Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
An diese Worte des Propheten Zephanja mußte ich denken, als wir unser Boot beim letzten Schimmer des Tages an das rechte Ufer des Tigris legten. Die ganze Gegend rechts und links vom Strome ist ein Grab, eine große, ungeheuere, öde Begräbnißstätte. Die Ruinen des alten Rom und Athen werden vom Strahle der Sonne erleuchtet, und die Denkmäler des einstigen Egypten's ragen als gigantische Gestalten zum Himmel empor. Sie reden verständlich genug von der Macht, dem Reichthume und dem Kunstsinne jener Völker, welche sie errichtet haben. Hier aber, an den beiden Strömen, Euphrat und Tigris, liegen nur wüste Trümmerhaufen, über welche der Beduine achtlos dahinreitet, oft ohne nur zu ahnen, daß unter den Hufen seines Pferdes die Jubel und die Seufzer von Jahrtausenden begraben liegen. Wo ist der Thurm, welchen die Menschen im Lande Sinear bauten, als sie zu einander sprachen: »Kommt, lasset uns eine Stadt und einen Thurm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen!« –? Sie haben Stadt und Thurm gebaut, aber die Stätte ist verwüstet. Sie wollten sich einen Namen machen, aber die Namen der Völker, welche diese Stadt nach einander bewohnten und in dem Thurme ihren sündigen Götzendienst verübten, und die Namen der Dynasten und Statthalter, welche hier im Golde und im Blute von Millionen wühlten, sie sind verschollen und können mit größter Mühe und von unseren besten Forschern kaum noch errathen werden.
Wie aber kam ich an den Tigris, und wie in das Dampfboot, welches uns bis unter die Stromschnellen von Chelab getragen hatte?
Ich war mit den Ateïbeh bis in die Wüste El Nahman gezogen, da ich es nicht wagen konnte, mich im Westen des Landes sehen zu lassen. Die Nähe von Maskat verlockte mich, diese Stadt zu besuchen. Ich that es allein und ohne alle Begleitung, besah mir seine bethürmten Mauern, seine befestigten Straßen, seine Moscheen und portugiesischen Kirchen, bewunderte auch die beludschistanische Leibgarde des Imam und setzte mich endlich in eines der offenen Kaffeehäuser, um mir eine Tasse Keschreh munden zu lassen. Dieser Trank wird aus den Schaalen der Kaffeebohne gebraut und mit Zimmt und Nelken gewürzt. Meine Beschaulichkeit wurde durch eine Gestalt gestört, welche den Eingang verdunkelte. Ich blickte auf und sah eine Figur, welche einer längeren Betrachtung vollständig würdig war:
Ein hoher, grauer Cylinderhut saß auf einem dünnen, langen Kopfe, der in Bezug auf Haarwuchs eine völlige Wüste war. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legte sich einer Nase in den Weg, die zwar scharf und lang genug war, aber dennoch die Absicht verrieth, sich bis hinab zum Kinne zu verlängern. Der bloße, dürre Hals ragte aus einem sehr breiten, umgelegten, tadellos geplätteten Hemdkragen; dann folgte ein graukarrirter Shlips, eine graukarrirte Weste, ein graukarrirter Rock und graukarrirte Beinkleider, eben solche Gamaschen und staubgraue Stiefel. In der Rechten trug der graukarrirte Mann ein Instrument, welches einer Verwalterhacke sehr ähnlich war, und in der Linken eine doppelläufige Pistole. Aus der äußeren Brusttasche guckte ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt neugierig hervor.
»Wermyn kahwe!« schnarrte er mit einer Stimme, welche dem Tone einer Sperlingsklapper glich.
Er setzte sich auf ein Senïeh, welches eigentlich als Tisch dienen sollte, von ihm aber als Sessel gebraucht wurde. Er erhielt den Kaffee, senkte die Nase auf den Trank, schnüffelte den Duft ein, schüttete den Inhalt auf die Straße hinaus und stellte die Tasse auf den Boden.
»Wermyn tütün, gebt Tabak!« befahl er jetzt.
Er erhielt eine bereits angebrannte Pfeife, that einen Zug, blies den Rauch durch die Nase, spuckte aus und warf die Pfeife neben die Tasse.
»Wermyn« – – er sann nach, aber das türkische Wort wollte nicht kommen, und Arabisch verstand er vielleicht gar nicht. Daher schnarrte er kurzweg: »Wermyn Roastbeef!«
Der Kawehdschi verstand ihn nicht.
»Roastbeef!« wiederholte er, indem er mit dem Munde und allen zehn Fingern die Pantomime des Essens machte.
»Kebab!« bedeutete ich dem Wirth, welcher sogleich hinter der Thür verschwand, um diese Speise zu bereiten. Sie besteht aus kleinen, viereckigen Fleischstücken, welche an einem Spieße über dem Feuer gebraten werden.
Jetzt schenkte der Engländer auch mir seine Aufmerksamkeit.
»Araber?« frug er.
»No.«
»Türke?«
»No.«
Jetzt zog er die dünnen Augenbrauen erwartungsvoll in die Höhe.
»Englishman?«
»Nein. Ich bin ein Deutscher.«
»Ein Deutscher? Was hier machen?«
»Kaffee trinken!«
»Very well! Was sein?«
»Ich bin writer!«
»Ah! Was hier wollen in Maskat?«
»Ansehen.«
»Und dann weiter?«
»Weiß noch nicht.«
»Haben Geld?«
»Ja.«
»Wie heißen?«
Ich nannte meinen Namen. Sein Mund öffnete sich auf die Weise, daß die dünnen Lippen ganz genau ein gleichseitiges Viereck bildeten, welches die breiten, langen Zähne des Mannes sehen ließ; die Brauen stiegen noch höher empor als vorher, und die Nase wedelte mit der Spitze, als ob sie Kundschaft einziehen wolle, was das Loch unter ihr jetzt sagen werde. Dann griff er in den Rockschoß, zog ein Notizbuch hervor, blätterte darin und fuhr sodann in die Höhe, um den Hut abzunehmen und mir eine Verbeugung zu machen.
»Welcome, Sir; kenne Sie!«
»Ah, mich?«
»Yes, sehr!«
»Darf ich fragen, woher?«
»Bin Freund von Sir John Raffley, Mitglied vom Traveller-Klub, London, Near-Street 47.«Sieh: 'Deutscher Hausschatz', VI. Jahrgang, Seite 47
»Wirklich? Sie kennen Sir Raffley? Wo befindet er sich jetzt?«
»Auf Reisen – hier oder dort – weiß nicht. Sie waren mit ihm auf Ceylon?«
»Allerdings.«
»Elefanten gejagt?«
»Ja.«
»Dann in See auf Girl-Robber?«
»So ist es.«
»Haben Zeit?«
»Hm! Warum stellen Sie diese Frage?«
»Habe gelesen von Babylon – Niniveh – Ausgrabung – Teufelsanbeter. Will hin – auch ausgraben- Fowling-bull holen – britisches Museum schenken. Kann nicht Arabisch – will gern Jäger haben. Machen Sie mit – bezahle gut, sehr gut!«
»Darf ich um Ihren Namen bitten?«
»Lindsay, David Lindsay – Titel nicht, brauche nicht – Sir Lindsay sagen.«
»Sie beabsichtigen wirklich, nach dem Euphrat und Tigris zu gehen?«
»Yes. Habe Dampfboot – fahre hinauf – steige aus – Dampfboot wartet, oder zurück nach Bagdad – kaufe Pferd und Kameel – reisen, jagen, ausgraben, britisches Museum schenken, Traveller-Klub erzählen. Sie mitgehen?«
»Ich bin am liebsten selbständig.«
»Natürlich! Können mich verlassen, wann wollen – werde gut bezahlen, sehr fein bezahlen – nur mitgehen.«
»Wer ist noch dabei?«
»So viel, wie Sie wollen – aber lieber ich, Sie, zwei Diener.«
»Wann fahren Sie ab?«
»Übermorgen – morgen – heute – gleich!«
Das war ein Anerbieten, wie es mir nicht gelegener kommen konnte. Ich bedachte mich nicht lange und schlug ein. Natürlich aber stellte ich die Bedingung, daß es mir zu jeder Zeit frei stände, meine eigenen Wege zu gehen. Er führte mich an den Hafen, wo ein allerliebster kleiner Puffer lag, und ich merkte bereits nach Verlauf von einer halben Stunde, daß ich mir keinen besseren Gefährten wünschen konnte. Er wollte Löwen und alle möglichen Bestien schießen, die Teufelsanbeter besuchen und mit aller Gewalt einen Fowling-bull, wie er es nannte, einen geflügelten Stier, ausgraben, um ihn dem britischen Museum zum Geschenk zu machen. Diese Pläne waren abenteuerlich, hatten aber eben deßhalb meine volle Zustimmung. Ich war auf meinen Wanderungen noch viel seltsameren Käuzen begegnet, als er war.
Leider ließ er mich gar nicht wieder zu den Ateïbeh zurück. Ein Bote mußte meine Sachen holen und Halef benachrichtigen, wohin ich reisen werde. Als er zurückkehrte, erzählte er mir, daß Halef mit noch einem Ateïbeh zu Lande zu den Abu Salman – und Schammar-Arabern reisen werde, um mit ihnen über die Einverleibung der Ateïbeh zu verhandeln. Er werde mein Hedjihn mitbringen und mich schon zu finden wissen.
Diese Nachricht war mir lieb. Daß Halef zu dieser Botschaft ausersehen war, bewies mir abermals, daß er der Liebling seines Schwiegervaters geworden sei. Wir fuhren im persischen Busen hinauf, sahen uns Basra und Bagdad an und gelangten nachher, auf dem Tigris aufwärts dampfend, an die Stelle, an welcher wir heute anlegten. – –
Oberhalb unserer Landestelle mündete der Zab-asfal in den Tigris, und die Ufer hüben und drüben waren mit einem dichten Bambusdschungel bestanden. Wie schon vorhin gesagt, brach die Nacht herein; trotzdem aber bestand Lindsay darauf, an das Land zu gehen und die Zelte aufzuschlagen. Ich hatte keine rechte Lust dazu, konnte ihn aber nicht gut allein lassen und folgte ihm also. Die Bemannung des Dampfbootes bestand aus vier Leuten; es sollte mit Tagesanbruch bereits nach Bagdad zurückkehren, und so faßte der Engländer gegen meinen Rath den Entschluß, Alles, auch die vier Pferde, welche er in Bagdad gekauft hatte, noch auszuladen.
»Es wäre besser, wenn wir dies unterließen, Sir,« warnte ich ihn.
»Warum?«
»Weil wir es morgen bei Tageslicht thun könnten.«
»Geht auch am Abend – bezahle gut!«
»Wir und die Pferde sind auf dem Fahrzeuge sicherer als auf dem Lande.«
»Gibt es hier Diebe – Räuber – Mörder?«
»Den Arabern ist niemals zu trauen. Wir sind noch nicht eingerichtet!«
»Werden ihnen nicht trauen, uns aber doch einrichten – haben Büchsen; jeder Spitzbube wird niedergeschossen!«
Er ging nicht von seinem Vorsatze ab. Erst nach zwei Stunden waren wir mit der Arbeit fertig; die zwei Zelte waren aufgerichtet, und zwischen ihnen und dem Ufer wurden die Pferde angehängt. Nach dem Abendbrode gingen wir schlafen. Ich hatte die erste, die beiden Diener die zweite und dritte und Lindsay selbst die vierte Wache. Die Nacht war wunderschön, vor uns rauschten die Fluthen des breiten Stromes hinab, und hinter uns erhoben sich die Höhen des Dschebel Dschehennem. Die Helle des Firmaments erleuchtete Alles zur Genüge, aber das Land selbst, auf dem ich stand, war noch ein Räthsel. Seine Vergangenheit glich den Fluthen des Tigris, die dort unten verschwanden im Schatten der Dschungel. An Assyrien, Babylonien und Chaldäa knüpften sich die Erinnerungen an große Nationen und riesige Städte, aber diese Erinnerungen gleichen dem Rückblick auf einen Traum, dessen Einzelheiten man vergessen hat.
Als meine Wachtzeit vorüber war, weckte ich den Diener und instruirte ihn gehörig. Er hieß Bill, war ein Irländer und machte den Eindruck, als sei die Kraft seiner Muskeln dreißigmal stärker als diejenige seines Geistes. Er grinste sehr verschmitzt zu meinen Anweisungen und begann dann auf und ab zu patrouilliren. Ich schlief ein.
Als ich erwachte, geschah es nicht freiwillig, sondern ich wurde am Arme gerüttelt. Lindsay stand vor mir in seinem graukarrirten Anzuge, den er selbst in der Wüste nicht abzulegen beschlossen hatte.
»Sir, wacht auf!«
Ich sprang auf die Füße und frug:
»Ist etwas geschehen?«
»Hm – ja!«
»Was?«
»Unangenehm!«
»Was?«
»Pferde fort!«
»Die Pferde? Haben sie sich losgerissen?«
»Weiß nicht.«
»Waren sie noch da, als Sie die Wache übernahmen?«
»Yes!«
»Aber Sie haben doch gewacht?«
»Yes!«
»Wo denn?«
»Dort.«
Er deutete auf einen isolirten Hügel, welcher ziemlich entfernt von unsern Zelten lag.
»Dort; warum dort?«
»Ist wohl ein Ruinenhügel – hingegangen wegen Fowling-bull.«
»Und als Sie jetzt zurückkehrten, waren die Pferde fort?«
»Yes!«
Ich trat hinaus und untersuchte die Pfähle. Die Enden der Leinen hingen noch daran; die Thiere waren losgeschnitten worden.
»Sie haben sich nicht losgerissen, sondern sind geraubt worden!«
Er formirte das bekannte Lippenparallelogramm und lachte vergnügt.
»Yes! Von wem?«
»Von Dieben!«
Er machte ein noch vergnügteres Gesicht.
»Very well, von Dieben – wo sind sie – wie heißen sie?«
»Weiß ich es?«
»No – ich auch no – schön, sehr schön! – Abenteuer da!«
»Es ist keine Stunde vergangen, seit der Diebstahl geschah. Warten wir nur noch fünf Minuten, so ist es hell genug, um die Spuren zu erkennen.«
»Schön – ausgezeichnet! Sind Prairiejäger gewesen – Spuren finden – nachlaufen – todt schießen – kapitales Vergnügen – bezahle gut, sehr gut!«
Er trat in sein Zelt, um die Vorbereitungen zu treffen, welche er für nothwendig hielt. Ich erkannte nach kurzer Zeit im Scheine der Dämmerung die Spuren von sechs Männern und theilte ihm diese Entdeckung mit.
»Sechs? – Wie viel wir?«
»Nur zwei. Zwei müssen bei den Zelten zurückbleiben, und das Boot bleibt auch liegen, bis wir zurückkehren.«
»Yes! Das befehlen und dann fort!«
»Sind Sie ein guter Läufer, oder soll ich Bill mitnehmen?«
»Bill? Pah! Weßhalb gehe an Tigris! Abenteuer! Laufe gut – laufe wie Hirsch!«
Nachdem die nöthigen Verhaltungsmaßregeln ertheilt worden waren, warf er die räthselhafte Hacke nebst der Büchse über die Achsel und folgte mir. Es galt, die Diebe einzuholen, ehe sie zu einer größeren Truppe stießen, und daher schritt ich so schnell aus, als mir möglich war. Die langen karrirten Beine meines Gefährten hielten sich ganz wacker; es war eine Lust, so mit ihm zu laufen.
Wir befanden uns in der Zeit des Frühjahrs; der Boden glich daher nicht einer Wüste, sondern einer Wiese, nur daß die Blumen förmlich büschel- oder vielmehr buschweise aus der Erde schossen. Wir waren noch nicht weit gekommen, so hatten unsere Hosen sich vom Blüthenstaube gefärbt. Wegen dieser Höhe der Vegetation war die Spur sehr deutlich zu erkennen. Sie führte uns schließlich an ein Nebenflüßchen, welches von dem Dschebel Dschehennem herfloß und eine sehr aufgeregte Wassermasse zeigte. An seinem Ufer stieß die Spur an eine Stelle, die von Pferdehufen zertreten war, und eine neue Untersuchung ergab von hier aus zehn statt vier Hufspuren. Zwei von den sechs Dieben waren bis hierher gelaufen, statt geritten, und hier hatten sie alle ihre Pferde versteckt gehabt.
Lindsay machte eine sehr mißvergnügte Miene.
»Miserabel – todt ärgern!«
»Worüber?«
»Werden entkommen!«
»Weßhalb?«
»Haben nun alle Pferde – wir laufen.«
»Pah! Ich holte sie dennoch ein, wenn Sie aushielten; aber dies ist gar nicht einmal nöthig. Man darf nicht nur sehen, sondern man muß auch schließen.«
»Schließen Sie!«
»Sind diese Leute zufällig an unseren Lagerplatz gekommen?«
»Hm!«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es scheint mir, als ob sie zu Lande dem Schiffe gefolgt seien, welches alle Abende angelegt hat. Ist dies der Fall, so führt zwar ihre Spur nach Westen, aber nur deßhalb, weil sie über diesen Fluß müssen und sich aber doch bei Hochwasser mit den fremden Pferden nicht hineingetrauen.«
»Also Umweg machen müssen?«
»Ja. Sie werden sich eine Furt oder irgend eine bessere Übergangsstelle suchen und dann wieder in die alte Richtung lenken.«
»Schön, gut – sehr gut!«
Er warf die Kleidung ab und trat an das Ufer.
»Ja, Sir, sind Sie denn ein guter Schwimmer?«
»Yes!«
»Es ist hier nicht so ganz gefahrlos, wenn man die Waffen und die Kleider trocken halten will. Machen Sie mit den Kleidern einen Turban über Ihren Hut!«
»Gut – sehr gut – werde machen!«
Auch ich wand mir aus meinen Kleidern einen hohlen Ballen, den ich mir auf den Kopf setzte; dann gingen wir in das Wasser. Dieser Engländer war wirklich ein ebenso gewandter Schwimmer, wie er ein ausdauernder Läufer war. Wir kamen ganz gut hinüber und zogen die Kleider wieder an.
Lindsay überließ sich ganz meiner Führung. Wir eilten noch ungefähr zwei englische Meilen nach Süd und schlugen dann nach West um, wo uns die Höhen eine weite Aussicht gewährten. Wir stiegen einen Berg empor und sahen uns um. So weit das Auge reichte, zeigte sich kein lebendes Wesen.
»Nothing! – Nichts – keine Seele – – miserabel!«
»Hm, auch ich sehe nichts!«
»Wenn Sie geirrt – oho, was dann?«
»Dann haben wir noch immer Zeit, sie dort am Flüßchen zu verfolgen. Mir hat noch keiner ungestraft ein Pferd gestohlen; ich werde auch hier nicht eher zurückkehren, bis ich die vier Thiere wieder habe.«
»Ich auch.«
»Nein. Sie müssen bei Ihrem Eigenthume sein.«
»Eigenthum? Pah! Wenn fort, dann neues kaufen – Abenteuer gern bezahlen – sehr gut.«
»Halt! Bewegt sich da draußen nicht etwas?«
»Wo?«
»Dort!«
Ich deutete mit der Hand die Richtung an. Er riß die Augen und den Mund weit auf und spreizte die Beine aus einander. Seine Nasenflügel öffneten sich – es sah aus, als ob sein Riechorgan auch mit der Eigenschaft, zu sehen, oder wenigstens mit einem optischen Witterungs- und Ahnungsvermögen begabt sei.
»Richtig – sehe auch!«
»Es kommt auf uns zu.«
»Yes! Wenn sind, dann schieß' Alle todt!«
»Sir, es sind Menschen!«
»Diebe! Müssen todt – unbedingt todt!«
»Dann thut es mir leid, Sie verlassen zu müssen.«
»Verlassen? Warum?«
»Ich wehre mich meiner Haut, wenn ich angegriffen werde, aber ich morde keinen Menschen ohne Noth. Ich denke, Sie sind ein Engländer!«
»Well! Englishman – Nobelman – Gentleman – werde nicht tödten – nur Pferde nehmen!«
»Es scheint wahrhaftig, daß sie es sind!«
»Yes! Zehn Punkte – stimmt!«
»Vier sind ledig und Sechs beritten.«
»Hm! Guter Prairiejäger Sie – Recht gehabt – Sir John Raffley viel erzählt – bei mir bleiben – gut bezahlen, sehr gut!«
»Schießen Sie sicher?«
»Hm, ziemlich!«
»So kommen Sie. Wir müssen uns zurückziehen, damit sie uns nicht bemerken. Unser Operationsfeld liegt unten zwischen dem Berge und dem Flusse. Gehen wir noch zehn Minuten weiter nach Süd, so tritt die Höhe so eng an das Wasser heran, daß ein Entkommen gar nicht möglich ist.«
Wir eilten jetzt im vollen Laufe wieder hinab und erreichten bald die Stelle, welche ich angedeutet hatte. Der Fluß war von Schilf und Bambus eingesäumt, und am Fuße des Berges fanden sich Mimosen und ein hohes Wermuthgebüsch. Wir hatten Raum genug zum Versteck.
»Was nun?« frug der Engländer.
»Sie verbergen sich hier im Schilfe und lassen die Leute vorüber. Am Ausgange dieser Enge trete ich hinter die Mimosen, und wenn wir die Diebe zwischen uns haben, treten wir beide vor. Ich schieße ganz allein, da ich mich vielleicht besser nach den Umständen zu richten verstehe, und Sie gebrauchen Ihr Gewehr nur auf mein ganz besonderes Geheiß, oder wenn Ihr Leben ernstlich in Gefahr kommt.«
»Well – gut, sehr gut – excellent Abenteuer!«
Er verschwand in dem Schilfe, und auch ich suchte mir meinen Platz. Bereits nach kurzer Zeit hörten wir Hufschlag. Sie kamen herbei – an Lindsay vorüber, ohne böse Ahnung, ohne sich umzusehen. Ich sah den Engländer jetzt aus dem Schilfe tauchen und trat vor. Sie hielten im Augenblicke ihre Pferde an. Die Büchse hing mir über die Schulter, und nur den Henrystutzen hielt ich in der Hand.
»Sallam aaleïkum!« sagte ich.
Der freundliche Gruß verblüffte sie.
»Aaleïk –« antwortete Einer von ihnen. »Was thust Du hier?«
»Ich warte auf meine Brüder, welche mir helfen sollen.«
»Welcher Hilfe bedarfst Du?«
»Du siehst, daß ich ohne Pferd bin. Wie soll ich durch die Wüste kommen? Du hast vier Thiere übrig; willst Du mir nicht eines davon verkaufen?«
»Wir verkaufen keines dieser Pferde!«
»Ich höre, daß Du ein Liebling Allah's bist. Du willst nur deßhalb das Pferd nicht verkaufen, weil Dein gutes Herz Dir gebietet, es mir zu schenken.«
»Allah heile Dir Deinen Verstand! Ich werde auch kein Pferd verschenken.«
»O, Du Muster von Barmherzigkeit, Du wirst einst die Wonnen des Paradieses vierfach kosten; denn Du willst mir nicht bloß ein Pferd, sondern vier verehren, weil ich so viel brauche!«
»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig! Dieser Mensch ist deli, ist gewiß und wahrhaftig verrückt.«
»Bedenke, mein Bruder, daß die Verrückten nehmen, was man ihnen nicht freiwillig gibt! Blicke Dich um! Vielleicht gibst Du jenem dort das, was Du mir verweigerst.«
Erst jetzt, beim Anblick des Engländers, wurde ihnen die Situation vollständig klar. Sie legten rasch die Lanzen zum Stoße ein.
»Was wollt Ihr?«
»Unsere Pferde, welche Ihr uns beim Anbruch des Tages gestohlen habt.«
»Mensch, Du bist wahrhaftig toll! Wenn wir Dir Pferde genommen hätten, so hättest Du uns mit den Füßen nicht erreichen können!«
»Meinst Du? Ihr wißt, daß diese vier Pferde den Franken gehören, welche dort mit dem Schiffe angekommen sind. Wie könnt Ihr denken, daß Franken sich ungestraft bestehlen lassen, und daß sie nicht klüger sind, als Ihr! Ich habe gewußt, daß Ihr am Fluß einen Umweg machen würdet, bin herübergeschwommen und Euch zuvorgekommen. Ihr aber habt Euch allerdings täuschen lassen. Ich will nicht Menschenblut vergießen; darum bitte ich Euch, mir die Pferde freiwillig zurückzugeben. Dann könnt Ihr gehen, wohin Ihr wollt!«
Er lachte.
»Ihr seid zwei Männer, und wir sind sechs.«
»Wohl! So thue ein Jeder, was ihm beliebt!«
»Weiche vom Wege!«
Er legte die mit Straußenfedern verzierte Lanze ein und trieb sein Pferd auf mich zu. Ich erhob den Stutzen: der Schuß krachte und Roß und Reiter stürzten nieder. Ich bedurfte keiner Minute, um noch fünfmal zu zielen und fünfmal abzudrücken. Alle Pferde stürzten, und nur die unserigen, welche man zusammengekoppelt hatte, waren unversehrt. Der, welcher sie vorher an der Leine hielt, hatte sie losgelassen. Wir benützten den Augenblick der Verwirrung, sprangen auf und eilten davon.
Hinter uns ertönte das Zorngeschrei der Araber. Wir machten uns nichts daraus, sondern brachten die Riemen unserer Thiere in Ordnung und ritten lachend davon.
»Magnificent – prächtig – schönes Abenteuer – hundert Pfund werth! Wir Zwei, sie Sechs – sie uns vier Pferde genommen, wir ihnen sechs genommen – ausgezeichnet – herrlich!«
»Ein Glück, daß es so ausgezeichnet, so herrlich abgelaufen ist, Sir. Wären unsere Thiere scheu geworden, so kamen wir nicht so schnell weg und hätten sehr leicht einige Kugeln erhalten können.«
»Machen wir auch Umweg oder gehen grad aus?«
»Grad aus. Wir kennen unsere Pferde; der Übergang wird gelingen.«
Wir kamen in guter Zeit wieder bei unseren Zelten an, und bald nach unserer Ankunft stieß das Boot vom Lande ab und wir blieben allein in der Wüste zurück.
Lindsay wollte Anfangs sehr viel Gepäck und auch Proviant mitnehmen, ich aber hatte ihn zu einer andern Ansicht gebracht. Wer ein Land kennen lernen will, der muß auch lernen, sich auf die Gaben desselben zu beschränken, und ein Reiter darf nie mehr bei sich haben, als sein Thier zu tragen vermag. Übrigens waren wir reichlich mit Munition versehen, was die Hauptsache ist, und außerdem verfügte der ›Nobelman‹ über so bedeutenden Geldvorrath, daß wir davon den Reiseaufwand für Jahre hinaus hätten bestreiten können.
»Nun allein am Tigris,« meinte er. »Nun gleich graben nach Fowling-bulls und andern Alterthümern!«
Der gute Mann hatte sicher sehr viel gelesen und gehört von den Ausgrabungen bei Khorsabad, Kufjundschik, Hammum Ali, Nimrud, Keschaf und El Hather und war dadurch auf den Gedanken gekommen, nun seinerseits auch das britische Museum zu bereichern und dadurch ein berühmter Mann zu werden.
»Jetzt gleich?« frug ich ihn. »Das wird nicht gehen!«
»Warum? Habe Hacke mit.«
»O, mit diesem Mattok werden Sie nicht viel machen können. Wer hier graben will, muß sich erst mit der Regierung verständigen – – –«
»Regierung? Welche?«
»Die türkische.«
»Pah! Hat Niniveh den Türken gehört?«
»Allerdings nicht, denn damals war von den Türken keine Rede. Aber die Ruinen gehören jetzt zum türkischen Grund und Boden, obgleich hier der Arm des Sultans nicht sehr mächtig ist. Die arabischen Nomaden sind da die eigentlichen Herren, und wer hier graben will, der hat sich zunächst auch mit ihnen in freundschaftliche Beziehung zu setzen, da er sonst weder seines Eigenthumes, noch seines Lebens sicher ist. Darum habe ich Ihnen ja gerathen, Geschenke für die Häuptlinge mitzunehmen.«
»Die seidenen Gewänder?«
»Ja; sie sind hier am meisten gesucht und nehmen beim Transport sehr wenig Raum ein.«
»Well, so wollen setzen in freundschaftliche Beziehung – aber sogleich und sofort – nicht?«
Ich wußte, daß es bei seinen Ausgrabungen nur bei dem Gedanken bleiben werde, hatte mir aber vorgenommen, ihn nicht abwendig zu machen.
»Ich bin dabei. Nun fragt es sich, welchem Häuptling man zunächst seine Aufwartung zu machen hat.«
»Rathen!«
»Der mächtigste Stamm heißt El Schammar. Er hat aber seine Weidegründe weit oben am südlichen Abhang der Sindscharberge und an dem rechten Ufer des Thathar.«
»Wie weit ist Sindschar von hier?«
»Einen ganzen Breitengrad.«
»Sehr breit! Was sind noch für Araber hier?«
»Die Obeïden, Abu-Salman, Abu-Ferhan und Andere; doch läßt sich nie genau bestimmen, wo man diese Horden zu suchen hat, da sie sich stets auf der Wanderschaft befinden. Wenn ihre Heerden einen Platz abgeweidet haben, so bricht man die Zelte ab und zieht weiter. Dabei leben die einzelnen Stämme in ewiger, blutiger Feindseligkeit mit einander; sie haben sich gegenseitig zu meiden, und das trägt auch nicht wenig zu der Unstätigkeit ihres Lebens bei.«
»Schönes Leben – viel Abenteuer – viel Ruinen finden – viel ausgraben – ausgezeichnet – excellent!«
»Am besten ist es, wir reiten in die Wüste hinein und befragen uns bei dem ersten Beduinen, welcher uns begegnet, nach dem Wohnorte des nächsten Stammes.«
»Gut – well – sehr schön! Gleich jetzt reiten und befragen!«
»Wir könnten heute noch hier bleiben!«
»Bleiben und nicht graben? Nein – geht nicht! Zelte ab und fort!«
Ich mußte ihm seinen Willen lassen, zumal bei näherem Überlegen ich mir sagte, daß es wegen der heutigen feindseligen Begegnung besser sei, den Ort zu verlassen. Wir brachen also die leichten Zelte ab, welche von den Pferden der Diener getragen werden mußten, setzten uns auf und schlugen den Weg nach dem Sabakah-See ein.
Es war ein wundervoller Ritt durch die blumenreiche Steppe. Jeder Schritt der Pferde wirbelte neue Wohlgerüche auf. Ich konnte selbst die weichste und saftigste Savanne Nordamerika's mit dieser Gegend nicht vergleichen. Die Richtung, welche wir eingeschlagen hatten, stellte sich als eine glücklich gewählte heraus; denn bereits nach kaum mehr als einer Stunde kamen drei Reiter auf uns zugesprengt. Sie machten eine sehr hübsche Figur mit den fliegenden Mänteln und wehenden Straußenfedern. Unter lautem Kriegsgeschrei ritten sie auf uns los.
»Sie brüllen. Werden sie stechen?« frug der Engländer.
»Nein. Das ist die Begrüßungsart dieser Leute. Wer sich dabei zaghaft zeigt, der wird für keinen Mann gehalten.«
»Werden Männer sein!«
Er hielt Wort und zuckte nicht mit der Wimper, als der eine mit seiner scharfen Lanzenspitze grad auf seine Brust zuhielt und erst abbog und sein Pferd in die Hacken riß, als die Lanzenspitze beinahe die Brust berührte.
»Sallam aaleïkum! Wo wollt Ihr hin?« grüßte Einer.
»Von welchem Stamme bist Du?«
»Vom Stamme der Haddedihn, welcher zu der großen Nation der Schammar gehört.«
»Wie heißt Dein Scheik?«
»Er führt den Namen Mohammed Emin.«
»Ist er weit von hier?«
»Wenn Du zu ihm willst, so werden wir Euch begleiten.«
Sie wandten um und schlossen sich uns an. Während wir – die Diener hinter uns – in würdevoller Haltung in den Sätteln saßen, sprengten sie um uns in weiten Kreisen herum, um ihre Reiterkünste sehen zu lassen. Ihr Hauptkunststück besteht im Innehalten mitten im rasendsten Laufe, wodurch aber ihre Pferde sehr angegriffen und leicht zu Schanden werden. Ich glaube, behaupten zu können, daß ein Indianer auf seinem Mustang sie in jeder Beziehung übertrifft. Dem Engländer gefiel das Schaureiten dieser Leute.
»Prächtig! Hm, so kann ich es nicht – würde den Hals brechen!«
»Ich habe noch andere Reiter gesehen.«
»Ah! Wo?«
»Ein Ritt auf Leben und Tod in einem amerikanischen Urwalde, auf einem gefrorenen Flusse, wenn das Pferd kein Eisen hat, oder in einem steinigen Cannon ist doch noch etwas ganz Anderes.«
»Hm! Werde auch nach Amerika gehen – reiten in Urwald – auf Flußeis – in Cannon – schönes Abenteuer – prachtvoll! Was sagten diese Leute?«
»Sie grüßten uns und fragten nach dem Ziel unseres Rittes; sie werden uns zu ihrem Scheik bringen. Er heißt Mohammed Emin und ist der Anführer der Haddedihn.«
»Tapfere Leute?«
»Diese Männer nennen sich alle tapfer und sind es auch bis zu einem gewissen Grade. Ein Wunder ist dies nicht. Die Frau muß Alles machen, und der Mann thut nichts als reiten, rauchen, rauben, kämpfen, klatschen und faulenzen.«
»Schönes Leben – prächtig – möchte Scheik sein – viel ausgraben – manchen Fowling-bull finden und nach London schicken – hm!«
Nach und nach wurde die Steppe belebter und wir gewahrten, daß wir uns den Haddedihn näherten. Sie befanden sich zum großen Theile noch in Bewegung, als wir sie erreichten. Es ist nicht leicht, den Anblick zu beschreiben, den ein Araberstamm auf dem Zuge nach seinem neuen Weideplatze gewährt. Ich hatte vorher die Sahara und einen Theil von Arabien durchzogen und dabei viele Stämme der westlichen Araber kennen gelernt; hier aber bot sich mir ein ganz neuer Anblick dar. Dieselbe Verschiedenheit, welche zwischen den Oasen der Sahara und dem ›Lande Sinear‹ der heiligen Schrift herrscht: – man beobachtet sie auch in dem Leben und allen Verhältnissen ihrer Bewohner. Hier ritten wir auf einer beinahe unbegrenzten Merdsch, welche nicht die mindeste Ähnlichkeit mit einer Uah des Westens hatte. Sie glich vielmehr einem riesigen Savannenteppich, der aus lauter Blumen bestand. Hier schien nie der fürchterliche Samum gewüthet zu haben; hier war keine Spur einer wandernden Düne zu erblicken. Hier gab es kein zerklüftetes und verschmachtetes Wadi, und man meinte, daß hier keine Fata Morgana die Macht besäße, den müden, einsamen Wanderer zu äffen. Die weite Ebene hatte sich mit duftendem Leben geschmückt, und auch die Menschen zeigten keine Spur jener ›Wüstenstimmung‹, welcher westwärts vom Nil kein Mensch entgehen kann. Es lag über diesem bunten Gefilde ein Farbenton, der nicht im Mindesten an das versengende, dabei oft blutig trübe und tödtliche Licht der großen Wüste erinnerte.
Wir befanden uns jetzt inmitten einer nach Tausenden zählenden Heerde von Schafen und Kameelen. So weit das Auge reichte – rechts und links von uns, vor und hinter uns – wogte ein Meer von grasenden und wandernden Thieren. Wir sahen lange Reihen von Ochsen und Eseln, welche beladen waren mit schwarzen Zelten, bunten Teppichen, ungeheuren Kesseln und allerlei anderen Sachen. Auf diese Berge von Geräthschaften hatte man alte Männer und Weiber gebunden, welche nicht mehr im Stande waren, zu gehen oder sich ohne Stütze im Sattel aufrecht zu halten. Zuweilen trug eines der Thiere kleine Kinder, welche in den Sattelsäcken so befestigt waren, daß nur ihre Köpfe durch die kleine Öffnung schauten. Zur Erhaltung des Gleichgewichtes trug das Lastthier dann auf der andern Seite junge Lämmer und Zickelchen, welche blökend und meckernd ebenso aus den Öffnungen der Säcke hervorblickten. Dann kamen Mädchen, nur mit dem eng anliegenden, arabischen Hemd bekleidet; Mütter mit Kindern auf den Schultern, Knaben, welche Lämmer vor sich hertrieben; Dromedartreiber, die, auf ihren Thieren sitzend, ihre edlen Pferde nebenbei am Zügel führten, und endlich zahlreiche Reiter, welche, mit bebuschten Lanzen bewaffnet, auf der Ebene nach denjenigen ihrer Thiere herumjagten, welche sich nicht in die Ordnung des Zuges fügen wollten.
Eigenthümliche Figuren bildeten diejenigen Reitkameele, welche zum Tragen vornehmer Frauen bestimmt waren. Ich hatte in der Sahara sehr oft Dschemmels gesehen, welche Frauen in dem wiegenähnlichen Korbe trugen; aber eine Vorrichtung, wie die hiesige, war mir noch nicht vorgekommen. Zwei zehnellige oder auch noch längere Stangen nämlich werden vor und hinter dem Höcker des Kameeles quer über den Rücken desselben gelegt und an ihren Enden zusammengezogen und mit Pergament oder Stricken verbunden. Dieses Gestell ist mit Fransen und Quasten von Wolle in allen Farben, mit Muschel- und Perlenschnüren verziert, ganz so wie der Sattel und das Riemenzeug, und ragt also neun und noch mehr Ellen rechts und links über die Seiten des Kameeles hinaus. Zwischen ihm auf dem Höcker ragt eine aus Grundleisten und Stoffüberzug bestehende Vorrichtung empor, welche fast genau einem Schilderhause gleicht und mit allerlei Quasten und Troddelwerk behangen ist. In diesem Belle-vue sitzt die Dame. Die ganze Figur erreicht eine außerordentliche Höhe, und wenn sie am Horizont erscheint, so könnte man sie infolge des schwankenden Ganges der Kameele für einen riesigen Schmetterling oder für eine gigantische Libelle halten, welche die Flügel auf und nieder schlägt.
Unser Erscheinen machte in jeder Gruppe, bei welcher wir ankamen, großes Aufsehen. Ich selbst trug daran wohl weniger Schuld als Sir Lindsay, dem ja ebenso wie seinen Dienern auf den ersten Blick der Europäer anzusehen war. Er mußte in seinem graukarrirten Anzuge hier noch mehr auffallen, als ein Araber, der in seiner malerischen Tracht vielleicht auf einem öffentlichen Platze München's oder Leipzig's erschienen wäre. Unsere Führer ritten uns voran, bis wir endlich ein außerordentlich großes Zelt erblickten, vor welchem viele Lanzen in der Erde steckten. Dies war das Zeichen, daß es das Zelt des Häuptlings sei. Man war soeben beschäftigt, rund um dasselbe einen Kreis anderer Zelte zu errichten.
Die beiden Araber sprangen ab und traten ein. Nur wenige Augenblicke später erschienen sie in Begleitung eines Dritten wieder. Dieser hatte die Gestalt und das Äußere eines echten Patriarchen. Just so mußte Abraham ausgesehen haben, wenn er aus seinem Hause im Haine Mamre trat, um seine Gäste zu begrüßen. Der schneeweiße Bart hing ihm bis über die Brust herab, dennoch aber machte der Greis den Eindruck eines rüstigen Mannes, der im Stande ist, eine jede Beschwerde zu ertragen. Sein dunkles Auge musterte uns nicht eben einladend und freundlich. Er hob die Hand zum Herzen und grüßte:
»Salama!«
Dies ist der Gruß eines eingefleischten Mohammedaners, wenn ein Ungläubiger zu ihm kommt; dagegen empfängt er jeden Gläubigen mit dem Sallam aaleïkum.
»Aaleïkum!« antwortete ich und sprang vom Pferde.
Er sah mich ob dieses Wortes forschend an; dann frug er:
»Bist Du ein Moslem oder ein Giaur?«
»Seit wann empfängt der Sohn des edlen Stammes der Schammar seine Gäste mit einer solchen Frage? Sagt nicht der Kuran: ›Speise den Fremdling und tränke ihn; laß ihn bei Dir ruhen, ohne seinen Ausgang und seinen Eingang zu kennen!‹ – Allah mag es Dir verzeihen, daß Du Deine Gäste wie ein türkischer Khawasse empfängst!«
Er erhob wie abwehrend die Hand.
»Dem Schammar und dem Haddedihn ist Jeder willkommen, nur der Lügner und der Verräther nicht.«
Er warf dabei einen bezeichnenden Blick auf den Engländer.
»Wen meinest Du mit diesen Worten?« frug ich ihn.
»Die Männer, welche aus dem Abendlande kommen, um den Pascha gegen die Söhne der Wüste zu hetzen. Wozu braucht die Königin der Inseln einen Consul in Mossul?«
»Diese drei Männer gehören nicht zu dem Consulat. Wir sind müde Wanderer und begehren von Dir weiter nichts, als einen Schluck Wasser für uns und eine Dattel für unsere Pferde!«
»Wenn Ihr nicht zum Consulat gehört, so sollt Ihr haben, was Ihr begehrt. Tretet ein und seid mir willkommen!«
Wir banden unsere Pferde an die Lanzen und gingen in das Zelt. Dort erhielten wir Kameelmilch zu trinken; die Speise bestand nur aus dünnem, hartem und halb verbranntem Gerstenkuchen – ein Zeichen, daß der Scheik uns nicht als Gäste betrachtete. Während des kurzen Mahles fixirte er uns mit finsterem Auge, ohne ein Wort zu sprechen. Er mußte triftige Gründe haben, Fremden zu mißtrauen, und ich sah ihm an, daß er neugierig war, etwas Näheres über uns zu erfahren.
Lindsay schaute sich in dem Zelte um und frug mich:
»Böser Kerl, nicht?«
»Scheint so.«
»Sieht ganz so aus, als ob er uns fressen wollte. Was sagte er?«
»Er begrüßte uns als Ungläubige. Wir sind seine Gäste noch nicht und haben uns sehr vorzusehen.«
»Nicht seine Gäste? Wir essen und trinken doch bei ihm!«
»Er hat uns das Brot nicht mit seiner eigenen Hand gegeben, und Salz gar nicht. Er sieht, daß Ihr ein Engländer seid, und die Englishmen scheint er zu hassen.«
»Weßhalb?«
»Weiß es nicht.«
»Einmal fragen!«
»Geht nicht, denn es wäre unhöflich. Ich denke aber, daß wir es noch erfahren werden.«
Wir waren fertig mit dem kleinen Imbiß, und ich erhob mich.
»Du hast uns Speise und Trank gegeben, Mohammed Emin; wir danken Dir und werden Deine Gastfreundschaft rühmen überall, wohin wir kommen. Lebe wohl! Allah segne Dich und die Deinigen!«
Diesen schnellen Abschied hatte er nicht erwartet.
»Warum wollt Ihr mich schon verlassen? Bleibt hier, und ruht Euch aus!«
»Wir werden gehen, denn die Sonne Deiner Gnade leuchtet nicht über uns.«
»Ihr seid dennoch sicher hier in meinem Zelte.«
»Meinest Du? Ich glaube nicht an die Sicherheit im Beyt eines Arab el Schammar.«
Er fuhr mit der Hand nach dem Dolche.
»Willst Du mich beleidigen?«
»Nein; ich will Dir nur meine Gedanken sagen. Das Zelt eines Schammar bietet dem Gastfreunde keine Sicherheit; wie viel weniger also demjenigen, der nicht einmal Gastfreundschaft genießt!«
»Soll ich Dich niederstechen? Wann hat jemals ein Schammar die Gastfreundschaft gebrochen?«
»Sie ist gebrochen worden nicht nur gegen Fremde, sondern sogar gegen Angehörige des eigenen Stammes.«
Das war allerdings eine fürchterliche Beschuldigung, welche ich hier aussprach; aber ich sah nicht ein, aus welchem Grunde ich höflich sein sollte mit einem Manne, der uns wie Bettler aufgenommen hatte.
»Du wirst mich nicht niederstechen, Scheik; denn erstens habe ich die Wahrheit gesprochen, und zweitens würde mein Dolch Dich eher treffen, als der Deinige mich.«
»Beweise die Wahrheit!«
»Ich werde Dir eine Geschichte erzählen. Es gab einen großen, mächtigen Stamm, der wieder in kleinere Ferkah zerfiel. Dieser Stamm war regiert worden von einem großen, tapfern Häuptling, in dessen Herzen aber die List neben der Falschheit wohnte. Die Seinen wurden mit ihm unzufrieden und fielen nach und nach von ihm ab. Sie wandten sich dem Häuptling eines Ferkah zu. Da schickte der Scheik zu dem Häuptling und ließ ihn zu einer Besprechung zu sich laden. Er kam aber nicht. Da sandte der Scheik seinen eigenen Sohn. Dieser war mutig, tapfer und liebte die Wahrheit. Er sprach zu dem Häuptling: ›Folge mir. Ich schwöre Dir bei Allah, daß Du sicher bist im Zelte meines Vaters. Ich werde mit meinem Leben für das Deinige stehen!‹ – Da antwortete der Häuptling: ›Ich würde nicht zu Deinem Vater gehen, selbst wenn er tausend Eide ablegte, mich zu schonen; Dir aber glaube ich. Und um Dir zu zeigen, daß ich Dir vertraue, werde ich ohne Begleitung mit Dir gehen.‹ – Sie setzten sich zu Pferde und ritten davon. Als sie in das Zelt des Scheik traten, war es von Kriegern angefüllt. Der Häuptling wurde eingeladen, sich an der Seite des Scheik niederzulassen. Er erhielt das Mahl und die Rede der Gastfreundschaft, aber nach dem Mahle wurde er überfallen. Der Sohn des Scheik wollte ihn retten, wurde aber festgehalten. Der Oheim des Scheik riß den Häuptling zu sich nieder, klemmte den Kopf desselben zwischen seine Kniee, und so wurde dem Verrathenen mit Messern der Kopf abgewürgt, wie man es bei einem Schafe thut. Der Sohn zerriß seine Kleider und machte seinem Vater Vorwürfe, mußte aber fliehen, sonst wäre er wohl ermordet worden. Kennst Du diese Geschichte, Scheik Mohammed Emin?«
»Ich kenne sie nicht. So eine Geschichte kann nicht geschehen.«
»Sie ist geschehen und zwar in Deinem eigenen Stamme. Der Verrathene hieß Nedschris, der Sohn Ferhan, der Oheim Hadschar, und der Scheik war der berühmte Scheik Sofuk vom Stamme der Schammar.«
Er wurde verlegen.
»Woher kennst Du diese Namen? Du bist kein Schammar, kein Obeïde, kein Abu-Salman. Du redest die Sprache der westlichen Araber, und Deine Waffen sind nicht diejenigen der Araber von El Dschesireh. Von wem hast Du diese Geschichte erfahren?«
»Die Schande eines Stammes wird ebenso ruchbar wie der Ruhm eines Volkes. Du weißt, daß ich die Wahrheit gesprochen habe. Wie kann ich Dir vertrauen? Du bist ein Haddedihn; die Haddedihn gehören zu den Schammar, und Du hast uns die Gastfreundschaft verweigert. Wir werden gehen.«
Er erhob durch eine Bewegung seines Armes Widerspruch.
»Du bist ein Hadschi und befindest Dich in der Gesellschaft von Giaurs!«
»Woher siehst Du, daß ich ein Hadschi bin?«
»An Deinem HamailEin Kuran, welcher im goldgeschmückten Futteral um den Hals gehängt wird. Nur die Hadschi pflegen ihn zu tragen. Du sollst frei sein. Diese Ungläubigen aber sollen die Dschisijet bezahlen, ehe sie fortgehen.«
»Sie werden sie nicht bezahlen, denn sie stehen unter meinem Schutz.«
»Sie brauchen Deinen Schutz nicht, denn sie stehen unter demjenigen ihres Consuls, den Allah verderben möge!«
»Ist er Dein Feind?«
»Er ist mein Feind. Er hat den Gouverneur von Mossul beredet, meinen Sohn gefangen zu nehmen; er hat die Obeïde, die Abu-Hammed und die Dschowari gegen mich aufgehetzt, daß sie meine Heerden raubten und sich jetzt vereinigen wollen, mich und meinen ganzen Stamm zu verderben.«
»So rufe die andern Stämme der Schammar zu Hilfe!«
»Sie können nicht kommen, denn der Gouverneur hat ein Heer gesammelt, um ihre Weideplätze am Sindschar mit Krieg zu überziehen. Ich bin auf mich selbst angewiesen. Allah möge mich beschützen!«
»Mohammed Emin, ich habe gehört, daß die Obeïde, die Abu-Hammed und die Dschowari Räuber sind. Ich liebe sie nicht: ich bin ein Freund der Schammar. Die Schammar sind die edelsten und tapfersten Araber, die ich kenne; ich wünsche, daß Du alle Deine Feinde besiegen mögest!«
Ich beabsichtigte nicht etwa, mit diesen Worten ein Compliment auszusprechen; sie enthielten vielmehr meine volle Überzeugung. Dies mußte wohl auch aus meinem Tone herausgeklungen haben, denn ich sah, daß sie einen freundlichen Eindruck hervorbrachten.
»Du bist in Wirklichkeit ein Freund der Schammar?« frug er mich.
»Ja, und ich beklage es sehr, daß Zwietracht unter sie gesät wurde, so daß ihre Macht nun fast gebrochen ist.«
»Gebrochen? Allah ist groß, und noch sind die Schammar tapfer genug, um mit ihren Gegnern zu kämpfen. Wer hat Dir von uns erzählt?«
»Ich habe schon vor langer Zeit von Euch gelesen und gehört; die letzte Kunde aber erhielt ich drüben im Belad Arab bei den Söhnen der Ateïbeh.«
»Wie?« frug er überrascht, »Du warst bei den Ateïbeh?«
»Ja.«
»Sie sind zahlreich und mächtig, aber es ruht ein Fluch auf ihnen.«
»Du meinst Scheik Malek, welcher ausgestoßen wurde?«
Er sprang empor.
»Maschallah, Du kennst Malek, meinen Freund und Bruder?«
»Ich kenne ihn und seine Leute.«
»Wo trafest Du sie?«
»Ich stieß auf sie in der Nähe von Dschidda und bin mit ihnen quer durch das Belad Arab nach El Nahman, der Wüste von Maskat, gezogen.«
»So kennst Du sie Alle?«
»Alle.«
»Auch – verzeihe, daß ich von einem Weibe spreche, aber sie ist kein Weib, sondern ein Mann – auch Amscha, die Tochter Malek's, kennst Du?«
»Ich kenne sie. Sie war das Weib von Abu-Seïf und hat Rache an ihm genommen.«
»Hat sie ihre Rache erreicht?«
»Ja; er ist todt. Hadschi Halef Omar, mein Diener, hat ihn gefällt und dafür Hanneh, Amscha's Tochter, zum Weibe erhalten.«
»Dein Diener? So bist Du kein gewöhnlicher Krieger?«
»Ich bin ein Sohn der Uëlad German und reise durch die Länder, um Abenteuer zu suchen.«
»O, jetzt weiß ich es. Du thust, wie Harun al Raschid gethan hat; Du bist ein Scheik, ein Emir und ziehst auf Kämpfe und auf Abenteuer aus. Dein Diener hat den mächtigen Vater des Säbels getödtet, Du als sein Herr mußt noch ein größerer Held sein, als Dein Begleiter. Wo befindet sich dieser wackere Hadschi Halef Omar?«
Es fiel mir natürlich gar nicht ein, dieser mir sehr vortheilhaften Ansicht über mich zu widersprechen. Ich antwortete:
»Du wirst ihn vielleicht bald zu sehen bekommen. Er wird von dem Scheik Malek abgesandt, um die Schammar zu fragen, ob er mit den Seinen unter ihrem Schutze wohnen könne.«
»Sie werden mir willkommen sein, sehr willkommen. Erzähle mir, o Emir, erzähle mir von ihnen!«
Er setzte sich wieder nieder. Ich folgte seinem Beispiele und berichtete ihm über mein Zusammentreffen mit den Ateïbeh, so weit ich es für nöthig hielt. Als ich zu Ende war, reichte er mir die Hand.
»Verzeihe, Emir, daß ich dies nicht wußte. Du hast diese Engländer bei Dir, und sie sind meine Feinde. Nun aber sollt Ihr meine Gäste sein. Erlaube mir, daß ich gehe und das Mahl bestelle.«
Jetzt hatte er mir die Hand gegeben, und nun erst war ich sicher bei ihm. Ich griff unter mein Gewand und zog die Flasche hervor, in welcher sich das ›heilige‹ Wasser befand.
»Du wirst das Mahl bei Bent AmmBent Amm heißt eigentlich Base und ist nebenbei die einzige Form, unter welcher man mit einem Araber von seinem Weibe spricht bestellen?«
»Ja.«
»So grüße sie von mir und weihe sie mit einigen Tropfen aus diesem Gefäße. Es ist das Wasser vom Brunnen Zem-Zem. Allah sei mit ihr!«
»Sihdi, Du bist ein tapferer Held und ein großer Heiliger. Komm und besprenge sie selbst. Die Frauen der Schammar fürchten sich nicht, ihr Gesicht sehen zu lassen vor den Männern.«
Ich hatte allerdings bereits gehört, daß die Weiber und Mädchen der Schammar keine Freundinnen des Schleiers seien, und war ja auch während meines heutigen Rittes vielen von ihnen begegnet, deren Gesicht ich unverhüllt gesehen hatte. Er erhob sich wieder und winkte mir, ihm zu folgen. Unser Weg ging nicht weit. In der Nähe seines Zeltes stand ein zweites. Als wir dort eingetreten waren, bemerkte ich drei Araberinnen und zwei schwarze Mädchen. Die Schwarzen waren jedenfalls Sklavinnen, die Anderen aber jedenfalls seine Frauen. Zwei von ihnen rieben zwischen zwei Steinen Gerste zu Mehl, die Dritte aber leitete von einem erhöhten Standpunkte aus diese Arbeit. Sie war offenbar die Gebieterin.
In einer Ecke des Zeltes standen mehrere mit Reis, Datteln, Kaffee, Gerste und Bohnen gefüllte Säcke, über welche ein kostbarer Teppich gebreitet war; dies bildete den Thron der Gebieterin. Sie war noch jung, schlank und von hellerer Gesichtsfarbe als die anderen Frauen; ihre Züge waren regelmäßig, ihre Augen dunkel und glänzend. Sie hatte die Lippen dunkelroth und die Augenbrauen schwarz und zwar in der Weise gefärbt, daß sie über der Nase zusammentrafen. Stirn und Wangen waren mit Schönheitspflästerchen belegt, und an den bloßen Armen und Füßen konnte man eine tiefrothe Tättowirung bemerken. Von einem jeden Ohre hing ein großer goldener Ring bis zur Taille herab, und auch die Nase war mit einem sehr großen Ring versehen, an dem mehrere große edle Steine funkelten: – er mußte ihr beim Essen sehr im Wege sein. Um ihren Nacken hingen ganze, dicke Reihen von Perlen, Korallenstücken, assyrischen Zylindern und bunten Steinen, und lose silberne Ringe umgaben ihre Knöchel, Arm- und Handgelenke. Die andern Frauen waren weniger geschmückt.
»Sallam!« grüßte der Scheik. »Hier bringe ich Euch einen Helden vom Stamme der German, der ein großer Heiliger ist und Euch mit dem Segen des Zem-Zem begnadigen will.«
Sofort warfen sich sämmtliche Frauen auf die Erde. Auch die Vornehmste glitt von ihrem Throne und kniete nieder. Ich ließ einige Tropfen Wasser in die Hand laufen und spritzte sie über die Gruppe aus.
»Nehmt hin, Ihr Blumen der Wüste! Der Gott aller Völker erhalte Euch lieblich und froh, daß Euer Duft erquicke das Herz Eures Gebieters!«
Als sie bemerkten, daß ich das Gefäß wieder zu mir steckte, erhoben sie sich und beeilten sich, mir zu danken. Dies geschah einfach durch einen Druck der Hand, ganz so wie im Abendlande. Dann gebot der Scheik:
»Nun tummelt Euch, ein Mahl zu bereiten, welches dieses Mannes würdig ist. Ich werde Gäste laden, daß mein Zelt voll werde und Alle sich freuen über die Ehre, welche uns heute widerfahren ist.«
Wir kehrten in sein Zelt zurück. Während ich eintrat, verweilte er noch vor demselben, um einigen Beduinen seine Befehle zu ertheilen.
»Wo waret Ihr?« frug Sir Lindsay.
»Im Zelte der Frauen.«
»Ah! Nicht möglich!«
»Und doch!«
»Diese Weiber lassen sich sehen?«
»Warum nicht?«
»Hm! Wundervoll! Hier bleiben! Auch Weiber ansehen!«
»Je nach Umständen. Man hält mich für einen frommen Mann, da ich Wasser aus dem Brunnen des Zem-Zem habe, von dem nach dem Glauben dieser Leute ein Tropfen Wunder thut.«
»Ah! Miserabel! Habe kein Zem-Zem!«
»Würde Euch auch nichts helfen, da Ihr nicht Arabisch versteht!«
»Sind hier Ruinen?«
»Nein. Aber ich glaube, daß wir nicht weit zu gehen hätten, um solche zu finden.«
»Dann einmal fragen! Ruinen finden; Fowling-bull ausgraben! War übrigens ein schauderhaftes Essen hier!«
»Wird besser. Wir werden sogleich einen echt arabischen Schmaus bekommen!«
»Ah! Schien mir nicht danach auszusehen, der Scheik.«
»Seine Ansicht über uns hat sich geändert. Ich kenne einige Freunde von ihm, und das hat uns das Gastrecht hier erworben. Aber laßt die Diener abtreten. Es könnte die Araber beleidigen, wenn sie mit ihnen in einem Raume sein müssen.«
Als der Scheik wieder erschienen war, dauerte es nicht lange, so versammelten sich die Geladenen. Es waren ihrer so Viele, daß das Zelt wirklich voll wurde. Sie lagerten sich je nach ihrem Range im Kreise herum, während der Scheik zwischen mir und dem Engländer in der Mitte saß. Bald ward auch das Mahl von den Sklavinnen in das Zelt gebracht und von einigen Beduinen aufgetragen.
Zunächst wurde ein Sufrah vor uns hingelegt. Dies ist eine Art Tischtuch von gegerbtem Leder, das an seinem Rande mit farbigen Streifen, Fransen und Verzierungen versehen ist. Es enthält zugleich eine Anzahl von Taschen und kann, wenn es zusammengelegt worden ist, als Vorrathstasche für Speisewaaren benützt werden. Dann wurde der Kaffee gebracht. Für jetzt erhielt jeder Geladene nur ein kleines Täßchen voll dieses Getränkes. Dann kam eine Schüssel mit Salatah. Dies ist ein sehr erfrischendes Gericht und besteht aus geronnener Milch mit Gurkenschnittchen, die etwas gesalzen und gepfeffert sind. Zugleich wurde ein Topf vor den Scheik gesetzt. Er enthielt frisches Wasser, aus welchem die Hälse von drei Flaschen ragten. Zwei von ihnen enthielten, wie ich bald merkte, Araki, und die dritte war mit einer wohlriechenden Flüssigkeit gefüllt, mit welcher uns der Herr nach jedem Gange bespritzte.
Nun kam ein ungeheurer Napf voll flüssiger Butter. Sie wird hier Samn genannt und von den Arabern sowohl als Einleitung und Nachtisch, als auch zu jeder anderen Zeit mit Vorliebe gegessen und getrunken. Dann wurden kleine Körbchen mit Datteln vorgesetzt. Ich erkannte die köstliche, flach gedrückte El Schelebi, welche etwa so verpackt wird, wie bei uns die Feige oder die Prunelle. Sie ist ungefähr zwei Zoll lang, kleinkernig und von ebenso herrlichem Geruch wie Geschmack. Dann sah ich die seltene Adschwa, welche niemals in den Handel kommt; denn der Prophet hat von ihr gesagt: Wer das Fasten durch den täglichen Genuß von sechs oder sieben Adschwa bricht, der braucht weder Gift noch Zauber zu fürchten. – Auch die Hilwah, die süßeste, die Dschuseirijeh, die grünste, und El Birni und El Seihani waren vertreten. Für die minder vornehmen Gäste waren Balah, am Baume getrocknete Datteln, nebst Dschebeli und Hylajeh vorhanden. Auch Kelladat el Scham, syrische Halsbänder, lagen da. Dies sind Datteln, welche man in noch unreifem Zustande in siedendes Wasser taucht, damit sie ihre gelbe Farbe behalten sollen; dann reiht man sie auf eine Schnur und läßt sie in der Sonne trocknen.
Nach den Datteln trug man ein Gefäß mit Kunafah, d. i. mit Zucker bestreute Nudeln, auf. Nun hob der Wirt die Hände empor.
»Bismillah!« rief er und gab damit das Zeichen zum Beginn des Mahles.
Er langte mit den Fingern in die einzelnen Näpfe, Schüsseln und Körbe und steckte erst mir, dann dem Engländer dasjenige, was er für das Beste hielt, in den Mund. Ich hätte allerdings lieber meine eigenen Finger gebraucht, aber ich mußte ihn gewähren lassen, da ich ihn sonst unverzeihlich beleidigt hätte. Master Lindsay aber zog, als er die erste Nudel in den Mund gestopft erhielt, diesen seinen Mund nach seiner bekannten Weise in ein Trapezoid und machte ihn nicht eher wieder zu, als bis ich ihn aufmerksam machte:
»Eßt, Sir, wenn Ihr diese Leute nicht tödtlich beleidigen wollt!«
Er klappte den Mund zu, schluckte den Bissen hinunter und meinte dann, natürlich in englischer Sprache:
»Brr! Ich habe doch Messer und Gabel in meinem Besteck bei mir!«
»Laßt sie stecken! Wir müssen uns nach der Sitte des Landes richten.«
»Schauderhaft!«
»Was sagt dieser Mann?« frug der Scheik.
»Er ist ganz entzückt über Dein Wohlwollen.«
»O, ich liebe Euch!«
Bei diesen Worten fuhr er mit der Hand in die saure Milch und klebte dem ehrenwerthen Master Englishman eine Portion unter die lange Nase. Der so Beglückte schnaubte einige Male, um sich Luft und Muth zu machen, und versuchte dann, die Gabe des Wohlwollens mittelst seiner Zunge von dem unteren Theile seines Angesichtes hinweg in das Innere derjenigen Öffnung zu bringen, welche der Vorhof des Verdauungsapparates genannt werden muß.
»Schrecklich!« lamentirte er dann. »Muß ich das wirklich leiden?«
»Ja.«
»Ohne Gegenwehr?«
»Ohne! Aber rächen könnt Ihr Euch.«
»Wie so?«
»Paßt auf, wie ich es mache, und thut dann ebenso!«
Ich langte in die Nudeln und steckte dem Scheik eine Portion davon in den Mund. Er hatte sie noch nicht verschluckt, so griff David Lindsay in die flüssige Butter und langte ihm eine Handvoll zu. Was ich von dem Scheik als einem Moslem nicht erwartet hatte, das geschah; er nahm die Gabe eines Ungläubigen ohne Sträuben an. Jedenfalls behielt er sich vor, sich später zu waschen und durch ein längeres oder kürzeres Fasten sich von dem Vergehen wieder zu reinigen.
Während wir Beide auf diese Weise von dem Scheik gespeist wurden, theilte ich meine Gaben reichlich unter die Andern aus. Sie hielten das für eine große Bevorzugung durch mich und boten mir den Mund mit sichtbarem Vergnügen dar. Bald war von dem Vorhandenen nichts mehr zu sehen.
Nun klatschte der Scheik laut in die Hände. Man brachte eine Sini. Das ist eine sehr große, mit Zeichnungen und Inschriften versehene Schüssel von fast sechs Fuß im Umfange. Sie war gefüllt mit Birgani, einem Gemenge von Reis und Hammelfleisch, welches in zerlassener Butter schwamm. Dann kam ein Warah Maschi, ein stark gewürztes Ragout aus Hammelschnitten, nachher Kahab, kleine, auf spitze Holzstäbchen gespießte Bratenstückchen, dann Kima, gekochtes Fleisch, eingelegte Granaten, Äpfel und Quitten und endlich Raha, ein Zuckerwerk von der Art, wie auch wir es in verschiedenen Sorten beim Nachtisch zu naschen pflegen.
Endlich? O nein! Denn als ich das Mahl beendet glaubte, wurde noch das Hauptstück desselben gebracht: ein Hammel, ganz am Spieße gebraten. Ich konnte nicht mehr essen.
»El Hamd ul illah!« rief ich daher, steckte meine Hände in den Wassertopf und trocknete sie mir an meinem Gewande ab.
Das war das Zeichen, daß ich nicht mehr essen würde. Der Morgenländer kennt bei Tafel das sogenannte lästige ›Nötigen‹ nicht. Wer sein ›El Hamd‹ gesagt hat, wird nicht weiter beachtet. Das bemerkte der Engländer.
»El Hamdillah!« rief auch er, fuhr mit der Hand in das Wasser und – betrachtete sie dann sehr verlegen.
Der Scheik bemerkte das und hielt ihm sein Haïk entgegen.
»Sage Deinem Freunde,« meinte er zu mir, »daß er seine Hände an meinem Kleide trocknen möge. Die Engländer verstehen wohl nicht viel von Reinlichkeit, denn sie haben nicht einmal ein Gewand, an welchem sie sich abtrocknen können.«
Ich gab Lindsay das Anerbieten des Scheik zu verstehen, und er machte hierauf den ausgiebigsten Gebrauch davon.
Nun wurde von dem Araki gekostet, und dann ward einem Jeden der Kaffee und eine Pfeife gereicht. Nun erst begann der Scheik, mich den Seinen vorzustellen:
»Ihr Männer vom Stamme der Haddedihn el Schammar, dieser Mann ist ein großer Emir und Hadschi aus dem Lande der Uëlad German; sein Name lautet – –«
»Hadschi Kara Ben Nemsi,« fiel ich ihm in die Rede.
»Ja, sein Name lautet Emir Hadschi Kara Ben Nemsi; er ist der größte Krieger seines Landes und der weiseste Taleb seines Volkes. Er hat den Brunnen Zem-Zem bei sich und geht in alle Länder, um Abenteuer zu suchen. Wißt Ihr nun, was er ist? Ein Dschihad ist er. Laßt uns sehen, ob es ihm gefällt, mit uns gegen unsere Feinde zu ziehen!«
Das brachte mich in eine ganz eigenthümliche, unerwartete Lage. Was sollte ich antworten? Denn eine Antwort erwarteten Alle von mir, das war ihren auf mich gerichteten Blicken anzusehen. Ich entschloß mich kurz:
»Ich kämpfe für alles Rechte und Gute gegen Alles, was unrecht und falsch ist. Mein Arm gehört Euch; vorher aber muß ich diesen Mann, meinen Freund, dahin bringen, wohin ihn zu geleiten ich versprochen habe.«
»Wohin ist das?«
»Das muß ich Euch erklären. Vor mehreren tausend Jahren lebte in diesem Lande ein Volk, welches große Städte und herrliche Paläste besaß. Das Volk ist untergegangen, und seine Städte und Paläste liegen verschüttet unter der Erde. Wer in die Tiefe gräbt, der kann sehen und lernen, wie es vor Jahrtausenden gewesen ist, und dies will mein Freund thun. Er will in der Erde suchen nach alten Zeichen und Schriften, um sie zu enträthseln und zu lesen – – –«
»Und nach Gold, um es mitzunehmen,« fiel der Scheik ein.
»Nein,« antwortete ich. »Er ist reich; er hat Gold und Silber, so viel er braucht. Er sucht nur Schriften und Bilder; alles Andere will er den Bewohnern dieses Landes lassen.«
»Und was sollst Du dabei thun?«
»Ich soll ihn an eine Stelle führen, an der er findet, was er sucht.«
»Dazu braucht er Dich nicht, und Du kannst immerhin mit uns in den Kampf ziehen. Wir selbst werden ihm genug solche Stellen zeigen. Das ganze Land ist voller Ruinen und Trümmer.«
»Aber es kann Niemand mit ihm sprechen, wenn ich nicht bei ihm bin. Ihr versteht nicht seine Sprache, und er kennt nicht die Eurige.«
»So mag er zuvor mit uns in den Kampf ziehen, und dann werden wir Euch viele Orte zeigen, wo Ihr Schriften und Bilder finden könnt.«
Lindsay merkte, daß von ihm die Rede war.
»Was sagen sie?« frug er mich.
»Sie fragen mich, was Ihr in diesem Lande wollt.«
»Habt Ihr es ihnen gesagt, Sir?«
»Ja.«
»Daß ich Fowling-bulls ausgraben will?«
»Ja.«
»Nun?«
»Sie wollen, ich soll nicht bei Euch bleiben.«
»Was sonst machen?«
»Mit ihnen in den Kampf ziehen. Sie halten mich für einen großen Helden.«
»Hm! Wo finde ich Fowling-bulls?«
»Sie wollen Euch solche zeigen.«
»Ah! Aber ich verstehe diese Leute nicht!«
»Das habe ich Ihnen gesagt.«
»Was geantwortet?«
»Ihr sollt mit in den Kampf ziehen, und dann wollen sie uns zeigen, wo Inschriften und dergleichen zu finden sind.«
»Well! Wir ziehen mit ihnen!«
»Das geht ja nicht!«
»Warum nicht?«
»Wir gefährden uns dabei. Was gehen uns die Feindseligkeiten Anderer an?«
»Nichts. Aber eben darum können wir gehen, mit wem wir wollen.«
»Das ist sehr zu überlegen.«
»Fürchtet Ihr Euch, Sir?«
»Nein.«
»Ich dachte! Also mitziehen! Sagt es ihnen!«
»Ihr werdet Euch noch anders besinnen.«
»Nein!«
Er drehte sich auf die Seite, und das war ein untrügliches Zeichen, daß er sein letztes Wort gesagt habe. Ich wandte mich also wieder an den Scheik:
»Ich habe Dir vorhin gesagt, daß ich für alles Rechte und Gute kämpfe. Ist Eure Sache recht und gut?«
»Soll ich sie Dir erzählen?«
»Ja.«
»Hast Du von dem Stamme der Dschehesch gehört?«
»Ja. Es ist ein treuloser Stamm. Er verbindet sich sehr oft mit den Abu Salman und den Tai-Arabern, um die Nachbarstämme zu berauben.«
»Du weißt es. Er fiel über den meinigen her und raubte uns mehrere Heerden; wir aber eilten ihm nach und nahmen ihm Alles wieder. Nun hat uns der Scheik der Dschehesch beim Gouverneur verklagt und ihn bestochen. Dieser schickte zu mir und entbot mich mit den vornehmsten Kriegern meines Stammes zu einer Besprechung nach Mossul. Ich hatte eine Wunde erhalten und konnte weder reiten noch gehen. Darum sandte ich meinen Sohn mit fünfzehn Kriegern zu ihm. Er war treulos, nahm sie gefangen und schickte sie an einen Ort, den ich noch nicht erfahren habe.«
»Hast Du Dich nach ihnen erkundigt?«
»Ja, aber ohne Erfolg, da kein Mann meines Stammes sich nach Mossul wagen kann. Die Stämme der Schammar waren entrüstet über diesen Verrath und tödteten einige Soldaten des Gouverneurs. Nun rüstet er gegen sie und hat zugleich die Obeïde, die Abu Hammed und die Dschowari gegen mich gehetzt, obgleich sie nicht unter seine Hoheit, sondern nach Bagdad gehören.«
»Wo lagern Deine Feinde?«
»Sie rüsten erst.«
»Willst Du Dich nicht mit den andern Schammarstämmen vereinigen?«
»Wo sollten da unsere Heerden Weide finden?«
»Du hast recht. Ihr wollt Euch theilen und den Gouverneur in die Wüste locken, um ihn zu verderben?«
»So ist es. Er mit seinem Heere kann den Schammar nichts thun. Anders aber ist es mit meinen Feinden; sie sind Araber; ich darf sie nicht bis zu meinen Weideplätzen kommen lassen.«
»Wie viel Krieger zählt Dein Stamm?«
»Elf hundert.«
»Und Deine Gegner?«
»Mehr als dreimal so viel.«
»Wie lange dauert es, die Krieger Deines Stammes zu versammeln?«
»Einen Tag.«
»Wo haben die Obeïde ihr Lager?«
»Am untern Laufe des Zab-asfal.«
»Und die Abu Hammed?«
»In der Nähe von El Fattha, an der Stelle, wo der Tigris durch die Hamrinberge bricht.«
»Auf welcher Seite?«
»Auf beiden.«
»Und die Dschowari?«
»Zwischen dem Dschebel Kernina und dem rechten Ufer des Tigris.«
»Hast Du Kundschafter ausgesandt?«
»Nein.«
»Das hättest Du thun sollen.«
»Es geht nicht. Jeder Schammar ist sofort zu erkennen, und wäre verloren, wenn man ihm begegnete. Aber – – –«
Er hielt inne und blickte mich forschend an. Dann fuhr er fort:
»Emir, Du bist wirklich der Freund von Malek, dem Ateïbeh?«
»Ja.«
»Und auch unser Freund?«
»Ja.«
»Komm mit mir; ich werde Dir etwas zeigen!«
Er verließ das Zelt. Ich folgte ihm mit dem Engländer und allen anwesenden Arabern. Neben dem großen Zelte hatte man während unseres Mahles ein kleineres für die beiden Diener aufgeschlagen, und im Vorübergehen bemerkte ich, daß man auch sie mit Speise und Trank bedacht hatte. Außerhalb des Zeltkreises standen die Pferde des Scheik angebunden; zu ihnen führte er mich. Sie waren alle ausgezeichnet, zwei aber entzückten mich förmlich. Eines war eine junge Schimmelstute, das schönste Geschöpf, welches ich jemals gesehen hatte. Seine Ohren waren lang, dünn und durchscheinend, die Nasenlöcher hoch, aufgeblasen und tief roth, Mähne und Schweif wie Seide.
»Herrlich!« rief ich unwillkürlich.
»Sage: Masch Allah!« bat mich der Scheik.
Der Araber ist nämlich in Beziehung auf das sogenannte ›Beschreien‹ sehr abergläubig. Wem irgend etwas sehr gefällt, der hat ›Masch Allah‹ zu sagen, wenn er nicht sehr anstoßen will.
»Masch Allah!« antwortete ich.
»Glaubst Du, daß ich auf dieser Stute den wilden Esel des Sindschar müde gejagt habe, bis er zusammenbrach?«
»Unmöglich!«
»Bei Allah, es ist wahr! Ihr könnt es bezeugen!«
»Wir bezeugen es!« riefen die Araber wie aus einem Munde.
»Diese Stute geht nur mit meinem Leben von mir,« erklärte der Scheik. »Welches Pferd gefällt Dir noch?«
»Dieser Hengst. Siehe diese Gliederung, diese Symmetrie, diesen Adel und diese wunderseltene Färbung, ein Schwarz, welches in das Blau übergeht!«
»Das ist noch nicht alles. Der Hengst hat die drei höchsten Tugenden eines guten Pferdes.«
»Welche?«
»Schnellfüßigkeit, Muth und einen langen Athem.«
»An welchen Zeichen erkennst Du dies?«
»Die Haare wirbeln sich an der Croupe: das zeigt, daß er schnellfüßig ist; sie wirbeln sich am Beginn der Mähne: das zeigt, daß er einen langen Athem hat, und sie wirbeln sich ihm in der Mitte der Stirne: das zeigt, daß er einen feurigen, stolzen Muth besitzt. Er läßt seinen Reiter nie im Stich und trägt ihn durch tausend Feinde. Hast Du einmal ein solches Pferd besessen?«
»Ja.«
»Ah! So bist Du ein sehr reicher Mann.«
»Es kostete mich nichts – es war ein Mustang.«
»Was ist ein Mustang?«
»Ein wildes Pferd, welches man sich erst einfangen und zähmen muß.«
»Würdest Du diesen Rapphengst kaufen, wenn ich wollte und wenn Du könntest?«
»Ich würde ihn auf der Stelle kaufen.«
»Du kannst ihn Dir verdienen!«
»Ah! Unmöglich!«
»Ja. Du kannst ihn zum Geschenk erhalten.«
»Unter welcher Bedingung?«
»Wenn Du uns sichere Kundschaft bringst, wo die Obeïde, Abu Hammed und Dschowari sich vereinigen werden.«
Beinahe hätte ich ein »Juchhei!« hinausgejubelt. Der Preis war hoch, aber das Roß war noch mehr werth. Ich besann mich nicht lange.
»Bis wann verlangst Du diese Nachricht?«
»Bis Du sie bringen kannst.«
»Und wann erhalte ich das Pferd?«
»Wenn Du zurückgekehrt bist.«
»Du hast recht; ich kann es nicht eher verlangen; aber dann kann ich Deinen Auftrag auch nicht ausführen.«
»Warum?«
»Weil vielleicht Alles darauf ankommt, daß ich ein Pferd reite, auf welches ich mich in jeder Beziehung verlassen kann.«
Er blickte zu Boden.
»Weißt Du, daß bei einem solchen Vorhaben der Hengst sehr leicht verloren gehen kann?«
»Ich weiß es; es kommt auch auf den Reiter an. Aber wenn ich ein solches Pferd unter mir habe, so wüßte ich keinen Menschen, der mich oder das Thier fangen könnte.«
»Reitest Du so gut?«
»Ich reite nicht so wie Ihr; ich müßte das Pferd eines Schammar erst an mich gewöhnen.«
»So sind wir Dir überlegen!«
»Überlegen? Seid Ihr gute Schützen?«
»Wir schießen im Galopp die Taube vom Zelte.«
»Gut. Leihe mir den Hengst und schicke zehn Krieger hinter mir her. Ich werde mich nicht auf tausend Lanzenlängen von Deinem Lager entfernen und gebe ihnen die Erlaubniß, auf mich zu schießen, so oft es ihnen beliebt. Sie werden mich nicht fangen und auch nicht treffen.«
»Du sprichst im Scherze, Emir!«
»Ich rede im Ernste.«
»Und wenn ich Dich beim Wort nehme?«
»Gut!«
Die Augen der Araber leuchteten vor Vergnügen. Gewiß war ein jeder von ihnen ein vortrefflicher Reiter; sie brannten vor Verlangen, daß der Scheik auf mein Anerbieten eingehen werde.
Dieser aber blickte sehr unschlüssig vor sich nieder.
»Ich weiß, welcher Gedanke Dein Herz bewegt, o Scheik,« sagte ich ihm. »Sieh mich an! Trennt ein Mann sich von solchen Waffen, wie ich sie trage?«
»Nie!«
Ich entledigte mich derselben und legte sie vor ihm nieder.
»Sieh, hier lege ich sie Dir zu Füßen, als Pfand, daß ich nicht gekommen bin, Dir den Hengst zu rauben; und wenn dies noch nicht genug ist, so sei mein Wort und auch hier mein Freund Dir Pfand.«
Jetzt lächelte er beruhigt.
»Es sei, also zehn Mann?«
»Ja, auch Zwölf oder Fünfzehn.«
»Die auf Dich schießen dürfen?«
»Ja. Wenn ich erschossen werde, wird sie kein Vorwurf treffen. Wähle Deine besten Reiter und Schützen aus!«
»Du bist tollkühn, Emir!«
»Das glaubst Du nur.«
»Sie haben sich nur hinter Dir zu halten?«
»Sie können reiten, wie und wohin sie wollen, um mich zu fangen oder mit ihrer Kugel zu treffen.«
»Allah kerihm, so bist Du bereits jetzt schon ein todter Mann!«
»Aber sobald ich hier an diesem Orte halten bleibe, ist das Spiel zu Ende!«
»Wohl, Du willst es nicht anders. Ich werde meine Stute reiten, um Alles sehen zu können.«
»Erlaube mir zuvor, den Hengst zu probieren!«
»Thue es!«
Ich saß auf, und während der Scheik diejenigen bestimmte, welche mich fangen sollten, merkte ich, daß ich mich auf den Hengst ganz und gar verlassen konnte. Dann sprang ich wieder ab und entfernte den Sattel. Das stolze Thier merkte, daß etwas Ungewöhnliches im Gange sei; seine Augen funkelten, seine Mähne hob sich, und seine Füßchen gingen wie die Füße einer Tänzerin, welche versuchen will, ob das Parkett des Saales ›wichsig‹ genug zum Contre sei. Ich schlang ihm einen Riemen um den Hals und knüpfte eine Schlinge an die eine Seite des fest angezogenen Bauchgurtes.
»Du entfernst den Sattel?« frug der Scheik. »Wozu diese Riemen?«
»Das wirst Du sehr bald sehen. Hast Du die Wahl unter Deinen Kriegern getroffen?«
»Ja; hier sind Zehn!«
Sie saßen bereits auf ihren Pferden; ebenso stiegen alle Araber auf, welche sich in der Nähe befanden.
»So mag es beginnen. Seht Ihr das einzelne Zelt, sechshundert Schritte von hier?«
»Wir sehen es.«
»Sobald ich es erreicht habe, könnt Ihr auf mich schießen; auch sollt Ihr mir gar keinen Vorsprung lassen. Vorwärts!«
Ich sprang auf – der Hengst schoß wie ein Pfeil davon. Die Araber folgten ihm hart auf den Hufen. Es war ein Prachtpferd. Noch hatte ich die Hälfte der angegebenen Entfernung nicht zurückgelegt, als der vorderste Verfolger bereits um fünfzig Schritte zurückgeblieben war.
Jetzt bog ich mich nieder, um den Arm in den Halsriemen und das Bein in die Schlinge zu stecken. Kurz vor dem angegebenen Zelte blickte ich mich um; alle Zehn hielten ihre langen Flinten oder ihre Pistolen schußfertig. Jetzt warf ich das Pferd in einem rechten Winkel herum. Einer der Verfolger parirte sein Pferd mit jener Sicherheit, wie es nur ein Araber zu Stande bringt; es stand, als sei es aus Erz gegossen. Er hob die Flinte empor; der Schuß krachte.
»Allah il Allah, ïa Allah, Wallah, Tallah!« rief es.
Sie glaubten, ich sei getroffen, denn ich war nicht mehr zu sehen. Ich hatte mich nach Art der Indianer vom Pferde geworfen und hing nun mittels des Riemens und der Schlinge an derjenigen Seite desselben, welche den Verfolgern abgewendet war. Ein Blick unter dem Halse des Rappen hindurch überzeugte mich, daß Niemand mehr ziele, und sofort richtete ich mich wieder im Sattel empor, drückte das Pferd wieder nach rechts hinüber und jagte weiter.
»Allah akbar, Maschallah, Allah il Allah!« brauste es hinter mir. Die guten Leute konnten sich die Sache noch nicht erklären.
Sie vermehrten ihre Schnelligkeit und hoben ihre Flinten wieder empor. Ich zog den Rappen nach links, warf mich wieder ab und ritt in einem spitzen Winkel an ihrer Flanke vorüber. Sie konnten nicht schießen, wenn sie nicht das Pferd treffen wollten. Trotzdem die Jagd gefährlich aussah, war sie bei der Vortrefflichkeit meines Pferdes doch nur wie das Kinderhaschen, welches ich Indianern gegenüber allerdings nicht hätte wagen dürfen. Wir jagten einigemal um das außerordentlich ausgedehnte Lager herum; dann galoppierte ich, immer an der Seite des Pferdes hangend, mitten zwischen den Verfolgern hindurch, nach dem Orte, an welchem der Ritt begonnen hatte.
Als ich abstieg, zeigte der Rappe nicht eine Spur von Schweiß oder Schaum. Er war wirklich kaum mit Geld zu bezahlen. Nach und nach kamen auch die Verfolger an. Es waren im ganzen fünf Schüsse auf mich gefallen, natürlich aber hatte keiner getroffen. Der alte Scheik faßte mich bei der Hand.
»Hamdullillah! Preis sei Allah, daß Du nicht verwundet bist! Ich habe Angst um Dich gehabt. Es gibt im ganzen Stamm El Schammar keinen solchen Reiter, wie Du bist!«
»Du irrst. Es gibt in Deinem Stamme sehr viele, welche besser reiten als ich, viel besser; aber sie haben es nicht gewußt, daß sich der Reiter hinter seinem Pferde verbergen kann. Wenn ich von keiner Kugel und von keinem Manne erreicht wurde, so habe ich es nicht mir, sondern diesem Pferde zu danken. Aber, erlaubst Du vielleicht, daß wir das Spiel einmal verändern?«
»Wie?«
»Es soll so bleiben, wie vorhin, nur mit dem Unterschiede, daß ich auch ein Gewehr zu mir nehmen und auf diese zehn Männer schießen kann.«
»Allah kerihm, Allah ist gnädig; er verhüte ein solches Unglück, denn Du würdest sie Alle vom Pferde schießen!«
»So glaubst Du nun wohl, daß ich mich weder vor den Obeïde noch vor den Abu Hammed und den Dschowari fürchte, wenn ich diesen Hengst unter mir habe?«
»Emir, ich glaube es.« – Er rang sichtlich mit einem Entschlusse, dann aber setzte er hinzu: »Du bist Hadschi Kara Ben Nemsi, der Freund meines Freundes Malek, und ich vertraue Dir. Nimm den Hengst und reite gegen Morgen. Bringst Du mir keine Botschaft, so bleibt er mein; bringst Du mir aber genügende Kunde, so ist er Dein. Dann werde ich Dir auch sein Geheimniß sagen.«
»Jedes arabische Pferd nämlich hat, wenn es besser als mittelmäßig ist, sein Geheimniß: das heißt: es ist auf ein gewisses Zeichen eingeübt, auf welches es den höchsten Grad seiner Schnelligkeit entwickelt und dieselbe nicht eher mindert, als bis es entweder zusammenbricht oder von seinem Reiter angehalten wird. Dieser Reiter verräth das geheime Zeichen selbst seinem Freunde, seinem Vater oder Bruder, seinem Sohne und seinem Weibe nicht und wendet es erst dann an, wenn er sich in der allergrößten Todesgefahr befindet.«
»Erst dann?« antwortete ich. »Kann nicht der Fall eintreten, daß nur das Geheimniß mich und das Pferd zu retten vermag?«
»Du hast recht; aber Du bist noch nicht der Besitzer des Rappen.«
»Ich werde es!« rief ich zuversichtlich. »Und sollte ich es nicht werden, so wird das Geheimniß in mir vergraben sein, daß keine Seele es erfahren kann.«
»So komm!«
Er führte mich auf die Seite und flüsterte mir zu:
»Wenn der Rappe fliegen soll, wie der Falke in den Lüften, so lege ihm die Hand leicht zwischen die Ohren und rufe laut das Wort ›Rih‹!«
»Rih, das heißt Wind.«
»Ja, Rih, das ist der Name des Pferdes, denn es ist noch schneller als der Wind; es ist so schnell wie der Sturm.«
»Ich danke Dir, Scheik. Ich werde Deine Botschaft so gut ausführen, als ob ich ein Sohn der Haddedihn oder als ob ich Du selbst wäre. Wann soll ich reiten?«
»Morgen mit Anbruch des Tages, wenn es Dir beliebt.«
»Welche Datteln nehme ich mit für den Rappen?«
»Er frißt nur Balahat. Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie ein so kostbares Pferd zu behandeln ist?«
»Nein.«
»Schlafe heute auf seinem Leibe und sage ihm die hundertste Sure, welche von den schnelleilenden Rossen handelt, in die Nüstern, so wird es Dich lieben und Dir gehorchen bis zum letzten Athemzuge. Kennst Du diese Sure?«
»Ja.«
»Sage sie her!«
Er war wirklich sehr besorgt um mich und sein Pferd. Ich gehorchte seinem Willen:
»Im Namen Allah's, des Allbarmherzigen! Bei den schnelleilenden Rossen mit lärmendem Schnauben, und bei denen, welche stampfend Feuerfunken sprühen, und bei denen, die wetteifernd des Morgens früh auf den Feind einstürmen, die den Staub aufjagen und die feindlichen Schaaren durchbrechen, wahrlich, der Mensch ist undankbar gegen seinen Herrn, und er selbst muß solches bezeugen. Zu unmäßig hängt er der Liebe zu irdischen Gütern an. Weiß er denn nicht, daß dann, wenn Alles herausgenommen ist, was in den Gräbern liegt, und an das Licht gebracht wird, was in des Menschen Brust verborgen war, daß dann an diesem Tage der Herr sie vollkommen kennt?«
»Ja, Du kannst diese Sure. Ich habe sie dem Rappen tausendmal des Nachts vorgesagt; thue dasselbe, und er wird merken, daß Du sein Herr geworden bist. Jetzt aber komm in das Zelt zurück!«
Der Engländer war bisher ein stiller Zuschauer gewesen; nun trat er an meine Seite.
»Warum auf Euch geschossen?«
»Ich wollte ihnen etwas zeigen, was sie noch nicht kennen.«
»Ah, schön, Prachtpferd!«
»Wißt Ihr, Sir, wem es gehört?«
»Dem Scheik!«
»Nein.«
»Wem sonst?«
»Mir.«
»Pah!«
»Mir; wirklich!«
»Sir, mein Name ist David Lindsay, und ich lasse mir nichts weis machen; merkt Euch das!«
»Gut, so behalte ich alles Andere für mich!«
»Was?«
»Daß ich Euch morgen früh verlasse.«
»Warum?«
»Um auf Kundschaft auszureiten. Von der Feindseligkeit wißt Ihr bereits. Ich soll zu erkunden suchen, wann und wo die feindlichen Stämme zusammentreffen, und dafür bekomme ich, wenn es mir gelingt, eben diesen Rappen geschenkt.«
»Glückskind! Werde mitreiten, mithorchen, mitkundschaftern!«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Ihr könnt mir nichts nützen, sondern nur schaden. Eure Kleidung – – –«
»Pah, ziehe mich als Araber an!«
»Ohne ein Wort Arabisch zu verstehen!«
»Richtig! Wie lange ausbleiben?«
»Weiß noch nicht. Einige Tage. Ich muß weit über den kleinen Zab hinunter, und der ist ziemlich weit von hier.«
»Böser Weg! Schlechtes Volk von Arabern!«
»Werde mich in Acht nehmen.«
»Werde dableiben, wenn mir einen Gefallen thun.«
»Welchen?«
»Nicht bloß nach Beduinen forschen.«
»Nach wem sonst noch?«
»Nach schönen Ruinen. Muß nachgraben, Fowling-bull finden, nach London in's Museum schicken!«
»Werde es thun, verlaßt Euch darauf!«
»Well! Fertig; eintreten!«
Wir nahmen unsere früheren Plätze im Zelte ein und verbrachten den Rest des Tages mit allerlei Erzählungen, wie sie der Araber liebt. Am Abend wurde Musik gemacht und gesungen, wobei es nur zwei Instrumente gab: die Rubabah, eine Art Cither mit nur einer Saite, und die Tabl, eine kleine Pauke, welche aber doch im Verhältniß zu den leisen, einförmigen Tönen der Rubabah einen ganz entsetzlichen Lärm machte. Dann wurde das Nachtgebet gesprochen, und wir gingen zur Ruhe.
Der Engländer schlief in dem Zelte des Scheik, ich aber ging zu dem Hengste, welcher auf der Erde lag, und nahm Platz zwischen seinen Füßen. Habe ich ihm die hundertste Sure wirklich in die Nüstern gesagt? Versteht sich! Dabei hat mich nicht etwa der Aberglaube geleitet, bewahre! Das Pferd war an diesen Vorgang gewöhnt; wir wurden also durch denselben schnell vertraut mit einander, und indem ich beim Recitiren der Worte hart an seinen Nüstern athmete, lernte es, wie man sich auszudrücken pflegt, die Witterung seines neuen Gebieters kennen. Ich lag zwischen seinen Füßen, wie ein Kind zwischen den Beinen eines treuen, verständigen Neufundländers. Als der Tag eben graute, öffnete sich das Zelt des Scheik, und der Engländer trat heraus.
»Geschlafen, Sir?« frug er.
»Ja.«
»Ich nicht.«
»Warum?«
»Sehr lebendig im Zelte.«
»Die Schläfer?«
»Nein.«
»Wer sonst?«
»Die Fleas, Lice und Gnats!«
Wer englisch versteht, weiß, wen oder was er meinte; ich mußte lachen.
»An solche Dinge werdet Ihr Euch bald gewöhnen, Sir Lindsay!«
»Nie. Konnte auch nicht schlafen, weil ich an Euch dachte.«
»Warum?«
»Konntet fortreiten, ohne mich noch zu sprechen.«
»Ich hätte auf jeden Fall Abschied von Euch genommen.«
»Wäre vielleicht zu spät gewesen.«
»Warum?«
»Habe Euch viel zu fragen.«
»So fragt einmal zu!«
Ich hatte ihm schon im Laufe des verflossenen Abends allerlei Auskunft ertheilen müssen; jetzt zog er sein Notizbuch hervor.
»Werde mich führen lassen an Ruinen. Muß Arabisch reden. Mir sagen Verschiedenes. Was heißt Freund?«
»Aschab.«
»Feind?«
»Kiman.«
»Muß bezahlen. Was heißt Dollar?«
»Rijahl fransch.«
»Was heißt Geldbeutel?«
»Surrah.«
»Werde Steine graben. Was heißt Stein?«
»Hadschar und auch Hadschr oder Chadschr.«
So frug er mich nach einigen hundert Wörtern, die er sich alle notierte. Dann wurde es im Lager rege, und ich mußte in das Zelt des Scheik kommen, um das Sahur, das Frühmahl, einzunehmen.
Dabei wurde noch vieles berathen; dann nahm ich Abschied, stieg zu Pferde und verließ den Ort, an den ich vielleicht nimmer zurückkehren sollte.