkotelett. Die ganze Küche, das dienstfreie Hotelpersonal sahen voll Andacht zu, wie ich besagtem Kotelett noch einen Kapaunflügel und etwas Biskuit hinzufügte. Man merkte es diesen Gesichtern deutlich an, wie sehr die Hotelwirtin beneidet wurde, die mich mit den zärtlichsten Kosenamen ans Herz drückte und mir sogar einen Kuß stahl. Ueberströmende Gefühle sind zwar immer etwas lästig, aber sie beweisen doch auch unsern Wert. Zuletzt wurde mir noch ein blaues Seidenband umgebunden, das mir vorzüglich steht und mit seinem melodischen Glöckchen wohl die Komthurklasse des Annunziatenordens bedeuten soll. Eigentlich dürfen an Bourbonensprößlinge nur Großkreuze verliehen werden – man sah wegen der unbequemen Tragart über die Brust mit Recht davon ab. Das silberne Glöckchen wird mir vielleicht bei der Rattenjagd hinderlich sein, dann lege ich den Orden eben ab, vorläufig empfinde ich nur den wohltuenden Gegensatz zu den verschwitzten Lederhalsbändern und schrillen Kuhglocken der beiden Terriers. Die Unholde werden jetzt übrigens abgerufen, wenn sie wie sinnlos gegen die Gartenmauer, auf der ich gerade sitze, toben. Orden muß man zeigen, und ich halte darum am liebsten im Angesicht des ganzen Hotels Siesta.

Ueber etwaige Neulinge im Hotel orientierte ich mich sofort durch eine Korridorpromenade und einen Balkongang. Es ist ausnahmslos Gelichter, dessen Geld der Hotelwirt freundlich einstreicht, dessen Name aber zugleich mit ihnen selbst aus der Fremdenliste des Gardaboten verschwindet. Gräflichkeiten werden dagegen noch bis ins übernächste Jahr, Freiherren nur bis zum Schluß der Saison als Hotelgäste geführt, mögen sie nun wirklich einen Tag dagewesen sein oder sich auch nur telegraphisch nach Zimmern erkundigt haben. Dem großen Satiriker und dem kleinen Komödianten, zwei auserlesenen Brennpunkten der sensationsbedürftigen Deutschen am See hier, wird im Unterhaltungsteile der Zeitung allwöchentlich noch ein besonders geschmackloses Weihrauchfanal entflammt – dem einen vermutlich wegen seiner berühmten Nichte, für die er doch eigentlich nicht verantwortlich ist, dem andern wegen seiner Morgenkognaks, für die er doch eigentlich mehr verantwortlich sein sollte. Die Menschen sind im Grunde Fetischdiener, sie müssen nun einmal anbeten, selbst wenn der betreffende Götze recht menschlich schwatzt, oder recht unmenschlich trinkt . . . Der Maler wird vermutlich das bleichsüchtige Mädchen heiraten und der preußische Major seinen nächsten Erholungsurlaub in einer Gummizelle zubringen.

Und der Graf Rhyn? – Leider, leider! Ich habe das Unglück vorausgesagt . . . Mehr Weltmann sein, mehr spielen, Herr Graf! – Hübsche Gesichter sollen behandelt werden wie hübsche Bücher: man blättert sie mit Interesse durch und gibt sie schnell weiter. Aber so wird es nichts! – Man promeniert wohl mit hübschen Bräuten, man sagt ihnen Elogen, verdreht ihnen den Kopf, und nachdem man sie geküßt hat, überläßt man sie der Reue und der Ehe. Jedoch man spricht nicht ernsthaft mit ihnen – schwere Sachen, die schwere Gedanken wecken. Man schreibt vor allem kein Tagebuch über sie! Und wenn man nun gar in demselben Tagebuch mit Bleistift ein gewisses Profil möglichst gut zu fassen sucht, und es auch wirklich erfaßt, dann aber den Bleistift wegwirft, und sich an die Stirn tippt: so ist die betreffende junge Dame wohl um eine schmeichelhafte Erinnerung, man selbst aber um eine schwere Erfahrung reicher zum Schluß . . . Und in dem Tagebuch ist noch nicht mal das ganze Herz ausgeschüttet. Wir sind scheinbar nur verliebt in das schöne Gesicht, aber wir verachten um so tiefer die seichte Seele. – Damit steht der Teufel erst recht hinter uns, faßt uns am Kragen . . . Reisen Sie ab, Graf Rhyn, reisen Sie ab! Sie sind kein Ueberkater . . . Je mehr Sie sinnieren, desto mehr verstricken Sie sich. Vorläufig haben Sie freilich noch keine richtige Ahnung von Ihrem Seelenzustande. – Ihr Empfang meiner Persönlichkeit war zwar etwas kühl, Sie streichelten mich wie geistesabwesend –, und Sie haben eine Hand, die durchgreift, die sogar eine Handschelle bricht. – Aber was sind Handschellen im Vergleich zu dem feinmaschigen Netz, das Sie sich so sorgfältig spinnen? Der Salm schnellt sich über das höchste Wehr, im Fischnetz bleibt er mit den Kiemen hängen. Die wilden Schwanzschläge nützen ihm gar nichts. Und es muß schon ein ganzer Kerl sein, der sich mit einem energischen Stoß nach vorn befreit, anstatt nach allen Seiten erfolglos zu zappeln. Sind Sie dieser ganze Kerl? – Manchmal hoffe ich es, in Ihrer Hand liegt so etwas.

Ich war auch der Orientierung halber heute im Zimmer der jungen Dame. Ein unbeendigter Brief an Ihren Bräutigam lag auf dem Schreibtisch. Sie hatte allerdings merkwürdigerweise an der gleichen Stelle aufgehört, wo Sie von Ihnen hätte sprechen sollen. Aber machen Sie sich darum keine Illusionen! Es handelt sich um ein sehr korrektes, junges Mädchen, das mich noch heute tothetzen lassen würde, nur weil Peter es wünscht, und weil er ihr Bräutigam ist . . . Sie amüsiert sich mit Ihnen, sogar sehr gut gerade mit Ihnen! Sie sind eine andre Männersorte, und das interessiert die Frauen . . . Und weil es Frühling am Garda ist, und Sie Ihrer selbst nicht mehr sicher sind, Herr Graf, so sage ich Ihnen: Stände auch die Tür zu Josefas Toilettenzimmer offen, lugen Sie nicht hinein, auch wenn Sie können! Ein Mädchen, das bei der Toilette weit verführerischer aussieht als nach der Toilette, ist der gefährlichste Kumpan, den's gibt. Denken Sie lieber, daß sie sich schnürt, etwas rouge auflegt, aber glauben Sie nicht an einen Körper, der von Natur schön ist! Ich bin wie alle Diplomaten auch Aesthetiker –, und dieser Körper ist tatsächlich eine Sünde wert! Aber Sie wollen ja leider gar nicht sündigen, lieber Graf . . .

Ich stattete auch dem Kommissionsrat eine Balkonvisite ab. In Pantoffeln, mit einer Meerschaumspitze, gibt sich der alte Herr gar nicht so würdig trotz seiner steifen Beine. Er ist des Hotelklatsches merkwürdig kundig, und die Liebesgefühle des Malers sind ihm keineswegs verborgen. Er klatscht auch in diesem Moment, aber wie immer mit vorsichtig gedämpfter Stimme. Die Nichte hört ihm gehorsam zu. Sie muß wohl, denn sie ist arm wie eine Kirchenmaus. Und obgleich sie der Onkel nur zu Dekorationszwecken mit auf die Reise zu nehmen scheint, so traue ich dem Frieden doch nicht. Warum beschenkt er sie eigentlich ausschließlich mit Schmuckstücken für den Hals? – Der Hals ist wirklich sehr appetitlich, und ich verstehe Ihre Freude, verehrter Herr, an diesem feindurchbrochenen, venezianischen Goldkollier sehr gut. Alter Schwede!

Es ist jetzt eine weiche Regenluft, der Garda blickt wie verschleiert. Alle Augenblicke könnten sich die Himmelsschleusen wieder öffnen, und man bleibt besser zu Haus. Darum sah ich auch wie von ungefähr zu Quedenbergs ins Fenster, die gerade Table-d'hote-Toilette machten. Der blonde Graf kann sich wirklich freuen, daß nur zur Hofgala Eskarpins befohlen sind und schräg abfallende Schultern als Zeichen von besonderer Vornehmheit gelten. Sie ist trotz ihrer Magerkeit recht gut gewachsen und streift sich eben sehr energisch die Chevreaustiefelette über den schmalen Fuß. Sie unterhalten sich lebhaft, aber einseitig. Denn während sie ihm recht kränkende Bemerkungen über seine mißlungene Diplomatie sagt, streicht er sich schweigend unter seiner Schnurrbartbinde Haar für Haar zurecht. Die Dame predigt offenbar einer Puppe:

»Warum bist du eigentlich nicht Gardedukorps geblieben?«

Schweigen.

»Warum kaufst du dir nicht wenigstens ein Gut?«

Schweigen.

»Etwas muß der Mensch doch tun! – Ich habe geweint, bitterlich, als der Bescheid vom Auswärtigen Amt kam; du hast dir nur wie geistesabwesend die Nägel poliert . . . Ich habe einen Mann geheiratet – einen Mann! Verstehst du? . . . Ich habe es nächstens satt. – Und habe die Güte, den Spiegel mir für einen Augenblick zu überlassen, wenn du endlich mit deiner Schnurrbarttoilette fertig bist! Du gebrauchst zur Toilette ungefähr die doppelte Zeit wie ich.«

Schweigen.

Während sie sich vor dem Spiegel rasch den blonden, griechischen Knoten schlingt, schnippt er sich mit dem Fingernagel unsichtbare Fasern vom Rock. Darauf sie wieder: »Du machst mich ganz nervös! Du bist wirklich angezogen! Es gibt an deinem ganzen Anzuge nichts, was diese Falte auf deiner Stirn rechtfertigen könnte! . . . Und sei doch so liebenswürdig, Gedankenblitze wie neulich in der Kirche zu Gaino bleiben zu lassen . . . Dem Kommissionsrat wirst du ja wahrscheinlich damit, wie mit deiner Toilette, imponieren, aber mir nicht und auch keinem andern! Ich war heilfroh, daß der Afrikareisende dich nicht hörte, der dich jetzt ja auch nicht mal mehr über die Achsel ansieht . . . Wenn du's nicht merkst, – die Josefa Angern, das hochmütige Ding mokiert sich stets über dich, ihre Mutter lächelt nachsichtig . . . Und wie dir damals der Lasowitz von dem Filou, dem Bosenthin, bestellte . . .«

»Ach was Bosenthin! – Bosenthins sind Briefadel.« Da wurde er wirklich ärgerlich.

Einige Minuten später fand man sich in dem zweiten Salon zusammen, um langsam zur Table d'hote hinabzugehen. Angerns waren noch nicht zur Stelle und mußten also herhalten. »Meine hochverehrte Frau Gräfin, der Herr Rin hat sich doch sehr zu seinem Vorteil verändert,« das sagt der Kommissionsrat, der gern aushorcht, in einem mir sehr sympathischen Sächsisch.

»Daß ich nicht wüßte!« erwiderte die Gräfin. »Mir hat er immer sehr gefallen.«

»Mir auch –, natürlich! . . . Es war ja wirklich zu reizend, als neulich die Komtesse die große Tour nach Toscolano mit ihm allein machte . . . Ich finde dabei nichts, absolut nichts. Im Gegenteil, es ist überhaupt eine ganz reizende Dame.«

»Na, die gemeinschaftlichen Partien haben ja scheinbar aufgehört . . .«

»Es war auch die höchste Zeit, Frau Gräfin!«

»Wie meinen Sie das, Herr Kommissionsrat? – An Stelle der Gräfin Angern würde ich jetzt um so mißtrauischer sein.«

»Aber, Frau Gräfin!«

Darauf erklärte die Nichte, daß die gewisse junge Dame unter allen Umständen ein entzückendes Geschöpf sei, und daß ihr nie etwas passieren könnte.

Menschliche Gesichter sind doch recht interessant. – Ich strich mir nachdenklich über die Nase und ging. In demselben Augenblicke kamen nämlich Angerns und wurden besonders herzlich bewillkommnet . . . Als wenn ihr Katzen jemals belügen könntet!

Lieber Graf Rhyn, ich sage es Ihnen noch einmal in allem Guten: Reisen Sie! Es wird bald eine Regenwoche kommen. Und die ist nach so viel Sonnenschein am Garda ganz besonders gefährlich.


Ich habe mich eifrig in den Bergen getummelt, die letzten Tage – allein, natürlich. Die Küste hier hat wirklich eine interessante Flora, namentlich in den Schluchten. Als Botaniker dürfte man vernünftigerweise vor Mai nicht hierherkommen.

Die Trennung von den Neuen gab sich übrigens ganz von selbst.

Ich war einen Tag in Brescia, der Stadt der Brunnen gewesen, um einen anständigen italienischen Schneider ausfindig zu machen, denn bis Berlin dauert es am Ende doch zu lange. Uebrigens eine hübsche Fahrt über das Gebirge, mit der kleinen fauchenden Dampfbahn, von Tormini ein Prachtblick auf den Garda, der sich immer mehr verschleiert. – Ich fand auch gleich, was ich wünschte . . . Bei meiner Rückkehr am nächsten Tag war über meinen Table d'hote- Platz anderweitig verfügt worden. Der Saison halber essen wir jetzt an zwei Tischen, und ich bin ausersehen, dem zweiten Tische zu präsidieren. Wer mich weggelobt, weiß ich nicht, will's auch nicht wissen. Für eine Oberkellnerwillkür halte ich es nicht, denn die »Insel« grüßte allzu freundlich zu mir hinüber! Sie sind wohl heilfroh, mich los zu sein, bis auf die Gräfin Angern, deren liebenswürdiges Lächeln ich für keine Lüge halte. Wir wären also auseinander, die Neuen und ich. Mir schon recht! – Ich war auf dem Punkte, mich beinahe zu vergessen.

Die junge Gräfin Angern gefällt mir bei dieser Gelegenheit gar nicht. Schon äußerlich: Warum eigentlich immer diese rubinbesetzte Rennpeitsche, dies schwere goldene Hufeisen? Sie könnte auch mal andern Schmuck tragen, den sie doch ohne Frage besitzt. Und nun gar die Trainierberichte aus Hoppegarten, die jetzt plötzlich wieder angefangen haben; und die ich mitmachen muß! Sie erzählt, glaube ich, für mich extra laut. Ich soll mir nur um Gottes willen nichts einbilden, – und ich bilde mir auch nichts ein. Mag sie mit ihrem Lasowitz glücklich werden; sehr glücklich! . . . Wenn ich Düsseldorfer Ulan geworden wäre, wie mein Vater, was mir immerhin freigestanden hätte, denn arm bin ich nicht, würde ich wahrscheinlich auch Rennen reiten und Ehrenpreise einheimsen. Der Rennstall sonst ist doch weiter nichts als eine Geldfrage . . . Was mich aber besonders reizt, ist, daß das Mädchen auf einmal so kühl tut, ablehnend. Ich habe ihr doch, weiß Gott, innerlich und äußerlich mehr gegeben, als bis jetzt irgendeiner andern Frau. Ich nehme auch alles zurück, bis auf die Tatsache, daß sie wunderhübsch ist . . . Mir bleibt von dieser Bekanntschaft weiter nichts, als der Kater in des Wortes weitestgehender Bedeutung.


Aber höfliche Menschen bleiben die Neuen doch.

Zu der Tombola im Hotel Gardone gestern lud mich die Gräfin Angern sogar persönlich ein, und auf ihre Art, der man schlechterdings nicht ausweichen kann. Sie schenkte mir sogar das grüne Billett, das sowohl zum Eintritt als zum Hauptgewinn berechtigt. Der Himmel hängt voll Wolken, es kann jeden Augenblick losregnen. Wenn ich mich mit meiner Botanik entschuldigen wollte, könnte man mit Recht über mich die Achseln zucken. – Außerdem gilt es einen guten Zweck. In Gardone soll eine deutsche Schule errichtet werden, und der patriotische Klingelbeutel wandert auf diese Weise. Ich bin schon Deutscher trotz meiner Genfer Mutter. Und wenn ich auch keine chauvinistischen Anschauungen kenne, so liebe ich doch die feige Art meiner Landsleute sehr wenig, die sich um jeden Preis und in jedem Weltteil dem Fremden akkommodiert. Ich dächte, wir bedeuten jetzt etwas in der Welt, und hätten ein gutes Recht, den Kopf hoch zu tragen. Doch wir sind nun einmal eine merkwürdig weibische Nation. Man muß schon fanatischer Alldeutscher oder internationaler Graf sein, um den natürlichen Gegensatz zwischen Nord und Süd nicht als unüberbrückbare Kluft zu empfinden. In Stuttgart nennt sich noch heutzutage der Hoftischler Hofebeniste – und in dem einen Mischwort liegt unsre ganze Krähwinkelei und Weltbürgerei zugleich. Im Ausland ist der Deutsche das willige Mädchen für alles, bei sich zu Hause wird er eine engherzige alte Jungfer. Zwischen den beiden Polen schwankt auch unsre Politik.

Die Tombola war nicht übermäßig pläsierlich. Ueberhaupt das ganze Hotel mit seinen wattierten Doppeltüren, seiner stickigen Glashalle, seinem Palmengarten hat etwas Unnatürliches, Krankes. Ich möchte da nicht wohnen. Aber unsre Insel sollte hin. Die liebt doch vom Grunde ihres Herzens diese schlechte, laue, gleichmäßige Treibhausluft . . .

Zuerst in einem überfüllten, kleinen Saal der Singsang, den ein mir unbekannter Kurgast sehr sicher, aber sehr schlecht absolvierte. Es wirkt doch nichts unangenehmer, als wenn ein eleganter Herr mit souveräner Gelassenheit aufs Podium tritt und miserabel singt. Dabei die gewisse künstlerische Hoffart um die Nasenspitze. Dilettanten sollen bescheiden sein und doch gut singen. Jedoch lauschten die Damen aufs andächtigste und waren fast gerührt, als der Sänger auch ein weißes Batisttaschentuch kokett flattern ließ. Wir Herren drängten uns indessen am Ausgang. Ein wirklicher Dichter, der seine Villa am Garda hat, wurde erwartet, statt seiner kam die Frau, eine noch immer sehr stattliche Erscheinung. Sie kam zu gleicher Zeit mit einer noch stattlicheren, wirklichen Bühnengröße. Aber bei beiden Frauen nichts Talmi –, nur der etwas flüchtige Blick berühmter Leute über die andern Sterblichen hinweg . . . Dann folgte die rührende Deklamation des deutschen Knaben, der für die deutsche Schule bittet, eigentlich der Clou, wo die Frauenaugen feucht werden sollen, und die Frauenhände nach dem Taschentuch im Ridikül tasten. Das hübsche Kind sprach sein deutsches Gedicht gebrochen, wie ein echter Italiener. Wenn man eine Rührszene inszeniert, soll man sie geschickt inszenieren. Ich hatte das Gefühl der Farce. Mit italienischer Klangfarbe weckt man doch noch keine deutschen Herzen. Oder weckt man sie gerade dadurch?

Unsre Damen waren jedenfalls nur Lob, und der Kommissionsrat kniff die Augen zu, als habe er eine besonders schmackhafte ethische Frucht verspeist, und weide sich jetzt an dem angenehm weichen Nachgeschmack . . . Später nahmen wir unsern Kaffee in der Glashalle unten, den Blick auf den graugrünen, schlummernden See, der gerade noch die dunkeln Konturen der Isola di Garda enthüllte; die Kellnerin, die uns bediente, eine fast königliche Gestalt, mit dem herb geschnittenen Profil der Antike. Edles Blut war's trotzdem nicht. Denn als sie die schmalen Lippen öffnete, kam der trostlos nüchterne, schweizerische Gaumenton zum Vorschein. Josefa, die allen Bewegungen des schönen Geschöpfes mit kühlen Augen gefolgt war, sagte in dem gleichen Augenblicke, wo ich es dachte: »Schade! jammerschade! Das Mädchen sollte nie den Mund auftun . . .« Dann aber wandte sie sich endgültig ab von der freien Schweiz . . . Es waren viel Menschen da, es wurde geraucht, Bier getrunken, der überheizte Glaskasten hauchte eine geradezu klassische Luft für kranke Lungen aus. Die junge Braut erregte sich in dieser Luft aufs angenehmste. Sie sprach unermüdlich über die Menschen, das Fest, sie fällte im Konversationstone jene halben Urteile, die zu nichts verpflichten. Ich habe das Mädchen niemals so gewollt oberflächlich gesehen. Auch über Pferde sprach sie wieder zum erstenmal, und dabei streiften sich ganz zufällig unsre Blicke. Sie sah gleich weg und redete unermüdlich weiter. Sie war im Zug heute, sie hörte auch nicht auf, als derselbe Kurgast, der gesungen, auf einen Stuhl stieg, und die Tombolaresultate verkündigte. Vorher hielt er noch eine kleine Auktion von freiwilligen Gaben ab, jeder Gegenstand zugleich ein hübsches bon mot. Es war wirklich witzig, und die Aquarellkarten einer hübschen blonden Malerin erzielten eine respektable Summe. Unser Kommissionsrat bot eifrig mit, jedoch immer nur bis zu einer gewissen Höhe. Es ist jedenfalls ein kluger Mann. Wenn der Zuschlag fiel, war »der Geheime«, wie Europa im Jahre 1871, nirgends zu finden, und die junonische Nichte hatte wieder vergebens auf ein wirkliches Künstlerandenken gehofft. Kluge Leute engagieren sich eben nur scheinbar. Der Tombolagewinne, die in einem großen Zimmer nebenan aufgebaut lagen, gab es unverhältnismäßig viel. Ich hatte drei Nummern und gewann dreimal: einen Olivenholzrahmen, einen Seidensachet mit dem Mailänder Dom, ein paar Strumpfbänder vom zartesten Rosenrot. Ich wurde allgemein beglückwünscht. Obgleich ich nicht die Spur abergläubisch bin, in rosenroten Damenstrumpfbändern für Herren liegt doch wohl eine gewisse Ehegarantie des Schicksals. Sehr freundlich! jedoch muß ich leider ablehnen. Die junge Braut gewann nichts, und trug ihr Pech leichten Herzens.

Von all den Menschen und dem Rauch war es stickend schwül geworden. Wir gingen darum in den anschließenden Palmgarten, der als schmale Terrasse direkt aus dem See heraufsteigt. Schöne Exemplare, auch echte Zedern vom Libanon dazwischen, aber alles so trostlos regelmäßig, wie vor dem berühmten Kasino zu Monte Carlo. Und die Luft so lau, der See so träge – sanfte Kulisse. Wer die Prachtpalmen von El Kantara über duftenden Lorbeerbüschen direkt zu beiden Seiten des tief ausgewaschenen Flußbettes aufsteigen sah, dahinter, wie eine rote Mauer, der Atlas, der vermißt hier unter Palmen die Palmen um so schmerzlicher. Es ist eben der Ton, der die Musik macht. Ich erzählte den Herrschaften auch davon, und sie beneideten mich auch um meine Reisen, die ich nicht hergeben möchte. Die Braut warf derweilen Steine in den See und freute sich, wie die Wassermännchen hüpften. Wir gingen, noch ehe das Fest beendet. Wir sind eben vornehme Leute, die spät kommen, aber sich zeitig empfehlen. Auch harmlose Genüsse soll man weise temperieren.

Als wir hinaustraten, bot uns die Natur ein letztes Schauspiel. Ueber Salò sank die Sonne: breit, rot, dunstig, wie eine Fata Morgana ihrer selbst schien sie in der Luft zu schwimmen. Der See gab matt blinkend die Berge, die Bäume des Ufers in rosigem Duft zurück. Auf der Landungsbrücke drängten sich die Menschen, die nach dem Monte Baldo sahen. Denn je verschwommener, träumerischer hüben die unbewegten Wasser sich jetzt dehnten, die Reflexe violett aufgleißend, weich, oval schimmernd, perlgrau verrinnend, um so leichenhafter begann der Schneeberg drüben zu leuchten, immer weißer, immer näher, als wenn er von innen heraus glühe. Die Skala der Farbentöne vom bläulichen Zucken zur heißen Purpurflamme mählich sich erhitzend. Indes der See, die Ufer in bleierne Dämmerung hinabtauchten, entzündete sich die Glut des Gipfels, die aus brauner Tiefe emporzusteigen schien, bis sie die Wolken berührte. Auf Momente starrte der ganze Buckel weiß glühend, die Schneefelder, blitzend, strahlend, flossen wie Lavaströme zu den dunkeln Tälern hinab. Es war, als wenn im nächsten Augenblicke die Erde sich öffnen müsse, den See, uns alle hinabzuziehen in ihren gärenden Schoß. Und trotzdem hatte ich dabei die Empfindung, daß die Glut dieses, weißen Gipfels eiskalt sei, erstarrend. Niemand sprach ein Wort. Das Ahnen der großen Natur ging durch die kleinen Menschen. Dann begann es rasch zu verglühen, die Schneefelder schimmerten gelblich, verfärbten sich stumpfgrau, schauten aschfarben zuletzt. Eine dumpfe Leichenstarre schien über sie hinwegzugleiten, stumm und unerbittlich wie das Verhängnis. Nur der äußerste Gipfel des Altissimo brannte noch. Langsam erlosch auch er. See und Berge, grau in grau.

Es war ein wirklich schönes Schauspiel gewesen, und doch atmeten die meisten wie befreit auf. Ein italienischer Bettler drängte sich an mich, die Komtesse Angern kaufte einem kleinen Mädchen Himmelsschlüssel ab. Den ganzen Rückweg war sie schweigsam, und Mutter und Tochter gingen eng verschlungen wie zwei Schwestern. Ich sprach hauptsächlich mit der Gräfin Quedenberg, die sehr liebenswürdig war und sich sofort erkundigte, warum ich mich eigentlich weggesetzt habe. Sie war verwundert, als ich ihr den Grund ebensowenig anzugeben vermochte.

»Ich verstehe nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Von uns kann es eigentlich niemand gewesen sein. Denn wir haben stets nur sehr freundlich von Ihnen gesprochen, Herr Rin. Sie müssen auch wieder 'rüberkommen.«

Ich lehnte entschieden ab. Die Dame überlegte einen Augenblick und lächelte gleich darauf ein wenig.

»Es kann nur die Gräfin Angern gewesen sein, Herr Rin.«

»Das glaube ich auf keinen Fall.«

»Und ich bin jetzt meiner Sache ziemlich sicher . . . Sie werden schon noch darüber hören, Herr Rin.«

Sie sprach überhaupt so vernünftig offen, daß ich ihr alles abbat, was ich über korrekte Herzenskühle gefabelt hatte. Wenn solche Frauen einmal den Sprung ins Ungewisse wagen, dann tun sie ihn wenigstens bewußt und zucken nicht vor den Folgen. Sie stehen unter keinem Torenbann, darum lassen sie sich von keiner Torengewohnheit betören.


Ich bin der echte Sohn meines Vaters, wie ich zu meinem Leidwesen immer mehr merke. Ohne die Frau geht's doch nicht im Leben. Die Wissenschaft ist Palliativ, nicht die Frau. Wer die Quellen des Lebens gern schauen möchte, der soll auch nicht die natürlichen Quellen seines Wesens verstopfen. Wir sind doch für die Frauen geboren, und die Frauen für uns. Es wäre sehr töricht, auch geistig ein Element auszuschalten, was körperlich die Zukunft der Menschheit repräsentiert. Die Frau ist die natürliche Trägerin des Lebens. Sie hat darum ein Recht auf das Beste von uns. Die Orientalen, die sie zum Spielzeug, zum Arbeitstier, zur einseitigen Gebärerin herabwürdigen, kranken auch politisch an dieser verkehrten Auffassung des Lebens. Sie versumpfen zwischen Despotie und Sklaventum. Wo wir nur das Produkt von Paschalaunen sind, werden wir auch aus Paschalaune selbst weiterzeugen . . . Ich weiß wahrhaftig nicht, warum ich mich gerade jetzt zur Moral bekehre, wo mir die Unmoral doch viel näher liegt! Ich schwanke hin und her. Ich möchte schon mein Bestes geben, aber ich muß auch das Beste dafür haben . . . Ich habe mir die Nichte des Kommissionsrats angesehen, – meinen Sinnen würde dieser Körper genug tun; ich habe die Quedenberg genau studiert, – mein Kopf würde bei dieser Frau nicht leer ausgehen . . . Und wenn ich diese beiden Weiber zusammenschweißen könnte in eins, ich möchte sie doch nicht. Es fehlt das dritte, das Herz, dessen Schlag ich unbedingt an dem meinen fühlen muß. Ohne das Meer versiegen, versanden die größten Ströme, ganz Zentralasien schreit nach diesem Meer. – Das Herz ist das Meer. – Die Sinne verdorren, der Geist wird stumpf, und wir überleben's lange – erst wenn das Herz ausgeschlagen hat, sind wir wirklich tot. Und wir sehnen uns nach dem Herzen wie der Strom nach dem Meere, wir wollen uns hingeben, aufgehen! Jeder Quell, der vom Gebirge herabstürzt, hat dasselbe Ziel vorwärts zu stürmen, sich zu weiten, bis er als breiter Strom groß und stark dem Meer zufließt, dem Herzen des Lebens. Aus dem Meere gebären sich die Quellen von neuem, aus dem Herzen die Menschen . . . Und was in drei Teufels Namen trieb mich dazu, dies Herz schließlich doch bei einer Josefa Angern suchen zu wollen? Denn gerade da habe ich's in der Tat gesucht, unbewußt vielleicht, doch mit der Stärke eines Triebes. Und jetzt, wo ich weiß, daß ich dies Herz nicht zu finden vermochte, weil's eben schlechterdings nicht zu finden war, fühle ich es erst, wie sehr ich dieses Herz gesucht habe. Es war ein Wahn! So blank man auch Kupfer putzt, Gold wird's doch nicht. Und es ist eine ganz gemeine Niedertracht des Schicksals, daß es uns gerade da Gold suchen heißt, wo man nur Kupfer finden kann.


Ich habe eine starke Neigung, diese Aufzeichnungen zu verbrennen. Sie sind Papier, schlechtes Papier. Ich tu's aber doch nicht. Ich bin nicht feige und will's auch nicht scheinen. Wer Torheiten begangen hat, soll sie ruhig eingestehen. Es kam schnell, lieber Robert, es ging aber auch Gott sei Dank schnell vorbei! . . . Ich möchte lächeln. Was beabsichtigte ich eigentlich? Wäre meines Vaters Sohn wirklich überselig gewesen, wenn er diesen Kupfergroschen besessen hätte? Kupfer, lieber Robert, nur Kupfer! Man müßte schon den Stein der Weisen gefunden haben, um aus so etwas doch noch Gold zu machen.

Doch ich bin noch nicht am Ende, das weiß ich. Doch ich werde nie feige sein, das weiß ich auch.


Es müssen längere Aussprachen bei der Insel stattgefunden haben. Mehr weiß ich auch nicht. Aber es herrscht seit der Tombola eine etwas gespannte Stimmung da drüben. Die Braut ist miserabler Laune. Und von Angerns ging sogar das Gerücht, daß sie plötzlich abreisen müßten, was mir nicht unangenehm gewesen wäre. Aber sie reisen doch nicht! Heute sprach mich sogar die Gräfin-Mutter wieder an. Sie ist unendlich liebenswürdig, und es ist undenkbar, daß gerade sie gegen mich heimlich intrigiert hätte. Ihr bekommt offenbar der Garda diesmal nicht. Sie möchte viel lieber nach Nizza oder Cannes ausfliegen, aber die Tochter hat das Veto eines verzogenen Kindes dagegen gesetzt und gesiegt. Sie sagte mir das natürlich nicht direkt, aber ich fühlte es durch. Sogar Tränen sind geflossen . . . Es kann mir gleichgültig sein, und es ist mir auch gleichgültig, ob von Mutter oder Tochter.

Die feste Fügung der Insel ist jedenfalls gelockert. Die Gräfin Angern und der Kommissionsrat bleiben im Hotelgarten, Quedenbergs machen ihre tägliche Gardonepromenade, die Nichte aquarelliert im Ort italienische Buben. Die Komtesse steigt in den Bergen 'rum. Wir begegneten uns sogar einmal auf dem Lorbeerweg und sprachen miteinander. Und wir waren wahrhaftig beide verlegen! Ich kann nun einmal keine Phrasen machen, und sie kann's eigentlich auch nicht. Sie war in Gaino, in der Toscolaner Schlucht und weiß Gott sonst wo noch gewesen, aber sie hatte nicht einmal Blumen gepflückt, was doch sonst junge Mädchen nie lassen können. Ich beglückwünschte sie zu diesen Touristenfähigkeiten. Sie zuckte nur die Achseln. Wir trennten uns. Aber unwillkürlich mußte ich ihr nachsehen, wie sie leichtfüßig direkt am Abhang entlang ging, und dabei mit ihrem kleinen Spazierstock den Gräsern die Blütenrispen abschlug. Eine sehr selbständige Dame ist sie bei aller Wohlerzogenheit doch, denn ich fand sie bei meiner Rückkehr auf der Terrasse des Grand Hotel Fasano sitzen, wo sie mutterseelenallein Milch trank und ihre beiden Terriers mit Weißbrot fütterte. Die neugierigen Herrengesichter, die sie vom Hotel aus beobachteten, waren ihr sehr gleichgültig. Im Grunde des Herzens liebt sie jedoch wohl wie alle Jugend die Abenteuer und die Opposition. Man hat sie offenbar geärgert, und sie ärgert die Menschen wieder. Mit ihrem Verlobungsring spielt sie erst recht. Ob es ihr Peter leicht mit ihr haben wird, bezweifle ich aufs äußerste. Als ich kam, ging sie. Sie sah mich ganz bestimmt, aber sie kann mit ihren hellbraunen, hochmütigen Augen so gut über die Menschen wegsehen. Was will sie von mir? Ich habe ihr nichts getan.

Noch immer herrscht in der Natur die verschleierte Stimmung. Der Himmel hängt und drückt, durch die Oliven geht von Zeit zu Zeit das schwermütige Säuseln. Aber der Regen bleibt aus. Und gerade diese Luft macht so schlaff! Die Menschen werden einem gleichgültig, man möchte Regen oder Sonne.

Mein Ueberkater benimmt sich auch sehr zeremoniell, erscheint höchstens, um mein Tagebuch zu kontrollieren. Aber da bei mir nichts für ihn zu holen ist, hält er sich jetzt lieber zur Gräfin Angern, die ihn mit Biskuit füttert. Hunde sind doch nicht solche Egoisten wie Katzen. Dabei macht mir der weiße Prachtkerl Spaß. Er benimmt sich wie ein tadelloser Gesellschaftsmensch, der genau so viel gibt, wie er bekommt, auf keinen Fall mehr. Man kann von Tieren immer lernen.


Gibt's nun eigentlich eine Vorsehung, die uns ihre weisen Schlängelwege führt, oder ist alles nur stockblinder Zufall, der wie der Ziegel vom Dach das unschuldige Kind erschlägt und den ergrauten Verbrecher daneben gewissermaßen heiligt?

Ich war mit dem Frühdampfer nach Gargnano hinübergefahren. Gargnano ist ja bekanntlich der schönste Punkt am See, die Limonengärten am üppigsten, der Fels am steilsten. Es ist auch tatsächlich ein wunderbarer Gegensatz, wenn das Auge die Wolken wie Qualm die grauen Schneeschrunden hinaufkriechen sieht und die Hand gerade nach einem blühenden Myrtenzweig im Park Bettoni hascht. Ich war auf den halsbrecherischsten Pfaden bis zur Höhe geklettert, hatte wenig interessante Pflanzen gefunden, und handelte darauf um einen Wagen zur Rückfahrt auf der Piazza. Das Pferd war ausgemergelt; in Italien gewöhnt man sich an ausgemergelte Pferde. Der Kutscher verlangte einen so bescheidenen Preis, daß ich mich wunderte. Das klärte sich später dahin auf, daß ich als blinder Passagier auf dem Bock mitfahren sollte, während die abwesende Dame, die den Wagen schon in Maderno gemietet, im Fond sitzen wird. Ich dankte natürlich und ging hinüber in den Cervo, um mich für die Fußwanderung noch zu stärken. Ich wollte mich dabei noch nach einem andern Afrikaner erkundigen, einem Botaniker aus Passion, der hier stets den Mai verbringt. Das Haus war noch ganz leer, und die sehr propre deutsche Wirtin zeigte mir gleich dienstbereit alle Logierzimmer. Ich dachte wirklich einen Augenblick daran, hierher überzusiedeln. – Die Einsamkeit, die Ruhe, vor allem keine Menschen. Und um gewissermaßen ihren letzten Trumpf auszuspielen, führte mich die Wirtin auf die Außengalerie des ersten Stockes. Das Hotel steht direkt im See, und das klare tiefe Wasser blinkte herauf. Und auch sonst: der kleine Schiffshafen nebenan, mit braunen, geflickten Segeln, dann die bemalte Säulenvilla eines Mailänder Patriziers, und über die Fischerboote hinweg, die fern und unbeweglich wie große Wasserspinnen draußen im See lagen, der freie Blick auf den braunen Fuß des Monte Baldo, dessen Gipfel in Dunst gehüllt war. Es war alles so recht italienisch, und ich stellte mir vor, wie wunderbar ein einziger Sonnenblitz dies Bild vergolden müsse . . . Und da stand auch in der entgegengesetzten Ecke meine Komtesse, und schaute über die Eisenbrüstung gelehnt hinab, wo die Fischbrut spielte und die Möwen kreischten. Wir konnten uns nicht ausweichen und tranken auch später unsern Kaffee zusammen. Sie bot mir sogar einen Platz in ihrem Wagen an, natürlich denselben, um den ich eben gehandelt hatte, ich lehnte aber ab. Ich möchte von diesen Leuten auf keinen Fall Liebenswürdigkeiten, die ich nicht erwidern kann.

Sie begriff das wohl und kniff die Lippe. »Sie wollen also nicht?«

»Nein, ich möchte lieber gehen.«

Ich tat das auch sehr bald, denn von Gargnano sind es zwei Meilen Weg. Gleich hinter der Stadt überholte mich ihr Wagen. Die Dämmerung begann schon herabzusinken, und ich freute mich eigentlich auf den langen Weg die einsame Küstenstraße entlang, keine weiteren Begleiter, als rechts die Berge und links den See. Es sollte anders kommen.

Einige Kilometer weiter an einem Felsvorsprung stand eine Gestalt. Es war die Komtesse, die offenbar in den See hineinträumte. Als ich näher kam, fuhr sie zusammen. Dann grüßte sie und sagte achselzuckend: »Es ist ein Skandal mit diesen italienischen Pferden! Dem Gaul waren meine sechsundfünfzig Kilo schon zu viel. Ich habe darum den Wagen weggeschickt und erwartete Sie.«

Wir gingen eine Strecke, und sie mißhandelte mit ihrem Modestöckchen die Steinbrüstung.

Auf einmal blieb sie stehen. »Sie sind böse auf mich, Herr Rin?«

»Ich habe keinen Grund dazu.«

»Und Sie sind mir doch böse! Aber unter anständigen Menschen lügt man ja immer. Ich will ehrlicher sein. Ich war Ihnen böse, und bin's eigentlich noch . . . Sie hätten sich nicht wegsetzen sollen, Herr Rin!«

»Ich habe mich nicht weggesetzt.«

»Das weiß ich. Aber Sie hätten sich doch nicht wegsetzen sollen! Aus diesem Grunde bin ich eigentlich hier abgestiegen. Ich wollte einmal mit Ihnen offen sprechen . . . Und damit Sie es wissen: meine Mutter ist's gewesen. Ich bin unschuldig daran und erfuhr's erst nach einer Unterhaltung mit Jeanette Quedenberg auf meine direkte Frage bei Mama. Sie meinte, daß es Ihnen so unbedingt lieber, und daß Ihnen unsre Gesellschaft doch nur zur Last sei. Das mag stimmen. – Ich denke, Mama hat dabei noch ihre andern Absichten gehabt. Wir haben nämlich zu viel miteinander gesprochen. – Haben wir das?«

»Jedenfalls nichts, was nicht jeder hätte hören können.«

»Das meine ich auch . . . Ich habe mir nichts dabei gedacht.«

Wir gingen wieder eine Strecke.

»Und gerade darum hätten Sie sich nicht ohne weiteres wegsetzen dürfen, Herr Rin! Sie hätten zuerst mit mir darüber sprechen müssen, anstatt mit der Gräfin Quedenberg, die die ganze Sache gar nichts angeht. Wenn Mama am hellen Tage Gespenster sieht, so kann ich nichts dafür.«

»Ich doch noch weniger, Komtesse.«

»Ich habe mit Mama darauf eine Szene gehabt, die erste, solange ich zu denken vermag, – nicht etwa Ihretwegen! Ich liebe Mama über alles, ich liebe sie mehr als jeden Menschen auf der Welt, meinen Bräutigam nicht ausgeschlossen. Aber ich bin zweiundzwanzig Jahre, und wenn ich vor meiner Mutter keine Geheimnisse habe, so darf sie auch keine vor mir haben. In weniger als einem halben Jahre bin ich verheiratet und in derselben Lage wie sie . . . Hätte Mama mir nichts verheimlicht, sondern offen zu mir gesprochen – ihre Angst vor etwaigen Klatschmäulern verstehe ich nicht –, ich hätte ohne Frage geantwortet: ›Alles was du bis jetzt im Leben getan hast, Mama, war gut, und das ist auch gut . . .‹ So jedoch zwingt sie mich in die Opposition. Ich bin kein Kind mehr und brauche nicht erzogen zu werden . . . Mama wollte nach dieser Aussprache durchaus abreisen. Ich glaube selbst, daß ihr der Garda diesmal weniger bekommt als sonst, und ich versichere Sie, ich wäre auch am liebsten abgereist. In Nizza habe ich eine Masse Bekannte, auch Freunde von Peter, und ich würde mich viel besser amüsieren als hier . . . Aber ich habe auch meinen Eigensinn: Und jetzt bleibe ich genau so lange, wie Sie hier bleiben, Herr Rin.«

«Und warum haben Sie mir das eigentlich nicht schon vor acht Tagen gesagt, Komtesse?«

»Ja, das sagen Sie so! – Ich habe mich über Mama geärgert, ich habe mich über Sie geärgert, ich habe mich über die ganze dumme Gesellschaft geärgert, und ich bin mir doch noch nicht klar, ob ich nicht am Ende die einzige Schuldige bin . . . Wollen wir wieder gute Kameraden sein, Herr Rin?«

»Gern, Komtesse.«

Sie gab mir ehrlich die Hand, und ich, der ich eigentlich Frauen niemals die Hand küsse, fühlte die lächerliche Versuchung, gerade diese Hand zu küssen.

»Nein, küssen Sie mir die Hand lieber nicht! – Es steht Ihnen nicht.«

Es war dämmeriger geworden, ungefähr dieselbe Stimmung wie neulich in Gaino, nur daß der Tag später, die Luft dunstiger, die Natur stummer. Zur Rechten türmte sich gerade der Fels mit seinen stacheligen Agaven, seinen trostlosen Oliven, so starr, so leblos, der Castello dahinter, das alte, schwarze, böse Menetekel. Und zur Linken der See stumpfgrün, lichtlos, wie erblindet, die Felsplatten vom Ufer her ins Wasser vorgeschoben wie riesige Tintenfische, die aus der Tiefe heraufgekrochen waren und lauerten, schattenhaft, gespenstisch. Auch nicht die leiseste Welle raunte. Und wir dazwischen auf der eingesprengten Küstenstraße, die grau, gewunden in der Ferne in den See zu tauchen schien, dessen Wasser sich immer düsterer verschleierten, schemenhafter dehnten –, Luft und Meer in trüber Dämmerung sich vermählend. Es war ein Abend, so ahnungsschwer, daß ich allein von Zeit zu Zeit stehen geblieben wäre, irgendeine Regung des Lebens zu haschen, und dann rasch weiter gegangen wäre, Menschen und Licht zu finden.

Wir hatten's besser, wir waren zu zweien. Und wie immer in solcher Stimmung unterhielten wir uns besonders laut, besonders lustig. – Ein Eselkarren schlich vorüber, der Führer schlief lang ausgestreckt. Als das letzte Knirschen der großen Räder verklungen war, sagte die Komtesse: »Es ist unheimlich – aber es ist doch schön! . . . Ob hier schon Menschen überfallen worden sein mögen?«

»Die Küste ist, soviel ich weiß, absolut sicher, was auch der Kommissionsrat in Gaino neulich gefabelt haben mag.«

»Lieben Sie solche Abendstimmung?«

»Ich liebe alle Stimmungen.« Ich erzählte ihr dann, wie ich nächtelang in solcher grau-lichten Dämmerung durch die Atlasschluchten in Marokko geritten sei, ganz allein mit meinem arabischen Diener – und kein andrer Laut als das Gleiten der Hufe auf dem Fels, kein ander Bild als die trostlos dürren Steilhänge.

»Und Sie haben natürlich nie Angst gehabt?«

»Ich glaube nicht. Es war allerdings nicht ganz sicher, und ich knackte zuweilen an meinem Revolverhahn, um den Mann hinter mir nicht allzu sicher zu machen. In meinem Metier muß man seiner Nerven doch sicher sein, sonst ist man eines Tags verloren.«

Sie interessierte das scheinbar sehr. Sie wollte mehr hören von meinen Reisen, vom Reisen überhaupt, sie schien vollständig vergessen zu haben, daß nach einem Pakt zwischen der Mutter und mir schon der Name Afrika verpönt ist.

Als hinter einem grünen Felsvorsprung die Lichter von Toscolano auftauchten, sagte sie plötzlich: »Ich habe nicht etwa Angst gehabt, Herr Rin, höchstens ein unheimliches Gefühl, als Sie von Afrika erzählten, und wie sehr man da auf sich angewiesen sein muß . . . Sie gehen doch wieder nach Afrika?«

»Wahrscheinlich.«

«Bald?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Sie möchten, glaube ich, am liebsten schon morgen reisen.«

»Wieso?«

»Weil Mama doch recht hat. – Das ist Ihnen hier alles zu zahm. Und nun gar unsre Gesellschaft! Sie genügt mir kaum. – Und sie sollte Ihnen genügen?«

Ich versuchte sie zu überzeugen, daß dies keineswegs der Fall, daß diese Gesellschaft mir schon darum interessant, weil sie mir neu, ich gestand ihr sogar offen, daß ich von Anfang an jene gewisse Verlegenheit empfunden habe, gegen die man sich nur mit falscher Ueberlegenheit schützt. Aber sie glaubte mir nicht, sie schüttelte nur immer den Kopf.

»Von Verlegenheit habe ich nichts gemerkt, Herr Rin. Und daß Sie sich verschlossener geben wie andre, daß sehr schwer jemand in Sie hineinsieht? – Seien Sie doch froh, daß Sie so sind, so sein dürfen! . . . Wir Frauen können Dutzendware sein und kommen dabei doch auf unsre Rechnung. Aber Männer? Die dürfen das unter keinen Umständen sein! Infanterieleutnants, wenn sie auch noch so nett sind, haben niemals für mich gezählt. Regiment Nr. 180! Wer so aufdringlich den Dutzendstempel auf seinen Achselstücken trägt . . . Sie können mir schon glauben, der Leutnantspreis ist schrecklich gefallen, seitdem es so schrecklich viel Regimenter gibt. – Peter ist natürlich Kavallerist, hat natürlich keine Nummer, sondern einen Namenszug, und er wird hoffentlich niemals in die Verlegenheit kommen, zu einem Regimente zu gehören, das sich nur durch die Zahl von den andern unterscheidet. Auch sonst nicht! . . . Dazu reitet er Rennen, dazu hat er für Baden-Baden nachgenannt, dazu muß er unbedingt die ›Armee‹ gewinnen. – Wir dürfen Durchschnitt sein, Sie niemals!«

Sie war bei dem Exposé ordentlich warm geworden, die hellbraunen Augen leuchteten, und ich konnte nicht einmal lächeln. Kommen solche Menschen eigentlich nie von den Aeußerlichkeiten los? – Ihr Peter ist auch nur gute Durchschnittsware, etwas vornehmer gestempelt, aber im Grunde dasselbe gleichmäßige Metall. Daß die Frauen doch immer Wesen und Schein verwechseln! Es ist nicht die Regimentsnummer, es ist der Mann, der sie trägt! – Und Psychologe werde ich nie. Dieselbe Frau, die sich noch eben erst so leidenschaftlich für die Etikette der Dinge begeisterte, springt auf einmal ab. »Und denken Sie vielleicht, Herr Rin: ich kennte Sie nicht, ich wüßte nicht, was Sie gerade in diesem Augenblicke denken? – Sie fällen ein Verdammungsurteil, wie nur Sie es fällen können. Aber diesmal haben Sie unrecht! Ich habe die acht Tage nicht gefeiert. Ich bin wirklich immer in den Bergen herumgeklettert, immer an Abhängen entlang gegangen, ich hatte sogar die größte Lust, auf den Pizzocolo zu steigen. Aber es dauert einen ganzen Tag, und Mama hätte sich zu Tode geängstigt . . . Den schönen See habe ich dabei absichtlich recht stiefmütterlich behandelt, es war mir sogar lieb, daß er grau und farblos zu mir aufstarrte. Und der Garda ist tatsächlich auch ein langweiliger Geselle, den man sich über sieht. Er hat keine Kraft mehr, er ist schlapp! Er müßte mal so rasen, daß er unsre Landungsbrücke zerschlägt, unsern schönen Hotelgarten verwüstet. Es sind zwar Ihre geliebten Pflanzen, die er entwurzeln würde, aber ich gebe sie willig preis für den Anblick. Da hätte er sich bei mir rehabilitiert, der blaue Garda . . . Doch so – . . . O, ich weiß jetzt ganz genau, mein Herr, warum Sie so hoch steigen, warum Ihnen eigentlich die Pflanzen am liebsten sind, die dicht beim ewigen Schnee wachsen! Sie lieben nun einmal die Kraft, ob sie schlummert oder sich regt. Und als wir vorige Woche in der Toscolaner Schlucht waren, da hielt Sie nicht etwa das grandiose Bild gefangen, Sie weideten sich nur an der Unsumme von Kraft, die hier seit Jahrtausenden verschwendet ist. Und dasselbe Gefühl haben Sie, wenn Sie hoch oben auf einem Berge stehen und die Zacken und Hörner ringsum sehen, und sich ausrechnen, wie viel Jahre, wie viel Kräfte hier gearbeitet haben, um ein so gewaltiges Trümmerfeld zustande zu bringen. – Und Sie kommen sich dabei nicht etwa kleiner vor, im Gegenteil, Sie fühlen sich stärker; wachsen selbst mit und haben die geheime Ueberzeugung, daß das alles nur für Sie geschehen ist.«

Ich widerstritt dem letzten aufs äußerste. Diese geheime Ueberzeugung habe ich nie gehabt. Und wenn ich auch in der Natur am meisten die Kraft liebe, die Ehrfurcht vor dieser Kraft ist darum gerade das stärkste Gefühl in mir. Und das glaubt sie mir erst recht nicht.

»Und Sie haben doch diese Ueberzeugung, müssen sie haben! . . . Die Pflanze ist's Ihnen nicht, es ist der Moränensturz, auf dem sie wächst . . . Ich habe Sie früher nicht verstanden. Botanik hat für mich etwas Dürres, Schulmeisterliches. Meine Erzieherin mit ihrem Linnéschen System war so langweilig wie dieses System selbst. Kommen Sie mir um Gottes willen niemals mit dem Linnéschen System, oder ich widerrufe alles, was ich gesagt habe oder noch sagen werde! . . . Aber gerade, weil ich Sie nicht verstand, und mehr noch, weil ich Ihnen böse war, habe ich's versucht, Ihnen nachzuempfinden. Ich bin eigentlich nur so hoch hinaufgeklettert, um mir zu beweisen, daß Sie doch weiter nichts sind als ein dünkelhafter, pedantischer Schulmeister. Und dabei habe ich begriffen, daß Sie das ganz gewiß nicht sind! Das hat mich eigentlich noch mehr erbost . . . Ich habe mir zur Toscolaner Schlucht später einen besonders schwierigen Abstieg gesucht, und Mama würde, glaube ich, bei dem Anblick noch heute ohnmächtig, aber ich wollte nun einmal! Ich wollte wissen, ob das Pflanzeninteresse allein Ausschlag gibt in Ihrem Fall . . . Ich tät's jedenfalls nie der dummen Pflanzen halber! Mir wär's im Grunde immer um den Nervenreiz, der erst jeden Abgrund so schauerlich schön macht. Es ist doch eigentlich was Wunderhübsches, auf einem Pfade zu wandeln, wo das geübte Maultier allerdings niemals, aber der ungeübte Kletterer mit Leichtigkeit hinabstürzen könnte auf Nimmerwiederaufwachen . . . Und dabei kam ich auf den Geschmack, wollte höher und immer höher, und hatte dann ganz oben die Empfindung, daß erst von der Höhe die Welt so aussieht, wie sie wirklich ist. Ich sage Ihnen, ich bin immer mit Widerstreben wieder hinabgeklettert. Oben ist der ganze Mensch so leicht, unten wird der Fuß so schwer! . . . Aber gesagt hätte ich das Ihnen auf keinen Fall, auch heut nicht, wenn nicht gerade heut bei der Rückfahrt mir der schlafende Garda auf einmal so unheimlich vorgekommen wäre. O, er ist schon tief, und seine Kraft schlummert nur! – Dabei kam ich mir auf einmal so kindisch vor, mit meinem Bösesein, meinem Eigensinn; ich stieg eigentlich extra aus, um Ihnen zu sagen, daß ich verstehe, was Sie überall suchen: die Kraft . . . Und Sie werden ganz gewiß wieder nach Afrika zurückgehen, Herr Rin! Sie passen nicht hierher, Sie passen vor allen Dingen nicht für uns. Ich habe mir auch überlegt, ob mir ein Leben wie Ihres nicht am Ende auch gefallen könnte, nirgends zu Haus und nur sich selbst verantwortlich . . . Vierzehn Tage würde ich's gut aushalten, zur Not auch vier Wochen. Aber länger? Sehen Sie mal,« und sie verzog dabei die Lippen in komischer Resignation, »ich bin doch wohl eine treulose Natur, die schnell warm wird, aber noch schneller erkaltet. Wenn der Garda morgen wieder lächelt, falle ich sicher ab, schlendere lieber bequem am See, beschaue mir die Berge von unten und oberflächlich, die römischen Schals in Gardone aber von oben und sehr gewissenhaft – und das Gestern war nicht mehr . . . Ich bin dazu geboren, dazu erzogen, eigne und einsame Wege zu meiden. Wenn ich's anders tue, ist's doch schließlich nur Laune . . . Männer sollen eigne Wege gehen unbedingt, und hoffentlich enttäuscht mich in dem Punkt mein Peter nicht allzusehr. Denn sonst . . . Ich habe wohl keine Lust, Durchschnittsware zu sein, aber ich bin's darum schließlich erst recht . . . Und nun verachten Sie mich einmal vom Grunde Ihres Herzens, Herr Afrikareisender! Doch tun Sie's lieber erst, wenn ich weg bin. Dann sehe ich's nicht mehr. Ich kann's nämlich für den Tod nicht ausstehen, wenn auf einmal Ihre Nasenflügel so eigentümlich zu zucken anfangen. Damals mit dem weißen Kater, dem ich längst nicht mehr gram bin, taten Sie es auch, und Sie wiesen mich sogar recht scharf zurecht. Sie wissen doch noch?«

Ob ich weiß! – Aber ob ich jemals werde vergessen können, jemals? . . . Mein Instinkt betrog sich doch nicht: Das Mädchen hat Herz, viel Herz, so sehr sie sich auch Mühe gibt, es zu verschleiern. Dieser verwünschte Peter! Warum fällt unsereinem nicht auch einmal solche Frucht in den Schoß? – Und dabei bin ich zu Ende mit meiner Lehre von der Kraft und vom Kampf. Mein Herz zieht sich, während ich neben diesem Mädchen gehe, so eigentümlich zusammen, ich fühle wie ein Junge, der zum erstenmal liebt. Es mag ein Spättrieb sein, der kein Recht mehr hat . . . Unsinn! Ich habe ihn nicht gerufen, er ist von selbst gekommen. Die Natur hat Recht, immer Recht!

Aber ich bin deswegen noch lange kein Narr. Und was mir recht ist, ist dem Mädel noch lange nicht billig . . . Ehe ich weiter denke, mich weiter verspinne, muß ich noch etwas wissen. Ich muß wissen, ob Josefa von Angern ihren Peter von Lasowitz wirklich liebt.

Wenn . . .

Wenn nicht . . .

Ich werde es unter allen Umständen wissen! Und bis dahin keine Torheiten, keine Illusionen! Echte Gefühle sind ein Geschenk des Himmels, sie kommen über uns, auch ohne unser Gebet. Ich will auch ihrem geheimnisvollen Quell nicht nachforschen, ich will nur Gewißheit haben, ob der Strom später stark genug sein wird, mich zu tragen.

In Toscolano trennten wir uns. Sie bestieg ihren Wagen, der am Eingang des Ortes wartete, und forderte mich nicht zur Mitfahrt auf.

»Soll ich eigentlich Mama sagen, daß wir zusammen gegangen sind, und was wir miteinander gesprochen haben?« fragte sie mich aus dem Wagen heraus.

»Tun Sie ganz nach Belieben, Komtesse.«

Sie überlegte einen Augenblick. »Nein, ich tu's doch nicht! Jetzt will ich auch mal ein Geheimnis haben . . . Ich bin kindisch?«

»Nein.«

»Und ich bin's doch! . . . Adieu, Herr Rin.« Sie hielt den Finger auf den Mund und lächelte.

»Adieu, Komtesse.«

Dann fuhr sie. Es war irgendein Mißklang in diesem Abschied. Ich aß in Gardone zur Nacht.

Ist's nicht ein Wahnsinn, zu bleiben? Es ist doch etwas absolut Hoffnungsloses.

Wenn sie nur Kulisse wäre, weiter nichts als Kulisse? Dann ist sie's eben. Aber ich muß dessen sicher sein. Ich kann alles ertragen im Leben, nur nicht den Zweifel. Ich werde bleiben.


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