Karl May
Durch die Wüste
Karl May

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Eine Entführung

Ich ließ den Sänger hereinkommen, um mich ein Weilchen mit ihm zu unterhalten, und fand in ihm einen recht gutmüthigen, aber leichtsinnigen Burschen, den ich trotz aller Landsmannschaft sicherlich nicht mit meinem braven Halef vertauscht hätte. Ich ahnte damals nicht, unter was für bösen Verhältnissen ich später mit ihm zusammentreffen würde.

Am Vormittage besuchte ich den Abu el Reïsahn auf seinem Schiffe, und als ich kaum das Mittagsmahl verzehrt hatte, erschien das Boot, welches mich abholen sollte. Halef hatte schon längst fleißigen Ausguck nach demselben gehalten.

»Effendi, fahre ich mit?« frug er.

Ich schüttelte mit dem Kopfe und antwortete scherzend:

»Heute brauche ich Dich nicht.«

»Wie? Du brauchst mich nicht?«

»Nein.«

»Wenn Dir nun etwas begegnet!«

»Was soll mir begegnen?«

»Du kannst in das Wasser fallen.«

»So schwimme ich.«

»Oder Abrahim-Mamur kann Dich tödten. Ich habe es ihm angesehen, daß er Dein Freund nicht ist.«

»So könntest Du mir auch nicht helfen.«

»Nicht? Sihdi, Halef Agha ist der Mann, auf den Du Dich allzeit verlassen kannst!«

»So komm!«

Es war ihm natürlich sehr um sein Backschisch zu thun.

Der Weg wurde ganz in derselben Weise zurückgelegt, doch war ich heute natürlich aufmerksamer auf Alles, was mir von Nutzen sein konnte. Im Garten, den wir durchschreiten mußten, lagen mehrere starke und ziemlich lange Stangen. Sowohl das Außen- wie auch das Innenthor wurden immer mit breiten, hölzernen Riegeln verschlossen, deren Construction ich mir genau merkte. Einen Hund sah ich nirgends, und von dem Bootssteurer erfuhr ich, daß außer dem Herrn, der Kranken und einer alten Wärterin elf Fellahs zu dem Hause gehörten und Nachts auch in demselben schliefen. Der Herr selbst schlief stets auf dem Divan seines Selamlük.

Als ich dort eintrat, kam er mir mit einer sichtlich freundlicheren Miene entgegen, als diejenige war, mit welcher er mich gestern entlassen hatte.

»Sei mir willkommen, Effendi! Du bist ein großer Arzt.«

»So!«

»Sie hat bereits gestern schon gegessen.«

»Ah!«

»Sie hat mit der Wärterin gesprochen.«

»Freundlich?«

»Freundlich und viel.«

»Das ist gut. Vielleicht ist sie bereits in weniger als fünf Tagen vollständig gesund.«

»Und heute früh hat sie sogar ein wenig gesungen.«

»Das ist noch besser. Ist sie schon lange Dein Weib?«

Sogleich verfinsterte sich sein Gesicht.

»Die Ärzte der Ungläubigen sind sehr neugierig!«

»Wißbegierig nur: aber diese Wißbegierde rettet Vielen das Leben oder die Gesundheit, denen Eure Ärzte nicht helfen könnten.«

»War Deine Frage wirklich nothwendig?«

»Sehr!«

»Sie ist noch ein Mädchen, obgleich sie mir gehört.«

»So ist die Hülfe sicher.«

Er führte mich wieder nur bis in das Zimmer, in welchem ich gestern warten mußte und in welchem ich auch heute zurückblieb. Ich sah mich genauer um. Fenster gab es nicht; die Lichtöffnungen waren vergittert. Das hölzerne Gitterwerk war so angebracht worden, daß man es öffnen konnte, indem man ein langes, dünnes Riegelstäbchen herauszog. Schnell entschlossen zog ich es heraus und steckte es so hinter das Gitter, daß es nicht bemerkt werden konnte. Kaum war ich damit fertig, so erschien Abrahim wieder. Hinter ihm trat Senitza ein.

Ich ging auf sie zu und legte ihr meine Fragen vor. Unterdessen spielte ich wie im Eifer für die Sache mit dem Ringe, den mir Isla mitgegeben hatte, und ließ ihn dabei aus den Fingern gleiten. Er rollte hin bis an ihre Füße; sie bückte sich schnell und hob ihn auf. Sofort aber trat Abrahim auf sie zu und nahm ihr ihn aus der Hand. So schnell das ging, sie hatte doch Zeit gehabt, einen Blick auf den Ring zu werfen – sie hatte ihn erkannt, das sah ich an ihrem Zusammenzucken und an der unwillkürlichen Bewegung ihrer Hand nach ihrem Herzen. Nun hatte ich für jetzt weiter nichts mehr hier zu thun.

Abrahim frug, wie ich sie gefunden habe.

»Gott ist gut und allmächtig,« antwortete ich; »er sendet den Seinen Hülfe, oft ehe sie es denken. Wenn er es will, so ist sie morgen bereits gesund. Sie mag die Medizin nehmen, die ich ihr senden werde, und mit Vertrauen warten, bis ich wiederkomme.«

Heute entließ sie mich, ohne ein Wort zu wagen. Im Selamlük harrte Halef bereits mit der Apotheke. Ich gab nichts als ein Zuckerpulver, wofür der kleine Agha ein noch größeres Backschisch als gestern erhielt. Dann ging es wieder stromabwärts zurück.

Der Kapitän erwartete mich bereits bei dem Kaufherrn.

»Hast Du sie gesehen?« rief mir dieser entgegen.

»Ja.«

»Erkannte sie den Ring?«

»Sie erkannte ihn.«

»So weiß sie, daß ich in der Nähe bin!«

»Sie ahnte es. Und wenn sie meine Worte richtig deutet, so weiß sie, daß sie heute Nacht errettet wird.«

»Aber wie?«

»Hassan el Reïsahn, bist Du mit Deinem Lecke fertig?«

»Ich werde fertig bis zum Abend.«

»Bist Du bereit, uns aufzunehmen und nach Kairo zu bringen?«

»Ja.«

»So hört mich! In das Haus führen zwei Thüren, welche aber von innen verriegelt sind; durch sie können wir nicht eindringen. Aber es gibt noch einen zweiten Weg, wenn er auch schwierig ist. Isla Ben Maflei, kannst Du schwimmen?«

»Ja.«

»Gut. Es führt ein Kanal aus dem Nil unter den Mauern hinweg nach einem Bassin, welches in der Mitte des Hofes sich befindet. Kurz nach Mitternacht, wenn Alles schläft, treffen wir dort ein, und Du dringst durch den Kanal und das Bassin in den Hof. Die Thüre, welche Du sofort finden wirst, ist durch einen Riegel verschlossen, der sehr leicht zurückzuschieben ist. Indem Du öffnest, kommst Du in den Garten, dessen Thüre auf gleiche Weise sich öffnen läßt. Sobald die Thüren offen sind, trete ich ein. Wir holen eine Stange aus dem Garten und lehnen sie an die Mauer, um zu dem Gitter emporzusteigen, hinter welchem die Frauengemächer liegen. Ich habe es bereits von innen geöffnet.«

»Und dann?«

»Was dann geschehen soll, muß sich nach den Umständen richten. Wir fahren mit einem Boote bis an Ort und Stelle, wo unsere erste Arbeit sein muß, das Boot Abrahim-Mamur's zu versenken, so daß er uns nicht verfolgen kann. Unterdessen macht der Reïs seine Dahabië segelfertig.«

Ich nahm einen Stift zur Hand und zeichnete den Riß des Hauses auf ein Blatt Papier, so daß Isla Ben Maflei vollständig orientirt war, wenn er heute Abend aus dem Bassin stieg. Der Tag verging vollends unter den nothwendigen Vorbereitungen; der Abend kam, und als es Zeit wurde, rief ich Halef herein und gab ihm die nöthigen Weisungen für das bevorstehende Abenteuer.

Halef packte rasch unsere Habseligkeiten zusammen. Die Wohnungsmiethe war schon voraus bezahlt.

Ich begab mich zu Hassan, und Halef kam sehr bald mit den Sachen nach. Das Schiff war bereit zur Fahrt und brauchte nur noch vom Ufer gelöst zu werden. Nach einiger Zeit stellte sich auch Isla mit seinem Diener ein, der von ihm unterrichtet worden war, und nun stiegen wir in das lange, schmale Boot, welches zur Dahabië gehörte. Die beiden Diener mußten rudern, und ich lenkte das Steuer.

Es war eine jener Nächte, in denen die Natur in so tiefem Vertrauen ruht, als gäbe es auf dem ganzen weiten Erdenrunde kein einziges drohendes Element.

Die leisen Lüfte, welche mit dem Schatten der Dämmerung gespielt hatten, waren zur Ruhe gegangen; die Sterne des Südens lächelten freundlich aus dem tiefblauen Dunkel des Himmels herab, und die Wasser des ehrwürdigen Stromes flutheten ruhig und lautlos dahin in ihrer breiten Bahn. Diese Ruhe herrschte auch in meinem Innern, obgleich es schwer scheint, dies zu glauben.

Es war nichts Leichtes, was wir zu vollbringen gedachten, aber man bebt ja nur vor einem Ereignisse; ist dasselbe jedoch einmal angebahnt, oder gar bereits eingetreten, so hat man mit den Chancen abgeschlossen und kann ohne innere Kämpfe handeln. Eine nächtliche Entführung wäre vielleicht gar nicht nothwendig gewesen; wir hätten vielmehr Abrahim-Mamur vor Gericht angreifen können. Aber wir wußten ja nicht, wie die Verhältnisse lagen und welche rechtlichen und unrechtlichen Mittel ihm zu Gebote standen, sein Anrecht auf Senitza geltend zu machen. Nur von ihr erst konnten wir erfahren, was wir wissen mußten, um gegen ihn aufzutreten, und das konnten wir nur dann erfahren, wenn es uns gelang, sie hinter seinem Rücken in unsere Hände zu bekommen.

Nach einer kleinen Stunde hoben sich die dunklen Umrisse des Gebäudes aus ihrer grauen, steinigen Umgebung hervor. Wir legten eine kurze Strecke unterhalb der Mauer an, und ich stieg zunächst ganz allein aus, um zu recognosciren. Ich fand in der ganzen Umgebung des Hauses nicht die geringste Spur von Leben, und auch innerhalb der Mauern schien Alles in tiefster Ruhe zu liegen. Am Kanale lag das Boot Abrahim's mit den Rudern. Ich stieg ein und brachte es neben unsern Kahn.

»Hier ist das Boot,« sagte ich zu den beiden Dienern. »Fahrt es ein wenig abwärts, füllt es mit Steinen und laßt es sinken. Die Ruder aber können wir gebrauchen. Wir nehmen sie in unser Boot herein, welches ihr nachher nicht anhängen laßt, sondern so bereit haltet, daß wir abstoßen können, sobald wir einsteigen. Isla Ben Maflei, folge mir!«

Ich verließ das Boot, und wir schlichen zum Kanale. Dessen Wasser blickten uns nicht sehr einladend entgegen. Ich warf einen Stein hinein und erkannte dadurch, daß der Kanal nicht tief sei. Isla zog seine Kleider aus und stieg hinein. Das Wasser reichte ihm bis an das Kinn.

»Wird es gehen?« frug ich ihn.

»Mit dem Schwimmen besser als mit dem Gehen. Der Kanal hat so viel Schlamm, daß er mir fast bis an die Kniee reicht.«

»Bist Du noch entschlossen?«

»Ja. Bringe meine Kleider mit zum Thore. Haidi, wohlan!«

Er hob die Beine empor, stieß die Arme aus und verschwand unter der Maueröffnung, durch welche das Wasser führte.

Ich verließ die Stelle nicht sofort, sondern ich wartete noch eine Weile, da es ja sehr leicht möglich war, daß etwas Unvorhergesehenes geschehen konnte, was meine Gegenwart wünschenswerth erscheinen ließ. Ich hatte das Richtige getroffen, denn eben wollte ich mich wenden, als der Kopf des Schwimmers in der Öffnung wieder erschien.

»Du kehrst zurück?«

»Ja. Ich konnte nicht weiter.«

»Warum?«

»Effendi, wir können Senitza nicht befreien!«

»Weßhalb nicht?«

»Die Mauer ist zu hoch – – –«

»Es würde auch nichts helfen, wenn sie niedriger wäre, denn das Haus ist fest verschlossen.«

»Und der Kanal auch.«

»Verschlossen?«

»Ja.«

»Womit?«

»Mit einem starken Holzgitter.«

»Konntest Du es nicht entfernen?«

»Es widersteht aller meiner Kraft.«

»Wie weit ist der Ort von hier?«

»Das Gitter muß sich grad bei der Grundmauer des Hauses befinden.«

»Ich werde einmal nachsehen. Ziehe Dich an; halte meine Kleider und erwarte mich hier.«

Ich warf nur das Obergewand ab und stieg in das Wasser. Mich auf den Rücken legend, schwamm ich vorwärts. Der Kanal war auch im Garten nicht offen, sondern mit steinernen Platten bedeckt. Als ich nach meiner Berechnung das Haus erreicht haben mußte, stieß ich an das Gitter. Es war so breit und hoch wie der Kanal selbst, bestand aus starken, gut eingefügten Holzstangen und war mit eisernen Klammern an die Mauer befestigt. Die Vorrichtung hatte jedenfalls den Zweck, Thiere wie etwa Ratten, Wassermäuse usw. vom Bassin fernzuhalten. Ich rüttelte daran; es gab nicht nach, und ich mußte einsehen, daß es im ganzen nicht zu entfernen sei. Ich faßte einen einzelnen Stab mit beiden Händen, stemmte die hoch emporgezogenen Kniee hüben und drüben gegen die Mauer – ein Ruck aus allen Kräften, und die Stange zerbrach. Jetzt war eine Bresche da, und in Zeit von zwei Minuten hatte ich noch vier Stäbe herausgerissen, so daß eine Öffnung entstanden war, durch welche ich mich zwängen konnte.

Sollte ich zurückkehren, um Isla das Weitere zu überlassen? Nein, denn das wäre Zeitverschwendung gewesen. Ich befand mich nun einmal im Wasser und kannte ja auch die Örtlichkeit genauer als er. Ich passirte also die Öffnung, welche ich mir gemacht hatte, und schwamm weiter fort in dem Wasser, welches durch den aufgewühlten Schlamm ganz dick war. Als ich mich nach meiner ungefähren Berechnung unter dem inneren Hofe befinden mußte, senkte sich plötzlich die Wölbung bis auf die Oberfläche des Wassers herunter, und ich wußte nun, daß ich mich in der Nähe des Bassins befand. Der Kanal glich von hier aus nur noch einer Röhre, welche so vollständig mit Wasser gefüllt war, daß die zum Athmen nöthige Luft fehlte. Die noch übrige Strecke mußte ich also unter Wasser durchkriechen oder tauchend durchschwimmen, was nicht nur höchst unbequem und anstrengend, sondern auch mit größter Gefahr verbunden war. Wie nun, wenn sich ein zweites, unvorhergesehenes Hinderniß in den Weg stellte und ich auch nicht so weit zurückkehren konnte, um den nöthigen Athem zu holen? – – Oder wenn ich beim Emportauchen bemerkt wurde? Es war doch immerhin möglich, daß sich Jemand in dem Hofe befand.

Diese Bedenken durften mich nicht irre machen. Ich sog die Lunge voll Athem, bog mich unter das Wasser und schob mich, halb schwimmend und halb gehend, mit möglichster Schnelligkeit vorwärts.

Eine ziemliche Strecke legte ich so zurück, und schon verspürte ich den eintretenden Luftmangel, als ich mit der Hand wirklich an ein neues Hinderniß stieß. Es war, wie ich fühlte, ein aus einem durchlöcherten Blech bestehendes Siebgitter, welches die ganze Lichte der Kanalröhre einnahm und jedenfalls so zu sagen als Seiher oder Filter des schlammigen, trüben Wassers dienen sollte.

Bei dieser Entdeckung bemächtigte sich eine wirkliche Ängstlichkeit meiner.

Zurück konnte ich nicht mehr, denn ehe ich die Stelle zu erreichen vermochte, wo die höhere Wölbung des Kanals mir gestattet hätte, emporzutauchen und Athem zu schöpfen, war ich jedenfalls schon erstickt, und doch schien das ziemlich starke Siebwerk sehr haltbar befestigt zu sein. Hier gab es freilich nur zwei Fälle: entweder es gelang mir, hindurchzukommen, oder ich mußte elend ertrinken. Es war kein Augenblick zu verlieren.

Ich stemmte mich gegen das Blech – vergebens; ich drückte und preßte mit aller Gewalt dagegen, doch ohne Erfolg. Und wenn ich hindurchkam und hinter ihm nicht sofort das Bassin sich befand, so war ich dennoch verloren. Ich hatte nur noch Luft und Kraft für eine Sekunde; es war mir, als wolle eine fürchterliche Gewalt mir die Lunge zerbersten und den Körper zersprengen – noch eine letzte, die allerletzte Anstrengung; Herr Gott im Himmel, hilf, daß es mir gelingt! Ich fühle den Tod mit nasser, eisiger Hand nach meinem Herzen greifen; er packt es mit grausamer, unerbittlicher Faust und drückt es vernichtend zusammen; die Pulse stocken; die Besinnung schwindet; die Seele sträubt sich mit aller Macht gegen das Entsetzliche; eine krampfhafte, tödtliche Expansion dehnt die erstarrenden Sehnen und Muskeln aus – ich höre keinen Krach, kein Geräusch, aber der Kampf des Todes hat vermocht, was dem Leben nicht gelingen wollte – das Sieb weicht, es geht aus den Fugen, ich fuhr empor. Ein langer, langer, tiefer Athemzug, der mir augenblicklich das Leben wiederbrachte, dann tauchte ich wieder unter. Es konnte ja Jemand im Hofe sein und meinen Kopf bemerken, der grad in der Mitte der kleinen Wasserfläche sichtbar geworden war. Am Rande derselben kam ich vorsichtig wieder auf und blickte mich um.

Es schien kein Mond, aber die Sterne des Südens verbreiteten ein genügendes Licht, um alle Gegenstände unterscheiden zu können. Ich stieg aus dem Bassin und wollte mich leise an die Mauer schleichen, als ich ein leises Knacken vernahm. Ich blickte empor zu den Gittern, hinter denen die Frauengemächer lagen. Hier, rechts über mir war die Stelle, an welcher ich den Riegelstab entfernt hatte, und links davon bemerkte ich eine Spalte in der Vergitterung desjenigen Zimmers, in welches ich nicht hatte treten dürfen. Es war jedenfalls das Schlafzimmer Senitza's. War sie wach geblieben, um mich zu erwarten? Kam das Knacken von dem Gitter, welches sie auch in ihrer Stube geöffnet hatte? War dies der Fall, so hatte sie mich aus dem Wasser steigen sehen und sich jetzt wieder zurückgezogen, da sie mich unmöglich erkennen konnte.

Ich schlich näher und legte die Hände rund um den Mund.

»Senitza!« flüsterte ich leise.

Da wurde die Spalte größer, und ein dunkles Köpfchen erschien.

»Wer bist Du?« hauchte es herab.

»Der Hekim, welcher bei Dir war.«

»Du kommst, mich zu retten?«

»Ja. Du hast es geahnt und meine Worte verstanden?«

»Ja. Bist Du allein?«

»Isla Ben Maflei ist draußen.«

»Ach! Er wird getödtet werden!«

»Von wem?«

»Von Abrahim. Er schläft nicht des Nachts; er wacht. Und die Wärterin liegt in dem Raume neben mir. Halt – horch! Oh, fliehe schnell!«

Dort hinter der Tür, welche zum Selamlük führte, ließ sich ein Geräusch vernehmen. Die Spalte oben schloß sich, und ich eilte augenblicklich zum Bassin zurück. Dort war der einzige Ort, wo ich Zuflucht finden konnte. Vorsichtig, damit das Wasser keine Wellen werfen sollte, die mich verrathen hätten, glitt ich hinein.

Kaum war dies geschehen, so öffnete sich die Thür, und es erschien die Gestalt Abrahim's, der langsam und spähend den Hof umschritt. Ich stand bis zum Munde im Wasser, und mein Kopf war hinter der Einfassung des Bassin verborgen, so daß mich der Egypter nicht gewahr werden konnte. Dieser überzeugte sich, daß das Thor noch verschlossen sei, und verschwand, nachdem er die Runde vollendet hatte, wieder in dem Selamlük.

Jetzt stieg ich wieder aus dem Wasser, glitt zum Thore, schob den Riegel zurück und öffnete. Ich stand im Garten. Rasch eilte ich quer über denselben hinweg, um nun auch das Mauerthor zu öffnen, und dann wollte ich um die Ecke biegen, Isla Ben Maflei zu holen, als dieser eben erschien.

»Hamdulillah, Preis sei Gott, Effendi! Es ist Dir gelungen.«

»Ja, Aber ich kämpfte mit dem Tode. Gib mir mein Gewand!«

Hose und Weste trieften mir von Wasser; ich warf nur die Jacke darüber, um nicht in meinen Bewegungen gehindert zu sein.

»Ich sprach bereits mit Senitza.«

»Ist es wahr, Effendi?«

»Sie hatte mich verstanden und erwartete uns.«

»O komm! Schnell, schnell!«

»Warte noch!«

Ich ging in den Garten, um eine der Stangen zu holen, welche ich gleich bei meiner ersten Anwesenheit bemerkt hatte. Dann traten wir in den Hof. Die Spalte oben im Gitterwerke hatte sich bereits wieder geöffnet.

»Senitza, mein Stern, mein – –« rief Isla mit unterdrückter Stimme, als ich emporgezeigt hatte. Ich unterbrach ihn:

»Um Alles in der Welt, still! Hier ist keine Zeit zu Herzensergüssen. Du schweigst, und nur ich rede!«

Dann wandte ich mich empor zu ihr:

»Bist Du bereit, mit uns zu gehen?«

»Oh, ja!«

»Durch die Zimmer geht es nicht?«

»Nein. Aber drüben hinter den hölzernen Säulen liegt eine Leiter.«

»Ich hole sie!«

Wir brauchten also weder die Stange noch den mitgebrachten Strick. Ich ging und fand die Leiter. Sie war fest. Als ich sie angelehnt hatte, stieg Isla empor. Ich schlich unterdessen nach der Thür zum Selamlük, um zu horchen.

Es dauerte einige Zeit, ehe ich die Gestalt des Mädchens erscheinen sah. Sie stieg herab, und Isla unterstützte Sie dabei. In dem Augenblicke, in welchem sie den Boden erreichten, erhielt die Leiter einen Stoß; sie schwankte und stürzte mit einem lauten Krach zu Boden.

»Flieht! Schnell nach dem Boote!« warnte ich.

Sie eilten nach dem Thore, und zu gleicher Zeit hörte ich Schritte hinter der Thür. Abrahim hatte das Geräusch vernommen und kam herbei. Ich mußte den Fliehenden den Rückzug decken und folgte ihnen also mit nicht zu großer Schnelligkeit. Der Egypter bemerkte mich, sah auch die umgestürzte Leiter und das geöffnete Gitter.

Er stieß einen Schrei aus, der von allen Bewohnern des Hauses gehört werden mußte.

»Chirsytz, hajdut, Dieb, Räuber, halt! Herbei, herbei, Ihr Männer, Ihr Leute, Ihr Sklaven! Hülfe!«

Mit diesen laut gebrüllten Worten sprang er hinter mir her. Da der Orient keine Betten nach Art der unseren kennt und man meist in den Kleidern auf dem Divan schläft, so waren die Bewohner des Hauses alsbald auf den Beinen.

Der Egypter war hart hinter mir. Am Außenthore blickte ich mich um. Er war nur zehn Schritte von mir entfernt, und dort an dem inneren Thore erschien bereits ein zweiter Verfolger.

Draußen bemerkte ich nach rechts Isla Ben Maflei mit Senitza fliehen; ich wandte mich also nach links. Abrahim ließ sich täuschen. Er sah nicht sie, sondern nur mich und folgte mir. Ich sprang um die eine Ecke, in der Richtung nach dem Flusse zu, oberhalb des Hauses, während unser Boot unterhalb desselben lag. Dann rannte ich um die zweite Ecke, das Ufer entlang.

»Halt, Bube! Ich schieße!« erscholl es hinter mir.

Er hatte also die Waffen bei sich gehabt. Ich eilte weiter. Traf mich seine Kugel, so war ich todt oder gefangen, denn hinter ihm folgten seine Diener, wie ich aus ihrem Geschrei vernahm. Der Schuß krachte. Er hatte im Laufen gezielt, statt dabei stehen zu bleiben; das Geschoß flog an mir vorüber. Ich that, als sei ich getroffen, und warf mich zur Erde nieder.

Er stürzte an mir vorbei, denn er hatte nun das Boot bemerkt, in welches Isla eben mit Senitza einstieg. Gleich hinter ihm sprang ich wieder auf. Mit einigen weiten Sprüngen hatte ich ihn erreicht, packte ihn im Nacken und warf ihn nieder.

Das Geschrei der Fellatah erscholl aber jetzt hinter mir. Sie waren mir sehr nahe, da ich mit dem Niederwerfen Zeit und Raum verloren hatte; aber ich erreichte den Kahn und sprang hinein. Sofort stieß Halef vom Ufer, von welchem wir bereits mehrere Bootslängen entfernt waren, als die Verfolger dort ankamen.

Abrahim hatte sich wieder emporgerafft. Er überblickte die ganze Situation.

»Geri,« brüllte er: »geri erkekler – zurück, zurück, Ihr Männer! Geri doghru kajika – zurück, nach dem Boote!«

Alle wandten sich um in der Richtung nach dem Kanale, wo ihr Kahn gelegen hatte. Abrahim kam zuerst an und stieß einen Schrei der Wuth aus. Er sah, daß das Boot verschwunden war.

Wir hatten unterdessen die ruhigeren Gewässer des Ufers verlassen und das schneller strömende Wasser erreicht; Halef und der Barbier aus Jüterbogk ruderten; auch ich nahm eines der aus dem Boote Abrahim's genommenen Ruder; Isla that dasselbe, und so schoß unser Kahn sehr schnell stromabwärts.

Es wurde kein Wort gesprochen; unsere Stimmung war nicht danach, in Worte gefaßt zu werden.

Während des ganzen Abenteuers war doch eine längere Zeit vergangen, so daß jetzt bereits sich der Horizont röthete und man die nebellosen Wasser des Niles weithin zu überblicken vermochte. Noch immer sahen wir Abrahim mit den Seinigen am Ufer stehen, und weiter oben erschien ein Segel, welches in dem Morgenroth erglühte.

»Ein Sandal!« meinte Halef.

Ja, es war ein Sandal, eine jener lang gebauten, stark bemannten Barken, welche so schnell segeln, daß sie fast mit einem Dampfer um die Wette gehen.

»Er wird den Sandal anrufen und uns auf demselben verfolgen,« sagte Isla.

»Hoffentlich ist der Sandal ein Kauffahrer, der nicht auf ihn hört!«

»Wenn Abrahim dem Reïs eine genügende Summe bietet, wird dieser sich nicht weigern.«

»Auch in diesem Falle würden wir einen guten Vorsprung gewinnen. Ehe der Sandal anlegt und der Reïs mit Abrahim verhandelt hat, vergeht einige Zeit. Auch muß sich Abrahim, ehe er an Bord gehen kann, mit allem versehen, was zu einer längeren Reise nothwendig ist, da er nicht wissen kann, welche Ausdehnung die Verfolgung haben wird.«

Das Segel entschwand jetzt unseren Blicken, und wir machten eine so schnelle Fahrt, daß wir nach kaum einer halben Stunde die Dahabië zu Gesicht bekamen, welche uns weiter tragen sollte.

Der alte Abu el Reïsahn lehnte an der Brüstung des Sternes. Er sah, daß eine weibliche Person im Boote saß, und wußte also, daß unser Unternehmen gelungen sei, wenigstens gelungen bis zu diesem Augenblick.

»Legt an,« rief er. »Die Treppe ist niedergelassen!«

Wir stiegen an Bord, und das Boot wurde am Steuer befestigt. Dann ließ man die Seile gehen und zog die Segel auf. Das Fahrzeug drehte den Schnabel vom Land ab; der Wind legte sich in das Leinen, und wir strebten der Mitte des Stromes zu, welcher uns nun abwärts trug.

Ich war zum Reïs getreten.

»Wie ging es?« frug er mich.

»Sehr gut. Ich werde es Dir erzählen; doch sage mir vorher, ob ein guter Sandal Dein Fahrzeug einholen könnte.«

»Werden wir verfolgt?«

»Ich glaube es nicht, doch ist es möglich.«

»Meine Dahabië ist sehr gut, aber ein guter Sandal holt jede Dahabië ein.«

»So wollen wir wünschen, daß wir unverfolgt bleiben!«

Ich erzählte nun den Hergang unseres Abenteuers und ging dann nach der Kajüte, um meine noch immer feuchten Kleider zu wechseln. Sie war in zwei Theile getheilt, einen kleinen und einen größeren. Der erstere war für Senitza und der letztere für den Kapitän, Isla Ben Maflei und mich bestimmt.

Es waren vielleicht zwei Stunden seit unserer Abfahrt vergangen, als ich oberhalb unseres Schiffes die Spitze eines Segels bemerkte, welches sich immer mehr vergrößerte. Als der Rumpf sichtbar wurde, erkannte ich den Sandal, welchen wir in der Frühe gesehen hatten.

»Siehst Du das Schiff?« frug ich den Reïs.

»Allah akbar, Gott ist groß, und Deine Frage ist auch groß,« antwortete er mir. »Ich bin ein Reïs und sollte ein Segel nicht sehen, welches so nahe hinter dem meinigen steuert!«

»Ob es ein Fahrzeug des Khedive ist?«

»Nein.«

»Woraus erkennst Du dies?«

»Ich kenne diesen Sandal sehr genau.«

»Ah!«

»Er gehört dem Reïs Chalid Ben Mustapha.«

»Kennst Du diesen Chalid?«

»Sehr; aber wir sind keine Freunde.«

»Warum?«

»Ein ehrlicher Mann kann nicht der Freund eines Unehrlichen sein.«

»Hm, so ahnt mir etwas.«

»Was?«

»Daß sich Abrahim-Mamur an seinem Bord befindet.«

»Werden es sehen!«

»Was wirst Du thun, wenn der Sandal sich an die Dahabië legen will?«

»Ich muß es zugeben. Das Gesetz sagt es so.«

»Und wenn ich es nicht zugebe?«

»Wie wolltest Du dies anfangen? Ich bin der Reïs meiner Dahabië und habe nach den Vorschriften des Gesetzes zu handeln.«

»Und ich bin der Reïs meines Willens.«

Jetzt trat Isla zu uns. Ich wollte ihm keine zudringliche Frage vorlegen, aber er begann selbst:

»Kara Ben Nemsi, Du bist mein Freund, der beste Freund, den ich gefunden habe. Soll ich Dir erzählen, wie Senitza in die Hände des Egypters gekommen ist?«

»Ich möchte es sehr gern hören, doch zu einer solchen Erzählung gehört die Ruhe und Sammlung, welche wir jetzt nicht haben können.«

»Du bist unruhig? Weßhalb?«

Er hatte das hinter uns segelnde Fahrzeug noch nicht bemerkt.

»Drehe Dich um, und siehe diesen Sandal.«

Er wandte sich um.

»Ist Abrahim an Bord?«

»Ich weiß es nicht, aber es ist sehr leicht möglich, weil der Kapitän ein Schurke ist, der sich von Abrahim erkaufen lassen wird.«

»Woher weißt Du, daß er ein Schurke ist?«

»Abu el Reïsahn sagt es.«

»Ja,« bestätigte dieser; »ich kenne diesen Kapitän und kenne auch sein Schiff. Selbst wenn es weiter entfernt wäre, würde ich es an seinem Segel erkennen, welches dreifach ausgebessert und zusammengeflickt ist.«

»Was werden wir thun?« frug Isla.

»Zunächst abwarten, ob Abrahim sich an Bord befindet.«

»Und wenn er da ist?«

»So kommt er nicht zu uns herüber.«

Unser Schiffsführer prüfte den Fortgang des Sandal und denjenigen, den wir selbst machten, und meinte dann:

»Er kommt uns immer näher. Ich werde eine Triketha beisetzen lassen.«

Dies geschah, aber ich merkte bereits nach einigen Minuten, daß die Entscheidung dadurch höchstens verzögert, nicht aber aufgehoben werde. Der Sandal kam uns immer näher; endlich war er nur noch eine Schiffslänge von uns entfernt und ließ das eine Segel fallen, um seine Schnelligkeit zu vermindern. Wir sahen Abrahim-Mamur auf dem Deck stehen.

»Er ist da!« sagte Isla.

»Wo steht er?« frug der Reïs.

»Ganz vorn am Buge.«

»Dieser? Kara Ben Nemsi, was thun wir? Sie werden uns ansprechen, und wir müssen ihnen antworten.«

»Wer hat nach Deinen Gesetzen zu antworten?«

»Ich, der Inhaber meiner Dahabië.«

»Merke auf, was ich Dir sage, Abu el Reïsahn. Bist Du bereit, mir Dein Schiff von hier bis Kahira zu vermiethen?«

Der Kapitän sah mich erstaunt an, begriff dann aber gleich, was ich für einen Zweck verfolgte.

»Ja,« antwortete er.

»Dann bin also ich der Inhaber?«

»Ja.«

»Und Du als Reïs mußt thun, was ich will?«

»Ja.«

»Und bist für nichts verantwortlich?«

»Nein.«

»Gut. Rufe Deine Leute zusammen!«

Auf seinen Ruf kamen Alle herbei.

»Ihr Männer, ich sage Euch, daß dieser Effendi, welcher Kara Ben Nemsi heißt, unsere Dahabië von hier bis nach Kahira gemiethet hat,« erklärte ihnen der Kapitän. »Ist es nicht so?«

»Ja, es ist so,« bestätigte ich.

»Ihr könnt mir also bezeugen, daß ich nicht mehr Herr des Schiffes bin?« frug er die Leute.

»Wir bezeugen es.«

»So geht an Eure Plätze. Das aber müßt Ihr wissen, daß ich die Leitung des Schiffes behalte, denn Kara Ben Nemsi hat es mir befohlen.«

Sie entfernten sich, sichtlich befremdet über die sonderbare Mittheilung, welche ihnen geworden war.

Mittlerweile war der Sandal in gleiche Linie mit uns gekommen. Der Kapitän desselben, ein alter langer, sehr hagerer Mann, mit einer Reiherfeder auf dem Tarbusch, trat an die Bordung und frug herüber:

»Ho, Dahabië, welcher Reïs?«

Ich neigte mich vor und antwortete:

»Reïs Hassan.«

»Hassan Abu el Reïsahn?«

»Ja.«

»Schön, kenne ihn,« antwortete er mit schadenfroher Miene. »Ihr habt ein Weib an Bord?«

»Ja.«

»Gebt es heraus!«

»Chalid Ben Mustapha, Du bist verrückt!«

»Wird sich finden. Wir werden bei Euch anlegen.«

»Das werden wir verhindern.«

»Wie willst Du dies anfangen?«

»Das will ich Dir sofort zeigen. Merke auf die Feder an Deinem Tarbusch!«

Ich erhob sehr schnell die Büchse, welche ich, ohne daß er sie gesehen hatte, bereit gehalten hatte, zielte und drückte los. Die Feder flog herab. Selbst das entsetzlichste Unglück hätte den würdigen Ben Mustapha nicht so in Aufregung versetzen können, wie dieser Warnungsschuß. Er fuhr so hoch in die Luft, als beständen seine hageren Gliedmaßen aus elastischem Gummi, hielt sich den Kopf mit beiden Händen und floh hinter den Mast.

»Jetzt weißt Du, wie ich schieße, Ben Mustapha,« rief ich hinüber. »Wenn Dein Sandal noch eine einzige Minute bei uns backseits fährt, so schieße ich Dir nicht die Feder vom Tarbusch, sondern die Seele aus dem Leibe; darauf kannst Du Dich verlassen!«

Diese Drohung hatte eine augenblickliche Wirkung. Er eilte an das Steuer, riß es aus den Händen dessen, der es bisher regiert hatte, und drehte ab. In zwei Minuten befand sich der Sandal in einer solchen Entfernung von uns, daß ihn meine Kugel nicht erreichen konnte.

»Jetzt sind wir für den Augenblick sicher,« meinte ich.

»Er wird nicht wieder so nahe kommen,« stimmte Hassan bei; »aber er wird uns auch nicht aus dem Auge lassen, bis wir irgendwo an das Ufer legen, wo er die Hilfe des Gesetzes in Anspruch nehmen wird.«

»Die fürchte ich nicht.«

»Ich auch nicht, seit das Schiff Dir gehört. Ich fürchte etwas Anderes.«

»Was?«

»Das da!«

Er deutete mit der Hand hinaus auf das Wasser, und wir verstanden sogleich, was er sagen wollte.

Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, daß die Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärts strebten als vorher, und die jetzt felsig gewordenen Ufer einander immer näher traten. Wir näherten uns nämlich einer jener Stromschnellen, welche, mehr oder weniger gefahrdrohend für den Schiffer, dem Verkehr auf dem Nile fast unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Jetzt mußte die Feindschaft der Menschen schweigen, damit sich die ungetheilte Aufmerksamkeit Aller auf das drohende Element richten konnte. Die Stimme des Reïs tönte laut schallend über das Deck:

»Blickt auf, Ihr Männer, der Schellahl kommt, der Katarakt! Tretet zusammen und betet die heilige Fatcha!«

Die Leute folgten seinem Gebote und begannen:

»Behüte uns, o Herr, vor dem von Dir gesteinigten Teufel!«

»Im Namen des Allbarmherzigen!« intonierte der Reïs.

Darauf fielen die andern ein und beteten die Fatcha, die erste Sure des Koran.

Ich muß gestehen, daß dieses Gebet auch mich ergriff, aber nicht aus Furcht vor der Gefahr, sondern aus Ehrfurcht vor der tief im Herzen wurzelnden Religiosität dieser halbwilden Menschen, welche nichts thun und beginnen, ohne sich Dessen zu erinnern, der in dem Schwachen mächtig ist.

»Wohlan, Ihr jungen Männer, Ihr muthigen Helden, geht an Euere Plätze,« gebot nun der Führer; »der Strom hat uns ergriffen.«

Das Commando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhig und exact ab, wie die Führung eines europäischen Fahrzeuges. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adern und treibt in der Gefahr den Menschen von dem Extreme der ausschweifendsten Hoffnung herab auf dasjenige der tiefsten Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Alles schreit, ruft, brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblicke der Gefahr, um im nächsten Momente, wenn diese Gefahr vorübergegangen ist, noch lauter zu jubeln, zu pfeifen, zu singen und zu jauchzen. Dabei arbeitet ein Jeder mit Anspannung aller seiner Kräfte, und der Schiffsführer springt von Einem zum Andern, um Jeden anzufeuern, tadelt die Säumigen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszusinnen vermag, und belohnt die andern mit den süßesten, zärtlichsten Namen, unter denen sich das Wort ›Held‹ am meisten wiederholt. Hassan hatte sich auf das Passiren der Stromschnelle vorbereitet und Reservemannschaft eingenommen. Jedes Ruder war doppelt besetzt, und am Steuer standen drei Barkenführer, welche jeden Fußbreit des Stromes hier an dieser gefährlichen Stelle kannten.

Mit furchtbarer Gewalt rauschten die Wogen jetzt über die von dem Wasser kaum bedeckten Felsblöcke; die Wellen stürzten schäumend über das Deck, und der Donner des Kataraktes übertäubte jedes, auch das lauteste Kommandowort. Das Schiff stöhnte und krachte in allen Fugen; die Ruder versagten ihre Dienste, und, dem Steuer vollständig ungehorsam, tobte die Dahabië durch die kochenden Gewässer.

Da treten die schwarzen, glänzenden Felsen vor uns eng zusammen und lassen nur noch ein Thor offen, welches kaum die Breite unseres Schiffes besitzt. Die Wogen werden förmlich durch dasselbe hindurchgepreßt und stürzen sich in einem dicken, mächtigen Strahle nach unten in ein Becken, welches übersäet ist von haarscharfen und nadelspitzen Steinblöcken.

Mit sausender Hast schießen wir dem Thore zu. Die Ruder werden eingezogen. Jetzt, jetzt sind wir im furchtbaren Loche, dessen Wände uns zu beiden Seiten so nahe sind, daß wir sie mit den Händen erreichen können. Als wolle es uns hinaustreiben in die Luft, so schleudert uns die rasende Gewalt der Strömung über die sprühenden, gischtspritzenden Kämme des Falles hinaus, und wir stürzen hinab in den Schlund des Kessels. Es brodelt, spritzt, rauscht, tobt, donnert und brüllt um uns her; da packt es uns wieder mit unwiderstehlicher Macht und reißt uns eine schief abfallende Ebene hinab, deren Wasserfläche glatt und freundlich vor uns liegt, aber grad unter dieser Glätte die gefährlichste Tücke birgt, denn wir schwimmen nicht, nein, wir fallen, wir stürzen mit rapider Vehemenz die abschüssige Bahn hinab und – – –

»Allah kerihm, Gott ist gnädig!« ertönt jetzt so schrill Hassan's Stimme, daß sie gehört werden kann. »Allah il Allah, an die Ruder, an die Ruder, Ihr Jünglinge, Ihr Männer, Ihr Helden, Ihr Tiger, Panther und Löwen! Der Tod liegt vor Euch, seht Ihr es denn nicht? Amahl, amahl, ïa Allah amahl – macht, macht, bei Gott, macht, Ihr Hunde, Ihr Feiglinge, Ihr Schurken und Katzen, arbeitet, arbeitet, Ihr Wackern, Ihr Guten, Ihr Helden, Ihr Unvergleichlichen, Erprobten und Auserwählten!«

Wir schießen einer Scheere zu, welche sich grad vor uns öffnet und uns im nächsten Augenblicke vernichten wird. Die Felsen sind so scharf, und der Fall des Stromes ist so reißend, daß von dem Schiffe kein Handgroß von Holz beisammen bleiben kann, wie es scheint.

»Allah ïa Sahtir, o Du Bewahrer, hilf! Links, links, Ihr Hunde, Ihr Geier, Ihr Rattenfresser, Ihr Aasverdauer, links, links mit dem Steuer, Ihr Braven, Ihr Herrlichen, Ihr Väter aller Helden! Allah, Allah, Maschallah – Gott thut Wunder, ihm sei Dank!«

Das Schiff hat den fast übermenschlichen Anstrengungen gehorcht und ist vorübergeflogen. Für einige Augenblicke befinden wir uns im ruhigen Fahrwasser, und alles stürzt sich auf die Kniee, um dem Allmächtigen zu danken.

»Esch'hetu inu la il laha il Allah!« tönt es jubelnd über das Deck hin – »bezeuge, daß es nur einen Gott gibt! Sellem aaleïna baraktak, begnadige uns mit Deinem Segen!«

Da kommt es hinter uns hergeschossen, wie von der Sehne eines Bogens geschnellt. Es ist der Sandal, welcher dieselben Gefahren hinter sich hat, wie wir. Seine Schnelligkeit ist jetzt wieder größer als die unserige, und er muß daher an uns vorüber. Aber das offene Fahrwasser ist so schmal, daß wir nur mit Mühe auszuweichen vermögen, und fast Bord an Bord rauscht er vorüber. Am Maste lehnt Abrahim-Mamur, die Rechte hinter sich versteckend. Mir grade gegenüber reißt er die verborgen gehaltene, lange arabische Flinte an die Wange – ich werfe mich nieder – die Kugel pfeift über mir weg, und im nächsten Augenblick ist der Sandal uns weit voran.

Alle haben den Mordversuch gesehen, aber Niemand hat Zeit zur Verwunderung oder zum Zorne, denn die Strömung packt uns wieder und treibt uns in ein Labyrinth von Klippen.

Da erschallt vor uns ein lauter Schrei. Der Sandal wurde von der Macht des Schellahl an einen Felsen geworfen; die Schiffer schlagen die Ruder in die Flut, und das nur leicht beschädigte Fahrzeug schießt, von den Wogen wieder gefaßt, befreit davon. Aber bei dem Stoße ist ein Mensch über Bord gefallen; er hängt im Wasser, sich verzweiflungsvoll an die Klippe klammernd. Ich ergreife einen der vorhandenen Dattelbaststricke, eile an das Seitenbord und werfe ihn dem Bedrohten zu. Er faßt darnach – ergreift ihn – wird emporgezogen – es ist – Abrahim-Mamur.

Sobald er das Verdeck glücklich erreicht hatte, schüttelte er das Wasser aus seinen Kleidern und stürzte dann mit geballten Fäusten auf mich zu.

»Hund, Du bist ein Räuber und Betrüger!«

Ich erwartete ihn stehenden Fußes, und meine Haltung bewirkte, daß er vor mir stehen blieb, ohne seine Fäuste in Anwendung zu bringen.

»Abrahim-Mamur, sei höflich, denn Du befindest Dich nicht in Deinem Hause. Sagst Du nur noch ein Wort, welches mir nicht gefällt, so lasse ich Dich an den Mast binden und durchpeitschen!«

Die größte Beleidigung für einen Araber ist ein Schlag, und die zweitgrößte ist die Drohung, ihn zu schlagen. Abrahim machte eine Bewegung, bezwang sich aber augenblicklich.

»Du hast mein Weib an Bord!« rief er.

»Nein.«

»Du sagst mir nicht die Wahrheit!«

»Ich sage sie, denn die ich an Bord habe, ist nicht Dein Weib, sondern die Verlobte dieses jungen Mannes, welcher neben Dir steht.«

Er stürzte auf die Kajüte zu, dort aber trat ihm Halef entgegen.

»Abrahim-Mamur, ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas; dieses hier sind meine zwei Pistolen, und ich werde Dich niederschießen, sobald Du irgend wohin gehen willst, wohin zu gehen mein Herr Dir verbietet!«

Mein kleiner Halef machte ein Gesicht, dem der Egypter es ansehen konnte, daß es ihm mit dem Schießen Ernst sei. Er wandte sich daher ab und schnaubte:

»So werde ich Euch verklagen, sobald Ihr an das Land geht, um Eure Hilfsmatrosen abzusetzen.«

»Thue es. Bis dahin aber bist Du nicht mein Feind, sondern mein Gast, so lange Du Dich friedlich benimmst.«

Die Stromschnelle war in ihren gefährlichen Stellen glücklich durchschifft, und wir konnten uns nun mit der nöthigen Muße unserer Angelegenheit zuwenden.

»Willst Du uns jetzt erzählen, auf welche Weise Senitza in die Hand dieses Menschen geraten ist?« frug ich Isla.

»Ich will sie holen,« antwortete er; »sie mag es Euch selbst erzählen.«

»Nein; sie mag in der Kajüte bleiben, denn ihr Anblick würde den Egypter erbittern und zum Äußersten reizen. Sage uns vor allen Dingen, ob sie Mohammedanerin oder Christin ist.«

»Sie ist eine Christin.«

»Von welcher Konfession?«

»Von der, welche Ihr griechisch nennt.«

»Sie ist nicht seine Frau geworden?«

»Er hat sie gekauft.«

»Ah! Ist es möglich?«

»Ja. Die Montenegrinerinen gehen nicht verschleiert. Er hat sie in Scutari gesehen und ihr gesagt, er liebe sie, und sie solle sein Weib werden; sie aber hat ihn ausgelacht. Dann ist er in die Czernagora zu ihrem Vater gekommen und hat eine große Summe geboten, um sie von ihm zu kaufen; dieser jedoch hat ihn zur Thüre hinausgeworfen. Dann hat er den Vater der Freundin bestochen, bei welcher Senitza oft zu Besuch war, und dieser ist auf den Handel eingegangen.«

»Wie?«

»Dieser Mensch hat sie für seine Sklavin ausgegeben, hat sie an Abrahim-Mamur verkauft und ihm eine Schrift darüber ausgehändigt, in welcher sie für eine cirkassische Sklavin gilt.«

»Ah, darum also ist diese Freundin mit ihrem Vater so plötzlich verschwunden!«

»Nur darum. Er hat sie dann auf ein Schiff gebracht und ist mit ihr erst nach Cypern, dann nach Egypten gefahren. Das übrige ist Euch bekannt.«

»Wie hieß der Mann, der sie verkaufte?« frug ich unwillkürlich.

»Barud el Amasat.«

»El Amasat – el Amasat – dieser Name kommt mir sehr bekannt vor. Wo habe ich ihn gehört? War dieser Mensch ein Türke?«

»Nein, sondern ein Armenier.«

Ein Armenier – – ah, jetzt wußte ich es! Hamd el Amasat, jener Armenier, welcher uns auf dem Schott Dscherid verderben wollte und dann aus Kbilli entfloh – war es derselbe? – Nein, denn die Zeit stimmte nicht.

»Weißt Du nicht,« frug ich Isla, »ob dieser Barud el Amasat einen Bruder hat?«

»Nein; Senitza weiß es auch nicht; ich habe sie nach dieser Familie sehr genau befragt.«

Da kam der Diener Hamsad el Dscherbaja herbei und wandte sich an mich:

»Herr Effendim, ich habe Sie wat zu sagen.«

»Sprich!«

»Wie heißt dieser eyptische Thnichtjut?«

»Abrahim-Mamur.«

»So! Dat will also een Mamur jewesen sein?«

»Allerdings.«

»Dat lassen Sie sich man nur nicht weis machen, denn ich kenne diesen Menschen besser als er mir!«

»Ah! Wer ist er?«

»Ich habe ihn jesehen als Eenen, der die Bastonnade kriegte, und weil es die erste Bastonnade war, so habe ich mir sehr einjehend nach ihm erkundigt.«

»Nun, wer und was ist er?«

»Er war bei die persische Jesandtschaft Attascheh oder so etwas und hat een Jeheimniß verraten oder so unjefähr. Er hat todt jemacht werden sollen, aber weil er Gönner jehabt hat, so ist es bei der Absetzung mit Bastonnade jeblieben. Sein Name ist Dawuhd Arafim.«

Daß der Barbier aus Jüterbogk diesen Mann kannte, war ein ganz staunenswerter Zufall, und nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte ihn gesehen, und zwar in Ispahan auf dem Almeidan-Shah, wo er auf ein Kameel gebunden wurde, um als Gefangener nach Constantinopel geschafft zu werden. Mein Weg führte mich damals eine kurze Strecke mit derselben Karawane, und so kam es, daß er auch mich gesehen und sich jetzt wieder meiner erinnert hatte.

»Ich danke Dir, Hamsad, für diese Mitteilung, behalte sie aber jetzt noch für Dich.«

Nun war mir nicht im Mindesten mehr bange bei dem Gedanken, daß Abrahim mich verklagen werde. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich konnte die Vermuthung nicht zurückweisen, daß er mit Barud el Amasat, welcher Senitza an ihn verkauft hatte, nicht erst durch das Mädchen bekannt geworden war. Abrahim war ein degradierter Beamter, ein Gefangener gewesen und hatte sogar die Bastonnade erhalten – jetzt trat er als Mamur auf und besaß ein Vermögen – dies waren Umstände, welche mir sehr zu denken gaben.

Ich zog es vor, die Mittheilung des Barbiers jetzt noch Niemand zu sagen, damit Abrahim nicht merke, daß er durchschaut worden sei.

Am nächsten Landeplatze mußten die oberhalb der Stromschnelle auf die Dahabië genommenen Schiffer wieder an das Land gesetzt werden. Unser Fahrzeug wandte sich daher dem Ufer zu.

»Werden wir Anker werfen oder nicht?« frug ich den Reïs.

»Nein, ich lenke sofort um, wenn die Männer das Schiff verlassen haben.«

»Warum?«

»Um die Polizei zu vermeiden.«

»Und Abrahim?«

»Wird mit den Schiffern an das Ufer gebracht.«

»Ich fürchte die Polizei nicht.«

»Du bist ein Fremdling im Lande und stehst unter Deinem Consul. Man kann Dir also nichts thun. Ah!«

Dieser letzte Ausruf galt einem Boote, welches mit bewaffneten, finster blickenden Männern besetzt war. Es waren Khawassen – Polizisten.

»Du wirst wohl nicht sofort umlenken,« meinte ich zu Hassan.

»Und doch, wenn Du es befiehlst. Ich habe nur Dir zu gehorchen.«

»Ich befehle es nicht; ich möchte im Gegentheile die hiesige Polizei einmal kennen lernen.«

Das Boot legte bei uns an, und alle seine Insassen stiegen an Bord, noch ehe wir das Ufer erreicht hatten. Die Bemannung des Sandal war hier auch gelandet, hatte erzählt, daß Abrahim im Schellahl ertrunken sei, und auch von dem Frauenraube berichtet. Sodann war, wie wir später erfuhren, der alte Reïs Chalid Ben Mustapha eilenden Fußes zum Richter gelaufen und hatte eine so wohlgesetzte Rede gehalten über mich, den ungläubigen Mörder, Aufrührer, Räuber und Empörer, daß ich eigentlich sehr zufrieden sein mußte, nur mit dem Hängen oder Säcken davonzukommen.

Da die Gerechtigkeit jener Länder von der wichtigen Erfindung der Actenstöße noch keine Notiz genommen hat, so wird in Rechtsfällen überaus schnell und summarisch verfahren.

»Wer ist der Reïs dieses Schiffes?« frug der Anführer der Khawassen.

»Ich.«

»Wie heißest Du?«

»Hassan Abu el Reïsahn.«

»Hast Du auf Deinem Schiffe einen Effendi, einen Hekim, der ein Ungläubiger ist?«

»Da steht er und heißt Kara Ben Nemsi.«

»Und ist hier auf Deinem Schiffe auch ein Weib, Namens Güzela?«

»Sie ist in der Kajüte.«

»Wohlan, Ihr seid meine Gefangenen allesamt und folgt mir zum Richter, während ich das Schiff von meinen Leuten bewachen lasse!«

Die Dahabië legte an, und ihre ganze Bemannung nebst sämmtlichen Passagieren wurde ›sofort anhero transportirt‹. Senitza, tief verschleiert, ward in eine bereit stehende Sänfte gehoben und mußte unserm Zuge folgen, der bei jedem weiteren Schritte größer wurde, weil Jung und Alt, Groß und Klein sich ihm anschloß. Hamsad al Dscherbaja, der Ex-Barbier, schritt hinter mir her und pfiff nach dem Takte seiner Beine munter sein ›Muß i denn, muß i denn zum Städtele hinaus!‹

Der Sahbeth-Bei oder Polizeidirektor saß mit seinem Sekretär bereits unserer Ankunft gewärtig.

Er trug die Abzeichen eines Bimbaschi, eines Majors oder Befehlshabers von tausend Mann, hatte aber trotzdem weder ein kriegerisches noch ein übermäßig intelligentes Aussehen. Wie die ganze Bemannung des Sandal, so hatte auch er Abrahim-Mamur für ertrunken gehalten und empfing den vom Tode Auferstandenen mit einem Respekte, der ganz das Gegentheil von dem Blick war, den er uns zuwarf.

Wir wurden in zwei Lager getheilt: hüben die Bemannung des Sandal mit Abrahim und einigen seiner Diener, die er mitgenommen hatte, und drüben die Leute von der Dahabië mit Senitza, Isla und mir nebst Halef und dem Barbier.

»Befiehlst Du eine Pfeife, Herr?« frug der Sahbeth-Bei den vermeintlichen Mamur.

»Lasse sie bringen!«

Er erhielt sie nebst einem Teppich, um sich darauf niederzusetzen. Dann begann die Verhandlung:

»Hoheit, sage mir Deinen von Allah gesegneten Namen!«

»Er lautet Abrahim-Mamur.«

»So bist Du ein Mamur. In welcher Provinz?«

»In En-Nasar.«

»Du bist der Ankläger. Sprich; ich höre zu und werde richten.«

»Ich klage an diesen Giaur, der ein Hekim ist, der Tschikarma; ich klage an den Mann, der neben ihm steht, der Tschikarma, und ich klage an den Führer der Dahabië der Mithülfe beim Frauenraube. Wie weit die Diener dieser beiden Männer und die Matrosen der Dahabië betheiligt sind, das magst Du bestimmen, o Bimbaschi.«

»Erzähle, wie der Raub vollendet wurde.«

Abrahim erzählte. Als er geendet hatte, wurden seine Zeugen verhört, was die Folge hatte, daß ich von dem Reïs des Sandals, Herrn Chalid Ben Mustapha, auch noch des Mordversuches bezüchtigt wurde.

In den Augen des Sahbeth-Bei leuchtete der Blitz, als er sich nun zu mir wandte.

»Giaur, wie ist Dein Name?«

»Kara Ben Nemsi.«

»Wie heißt Deine Heimat?«

»Dschermanistan.«

»Wo liegt diese Handvoll Erde?«

»Handvoll? Hm, Bimbaschi, Du beweisest, daß Du sehr unwissend bist!«

»Hund!« fuhr er auf. »Was willst Du sagen?«

»Dschermanistan ist ein großes Land und hat zehnmal mehr Einwohner als ganz Egypten. Du aber kennst es nicht. Du bist überhaupt ein schlechter Geograph und darum lässest Du Dich von Abrahim-Mamur belügen.«

»Wage es, noch so ein Wort zu sagen, und ich lasse Dich mit dem Ohre an die Wand nageln.«

»Ich wage es! Dieser Abrahim sagt, er sei der Mamur der Provinz En-Nasar. Mamurs gibt es nur in Egypten – –«

»Liegt En-Nasar nicht in Egypten, Giaur? Ich bin selbst dort gewesen und kenne den Mamur wie meinen Bruder, ja, wie mich selbst.«

»Du lügst!«

»Nagelt ihn fest!« gebot der Richter.

Ich zog den Revolver, und Halef, der dies sah, seine Pistolen.

»Bimbaschi, ich sage Dir, daß ich erst den niederschießen werde, der mich anrührt, und dann Dich! Du lügst, ich sage es noch einmal. En-Nasar ist eine ganz kleine, geringe Oase zwischen Homrh und Tighert im Lande Tripolis; dort gibt es keinen Mamur, sondern einen armen Scheikh; er heißt Mamra Ibn Alef Abuzin, und ich kenne ihn sehr genau. Ich könnte mit Dir Komödie spielen und Dir erlauben, noch weiter zu fragen; aber ich will es kurz machen. Wie kommt es, daß Du die Kläger stehen lässest, während der Angeklagte, der Verbrecher, sitzen darf und sogar die Pfeife von Dir bekommt?«

Der gute Mann sah mich ganz verdutzt an.

»Wie meinst Du das, Giaur?«

»Ich warne Dich, mich mit diesem Worte zu beschimpfen! Ich habe einen Paß bei mir und auch einen Izin-gitisch des Vizekönigs von Egypten; dieser aber, mein Gefährte, ist aus Istambul; er hat ein Bu-djeruldu des Großherrn und ist also ein Giölgeda padischahnün.«

»Zeigt die Scheine her!«

Ich gab ihm den meinigen, und Isla legte ihm den seinigen vor. Er las sie und gab sie uns dann mit verlegener Miene zurück.

»Sprich weiter.«

Diese Aufforderung bewies mir, daß er nicht wußte, was er thun sollte. Ich nahm also wieder das Wort:

»Du bist ein Sahbeth-Bei und ein Bimbaschi und weißt doch nicht, was Deines Amtes ist. Wenn Du ein Handschreiben des Großherrn liesest, so mußt Du es vorher an Stirn, Auge und Mund drücken und alle Anwesenden auffordern, sich zu verbeugen, als ob Seine Herrlichkeit selbst zugegen wäre. Ich werde dem Khedive und dem Großwesir in Istambul erzählen, welche Achtung Du ihnen erweisest!«

Das hatte er nicht erwartet. Er war so erschrocken, daß er die Augen aufriß und den Mund öffnete, ohne ein Wort zu sagen. Ich aber fuhr fort:

»Du wolltest wissen, was ich vorhin mit meinen Worten meinte. Ich bin der Ankläger und muß stehen, und dieser ist der Angeklagte und darf sitzen!«

»Wer klagt ihn an?«

»Ich, dieser, dieser und wir Alle.«

Abrahim staunte, aber er sagte noch nichts.

»Wessen klagst Du ihn an?« frug der Sahbeth-Bei.

»Der Tschikarma, desselben Verbrechens, dessen er uns anklagte.«

Ich sah es, daß Abrahim unruhig wurde. Der Richter gebot mir:

»Sprich!«

»Du dauerst mich, Bimbaschi, daß Du eine solche Trauer erleben mußt.«

»Welche Trauer?«

»Daß Du einen Mann verurtheilen mußt, den Du so gut kennst wie Deinen Bruder, ja, wie Dich selbst. Du bist sogar bei ihm in En-Nasar gewesen und weißt genau, daß er ein Mamur ist. Ich aber sage Dir, daß auch ich ihn kenne. Er heißt Dawuhd Arafim, war Beamter des Großherrn in Persien, wurde aber abgesetzt und bekam sogar die Bastonnade.«

Jetzt erhob sich Abrahim vom Boden.

»Hund! – Sahbeth-Bei, dieser Mann hat den Verstand verloren!«

»Sahbeth-Bei, höre mich weiter, dann wird es sich zeigen, wessen Kopf besser ist und fester sitzt, der meine oder der seine!«

»Rede!«

»Dieses Weib hier ist eine Christin, eine freie Christin aus Karadagh; er hat sie geraubt und mit Gewalt nach Egypten entführt. Hier mein Freund ist ihr rechtmäßiger Verlobter, und darum ist er nach Egypten gekommen und hat sie sich wiedergeholt. Du kennst uns, denn Du hast unsere Legitimationen gelesen, ihn aber kennst Du nicht. Er ist ein Frauenräuber und Betrüger. Laß Dir seine Legitimation zeigen, oder ich gehe zum Khedive und sage, wie Du Gerechtigkeit übst in dem Amte, welches er Dir gegeben hat. Ich bin von dem Kapitän des Sandal des Mordversuches angeklagt. Frage diese Männer! Sie Alle haben es gehört, daß ich ihm die Feder vom Tarbusch schießen wollte, und ich habe sie getroffen. Der, welcher sich einen Mamur nennt, aber hat im Ernste und in der Absicht, mich zu tödten, auf mich geschossen. Ich klage ihn an. Nun entscheide!«

Der brave Mann befand sich natürlich in einer großen Verlegenheit. Er konnte doch seine Worte und Thaten nicht dementiren, fühlte aber sehr wohl, daß ich im Rechte sei, und so entschloß er sich, zu thun, was eben nur ein Egypter zu thun vermag.

»Das Volk soll hinaus und in seine Häuser gehen!« gebot er. »Ich werde mir die Sache überlegen und am Nachmittage das Gericht halten. Ihr Alle aber seid meine Gefangenen!«

Die Khawassen trieben die Zuschauer mit Stockschlägen hinaus; sodann wurde Abrahim-Mamur mit der Mannschaft des Sandal gefangen abgeführt, und schließlich schaffte man auch uns fort, nämlich in den Hof des Gebäudes, in welchem wir uns ungestört bewegen durften, während einige Khawassen, am Ausgange postirt, uns zu bewachen schienen. Nach einer Viertelstunde aber waren sie verschwunden.

Ich ahnte, was der Sahbeth-Bei beabsichtigte, und trat zu Isla Ben Maflei, welcher neben Senitza am Brunnen saß.

»Denkst Du, daß wir heute unsern Prozeß gewinnen werden?«

»Ich denke gar nichts; ich überlasse Alles Dir,« antwortete er.

»Und wenn wir ihn gewinnen, was wird mit Abrahim geschehen?«

»Nichts. Ich kenne diese Leute. Abrahim wird dem Bimbaschi Geld geben oder einen der kostbaren Ringe, die er an den Fingern trägt, und der Baschi wird ihn laufen lassen.«

»Wünschest Du seinen Tod?«

»Nein. Ich habe Senitza gefunden, das ist mir genug.«

»Und wie denkt Deine Freundin darüber?«

Senitza antwortete selbst:

»Effendi, ich war sehr unglücklich, jetzt aber bin ich frei. Ich werde nicht mehr an ihn denken.«

Das befriedigte mich. Jetzt galt es nur noch, den Abu el Reïsahn zu befragen. Er erklärte mir rundweg, daß er sehr froh sei, mit heiler Haut davon zu kommen, und so machte ich mich beruhigt an das Recognosciren.

Ich schritt durch den Ausgang hinaus auf die Straße. Die heiße Tageszeit war eingetreten, und ich sah keinen Menschen auf der Straße. Es war klar, daß der Sahbeth-Bei wünschte, daß wir uns selbst ranzioniren und nicht auf seine Entscheidung warten möchten; ich kehrte daher in den Hof zurück, theilte den Leuten meine Ansicht mit und forderte sie auf, mir zu folgen. Sie thaten es, und kein Mensch trat unserm Thun entgegen.

Als wir die Dahabië erreichten, ergab es sich, daß sie von den Khawassen verlassen worden war. Ein Freund und Bewunderer der Ladung, welche aus Sennesblättern bestand, hätte ganz ungestört eine Annexion vornehmen können.

Der Sandal lag nicht mehr am Ufer; er war verschwunden. Jedenfalls hatte der würdige Chalid Ben Mustapha noch eher als wir die Absicht des Richters begriffen und sich mit Schiff und Bemannung davon gemacht.

Wo aber befand sich Abrahim-Mamur?

Dies zu erfahren, wäre uns nicht gleichgültig gewesen; denn es war nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, daß er uns im Auge behalten werde. Ich wenigstens hatte die Ahnung, ihn früher oder später wieder einmal zu treffen.

Die Dahabië lichtete den Anker, und wir setzten unsere unterbrochene Fahrt fort mit dem wohlthuenden Bewußtsein, einer sehr schlimmen Lage glücklich entronnen zu sein.


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