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12. Ein mißglückter Anschlag

An dem Ort, von dem hier die Rede war, nämlich in Schloß Rodriganda, herrschte eine tiefe Stille. Der Graf hatte befohlen, daß sich jedermann der möglichsten Ruhe befleißigen sollte, da er sich sehr angegriffen fühle.

Niemand befolgte diesen Befehl so genau wie der alte Verwalter Juan Alimpo. Er schlich auf den Fußzehen wie eine Katze die Treppen auf und ab, er huschte unhörbar wie ein Schatten über die Hausfluren. Sogar in seiner Wohnung, die von der des Grafen so entfernt lag, daß selbst der größte Lärm nicht zu dem Gebieter hätte dringen können, schwebte er so lautlos hin und her, als verstehe er die Kunst, den Boden nicht zu berühren.

Dieser gleichen Kunst befleißigte sich auch seine Gattin Elvira, aber mit nicht so großem Erfolg. Denn während der Kastellan ein sehr kleines und dürres Männlein war, besaß Frau Elvira eine erstaunliche Körperfülle. Ihr Umfang war wohl ebenso groß als ihre Höhe, und sie allein auf einer Wagschale hätte sicher fünf Alimpos emporgeschnellt. Ihr Vollmondgesicht glänzte vor Zufriedenheit; ihr Auge lachte vor Güte; ihr Mund war stets zu einem guten Wort bereit, und da ihr teurer Juan trotz aller körperlichen Verschiedenheit ganz dieselben seelischen Eigenschaften besaß wie sie, so lebten sie wie Tauber und Täubchen, und es hatte noch kein Mensch ein schroffes Wort gehört, das zwischen ihnen gefallen wäre.

Jetzt eben war Alimpo mit der Zusammensetzung eines kostbaren Schreibzeugs beschäftigt, und seine Ehefrau besserte die aufgedrehte Troddel eines prächtigen Teppichs aus. Dabei unterhielten sie sich so leise, als ob der kranke Graf sich in unmittelbarer Nähe befinde.

»Meinst du wohl, Elvira, daß dieses Schreibzeug dem deutschen Doktor gefallen wird?« fragte er.

»Sehr gut! Und was glaubst du, Alimpo, wird er zu diesem Teppich sagen?«

»Sehr schön, wird er sagen.«

»Ja, wir suchen für ihn das Beste hervor.«

»Er ists auch wert, meine Elvira!«

»Natürlich! Er ist so gut!«

»So klug und gelehrt!«

»Und so schön, Alimpo!«

»Das mag wohl sein. Euch Frauen fällt das gleich auf, ich aber verstehe mich darauf nicht. Aber das weiß ich, daß ich ihn liebhabe und doch zugleich eine gewaltige Ehrerbietung vor ihm empfinde. Nicht, Elvira?«

»Ja. Mir gehts ebenso. Ich möchte ihm alles an den Augen absehn, und doch kommt er mir so hoch, so stolz und vornehm vor, als ob er ein Prinz oder gar ein Herzog sei.«

»Der gnädige Herr mag ihn auch gern.«

»Ebenso die gnädige Condesa. Aber diese andern, die Ärzte, oh, Alimpo, die gefallen mir gar nicht.«

»Mir noch weniger. Ich wünsche keinem Menschen, daß ihn der Teufel holen möge: diese drei Kerle aber könnte er immer einmal holen. Meinst du nicht auch, Elvira?«

»Ja, gewiß bin ich deiner Ansicht. Sie hätten den gnädigen Herrn totgemacht, wenn unser Señor nicht dazugekommen wäre; darauf kannst du dich verlassen, Alimpo!«

»Und was sagst du zu dem jungen Herrn, Elvira?«

»Hm, da muß man vorsichtig sein! Welche Meinung hast denn du?«

»Ja, da muß man sehr vorsichtig sein. Ich meine – hm, ich meine – daß ihn der Teufel – hm ja, daß ihn der Teufel auch einmal so holen könne, grad wie die Ärzte!«

»Ei, ei, Alimpo!« drohte die Verwalterin. »So darf man nicht von dem jungen Herrn Grafen sprechen! Das ist sehr achtlos, obgleich auch ich nicht das mindeste dagegen hätte. Dieser junge Graf Alfonso gefällt mir durchaus nicht. Er sieht gar nicht aus wie ein richtiger Graf!«

»Nein. Er sieht seinem Vater, unserm gnädigen Herrn, nicht ähnlich. Hast du das nicht auch bereits bemerkt?«

»O ja! Und weißt du, wem er ähnlich sieht? Diesem alten Señor Cortejo, dem Notar.«

»Ich dachte, du würdest sagen, daß er der Señora Clarissa ähnlich sieht.«

Die gute Elvira machte zuerst ein erstauntes Gesicht; dann sann sie ein wenig nach und entgegnete:

»Wahrhaftig, du hast recht, Alimpo! Auch dieser Señora Clarissa sieht er ähnlich. Es ist grad, als wenn der Notar und die Hofmeisterin seine Eltern wären! Ist das nicht sehr merkwürdig, mein lieber Alimpo?«

»Ja, allerdings«, stimmte er bei. »Aber ich bin mit meinem Schreibzeug nun fertig geworden.«

»Und ich mit dem Teppich auch. Wollen wir die Sachen jetzt ins Zimmer unsres Doktors tragen?«

»Ich denke: ja.«

»Nun, so komm!«

Sie traten hinaus auf den Flur und kamen grade zur rechten Zeit, um die drei spanischen Ärzte zu sehn, die den Weg nach den Gemächern des Grafen Manuel eingeschlagen hatten.

Diese drei Herren zeigten sehr ernste, feierliche Mienen. Als sie das Vorzimmer erreichten, fragte Doktor Francas den daselbst anwesenden Diener:

»Wir hören, daß Seine Erlaucht, der gnädige Graf, unwohl sind. Wir wünschen ihn zu sprechen.«

»Der gnädige Herr haben jeden Besuch streng untersagt.«

»Auch den unsrigen?«

»Es ist ein Name überhaupt nicht genannt worden.«

»Nun, so meldet uns!«

»Ich möchte es nicht wagen.«

»Warum nicht? Wenn Seine Erlaucht krank sind, so sind wir als Ärzte doch da, ihm unsre Hilfe zu bringen.«

»Ich möchte dennoch von einer Meldung absehn«, versetzte der Diener höflich. »Ich habe den Befehl des gnädigen Herrn zu beachten.«

»Und den unsrigen auch!« bemerkte der Arzt in strengem Ton. »Wo es einen Kranken gibt, da ist stets der Arzt der Befehlende.«

»Das habe ich auch geglaubt, Señor; aber ich bin eines Bessern belehrt. Zunächst durch Herrn Doktor Sternau und dann durch den gnädigen Herrn selbst. Ihr gabt mir, als Ihr die Operation vornehmen wolltet, den Befehl, keinen Menschen und auch die gnädige Condesa nicht einzulassen. Ich gehorchte Euch und habe einen Verweis erhalten, wie er mir noch niemals gegeben wurde.«

»Daran seid Ihr selber schuld; hättet Ihr die Condesa und diesen frechen Fremden mit Gewalt abgewehrt, so wäre der ganze unangenehme Fall nicht vorgekommen. Also, werdet Ihr uns melden oder nicht?«

Der Diener zögerte einige Sekunden, dann entgegnete er:

»Nun wohl, ich will es wagen!«

Er trat in das Gemach nebenan und kehrte bald darauf mit dem Bescheid zurück, daß die Señores eintreten dürften.

»Seht Ihr!« meinte Francas triumphierend. »Ich ersuche Euch also, in Zukunft höflicher mit uns zu sein!«

Der Diener öffnete ihnen die Tür und machte, als sie eingetreten waren, hinter ihnen eine Gebärde, die nichts weniger als Achtung und Höflichkeit ausdrückte.

Der Graf befand sich in demselben Zimmer, in dem einige Tage vorher die Operation hatte vorgenommen werden sollen. Er lag in einem mit Samt gepolsterten Ruhestuhl und trug ein bequemes Morgengewand. Sein Aussehn war allerdings angegriffen, keineswegs aber leidend zu nennen.

Die drei Herren verbeugten sich tief vor ihm, obgleich er von dieser Verbeugung nichts sehn konnte. Der Graf winkte ihnen leicht zu, deutete ihnen durch eine Handbewegung an, sich zu setzen, und begann:

»Señores, ihr habt wohl gehört, daß ich Ruhe begehre. Wenn ich euch trotzdem hier empfange, so mag euch das ein Beweis meiner freundschaftlichen Gesinnung sein. Was wünscht ihr mir zu sagen?«

Francas erhob sich von seinem Sitz und erwiderte:

»Erlauchtester Graf, es treibt uns nichts als die Sorge um Euer Wohlbefinden zu Euch. Wir hörten allerdings, daß Ihr die äußerste Stille anbefohlen hättet, und da wir daraus eine Verschlimmerung Eures so besorgniserregenden Zustands schließen mußten, so eilten wir herbei, um, wie es uns die Pflicht gebietet, Euch mit unserm ärztlichen Rat zur Seite zu stehn.«

»Ich danke euch!« erwiderte der Graf in seinem höflichsten Ton. »Ich fühle mich zwar matt, sonst aber scheint mir ein Grund zu wirklicher Besorgnis nicht vorhanden zu sein.«

»Gnädigster Herr,« fiel da Doktor Milanos aus Kordova ein, »oft hält der Leidende seinen Zustand für ungefährlich, während doch grade das Gegenteil davon der Fall ist. Nur der Arzt erkennt, welcher Art das Befinden seines Kranken ist.«

»Ihr mögt recht haben«, antwortete der Graf mit einem leisen Lächeln. »Auch ich enthalte mich aller eigenmächtigen Beurteilung meines Zustands und teile nur die ärztliche Ansicht. Señor Doktor Sternau aber hat mir versichert, daß ich nichts zu befürchten habe, und nach eurer eignen Meinung muß ich ihm als Arzt doch Glauben schenken.«

Die drei Herren wechselten miteinander einen Blick, der die allergrößte Entrüstung ausdrückte, und Francas sagte mit finsterm Stirnrunzeln:

»Dieser fremde Señor Sternau? Erlaucht, mein werter Kollege, Señor Cielli hier, hat die Ehre gehabt, viele Jahre lang Euer Hausarzt zu sein und während dieser Zeit Euer vollständiges Vertrauen zu genießen. Auch wir beiden andern sind Eurem ehrenvollen Ruf gefolgt, um Euch von einem Leiden zu befreien, das Euch den sichern Tod bringt, wenn es nicht durch schnellste Anwendung durchgreifender Maßregeln gehoben wird. Wir vertreten die ärztliche Kunst und Geschicklichkeit unsres Vaterlands; und wir erklären nochmals mit aller Überzeugung und Entschiedenheit, daß Euer Leben nur durch einen schleunigen Schnitt gerettet werden kann, daß aber die Operation mittels des Zangenbohrers Euern augenblicklichen Tod zur Folge haben muß.«

»Ist das eure feste Überzeugung, Señores?« fragte der Graf ernst.

»Ja«, antworteten alle drei.

Da tastete er nach einem kleinen Schächtelchen, das neben ihm auf dem Tisch lag, öffnete es und reichte es ihnen hin.

»Dann, bitte, nehmt einen Einblick in den Inhalt dieser Dose!« bemerkte er lächelnd.

Francas griff danach, unterwarf den Gegenstand einer kurzen, oberflächlichen Untersuchung und gab die Dose an Cielli weiter.

»Ein Pulver«, sagte er wegwerfend. »Wenn Señor Sternau glaubt, Euer Leiden durch eine innerliche Behandlung mit Pulvern und Tropfen zu heben, so hat er sich damit selbst sein Urteil gesprochen.«

»Ihr irrt! Dieses Pulver soll nicht in das Innere meines Körpers kommen, sondern es ist aus ihm herausgenommen worden.«

»Ah!« rief Francas.

»Ja, Señores! Heut in der Frühe hat Doktor Sternau mit der Zermalmung des Steins begonnen, und dieses Pulver ist der sichtbare Erfolg seiner Bemühung. Ihr seht übrigens, daß ich nicht tot bin.«

Die drei Männer machten verlegne Gesichter, was der Graf aber infolge seiner Blindheit nicht bemerken konnte Francas faßte sich schnell und fragte:

»Sind Eure Erlaucht auch wirklich überzeugt, daß dieses Pulver einen zermalmten Stein darstellt?«

Da machte der Graf eine Bewegung des größten Unwillens und rief:

»Señores, glaubt ihr etwa, Doktor Sternau sei ein Betrüger, ein Taschenspieler? Das wäre ein unwürdiges Verhalten, mit dem ihr nur euch selbst schaden würdet! Señor Sternau besitzt mein vollständiges Vertrauen! Er hat mir heute bewiesen, daß seine Art, zu operieren, bei weitem nicht die Gefahr in sich schließt wie diejenige, die mir von euch vorgeschlagen wurde. Ich glaube nun auch seiner Versicherung, daß die Blindheit meiner Augen heilbar sei. Señores, laßt euch ein Wort sagen! Doktor Sternau hatte die Absicht, nur unter eurem Beirat zu handeln, ist aber durch eure Schroffheit zurückgestoßen worden. Er ist trotz seiner Jugend der Mann, von dem selbst erfahrene Leute lernen können. Schließt ihm euch an, und dann soll es mir lieb sein, auf euren Rat hören und ihn berücksichtigen zu können!«

Da streckte Francas beide Hände wie zur Abwehr aus und sagte:

»Ich danke, Erlaucht! Es kann nicht meine Absicht sein, zu einem Mann in die Schule zu zehn, der selbst der Schule noch nicht entwachsen ist. Schenkt Ihr ihm mehr Vertrauen als uns, so können wir nichts dagegen tun; aber wenigstens der Zumutung, uns als Schüler betrachten zu lassen, können wir entgehn. Ich bitte um die Erlaubnis, nach Madrid zurückkehren zu können.«

»Auch ich werde noch heute wieder nach Kordova gehn, wo man mir vertraut«, bemerkte Milanos selbstbewußt.

»Und ich«, fügte Cielli bei, »bitte Eure Erlaucht, mich von meiner Stellung als Hausarzt zu entheben. Vielleicht ist Señor Sternau bereit, die dadurch entstehende Lücke auszufüllen.«

»Das ist ja ein Angriff, dem ich als einzelner, so überlegenen Kräften gegenüber, gar nicht widerstehn kann«, meinte der Graf mit seinem ruhigen Lächeln. »Schloß Rodriganda steht euch jederzeit gastlich offen; wenn ihr aber so stürmisch fortverlangt, so darf ich euch allerdings denen nicht entziehn, die euren Rat und eure Hilfe nicht entbehren können. Legt meinem Rentmeister eure Rechnungen vor und nehmt meinen herzlichsten Dank für das Wohlwollen, mit dem ihr euch meiner angenommen habt.«

»Den Dank haben wir bereits erhalten, Don Manuel«, sagte Francas scharf. »Werdet Ihr die Güte haben, diesen Besuch gleich auch als Abschied gelten zu lassen?«

»Dieser Wunsch ist auch mir genehm«, antwortete der Graf. »Reist mit Gott, Señores!«

Die Ärzte verbeugten sich und schritten hinaus. Draußen im Nebenzimmer aber blieben sie unwillkürlich stehn, um sich anzublicken.

»Es ist aus!« meinte Francas.

»Leider«, fügte Milanos hinzu.

»Geschlagen!« zürnte Cielli. »Geschlagen von einem solchen Menschen!«

»Pah, noch nicht!« sagte Francas. »Wir reisen zwar ab, aber ich bin überzeugt, daß wir zurückgerufen werden!«

Sie schritten mit einer keineswegs siegesstolzen Miene an dem Diener vorüber und trennten sich draußen, um sich in ihre Zimmer zu begeben.

Als Francas sein Gemach betrat, fand er es nicht leer. Graf Alfonso nebst dem Notar und Señora Clarissa hatten ihn hier erwartet.

»Nun, gelungen?« fragte der erstere.

»Ja«, antwortete der Gefragte barsch.

»Gott sei Dank!«

»Spart Euren Dank für spätere Zeit, Graf!« meinte der Arzt. »Gelungen ist es allerdings; aber nicht uns, sondern diesem Sternau.«

»Wirklich?« fuhr der Notar auf. »Der Teufel soll ihn holen!«

»Aber sehr bald, sonst bin ich nicht mehr da!« lachte der Doktor ergrimmt.

»Ihr wollt abreisen?« fragte Clarissa erschrocken.

»Ja. Wir haben den Abschied erhalten und sollen dem Rentmeister unsre Rechnungen vorlegen.«

»Das ist ja mehr als unhöflich!« meinte der Notar. »Ihr werdet nicht gehn!«

»Nicht? Meint Ihr? Da befindet Ihr Euch im Irrtum. Doktor Francas hat nicht nötig, einem halsstarrigen Kranken seine Hilfe aufzuzwingen.«

»Ihr sollt sie nicht aufzwingen, Señor, sondern der Graf selbst wird Euch ersuchen, noch länger hierzubleiben.«

»Möglich. Aber wie wollt Ihr ihn dazu veranlassen?«

»Es wird Euch das nur einen kleinen Wink kosten. Aber vor allen Dingen erzählt uns Euer Gespräch mit dem Grafen.«

»Das war kurz und bündig. Es ist aus allem zu ersehn, daß er uns den Abschied erteilt hätte, falls wir nicht so klug gewesen wären, ihn zu fordern.«

Er erzählte.

Graf Alfonso hatte bis jetzt kein Wort weiter gesagt. Er stand mit finsterer Miene am Fenster. Aber als der Arzt geendet hatte, wandte er sich zu den andern herum und rief:

»Die Operation hat also begonnen? Wirklich?«

»Ja, ohne unser Vorwissen! Dieser Sternau zahlt uns mit unsrer eignen Münze.«

»Ihr glaubt, daß die Entfernung des Steins gelingt, Señor Francas?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Das darf nicht geschehn, das muß verhindert werden!«

»Wie wollt Ihr es verhindern, Don Alfonso?« fragte der Arzt mit einem lauernden Blick.

»Señor Cortejo wird es übernehmen.«

»Ja, ich werde es übernehmen, und es wird mir gelingen«, fiel dieser mit entschlossener Miene ein.

»Ja, unser guter Señor Gasparino wird dies besorgen«, meinte zustimmend Clarissa. »Dieser fremde Eindringling wird uns keinen weitern Schaden bereiten. Er darf die Wege der Vorsehung nicht kreuzen, und der Zorn Gottes wird sein freches Haupt zerschmettern!«

»Doktor, wollt Ihr Euch entschließen, nur noch einen Tag auf Rodriganda zu verweilen?« fragte der Notar. »Ich bin überzeugt, daß der Graf morgen froh sein wird, wenn er erfährt, daß Ihr noch anwesend seid.«

»Könnt Ihr mir dies versprechen? Nun wohl, ich bleibe, aber nur bis morgen früh. Bin ich dann noch nicht zum längern Verweilen aufgefordert worden, so reise ich ab.«

»Habt keine Sorge und verlaßt Euch ganz auf mich!« meinte Cortejo. »Jetzt aber muß ich gehn.«

Er verließ das Zimmer und auch das Schloß und wandte sich dem Park zu. Als er den Teil der Anlage, der an den Wald stieß, erreicht hatte, trat er hinter ein Gebüsch und stieß einen scharfen Pfiff aus.

Einige Augenblicke später raschelte es in den Zweigen, und es trat ein Mann zu ihm, der in die Tracht der dortigen Gegend gekleidet war, am Arm aber eine schwarze Kapuze hängen hatte.

»Ihr seid es, Señor«, meinte dieser. »Habt Ihr endlich einen Auftrag? Es ist langweilig, so vergeblich im Wald zu liegen.«

»Ja, ich habe den Auftrag«, meinte Cortejo. »Heute muß es geschehn.«

»Ah – endlich! Aber wann?«

»Sobald es paßt. Der Kerl ist jetzt nicht im Schloß.«

»Ich weiß es, ich sah ihn in den Wald gehn. Ich schickte ihm einen meiner Leute nach, und dieser meldete mir, daß er mit dem alten Förster nach den Bergen sei.«

»Also auf die Jagd! Könnte es nicht dabei geschehn?«

»Nein, denn wir werden ihn schwerlich finden.«

»Dann also bei seiner Rückkehr in den Park.«

»Gut. Und wenn er von der andern Seite kommt?«

»So wartet ihr bis später. Er scheint die Gewohnheit zu haben, während der Dämmerung spazierenzugehn; dabei bietet sich euch die beste Gelegenheit. Ich hoffe, daß es gelingen wird!«

»Ohne Zweifel, Señor! Unsre Kugeln treffen sicher.«

»Nein, Kugeln nicht. Es muß mit dem Messer geschehn. Der Schuß würde Alarm machen, den ich vermeiden will. Wenn ihr ihm das Messer dann in die Hand drückt, wird er als Selbstmörder gelten.«

»Ich muß Euch gehorchen, aber ein Schuß wäre sichrer. Dieser Mann scheint sehr stark zu sein, und es wird vielleicht einen Kampf geben.«

»Ach so, ihr fürchtet euch«, spottete Cortejo verächtlich.

»Das fällt uns gar nicht ein. Euer Auftrag wird auf jeden Fall erfüllt. Aber, wie steht es mit dem Geld? Der Hauptmann hat mich beauftragt, es in Empfang zu nehmen.«

»Kommt heut Punkt Mitternacht wieder hierher an dieselbe Stelle; da werde ich euch die Summe ehrlich auszahlen. Ihr habt Kapuzen mit? Wozu?«

»Haltet Ihr uns für Anfänger?« lachte der Brigant. »Man muß alle Fälle überlegen. Wie leicht könnte man uns sehn und wiedererkennen. Die Kapuze ist das beste und sicherste Mittel, unentdeckt zu bleiben, Señor!«

»So macht eure Sache gut!« ermahnte der Notar, indem er sich umdrehte, um nach dem Schloß zurückzugelangen.

Der Brigant gehörte zu den Leuten, die der Capitano dem Advokaten zur Ermordung Sternaus nach Rodriganda gesandt hatte. Seine Behauptung war richtig. Sternau war mit einem der gräflichen Förster in den Wald gegangen, weniger um ein Wild zu erlegen, als vielmehr um die frische Berg- und Waldesluft zu genießen und die zu Rodriganda gehörenden Forste kennenzulernen.

Diese Streiferei dauerte länger, als er zuerst beabsichtigt hatte, und es war bereits am späten Nachmittag, als er zurückkehrte.

Er trug die Büchse in der Hand, die er von dem Grafen entliehen hatte; der eine ihrer Läufe war mit Schrot und der andre mit einer Kugel geladen, denn er hatte keine Gelegenheit gefunden oder benutzt, einen Schuß zu tun. Irgendeiner romantischen Stimmung zufolge kehrte er nicht auf einem der gebahnten Wege zurück, sondern zog es vor, durch den dichten, unwegsamen Wald zu streifen. Er befand sich allein, denn der Förster hatte sich von ihm verabschiedet, um nach seiner im Wald gelegnen Wohnung zu gehn.

So näherte er sich, in Gedanken versunken, mit langsamen Schritten dem Park. Da sah er plötzlich einen lichten, glänzenden Punkt vor sich. Ein Waldweg führte vorüber; auf ihm ging Roseta, deren weißes Gewand hell durch die Baumgruppen schimmerte.

Es war, als ob sie jemand suche oder erwarte, denn sie blieb zuweilen stehn und horchte in die Tiefe des Forstes hinein. Sie wußte, daß Sternau in den Wald gegangen war, und da er nicht zurückkehrte, trieb sie eine unerklärliche Unruhe, nach dem Park zu gehn.

Da raschelte es vor ihr in den Büschen. Sie blickte auf und stand vor Sternau, der aus dem Dickicht getreten war, um sie zu begrüßen.

Sie streckte, wie in froher Überraschung, die Arme aus, zog sie aber sogleich wieder zurück, während eine glühende Röte ihre Wangen färbte.

»Señor«, sagte sie, als ob sie sich entschuldigen wolle. »Euer Erscheinen war so plötzlich – ich hatte Euch nicht erwartet!«

»Verzeihung, Doña Roseta,« antwortete er. »Ich kam durch den Wald und erblickte Euch. Da hielt ich es für meine Schuldigkeit, Euch zu zeigen, daß Ihr nicht allein seid.«

»Der Notar hat nach Euch gefragt.«

»Ich ahnte es. Ich habe mich verspätet und werde mich nun beeilen.«

»Wollt Ihr mich mitnehmen?« fragte sie, abermals errötend.

»Gern!«

Er warf die Büchse über den Rücken und bot ihr seinen Arm. Sie legte ihre Hand auf diesen, und so schritten sie dem Park und dem Schloß zu.

»Wißt Ihr, daß die drei Ärzte abreisen werden?« fragte sie, im Bemühen, ein unverfängliches Gespräch zu beginnen.

»Ah!« antwortete er. »Das ist mir nicht lieb. Ich hege keine Feindseligkeit gegen sie und habe sehr gewünscht, ihnen zeigen zu können, daß Don Manuel gesund und sehend wird.«

»Glaubt Ihr wirklich, daß der Vater das Licht der Augen wiedererhält?«

»Ich bin beinah überzeugt davon!«

»Und diese Männer haben es noch heut bestritten. Oh, Señor, gebt dem Vater die Gesundheit und das Augenlicht zurück, und ich werde niemals aufhören, Euch zu danken!«

»Vertraut auf Gottes Hilfe! Er wird mich leiten, das Richtige zu treffen.«

»Er wird mich – ? o mein Gott, was ist das?«

Diese letzten Worte rief die Condesa im höchsten Schreck aus, denn gleich vor ihnen zerteilten sich die Büsche, und dazwischen kam ein in eine schwarze Kapuze gehüllter Kopf zum Vorschein, dessen dunkle Blicke wild aus den runden Augenöffnungen der Verhüllung hervorblitzten.

Gleich darauf erklangen die Worte »Drauf! Tötet ihn!« und im nächsten Augenblick warfen sich mehrere Gestalten, die aus den Büschen brachen und ebenso verhüllt waren wie der andre, mit gezückten Messern auf Sternau.

Dieser befand sich glücklicherweise nicht zum erstenmal in einer solchen Lage. Während seiner Wanderungen durch fremde Erdteile hatte er mit den wilden Indianern Nordamerikas, den Beduinen der Wüste, den Malaien des ostindischen Archipels und den Papuas Neuhollands gekämpft. Er hatte sich dabei jene Geistesgegenwart angeeignet, die kein Erschrecken kennt, keinen Augenblick zaudert und in jeder Lage sofort das Richtige ergreift.

»Holla, das gilt mir!« rief er.

Bei diesen Worten ließ er den Arm seiner Begleiterin fahren und sprang mit Blitzesschnelle einige Schritte seitwärts. Ebenso rasch hatte er die Büchse heruntergerissen und angelegt; zwei Schüsse krachten, und zwei der Vermummten stürzten zu Boden. Im Nu drehte er nun die Büchse um, und ihr Kolben sauste auf den Kopf des dritten der Angreifer nieder, so daß dieser lautlos zusammenbrach. In demselben Augenblick erhielt er von dem vierten einen Stich in den Oberarm: aber mit einer raschen Wendung packte er den Mann bei der Gurgel, ließ die Büchse fallen, da sie zu einem Hieb jetzt zu lang war, und schlug dem Gegner die geballte Faust mit solcher Kraft an die Schläfe, daß dieser besinnungslos niedersank. Als er sich nach dem nächsten Angreifer umsah, war dieser entflohn.

Nun konnte er sich zu Roseta wenden. Der Schreck hatte ihr die Bewegung geraubt. Sie lehnte an einem Baum, dessen Stamm sie umschlungen hielt. Ihr Antlitz war bleich, und ihre Augen waren geschlossen, als getrauten sie sich nicht, den Kampf des Geliebten gegen eine solche Überzahl mit anzusehn.

Dieser hatte kaum mehr als eine Minute in Anspruch genommen. Einen solchen Gegner hatten die Briganten nicht vermutet.

»Condesa,« sagte Sternau, indem er seine Hand auf den Arm Rosetas legte, »beruhigt Euch!«

Der Klang seiner Stimme brachte sie wieder zu sich. Sie schlug die Augen auf, und als sie ihn vor sich stehn sah, kehrte die Röte des Lebens in ihre Wangen zurück.

»Carlos!« rief sie, beinahe jauchzend.

Der Übergang vom tiefsten Schreck zu einer solchen Freude war zu schnell und gewaltig. Sie dachte an keine Rücksicht, an keine Scheu, sie dachte nur daran, daß er getötet werden sollte und doch noch lebend war; sie warf sich an seine Brust und legte mit lautem Schluchzen ihren Kopf an sein Herz.

»Roseta!«

Dieses Wort sagte er leise, beinahe unhörbar, aber es klang eine Welt voll Liebe und Glück aus den wenigen Silben heraus.

»Roseta, seid gefaßt! Diese Mörder sind zurückgewiesen worden.«

Da fiel ihr Blick auf seinen blutenden Arm; erschrocken lief sie:

»Heilige Madonna, Ihr seid verwundet!«

»Tragt keine Sorge«, bat er. »Ich fühle, daß es nur eine unbedeutende Fleischwunde ist.«

»Diese bösen, fürchterlichen Menschen!« sagte sie schaudernd, während sie einen furchtsamen Blick auf die am Boden Liegenden warf. »Wer sind sie? Und was habt Ihr ihnen getan? Vier Mörder, Carlos, Ihr starker, mutiger Mann!«

Sie lehnte sich abermals an seine Brust, und als sie ihre Augen zu ihm erhob, strahlte aus ihnen ein solcher Blick von Liebe und Bewunderung, daß er nicht widerstehn konnte; er beugte sich zu ihr hernieder und legte seine Lippen zu einem langen Kuß auf ihren Mund.

Da fuhr sie zurück. »Wer kommt?«

Es ertönten wirklich soeben eilige Schritte, die sich vom Schloß her nahten, und gleich darauf erschienen drei Männer. Es waren zwei Gehilfen des Gärtners und der kleine Señor Juan Alimpo. Dieser war in den Garten gegangen, um einen Blumenstrauß für das Zimmer Sternaus zu holen. Während des Abschneidens der Blumen hatte man die beiden kurz aufeinanderfolgenden Schüsse gehört. Das war im Park auffällig; darum vermuteten die drei ein ungewöhnliches, vielleicht gar unglückliches Ereignis und eilten der Gegend zu, wo die Schüsse gefallen waren.

Als der Blick des Verwalters auf die Szene fiel, blieb er erschrocken stehn.

»Gnädige Condesa! Señor Sternau! Was ist geschehn?« rief er.

»Man hat den Señor töten wollen«, entgegnete Roseta in großer Erregung.

»Töten?« fragte der Kleine. »O Gott, wie ist das möglich? Das muß ich meiner Elvira sagen!«

Damit schlug er die Hände zusammen und blickte sich um, als erwarte er, daß seine Elvira in der Nähe sei.

»Aber der Señor hat gesiegt«, fuhr Roseta fort. »Er hat die vier getötet.«

»Vier? Oh! Ah!« rief Alimpo erstaunt. »Vier Männer auf einmal!«

»Wohl nur drei«, verbesserte Sternau. »Diesen hier traf ich mit der Faust. Er wird nur betäubt sein. Kommt, helft mir, den Leuten die Kapuzen abnehmen! Wir wollen einmal sehn, ob jemand sie kennt.«

»Aber, Señor, wollt Ihr Euch nicht vor allen Dingen verbinden lassen?« fragte Roseta.

»Das hat Zeit, Doña Roseta«, antwortete er. »Der Stich ist wirklich nicht gefährlich.«

»Einen Stich!« rief Alimpo. »Oh, mein Gott, das ist schrecklich. Ach, wenn doch nur gleich meine Elvira da wäre; sie würde Euch verbinden! Kommt her, Señor; ich will Euch wenigstens einstweilen das Taschentuch umlegen!«

Sternau streckte ihm lächelnd den Arm entgegen, und der brave Verwalter band sein Tuch so fest darum, daß das Blut nicht mehr hindurchdringen konnte.

»So, das war das Notwendigste«, meinte er. »Oh, heiliger Sebastiano, ein Mordanfall auf Schloß Rodriganda!«

Er bückte sich nieder, und die beiden Gärtner halfen ihm, von den Gefallnen die Kapuzen zu entfernen. Es stellte sich heraus, daß man die vier Männer nicht kannte. Drei von ihnen waren wirklich tot. Zweien waren die Schüsse aus unmittelbarer Nähe grade durchs Herz gedrungen, und dem dritten war durch den Kolbenschlag der Schädel zerschmettert worden. Roseta wandte sich schaudernd von diesem Anblick ab.

»Welch ein Hieb!« meinte Alimpo. »Wie mit einem Dampfhammer!«

»Hat jemand eine Schnur oder etwas Ähnliches bei sich?« fragte Sternau, der soeben den vierten untersuchte. »Dieser ist hier nur besinnungslos. Wir müssen ihn binden. Er wird uns sagen, wer er ist, und weshalb mich seine Gefährten töten wollten.«

»Ja, das wird er sagen müssen«, beteuerte Alimpo; »sonst, ja sonst zerreiße ich ihn! Ja, Señor, ich bin ein grimmiger Mensch, wenn ich einmal in Wut gerate!«

Sternau lächelte und fragte:

»Seid Ihr denn schon einmal in Wut gewesen, Señor Alimpo?«

»Nein, noch niemals; aber ich ahne, daß ich dann ganz schrecklich bin, ungefähr so wie ein Tiger oder ein Krokodil!«

Juan Alimpo zog jetzt eine Schnur aus der Tasche und band dem Besinnungslosen die Hände so fest auf dem Rücken zusammen, daß dieser sie sicher nicht zu rühren vermochte, falls er wieder zum Bewußtsein kam.

»So, der ist gebunden«, meinte er. »Was befehlt Ihr noch, Señor?«

»Ich werde jetzt mit der gnädigen Condesa nach dem Schloß gehn, um Euch Leute zu senden«, erwiderte Sternau. »Dieser eine wird sofort, nachdem er erwacht ist, in ein sichres Gewahrsam gebracht. Die andern aber müssen wir liegenlassen, bis der Alkalde kommt, um den Tatbestand aufzunehmen.«

»Ein sichres Gewahrsam haben wir, Señor, ein Gewahrsam, aus dem er mir nicht entkommen soll!«

»Schön! Aber nehmt Euch sehr in acht! Es sind Mörder entkommen. Wir wissen nicht, wie viele es sind, und es ist also möglich, daß sie zurückkehren, um den Gefesselten zu befreien.«

»Wiederkommen? Befreien?« fragte der Verwalter erschrocken. »Und da soll ich hierbleiben? Aber, wenn sie nun gar stechen oder schießen, Señor? Das ist sehr gefährlich! Oh, wenn das meine Elvira wüßte!«

»Ich halte Euch für einen sehr mutigen Mann, Señor Juan Alimpo!«

»Mutig? Oh, das ist noch nichts! Ich bin nicht nur mutig, sondern sogar tapfer und verwegen, ja, über alle Maßen verwegen, und zwar ganz besonders in Gefahren! Aber ein Stich ist eine böse Sache, und ein Schuß kann noch viel schlimmer sein!«

»Nun gut! Ich werde Euch meine Büchse zurücklassen, und außerdem sind ja die Messer dieser Toten da. Das ist genug, sich zu verteidigen.«

Sternau lud die Büchse und reichte sie dem Verwalter hin; dieser aber trat drei Schritte zurück und sagte mit einer abwehrenden Gebärde:

»Mir nicht, Señor! Ich mag das Gewehr nicht! Wenn man es falsch hält, und es geht los, so kann man sich leicht selber treffen. Gebt es diesen beiden Gärtnern! Es sind zwei Läufe geladen, und da kann jeder von den beiden einen Schuß tun, wenn wir überfallen werden; ich aber will die Messer dieser vier Besiegten nehmen. Damit kann ich unter Umständen vier Feinde töten.«

Es geschah so, wie Alimpo verlangte, worauf Sternau der Gräfin von neuem den Arm bot und sie dem Schloß entgegenführte. Dort bat er sie, den Grafen Manuel aufzusuchen und dafür zu sorgen, daß ihn die Kunde vom Überfall nicht unvorbereitet finde und vielleicht in eine schädliche Aufregung versetze. Dann ordnete er an, daß sofort eine Anzahl Schloßarbeiter nach dem Tatort gingen, und erst jetzt begab er sich nach seinem Zimmer, um sich zu verbinden.

Auf der Freitreppe begegnete ihm Señora Clarissa, die einen Spaziergang unternehmen zu wollen schien. Als sie das Tuch um seinen Arm erblickte, fragte sie sogleich:

»Señor, was sehe ich! Ihr tragt ein Tuch um den Arm, und Eure Kleidung ist blutig! Was ist geschehn?«

Sternau wunderte sich ein wenig, daß die Dame, die ihn bisher nicht im geringsten beachtet hatte und stets an ihm vorübergerauscht war, ohne ihn bemerken zu wollen, ihn jetzt anredete. Doch antwortete er höflich:

»Ich bin verwundet, Señora.«

»Verwundet? Ists möglich? Wer hat Euch verwundet, Señor?«

»Man kennt die Leute nicht. Es war ein Mordanfall.«

»Heilige Laureta, ist man seines Lebens hier auf Rodriganda nicht mehr sicher? Aber,« fügte sie mit einem forschenden Seitenblick hinzu, »Ihr sagtet, daß man sie nicht kenne. So sind also diese Mörder auch außer Euch von jemand gesehn worden?«

»Von dem Verwalter und zwei Gärtnern.«

»Und dann sind sie geflohn?«

»Einer oder einige sind entkommen; drei habe ich getötet, und der vierte ist unser Gefangner. Der Verwalter wird ihn sogleich bringen.«

Das Gesicht der Dame wurde leichenblaß. Sie konnte sich vor Schreck kaum halten und sagte mit zitternder Stimme:

»Verzeiht, Señor, diese Nachricht erschreckt mich so, daß mir ganz schwach und übel wird! Ein Mordanfall! Möge Gott die Tat ans Tageslicht ziehn und ihre Anstifter bestrafen! Ich fühle mich so angegriffen, daß ich meinen Spaziergang, den ich beabsichtigte, gar nicht unternehmen kann.«

»Darf ich Euch meinen Arm anbieten, Señora, um Euch nach Euren Gemächern zu geleiten?« fragte er.

Sie nickte und stützte sich auf ihn, was sie unter andern Umständen sicherlich nicht getan hätte. Aber die Angst, entdeckt zu werden, raubte ihr wirklich alle Kräfte, so daß sie schwer am Arm des Arztes hing.

Dieser geleitete sie bis an ihre Tür und verabschiedete sich von ihr mit einer Verbeugung. Er war froh, von ihr fortzukönnen, denn es gab in ihm etwas, was sich gegen diese alte, fromme Dame sträubte. Clarissa trat in ihr Zimmer und sank dort kraftlos in einen Diwan. Bald darauf klingelte sie nach ihrem Mädchen und befahl, Señor Gasparino Cortejo sofort zu ihr zu bescheiden.

Es dauerte nicht lange, so trat dieser ein, überaus verwundert über die Eile, die seine Verbündete hatte, ihn bei sich zu sehn.

»Du schickst nach mir, Clarissa. Was gibt es so Eiliges?« fragte er.

»Ein Unglück, ein sehr großes Unglück!« rief sie. »Oh, ich bin so schwach, daß ich es kaum erzählen kann!«

»Pah!« meinte er ruhig. »Du kannst sprechen, und folglich wird es dir auch möglich sein, zu erzählen, was dich so sehr übermannt.«

»Aber, es ist zu schrecklich! Es kann um uns geschehn sein!«

»Alle Teufel, jammere nicht, sondern rede! Du erschreckst mich ganz unnütz mit deiner Fassungslosigkeit. Ist ein Unglück geschehn, nun, heraus damit!«

»So höre! Dieser Doktor Sternau ist im Park überfallen worden.«

Über die raubvogelartigen Züge des Notars glitt ein befriedigtes Lächeln. Er wähnte, daß sein Anschlag glücklich ausgeführt worden sei, und sagte daher in einem verweisenden Ton:

»Nun, was ist da weiter? Ich sehe darin kein Unglück. Wer hat zu dir von diesem Überfall gesprochen?«

»Das ist es ja eben! Hätte ich es von einer andern Person erfahren, so hätte mich das nicht im geringsten beunruhigt – –«

»Nun, was denn aber? Rede doch, zum Teufel!«

»Er, dieser Doktor Sternau, hat es mir selber erzählt.«

Der Notar fuhr erschrocken zurück.

»Doktor Sternau? Nicht möglich!« meinte er mit unsichrer Stimme.

»Oh, es ist sogar bestimmt so. Ich war von der Nachricht so erschrocken, daß ich es mir gefallen lassen mußte, von diesem verhaßten Menschen nach meinem Zimmer geführt zu werden.«

»Alle Teufel«, knirschte der Notar. »So ist er entkommen?«

»Er war nur leicht am Arm verwundet.«

»Oh, diese Schufte! Ich werde sie lehren müssen, ein Messer richtig zu führen.«

»Du wirst es sie leider nicht lehren können, denn drei von ihnen hat er getötet, und der vierte ist gefangen.«

»Teufel!« fluchte der Advokat durch die Zähne. »Das ist schlimm! Die Toten können nicht reden, aber dieser Gefangne, der kann gefährlich werden.«

»Kann er etwas verraten?«

»Das versteht sich! Diese Burschen haben mich ja gesehn, sie kennen mich, denn ich habe mit ihnen sprechen müssen.«

»O weh! Du bist unvorsichtig gewesen.«

»Laß das Schreien und Klagen! Ich habe keine Lust, in dieser peinlichen Lage noch Vorwürfe anzuhören. Es muß ein Ausweg gefunden werden.«

»Ja, ja! Es gibt einen solchen, aber auch nur einen einzigen!« rief sie schnell und von neuem belebt. »Man muß diesen Gefangnen befreien.«

»Das geht. Aber man wird da bis zur geeigneten Stunde warten müssen, und es fragt sich, ob der Mann bis dahin schweigen kann. Da die gerichtliche Kommission, die zur Aufnahme des Sachverhalts eintreffen muß, erst morgen hier sein kann und auch erst dann den Gefangnen mitnehmen wird, so bleibt er für die Nacht jedenfalls im Schloß eingesperrt. Da wird es leicht sein, ihm die Freiheit zu verschaffen. Aber bis dahin kann er bereits alles verraten haben.«

»So muß ihm ein Wink gegeben werden.«

»Ja, richtig! Diese Geschichte hat mich ganz kopflos gemacht. Es ist ja gar nichts Gewagtes dabei, wenn ich in den Park gehe, um mir den Ort des Überfalls anzusehn. Beim Teufel! Dieser Deutsche ist mir heut entkommen, zum zweitenmal jedoch soll es ihm nicht gelingen! Er gegen so viele! Der Kerl muß eine wahre Elefantenstärke besitzen. Aber daraus lernt man, daß ihm nur mit List beizukommen ist.«

»Und wie willst du es beginnen, um den verhaßten Deutschen endlich zu beseitigen?« fragte die brave Dame eifrig.

»Über das ›Wie?‹ bin ich mit mir noch nicht zu Rat gegangen,« erwiderte Clarissas Bundesgenosse.

»Sterben muß dieser Doktor Sternau, wenn wir unsern Plan nicht aufgeben wollen«, bemerkte die Dame entschieden.

»In keinem Fall dürfen wir unser Vorhaben außer acht lassen«, pflichtete der Notar bei, »darum werde ich jedes Mittel für recht halten, das uns zum Ziel führt.«

Clarissa nickte zustimmend, und der Notar fuhr fort:

»Ich gehe jetzt, um den Platz zu besichtigen, wo das Treffen stattgefunden hat.«

Damit eilte er nach dem Park, wo sich bereits ein großer Teil der Schloßbewohner versammelt hatte, herbeigeführt von einem Ereignis, wie es in Rodriganda noch nicht vorgekommen war. – – –

Es geschah ganz so, wie Señor Gasparino Cortejo zu seiner Verbündeten gesagt hatte. Während die drei Leichen im Park unter Bewachung liegenblieben, wurde der Gefangne in das Schloß geschafft. Es war derselbe, dem der Notar heute seine Verhaltungsmaßregeln erteilt hatte. Sie begegneten einander kurz vor dem Schloß. Es gelang Cortejo unbeobachtet von andern, seine Finger auf den Mund zu legen, so daß der Brigant es bemerkte. Dieser nickte als Antwort leicht vor sich hin, während ein Lächeln der Freude über sein finsteres Gesicht huschte.

Der Graf geriet bei der Kunde, daß sein Gast und Arzt hatte ermordet werden sollen, in eine ungewöhnliche Aufregung, und es gelang Roseta nur schwer, ihn zu beruhigen. Doch befahl er, daß die Untersuchung mit aller Strenge geführt werden solle.

Die drei Ärzte reisten noch am Abend ab. Sie ahnten, wer der Auftraggeber der Mörder sei, und glaubten nach dem Mißerfolg nun für die erste Zeit keine Aussichten mehr zu haben.

Sternau hatte seine Vermutung, daß seine Wunde nicht bedeutend sei, bestätigt gefunden. Er sah sich von ihr nicht im mindesten behindert und konnte sich also ohne Unterbrechung dem Grafen widmen. Er war bei allen Bediensteten des Grafen trotz der Kürze seiner Anwesenheit im Schloß bereits außerordentlich beliebt, und darum war man gespannt, zu hören, wer ihm nach dem Leben getrachtet habe. Leider verweigerte der Gefangne jedwede Auskunft. Er verschwieg hartnäckig, wer er sei und wer ihn veranlaßt habe, Sternau zu überfallen. Man mußte sich also auf den späteren Verlauf der Untersuchung vertrösten.

Am eingehendsten wurde das Ereignis in der Wohnung des Verwalters besprochen.

»Also, liebe Elvira, ich werde es dir genau erklären«, sagte Alimpo.

»Ja bitte, sehr genau, lieber Alimpo«, erwiderte Elvira.

Der Verwalter nahm einen Borstenbesen in die Hand, blickte sich ernsthaft und forschend in der Stube um und meinte dann:

»Also fünf werden es gewesen sein. Denke dir, der erste sei dort der Uhrkasten, der zweite der Kleiderschrank, der dritte der Blumentisch, der vierte die Astrallampe hier und der fünfte der Koffer dort in der Ecke. – Verstanden?«

»Sehr gut, lieber Alimpo.«

»Schön! Also die fünf Mörder haben wir. Wir brauchen also nur noch den Doktor Sternau, den sie ermorden wollen, und die gnädige Condesa. Señor Sternau bin ich, und Condesa Roseta bist du, meine gute Elvira. Verstanden?«

»Gut! Die gnädige Condesa Roseta bin ich!«

Bei diesen Worten richtete sich die dicke Verwalterin möglichst empor und gab sich Mühe, eine gräfliche Haltung anzunehmen.

»Nun gehe ich, Doktor Sternau, auf die Jagd«, fuhr der Verwalter fort, »und komme jetzt wieder zurück, indem ich die Doppelbüchse auf der Schulter habe.«

Bei diesen Worten legte er den Borstenbesen über die Schulter und erklärte weiter:

»Da treffe ich im Park dich, meine liebe Elvira, nämlich unsre gnädige Gräfin Roseta. Ich mache ihr natürlich eine Verbeugung und sie mir auch.«

Bei dieser Erklärung vollführte er eine sehr tiefe und ehrfurchtsvolle Verneigung, und sie versuchte, ihren starken Körper ebenfalls zu einer solchen zu zwingen. Dann fuhr er fort:

»Indem wir uns verneigen, werde ich von fünf Mördern angefallen. Der erste, also der Uhrkasten, kommt auf mich zugesprungen, ich aber reiße mein Gewehr von der Achsel und schieße ihn mit dem einen Lauf tot – puff!«

Bei diesen Worten nahm er den Besen von der Schulter, legte ihn an, zielte und schoß mit dem Munde. Darauf erklärt er weiter:

»Jetzt kommt der zweite, also der Kleiderschrank, mit dem Messer auf mich zu. Ich aber schieße ihn nieder – puff! Nun erscheint der dritte, der Blumentisch. Ich habe keinen Schuß mehr und muß ihn also mit dem Kolben erschlagen.«

Er drehte den Besen um und versetzte dem Tisch einen Hieb.

»Jetzt tritt der vierte vor, nämlich die Astrallampe. Ich habe keinen Schuß mehr, und die Lampe ist mir bereits so nahe, daß ich mit dem Kolben nicht ausholen kann; ich muß ihr also mit der Faust so eins versetzen, daß sie in Ohnmacht fällt. Ungefähr so – –«

Alimpo faßte die Lampe mit der Linken, holte mit der Rechten aus und schlug zu – klirr prasselten die Scherben zur Erde nieder. Der gute Verwalter war durch seine Phantasie verleitet worden, aus dem Gebiet des Figürlichen auf das des Wirklichen überzugehn.

»Aber, lieber Alimpo,« meinte die Verwalterin, »was machst du denn da für Dummheiten?«

»Sei still, meine gute Elvira«, erwiderte er. »Du bist jetzt die gnädige Condesa Roseta, und die hat über diese Lampe gar nichts zu sagen. Ich mußte ja den vierten erschlagen, da er mich mit dem Messer in den Arm gestochen hat.«

»Recht hast du eigentlich,« gab sie zu, »aber schade ist es dennoch um die schöne Lampe. Und weil du sie für unsern lieben Señor Sternau erschlagen hast, so mag es für diesmal hingehn.«

»Ja, Elvira, nur für ihn habe ich sie erschlagen. Und für ihn würde ich noch ganz andre Dinge erschlagen. Ich hatte ja im Park mich bereits mit vier Messern bewaffnet, um die Kerle zu erstechen.«

»Du?« fragte sie erstaunt.

»Ja, ich, dein Alimpo!« bestätigte er stolz.

»Heilige Madonna! Vier Messer! Wen wolltest du denn erstechen?«

»Die entflohnen Mörder, wenn sie zurückgekommen wären.«

»Mein Gott!« rief sie, die Hände zusammenschlagend. »Mensch! Mann! Alimpo! Du bist ja der reine Wüterich! Du dürstest nach Blut! Höre, ich darf dich nicht mehr aus den Augen lassen, denn dein Wesen wird mir zu tapfer und verwegen.«

»Ja, das braucht man auch!« antwortete er, indem er sich mit einer grimmigen Gebärde die beiden Bartflocken strich, die grad unter der Nase über seinen Mund herabhingen; die Spitzen des Schnurrbarts trug er abrasiert. »Geh einmal hinauf in die Rüstkammer, liebe Elvira, und hole mir das Schwert des alten Ritters Arbicault de Rodriganda herunter.«

»Das Schwert? Das große, ungeheure Schwert?« fragte sie erstaunt. »Warum denn?«

»Weil ich heute nacht den Gefangnen zu bewachen habe.«

»Bist du toll?« rief sie. »Den Gefangnen willst du bewachen? An seine Tür willst du dich stellen, mit dem Schwert in der Hand? Wenn er nun ausbricht! Willst du denn gradezu in den Tod gehn? Willst du dich denn mit aller Gewalt für die andern aufopfern, mein guter Alimpo?«

»Nein, das fällt mir nicht ein. Aber hole nur das Schwert herab! Ich werde den Gefangnen unten im Gewölbe mit dem Schwert hier in meiner Stube bewachen. Bricht er aus, so sieht er mich nicht. Und kommt er ja in die Stube, so wird er das Schwert erblicken und entfliehn, wenn er nicht ganz und gar blutdürstig ist. Übrigens werde ich jetzt in Begleitung der Knechte einmal hinabgehn, um nachzusehn, ob die Riegel fest vorgeschoben sind.« –

Um dieselbe Stunde kam Condesa Roseta atemlos vor freudiger Überraschung zum Grafen, bei dem sich Sternau befand.

»Mein Vater, ich habe dir eine frohe Kunde zu bringen«, sagte sie. »Soeben empfing ich einen Brief, den ich dir vorlesen muß.«

»So lies, wenn es Señor Sternau erlaubt!«, sagte er freundlich lächelnd.

»Oh, er erlaubt es. Höre also!« antwortete sie und las folgende Zeilen:

»Meine teure Roseta!

Gleich nach meinem gestrigen Brief muß ich Dir diese Zeilen senden. Vater ist als Konsul nach Mexiko bestimmt. Er muß schleunigst hinüber, und ich begleite ihn natürlich. Vorher aber muß ich Dich noch einmal sehn. Ich komme nach Rodriganda und werde übermorgen da eintreffen. Kannst Du, so hole mich in Pons ab, wo ich eine halbe Stunde ruhn werde! Vermelde dem gnädigen Grafen meine Hochachtung und sei herzlich gegrüßt von Deiner

Amy Dryden.«

»Ist das nicht eine große und angenehme Überraschung, mein Vater?« fragte die Vorleserin.

»Allerdings, mein Kind«, antwortete er. Und sich an den Arzt wendend, sagte er: »Miß Amy Dryden ist nämlich die Tochter von Sir Henry Dryden, Graf von Nothingwell, der längere Jahre in Madrid lebte, wo sich die Damen kennenlernten.«

»Erlaubst du, daß ich morgen früh nach Pons fahre, um sie abzuholen?« fragte Roseta den Grafen.

»Gewiß!« bejahte dieser. »Habe ich recht gehört, so ist morgen Jahrmarkt in Pons. Es wird gut sein, den Verwalter mitzunehmen, mein Kind.«

»Das wird ein sehr mutiger Beschützer sein«, lachte sie.

Gern hätte Sternau seine Begleitung angeboten, doch einesteils hätte das nicht mit dem gesellschaftlichen Verhältnis im Einklang gestanden, und andernteils konnte er seinen Kranken nicht verlassen; darum blieben seine Worte, die ihm bereits auf den Lippen schwebten, unausgesprochen.

*

Kurze Zeit später, als alles sich zur Ruhe begeben hatte, schlichen sich zwei Männer hinab nach dem Gewölbe, in das man den Gefangnen eingesperrt hatte. Es waren der Graf Alfonso und der Notar Cortejo. Vor der Tür des Gewölbes standen zwei Diener, denen die Aufgabe zugefallen war, den Räuber zu bewachen. Unten angekommen, blieb der Notar zurück, während der Graf einen lauten Schritt annahm, so daß die Wächter sein Kommen hörten. Sie saßen mürrisch am Boden und hatten eine Laterne brennen. Als sie ihren jungen Herrn erkannten, erhoben sie sich ehrfurchtsvoll.

»Hier hinter dieser Tür steckt der Kerl?« fragte Alfonso.

»Ja«, antwortete der eine.

»Ich hoffe, daß ihr gute Wache haltet! Laßt ihr ihn entkommen, so dürft ihr auf keine Nachsicht rechnen! Gebt einmal die Laterne her!«

Er tat, als ob er sich seine verlöschte Zigarette anbrennen wolle, griff jedoch absichtlich nicht richtig zu und stieß dem Diener die Laterne aus der Hand, so daß diese zur Erde fiel und ein Glas davon zerbrach.

»Ungeschickter!« zürnte er. »Hebe die Laterne auf, ich werde Licht machen!«

Dabei aber bückte er sich schnell zu Boden und nahm die Laterne unbemerkt zu sich. Während die Diener nun vergeblich umhertasteten und er laut mit ihnen zankte, schlich der Notar herbei, öffnete geräuschlos die Tür des Gewölbes und trat hinein. Graf Alfonso stellte sich so, daß die Diener nichts bemerken konnten, und als er einige Augenblicke später die Hand des Notars auf seiner Schulter fühlte, zum Zeichen, daß ihr Vorhaben gelungen sei, setzte er die Laterne leise auf den Boden nieder und trat zurück.

»Nun, soll ich vielleicht selber mit suchen helfen?« zürnte er.

»Hier ist sie, Don Alfonso«, meinte da der eine der Leute. »Aber das Öl ist verschüttet.«

»So holt andres! Bis dahin brennt der Docht wohl noch.«

Alfonso zog ein Zündholz hervor und steckte das Lämpchen in Brand. Dann öffnete er die Tür des Gewölbes, deren Riegel der Notar leise wieder vorgeschoben hatte, und leuchtete hinein. Das geschah jedoch in der Weise, daß die Diener keinen Blick in das Innere werfen konnten.

»Der Mensch schläft, oder er stellt sich nur so!« sagte er, die Tür wieder verschließend. »Es ist am besten, man stört ihn nicht.«

Mit diesen Worten drehte er sich langsam um und stieg die Treppe empor.

Unterdessen hatte sich der Notar mit dem Gefangnen fortgeschlichen. Sie gelangten unbemerkt aus dem Schloß und schritten leise und wortlos in das Dunkel der Nacht hinein. Endlich, als sie keine Überraschung mehr zu befürchten hatten, blieb der Advokat stehn und sagte mit harter Stimme:

»Du hast deinen Auftrag ausgezeichnet ausgeführt, mein Bursche. Soll ich dir etwa den Preis auszahlen?«

»Verzeihung, Señor!« erwiderte der andre. »Man kann auch einmal unglücklich sein in einem Unternehmen.«

»Aber in keinem so wichtigen. Der Capitano scheint mir lauter Feiglinge geschickt zu haben.«

Da trat der Brigant um einen Schritt näher heran und sagte mit scharfer Stimme:

»Wollt Ihr mich beleidigen, Herr?«

»Pah! Wenn so viele gegen einen stehn und ihn doch nicht niedermachen, so sind sie Feiglinge!«

»Oho, Señor! So schlagt ihn doch selber nieder! Wenn einer mit einem andern den ganzen Tag zusammen lebt, täglich zehnmal Gelegenheit hat, sich seiner zu entledigen, und sich dennoch an andre wendet, so ist er ein Feigling. Merkt Euch das, Señor! Ihr seid weder ein Capitano noch sonst ein Mann, von dem ich ein Wort, das mir nicht paßt, anhören muß. Ihr seid nichts Besseres als ich; wenn ich Euch verrate, so seid Ihr verloren, und darum solltet Ihr vorsichtig sein, statt mich zu beleidigen. Es gibt nicht einen einzigen Feigling unter meinen Kameraden.«

»Warum habt ihr diesen Menschen dann nicht überwältigt?«

»Wer konnte es ahnen, daß er eine solche Stärke besitzt und ein solcher Teufel ist, Señor!«

»Ihr wart ja in der Mehrzahl.«

»Aber wir sollten ihn nur mit dem Messer angreifen, so hattet Ihr uns geboten. Ein guter Schuß war das sicherste, das aber habt Ihr nicht gewollt, und so tragt nur Ihr allein die Schuld an dem Mißlingen des Unternehmens.«

»Ach so!« lachte der Notar. »Du wirst mir wohl gar die Bezahlung abverlangen, grad so, als ob ihr eure Schuldigkeit getan hättet.«

»Allerdings tu ich das! Ihr tragt allein die Schuld, und meine Kameraden sind getötet. Ihr werdet zahlen müssen.«

»Nicht eher als bis dieser deutsche Doktor tot ist!«

»So versucht es selber, ihn zu töten – wenn es Euch gelingt!«

»Dazu seid ihr da!« zürnte der Notar.

»Jetzt nicht mehr, Señor! Wir haben nach Eurer Anweisung gehandelt. Daß diese Anweisung schlecht war und uns die Sache verdarb, dafür können wir nicht. Ich fordere das Geld. Gebt Ihr es nicht, so werdet Ihr noch viel mehr bezahlen müssen, denn der Hauptmann wird dann für unsre Toten eine Entschädigung verlangen.«

»Geht zum Teufel, ihr Schurken!«

»Gut, ich gehorche und gehe!« lachte der Räuber höhnisch und war im nächsten Augenblick im Dunkel der Nacht verschwunden.

Das hatte der Advokat nicht erwartet. Er rief so laut, als es die Vorsicht ihm gestattete, erhielt aber keine Antwort. Dies brachte ihn in die größte Verlegenheit. Wie nun, wenn er von den Briganten verraten wurde? Dann war mit ihm selbst auch sein groß angelegter Plan verloren, an dem er seit so vielen Jahren mit allen Kräften gearbeitet hatte.

Er kehrte mit sorgenvollem Herzen nach dem Schloß zurück, wo er sich zu Bett legte, aber keine Ruhe fand.

Er hatte noch kein Auge geschlossen, als am andern Morgen sich im Schloß ein unruhiges Hinundherlaufen bemerkbar machte. Cortejo vernahm untermischte Ausrufe, die darauf schließen ließen, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen sei, und erhob sich. Das war kaum geschehn, so klopfte es an die Tür seines Schlafzimmers, und der Dienstbote, der ihn zu bedienen hatte, fragte von außen:

»Ruht Ihr noch, Señor Cortejo?«

»Ja«, antwortete er aus Vorsicht.

»So erhebt Euch schnell! Don Manuel verlangt mit Euch zu sprechen. Es ist etwas höchst Unangenehmes geschehn. Der Räuber ist während der Nacht entflohn.«

»Nicht möglich!« rief der Advokat mit künstlichem Staunen in seinem Ton. »Ich werde sogleich kommen.«

Kaum zwei Minuten später verließ er sein Zimmer und begab sich zum Grafen. Er fand bei diesem die Gräfin Roseta, Señora Clarissa und den jungen Grafen Alfonso.

»Señor, habt Ihr bereits gehört, um was es sich handelt?« wurde er von Don Manuel gefragt.

»Ja«, antwortete er. »Aber ich halte die Sache für einen Irrtum.«

»Es ist kein Irrtum; der Brigant ist wirklich entkommen!«

»Das ist nicht möglich! Er wurde ja von zwei Männern scharf bewacht.«

»Dennoch ist er spurlos verschwunden.«

»Hm!« brummte der Notar mit einer Miene des allerhöchsten Erstaunens. »Hat Euch Don Alfonso gesagt, daß er selber sich noch während der Nacht von der Sicherheit des Gefängnisses überzeugt hat?«

»Allerdings. Mein Sohn hat das Gefängnis besichtigt und dabei bemerkt, daß der Gefangne schlafend am Boden lag.«

»So müssen die Diener ihm zur Freiheit verholfen haben. Es ist kein andrer Fall denkbar.«

»Das bezweifle ich. Diese beiden Männer waren so außerordentlich bestürzt, daß ich an ihrer Unschuld gar nicht zweifeln kann.«

»Auch ich bin überzeugt, daß nicht die mindeste Schuld sie trifft«, bemerkte Roseta mit warmem Nachdruck. »Diese Leute sind treu, das kann ich behaupten!«

»Aber, meine gnädige Condesa, wie hat dann der Räuber ohne ihr Wissen oder gar ohne ihre Hilfe das Gefängnis verlassen können?« fragte der Advokat.

»Das wird wohl die Untersuchung ergeben. Der Vater hat Euch rufen lassen, um Euch daran zu beteiligen.«

»So wollen wir hoffen, daß sie nicht erfolglos sei. Ich werde mich sofort an Ort und Stelle begeben.«

Was sich voraussehn ließ, geschah. Die Nachforschung hatte nicht das mindeste Ergebnis.

Auch Sternau wurde durch die im Schloß herrschende Unruhe aus dem Schlaf geweckt. Als er später den Flur betrat, stieß er auf den kleinen Verwalter, dessen Gesicht ein einziger Ausdruck der höchsten Bestürzung war.

»Señor, wißt Ihr es schon,« fragte er hastig, »daß dieser Spitzbube, dieser Mörder, ausgerissen ist?«

»Unmöglich!« rief der Arzt erschrocken.

»Oh, sehr möglich, Señor!« antwortete Alimpo. »Er ist fort, über alle Berge; das sagt meine Elvira auch.«

»Aber wie denn? Wie konnte es ihm gelingen zu entkommen?«

»Das weiß kein Mensch, sogar meine Elvira nicht, Señor. Ich habe ja zwei Knechte an seine Tür gestellt. Auch der gnädige Graf Alfonso ist bei ihm gewesen, um sich von ihrer Wachsamkeit zu überzeugen. Er hat gesehn, daß der Gefangne sich in dem Gefängnis befand. Heute früh aber, als die Knechte öffneten, um dem Menschen Wasser zu geben, war er fort.«

»Das ist ja erstaunlich! Das muß untersucht werden! Ist der Mann entwischt, so ist mit ihm auch die Hoffnung verschwunden, über den gestrigen Mordanfall eine Aufklärung zu erlangen!«

»Leider, Señor! Nun werden die Gerichte kommen, um die Untersuchung zu beginnen, und die Hauptperson, der Mörder, ist fort. Das ist peinlich; das ist sogar beschämend für uns; das sagt meine Elvira auch. Aber ich stehe hier und habe doch zu tun! Ich muß mich sputen, denn der Wagen wird angespannt, und ich habe die gute Condesa Roseta nach Pons zu begleiten.«

Alimpo eilte weiter, denn er hatte jetzt vor allen Dingen eine sehr ehrenvolle Pflicht zu erfüllen: er mußte seine junge Herrin unter seinen starken Schutz nehmen, damit ihr unterwegs kein Leid widerfahre. Das machte ihn stolz; das schwellte die Muskeln seines kleinen Körpers und gab ihm den Mut eines Löwen. Und wenn er auch nicht gerade das Schwert des alten Urahn-Ritters umschnallte, so fühlte er sich doch durchaus als der treueste und tapferste Ritter der schönsten Doña im schönen Spanien.


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