Karl May
Durch die Wüste
Karl May

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Im Harem

Auch ich lag auf dem weichen Divan meiner gemietheten Wohnung, schlürfte würzigen Mokka und schwelgte im Dufte des würzigen Djebeli, welcher meiner Pfeife entströmte. Die starken, nach außen fensterlosen Mauern boten dem Sonnenbrande Einhalt, und die aufgestellten porösen Thongefäße, durch deren Wände das Nilwasser verdunstete, machten die Atmosphäre so erträglich, daß ich von der während der Mittagszeit hier so gewöhnlichen Abspannung des Menschen wenig oder gar nichts bemerkte.

Da erhob sich draußen die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha.

Halef Agha? Ja, mein guter, kleiner Halef war ein Agha, ein Herr geworden, und wer hatte ihn dazu gemacht? Spaßhafte Frage! Wer denn sonst als er selbst!

Wir waren über Tripolis und Kufarah nach Egypten gekommen, hatten Kairo besucht, welches der Araber schlechtweg el Masr, die Hauptstadt, oder noch lieber el Kahira, die Siegreiche, nennt, waren den Nil, so weit es mir meine beschränkten Mittel erlaubten, hinaufgefahren und hatten uns dann zum Ausruhen die Wohnung genommen, in welcher ich mich ganz wohl befunden hätte, wenn nicht mein sonst ganz prächtiger Divan und alle Teppiche sehr dicht von jenen springfertigen, stechkundigen Geschöpfen heimgesucht worden wären, von welchen der alte, gute Fischart dichtete:

»Mich bizt neizwaz, waz mag daz seyn?«

und von denen man außer dem großäugigen Pulex canis und dem röthlichen Pulex musculi noch den allbeliebten Pulex irritans und den wütenden Pulex penetrans kennen gelernt hat. Leider muß ich sagen, daß Egypten nicht das Jagdgefilde des ›irritans‹, sondern des ›penetrans‹, also nicht des ›reizenden‹ sondern des ›durchdringenden‹ Pulex ist, und so brauche ich wohl nicht hinzuzufügen, daß mein Kef, meine Mittagsruhe, nicht ganz ohne alle Belästigung geblieben war.

Also draußen erhob sich die scheltende Stimme meines Dieners Halef Agha, die mich aus meinen Träumen weckte:

»Was? Wie? Wen?«

»Den Effendi,« antwortete es schüchtern.

»Den Effendi el kebihr, den großen Herrn und Meister willst Du stören?«

»Ich muß ihn sprechen.«

»Was? Du mußt? Jetzt, in seinem Kef? Hat Dir der Teufel – Allah beschütze mich vor ihm! – den Kopf mit Nilschlamm gefüllt, so daß Du nicht begreifen kannst, was ein Effendi, ein Hekim, zu bedeuten hat, ein Mann, den der Prophet mit Weisheit speist, so daß er Alles kann, sogar die Todten lebendig machen, wenn sie ihm nur sagen, woran sie gestorben sind!«

Ach, ja wohl, ich muß es eingestehen, daß mein Halef hier in Egypten viel, viel anders geworden war! Er war jetzt außerordentlich stolz, unendlich grob und heillos aufschneiderisch geworden, und das will im Oriente viel sagen.

Im Morgenlande wird jeder Deutsche für einen großen Gärtner und jeder Ausländer für einen guten Schützen oder für einen großen Arzt gehalten. Nun war mir unglücklicherweise in Kairo eine alte, nur noch halb gefüllte homöopathische Apotheke von Willmar Schwabe in die Hand gekommen; ich hatte hier und da bei einem Fremden oder Bekannten fünf Körnchen von der dreißigsten Potenz versucht, dann während der Nilfahrt meinen Schiffern gegen alle möglichen eingebildeten Leiden eine Messerspitze Milchzucker gegeben und war mit ungeheurer Schnelligkeit in den Ruf eines Arztes gekommen, der mit dem Scheidan im Bunde stehe, weil er mit drei Körnchen Durrhahirse Todte lebendig machen könne.

Dieser Ruf hatte in dem Kopfe meines Halef eine gelinde Art von Größenwahn erweckt, der ihn aber glücklicherweise nicht hinderte, mir der treueste und aufmerksamste Diener zu sein. Daß er am meisten beitrug, meinen Ruhm zu verbreiten, das versteht sich ganz von selbst; er war ganz und gar in das schmachvolle Laster des weiland Barons Münchhausen senior verfallen und versuchte nebenbei, durch eine Grobheit zu glänzen, welche klassisch zu werden drohte.

So hatte er sich, unter anderem, von seinem geringen Lohn eine Nilpeitsche gekauft, ohne welche er gar nicht zu sehen war. Er kannte Egypten von früher her und behauptete, daß ohne Peitsche da gar nicht auszukommen sei, weil sie größere Wunder thue als Höflichkeit und Geld, von welchem Letzteren mir allerdings kein großer Überfluß zur Verfügung stand.

»Gott erhalte Deine Rede, Sihdi,« hörte ich die bittende Stimme wieder; »aber ich muß Deinen Effendi, den großen Arzt aus Frankhistan, wirklich sehen und sprechen.«

»Jetzt nicht.«

»Es ist sehr nothwendig, sonst hätte mich mein Herr nicht gesandt.«

»Wer ist Dein Herr?«

»Es ist der reiche und mächtige Abrahim-Mamur, dem Allah tausend Jahre schenken möge.«

»Abrahim-Mamur? Wer ist denn dieser Abrahim-Mamur, und wie hieß sein Vater? Wer war der Vater seines Vaters und der Vater seines Vatervaters? Von wem wurde er geboren und wo leben die, denen er seinen Namen verdankt?«

»Das weiß ich nicht, Sihdi, aber er ist ein mächtiger Herr, wie ja schon sein Name sagt.«

»Sein Name? Was meinst Du?«

»Abrahim-Mamur. Mamur heißt Vorsteher einer Provinz, und ich sage Dir, daß er wirklich ein Mamur gewesen ist.«

»Gewesen? Er ist es also nicht mehr?«

»Nein.«

»Das dachte ich mir. Niemand kennt ihn, selbst ich, Halef Agha, der tapfere Freund und Beschützer meines Gebieters, habe noch nie von ihm gehört und noch nie die Spitze seines Tarbusch gesehen. Gehe fort, mein Herr hat keine Zeit!«

»So sage mir, Sihdi, was ich thun muß, um zu ihm zu kommen!«

»Kennst Du nicht das Wort von dem silbernen Schlüssel, der die Stätten der Weisheit erschließt?«

»Ich habe diesen Schlüssel bei mir.«

»So schließe auf!«

Ich horchte gespannt und vernahm das leise Klimpern von Geldstücken.

»Ein Para? Mann, ich sage Dir, daß das Loch im Schlosse größer ist, als Dein Schlüssel; er paßt nicht, denn er ist zu klein.«

»So muß ich ihn vergrößern.«

Wieder klang es draußen wie kleine Silberstücke. Ich wußte nicht, sollte ich lachen oder mich ärgern. Dieser Halef Agha war ja ein ganz außerordentlich geriebener Portier geworden!

»Drei Para? Gut, so kann man wenigstens fragen, was Du bei dem Effendi auszurichten hast.«

»Er soll kommen und seine verzaubernde Medizin mitbringen.«

»Mensch, was fällt Dir ein! Für drei Para soll ich ihn verleiten, diese Medizin wegzugeben, welche ihm in der ersten Nacht jedes Neumondes von einer weißen Fee gebracht wird?«

»Ist das wahr?«

»Ich, Hadschi Halef Omar Agha, Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah, sage es. Ich habe sie selbst gesehen, und wenn Du es nicht glaubst, so wirst Du hier diese Kamtschilama, meine Nilpeitsche, zu kosten bekommen!«

»Ich glaube es, Sihdi!«

»Das ist Dein Glück!«

»Und werde Dir noch zwei Para geben.«

»Gib sie her! Wer ist denn krank im Hause Deines Herrn?«

»Das ist ein Geheimniß, welches nur der Effendi erfahren darf.«

»Nur der Effendi? Schurke, bin ich nicht auch ein Effendi, der die Fee gesehen hat! Geh nach Hause; Halef Agha läßt sich nicht beleidigen!«

»Verzeihe, Sihdi; ich werde es Dir sagen!«

»Ich mag es nun nicht wissen. Packe Dich von dannen!«

»Aber ich bitte Dich – – –«

»Packe Dich!«

»Soll ich Dir noch einen Para geben?«

»Ich nehme nicht einen mehr!«

»Sihdi!«

»Sondern zwei!«

»O, Sihdi, Deine Stirn leuchtet vor Güte. Hier hast Du die zwei Para.«

»Schön! Also wer ist krank?«

»Das Weib meines Herrn.«

»Das Weib Deines Herrn?« frug Halef verwundert. »Welche Frau?«

»Er hat nur diese eine.«

»Und soll Mamur gewesen sein?«

»Er ist so reich, daß er hundert Frauen haben könnte, aber er liebt nur diese.«

»Was fehlt ihr?«

»Niemand weiß es; aber ihr Leib ist krank, und ihre Seele ist noch kränker.«

»Allah kerihm, Gott ist gnädig, aber ich nicht. Ich stehe da, mit der Nilpeitsche in der Hand, und möchte sie Dir auf den Rücken geben. Bei dem Barte des Propheten, Dein Mund spricht eine solche Weisheit, als wäre Dir bei der Kahnfahrt der Verstand in das Wasser gefallen! Weißt Du nicht, daß ein Weib gar keine Seele hat und deßhalb auch nicht in den Himmel darf? Wie also kann die Seele eines Weibes krank sein oder gar noch mehr krank als ihr Leib?«

»Ich weiß es nicht, aber so wurde mir gesagt, Sihdi. Laß mich hinein zu dem Effendi!«

»Ich darf es nicht thun.«

»Warum nicht?«

»Mein Herr kennt den Kuran und verachtet die Frauen. Die schönste Perle der Weiber ist ihm wie der Scorpion im Sande, und seine Hand hat noch nie das Gewand einer Frau berührt. Er darf kein irdisches Weib lieben, sonst würde die Fee nie wiederkommen.«

Ich mußte das Talent Halef Agha's von Minute zu Minute mehr anerkennen, fühlte aber trotzdem große Lust, ihn seine eigene Nilpeitsche schmecken zu lassen. Jetzt ertönte die Antwort:

»Du mußt wissen, Sihdi, daß er ihr Gewand nicht berühren und ihre Gestalt nicht sehen wird. Er darf nur durch das Gitter mit ihr sprechen.«

»Ich bewundere die Klugheit Deiner Worte und die Weisheit Deiner Rede, o Mann. Merkst Du denn nicht, daß er grad durch das Gitter nicht mit ihr sprechen darf?«

»Warum?«

»Weil die Gesundheit, welche der Effendi spenden soll, gar nicht zu dem Weibe käme, sondern am Gitter hängen bleiben würde. Geh fort!«

»Ich darf nicht gehen, denn ich werde hundert Schläge auf die Sohlen bekommen, wenn ich den weisen Effendi nicht bringe.«

»Danke Deinem gütigen Herrn, Du Sklave eines Egypters, daß er Deine Füße mit Gnade erleuchtet. Ich will Dich nicht um Dein Glück betrügen. Sallam aaleïkum, Allah sei bei Dir und lasse Dir die Hundert gut bekommen!«

»So laß Dir noch Eins sagen, tapferer Agha. Der Herr unseres Hauses hat mehr Beutel in seiner Schatzkammer, als Du jemals zählen kannst. Er hat mir befohlen, daß Du auch mitkommen sollst, und Du wirst ein Bakschisch erhalten, ein Geschenk, wie es selbst der Khedive von Egypten nicht reicher geben würde.«

Jetzt endlich wurde der Mann klug und faßte meinen Halef etwas kräftiger bei dem Punkte, an welchem man jeden Orientalen zu packen hat, wenn man ihn günstig stimmen soll. Der kleine Haushofmeister änderte auch sofort seinen Ton und antwortete mit hörbar freundlicherer Stimme:

»Allah segne Deinen Mund, mein Freund! Aber ein Piaster in meiner Hand ist mir lieber als zehn Beutel in einer anderen. Die Deinige aber ist so mager, wie der Schakal in der Schlinge oder wie die Wüste jenseits des Mokattam.«

»Laß den Rath Deines Herzens nicht zögern, mein Bruder!«

»Dein Bruder? Mensch bedenke, daß Du ein Sklave bist, während ich als freier Mann meinen Effendi begleite und beschütze! Der Rath meines Herzens bleibt zurück. Wie kann das Feld Früchte bringen, wenn so wenige Tropfen Thau vom Himmel fallen!«

»Hier hast Du noch drei Tropfen!«

»Noch drei? So will ich sehen, ob ich den Effendi stören darf, wenn Dein Herr wirklich ein solches Bakschisch gibt.«

»Er gibt es.«

»So warte!«

Jetzt endlich also glaubte er, mich ›stören zu dürfen‹, der schlaue Fuchs! Übrigens handelte er nach der allgemeinen Unsitte, so daß er einigermaßen zu entschuldigen war, zumal das Wenige, was er für seine Dienste von mir forderte, kaum der Rede werth zu nennen war.

Was mich aber bei der ganzen Angelegenheit mit Bewunderung erfüllte, war der Umstand, daß ich nicht zu einem männlichen, sondern zu einem weiblichen Patienten verlangt wurde. Da aber, abgesehen von den wandernden Nomadenstämmen, der Muselmann die Bewohnerinen seiner Frauengemächer niemals den Augen eines Fremden freigibt, so handelte es sich hier jedenfalls um ein nicht mehr junges Weib, das sich vielleicht durch die Eigenschaften des Charakters und Gemüthes die Liebe Abrahim-Mamur's erhalten hatte.

Halef Agha trat ein.

»Schläfst Du, Sihdi?«

Der Schlingel! Hier nannte er mich Sihdi, und draußen ließ er sich selbst so nennen.

»Nein. Was willst Du?«

»Draußen steht ein Mann, welcher mit Dir sprechen will. Er hat ein Boot im Nile und sagte, ich müsse auch mit kommen.«

Der schlaue Bursche machte diese Schlußbemerkung nur, um sich das versprochene Trinkgeld zu sichern. Ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen und that, als ob ich nichts gehört hätte.

»Was will er?«

»Es ist Jemand krank.«

»Ist es nothwendig?«

»Sehr, Effendi. Die Seele der Kranken steht schon im Begriff, die Erde zu verlassen. Darum mußt Du eilen, wenn Du sie festhalten willst.«

Hm, er war kein übler Diplomat!

»Laß den Mann eintreten!«

Er ging hinaus und schob den Boten hinein. Dieser verbeugte sich bis zur Erde nieder, zog die Schuhe aus und wartete dann demüthig, bis ich ihn anreden würde.

»Tritt näher!«

»Sallam aaleïkum! Allah sei mit Dir, o Herr, und lasse Dein Ohr offen sein für die demüthige Bitte des geringsten Deiner Knechte.«

»Wer bist Du?«

»Ich bin ein Diener des großen Abrahim-Mamur, der aufwärts droben am Flusse wohnt.«

»Was sollst Du mir sagen?«

»Es ist großes Herzeleid gekommen über das Haus meines Gebieters, denn Güzela, die Krone seines Herzens, schwindet hin in die Schatten des Todes. Kein Arzt, kein Fakhir und kein Zauberer vermochte den Schritt ihrer Krankheit aufzuhalten. Da hörte mein Herr – den Allah erfreuen möge – von Dir und Deinem Ruhme und daß der Tod vor Deiner Stimme flieht. Er sandte mich zu Dir und läßt Dir sagen: Komm und nimm den Thau des Verderbens von meiner Blume, so soll mein Dank süß sein und hell wie der Glanz des Goldes.«

Diese Beschreibung einer bejahrten Frau schien mir ein wenig überschwänglich zu sein.

»Ich kenne den Ort nicht, an welchem Dein Herr wohnt. Ist er weit von hier?«

»Er wohnt am Strande und sendet Dir ein Boot. In einer Stunde wirst Du bei ihm sein.«

»Wer wird mich zurückfahren?«

»Ich.«

»Ich komme. Warte draußen!«

Er nahm seine Schuhe und zog sich zurück. Ich erhob mich, warf ein anderes Gewand über und griff nach meinem Kästchen mit Aconit, Sulphur, Pulsatilla und all' den Mitteln, welche in einer Apotheke von hundert Nummern zu haben sind. Bereits nach fünf Minuten saßen wir in dem von vier Ruderern bewegten Kahne, ich in Gedanken versunken, Halef Agha aber stolz wie ein Pascha von drei Roßschweifen. Im Gürtel trug er die silberbeschlagenen Pistolen, die ich in Kairo geschenkt erhalten hatte, und den scharfen, glänzenden Dolch, in der Hand aber die unvermeidliche Nilpeitsche, als das beste Mittel, sich unter der dortigen Bevölkerung Achtung, Ehrerbietung und Berücksichtigung zu verschaffen.

Zwar war die Hitze nicht angenehm, aber die stromaufwärts gehende Bewegung unseres Fahrzeuges brachte uns mit einem kühlenden Luftzuge in Berührung.

Es ging eine Strecke weit an Durrha-, Tabak-, Sesam- und Sennespflanzungen vorüber, aus deren Hintergrunde schlanke Palmen emporragten; dann folgten unbebaute Flächen, über welche sich ein niederes Gestrüpp von Mimosen und Sykomoren hinstreckte; endlich kam nacktes, jeder Vegetation bares Gestein, und mitten aus den wohl bereits vor Jahrtausenden herumgestreuten Felsblöcken erhob sich die quadratische Mauer, durch welche wir uns den Eingang suchen mußten.

Als wir anlangten, bemerkte ich, daß ein schmaler Kanal aus dem Flusse unter der Mauer fortführte, jedenfalls um die Bewohner mit dem nöthigen Wasser zu versehen, ohne daß dieselben sich außerhalb ihrer Wohnung zu bemühen brauchten. Unser Führer schritt uns voran, führte uns um zwei Ecken zu der dem Wasser abgekehrten Seite und gab an dem dort befindlichen Thore ein Zeichen, auf welches uns bald geöffnet wurde.

Das Gesicht eines Schwarzen grinste uns entgegen, doch beachteten wir seine tief bis zur Erde herabgehende Reverenz gar nicht und schritten vorwärts, an ihm vorüber. Architektonische Schönheit durfte ich bei einem orientalischen Prachtgebäude nicht erwarten, und so fühlte ich mich auch nicht überrascht von der kahlen, nackten, fensterlosen Fronte, welche das Haus mir zukehrte. Aber das Klima das Landes hatte denn doch einen etwas zu zerstörenden Einfluß auf das alte Gemäuer ausgeübt, als daß ich es zur Wohnung eines zarten, kranken Weibes hätte empfehlen mögen.

Früher hatten Zierpflanzen den schmalen Raum zwischen der Mauer und dem Gebäude geschmückt und den Bewohnerinen eine angenehme Erholung geboten; jetzt waren sie längst verwelkt und verdorrt. Wohin das Auge nur blickte, fand es nichts als starre kahle Öde, und nur Schaaren von Schwalben, welche in den zahlreichen Rissen und Sprüngen des betreffenden Gebäudes nisteten, brachten einigermaßen Leben und Bewegung in die traurige todte Szene.

Der voranschreitende Bote führte uns durch einen dunkeln, niedrigen Thorgang in einen kleinen Hof, dessen Mitte ein Bassin einnahm. Also bis hieher führte der Kanal, welchen ich vorhin bemerkt hatte, und der Erbauer des einsamen Hauses war kluger Weise vor allen Dingen darauf bedacht gewesen, sich und die Seinigen reichlich mit dem zu versorgen, was in dem heißen Klima jener Länderstriche das Nothwendigste und Unentbehrlichste ist. Zugleich bemerkte ich nun auch, daß der ganze Bau darauf gerichtet war, die jährlich wiederkehrenden Überschwemmungen des Nils schadlos aushalten zu können.

In diesen Hof hinab gingen mehrere hölzerne Gitterwerke, hinter denen jedenfalls die zum Aufenthalt dienenden Räume lagen. Ich konnte ihnen jetzt keine große, zeitraubende Betrachtung schenken, sondern gab meinem Diener einen Wink, mit der Apotheke, welche er umhängen hatte, hier des Weiteren zu harren, und folgte dem Wegweiser in das Selamlük des Hauses.

Es war ein geräumiges, halbdunkles und hohes Zimmer, durch dessen vergitterte Fensteröffnungen ein wohlthuend gedämpftes Licht fiel. Durch die aufgeklebten Tapeten und Arabesken und Ornamente hatte es einen wohnlichen Anstrich erhalten, und die in einer Nische stehenden Wasserkühlgefäße erzeugten eine recht angenehme Temperatur. Ein Geländer trennte den Raum in zwei Hälften, deren vordere für die Dienerschaft, die hintere aber für den Herrn und die besuchenden Gäste bestimmt war. Den erhöhten Hintergrund zierte ein breiter Divan, welcher von einer Ecke in die andere reichte, und auf dem Abrahim-Mamur, der ›Besitzer von vielen Beuteln‹, saß.

Er erhob sich beim Eintritte, blieb aber der Sitte gemäß vor seinem Sitze stehen. Da ich nicht die dort gewöhnliche Fußbekleidung trug, so konnte ich mich ihrer auch nicht entledigen, sondern schritt, unbekümmert um meine Lederstiefel, über die kostbaren Teppiche und ließ mich an seiner Seite nieder. Die Diener brachten den unvermeidlichen Kaffee und die noch nothwendigeren Pfeifen, und nun konnte das Weitere folgen.

Mein erster Blick war natürlich nach seiner Pfeife gerichtet gewesen, denn jeder Kenner des Orients weiß, daß man an derselben sehr genau die Verhältnisse ihres Besitzers zu erkennen vermag. Das lange, wohlriechende und mit stark vergoldetem Silberdraht umsponnene Rohr hatte gewiß seine tausend Piaster gekostet. Theurer aber war das Bernsteinmundstück, welches aus zwei Theilen bestand, zwischen denen ein mit Edelsteinen besetzter Ring hervorschimmerte. Der Mann schien wirklich ›viele Beutel‹ zu besitzen, nur war dies kein Grund, mich befangen zu machen, da mancher Inhaber einer Pfeife im Werthe von zehntausend Piastern seinen Reichtum doch nur den geknechteten Unterthanen entwendet oder geraubt hat. Lieber also einen prüfenden Blick in das Gesicht!

Wo hatte ich diese Züge doch nur bereits einmal gesehen, diese schönen, feinen und in ihrer Mißharmonie doch so diabolischen Züge? Forschend, scharf, stechend, nein, förmlich durchbohrend senkt sich der Blick des kleinen, unbewimperten Auges in den meinen und kehrt dann kalt und wie beruhigt wieder zurück. Glühende und entnervende Leidenschaften haben diesem Gesichte immer tiefer eindringende Spuren eingravirt; die Liebe, der Haß, die Rache, der Ehrgeiz sind einander behülflich gewesen, eine großartig angelegte Natur in den Schmutz des Lasters herniederzureißen und dem Äußeren des Mannes jenes undefinirbare Etwas zu verleihen, welches dem Guten und Reinen ein sicheres Warnungszeichen ist.

Wo bin ich diesem Manne begegnet? Gesehen habe ich ihn; ich muß mich nur besinnen; aber das fühle ich, unter freundlichen Umständen ist es nicht gewesen.

»Salam aaleïkum!« ertönte es langsam zwischen dem vollen, prächtigen, aber schwarzgefärbten Barte hervor.

Diese Stimme war kalt, klanglos, ohne Leben und Gemüth; es konnte Einem dabei ein Schauer ankommen.

»Aaleïkum!« antwortete ich.

»Möge Allah Balsam wachsen lassen auf den Spuren Deiner Füße und Honig träufeln von den Spitzen Deiner Finger, damit mein Herz nicht mehr höre die Stimme seines Kummers!«

»Gott gebe Dir Frieden und lasse mich finden das Gift, welches an dem Leben Deines Glückes nagt,« erwiderte ich seinen Gruß, da nicht einmal der Arzt nach dem Weibe des Muselmannes fragen darf, ohne den größten Verstoß gegen die Höflichkeit und Sitte zu begehen.

»Ich habe gehört, daß Du ein weiser Hekim seiest. Welche Medresse hast Du besucht?«

»Keine.«

»Keine?«

»Ich bin kein Moslem.«

»Nicht? Was sonst?«

»Ein Nemsi!«

»Ein Nemsi! O, ich weiß, die Nemsi sind kluge Leute; sie kennen den Stein der Weisen und das Abracadabra, welches den Tod vertreibt.«

»Es gibt weder einen Stein der Weisen, noch ein Abracadabra.«

Er blickte mir kalt in die Augen.

»Vor mir brauchst Du Dich nicht zu verbergen. Ich weiß, daß die Zauberer von ihrer Kunst nicht sprechen dürfen, und will sie Dir auch gar nicht entlocken, nur helfen sollst Du mir. Wodurch vertreibst Du die Krankheit eines Menschen, durch Worte oder durch einen Talisman?«

»Weder durch Worte noch durch einen Talisman, sondern durch die Medizin.«

»Du sollst Dich nicht vor mir verstecken. Ich glaube an Dich, denn trotzdem Du kein Moslem bist, ist doch Deine Hand mit Erfolg begabt, als hätte sie der Prophet gesegnet. Du wirst die Krankheit finden und besiegen.«

»Der Herr ist allmächtig; er kann retten und verderben, und nur ihm allein gebührt die Ehre. Doch wenn ich helfen soll, so sprich!«

Diese direkte Aufforderung, ein wenn auch noch so unbedeutendes Geheimniß seines Haushaltes preiszugeben, schien ihn unangenehm zu berühren, trotzdem er darauf vorbereitet sein mußte; doch versuchte er sofort die Schwäche zu verbergen und befolgte meine Aufforderung:

»Du bist aus dem Lande der Ungläubigen, wo es keine Schande ist, von der zu reden, welche die Tochter einer Mutter ist?«

Ich fühlte mich innerlich amüsirt von der Art und Weise, mit welcher er es zu umgehen suchte, von ›seinem Weibe‹ zu sprechen, doch blieb ich ernst und antwortete ziemlich kalt:

»Du willst, daß ich Dir helfen soll und beschimpfest mich?«

»In wiefern?«

»Du nennst meine Heimat das Land der Ungläubigen.«

»Ihr seid doch ungläubig!«

»Wir glauben an einen Gott, welcher derselbe Gott ist, den Ihr Allah nennt. Du heißest mich von Deinem Standpunkte aus einen Ungläubigen; mit demselben Rechte könnte ich Dich von meinem Standpunkte aus ebenso nennen; aber ich thue es nicht, weil wir Nemsi nie die Pflicht der Höflichkeit verletzen.«

»Schweigen wir über den Glauben! Der Moslem darf nicht von seinem Weibe sprechen; aber Du erlaubst, daß ich von den Frauen in Frankhistan rede?«

»Ich erlaube es.«

»Wenn das Weib eines Franken krank ist – – –«

Er sah mich an, als ob er eine Bemerkung von mir erwarte; ich winkte ihm nur, in seiner Rede fortzufahren.

»Also wenn sie krank ist und keine Speise zu sich nimmt –«

»Keine?«

»Nicht die geringste!«

»Weiter!«

»Den Glanz ihrer Augen und die Fülle ihrer Wangen verliert – wenn sie müde ist und doch den Genuß des Schlafes nicht mehr kennt – – –«

»Weiter!«

»Wenn sie nur lehnend steht und langsam, schleichend geht – vor Kälte schauert und vor Hitze brennt – – –«

»Ich höre. Fahre fort!«

»Bei jedem Geräusch erschrickt und zusammenzuckt – wenn sie nichts wünscht, nichts liebt, nichts haßt und unter dem Schlage ihres Herzens zittert – – –«

»Immer weiter!«

»Wenn ihr Athem zu sehen ist wie der des kleinen Vogels – wenn sie nicht lacht, nicht weint, nicht spricht – wenn sie kein Wort der Freude und kein Wort der Klage hören läßt und ihre Seufzer selbst nicht mehr vernimmt – wenn sie das Licht der Sonne nicht mehr sehen will und in der Nacht wach in den Ecken kauert – – –«

Wieder blickte er mich an, und in seinen flackernden Augen war eine Angst zu erkennen, welche sich durch jedes der aufgezählten Krankheitssymptome zu nähren und zu vergrößern schien. Er mußte die Kranke mit der letzten, trüben und also schwersten Gluth seines fast ausgebrannten Herzens lieb haben und hatte mir, ohne es zu wissen und zu wollen, mit seinen Worten sein ganzes Verhältniß zu ihr verrathen.

»Du bist noch nicht zu Ende!« sagte ich.

»Wenn sie zuweilen plötzlich einen Schrei ausstößt, als ob ein Dolch ihr in die Brust gestoßen würde – wenn sie ohne Aufhören ein fremdes Wort flüstert –«

»Welches Wort?«

»Einen Namen.«

»Weiter!«

»Wenn sie hustet und dann Blut über ihre bleichen Lippen fließt – – –«

Er blickte mich jetzt so starr und angstvoll an, daß ich merken mußte, meine Entscheidung sei ein Urtheil für ihn, ein befreiendes oder ein vernichtendes. Ich zögerte nicht, ihm das letztere zu geben:

»So wird sie sterben.«

Er saß erst einige Augenblicke so bewegungslos, als habe ihn der Schlag getroffen, dann aber sprang er auf und stand hochaufgerichtet vor mir. Der rothe Fez war ihm von dem kahl geschorenen Haupte geglitten, die Pfeife seiner Hand entfallen; in dem Gesicht zuckte es von den widerstreitendsten Gefühlen. Es war ein eigenthümliches, ein furchtbares Gesicht; es glich ganz jenen Abbildungen des Teufels, wie sie der geniale Stift Doré's zu zeichnen versteht, nicht mit Schweif, Pferdefuß und Hörnern, sondern mit höchster Harmonie des Gliederbaues, jeder einzelne Zug des Gesichts eine Schönheit, und doch in der Gesamtwirkung dieser Züge so abstoßend, so häßlich, so – diabolisch. Sein Auge ruhte mit dem Ausdrucke des Entsetzens auf mir, der sich nach und nach in einen zornigen und dann zuletzt in einen drohenden verwandelte.

»Giaur!« donnerte er mich an.

»Wie sagtest Du?« frug ich kalt.

»Giaur! sagte ich. Wagst Du, mir das zu sagen, Hund? Die Peitsche soll Dir lehren, wer ich bin, und daß Du zu thun hast, nur was ich Dir befehle. Stirbt sie, so stirbst auch Du; doch machst Du sie gesund, so darfst Du gehen und kannst verlangen, was Dein Herz begehrt!«

Langsam und in tiefster Seelenruhe erhob auch ich mich, stellte mich in meiner ganzen Länge vor ihn hin und fragte:

»Weißt Du, was die größte Schande für einen Moslem ist?«

»Was?«

»Sieh nieder auf Deinen Fez! Abrahim-Mamur, was sagt der Prophet und was sagt der Kuran dazu, daß Du die Scham Deines Scheitels vor einem Christen entblößest?«

Im nächsten Augenblick hatte er sein Haupt bedeckt und, vor Grimm dunkelroth im Gesichte, den Dolch aus der Schärpe gerissen.

»Du mußt sterben, Giaur!«

»Wann?«

»Jetzt, sofort!«

»Ich werde sterben, wann es Gott gefällt, nicht aber wann es Dir beliebt.«

»Du wirst sterben. Bete Dein Gebet!«

»Abrahim-Mamur,« antwortete ich so ruhig wie zuvor, »ich habe den Bären gejagt und bin dem Nilpferde nachgeschwommen; der Elephant hat meinen Schuß gehört, und meine Kugel hat den Löwen, den ›Herdenwürgenden‹, getroffen. Danke Allah, daß Du noch lebst, und bitte Gott, daß er Dein Herz bezwinge. Du kannst es nicht, denn Du bist zu schwach dazu und wirst doch sterben, wenn es nicht sofort geschieht!«

Das war eine neue Beleidigung, eine schwerere als die andere, und mit einem zuckenden Sprunge wollte er mich fassen, fuhr aber sofort zurück, denn jetzt blitzte auch in meiner Hand die Waffe, die man in jenen Ländern niemals weglegen darf. Wir standen einander allein gegenüber, denn er hatte sofort nach der Darreichung des Kaffees und der Pfeifen die Dienerschaft hinausgewinkt, damit sie nichts von unserer zarten Unterhaltung vernehmen solle.

Mit meinem wackeren Halef zusammen hatte ich nicht den mindesten Grund, mich vor den Bewohnern des alten Hauses zu fürchten; nöthigenfalls hätten wir Beide die wenigen hier wohnenden Männer zusammengeschossen; aber ich ahnte zu viel von dem Schicksale der Kranken, für die ich mich ungemein zu interessiren begann; ich mußte sie sehen und wo möglich einige Worte mit ihr sprechen.

»Du willst schießen?« frug er wüthend, auf meinen Revolver deutend.

»Ja.«

»Hier, in meinem Hause, in meinem Divan?«

»Allerdings, wenn ich gezwungen werde, mich zu vertheidigen.«

»Hund, es ist wahr, was ich gleich vorhin dachte, als Du eintratest!«

»Was ist wahr, Abrahim-Mamur?«

»Daß ich Dich bereits einmal gesehen habe.«

»Wo?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wann?«

»Auch das weiß ich nicht; aber das ist sicher, daß es nicht im Guten war.«

»Grade wie heute, denn es sollte mich wundern, wenn diese Zusammenkunft gut enden würde. Du hast mich ›Hund‹ genannt, und ich sage Dir, daß Dir im nächsten Augenblick, nachdem Du dieses Wort noch einmal gesagt hast, meine Kugel im Gehirn sitzen wird. Beachte dies wohl, Abrahim-Mamur!«

»Ich werde meine Diener rufen!«

»Rufe sie, wenn Du ihre Leichen sehen willst, um Dich dann todt neben sie zu legen.«

»Oho, Du bist kein Gott!«

»Aber ein Nemsi. Hast Du schon einmal die Hand eines Nemsi gefühlt?«

Er lächelte verächtlich.

»Nimm Dich in Acht, daß Du sie nicht einmal zu fühlen bekommst! Sie ist nicht in Rosenöl gebadet, wie die Deinige. Aber ich will Dir den Frieden Deines Hauses lassen. Lebe wohl. Du willst es nicht, daß ich den Tod bezwinge; Dein Wunsch mag sich erfüllen; rabbena chaliëk, der Herr erhalte Dich!«

Ich steckte den Revolver ein und schritt der Thüre zu.

»Bleib!« rief er.

Ich schritt dennoch weiter.

»Bleib!« rief er gebieterischer.

Ich hatte beinahe die Thüre erreicht und kehrte nicht um.

»So stirb, Giaur!«

Im Nu drehte ich mich um und hatte grad noch Zeit, zur Seite auszuweichen. Sein Dolch flog an mir vorüber und tief in das Getäfel der Wand.

»Jetzt bist Du mein, Bube!«

Mit diesen Worten sprang ich auf ihn zu, faßte ihn, grad wie ich ihn erwischte, riß ihn empor und schleuderte ihn an die Wand.

Er blieb einige Sekunden liegen und raffte sich dann wieder empor. Seine Augen waren weit geöffnet, die Adern seiner Stirne zum Bersten geschwollen und seine Lippen blau vor Wuth; aber ich hielt ihm den Revolver entgegen, und er blieb eingeschüchtert vor mir halten.

»Jetzt hast Du die Hand eines Nemsi kennen gelernt. Wage es nicht wieder, sie zu reizen!«

»Mensch!«

»Feigling! Wie nennt man das, wenn einer einen Arzt um Hilfe bittet, ihn mit Worten beschimpft und dann gar hinterrücks ermorden will? Der Glaube, welcher solche Bekenner hat, kann nicht viel taugen!«

»Zauberer!«

»Warum?«

»Wenn Du keiner wärest, hätte Dich ganz sicher mein Dolch getroffen, und Du hättest nicht die Kraft gehabt, mich emporzuwerfen!«

»Nun wohl! Bin ich ein Zauberer, so hätte ich Dir auch Güzela, Dein Weib, erhalten können.«

Ich sprach den Namen mit Vorbedacht aus. Es hatte Wirkung.

»Wer hat Dir diesen Namen genannt?«

»Dein Bote.«

»Ein Ungläubiger darf nicht den Namen einer Gläubigen aussprechen!«

»Ich spreche nur den Namen eines Weibes aus, welches bereits morgen todt sein kann.«

Wieder blickte er mich mit seiner eisigen Starrheit an, dann aber schlug er die Hände vor das Gesicht.

»Ist es wahr, Hekim, daß sie bereits morgen todt sein kann?«

»Es ist wahr.«

»Kann sie nicht gerettet werden?«

»Vielleicht.«

»Sage nicht vielleicht, sondern sage gewiß. Bist Du bereit, mir zu helfen? Wenn sie gesund wird, so fordere, was Du willst.«

»Ich bin bereit.«

»So gib mir Deinen Talisman oder Deine Medizin.«

»Ich habe keinen Talisman, und Medizin kann ich Dir jetzt nicht geben.«

»Warum nicht?«

»Der Arzt kann nur dann einen Kranken heilen, wenn er ihn sehen kann. Komm, laß uns zu ihr gehen oder laß sie zu uns kommen!«

Er fuhr zurück, wie von einem Stoße getroffen.

»Masch Allah, bist Du toll? Der Geist der Wüste hat Dein Hirn verbrannt, daß Du nicht weißt, was Du forderst. Das Weib muß ja sterben, auf welchem das Auge eines fremden Mannes ruht!«

»Sie wird noch sicherer sterben, wenn ich nicht zu ihr darf. Ich muß den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über Vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Gott ist allwissend und braucht Niemand zu fragen.«

»Du heilst wirklich nicht durch Talisman?«

»Nein.«

»Auch nicht durch Worte?«

»Nein.«

»Oder durch das Gebet?«

»Ich bete auch für die Leidenden; aber Gott hat uns die Mittel, sie gesund zu machen, bereits in die Hand gelegt.«

»Welche Mittel sind es?«

»Es sind Blumen, Metalle und Erden, deren Säfte und Kräfte wir ausziehen.«

»Es sind keine Gifte?«

»Ich vergifte keinen Kranken.«

»Kannst Du das beschwören?«

»Vor jedem Richter.«

»Und Du mußt mit ihr sprechen?«

»Ja.«

»Was?«

»Ich muß sie fragen nach ihrer Krankheit und Allem, was damit zusammenhängt.«

»Nach andern Dingen nicht?«

»Nein.«

»Du wirst mir jede Frage vorher sagen, damit ich sie Dir erlaube?«

»Ich bin es zufrieden.«

»Und Du mußt auch ihre Hand betasten?«

»Ja.«

»Ich erlaube es Dir auf eine ganze Minute. Mußt Du ihr Angesicht sehen?«

»Nein; sie kann ganz verschleiert bleiben. Aber sie muß einige Male in dem Zimmer auf- und abgehen.«

»Warum?«

»Weil an dem Gange und der Haltung Vieles zu erkennen ist, was die Krankheit betrifft.«

»Ich erlaube es Dir und werde die Kranke jetzt herbeiholen.«

»Das darf nicht sein.«

»Warum nicht?«

»Ich muß sie da sehen, wo sie wohnt; ich muß alle ihre Zimmer betrachten.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil es viele Krankheiten gibt, die nur in unpassenden Wohnungen entstehen, und das kann nur das Auge des Arztes bemerken.«

»So willst Du wirklich mein HaremDas arabische Wort Harem bedeutet eigentlich »das Heilige, Unverletzliche« und bezeichnet bei den Muhammedanern die Frauenwohnung, welche von den übrigen Räumen des Hauses abgesondert ist. betreten?«

»Ja.«

»Ein Ungläubiger?«

»Ein Christ.«

»Ich erlaube es nicht!«

»So mag sie sterben. Sallam aaleïkum, Friede sei mit Dir und ihr!«

Ich wandte mich zum Gehen. Obgleich ich bereits aus der Aufzählung der Symptome gemerkt hatte, daß Güzela an einer hochgradigen Gemüthskrankheit leide, that ich doch, als ob ich an eine bloß körperliche Erkrankung glaube; denn grad weil ich vermuthete, daß ihr Leiden die Folge eines Zwanges sei, der sie in die Gewalt dieses Mannes gebracht hatte, wollte ich mich so viel wie möglich über Alles aufklären. Er ließ mich wieder bis zur Thür gehen, dann aber rief er:

»Halt, Hekim, bleibe da. Du sollst die Gemächer betreten!«

Ich wandte mich um und schritt, ohne ihm meine Genugthuung merken zu lassen, wieder auf ihn zu. Ich hatte gesiegt und war außerordentlich zufrieden mit den Zuständnissen, die er mir gemacht hatte, denn sie gewährten mir mehr, als wohl jemals einem Europäer zugestanden worden ist. Die Liebe des Egypters und in Folge dessen also auch seine Sorge mußte eine sehr ungewöhnliche sein, daß er sich zu solchen Zugeständnissen verstand. Freilich konnte ich die ingrimmigste Erbitterung gegen mich aus jeder seiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein unabweisbarer Eindringling in die Mysterien seiner inneren Häuslichkeit, und ich hegte die Überzeugung, daß ich ihn auch selbst in dem Falle einer glücklichen Heilung der kranken Frau als einen unversöhnlichen Feind zurücklassen werde, zumal er ganz so wie ich die Überzeugung hatte, daß wir uns bereits einmal unter unfreundlichen Umständen begegnet seien.

Jetzt entfernte er sich, um alles Nöthige in eigener Person anzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, daß er einem fremden Mann Zutritt in das Heiligthum seines Hauses gestatte.

Er kehrte erst nach einer langen Weile zurück. Es lag ein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinen zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blicke voll versteckt bleiben sollenden, aber doch hervorbrechenden Hasses instruirte er mich:

»Du sollst zu ihr gehen – –«

»Du versprachst es bereits.«

»Und ihre Zimmer sehen – –«

»Natürlich.«

»Auch sie selbst – – –«

»Verschleiert und eingehüllt.«

»Und mit ihr sprechen?«

»Das ist notwendig.«

»Ich erlaube Dir viel, unendlich viel, Effendi. Aber bei der Seligkeit aller Himmel und bei den Qualen aller Höllen, sobald Du ein Wort sprichst, welches ich nicht wünsche, oder das Geringste thust, was Dir nicht von mir erlaubt wurde, stoße ich sie nieder. Du bist stark und wohl bewaffnet, darum wird mein Dolch nicht gegen Dich, sondern gegen sie gerichtet sein. Ich schwöre es Dir bei allen Surat des Kuran und bei allen Khalifen, deren Andenken Allah segnen möge!«

Er hatte mich also doch kennen gelernt und dachte sich, daß ihm diese Versicherung mehr nützen werde, als die prahlerischsten Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet gewesen wären. Übrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken; nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger desto weniger einer Ahnung entschlagen, daß in seinem Verhältnisse zu der Kranken irgend ein dunkler Punkt zu finden sei.

»Ist es Zeit?« frug ich.

»Komm!«

Wir gingen. Er schritt voran, und ich folgte ihm.

Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Gethier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, welches als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, der allem Anscheine nach als eigentliches Frauengemach benutzt wurde. Alle die umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.

»Das sind die Zimmer, welche Du sehen wolltest. Siehe, ob Du den Dämon der Krankheit in ihnen zu finden vermagst!« meinte Abrahim-Mamur mit einem halb spöttischen Lächeln.

»Und das Gemach nebenan – –?«

»Die Kranke befindet sich darin. Du sollst es auch sehen, aber ich muß mich vorher überzeugen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage ja nicht, mir nachzufolgen, sondern warte ruhig, bis ich wiederkomme!«

Er trat hinaus, und ich war allein.

Also da draußen befand sich Güzela. Dieser Name bedeutet wörtlich ›die Schöne‹. Dieser Umstand und das ganze Verhalten des Egypters brachte meine frühere Vermuthung, daß es sich um eine ältere Person handle, ins Wanken.

Ich ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen, wie in dem Zimmer des Hausherrn: das Geländer, der Divan, die Nische mit den Kühlgefäßen.

Nach kurzer Zeit erschien Abrahim wieder.

»Hast Du die Räume geprüft?« frug er mich.

»Ja.«

»Nun?«

»Es läßt sich nichts sagen, bis ich bei der Kranken gewesen bin.«

»So komm, Effendi. Aber laß Dich noch einmal warnen!«

»Schon gut! Ich weiß ganz genau, was ich zu thun habe.«

Wir traten in das andere Gemach. In weite Gewänder gehüllt, stand eine Frauengestalt tief verschleiert an der hintern Wand des Zimmers. Nichts war von ihr zu sehen, als die kleinen, in Sammtpantoffeln steckenden Füße.

Ich begann meine Fragen, deren Enthaltsamkeit den Egypter vollständig befriedigte, ließ sie eine kleine Bewegung machen und bat sie endlich, mir die Hand zu reichen. Fast wäre ich trotz der ernsten Situation in eine laute Heiterkeit ausgebrochen. Die Hand war nämlich so vollständig in ein dickes Tuch gebunden, daß es ganz und gar unmöglich war, auch nur die Lage oder Form eines Fingers durch dasselbe zu erkennen. Sogar der Arm war in derselben Weise verhüllt.

Ich wandte mich zu Abrahim:

»Mamur, diese Bandagen müssen entfernt werden.«

»Warum?«

»Ich kann den Puls nicht fühlen.«

»Entferne die Tücher!« gebot er ihr.

Sie zog den Arm hinter die Hüllen zurück und ließ dann ein zartes Händchen erscheinen, an dessen Goldfinger ich einen sehr schmalen Reifen erblickte, welcher eine Perle trug. Abrahim beobachtete meine Bewegungen mit gespannter Aufmerksamkeit. Während ich meine drei Finger an ihr Handgelenk legte, neigte ich mein Ohr tiefer, wie um den Puls nicht bloß zu fühlen, sondern auch zu hören, und – täuschte ich mich nicht – da wehte es leise, leise, fast unhörbar durch den Schleier:

»Kurtar Senitzaji – rette Senitza!«

»Bist Du fertig?« frug jetzt Abrahim, indem er rasch näher trat.

»Ja.«

»Was fehlt ihr?«

»Sie hat ein großes, ein tiefes Leiden, das größte, welches es gibt, aber – – – ich werde sie retten.«

Diese letzten vier Worte richtete ich mit langsamer Betonung mehr an sie als an ihn.

»Wie heißt das Übel?«

»Es hat einen fremden Namen, den nur die Ärzte verstehen.«

»Wie lange dauert es, bis sie gesund wird?«

»Das kann bald, aber auch sehr spät geschehen, je nachdem Ihr mir gehorsam seid.«

»Worin soll ich Dir gehorchen?«

»Du mußt ihr meine Medizin regelmäßig verabreichen.«

»Das werde ich thun.«

»Sie muß einsam bleiben und vor allem Ärger behütet werden.«

»Das soll geschehen.«

»Ich muß täglich mit ihr sprechen dürfen.«

»Du? Weßhalb?«

»Um meine Mittel nach dem Befinden der Kranken einrichten zu können.«

»Ich werde Dir selbst sagen, wie sie sich befindet.«

»Das kannst Du nicht, weil Du das Befinden eines Kranken nicht zu beurtheilen vermagst.«

»Was hast Du denn mit ihr zu sprechen?«

»Nur das, was Du mir erlaubst.«

»Und wo soll es geschehen?«

»Hier in diesem Raume, grad wie heute.«

»Sage es genau, wie lange Du kommen mußt!«

»Wenn Ihr mir gehorcht, so ist sie von heute an in fünf Tagen von ihrer Krankheit – – frei.«

»So gib ihr die Medizin!«

»Ich habe sie nicht hier; sie befindet sich unten im Hofe bei meinem Diener.«

»So komm!«

Ich wandte mich gegen sie, um mit dieser Bewegung einen stummen Abschied von ihr zu nehmen. Sie hob unter der Hülle die Hände wie bittend empor und wagte die drei Sylben:

»Eww' Allah, mit Gott!«

Sofort aber fuhr er herum:

»Schweig! Du hast nur zu sprechen, wenn Du gefragt wirst!«

»Abrahim-Mamur,« antwortete ich sehr ernst, »habe ich Dir nicht gesagt, daß sie vor jedem Ärger, vor jedem Kummer bewahrt werden muß? So spricht man nicht zu einer Kranken, in deren Nähe der Tod schon steht!«

»So mag sie zunächst selbst dafür sorgen, daß sie sich nicht zu kränken braucht. Sie weiß, daß sie nicht sprechen soll. Komm!«

Wir kehrten in das Selamlük zurück, wo ich nach Halef schickte, der alsbald mit der Apotheke erschien. Ich gab Ignatia nebst den nöthigen Vorschriften und machte mich dann zum Gehen bereit.

»Wann wirst Du morgen kommen?«

»Um dieselbe Stunde.«

»Ich werde Dir wieder einen Kahn senden. Wie viel verlangst Du für heute?«

»Nichts. Wenn die Kranke gesund ist, magst Du mir geben, was Dir beliebt.«

Er griff dennoch in die Tasche, zog eine reich gestickte Börse hervor, nahm einige Stücke und reichte sie Halef hin.

»Hier, nimm Du!«

Der wackere Halef-Agha griff mit einer Miene zu, als ob es sich um eine große Gnadenbezeugung gegen den Egypter handle, und meinte, das Bakschisch ungesehen in seine Tasche senkend:

»Abrahim-Mamur, Deine Hand ist offen und die meine auch. Ich schließe sie gegen Dich nicht zu, weil der Prophet sagt, daß eine offene Hand die erste Stufe zum Aufenthalte der Seligen sei. Allah sei bei Dir und auch bei mir!«

Wir gingen, von dem Egypter bis in den Garten begleitet, wo uns ein Diener die in der Mauer befindliche Thür öffnete. Als wir uns allein befanden, griff Halef in die Tasche, um zu sehen, was er erhalten hatte.

»Drei Goldzechinen, Effendi! Der Prophet segne Abrahim-Mamur und lasse sein Weib so lange als möglich krank bleiben!«

»Hadschi Halef Omar!«

»Sihdi! Willst Du mir nicht einige Zechinen gönnen?«

»Doch; noch mehr ist einem Kranken die Gesundheit zu gönnen.«

»Wie oft gehest Du noch, ehe sie gesund wird?«

»Noch fünf mal vielleicht.«

»Fünf mal drei macht fünfzehn Zechinen; wenn sie gesund wird, vielleicht noch fünfzehn Zechinen, macht dreißig Zechinen. Ich werde forschen, ob es hier am Nil noch mehr kranke Frauen gibt.«

Wir legten bei dem Kahn an, wo uns die Ruderer bereits erwarteten. Unser voriger Führer saß am Steuer, und als wir eingestiegen waren, ging es flott den Strom hinab, schneller natürlich als aufwärts, so daß wir nach einer halben Stunde unser Ziel erreichten.

Wir legten ganz in der Nähe einer Dahabïe an, welche während unserer Abwesenheit am Ufer vor Anker gegangen war. Ihre Taue waren befestigt, ihre Segel eingezogen und nach dem frommen muhammedanischen Gebrauche lud der Reïs, der Schiffskapitän, seine Leute zum Gebet ein:

»Haï al el salah, auf, rüstet Euch zum Gebete!«

Ich war schon im Fortgehen begriffen gewesen, wandte mich aber schnell wieder um. Diese Stimme kam mir außerordentlich bekannt vor. Hatte ich recht gehört? War dies wirklich der alte Hassan, den sie Abu el Reïsahn, Vater der Schiffsführer, nannten? Er war in Kufarah, wo er einen Sohn besucht hatte, mit mir und Halef zusammengetroffen und mit uns nach Egypten zurückgekehrt. Wir hatten einander außerordentlich lieb gewonnen, und ich war überzeugt, daß er sehr erfreut sein werde, mich hier wiederzufinden. Ich wartete daher, bis das Gebet beendet war, und rief dann zum Deck empor.

»Hassan el Reïsahn, ohio!«

Sofort reckte er sein altes, gutes, bärtiges Gesicht herab und frug:

»Wer ist – – o, Allah akbar, Gott ist groß! Ist das nicht mein Sohn, der Nemsi Kara Effendi?«

»Er ist es, Abu Hassan.«

»Komm herauf, mein Sohn; ich muß Dich umarmen!«

Ich stieg empor und wurde von ihm auf das Herzlichste bewillkommnet.

»Was thust Du hier?« frug er mich.

»Ich ruhe aus von der Reise. Und Du?«

»Ich komme mit meinem Schiffe von Dongola, wo ich eine Ladung Sennesblätter eingenommen habe. Ich bekam ein Leck und mußte also hier anlegen.«

»Wie lange bleibst Du hier?«

»Nur morgen noch. Wo wohnest Du?«

»Dort rechts in dem alleinstehenden Hause.«

»Hast Du einen guten Wirth?«

»Es ist der Scheik el Belet des Ortes, ein Mann, mit dem ich sehr zufrieden bin. Du wirst diesen Abend bei mir sein, Abu Hassan?«

»Ich werde kommen, wenn Deine Pfeifen nicht zerbrochen sind.«

»Ich habe nur die eine; Du mußt also die Deinige mitbringen, aber Du wirst den köstlichsten Djebeli rauchen, den es je gegeben hat.«

»Ich komme gewiß. Bleibst Du noch lange hier?«

»Nein. Ich will nach Kairo zurück.«

»So fahre mit mir. Ich lege in Bulakh an.«

Bei diesem Anerbieten kam mir ein Gedanke.

»Hassan, Du nanntest mich Deinen Freund!«

»Du bist es. Fordere von mir, was Du willst, so soll es Dir werden, wenn ich es habe oder kann!«

»Ich möchte Dich um etwas sehr Großes bitten.«

»Kann ich es erfüllen?«

»Ja.«

»So ist es Dir schon voraus gewährt. Was ist es?«

»Das sollst Du am Abend erfahren, wenn Du mit mir Kaffee trinkst.«

»Ich komme und – – doch, mein Sohn, ich vergaß, daß ich bereits geladen bin.«

»Wo?«

»In demselben Hause, in welchem Du wohnst.«

»Bei dem Scheik el Belet?«

»Nein, sondern bei einem Manne aus Istambul, der zwei Tage mit mir gefahren und hier ausgestiegen ist. Er hat dort eine Stube für sich und einen Platz für seinen Diener gemiethet.«

»Was ist er?«

»Ich weiß es nicht; er hatte es mir nicht gesagt.«

»Aber sein Diener konnte es sagen.«

Der Kapitän lachte, was sonst seine Angewohnheit nicht war.

»Dieser Mensch ist ein Schelm, der alle Sprachen gehört hat und doch von keiner sehr viel lernte. Er raucht, pfeift und singt den ganzen Tag und gibt, wenn man ihn fragt, Antworten, welche heute wahr und morgen unwahr sind. Ehegestern war er ein Türke, gestern ein Montenegriner, heute ist er ein Druse, und Allah weiß es, was er morgen und übermorgen sein wird.«

»So wirst Du also nicht zu mir kommen?«

»Ich komme, nachdem ich eine Pfeife mit dem andern geraucht habe. Allah behüte Dich; ich habe noch zu arbeiten.«

Halef war bereits vorausgegangen; ich folgte jetzt nach und streckte mich, in meiner Wohnung angekommen, auf den Divan, um mir das heutige Erlebniß zu recht zu legen. Dies sollte mir aber nicht gelingen, denn bereits nach kurzer Zeit trat mein Wirth zu mir herein.

»Sallam aaleïkum.«

»Aaleïkum.«

»Effendi, ich komme, um Deine Erlaubniß zu holen.«

»Wozu?«

»Es ist ein fremder Sihdi zu mir gekommen und hat mich um eine Wohnung gebeten, die ich ihm auch gegeben habe.«

»Wo liegt diese Wohnung?«

»Droben.«

»So stört mich der Mann ja gar nicht. Thue, was Dir beliebt, Scheik.«

»Aber Dein Kopf hat viel zu denken, und er hat einen Diener, der sehr viel zu pfeifen und zu singen scheint.«

»Wenn es mir nicht gefällt, so werde ich es ihm verbieten.«

Der besorgte Wirth entfernte sich, und ich war wieder allein, sollte aber doch zu keinem ruhigen Nachdenken kommen, denn ich vernahm die Schritte zweier Menschen, welche, der Eine vom Hofe her und der Andere von außen her kommend, gerade an meiner Thür zusammentrafen.

»Was willst Du hier? Wer bist Du?« frug der Eine. Ich erkannte an der Stimme Halef, meinen kleinen Diener.

»Wer bist denn Du zunächst, und was willst Du in diesem Hause?« frug der Andere.

»Ich? Ich gehöre in dieses Haus!« meinte Halef sehr entrüstet.

»Ich auch!«

»Wer bist Du?«

»Ich bin Hamsad al Dscherbaja.«

»Und ich bin Hadschi Halef Omar Agha.«

»Ein Agha?«

»Ja; der Begleiter und Beschützer meines Herrn.«

»Wer ist Dein Herr?«

»Der große Arzt, der hier in dieser Stube wohnt.«

»Ein großer Arzt? Was kuriert er denn?«

»Alles.«

»Alles? Mache mir nichts weis! Es gibt nur einen Einzigen, der alles kurieren kann.«

»Wer ist das?«

»Ich.«

»So bist Du auch ein Arzt?«

»Nein. Ich bin auch ein Beschützer meines Herrn.«

»Wer ist Dein Herr?«

»Das weiß man nicht. Wir sind erst vorhin in dieses Haus gezogen.«

»Ihr konntet draußen bleiben.«

»Warum?«

»Weil Ihr unhöfliche Männer seid und keine Antwort gebt, wenn man fragt. Willst Du mir sagen, wer Dein Herr ist?«

»Ja.«

»Nun?«

»Er ist, er ist – – mein Herr, aber nicht Dein Herr.«

»Schlingel!«

Nach diesem letzten Worte hörte ich, daß mein Halef sich höchst indignirt entfernte. Der Andere blieb unter dem Eingange stehen und pfiff; dann begann er leise vor sich hin zu brummen und zu summen; nachher kam eine Pause, und darauf fiel er mit halblauter Stimme in ein Lied.

Ich wäre vor freudiger Überraschung beinahe aufgesprungen, denn der Text der beiden Strophen, welche er sang, lautete in dem Arabisch, dessen er sich bediente und welches in Algerien gesprochen wird:

»Fid-dagle ma tera jekun?
Chammin hu Nabuliun
Ma balu-hu jedubb hena?
Kussu-hu, ja fitjanena!

Gema'a homr el-elbise
Wast el-chala muntasibe.
Ma bal hadolik wakifin?
Hallu-na nenzor musri' in!«

Und diese arabischen Verse, welche sich sogar ganz prächtig reimten, klingen in unserm guten Deutsch nicht anders als:

»Was kraucht nur dort im Busch herum?
Ich glaub', es ist Napolium.
Was hat er nur zu krauchen dort?
Frisch auf, Kam'raden, jagt ihn fort!

Wer hat nur dort im off'nen Feld
Die roten Hosen hingestellt?
Was haben sie zu stehen dort?
Frisch auf, Kam'raden, jagt sie fort!«In wörtlicher Übersetzung würden diese Strophen lauten:

Fid-dagle ma tera jekun?
Was ist den nur in dem Busche?
Chammin hu Nabuliun
Ich glaube, es ist Nabulium.
Ma balu-hu jedubb hena?
Wozu kriecht er hier herum?
Kussu-hu, ja fitjanena!
Scheucht ihn for, brave Burschen

Gema'a homr el-elbise
Eine Menge Rothhosen
Wast el-chala muntasibe.
Hält da mitten auf dem Felde.
Ma bal hadolik wakifin?
Wozu stehen die dort?
Hallu-na nenzor musri' in!«
Laßt uns schnell hinsehen!

Auch die Melodie war ganz und gar dieselbe, Note für Note und Ton für Ton. Ich sprang, als er die zweite Strophe beendet hatte, zur Thür, öffnete dieselbe und sah mir den Menschen an. Er trug weite, blaue Pumphosen, eine eben solche Jacke, Lederstiefeletten und einen Fez auf dem Kopfe, war also eine ganz gewöhnliche Erscheinung. Nur das schien mir ungewöhnlich, daß er bemerkte, wie ich ihn vom Kopf bis zu Fuß fixirte, und dennoch ungenirt weiter sang:

»Hum jebroku we-jer'adu
We-bi'l-medafe' jadribu
Ma bal hadik el-karka'a?
Ogsu-hum mitl ez-zoba'a!

Nabuliun, Nabuliun,
Ara gunud-ak judbirun!
Bi-aun Allahi naksod-ak,
Min es-serir nukebkib-ak

Ja ejuha 'l-Fransawiun,
Ruweda-kum teftahirun!
Barizu-kum lana tekun,
Gada geza-kum tahodun!«

Als er geendet hatte, stemmte er die Fäuste in die Hüften, stellte sich, als ob er sich aus mir nicht das Mindeste mache, vor mich hin und frug:

»Gefällt es Dir, Effendi?«

»Sehr! Woher hast Du das Lied?«

»Selbst gemacht.«

»Sage das einem Andern, aber nicht mir! Und die Melodien?«

»Selbst gemacht, erst recht!«

»Lügner!«

»Effendi, ich bin Hamsad al Dscherbaja und lasse mich nicht schimpfen!«

»Du bist Hamsad al Dscherbaja und dennoch ein großer Schlingel! Diese Melodie kenne ich.«

»So hat sie einer gesungen oder gepfiffen, der sie von mir gehört hat.«

»Und von wem hast Du sie gehört?«

»Von Niemand.«

»Du bist unverbesserlich, wie es scheint. Diese Melodie gehört zu einem deutschen Liede.«

»Oh, Effendi, was weißt Du von Deutschland!«

»Das Lied heißt:

Was kraucht nur dort im Busch herum?
Ich glaub', es ist – – –«

»Hurrjes, wat is mich denn dat!« unterbrach er mich mit jubelndem Tone. »Sind Sie man vielleicht een Deutscher?«

»Versteht sich!«

»Wirklich? Ein deutscher Effendi? Woher denn, wenn ich fragen darf, Herr Hekim-Baschi?«

»Aus Sachsen.«

»Een Sachse! Da sollte man doch gleich vor Freede 'n Ofen einreißen! Und Sie sind man wohl een Türke jeworden?«

»Nein. Sie sind ein Preuße?«

»Dat versteht sich! Een Preuße aus'n Jüterbock.«

»Wie kommen Sie hierher?«

»Auf der Bahn, per Schiff, per Pferd und Kameel und auch mit die Beene.«

»Was sind Sie ursprünglich?«

»Balbier unjefähr. Es jefiel mir nicht mehr derheeme, und da jing ich in die weite Welt, bald hierhin, bald dorthin, bis endlich hierher.«

»Sie werden mir das Alles erzählen müssen. Wem aber dienen Sie jetzt?«

»Es ist een konstantinopolitanischer Kaufmannssohn und heeßt Isla Ben Maflei, hat schauderhaftes Jeld, dat Kerlchen.«

»Was thut er hier?«

»Weeß ich's? Er sucht wat.«

»Was denn?«

»Wird wohl vielleicht 'n Frauenzimmer sein.«

»Ein Frauenzimmer? Das wär' doch sonderbar!«

»Wird aber doch wohl zutreffen.«

»Was sollte es für ein Frauenzimmer sein?«

»Ne Montenegrinerin, 'ne Senitscha oder Senitza, oder wie dat ausjesprochen wird.«

»Wa-a-as? – Senitza heißt sie?«

»Ja.«

»Wissen Sie das gewiß?«

»Versteht sich! Erstens hat er een Bild von ihr; zweetens thut er stets – – halt, er klatscht droben, Herr Effendi; ich muß 'nauf!«

Ich setzte mich nicht wieder nieder, sondern es trieb mich in dem Zimmer auf und ab. Zwar mußte mir dieser Barbier aus Jüterbogk, der sich so poetisch Hamsad al Dscherbaja nannte, höchst interessant sein, noch weit mehr aber war meine Theilnahme für seinen Herrn erwacht, der hier am Nile eine Montenegrinerin suchte, welche den Namen Senitza führte. Unglücklicher Weise aber kamen einige Fellahs, welche Kopfschmerz oder Leibweh hatten, und denen meine Zauberkörner helfen sollten. Sie saßen nach orientalischer Sitte eine ganze Stunde bei mir, ehe ich nur erfahren konnte, was ihnen fehlte, und als ich sie abgefertigt hatte, blieben sie am Platze, bis es ihnen selbst beliebte, die Audienz abzubrechen.

So wurde es Abend. Der Kapitän kam und stieg nach oben, ließ aber seinen schlürfenden Schritt nach einer halben Stunde wieder vernehmen und trat bei mir ein. Halef servirte den Tabak und den Kaffee und zog sich dann zurück. Kurze Zeit später hörte ich ihn mit dem Jüterbogker Türken zanken.

»Ist Dein Leck ausgebessert?« frug ich Hassan.

»Noch nicht. Ich konnte für heute nur das Loch verstopfen und das Wasser auspumpen. Allah gibt morgen wieder einen Tag.«

»Und wann fährst Du ab?«

»Übermorgen früh.«

»Du würdest mich mitnehmen?«

»Meine Seele würde sich freuen, Dich bei mir zu haben.«

»Wenn ich nun noch Jemand mitbrächte?«

»Meine Dahabië hat noch viel Platz. Wer ist es?«

»Kein Mann, sondern ein Weib.«

»Ein Weib? Hast Du Dir eine Sklavin gekauft, Effendi?«

»Nein. Sie ist das Weib eines Anderen.«

»Der auch mitfahren wird?«

»Nein.«

»So hast Du sie ihm abgekauft?«

»Nein.«

»Er hat sie Dir geschenkt?«

»Nein. Ich werde sie ihm nehmen.«

»Allah kerihm, Gott ist gnädig! Du willst sie ihm nehmen, ohne daß er es weiß?«

»Vielleicht.«

»Mann, weißt Du, was das ist?«

»Nun?«

»Eine Tschikarma, eine Entführung!«

»Allerdings.«

»Eine Tschikarma, welche mit dem Tode bestraft wird. Ist Dein Geist dunkel und Deine Seele finster geworden, daß Du in das Verderben gehen willst?«

»Nein. Die ganze Angelegenheit ist noch sehr fraglich. Ich weiß, Du bist mein Freund und kannst schweigen. Ich werde Dir Alles erzählen.«

»Öffne die Pforte Deines Herzens, mein Sohn. Ich höre!«

Ich erstattete ihm Bericht über mein heutiges Abenteuer, und er hörte mir mit Aufmerksamkeit zu. Als ich fertig war, erhob er sich.

»Stehe auf, mein Sohn, nimm Deine Pfeife und folge mir!«

»Wohin?«

»Das sollst Du sogleich sehen.«

Ich ahnte, was er beabsichtigte, und folgte ihm. Er führte mich hinauf in die Wohnung des Kaufmannes. Der Diener desselben war nicht anwesend, daher traten wir ein, nachdem wir uns zuvor durch ein leichtes Hüsteln angemeldet hatten.

Der Mann, welcher sich erhob, war noch jung; er mochte vielleicht sechsundzwanzig Jahre zählen. Der kostbare Tschibuk, aus welchem er rauchte, sagte mir, daß der Jüterbogker mit seinem ›schauderhaftes Jeld‹ wohl Recht haben könne. Er war eine interessante, sympathische Erscheinung, und ich sagte mir gleich in der ersten Minute, daß ich ihm mein Wohlwollen schenken könnte. Der alte Abu el Reïsahn nahm das Wort:

»Das ist der Großhändler Isla Ben Maflei aus Stambul, und das hier ist Effendi Kara Ben Nemsi, mein Freund, den ich liebe.«

»Seid mir beide willkommen, und setzt Euch!« erwiderte der junge Mann.

Er machte ein sehr erwartungsvolles Gesicht, denn er mußte sich sagen, daß der Kapitän jedenfalls einen guten Grund haben müsse, mich so ohne Weiteres bei ihm einzuführen.

»Willst Du mir eine Liebe erzeigen, Isla Ben Maflei?« frug der Alte.

»Gern. Sage mir, was ich thun soll.«

»Erzähle diesem Manne die Geschichte, welche Du mir vorhin erzählt hast!«

In den Zügen des Kaufmannes drückte sich Staunen und Mißmuth aus.

»Hassan el Reïsahn,« meinte er, »Du gelobtest mir Schweigen und hast doch bereits geplaudert!«

»Frage meinen Freund, ob ich ein Wort erzählt habe!«

»Warum bringst Du ihn denn herauf und begehrst, daß ich auch zu ihm reden soll?«

»Du sagtest zu mir, ich solle während meiner Fahrt, da, wo ich des Abends anlegen muß, die Augen offen halten, um mich nach dem zu erkundigen, was Dir verloren ging. Ich habe meine Augen und meine Ohren bereits schon geöffnet und bringe Dir hier diesen Mann, der Dir vielleicht Auskunft geben kann.«

Isla sprang, die Pfeife fortwerfend, mit einem einzigen Rucke empor.

»Ist's wahr? Du könntest mir Auskunft ertheilen?«

»Mein Freund Hassan hat kein Wort zu mir gesprochen, und ich weiß daher auch gar nicht, worüber ich Dir Auskunft geben könnte. Sprich Du zuerst!«

»Effendi, wenn Du mir sagen kannst, was ich zu hören wünsche, so werde ich Dich besser belohnen, als ein Pascha es könnte!«

»Ich begehre keinen Lohn. Rede!«

»Ich suche eine Jungfrau, welche Senitza heißt.«

»Und ich kenne eine Frau, welche sich denselben Namen gegeben hat.«

»Wo, wo, Effendi? Rede schnell.«

»Magst Du mir nicht vorher die Jungfrau beschreiben?«

»O, sie ist schön wie die Rose und herrlich wie die Morgenröthe; sie duftet wie die Blüthe der Reseda, und ihre Stimme klingt, wie der Gesang der Houris. Ihr Haar ist wie der Schweif des Pferdes Gilja, und ihr Fuß ist wie der Fuß von Delila, welche Samson verrieth. Ihr Mund träufelt von Worten der Güte, und ihre Augen – – –«

Ich unterbrach ihn durch eine Bewegung meines Armes.

»Isla Ben Maflei, das ist keine Beschreibung, wie ich sie verlange. Sprich nicht mit der Zunge eines Bräutigams, sondern mit den Worten des Verstandes! Seit wann ist sie Dir verloren gegangen?«

»Seit zwei Monden.«

»Hatte sie nicht etwas bei sich, woran man sie erkennen kann?«

»O, Effendi, was sollte dies sein?«

»Ein Schmuck vielleicht, ein Ring, eine Kette – – –«

»Ein Ring, ein Ring, ja! Ich gab ihr einen Ring, dessen Gold so dünn war wie Papier, aber er trug eine schöne Perle.«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Wo, Effendi? O, sage es schnell! Und wann?«

»Heute, vor wenigen Stunden.«

»Wo?«

»In der Nähe dieses Ortes, nicht weiter als eine Stunde von hier.«

Der junge Mann kniete bei mir nieder und legte mir seine beiden Hände auf die Schultern.

»Ist es wahr? Sagst Du keine Unwahrheit? Täuschest Du Dich nicht?«

»Es ist wahr; ich täusche mich nicht.«

»So komm, erhebe Dich; wir müssen hin zu ihr.«

»Das geht nicht.«

»Es geht, es muß gehen! Ich gebe Dir tausend Piaster, zwei-, dreitausend Piaster, wenn Du mich zu ihr führst!«

»Und wenn Du mir hunderttausend Piaster gibst, so kann ich Dich heute nicht zu ihr bringen.«

»Wann sonst? Morgen, morgen ganz früh?«

»Nimm Deine Pfeife auf, brenne sie an und setze Dich! Wer zu schnell handelt, handelt langsam. Wir wollen uns besprechen.«

»Effendi, ich kann nicht. Meine Seele zittert.«

»Brenne Deine Pfeife an!«

»Ich habe keine Zeit dazu; ich muß – – –«

»Wohl! Wenn Du keine Zeit zu geordneten Worten hast, so muß ich gehen.«

»Bleibe! Ich werde Alles thun, was Du willst.«

Er setzte sich wieder an seinen Platz und nahm aus dem Becken eine glimmende Kohle, um den Tabak seiner Pfeife in Brand zu stecken.

»Ich bin bereit. Nun sprich!« forderte er mich dann auf.

»Heute schickte ein reicher Egypter zu mir, zu ihm zu kommen, weil sein Weib krank sei – – –«

»Sein Weib – – –!«

»So ließ er mir sagen.«

»Du gingst?«

»Ich ging.«

»Wer ist dieser Mann?«

»Er nennt sich Abrahim-Mamur und wohnt aufwärts von hier in einem einsamen, halb verfallenen Hause, welches am Ufer des Niles steht.«

»Es wird von einer Mauer umgeben?«

»Ja.«

»Wer konnte dies ahnen! Ich habe alle Städte, Dörfer und Lager am Nile abgeforscht, aber ich dachte nicht, daß dieses Haus bewohnt werde. Ist sie wirklich sein Weib?«

»Ich weiß es nicht, aber ich glaube es nicht.«

»Und krank ist sie?«

»Sehr.«

»Wallahi, bei Gott, er soll es bezahlen, wenn ihr etwas Böses widerfährt. An welcher Krankheit leidet sie?«

»Ihre Krankheit liegt im Herzen. Sie haßt ihn; sie verzehrt sich in Sehnsucht, von ihm fortzukommen, und wird sterben, wenn es nicht bald geschieht.«

»Nicht er, aber sie hat Dir das gesagt?«

»Nein, ich habe es beobachtet.«

»Du hast sie gesehen?«

»Ja.«

»Belauscht?«

»Nein. Er führte mich in seine Frauenwohnung, damit ich mit der Kranken sprechen könne.«

»Er selbst? Unmöglich!«

»Er liebt sie – –«

»Allah strafe ihn!«

»Und fürchtete, daß sie sterben werde, wenn er mich wieder fortschickte.«

»So sprachst Du auch mit ihr?«

»Ja, aber nur die Worte, welche er mir erlaubte. Aber sie fand Zeit, mir leise zuzuflüstern: ›Rette Senitza!‹ Sie trägt also diesen Namen, obgleich er sie Güzela nennt.«

»Was hast Du ihr geantwortet?«

»Daß ich sie retten werde.«

»Effendi, ich liebe Dich; Dir gehört mein Leben! Er hat sie geraubt und entführt. Er hat sie durch Betrug an sich gerissen. Komm, Effendi, wir wollen gehen. Ich muß wenigstens das Haus sehen, in welchem sie gefangen gehalten wird!«

»Du wirst hier bleiben! Ich gehe morgen wieder hin zu ihr und – – –«

»Ich gehe mit, Sihdi!«

»Du bleibst hier! Kennt sie den Ring, welchen Du am Finger trägst?«

»Sie kennt ihn sehr gut.«

»Willst Du mir ihn anvertrauen?«

»Gern. Aber wozu?«

»Ich spreche morgen wieder mit ihr und werde es so einzurichten wissen, daß sie den Ring zu sehen bekommt.«

»Sihdi, das ist vortrefflich! Sie wird sogleich ahnen, daß ich in der Nähe bin. Aber dann?«

»Erzähle Du zunächst das, was ich wissen muß.«

»Du sollst Alles erfahren, Herr. Unser Geschäft ist eines der größten in Istambul; ich bin der einzige Sohn meines Vaters, und während er den Bazar verwaltet und die Diener beaufsichtigt, habe ich die nothwendigen Reisen zu unternehmen. Ich war sehr oft auch in Scutari und sah Senitza, als sie mit einer Freundin auf dem See spazieren fuhr. Ich sah sie später wieder.«

»Ihr Vater wohnt nicht in Scutari, sondern auf den schwarzen Bergen; sie kam aber zuweilen herunter, um die Freundin zu besuchen. Als ich vor zwei Monaten wieder an jenen See reiste, war die Freundin mit ihrem Manne verschwunden, und Senitza dazu!«

»Wohin?«

»Niemand wußte es.«

»Auch ihre Eltern nicht?«

»Nein. Ihr Vater, der tapfere Osco, hat die Czernagora verlassen, um nach seinem Kinde zu suchen, so weit die Erde reicht; ich aber mußte nach Egypten, um Einkäufe zu machen. Auf dem Nile begegnete ich einem Dampfboote, welches aufwärts fuhr. Als der Sandal, auf welchem ich war, an ihm vorüberlenkte, hörte ich drüben meinen Namen nennen. Ich blickte hinüber und erkannte Senitza, welche den Schleier vom Gesicht genommen hatte, damit ich sie erkennen sollte. Neben ihr stand ein schöner, finsterer Mann, der ihr den Jaschmak sofort wieder überwarf – weiter sah ich nichts. Seit dieser Stunde habe ich ihre Spur verfolgt.«

»Du weißt also nicht genau, ob sie ihre Heimat freiwillig oder gezwungen verlassen hat?«

»Freiwillig nicht.«

»Kanntest Du den Mann, der neben ihr stand?«

»Nein.«

»Das ist wunderbar! Oder hast Du Dich in der Person geirrt? Vielleicht ist es eine Andere gewesen, die ihr ähnlich sieht.«

»Hätte sie dann gerufen und die Hände nach mir ausgestreckt, Effendi?«

»Das ist wahr.«

»Sihdi, Du hast ihr versprochen, sie zu retten?«

»Ja.«

»Wirst Du Dein Wort halten?«

»Ich halte es, wenn sie es wirklich ist.«

»Du willst mich nicht mitnehmen. Wie kannst Du da erkennen, ob sie es ist?«

»Dein Ring wird mir die Überzeugung geben.«

»Und wie wirst Du sie dann aus dem Hause bringen?«

»Indem ich Dir sage, auf welche Weise Du sie holen kannst.«

»Ich werde sie holen, darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Und dann? Hassan el Reisahn, wärest Du bereit, sie in Deiner Dahabië aufzunehmen?«

»Ich bin bereit, obgleich ich den Mann nicht kenne, bei dem sie sich befindet.«

»Er nennt sich Mamur, wie ich Dir gesagt habe.«

»Wenn er wirklich ein Mamur, der Beherrscher einer Provinz, gewesen ist, so ist er mächtig genug, uns zu verderben, wenn er uns ergreift,« meinte der Kapitän mit ernster Miene. »Eine Tschikarma wird mit dem Tode bestraft. Mein Freund Kara Ben Nemsi, Du wirst morgen sehr klug und vorsichtig handeln müssen.«

Was mich selbst betraf, so dachte ich weniger an die Gefahr als vielmehr an das Abenteuer selbst. Natürlich stand es fest, daß ich keine Hand rühren würde, wenn Abrahim-Mamur ein wirkliches Recht auf die Kranke geltend machen könnte.

Wir besprachen uns noch lange über das bevorstehende Ereigniß.


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