Karl May
Durch die Wüste
Karl May

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Abu-Seïf

Als nun Moses seine Hand ausstreckte über das Meer, nahm es der Herr durch einen starken Ostwind hinweg während der Nacht und machte das Meer trocken, und die Wasser theilten sich von einander.

Und die Kinder Israel's gingen hinein mitten in das Meer auf dem Trockenen, und das Wasser stand wie Mauern ihnen zur Rechten und zur Linken.

Und die Egypter folgten und gingen hinein, ihnen nach, alle Rosse des Pharao und Wagen und Reiter, mitten in das Meer.

Als nun die Morgenwache kam, blickte der Herr auf das Heer der Egypter aus der Feuersäule und aus der Wolke, und machte einen Schrecken in ihrem Heere.

Und stieß die Räder von ihren Streitwagen und stürzte sie um mit Ungestüm. Da sprachen die Egypter: Lasset uns fliehen vor Israel; der Herr streitet für sie wider die Egypter!

Aber der Herr sprach zu Moses: Strecke deine Hand aus über das Meer, damit das Wasser wieder herfalle über die Egypter, über ihre Wagen und über ihre Reiter.

Da streckte Moses seine Hand aus über das Meer, und das Meer kam wieder vor Morgens in seinen Strom, und die Egypter flohen ihm entgegen. Also stürzte sie der Herr mitten in das Meer.

Daß das Wasser wiederkam und bedeckte Wagen und Reiter und alle Macht des Pharao, die ihnen nachgezogen war in das Meer, so daß kein Einziger von ihnen übrig blieb.

Die Kinder Israel's aber gingen trocken durch das Meer, und das Wasser stand ihnen gleich Mauern zur Rechten und zur Linken.

Also half der Herr Israel an diesem Tage von der Hand der Egypter, und sie erblickten die Egypter todt an dem Ufer des Meeres.

Und die Hand des Herrn war mächtig, die er den Egyptern gezeiget hatte, und das Volk Israel fürchtete den Herrn und glaubte an ihn und an seinen Knecht Moses. – – –

An diese Stelle im zweiten Buch Mosis (Cap. 14, V. 19-31) mußte ich denken, als ich im ›Thale Hiroth, gegen Baal Zephon‹, mein Kameel anhielt, um das Auge über die glitzernden Fluthen des rothen Meeres schweifen zu lassen. Es kam auch über mich etwas von jener Furcht, welche sein Anblick in den Herzen der Kinder Israel's erweckt hatte. Ich fühlte nicht ein Grauen vor jenem Elemente, welches leider noch immer ›keine Balken‹ hat, sondern es überlief mich jene heilige, andächtige Scheu, welche jeder Gläubige fühlt, sobald er einen Ort betritt, von dem ihm die biblische Geschichte erzählt, daß hier der Fuß des Ewigen gerastet und hier die Hand des Unendlichen gewaltet habe. Es war mir, als höre ich jene Stimme, welche einst dem Sohne des Amram und der Jochebeth zugerufen hatte: »Mose, Mose, tritt nicht herzu, sondern ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, darauf du stehest, ist ein heiliges Land!«

Hinter mir also lag das Land des Osiris und der Isis, das Land der Pyramiden und der Sphinxe, das Land, in welchem das Volk Gottes das Joch der Knechtschaft getragen und die Felsen des Mokattam zum Bau jener Wunderwerke zusammengeschleppt hatte, welche noch heute das Staunen des Nilreisenden erregen. Im Schilfe des altehrwürdigen Stromes dort hatte die Königstochter das Knäblein gefunden, welches berufen war, ein Volk von Sklaven zu befreien und ihm in den zehn göttlichen Geboten ein Gesetz zu geben, welches noch nach Jahrtausenden die Grundlage aller Gesetze und Gebote bildet.

Vor mir, da zu meinen Füßen, funkelten die Fluthen des arabischen Golfs im glühenden Strahle der Sonne. Diese Fluthen hatten einst, der Stimme Jehova Sabaoth's gehorchend, zwei Mauern gebildet, zwischen denen die Geknechteten des Landes Gosen den Weg zur Freiheit gefunden hatten, während das reisige Volk ihrer Unterdrücker und Verfolger einen schauervollen Untergang fand. Das waren dieselben Fluthen, in denen später auch der ›Sultan Kebihr‹, Napoleon Bonaparte, beinahe umgekommen wäre.

Und gegenüber dem Birket Faraun, dem See des Pharao, wie die Araber den Ort nennen, an welchem die beiden Wassermauern über die Egypter zusammenschlugen, erhebt sich der Felsenstock des Sinai, des berühmtesten Berges der Erde, gewaltig und den Zeiten trotzend, gleich dem unter Donner und Blitz über ihm erschollenen: »Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine fremden Götter neben mir haben!«

Es war nicht die Örtlichkeit allein, es war noch viel mehr die Geschichte derselben, deren Eindruck ich nicht von mir zu weisen vermochte, wenn ich es auch gewollt hätte. Wie oft hatte ich lauschend und mit stockendem Athem auf dem Schooße meiner alten, guten, frommen Großmutter gesessen, wenn sie mir erzählte von der Erschaffung der Welt, dem Sündenfalle, dem Brudermorde, der Sündfluth, von Sodom und Gomorrha, von der Gesetzgebung auf dem Sinai – – – sie hatte mir die kleinen Hände gefaltet, damit ich ihr mit der nöthigen Andacht das zehnfache ›Du sollst‹ nachsprechen möge. Jetzt lag die irdische Hülle der Guten schon längst unter der Erde, und ich hielt gegenüber dem Orte, welcher mir von ihr in so lebendigen Farben gezeichnet worden war, obgleich nur ihr geistiges Auge ihn gesehen hatte, und es drängte sich mir die Wahrheit des Dichterwortes auf:

»Ganz anders jene heiligen Geschichten,
Die nur das Buch der Bücher kann berichten,
In dem vom Geiste sie verzeichnet steh'n.
Nur ihnen darfst du festen Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber dich versenken,
Denn Gottes Odem fühlst du daraus weh'n«

Der Glaube trägt eine festere Überzeugung in sich, als das stolzeste Gebäude menschlicher Logik sie zu geben vermag. Das war es, was ich in jener Stunde so recht lebhaft fühlte und erkannte, und ich hätte wohl noch lange, in ernstes Sinnen versunken, hier auf meinem Kameele halten und hinüberblicken können, wenn mich nicht die Stimme meines wackeren Halef gestört hätte:

»Hamdulillah, Preis sei Gott, daß die Wüste vorüber ist! Sihdi, hier ist Wasser. Steige herab von dem Thiere und labe Dich im Bade, so wie ich es jetzt thun werde.«

Da trat einer der beiden Beduinen, welche uns geführt hatten, zu mir heran und erhob warnend die Hand.

»Thue es nicht, Effendi!«

»Warum?«

»Weil hier Melek el newth, der Engel des Todes, wohnt. Wer hier in das Wasser geht, der wird entweder ertrinken oder den Keim des Sterbens mit sich fortnehmen. Jeder Tropfen dieser See ist eine Thräne der hunderttausend Seelen, die hier umgekommen sind, weil sie Sidna Musa und die Seinigen tödten wollten. Hier eilt jedes Boot und jedes Schiff vorüber, ohne anzuhalten; denn Allah, den die Hebräer Dschehuwa nannten, hat diesen Ort verflucht.«

»Ist es wirklich so, daß hier kein Schiff anhält?«

»Ja.«

»Ich wollte hier ein Fahrzeug erwarten, welches mich aufnehmen sollte.«

»Es soll Dich nach Suez bringen? Wir werden Dich führen, und Du sollst auf unsern Kameelen schneller hinkommen, als auf einem Schiff.«

»Ich will nicht nach Suez, sondern nach Tor.«

»Dann mußt Du allerdings fahren; aber hier wird Dich kein Fahrzeug aufnehmen. Erlaube, daß wir Dich noch eine Strecke nach Süden begleiten, bis wir einen Ort erreichen, an welchem keine Geister wohnen und wo ein jedes Schiff gern anhalten wird, um Dich aufzunehmen.«

»Wie lange haben wir da noch zu reiten?«

»Nicht ganz dreimal die Zeit, welche von den Franken eine Stunde genannt wird.«

»Dann vorwärts!« –

Um an das rothe Meer zu gelangen, hatte ich nicht den gewöhnlichen Weg von Kairo nach Suez eingeschlagen. Die zwischen den beiden Städten liegende Wüste verdient den Namen Wüste schon längst nicht mehr. Früher war sie gefürchtet sowohl wegen ihres vollständigen Wassermangels als auch wegen der räuberischen Beduinen, die auf der öden Strecke ihr Wesen trieben. Jetzt ist das anders geworden, und dies war der Grund, daß ich mich weiter südwärts gehalten hatte. Ein Ritt durch die Einöde hatte für mich mehr Interesse als eine Reise auf gebahnten Wegen. Deßhalb wollte ich jetzt auch Suez vermeiden, welches mir doch nur das bieten konnte, was ich bereits gesehen und kennen gelernt hatte.

Während unseres Rittes tauchten die beiden kahlen Höhen des Dschekehm und des Da-ad vor uns auf, und als rechts von uns der hohe Gipfel des Dschebel Gharib sichtbar wurde, hatten wir das Grab Pharao's hinter uns. Das rothe Meer bildete zu unserer Linken eine Bucht, in welcher ein Fahrzeug vor Anker lag.

Es war eine jener Barken, welche man auf dem rothen Meere mit dem Namen Sambuk bezeichnet. Sie war ungefähr sechzig Fuß lang und fünfzehn Fuß breit und hatte eines jener kleinen Hinterdecke, unter denen gewöhnlich ein Verschlag angebracht ist, welcher den Kapitän oder die vornehmen Passagiere beherbergt. So ein Sambuk hat außer den Riemen – denn er wird auch gerudert – zwei dreieckige Segel, von denen das eine so weit vor dem andern steht, daß es – vom Winde angeschwellt – ganz über das Vordertheil des Schiffes ragt und dort eine Art halbkreisförmigen Ballon bildet, wie man sie auf antiken Münzen und auf alten Fresken zu sehen pflegt. Man kann getrost annehmen, daß die Fahrzeuge dieses Seestriches in Beziehung auf Bauart, Führung und Takelung noch ganz dieselben sind, wie sie im grauen Alterthume hier gesehen wurden, und daß die heutigen Seeleute noch dieselben Buchten und Ankerplätze besuchen, welche bereits belebt waren zur Zeit, als Dionysos seinen berühmten Zug nach Indien unternahm. Die Küstenschiffe des rothen Meeres sind gewöhnlich aus jenem indischen Holze gebaut, welches die Araber Sadsch nennen, und das sich mit der Zeit im Wasser dermaßen verhärtet, daß es unmöglich ist, einen Nagel einzuschlagen. Von einer Fäulniß dieses Holzes ist niemals die Rede, und so kommt es, daß man Sambuks zu sehen bekommt, welche ein Alter von beinahe zweihundert Jahren erreichen.

Die Schiffahrt des arabischen Busens ist eine sehr gefährliche; deßhalb wird während der Nacht niemals gesegelt, sondern ein jedes Fahrzeug sucht sich beim Nahen des Abends eine sichere Ankerstelle.

Der vor uns liegende Sambuk hatte dasselbe gethan. Er war mittels des Ankers und eines Taues befestigt und lag ohne Bemannung an der Küste. Die Schiffer hatten den Bord verlassen und saßen oder lagen an einem kleinen Wasser, welches sich in das Meer ergoß. Derjenige, welcher etwas abseits von ihnen in gravitätischer Haltung auf einer Matte saß, mußte der Kapitän oder der Eigner des Fahrzeuges sein. Ich sah es ihm sofort an, daß er kein Araber, sondern ein Türke war; der Sambuk zeigte die Farben des Großherrn, und die Bemannung trug türkische Uniformen.

Keiner der Männer rührte sich von seinem Platze, als wir uns nahten. Ich ritt bis hart an den Anführer heran, hob die Rechte zur Brust empor und grüßte ihn absichtlich nicht in türkischer, sondern in arabischer Sprache.

»Gott schütze Dich! Bist Du der Kapitän dieses Schiffes?«

Er richtete die Augen mit stolzem Aufschlage zu mir empor, musterte mich sehr eingehend und sehr lange und antwortete endlich:

»Ich bin es.«

»Wohin geht Dein Sambuk?«

»Überall hin.«

»Was hast Du geladen?«

»Verschiedenes.«

»Nimmst Du auch Passagiere auf?«

»Das weiß ich nicht.«

Das war mehr als einsilbig, das war grob. Daher schüttelte ich den Kopf und meinte in mitleidigem Tone:

»Du bist ein Kelleh, ein Unglücklicher, den der Kuran dem Mitleide der Gläubigen empfiehlt. Ich bedaure Dich!«

Er sah mich mit einem halb zornigen, halb überraschten Blick an.

»Du bedauerst mich? Du nennst mich einen Unglücklichen? Warum?«

»Allah hat Deinem Munde die Gabe der Sprache verliehen, aber Deine Seele ist stumm. Wende Dich nach der Kiblah und bitte Gott, daß er ihr die Sprache wiedergebe, sonst wird sie einst unfähig sein, in das Paradies zu kommen!«

Er lächelte verächtlich und legte die Hand an den Gürtel, in welchem zwei riesige Pistolen steckten.

»Schweigen ist besser als schwatzen. Du bist ein Schwätzer; der Wergi-Baschi Muhrad Ibrahim aber zieht es vor, zu schweigen.«

»Wergi-Baschi? Oberzolleinnehmer? Du bist ein großer und jedenfalls auch ein berühmter Mann, aber Du wirst mir trotzdem Antwort geben, wenn ich Dich frage.«

»Du willst mir drohen? Ich sehe, daß ich recht gedacht habe: Du bist ein Arab Dscheheïne.«

Die Araber vom Stamme Dscheheïne sind am rothen Meere als Schmuggler und Räuber bekannt. Der Zolleinnehmer hielt mich für einen solchen; das war der Grund seines abstoßenden Benehmens gegen mich.

»Fürchtest Du Dich vor den Beni Dscheheïne?« frug ich ihn.

»Fürchten? Muhrad Ibrahim hat sich noch niemals gefürchtet!«

So stolz sein Auge bei diesen Worten leuchtete, lag doch in seinem Gesichte etwas, was mich an seinem Muthe zweifeln ließ.

»Und wenn ich nun ein Dscheheïne wäre?«

»Ich würde Dich nicht fürchten.«

»Natürlich. Du hast zwölf Gemi-taïfasyler bei Dir und acht Diener, während bei mir nur drei Männer sind. Aber ich bin kein Dscheheïne; ich gehöre gar nicht zu den Beni Arab, sondern ich komme aus dem Abendlande.«

»Aus dem Abendlande? Du trägst doch die Kleidung eines Beduinen und redest die Sprache der Araber!«

»Ist dies verboten?«

»Nein. Bist Du ein Fransez oder ein Ingli?«

»Ich gehöre zu den Nemsi.«

»Ein Nemtsche,« meinte er mit geringschätziger Miene. »So bist Du ein Bostandschi oder ein Bazirgian

»Keines von beiden. Ich bin ein Jazmakdschi.«

»Ein Schreiber? O jazik, o wehe, und ich habe Dich für einen tapfern Beduinen gehalten! Was ist ein Schreiber? Ein Schreiber ist kein Mann; ein Schreiber ist ein Mensch, welcher Federn ißt und Tinte trinkt; ein Schreiber hat kein Blut, kein Herz, keinen Muth, kein – – –«

»Halt!« unterbrach ihn da mein Diener. »Muhrad Ibrahim, siehst Du, was ich hier in meiner Hand halte?«

Er war abgestiegen und stellte sich mit der Nilpeitsche vor den Türken. Dieser zog die Brauen finster zusammen, antwortete aber doch:

»Die Peitsche.«

»Schön. Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Dieser Sihdi ist Kara Ben Nemsi, der sich vor keinem Menschen fürchtet. Wir haben die Sahara und ganz Egypten durchwandert und haben große Heldenthaten verrichtet; man wird von uns erzählen in allen Kaffeehäusern und auf allen Kirchhöfen der Welt, und wenn Du es wagst, noch ein einziges Wort zu sagen, welches meinem Effendi nicht gefällt, so wirst Du diese Peitsche kosten, obgleich Du ein Wergi-Baschi bist und viele Männer hier bei Dir hast!«

Diese Drohung hatte eine außerordentlich rasche Wirkung. Die beiden Beduinen, welche bis hierher meine Begleiter gewesen waren, wurden vom Schreck über die Kühnheit Halef's um einige Schritte zurückgeworfen; die Matrosen und übrigen Begleiter des Türken sprangen auf und griffen zu den Waffen, und der Baschi hatte sich mit derselben Schnelligkeit erhoben. Er griff nach seinem Pistol, aber Halef hielt ihm schon die Mündung seiner eigenen Waffe auf die Brust.

»Ergreift ihn!« gebot der Baschi, indem er selbst jedoch sein Pistol vorsichtig sinken ließ.

Die guten Leute behielten zwar ihre drohenden Gesichter bei, aber keiner wagte es, Hand an Halef zu legen.

»Weißt Du, was es heißt, einem Wergi-Baschi mit der Peitsche zu drohen?« frug der Türke.

»Ich weiß es,« antwortete Halef. »Einem Wergi-Baschi mit der Peitsche drohen, heißt, sie ihn auch wirklich kosten lassen, wenn er es wagt, in der Weise weiter zu sprechen, wie er gesprochen hat. Du bist ein Türke, ein Sklave des Großherrn; Ich aber bin ein freier Araber!«

Ich ließ mein Kameel niederknieen, stieg ab und zog meinen Paß hervor.

»Muhrad Ibrahim, Du siehst, daß wir uns noch weniger vor Euch fürchten, als Ihr vor uns; Du hast einen sehr großen Fehler begangen, denn Du hast einen Effendi beleidigt, der im Giölgeda padischahnün steht!«

»Im Schutze des Großherrn, den Allah segnen möge? Wen meinst Du?«

»Mich.«

»Dich? Du bist ein Nemtsche, also ein Giaur – – –«

»Du schimpfest!« unterbrach ich ihn.

»Du bist ein Ungläubiger, und von den Giaurs steht im Kuran: ›O, Ihr Gläubigen, schließt keine Freundschaft mit solchen, die nicht zu Eurer Religion gehören. Sie lassen nicht ab, euch zu verführen, und wünschen nur euer Verderben!‹ Wie kann also ein Ungläubiger im Schutze des Großherrn stehen, welcher der Schirm der Gläubigen ist?«

»Ich kenne die Worte, welche Du sagst; sie stehen in der dritten Sure des Kuran, im Surat Amran; aber öffne Deine Augen, und beuge Dich in Demuth nieder vor dem Bjuruldu des Padischah. Hier ist er.«

Er nahm das Pergament, drückte es an Stirn, Augen und Brust, verbeugte sich bis zur Erde und las es. Dann gab er es mir zurück.

»Warum hast Du es mir nicht gleich gesagt, daß Du ein Arkadar des Sultans bist? Ich hätte Dich nicht Giaur genannt, obgleich Du ein Ungläubiger bist. Sei mir willkommen, Effendi!«

»Du heißest mich willkommen und schändest mit demselben Athemzuge meinen Glauben! Wir Christen kennen die Gesetze der Höflichkeit und der Gastfreundschaft besser als Ihr; wir nennen Euch nicht Giaurs, denn unser Gott ist es, den Ihr Allah nennt.«

»Das ist nicht wahr. Wir haben nur Allah; Ihr aber habt drei Götter, einen Vater, einen Sohn und einen Geist.«

»Wir haben doch nur einen Gott, denn Vater, Sohn und Geist sind Eins. Ihr sagt: ›Allah il Allah, Gott ist Gott!‹ Und unser Gott sagt: ›Ich bin ein starker, einiger Gott.‹ Euer Kuran sagt im zweiten Surat: ›Er ist der Lebendige, der Ewige; ihn ergreift nicht Schlaf, nicht Schlummer; sein ist, was im Himmel und auf Erden ist.‹ Unsere heilige Bibel sagt: ›Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit; es ist Alles offen und entdeckt vor seinen Augen; er hat die Erde gegründet, und die Himmel sind seiner Hände Werk.‹ Ist das nicht ganz dasselbe?«

»Ja, Euer Kitab ist gut, aber Euer Glaube ist falsch.«

»Du irrst. Euer Kuran sagt: ›Die Gerechtigkeit besteht nicht darin, daß Ihr Euer Gesicht nach Osten oder Westen richtet (beim Gebet), sondern der ist gerecht, der an Gott glaubt, an den jüngsten Tag, an die Engel, an die Schrift und die Propheten und mit Liebe von seinem Vermögen gibt den Anverwandten, den Waisen, Armen und Pilgern, ja jedem, der ihn darum bittet, der Gefangene erlöset, sein Gebet verrichtet, an seinen Verträgen festhält, geduldig Noth und Unglück erträgt. Der ist gerecht, der ist wahrhaft gottesfürchtig.‹ Unser heiliges Buch gebietet uns: ›Du sollst Gott lieben über Alles und Deinen Nächsten wie Dich selbst.‹ Gebietet uns unser Glaube nicht ganz dasselbe, was Euch der Eurige befiehlt?«

»Ihr habt dies erst aus dem Kuran in Euer Kitab abgeschrieben.«

»Wie ist dies möglich, da unser Kitab über zweitausend Jahre älter ist, als Euer Kuran?«

»Du bist ein Effendi, und ein Effendi muß immer Gründe und Beweise finden, selbst wenn er Unrecht hat. – Woher kommst Du?«

»Aus dem Lande Gipt, dort im Westen.«

»Und wo willst Du hin?«

»Nach Tor hinüber.«

»Und dann?«

»Nach dem Manastyr auf dem Dschebel Sinahi.«

»So mußt Du über das Wasser.«

»Ja. Wohin fährst Du?«

»Auch nach Tor.«

»Willst Du mich mitnehmen?«

»Wenn Du gut bezahlst und dafür sorgest, daß wir uns mit Dir nicht verunreinigen.«

»Habe keine Sorge! Wie viel verlangst Du?«

»Für alle vier und die Kameele?«

»Nur für mich und meinen Diener Hadschi Halef. Diese beiden Männer werden mit ihren Kameelen wieder umkehren.«

»Womit willst Du bezahlen? Mit Geld oder mit etwas anderem?«

»Mit Geld.«

»Willst Du Speise von uns nehmen?«

»Nein; Ihr gebt uns nur das Wasser.«

»So bezahlst Du für Dich zehn und für diesen Hadschi Halef acht Misri.«

Ich lachte dem braven Manne gerade in's Gesicht. Es war echt türkisch, für die kurze Fahrt und einige Schlücke Wasser achtzehn Misri, also beinahe vierunddreißig Thaler zu verlangen.

»Du fährst einen Tag bis ungefähr zur Bucht von Nayazat, wo Dein Schiff zur Nacht vor Anker geht?« frug ich.

»Ja.«

»Dann sind wir des Mittags in Tor?«

»Ja. Warum fragst Du?«

»Weil ich Dir für diese kurze Fahrt nicht achtzehn Misri geben werde.«

»So wirst Du hier zurückbleiben und mit einem Andern fahren müssen, der noch mehr verlangen wird.«

»Ich werde weder zurückbleiben, noch mit einem Andern fahren. Ich fahre mit Dir.«

»So gibst Du die Summe, welche ich verlangt habe.«

»Höre, was ich Dir sage! Diese beiden Männer haben mir ihre Thiere geliehen und mich zu Fuße begleitet von El Kahira für vier Mariatheresienthaler; bei der Hadsch wird jeder Pilger für einen Mariatheresienthaler über das Meer gesetzt; ich werde Dir für mich und meinen Diener drei Thaler geben; das ist genug.«

»So bleibst Du hier. Mein Sambuk ist kein Frachtschiff; er gehört dem Großherrn. Ich habe die Zehka einzusammeln und darf keinen Passagier an Bord nehmen.«

»Aber wenn er achtzehn Misri bezahlt, dann darfst Du! Grade weil Dein Sambuk dem Großherrn gehört, wirst Du mich aufnehmen müssen. Blicke noch einmal hier in das Bjuruldu! Hier stehen die Worte ›heb imdad wermek, sahihlik itschin meschghul, ejertsche akdschesiz – alle Hülfe leisten, für Sicherheit bedacht sein, selbst ohne Bezahlung‹. Hast Du das verstanden? Einen Privatmann müßte ich bezahlen; einen Beamten brauche ich nicht zu bezahlen. Ich gebe Dir freiwillig diese drei Thaler; bist Du nicht einverstanden, so wirst Du mich umsonst mitnehmen müssen.«

Er sah sich in die Enge getrieben und begann, seine Forderung zu mäßigen. Endlich nach langer Debatte hielt er mir die Hand entgegen:

»So mag es sein. Du bist im Giölgeda padischahnün, und ich will Dich für drei Thaler mitnehmen. Gib sie her!«

»Ich werde Dich bezahlen, wenn ich in Tor das Schiff verlasse.«

»Effendi, sind die Neßarah alle so geizig wie Du?«

»Sie sind nicht geizig, aber vorsichtig. Erlaube, daß ich mich an Bord begebe; ich werde nicht am Lande sondern auf dem Schiffe schlafen.«

Ich bezahlte meine Führer, welche, sobald sie außerdem noch ein Bakschisch erhalten hatten, ihre Kameele bestiegen und trotz der vorgerückten Tageszeit ihren Rückweg antraten. Dann stieg ich mit Halef an Bord. Ich befand mich nicht im Besitze eines Zeltes. Während des Rittes durch die Wüste hat man ebenso wie von der Hitze des Tages auch von der unverhältnismäßigen Kälte der Nächte zu leiden. Wer arm ist und kein Zelt hat, schmiegt sich bei der Nacht an sein Kameel oder an sein Pferd, um sich während der Ruhe an demselben zu wärmen. Ich hatte jetzt kein Thier mehr, und da die Nachtkühle hier am Wasser jedenfalls strenger war, als im Innern des Landes, so zog ich es vor, hinter dem Verschlage auf dem Hintertheile des Sambuk Schutz zu suchen.

»Sihdi,« frug mich Halef, »habe ich es recht gemacht, daß ich diesem Wergi-Baschi die Peitsche zeigte?«

»Ich will Dich nicht tadeln.«

»Aber warum sagst Du Jedem, daß Du ein Ungläubiger bist?«

»Darf man sich fürchten, die Wahrheit zu sagen?«

»Nein; aber Du bist ja bereits auf dem Wege, ein Gläubiger zu werden. Wir sind auf dem Wasser, welches die Franken Bar-el-Hamra, das rothe Meer, nennen: dort liegt Medina und weiter nach rechts Mekka, die Städte des Propheten. Ich werde alle beide besuchen, und Du, was wirst Du thun?«

Er sprach die Frage offen aus, welche ich mir während der letzten Tage bereits heimlich vorgelegt hatte. Dem Christen, welcher sich nach Mekka oder Medina wagt, droht der Tod; so steht es in den Büchern zu lesen. Ist es wirklich so schlimm? Muß man hingehen und sagen, daß man ein Christ sei? Ist nicht vielleicht ein Unterschied zu machen zwischen einer ruhigeren Zeit und jenen Tagen, an welchen die großen Pilgerkarawanen eintreffen und der Fanatismus seinen Siedepunkt erreicht? Ich hatte oft gelesen, daß ein Ungläubiger keine Moschee betreten dürfe, und war dann später in verschiedenen Moscheen selbst gewesen; konnte es mit dem Betreten der heiligen Städte nicht ähnlich sein? Ich hatte überhaupt den Orient in vielen, vielen Beziehungen ganz anders, und zwar nüchterner gefunden, als man sich ihn gewöhnlich vorzustellen pflegt, und konnte gar nicht recht glauben, daß ein kurzer, vielleicht nur stundenlanger Besuch in Mekka wirklich so furchtbar gefährlich sei. Der Türke hatte mich für einen Beduinen gehalten; es stand sehr zu vermuthen, daß auch Andere dieselbe Meinung von mir hegen würden. Und dennoch konnte ich zu keinem Entschluß kommen.

»Das weiß ich jetzt nicht,« antwortete ich dem kleinen Halef.

»Du wirst mit mir nach Mekka gehen, Sihdi, und vorher in Dschidda den rechten Glauben annehmen.«

»Nein, das werde ich nicht.«

Ein Ruf am Lande unterbrach die Unterhaltung. Der Türke hatte seinen Leuten das Abendgebet befohlen.

»Effendi,« meinte Halef, »die Sonne steigt hinter die Erde hinab; erlaube, daß ich bete!«

Er ließ sich auf die Kniee nieder und betete. Seine Stimme mischte sich mit dem Unisono der betenden Türken. Noch war dasselbe kaum verklungen, so ließ sich eine andere Stimme vernehmen. Sie scholl hinter dem Felsenriffe hervor, welches die Aussicht nach der Nordseite des Meeres verschloß.

»An Allah haben wir volle Genüge, und herrlich ist er, der Beschützer. Es gibt keine Macht und keine Gewalt, außer bei Gott, dem Hohen, dem Großen. O unser Herr, ïa Allah, o gern Verzeihender, o Allgütiger, ïa Allah, Allah hu!«

Diese Worte wurden mit einer tiefen Baßstimme intonirt, jedoch dem Namen Allah gab der Betende allemal einen Ton, welcher eine Quinte höher lag. Ich kannte diese Worte und diese Töne; so pflegen die heulenden Derwische zu beten. Die Türken hatten sich erhoben und sahen nach der Richtung, aus welcher die Stimme erscholl. Jetzt kam ein kleines, kaum sechs Fuß langes und vier Fuß breites Floß zum Vorschein, auf welchem ein Mann kniete, welcher ein Paddelruder führte und dazu im Takte sein Gebet abrief. Er trug um den rothen Tarbusch einen weißen Turban, und weiß war auch seine ganze übrige Kleidung. Dies war ein Zeichen, daß er zur Fakirsekte der Kaderijeh gehöre, welche meist aus Fischern und Schiffern besteht und von Abdelkader el Gilani gestiftet wurde. Als er den Sambuk erblickte, stutzte er einen Augenblick, dann aber rief er:

»La ilaha illa lah!«

»Illa lah!« antworteten die Andern im Chore.

Er hielt auf das Fahrzeug zu, legte sein Floß an und stieg an Bord. Wir, nämlich Halef und ich, befanden uns nicht allein an Bord; der Kürekdschi war uns gefolgt, und an diesen wandte sich der Derwisch:

»Gott schütze Dich!«

»Mich und Dich!« lautete die Antwort.

»Wie befindest Du Dich?«

»So wohl wie Du.«

»Wem gehört dieser Sambuk?«

»Seiner Herrlichkeit, dem Großherrn, welcher der Liebling Allah's ist.«

»Und wer führt ihn?«

»Unser Effendi, der Wergi-Baschi Muhrad Ibrahim.«

»Und was habt Ihr geladen?«

»Wir haben keine Fracht; wir fahren von Ort zu Ort, um den Zoll einzunehmen, welchen der Großscherif von Mekka anbefohlen hat.«

»Haben die Gläubigen reichlich gegeben?«

»Es ist Keiner zurückgeblieben, denn wer Almosen gibt, dem vergilt es Allah doppelt.«

»Wohin fahrt Ihr von hier?«

»Nach Tor.«

»Das werdet Ihr morgen nicht erreichen.«

»Wir werden am Ras Nayazat anlegen. Wo willst Du hin?«

»Nach Dschidda.«

»Auf diesem Floß?«

»Ja. Ich habe ein Gelübde gethan, nur auf meinen Knieen nach Mekka zu fahren.«

»Aber bedenke die Bänke, die Riffe, die Untiefen, die bösen Winde, die es hier gibt, und die Haifische, welche dein Floß umschwärmen werden!«

»Allah ist der allein Starke; er wird mich schützen. Wer sind diese beiden Männer?«

»Ein Gi – – ein Nemsi mit seinem Diener.«

»Ein Ungläubiger? Wo will er hin?«

»Nach Tor.«

»Erlaube, daß ich meine Datteln hier verzehre; dann werde ich weiter fahren.«

»Gefällt es Dir nicht, die Nacht bei uns zu bleiben?«

»Ich muß weiter.«

»Das ist sehr gefährlich.«

»Der Gläubige hat nichts zu fürchten; sein Leben und sein Ende ist im Buche verzeichnet.«

Er setzte sich nieder und zog eine Handvoll Datteln hervor.

Ich hatte den Eingang zu dem Verschlage verriegelt gefunden und mich über das Geländer gelehnt. Da die beiden Sprechenden eine ziemliche Strecke von mir entfernt waren, und ich sehr angelegentlich in das Wasser zu blicken schien, so mochten sie denken, daß ich ihre Unterhaltung nicht verstünde. Der Derwisch frug:

»Ein Nemtsche ist dieser? Ist er reich?«

»Nein.«

»Woher weißt Du dies?«

»Er gibt nur den sechsten Theil dessen, was wir für die Fahrt verlangten. Aber er besitzt einen Bjuruldu des Großherrn.«

»So ist er sicher ein sehr vornehmer Mann. Hat er viel Gepäck bei sich?«

»Gar keines, aber viele Waffen.«

»Ich habe noch keinen Nemtsche gesehen, aber ich habe gehört, daß die Nemsi sehr friedliche Leute sind. Er wird die Waffen nur tragen, um damit zu prunken. Doch jetzt bin ich fertig mit meinem Mahle; ich werde weiter fahren. Sage Deinem Herrn Dank, daß er einem armen Fakir erlaubt hat, sein Schiff zu betreten!«

Einige Augenblicke später kniete er wieder auf seinem Floß. Er ergriff das Ruder, führte es im Takte und sang dazu sein ›ïa Allah, Allah hu!‹

Dieser Mensch hatte einen eigenthümlichen Eindruck auf mich gemacht. Warum hatte er das Schiff bestiegen und nicht am Ufer angelegt? Warum hatte er gefragt, ob ich reich sei, und während der ganzen Unterhaltung das Deck mit einem Blick gemustert, dessen Schärfe er nicht vollständig verbergen konnte? Ich hatte äußerlich nicht den mindesten Grund zu irgend einer Befürchtung, und dennoch kam mir in der Seele dieser Mann verdächtig vor. Ich hätte schwören mögen, daß er gar kein Derwisch sei.

Als er für das bloße Auge unverfolgbar war, richtete ich mein Fernrohr nach ihm. Obgleich in jenen Gegenden die Dämmerung sehr kurz ist, war es doch noch hell genug, ihn durch die Gläser zu erkennen. Er kniete nicht mehr, wie sein angebliches Gelübde ihm doch vorgeschrieben hätte, sondern er hatte sich bequem niedergesetzt und das Floß halb gewendet – – er ruderte der jenseitigen Küste zu. Hier war jedenfalls etwas ›nicht richtig im Staate Dänemark‹.

Halef stand neben mir und beobachtete mich. Er schien sich damit zu beschäftigen, meine Gedanken zu errathen.

»Siehst Du ihn noch, Sihdi?« frug er mich.

»Ja.«

»Er denkt, daß wir ihn nicht mehr sehen können, und rudert dem Lande zu?«

»So ist es. Woraus vermutest Du dies?«

»Nur Allah ist allwissend, aber auch Halef hat scharfe Augen.«

»Und was haben diese Augen gesehen?«

»Daß dieser Mann weder ein Derwisch noch ein Fakir war.«

»Ah?«

»Ja, Sihdi. Oder hast Du jemals gesehen und gehört, daß ein Derwisch von dem Orden Kaderijeh die Litanei der Hawlajüp redet und singt?«

»Das ist richtig. Aber weßhalb sollte er sich für einen Fakir ausgeben, wenn er keiner ist?«

»Das muß man zu errathen suchen, Effendi. Er sagte, daß er auch während der Nacht fahren werde. Warum thut er es nicht?«

Da unterbrach der Steuermann unser Gespräch. Er trat herzu und frug:

»Wo wirst Du schlafen, Effendi?«

»Ich werde mich in den Tachta-perde legen.«

»Das geht nicht.«

»Warum?«

»Weil dort das Geld aufbewahrt wird.«

»So wirst Du uns Teppiche besorgen, um uns hinein zu hüllen, und wir schlafen hier auf dem Verdeck.«

»Du sollst sie haben, Sihdi. Was würdest Du thun, wenn Feinde zu dem Schiffe heran kämen?«

»Welche Feinde meinst Du?«

»Räuber.«

»Gibt es hier Räuber?«

»Die Dscheheïne wohnen hier in der Nähe. Sie sind berüchtigt als die größten Chirsizler weit und breit, und kein Schiff, kein Mensch ist vor ihnen sicher.«

»Ich denke, Euer Herr, der Wergi-Baschi Muhrad Ibrahim ist ein Held, ein tapferer Mann, der sich vor keinem Menschen fürchtet, auch vor keinem Räuber, vor keinem Dscheheïne?«

»Das ist er; aber was vermag er, und was vermögen wir alle gegen Abu-Seïf, den ›Vater des Säbels‹, der gefährlicher und schrecklicher ist, als der Löwe in den Bergen oder der Haifisch im Meere?«

»Abu-Seïf? Ich kenne ihn nicht; ich habe noch niemals von ihm gehört.«

»Weil Du ein Fremdling bist. Zur Weidezeit bringen die Dscheheïne ihre Heerden nach den beiden Inseln Libnah und Dschebel Hassan und lassen nur wenig Männer bei ihnen. Die andern aber gehen auf Raub und Diebstahl aus. Sie überfallen die Barken und nehmen entweder Alles, was sie darauf finden, oder erpressen sich ein schweres Lösegeld.«

»Und was thut die Regierung dagegen?«

»Welche?«

»Steht Ihr denn nicht im Giölgeda padischahnün?«

»Der reicht nicht bis zu den Dscheheïne. Dies sind freie Araber, welche der Großscherif von Mekka beschützt.«

»So helft Euch selbst! Fangt die Räuber!«

»Effendi, Du sprichst, wie ein Franke redet, der dies nicht versteht. Wer kann Abu-Seïf fangen und tödten?«

»Er ist doch nur ein Mensch.«

»Aber er besitzt die Hülfe des Scheidan. Er kann sich unsichtbar machen; er kann die Luft und das Meer durchfliegen; er wird weder durch einen Säbel, noch durch ein Messer, noch durch eine Kugel verwundet, aber sein Säbel ist faldschymisch; er dringt durch Thüren und Mauern und schneidet mit einem Hiebe gleich hundert und noch mehr Feinden Leib und Seele auseinander.«

»Den möchte ich sehen!«

»O wehe, wünsche das nicht, Effendi! Der Teufel sagt es ihm, daß Du ihn sehen willst, und dann kannst Du Dich darauf verlassen, daß er kommen wird. Ich gehe, um Dir die Teppiche zu holen; dann lege Dich schlafen und bete vorher zu Deinem Gott, daß er Dich bewahre vor allen Gefahren, die Dir drohen.«

»Ich danke für Deinen Rath, aber ich bete gewöhnlich vor dem Schlafengehen.«

Er brachte uns die Decken, in welche wir uns hüllten, und wir schliefen sehr bald ein, da wir von unserem Ritt ermüdet waren.

Während der Nacht hatten einige Matrosen sowohl am Lande die Schlafenden als auch an Bord das Geld bewacht. Am Morgen versammelten sich Alle auf dem Schiffe. Der Anker wurde gehoben, das Seil gelöst; man stellte die Segel, und der Sambuk steuerte südwärts.

Wir waren ungefähr drei Viertelstunden lang unter Segel gewesen, als wir ein Boot erblickten, welches in der gleichen Richtung vor uns ruderte. Als wir näher an dasselbe herankamen, sahen wir zwei Männer und zwei völlig verschleierte Frauen darin.

Das Boot hielt bald an, und die Männer gaben ein Zeichen, daß sie den Sambuk anzureden gedächten. Der Steuermann ließ das Segel abfallen und hemmte so den Lauf unsers Fahrzeuges. Einer der beiden Ruderer erhob sich und rief:

»Sambuk, wohin?«

»Nach Tor.«

»Wir auch. Wollt Ihr uns mitnehmen?«

»Bezahlt Ihr?«

»Gern.«

»So kommt an Bord.«

Das Schiff legte bei, und die vier Personen stiegen an Bord, während das Boot in's Schlepptau genommen wurde. Dann setzte der Sambuk seine Fahrt fort.

Der Wergi-Baschi begab sich in die Kajüte, jedenfalls um für die Frauen Platz zu machen; dann wurden dieselben den Blicken der Männer entzogen. Sie mußten an mir vorüber. Als Europäer brauchte ich mich nicht abzuwenden, und so bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß keine Atmosphäre von Parfüm sie umgab; denn die Frauen des Morgenlandes pflegen sich so zu parfümiren, daß man den Geruch bereits aus einer beträchtlichen Entfernung verspürt. Ein Odeur allerdings fiel mir auf, ein Odeur, der sich wie ein unsichtbarer Schweif hinter ihnen her zog, nämlich jener jedem Orientalen bekannte Geruch, welcher halb vom Kameele und halb von dem unfermentirten Rasr-Tabak stammt, den viele Beduinen zu rauchen pflegen, und welcher auf die Geruchs- und Geschmacksnerven ganz dieselbe Wirkung hat, wie weiland der Inhalt der französischen Seegrasmatrazen, den aus Mangel an Besserem während des letzten Krieges so mancher deutsche Held in seine Pfeife stopfte. Ich empfand ganz den Eindruck, als seien zwei Kameeltreiber an mir vorüber gegangen; wenigstens war es gewiß, daß der berühmte persische Dichter Hafis Schems-ed-Din Mohammed auf diese beiden Grazien nicht seine Verse:

»Wenn deiner Locken Wohlgerüche
Um's Grab mir weh'n,
Dann sprießen tausend Blumen
Aus meinem Hügel auf –«

gesungen hätte. Ich sah ihnen auch sehr aufmerksam nach, bis sie hinter der Thüre des Verschlages verschwunden waren, konnte aber weiter nichts Besonderes bemerken. Vielleicht hatten sie eine lange Kameelreise hinter sich, so daß die Ausdünstungen des ›Wüstenschiffes‹ nicht leicht aus ihren Kleidern zu bringen waren.

Ihre beiden Begleiter sprachen erst längere Zeit mit dem Steuermanne und dem Baschi; dann suchte der Eine, mich zu entern.

»Ich höre, daß Du ein Franke bist, Effendi?« frug er mich.

»Ja.«

»So bist Du hier unbekannt?«

»Ja.«

»Du bist ein Nemtsche?«

»Ja.«

»Haben die Nemsi auch einen Padischah?«

»Ja.«

»Und Paschas?«

»Ja.«

»Du bist wohl kein Pascha?«

»Nein.«

»Aber ein berühmter Mann?«

»Pek, billahi – bei Gott, sehr!«

»Du kannst schreiben?«

»Peh ne güzel – und wie schön!«

»Auch schießen?«

»Daha ei – noch besser!«

»Du wirst wohl mit diesem Sambuk nach Tor fahren?«

»Ja.«

»Du gehst noch weiter nach dem Süden?«

»Ja.«

»Bist Du mit den Ingli bekannt?«

»Ja.«

»Hast Du Freunde unter ihnen?«

»Ja.«

»Das ist sehr gut. Bist Du stark?«

»Korkulu – fürchterlich, arslandscha – wie ein Löwe! Soll ich es Dir beweisen?«

»Nein, Effendi.«

»Und doch, denn Deine Neugierde ist größer, als die Geduld eines Menschen sein kann. Packe Dich und komme nicht wieder!«

Ich faßte ihn, drehte ihn in die passende Richtung und gab ihm einen Stoß, daß er weit über das Deck hin schoß und dann dasselbe mit seinem Bauche begrüßte. Aber im Nu war er wieder auf.

»Wai sana – wehe Dir, Du hast einen Gläubigen beleidigt; Du mußt sterben!«

Er riß seinen Handschar heraus und stürzte auf mich zu. Sein Begleiter folgte ihm mit gezückter Waffe. Schnell zog ich Halef die harte Nilpeitsche aus dem Gürtel, um mit derselben die Angreifer zu salutiren; aber es sollte gar nicht so weit kommen, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Thür des Verschlages, und es erschien eine der Frauen. Sie erhob stumm die Hand und zog sich dann zurück. Die beiden Araber hemmten ihre Schritte und gingen lautlos bei Seite; aber ihre Blicke sagten mir, daß ich von Ihnen nichts Gutes zu erwarten habe.

Die Türken hatten dem Vorgang mit großem Gleichmuthe zugesehen. Wäre auf dem Schiffe Jemand getötet worden, so hätte es ja sein Kismet nicht anders mit sich gebracht.

Was mich betrifft, so hatten mich die unnützen Fragen dieses Menschen sehr in Harnisch gebracht. Aber, waren sie wirklich so unnütz? Hatten sie nicht vielleicht einen verborgenen Zweck? Der Orientale ist kein Schwätzer, am allerwenigsten aber verliert er seine Worte an einen Unbekannten, von dem er sogar nur das weiß, daß er ein Giaur ist.

Ich hatte mich im Humor des Ärgers für einen berühmten Mann und für einen großen Schützen ausgegeben. Warum wollte er wissen, ob ich ein ›Pascha‹, ein berühmter Mann, ein Schreiber, ein guter Schütze sei? Was konnte es ihm nützen, zu wissen, ob ich weiter nach Süden wolle und unter den Engländern Freunde habe? Warum hatte er bei der Bejahung dieser letzten Frage gesagt: »Das ist sehr gut«, und zu was konnte es ihm dienen, zu erfahren, ob ich stark und kräftig sei? Und überdies hatte er seine Fragen in der Weise an mich gerichtet, wie sie ein Oberer an seinen Untergebenen, ein Untersuchungsbeamter an einen Angeschuldigten richtet. Am auffälligsten dabei war aber der augenblickliche Gehorsam, den sowohl er als sein Begleiter dem Winke des Weibes leisteten. Das war hier, wo die Frau tief unter dem Manne steht und für das öffentliche Leben nicht die mindeste Selbstbestimmung besitzt, gewiß sehr ungewöhnlich, vielleicht sogar verdächtig.

»Sihdi,« meinte Halef, welcher nicht von meiner Seite gewichen war, »hast Du ihn gesehen?«

»Wen oder was?«

»Den Bart?«

»Den Bart! Welchen Bart?«

»Den das Weib hatte – –«

»Das Weib? Hatte das Weib einen Bart?«

»Sie hatte den Jaschmak nicht doppelt, wie vorher, sondern einfach über dem Gesichte, und so habe ich den Bart gesehen.«

»Schnurrbart?«

»Vollbart. Sie ist kein Weib, sondern ein Mann. Soll ich es dem Baschi sagen?«

»Ja, aber so, daß es Niemand hört.«

Er ging. Jedenfalls hatte er sich nicht geirrt; denn ich wußte, daß ich seinen scharfen Augen trauen könne, und unwillkürlich brachte ich diesen neuen Umstand mit dem Derwisch in Verbindung. Ich sah Halef mit dem Baschi reden; dieser schüttelte den Kopf und lachte; er glaubte es nicht. Der Erstere wandte sich mit einer höchst aufgebrachten Mine von ihm ab und kehrte zu mir zurück.

»Sihdi, dieser Baschi ist so dumm, daß er sogar mich für dumm hält.«

»Wie so?«

»Und Dich für noch dümmer als mich.«

»Ah!«

»Er sagt, daß ein Weib niemals einen Bart habe, und daß ein Mann niemals die Kleidung eines Weibes anlegen werde. Sihdi, was hältst Du von diesen Frauen, welche Vollbärte tragen? Vielleicht sind es Dscheheïne?«

»Ich vermute es.«

»So müssen wir die Augen offen halten, Sihdi!«

»Das ist das Einzige, was wir tun werden, und dazu gehört vor allen Dingen, daß wir unser Mißtrauen und unsere Aufmerksamkeit zu verbergen suchen. Halte Dich abseits von mir, aber so, daß wir einander stets beispringen können!«

Er entfernte sich eine ziemliche Strecke, und ich ließ mich auf den Teppich nieder. Dann beschäftigte ich mich mit Einträgen in mein Tagebuch, behielt aber dabei sowohl den Verschlag, als auch die beiden Araber immer im Auge. Es war mir, als hätte ich alle Augenblicke ein unangenehmes Ereigniß zu erwarten; dennoch aber verging der Tag, ohne daß irgend etwas Bedenkliches eingetreten wäre.

Der Abend dämmerte bereits, als wir in einer kleinen Bucht vor Anker gingen, welche gebildet wird durch eine hufeisenförmige Krümmung des Dschebel Nayazet, der zur großen Granitkette des Sinai gehört.

Die Küste war sehr schmal, denn nur wenige Schritte vom Ufer entfernt stiegen die tief zerklüfteten Felsen steil zum Himmel empor. Der Ankerplatz bot aus diesem Grunde vollständige Sicherheit gegen die Winde, ob aber heute auch gegen andere Störungen – –? Ich hätte gern einige der nächsten Klüfte und Felsenspalten untersucht, leider aber war der Abend bereits da, ehe die Türken das Land betreten hatten, um, wie gewöhnlich, Feuer anzuzünden.

El Mogreb und eine Stunde später el Aschia, die beiden Abendgebete, hallten feierlich die steilen Bergwände empor. Wer hier vielleicht verborgen war, mußte unsere Anwesenheit hören, selbst wenn er unser Feuer nicht gesehen hätte. Wie gestern, hatte ich es vorgezogen, die Nacht auf dem Fahrzeuge zuzubringen, und mit Halef ausgemacht, daß wir abwechselnd wachen wollten. Später kamen einige der Matrosen wieder an Bord, um die Wache zu übernehmen, und da traten auch die beiden Frauen aus dem Verschlage, um an Deck die frische Abendluft zu genießen. Sie hatten sich auch jetzt doppelt verschleiert; dies konnte ich bemerken, weil die Sterne des Südens einen solchen Glanz verbreiteten, daß es nicht schwer war, das ganze Verdeck zu überblicken. Sie kehrten aber bald wieder zu ihrem Verschlage zurück, dessen Thüre ich mit meinen Augen beobachten konnte, obgleich ich diesmal im Vordertheile des Fahrzeuges lag.

Halef schlief ungefähr fünf Schritte von mir entfernt. Als Mitternacht herankam, weckte ich ihn heimlich und flüsterte:

»Hast Du geschlafen?«

»Ja, Sihdi. Jetzt schlafe Du!«

»Ich kann mich auf Dich verlassen?«

»Wie auf Dich selbst!«

»Wecke mich bei der geringsten Ursache zum Verdachte!«

»Das werde ich thun, Sihdi!«

Ich hüllte mich fester in den Teppich und schloß die Augen. Ich wollte schlafen, aber es gelang mir nicht. Ich sagte in Gedanken das Einmaleins auf – es half nicht. Da griff ich zu dem Mittel, welches sicher stets den Schlaf bringt. Ich verdrehte die geschlossenen Augen so, daß die Pupillen ganz nach oben zu stehen kamen, und bemühte mich, an gar nichts zu denken. Der Schlummer kam und – – halt, was war das?

Ich wickelte den Kopf aus der Decke und spähte zu Halef hinüber. Auch er mußte aufmerksam geworden sein, denn er hatte sich, wie horchend, halb emporgerichtet. Ich hörte jetzt nichts mehr, aber als ich das Ohr wieder auf das Deck legte, welches einen besseren Schallleiter als die Luft bildete, vernahm ich das seltsame Geräusch wieder, welches mich aufgeweckt hatte, trotzdem es überaus leise war.

»Hörst Du etwas, Halef?« flüsterte ich.

»Ja, Sihdi. Was ist es?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich auch nicht. Horch!«

Ein leises, ganz leises Plätschern ertönte jetzt vom Hintertheile her. Draußen am Lande war das Feuer erloschen.

»Halef, ich gehe auf einige Minuten nach dem Hinterdeck; bewache meine Waffen und Kleider!«

Von den drei Türken, welche wieder an Bord gekommen waren, lagen zwei schlafend am Boden; der dritte hatte sich niedergekauert und – schlief jedenfalls auch. Es war denkbar, daß ich von der Kajüte aus beobachtet wurde; daher mußte ich die möglichste Vorsicht anwenden. Ich ließ die Büchse und den Stutzen liegen und legte sowohl den Turban als auch den Haïk ab, welche mich durch ihre weiße Farbe verrathen hätten. Dann schmiegte ich mich hart an den Boden, gewann den Rand des Deckes und kroch langsam an demselben hin, bis ich die Stelle erreichte, wo am äußersten Backbord eine Art Hühnersteige auf die Decke des Verschlages und zum Steuerruder führte. Ich stieg hinauf, katzenartig leise, darauf kam's ja an.

Es gelang, und nun kroch ich bis hinter an den Ruderwinkel. Ah – – das sonderbare Geräusch war erklärt. Das Boot, welches die beiden Frauen gebracht, und welches der Sambuk in Schlepptau genommen hatte, war von dem Innern des Verschlages aus so scharf angeholt worden, daß es grad unter dem einen Fenster lag, welches sich am breiten Hintertheile des Fahrzeuges befand. Durch diese Fensterlucke wurde soeben, als ich vorsichtig von oben herablugte, ein kleiner, aber nicht leichter Gegenstand an einem Seile herabgelassen, dessen Reibung an dem Luckenrande jenen Ton hervorbrachte, den man allerdings nur dann wahrnehmen konnte, wenn man das Ohr hart auf die Bretter des Verdeckes legte. Unten in dem Boote befanden sich drei Männer, welche den Gegenstand in Empfang nahmen und dann warteten, bis das Seil wieder emporgezogen und ein zweites Packet herabgelassen wurde.

Die Sache war mir natürlich sofort klar. Was in dem Boote aufgestaut wurde, war das Geld des Wergi-Baschi, d. h. der Ertrag der Steuer, welche er eingesammelt hatte, und – – – ich hatte keine Zeit, weiter zu vermuthen.

»Alargha, iz chijanisch – aufgeschaut, wir sind verrathen!« rief eine tiefe Stimme vom hohen Ufer her, wo man das Verdeck überblicken konnte; zu gleicher Zeit krachte ein Schuß, und eine Kugel bohrte sich hart neben mir in die Planke. Ein zweiter Schuß blitzte drüben auf, ein dritter; die Kugeln flogen glücklicher Weise an mir vorüber, und ich durfte mich ihnen nicht länger aussetzen. Ich sah nur noch, daß das Tau unten gekappt und das Boot fortgerudert wurde; dann sprang ich vom Verschlage gleich auf das Deck hinab.

In demselben Augenblick öffnete sich die Thüre der Kajüte, und ich bemerkte Zweierlei, nämlich daß an der hinteren Seite derselben zwei Bretter entfernt und daß durch diese Lücke eine Anzahl Männer unbemerkt vom Wasser aus eingestiegen waren. Die Frauen sah ich nicht, aber neun Männer stürzten sofort auf mich los.

»Halef, herbei!« rief ich laut.

Ich hatte gar keine Zeit gehabt, eine Waffe zu ziehen. Drei hatten mich um den Leib gefaßt und sorgten dafür, daß ich nicht in den Gürtel langen konnte. Drei sprangen Halef entgegen, und die Andern gaben sich Mühe, die Fäuste zu erhaschen, mit denen ich mich vertheidigte. Draußen am Lande krachten Schüsse, und ertönten Flüche und Hülferufe, und dazwischen hörte man die Kommandos jener tiefen Baßstimme, welche ich vorhin wieder erkannt hatte: – es war die Stimme des Derwischs.

»Es ist der Nemtsche. Tödtet ihn nicht, sondern fangt ihn!« gebot Einer von denen, welche mich umfaßt hielten.

Ich suchte mich loszureißen: es ging nicht. Sechs gegen Einen! Da krachte ein Pistolenschuß nicht weit von mir.

»Zu Hilfe, Sihdi; ich bin verwundet!« rief Halef.

Ich machte einen gewaltigen Ruck und riß meine Dränger einige Schritte mit mir fort.

»Betäubt ihn!« erscholl eine keuchende Stimme.

Ich wurde wieder fester gepackt und erhielt trotz meiner verzweifelten Gegenwehr einige Schläge über den Kopf, die mich niederstreckten. Es toste mir in den Ohren, wie eine wilde Brandung. Mitten durch den Donner derselben hörte ich Gewehre knallen und Stimmen schallen; dann war es mir, als würde ich an Händen und Füßen zusammengeschnürt und fortgeschleift, und endlich empfand ich gar nichts mehr.

Als ich erwachte, fühlte ich einen wüsten, pochenden Schmerz in meinem Hinterkopfe, und es dauerte eine geraume Zeit, bis es mir gelang, mich auf das Vorgefallene zu besinnen. Um mich her war es völlig dunkel, aber ein laut vernehmliches Sog ließ mich vermuthen, daß ich mich in dem Kielraume eines Fahrzeuges befände, welches in schneller Fahrt begriffen wäre. Die Hände und die Beine waren mir so fest gebunden, daß ich kein Glied rühren konnte. Zwar schnitten mir die Fesseln nicht in das Fleisch, denn sie bestanden nicht aus Stricken oder Riemen, sondern aus Tüchern; aber sie verhinderten mich, die Schiffsratten von mir abzuwehren, welche meine Person einer sehr genauen Untersuchung unterwarfen.

Es verging eine lange, lange Zeit, ohne daß sich in meiner Lage etwas änderte. Endlich hörte ich das Geräusch von Schritten, konnte aber nichts sehen. Meine Fesseln wurden gelöst, und eine Stimme gebot mir:

»Stehe auf, und geh' mit uns!«

Ich erhob mich. Sie führten mich aus dem Kielraum durch ein halbdunkles Zwischendeck nach oben. Unterwegs untersuchte ich meine Kleider und fand ebenso zu meiner Überraschung wie Beruhigung, daß man mir außer den Waffen nicht das Mindeste abgenommen hatte.

Als ich das Verdeck betrat, bemerkte ich, daß ich mich auf einer kleinen, sehr scharf auf den Kiel gebauten Barke befand, welche zwei dreieckige und ein trapezisches Segel hatte. Die Takelung erforderte auf diesem an Stürmen, Böen, Riffen und Untiefen reichen Meere einen Kapitän, der seine Sache aus dem Grund verstand und ebensoviel Muth wie Kaltblütigkeit besitzen mußte. Das Fahrzeug war um das Dreifache bemannt, als nothwendig gewesen wäre, und hatte auf dem Vorderdecke eine Kanone, welche aber so von Kisten, Ballen und Fässern maskirt war, daß sie von einem anderen Schiffe aus gar nicht bemerkt werden konnte. Die Mannschaft bestand aus lauter wettergebräunten Männern, von denen jeder seinen Gürtel mit Schuß-, Hieb- und Stichwaffen gespickt hatte. Auf dem Hinterdecke saß ein Mann in rothen Hosen, grünem Turban und blauem Kaftan. Seine lange Weste war reich mit Gold gestickt, und in dem Bassora-Shawl, der ihm als Gürtel diente, funkelten kostbare Waffen. Ich erkannte in ihm sofort den Derwisch. Neben ihm stand der Araber, welchen ich auf dem Sambuk zu Boden geschleudert hatte. Ich wurde vor die Beiden geführt. Der Araber musterte mich mit rachgierigem, der Derwisch mit verächtlichem Blick.

»Weißt Du, wer ich bin?« frug mich der Derwisch.

»Nein, aber ich vermuthe es.«

»Nun, wer bin ich?«

»Du bist Abu Seïf.«

»Ich bin es. Knie nieder vor mir, Giaur!«

»Was fällt Dir ein! Steht nicht im Kuran geschrieben, daß man nur Allah allein anbeten soll?«

»Das gilt nicht für Dich, denn Du bist ein Ungläubiger. Ich befehle Dir, nieder zu knien, um Deine Demuth zu bezeugen.«

»Noch weiß ich nicht, ob Du Ehrfurcht verdienst, und selbst wenn ich es erfahren hätte, würde ich Dir meine Achtung auf eine andere Weise bezeigen.«

»Giaur, Du kniest, oder ich schlage Dir den Kopf ab!«

Er hatte sich erhoben und faßte seinen krummen Säbel. Ich trat noch einen Schritt näher an ihn heran.

»Meinen Kopf? Bist Du wirklich Abu Seïf, oder bist Du ein Henker?«

»Ich bin Abu Seïf und halte mein Wort. Nieder mit Dir, oder ich lege Dir den Kopf vor die Füße!«

»Wahre Deinen eigenen Kopf!«

»Giaur!«

»Korkakdschi!«

»Was!« zischte er. »Einen Korkakdschi, einen Feigling nennst Du mich!«

»Warum griffst Du den Sambuk des Nachts an? Warum hülltest Du Deine Dschasusler in Weiberkleider? Warum zeigst Du hier Muth, wo Du von den Deinen umgeben und beschützt wirst? Ständest Du allein mir gegenüber, so würdest Du anders mit mir reden!«

»Ich bin Abu Seïf, der Vater des Säbels, und zehn Männer Deiner Sorte vermöchten nichts gegen meine Klinge!«

»Aferihn – brav so! So muß man reden, wenn man sich zu handeln fürchtet.«

»Zu handeln? Sind diese Zehn zur Stelle? Wäre dies der Fall, so wollte ich Dir im Augenblick beweisen, daß ich die Wahrheit gesagt habe!«

»Die Zehn sind nicht nötig; es genügt Einer.«

»Wolltest Du vielleicht dieser Eine sein?«

»Pah, Du würdest es nicht erlauben!«

»Warum nicht?«

»Weil Du Dich fürchtest. Du tötest mit dem Munde, nicht aber mit dem Säbel.«

Ich hatte einen verstärkten Ausfall seines Zornes auf diese Worte erwartet, sah mich aber getäuscht. Er verbarg diesen Grimm hinter einer kalten, tödtlichen Ruhe, nahm seinem Nachbar den Säbel vom Gürtel und reichte ihn mir.

»Hier nimm und vertheidige Dich! Aber ich sage Dir, selbst wenn Du die Fertigkeit Afram's und die Stärke Kelad's hättest, so würdest Du beim dritten Hiebe eine Leiche sein.«

Ich nahm den Säbel.

Es war eine eigenthümliche Situation, in der ich mich befand. Der ›Vater des Säbels‹ mußte nach orientalischen Begriffen ein ausgezeichneter Fechter sein, aber ich wußte, daß der Orientale durchschnittlich ein ebenso schlechter Fechter als schlechter Schütze ist. Mit der Fertigkeit Afram's und der Stärke Kelad's war es wohl nicht gar so weit her. Ich hatte noch mit keinem Orientalen nach den Regeln der Fechtkunst die Klinge gekreuzt, und wenn mir auch der dargereichte, an der ›halben und ganzen Schwere‹, also an der ›Parirung‹ dünne, und an der ›halben und ganzen Schwäche‹ so starke und schwere Säbel ziemlich ungewohnt war, so hatte ich dennoch große Lust, dem ›Vater des Säbels‹ die Überlegenheit der europäischen Waffenführung zu beweisen.

Die ganze Bemannung des Schiffes war uns nahe getreten, und in allen Mienen spiegelte sich die Überzeugung, daß ich wirklich bei dem dritten Hiebe des Abu Seïf ein todter Mann sein werde.

Er drang so schnell, wild und regellos auf mich ein, daß ich keinen Moment Zeit hatte, Position zu nehmen. Ich parirte seine unreine Winkelquart und versuchte, mir sofort eine Blöße zu verschaffen; zu meinem Erstaunen aber ging er bei meinem Zirkelhiebe ganz prachtvoll unter meiner Klinge durch. Er traversirte und gab eine Finte; sie gelang ihm nicht. Nun traversirte ich ebenso und schlug Espadon; mein Hieb kam zum Sitzen, obgleich es meine Absicht nicht war, ihn sehr zu verletzen. Voll Wuth darüber, vergaß er sich, trat zurück und gab im Sprunge abermals Winkelquart; ich trat einen halben Schritt vor, setzte mit harter Festigkeit in die Linie ein, und – die Waffe flog ihm aus der Hand und über Bord in das Wasser.

Ein Schrei erscholl ringsumher. Ich aber trat zurück und senkte die Waffe.

Er stand vor mir und starrte mich an.

»Abu Seïf, Du bist ein sehr geschickter Fechter!«

Diese meine Worte brachten ihn wieder zu sich; aber ich sah gegen meine Erwartung nicht das Zeichen des Grimmes, sondern nur der Überraschung in seinem Angesicht.

»Mensch, Du bist ein Ungläubiger und hast doch Abu Seïf besiegt!«

»Du hast es mir leicht gemacht, denn Dein Fechten ist kein edles und überlegtes. Mein zweiter Hieb kostete Dich Blut, und mein dritter nahm Dir die Waffe; ja, ich bin gar nicht zum dritten Hieb gekommen, während Dein dritter mich tödten sollte. Hier hast Du den Säbel; ich bin in Deiner Hand.«

Diese – freilich gewagte – Appellation an seinen Edelmuth hatte einen guten Erfolg.

»Ja, Du bist in meiner Gewalt, Du bist mein Gefangener; aber Du hast Dein Schicksal in Deiner eigenen Hand.«

»In wiefern?«

»Wenn Du thust, was ich von Dir verlange, so wirst Du bald wieder frei sein.«

»Was soll ich thun?«

»Du wirst mit mir fechten?«

»Ja.«

»Und es mich so lehren, wie es bei den Nemsi gelehrt wird?«

»Ja.«

»Du wirst Dich, so lange Du auf meinem Schiffe bist, von keinem fremden Auge sehen lassen?«

»Gut!«

»Und das Deck auf meinen Befehl sofort verlassen, wenn ein anderes Fahrzeug in Sicht kommt?«

»Ja.«

»Du wirst mit Deinem Diener kein Wort sprechen.«

»Wo ist er?«

»Hier auf dem Schiffe.«

»Gebunden?«

»Nein, er ist krank.«

»Er hat eine Wunde?«

»Er ist am Arm verwundet und hat ein Bein gebrochen, daß er sich nicht erheben kann.«

»So kann ich Dir das verlangte Versprechen nicht geben. Mein Diener ist mein Freund, den ich pflegen muß; Du wirst mir dies erlauben!«

»Ich erlaube es nicht; aber ich verspreche Dir, daß er gut verpflegt wird.«

»Das genügt mir nicht. Wenn er das Bein gebrochen hat, so muß ich es ihm einrichten. Es ist wohl hier Keiner, welcher das versteht.«

»Ich selbst verstehe es. Ich bin so gut wie ein Dscherrah; ich habe ihm seine Wunde verbunden und auch sein Bein geschient. Er hat keine Schmerzen mehr und ist mit mir zufrieden.«

»Ich muß dies aus seinem Munde erfahren.«

»Ich betheure es Dir bei Allah und dem Propheten! Willst Du mir nicht versprechen, nicht mit ihm zu reden, so werde ich dafür sorgen, daß Du ihn nicht zu sehen bekommst. Aber ich habe noch mehr von Dir zu verlangen.«

»Fordere!«

»Du bist ein Christ und wirst Dich hüten, einen der Meinen zu verunreinigen?«

»Gut.«

»Du hast Freunde unter den Inglis?«

»Ja.«

»Sind es große Leute?«

»Es sind Paschas unter ihnen.«

»So werden sie Dich auslösen?«

Das war ja etwas ganz Neues! Also er wollte mich nicht tödten, sondern sich meine Freiheit bezahlen lassen.

»Wie viel verlangst Du?«

»Du hast nur wenig Gold und Silber bei Dir; Du kannst Dich nicht selbst loskaufen.«

Also er hatte meine Taschen doch untersucht. Was ich in den Ärmeln meiner türkischen Jacke eingenäht hatte, war von ihm nicht gefunden worden. Es wäre allerdings zum Lösegeld auch zu wenig gewesen. Daher antwortete ich:

»Ich habe nichts; ich bin nicht reich.«

»Ich glaube es, obgleich Deine Waffen ausgezeichnet sind und Du Instrumente bei Dir führst, welche ich gar nicht kenne. Aber Du bist vornehm.«

»Ah!«

»Und berühmt.«

»Ah!«

»Du hast es diesem hier auf dem Sambuk gesagt.«

»Ich habe Spaß gemacht.«

»Nein, Du hast im Ernst gesprochen. Wer so stark ist und den Säbel so zu führen weiß, wie Du, der kann nichts Anderes sein, als ein großer Zabit, für den sein Padischah gern ein gutes Lösegeld geben wird.«

»Mein König wird meine Freiheit nicht mit Geld bezahlen; er wird sie umsonst von Dir fordern.«

»Ich kenne keinen König der Nemsi; wie also will er mit mir reden und mich zwingen, Dich frei zu lassen?«

»Er wird es durch seinen Eltschi thun.«

»Auch diesen kenne ich nicht. Es gibt keinen Eltschi der Nemsi hier am Ma-el-Hamrech.«

»Der Gesandte ist in Stambul beim Großherrn. Ich habe einen Bu-Dscheruldi, das Ihr hier Bjuruldu nennt, und bin also Einer, der in dem Schatten des Sultans steht.«

Er lachte.

»Hier gilt der Padischah nichts; hier hat nur der Großscherif von Mekka zu gebieten, und ich bin mächtiger als diese Beiden. Ich werde weder mit Deinem König noch mit seinem Gesandten über Dich verhandeln.«

»Mit wem sonst?«

»Mit den Inglis.«

»Warum mit diesen?«

»Weil sie Dich auswechseln sollen.«

»Gegen wen?«

»Gegen meinen Bruder, der sich in ihrer Hand befindet. Er hat mit seiner Barke eines ihrer Schiffe angegriffen und ist von ihnen gefangen genommen worden. Sie haben ihn nach Eden geschafft und wollen ihn tödten; nun aber werden sie ihn für Dich frei lassen müssen.«

»Vielleicht irrst Du Dich. Ich gehöre nicht zu den Inglis. Sie werden mich wohl in Deinen Händen lassen und Deinen Bruder tödten.«

»So stirbst Du auch. Du kannst schreiben und wirst einen Brief an sie anfertigen, den ich ihnen übergeben lasse. Machst Du den Brief gut, so werden sie Dich auswechseln; machst Du ihn aber schlecht, so hast Du Dich selbst getödtet. Also überlege Dir den Brief recht sehr; Du hast noch viele Tage Zeit.«

»Wie viele?«

»Wir haben ein böses Meer vor uns; aber ich werde, so viel es angeht, auch des Nachts fahren. Wenn uns der Wind günstig bleibt, sind wir in vier Tagen in Dschidda. Von da bis in die Gegend von Sanah, wo ich mein Schiff verbergen werde, haben wir beinahe ebenso weit. Du hast also eine volle Woche Zeit, über Dein Schreiben nachzudenken, denn erst von Sanah aus werde ich den Boten abgehen lassen.«

»Ich werde den Brief schreiben.«

»Und Du versprichst mir, keinen Fluchtversuch zu unternehmen?«

»Das kann ich Dir nicht versprechen.«

Er sah mir einige Zeit lang ernst in das Gesicht.

»Allah akbar, Gott ist groß, und ich habe es nicht geglaubt, daß unter den Christen auch ehrliche Leute sind. Also Du willst mir entfliehen?«

»Ich werde jede Gelegenheit dazu benutzen.«

»So werden wir auch nicht fechten; Du könntest mich erschlagen und in das Wasser springen, um Dich durch Schwimmen zu retten. Kannst Du schwimmen?«

»Ja.«

»Bedenke, daß hier im Wasser viele Fische sind, die Dich fressen würden!«

»Ich weiß es.«

»Ich werde Dich streng bewachen lassen. Der Mann hier neben mir wird stets an Deiner Seite sein. Du hast ihn beleidigt; er wird Dich nicht aus den Augen lassen, bis Du entweder frei oder gestorben bist.«

»Was wird in diesen beiden Fällen mit meinem Diener werden?«

»Ihm wird nichts geschehen. Zwar hat er eine große Sünde begangen, da er der Diener eines Ungläubigen ist; aber er ist weder ein Türke noch ein Giaur, er wird seine Freiheit mit Dir oder nach Deinem Tode erhalten. Jetzt kannst Du auf dem Deck bleiben; sobald es Dir Dein Wächter aber gebietet, gehst Du hinab, wo Du in Deine Kammer eingeschlossen wirst.«

Er wandte sich ab, und ich war also entlassen.

Ich schritt zunächst nach dem Vorderdeck und ging dann längs des Regelings spazieren; als ich ermüdet war, legte ich mich auf eine Decke nieder. Stets blieb der Araber in meiner Nähe, so daß er sich immer in einer Entfernung von fünf bis sechs Schritten von mir befand.

Das war ebenso überflüssig wie für mich unangenehm. Kein Mensch weiter schien sich um mich zu bekümmern, kein Mensch sprach ein Wort zu mir. Man reichte mir schweigend mein Wasser, mein Kuskussu und einige Datteln. Sobald ein Fahrzeug uns ansegelte, mußte ich hinunter in meine Kammer, an deren Thür sich mein Wächter so lange postirte, bis ich wieder oben erscheinen durfte, und am Abend wurde die Thüre verriegelt und mit allerlei Gerümpel verbarrikadirt.


 << zurück weiter >>