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8. Der falsche Erbe

Im Lauf des Tages verbreitete sich die Nachricht vom Tod des allgemein beliebten Grafen Fernando durch die ganze Stadt. Man erfuhr, daß er die Wunde im Duell erhalten habe, und es wurden von jeder vornehmen Familie Beileidskarten abgegeben.

Bereits am Nachmittag gelang es Cortejo, längere Zeit bei dem Toten zu weilen, und das benutzte er, die Flecken anzubringen. Sie gelangen so gut, daß selbst ein Kenner getäuscht werden konnte, und als des andern Tags der Arzt kam, um die Leiche einer nochmaligen Untersuchung zu unterwerfen, erteilte er beim Anblick der Flecken sofort die Erlaubnis zur Beerdigung.

Aber dieser zweite Tag brachte noch etwas andres.

Am Nachmittag saß Cortejo grade bei der Schreiberei, als er den Hufschlag eines Pferdes hörte, dessen Reiter vor der Pforte anhielt. Er bekümmerte sich nicht darum, sondern überließ dies der Dienerschaft. Bald aber vernahm er rasche, sporenklirrende Schritte vor seiner Tür; diese wurde geöffnet.

Er fuhr vom Schreibtisch empor. »Alfonso! Oh, wie habe ich auf dich gewartet!«

»Und ich, Oheim, habe mich nach Mexiko und euch gesehnt.«

»Weißt du schon, daß der Graf tot ist?«

»Ja«, lachte Alfonso.

»Du lachst! Worüber?«

»Über deine Allwissenheit. Du schriebst, daß Graf Fernando sterben werde; ich komme, steige vom Pferd und – erfahre, daß er tot ist. Das nenne ich pünktlich!«

»Und du fragst nicht, wer der Erbe ist?«

»Nein. Der bin ja ich.«

»Oho!«

Alfonso erbleichte, als er diesen Ausruf hörte. »Oder etwa nicht?«

»Na, habe keine Sorge«, beruhigte ihn sein Oheim. »Du bist der Erbe, aber es fehlte nicht viel, so war es an deiner Stelle der alte Graf Manuel auf Schloß Rodriganda in Spanien, dessen ausgetauschter Sohn du bist.«

»Der Teufel hole ihn! Wie kam das?«

»Du wirst es sofort erfahren. Aber, alle Wetter, wie siehst du denn aus?!«

Der Angekommene ließ einen Blick an seinem zerfetzten Anzug hinabgleiten: »Ja, ich komme gradwegs aus der Wildnis. Doch läßt sich da leicht helfen; ich will nach meinen Zimmern gehn und mich umkleiden.«

Da öffnete sich die Tür, und Josefa trat ein. Als sie den Vetter erblickte, erbleichte sie vor freudigem Schreck. Dann trat eine tiefe Glut in ihre Wangen, und sie rief, die Arme ausbreitend:

»Alfonso! Mein Alfonso! Komm in meine Arme, geliebter Vetter!«

Und da er keine Anstalt machte, ihr in die Arme zu fallen, so flog sie auf ihn zu, drückte ihn an ihre hagere Gestalt und küßte ihn heiß und stürmisch auf den Mund. Er wollte sie von sich abwehren. Da ihm dies aber nicht gelang, so wurde er zornig.

»Laß mich!« gebot er ihr. »Ich verbitte mir solchen Unfug! Wie kannst du mich so laut Vetter nennen! Wenn es jemand hört, so sind wir verraten!«

»Oh, ich bin so unendlich glücklich, dich wieder zu haben!« rief sie.

»Das ist aber noch kein Grund, mir mit deinem einzigen Zahn die Lippen abzubeißen!«

Das half. Ihre Eulenaugen sprühten plötzlich ein zorniges Feuer, und sie sagte, sich stolz von ihm abwendend: »Diese Beleidigung wirst du mir abbitten!«

»Heute nicht!« lachte er.

»Aber morgen!«

»Nie!«

»Warte es ab! Ich lasse mich nicht ungestraft beleidigen.«

»Verschone mich mit deinen Redensarten! Wo sind die Schlüssel zu meiner Wohnung, Cortejo?«

Der Gefragte hatte diesem Empfang mit Spannung zugesehn. Jetzt deutete er mit finsterm Ausdruck auf ein schwarzes Brett, das an der Wand befestigt war und woran an vielen Messinghaken eine Menge von Schlüsseln hingen.

»Dort sind sie!« sagte er mürrisch.

Alfonso blickte ihn überrascht an. »Was hast du?« fragte er.

»Nichts!«

»Nun, so kann der Sekretär sich schon die Mühe machen, seinem Herrn die Schlüssel zu reichen.«

Das Gesicht Cortejos wurde noch düsterer, und er antwortete: »Oder der Neffe kann so rücksichtsvoll sein, seinem Onkel eine solche Handreichung zu erlassen.«

Alfonso lachte. »Spiele nicht Komödie! Ich tauge weder als Mitspieler noch als Zuschauer!«

»Bis jetzt hattest du nur eine kleine Nebenrolle zu spielen; es ist immerhin möglich, daß du gezwungen wirst, von der Bühne abzutreten. Nimm deine Schlüssel, geh auf dein Zimmer und kleide dich um! Dann sendest du den Diener und läßt mich zu dir rufen.«

Das war in einem so festen Ton gesprochen, daß der leichtsinnige junge Mann doch den Mut zu einer Entgegnung nicht hatte. Er gehorchte und ging.

Cortejo aber wandte sich an seine Tochter:

»Josefa, wir haben eine große Dummheit begangen, daß du gestern das zweite Testament verbrannt hast. Dort im Kamin liegt noch die Asche.«

Ihre Augen leuchteten auf, aber dennoch erwiderte sie in bedauerndem Ton:

»Ja. Aber warum war es eine Torheit?«

»Weil wir ihn in der Hand hätten, wenn das Testament noch da wäre.«

»Haben wir ihn nicht auch so in der Hand? Wir wollen es wenigstens versuchen.«

Cortejo setzte seine Arbeit fort, und Josefa ging nach ihrem Zimmer. Dort öffnete sie das verborgne Fach eines Schranks und zog einige Bogen Papier hervor. Es war – das gestrige Testament.

»Oh, wie gut und klug war es,« murmelte sie, »daß ich gestern das keine Taschenspielerstückchen machte und eine Zeitung anstatt des Testaments verbrannte. Er ist nun in meiner Hand und soll mir sicherlich nicht entrinnen.«

Als Alfonso sich umgekleidet hatte, klingelte er dem Diener und befahl ihm, den Sekretär zu rufen.

Dieser kam sofort, nahm ungezwungen auf einem Stuhl Platz und begann die Unterredung:

»Wie ist es dir ergangen, Alfonso? Du siehst wirklich recht abenteuerlich aus!«

»Jammervoll ist es mir ergangen. Ich werde es dir erzählen. Zuvor aber möchte ich erfahren, was hier geschehn ist; das ist die Hauptsache. Rede also, Onkel!«

Cortejo nickte mit dem Kopf. »Meinen Brief hast du erhalten?«

»Ja.«

»Und die beiden Eilboten sind dir auch begegnet?«

»Welche Boten?«

»Ah, also du hast sie nicht getroffen?«

»Nein. Ich war zu Umwegen gezwungen.«

»Ich sandte im Auftrag Don Fernandos zwei reitende Boten an dich ab, um dich holen zu lassen.«

»Gleich zwei? Da muß die Veranlassung sehr wichtig gewesen sein. Wohl die Krankheit des Grafen?«

»Nein, sondern dein Duell. Embarez schrieb dem Grafen und gab drei Tage Zeit, nach welcher Frist er die Angelegenheit in den Blättern veröffentlichen wollte.«

»Der Teufel soll ihn holen! Ich hätte das Gesicht des Grafen sehn mögen.«

»Ich habe es gesehn, es war nicht vergnüglich. Er sandte zunächst die Boten ab, die dich holen sollten, und ging dann zu Embarez, um –«

»Um vielleicht eine Frist für mich zu erbitten?« fiel ihm Alfonso in die Rede.

»Das lag ihm fern«, antwortete Cortejo. »Don Fernando war ein Ehrenmann und hielt auf seinen Namen. Daher ging er zu Embarez, um die Ehrensache für dich auszufechten.«

»Donnerwetter! Ist dies wahr, so ist ja die Angelegenheit beendet?«

»Ganz und gar.«

»So sage ich, daß dieser gute Don Fernando in seinem ganzen Leben keinen bessern Gedanken gehabt hat, als sich an meiner Stelle erstechen zu lassen! Denn ich vermute, daß sein Tod die Folge jenes Duells ist.«

»Dies ist die allgemeine Meinung.«

»Ah, so starb er aus einem andern Grund? Du machst mich neugierig. Dein Brief enthielt bereits eine Andeutung. Woran ist er gestorben?«

Cortejo zog den Brief seines Bruders aus der Tasche, den er bereits Josefa gezeigt hatte, und gab ihn dem Neffen.

»Lies dieses Schreiben!« sagte er.

Alfonso durchflog das Schriftstück und fragte dann gespannt:

»So ist also dieser Brief die Ursache vom Tod Don Fernandos?«

»Nicht von seinem Tod, denn er lebt!«

Alfonso sprang auf. »Er lebt?« rief er. »Bist du nicht gescheit?«

»Ich hoffe, wenigstens ebenso gescheit zu sein wie du!« entgegnete der Sekretär.

»Aber es ist ja eine Dummheit, ihn leben zu lassen.«

»Es wird dafür gesorgt, daß er uns nicht schaden kann. Graf Fernando ist scheintot.«

Alfonso erbleichte. »Scheintot! Donnerwetter. Das muß fürchterlich sein!«

»Er liegt im Starrkrampf.«

»Aber wie hast du das fertiggebracht, Onkel?«

»Ich gab ihm ein Gift, das den Starrkrampf hervorbringt. Diese Wirkung dauert eine Woche, dann lebt er wieder auf.«

»Und was geschieht dann mit ihm?«

»Er wird auf dem Schiff unsres guten Henrico Landola erwachen.«

»Der ihn verschwinden läßt?«

»Ja. Ich werde ihn, eingepackt in einem Korb, nach der Küste schaffen.«

»Das ist schwer. Zwischen hier und dem Meere gibts viel Gesindel.«

»Leider. Ich muß eine Bedeckung haben und darf diese Leute doch nicht einweihn. Dadurch befinde ich mich wirklich in Verlegenheit, woher ich solche Männer nehmen soll.«

Da antwortete Alfonso rasch: »Oh, da kann ich dir helfen.«

»Du?« fragte Cortejo verwundert. »Kennst du zuverlässige Leute, die tapfer, verschwiegen und nicht neugierig sind?«

»Ich kenne welche, die diese Eigenschaften in hohem Grad besitzen. Es sind meine Begleiter von der Hazienda her.«

»Ah, Vaqueros! Die taugen nichts.«

»Nicht Vaqueros, sondern Indianer.«

»Das ginge eher. Sind es christliche?«

»Nein, heidnische.«

»Also Indios bravos! Von welchem Stamm?«

»Es sind Komantschen.«

»Komantschen?« fragte der Sekretär erschrocken. »Du scherzt.«

»Es ist mein Ernst.«

»Aber die Komantschen sind ja fürchterliche Kerle. Sie wohnen gar nicht in Mexiko, sondern an der Grenze und kommen nur herein, um zu morden, zu rauben und zu plündern. Ich habe noch keinen gesehn.«

»Auch mir waren sie bisher unbekannt. Sie sind allerdings hundertmal fürchterlicher als unsre wilden Indianer, aber trotzdem meine Freunde und werden dir treu dienen.«

»Deine Freunde? Sie haben dich nach Mexiko begleitet?«

»Ja. Sie sind in den Bergen vor der Stadt in einem Versteck. Es ist ein ganzer Roman, den ich erlebt habe. Ich sehe schon, daß ich ihn dir erzählen muß.«

Alfonso begann nun seine Erlebnisse auf der Hazienda zu schildern. Er berichtete von den Komantschen, von der Höhle des Königsschatzes, von den Kämpfen, von seiner fürchterlichen Lage am Baum des Alligatorenteichs und von seiner Flucht.

Cortejo hörte mit offnem Mund und starren Gesichtszügen zu, bis Alfonso geendet hatte. Dann rief er:

»Mein Gott, das ist ja kaum zu glauben! Du hast also diese ungeheuren Schätze wirklich gesehn? Und sie sind fort?«

»Fort! Wohin, das weiß nur dieser verdammte Büffelstirn und vielleicht noch seine armseligen Mixtekas.«

»Man muß suchen, nötigenfalls jahrelang suchen!« stieß Cortejo begeistert hervor.

»Das werde ich auch tun, nun ich der Besitzer der Hazienda bin. Ich will mit einer Schwadron Lanzenreiter nach der Hazienda gehn.«

»Du wirst die Schwadron bekommen; dem Grafen de Rodriganda wird man sie nicht abschlagen.«

»Dann nehme ich Rache an dem ganzen Gelichter, darauf kannst du dich verlassen.«

»Also du denkst, daß deine Komantschen mich begleiten werden?«

»Ja, denn wir werden sie heut abend bezahlen. Sie erwarten, daß ich ihnen da ihre Belohnung bringe.«

»Ich reite mit.«

»So sorge für alles, was ich ihnen versprochen habe! Ich werde es dir aufschreiben. Aber, vor allen Dingen, wie steht es hier mit der Erbschaft?«

»Du bist der Universalerbe.«

»Ist das Testament eröffnet?«

»Ja. Ich soll den Präsidenten benachrichtigen. Wenn du da bist, will er kommen und die Sache ordnen.«

»So sende gleich zu ihm!«

»Fast wäre uns das Erbe entgangen. Don Fernando hatte ein zweites Testament gemacht.«

»Hol ihn der Teufel! Wie kam dies?«

Cortejo erzählte es. Als er geendet hatte, sagte Alfonso:

»Diese Amme muß man davonjagen!«

»Das wäre dumm, denn sie würde reden. Man muß sie ganz unschädlich machen. Man stopft ihr den Mund durch Geschenke oder man läßt sie auf irgendeine Weise verschwinden.«

»Ich habe keine Lust, ein solches Weib noch zu beschenken.«

»So tun wir also das zweite. Jetzt aber hast du zunächst eine heilige Pflicht zu erfüllen.«

»Welche wäre das?«

»Da fragt dieser Mensch, welche Pflicht er hat!« lachte Cortejo. »Bedenke doch, daß du der Neffe des verstorbenen Grafen bist! Was sollen die Diener sagen, wenn du dich um den Toten nicht bekümmerst.«

»Du meinst, ich solle mir die Leiche ansehn? Ein wenig weinen?«

»Natürlich!«

»Wohl gar am Sarg beten und große Trauer anlegen?«

»Wie es sich schickt!«

»Gut, ich werde diese saure Arbeit auf mich nehmen. Zuvor aber möchte ich dir eins sagen. Es betrifft Josefa.«

»So sprich!« versetzte Cortejo erwartungsvoll.

»Was hatte dieser überschwengliche Empfang heute zu bedeuten?«

»Überschwenglich? Das habe ich nicht gefunden. Soll sie sich nicht freuen, wenn ihr Vetter zurückkehrt?«

»Das war nicht vetterhaft. Ich glaube, das Mädchen ist verliebt in mich!«

»Ich glaube es auch«, sagte Cortejo kalt.

»Ah! Und du verbietest es ihr nicht?«

»Ich kann es ihr nicht verbieten, weil sich die Liebe aus keinem Verbot etwas macht.«

»Aber du siehst doch ein, daß sie hier nicht am Platz ist?«

»Nein, das sehe ich nicht ein.«

»Nicht? Ah! Du meinst also vielleicht gar, Josefa und ich könnten ein Paar werden?«

»Ich halte es für möglich.«

»Aber ich nicht!« rief Alfonso zornig, »denn sie ist bürgerlich!«

» Du auch!« erklang es scharf.

»Oh, ich bin von heut an Graf Rodriganda.«

»Und sie kann am Hochzeitstag ebenso sagen wie du: ich bin von heut an Gräfin von Rodriganda. Ihr seid euch ebenbürtig. Dein Grafentum ist kein Grund zu einer Abweisung.«

»Aber sie ist älter als ich, auch nicht schön, ja nicht einmal hübsch.«

»So wird sie keine Anfechtung zur Untreue zu erdulden haben. Das ist viel wert, lieber Alfonso.«

»Hol euch der Teufel!« rief Alfonso grimmig.

»Wenn er uns holt, so nimmt er dich auch mit«, entgegnete Cortejo ruhig. »Wir gehören zusammen. Ja, wir alle drei sind vor dem Gesetz verschiedner Verbrechen schuldig, und Verbrechen bindet mehr als Tugend. Du wirst dich nie in deinem Leben von uns lossagen können. Das merke dir!«

»Und wenn ich es dennoch tue?«

»So bist du verloren.«

»Und ihr mit.«

»Ich glaube das nicht. Es kommt sehr auf die Art und Weise an, wie man solche Dinge angreift. Wenn du vernünftig nachdenkst, so wirst du finden, daß wir dir überlegen sind. Was du bist, das bist du durch uns. Du stehst und stürzt mit uns. Übrigens wollen wir diese Auseinandersetzung fallen lassen. Geh ins Trauergemach und versuche, deine Rolle gut zu spielen!«

Das erste Wort in Beziehung auf Josefa war gesprochen. Alfonso war nun vorbereitet. Er wußte, was man von ihm wollte, und es stand bei ihm, sich für oder gegen sie zu entscheiden.

Er spielte am Sarg des Grafen den über alle Maßen Betrübten, und seine Tränen flossen so reichlich, daß die Diener Mitleid mit ihm fühlten. Übrigens wurde er bald gestört, denn es kamen Leute, die sich den Toten ansehn wollten. Es ist in Mexiko Sitte, daß in solchen Fällen jedermann Zutritt hat. Man treibt ein förmliches Schaugepränge mit der Leiche, und so kamen Vornehme und Geringe, um sich die Pracht der Ausstattung anzuschauen.

Cortejo stand nach einiger Zeit eben im Begriff, sich einmal in dieses Gewühl der Neugierigen zu mischen, um irgend etwas im Saal zu besorgen, als ein Mann auf ihn zutrat, bei dessen Anblick er bis ins Innerste erschrak. Es war ein Indianer mit einer scharfen Habichtsnase, auf der eine riesige Hornbrille saß – Basilio, der Giftdoktor.

Auch er sah Cortejo und trat sofort auf ihn zu. »Nun,« sagte er, »habe ich Euch betrogen, Señor?«

Der Sekretär zog ihn sofort in ein leeres Zimmer. »Unglückseliger,« erwiderte er, »was habt Ihr hier zu suchen?«

»Nichts. Ich sehe gern Leichen an«, antwortete der Indianer gelassen.

»Aber wie kommt Ihr hierher?«

»Hm, ich kannte Euch schon längst. Ich ahnte, wer das Gift erhalten sollte, und kam nun, um zu sehn, ob die Gabe gut war.«

»Nun?«

»Sie war richtig.«

»Wann wird er erwachen?«

»In einer Woche etwa. Er hat jedoch schon jetzt sein volles Bewußtsein.«

»Mein Gott, so hört er, was um ihn vorgeht?«

»Ja, er kann sogar mit dem einen Auge, das Ihr nicht ganz zugemacht habt, sehn.«

»Aber das ist ja gefährlich.«

»Das ist Eure Sache, Señor. Ich sehe Euch nicht in die Karte, aber wenn es Euch einmal gut gehn sollte, so vergeßt den armen Basilio nicht!«

Der Indianer sprach diese Worte mit einem Augenwink, der nicht beredter sein konnte, und schlüpfte dann zur Tür hinaus. Cortejo folgte ihm. Draußen ging grade Alfonso vorüber.

»Wer war der Kerl? Was hattest du mit ihm?« fragte er, da niemand zugegen war.

»Alle Wetter, hatte ich jetzt einen Schreck!« erwiderte Cortejo. »Es war Basilio.«

»Basilio? Welcher Basilio?«

Der Sekretär war noch immer fassungslos. Er flüsterte, nachdem er sich umgeblickt hatte:

»Der Giftdoktor.«

»Donnerwetter! Von dem das Mittel war? Hast du ihm denn gesagt, wer du bist?«

»Nein, er hat mich gekannt.«

»Ahnt er, wer das Gift bekommen hat?«

»Er weiß es nun sogar.«

»Das ist schlimm. Ist er verschwiegen?«

»Wer kann auf die Verschwiegenheit solcher Leute rechnen!«

»Er wird sich wie ein Blutegel an dich hängen.«

»Ich werde ihn abschütteln.«

»Abschütteln und zertreten, das ist das beste.«

»Übrigens habe ich etwas von ihm erfahren, was mir große Sorge machen wird. Der Graf ist bei Besinnung.«

»Nicht möglich.«

»Er hört und sieht alles.«

»Das ist schrecklich«, sagte Alfonso. Dann aber flog ein höhnisches Lächeln über sein Gesicht, und er fuhr fort: »So möchte ich wissen, was er gedacht hat, als er mich weinen und jammern hörte!«

Da kam ein Diener herbeigeeilt und meldete, daß der Präsident den Grafen zu sprechen wünsche. Alfonso ließ den Beamten zu sich bescheiden und nahm Cortejo mit. Die Erbschaftsangelegenheit wurde zu seiner größten Zufriedenheit geordnet. Er war nun der Besitzer von Millionen.

Am Abend, als alles zur Ruhe gegangen war und nur die Klagefrauen bei dem Toten wachten, öffnete sich eine Hinterpforte des Palasts, und es wurden drei Pferde herausgeführt. Zwei trugen Reitsättel, und das dritte war mit Waffen und andern Dingen hoch bepackt. Alfonso und Cortejo stiegen auf und verließen auf finstern, unbelebten Straßen die Stadt.

Sie wandten sich nach den nördlich liegenden Bergen und kamen nach einem Ritt, der über eine Stunde währte, in ein enges Tal, in dem ein kleines Feuer brannte, aber niemand zu bemerken war.

Die Indianer hatten sich vorsichtigerweise zurückgezogen, um zu sehn, wer die Nahenden seien. Als sie Alfonso erkannten, kamen sie herbei.

»Mein weißer Bruder hält Wort«, sagte der Anführer.

»Was ich verspreche, das gilt«, entgegnete Alfonso stolz.

»Wer ist der andre weiße Mann?«

»Mein Freund.«

»So mag er die Pfeife des Friedens mit uns rauchen.«

»Ist das nicht zu umgehn? Wir haben keine Zeit.«

»Zur Pfeife des Friedens ist stets Zeit. Wer sie nicht mit uns rauchen will, ist unser Feind. Und was der Mann tut, das muß er mit dem Nachdenken des Geistes tun.«

Es blieb den beiden nichts andres übrig, sie mußten sich in die indianische Sitte fügen.

Man setzte sich also zur Erde, brannte die Pfeife an und ließ sie von Hand zu Hand gehn. Dann erst begann der Anführer:

»Meine Brüder haben uns alles mitgebracht? Gewehre, Messer, Blei und Pulver?«

»Alles, auch Perlen und Schmuck für die Squaws.«

»Und auch genug?«

»So viel, wie wir ausgemacht haben.«

»Wir werden abladen. Haben meine weißen Brüder noch etwas zu sagen?«

»Wollen sich meine roten Brüder, bevor sie zurückkehren, noch mehr Waffen und Schmuck verdienen?«

»Was sollen wir für diese Sachen tun?«

»Den Mann beschützen, mit dem ihr die Pfeife des Friedens geraucht habt.«

»Ist er in Gefahr, daß er des Schutzes seiner roten Freunde bedarf?«

»Nein. Er will von den Bergen hinabreiten bis ans Meer –«

»Wo das große Wasser ist?«

»Ja. Auf dem Weg dorthin gibt es viele böse Menschen, und darum sollen meine Brüder mit ihm gehn, um ihn zu beschützen.«

»Wie viele Tage muß man reiten, um das große Wasser zu sehn, auf dem die Schiffe gehn?«

»Fünf Tage.«

»Wollen meine weißen Brüder jedem von uns noch zwei Messer geben, sowie auch zwei Spiegel, in denen man das Gesicht sehn kann?«

»Ja.«

»Eine hölzerne Pfeife, um Tabak zu rauchen, und dazu einen Pack Tabak, so groß wie der Kopf eines Mannes?«

»Auch das.«

»Dann werden wir den weißen Bruder bis an das Wasser begleiten. Wann reitet er fort?«

»In zwei oder drei Tagen.«

»So sollen wir hier warten? Dann müssen uns die weißen Brüder noch etwas rundes Silber geben, das die Weißen Geld nennen, damit wir nicht zu hungern brauchen, sondern uns in den Häusern der Weißen kaufen können, was wir essen wollen.«

»Auch das sollt ihr haben. Hier sind zehn Pesos.«

»Kann man davon sechs Männern zu essen geben?«

»Ja.«

»So soll alles gelten. Howgh.«

Die Komantschen erhielten das Geld und auch alles, was das Lastpferd herbeigeschleppt hatte. Sie äußerten eine große Freude, und als sie noch einen Pack Zigarren erblickten, der zugegeben worden war, da kannte ihre Freude keine Grenzen.

Nach einem nur noch kurzen Aufenthalt ritten Oheim und Neffe wieder davon, der Stadt entgegen.

Als sie nach Hause kamen und sich zur Ruhe begeben wollten, blickte Cortejo noch einmal in den Saal, in dem die Leiche lag. Dort saß die Amme bei den Klageweibern. Als sie den Sekretär sah, erhob sie sich und kam auf ihn zu.

»Verzeiht, Señor! Es ist nicht die rechte Zeit dazu, aber darf ich dennoch die Frage wagen? Das Testament ist eröffnet worden, und zwar gestern gleich nach dem Tod des Grafen. War es das Testament, das im mittlern Fach des Schreibtisches lag?«

»Es wird es wohl gewesen sein. Der Präsident hat alles übernommen und versiegelt.«

»Ich höre, daß Don Alfonso Haupterbe ist, und daß viele ein Geschenk erhalten haben. Habe auch ich etwas erhalten?«

»Ja. Du bekommst tausend Pesos und freie Pflege bis zu deinem Tod.«

Sie machte ein sehr erstauntes Gesicht. »So stand es im Testament? Oh, dann ist es nicht das richtige.«

»Warum denkst du das?«

»Weil Don Fernando mir etwas andres versprochen und auch im Testament hinzugeschrieben hat. Ich sollte in meine Heimat nach Spanien zurückkehren dürfen und so viel erhalten, daß ich bis zu meinem Tod ohne Sorgen leben kann.«

»Und er hat dies auch zum Testament hinzugeschrieben? Wann?«

»Am Abend vor dem Duell. Er hat ein neues Testament verfaßt und versiegelt und übergab es mir zur Aufbewahrung. Als er von dem Zweikampf zurückkehrte, mußte ich es ihm wieder bringen.«

»Und wohin ist dann das Testament gekommen?«

»In das mittlere Fach des Schreibtisches.«

»So muß ich einmal mit dem Präsidenten sprechen, ob das darin steht, wovon du redest.«

»Ja, sprecht mit ihm, Señor! Nun der gnädige Herr tot ist, mag ich nicht länger hierbleiben.«

»Wenn sich aber das Geschriebene nicht im Testament befindet?«

»So ist ein falsches Testament eröffnet worden.«

»Waren denn zwei da? Woher weißt du das?«

»Don Fernando sagte es, als er das zweite schrieb.«

»Aber weshalb machte er denn ein zweites?«

»Das kann ich nicht sagen; ich müßte dann mit dem Präsidenten sprechen, damit er das richtige sucht.«

»Laß mich zuvor selber mit ihm reden, Marie! Du sollst erfahren, was er gesagt hat.«

Cortejo ging, indem er einen leisen Fluch zwischen den Zähnen murmelte. Dieses Weib konnte ihm noch viel zu schaffen machen. – – –

Am andern Morgen wurde der Graf de Rodriganda y Sevilla beerdigt. Die ganze vornehme Gesellschaft beteiligte sich dabei. Don Fernando wurde auf dem Friedhof in einer Gruft beigesetzt, die er für sich hatte erbauen lassen. Graf Alfonso wurde trotz seiner zur Schau getragenen Betrübnis viel beneidet, und nur die reinen Ehrenmänner hätten nicht mit ihm getauscht.

Nach der Beerdigung herrschte tiefe Ruhe im Hause. Alfonso saß auf dem Diwan und dachte darüber nach, wie er seinen Reichtum nun am besten genießen könne; da wurde die Tür leise geöffnet, und – Josefa trat ein.

Er erhob sich in höchster Überraschung. Ein solches Wagnis schien ihm unbegreiflich. »Du?« fragte er. »Was willst du?«

»Dich sprechen.«

»Konntest du dich nicht anmelden lassen?«

»Läßt du dich anmelden, wenn du zu uns kommst?«

»Das ist ein andrer Fall! Was soll die Dienerschaft sagen, wenn sie sieht, daß du zu mir schleichst!«

»Daß wir verwandt sind«, erwiderte sie höhnisch.

»Du! Bist du toll?«

»Still! Ereifere dich nicht! Noch weiß es niemand, aber es ist sehr leicht möglich, daß sie es erfahren, und zwar von mir.«

»Du beliebst zu scherzen.«

»Ich spreche im Ernst, denn ich bin bei schlechter Laune!«

»Willst du wohl die Güte haben, mir zu sagen, wer oder was dich in diese Laune versetzt hat?«

Josefa blickte den Frager zornig an. »Erstens der Umstand, daß du nicht die Höflichkeit hast, mir einen Sessel anzubieten.«

»Setze dich! Und zweitens?«

»Zweitens hast du mich beleidigt.«

»Beleidigt? Das ist schlimm, leider aber bin ich mir dessen nicht bewußt.«

»Hast du nicht gesagt, ich sei häßlich und alt?«

»Das habe ich allerdings gesagt.«

Alfonso sprach diese Antworten in einem kurzen, beinahe lustigen Ton. Josefa aber wurde immer bleicher vor Grimm, und ihre Eulenaugen bohrten sich drohend in die seinigen, als sie ihn zornig rief:

»Ah, welch eine neue Beleidigung!«

»Willst du mich fordern?« lachte er.

»Nein, denn du wärst so feig, nicht zu kommen. Soll ich dir beweisen, daß ich Mut habe?«

»Ja.«

»Ich werde es tun. Zuvor beschreite ich nochmals den Weg der Bitte: Alfonso, ich will nicht nur deshalb Gräfin von Rodriganda werden, weil du meinem Vater und mir das reiche Erbe verdankst, sondern auch noch aus einem andern Grund: ich liebe dich heiß und innig!«

»Mich?« fragte er, laut lachend. »Das ist lustig. Ich habe übrigens nichts dagegen.«

Als Josefa begriff, daß Alfonso sich über sie lustig machte, zuckten ihre Finger und krallten sich zusammen, als ob sie ihm das Gesicht zerkratzen wolle. Vor Zorn zischend, entgegnete sie:

»Weißt du, daß zur Liebe Gegenliebe gehört? Nun wohl, ich verlange Gegenliebe von dir!«

»Pah, du bist toll!«

»Oh, ich bin sehr bei Sinnen, aber es ist möglich, daß ich noch toll werde!« sagte sie.

»Versuch es doch einmal!«

»Wünsche das ja nicht, denn ich würde dich zerreißen.«

»Hm, die Krallen hättest du in der Tat dazu«, meinte er mit schneidendem Hohn.

»Alfonso!« knirschte sie da auf. »Also du liebst mich nicht?«

»Nein, Bäschen. Du wirst auch nie im Leben einen finden, der sich in dich verlieben möchte.«

Ein jedes seiner Worte war ein spitzer Dolchstoß für sie.

»Warum?« fauchte sie. »Hast du bereits einmal gehört, daß man sich Liebe erzwingen kann? Durch wirkliche Gewalt, wirklichen Zwang?«

»Das träumst du nur.«

»Und doch ist es Wahrheit, das werde ich dir beweisen.«

»Du machst mich neugierig.«

»Wenn du mich nicht zur Gräfin machst, so ist es um deine Grafenkrone geschehn.«

Alfonso erbleichte. Er dachte daran, daß sie eines jeden Verbrechens fähig sei, und antwortete:

»Sei verständig, Josefa! Die Liebe läßt sich nicht geben und nicht nehmen; ich kann ja nichts dafür, daß ich für dich nicht das empfinde, was du für mich fühlst.«

»Du sollst es aber empfinden, ich will es so!« Dabei stampfte sie den Boden mit ihrem Fuß.

»Bitte, beherrsche dich!« sagte er ernst.

»Ich habe mich beherrscht, jahrelang. Ich habe meine Liebe versteckt, tief in der Brust, bis sie mir das ganze Herz zerrissen hat. Ich habe mich beherrscht auch heute und jetzt, wo du mich mit Spott und Hohn zerfleischtest. Und ich beherrsche mich noch einmal, indem ich dich bitte, doch nur den Versuch zu machen, mich zu lieben. Alfonso, ich beschwöre dich, versuche es!«

Josefa trat auf ihn zu, um seine Hand zu erfassen, er aber entzog ihr diese und entgegnete: »Spiele nicht Komödie und geh in dein Zimmer; ich kann dir nicht helfen!«

»Nun wohlan,« sagte sie, »da du mir nicht helfen kannst, so muß ich mir selber helfen. Nicht wahr, mein Vater geht nach Veracruz?«

»Ja; er schafft die Leiche fort.«

»Wann kommt er wieder?«

»Es wird über eine Woche dauern.«

»Gut, so gebe ich dir Zeit bis dahin. Nach der Rückkehr des Vaters werde ich dich fragen. Weisest du mich auch dann noch zurück –«

»Ich werde dich zurückweisen, selbst wenn du mir fünfzig Jahre Bedenkzeit gibst.«

»Nimm dich in acht, Alfonso!« zischte sie drohend. »Du hast mich nun genug beleidigt!«

»So geh doch!«

»Ja, ich gehe! Du weißt, wie lang ich dir Frist gegeben habe. Auf Wiedersehn.«

»Auf Wiedersehn! Und merke dir, daß du dich anmelden zu lassen hast, wenn du wieder mit mir sprechen willst!«

Josefa ging, und Alfonso sank lachend in seinen Diwan. Er hatte nach seiner Meinung eine Art Lustspiel durchlebt und dachte nicht daran, wie leicht dieses zum Trauerspiel werden könne. – –

Am Abend machten sich zwei Männer auf dem hinteren Hof des Palasts zu schaffen. Es waren Graf Alfonso und der Sekretär, die mehrere Pferde aus dem Stall zogen und sattelten.

»Also wie lange wirst du weg bleiben?« fragte der erstere.

»Acht bis neun Tage.«

»In die Stadt Veracruz kommst du nicht?«

»Nicht eher, als bis ich das Paket losgeworden bin. Ich hoffe, daß ich mich auf die sechs Komantschen verlassen kann!«

»Vollständig. Sei nur vorsichtig, daß man dich nicht erwischt!«

Es waren vier Pferde, die durch das hintere Tor den Palast verließen, zwei Reitpferde und zwei Packpferde. Eins der letztern trug Lebensmittel, und auf das andre hatte man einen wohl sechs Fuß langen Korb befestigt.

Der kleine Zug ging nach dem Gottesacker. Dort wurden die Pferde angebunden, während die Männer durch das stets offne Tor nach der Gruft der Rodrigandas schritten. Alfonso schloß diese auf. Sie stiegen hinab und öffneten im Finstern den Sarg. Kein Wort wurde dabei gesprochen. Dann hoben sie den Toten heraus, trugen ihn empor und schlossen Sarg und Gruft wieder fest zu. Hierauf schafften sie die Leiche aus dem Friedhof fort, legten sie mit großer Anstrengung in den Korb, dessen Deckel mit mehreren Schlössern befestigt wurde, und trabten fort.

Es war erst gegen Morgen, als Alfonso durch das hintere Tor zurückkehrte. Er begab sich auf sein Zimmer und suchte nach den Anstrengungen einer durchwachten Nacht die Ruhe auf.

Nach dem Erwachen nahm er ein reichliches Frühstück ein, dann schritt er nach den Gemächern, die der alte Graf bewohnt hatte. Dort begab er sich an die Durchsicht der Papiere, die Graf Fernando hinterlassen hatte. Das erste, das ihm in die Hände fiel, war eine mit amtlichem Siegel versehne Urkunde. Alfonso warf nur einen Blick darauf, dann fuhr er mit einem Fluch in die Höhe. Das Schriftstück hatte folgenden Wortlaut:

»Ich, Graf Fernando de Rodriganda y Sevilla, erkläre hiermit, daß Señor Pedro Arbellez die Hazienda del Erina als Pacht erhalten hat, mit der Bedingung, daß er sofort und vollständig Eigentümer wird, sobald Graf Fernando, sein Gutsherr, stirbt. Eine Zweitschrift dieser Urkunde befindet sich in den Händen des Pächters.«

Dann folgte das Datum, sowie Siegel und Unterschrift des Grafen und der amtlichen Behörde.

»Caramba!« fluchte Alfonso. »Der alte Fuchs Arbellez hat sich zu sichern gewußt! Und ich habe mit der amtlichen Todeserklärung des Alten selber die Waffe gegen ihn aus der Hand gegeben. Verflucht! Mit der Rache wird es also einstweilen nichts werden; ich muß sie auf eine gelegnere Zeit verschieben.«

Noch hatte er das Papier nicht weggelegt, so klopfte es, und die alte Marie Hermoyes trat ein. Alfonso blickte ihr unfreundlich entgegen und fragte sie barsch:

»Was willst du, Marie?«

Die alte Dienerin zupfte verlegen an ihrer Schürze.

»Gnädiger Herr, ich – ich bitte um meine Entlassung aus dem Dienst.«

Der junge Graf schaute sie mißtrauisch an. Was sollte das bedeuten? Wollte sie vielleicht nur deshalb aus dem Dienst gehn, um freie Hand zu bekommen und gegen ihn vorgehn zu können? Aber als er ihr in die ehrlichen alten Augen sah, ließ er seinen Verdacht fallen. Ja, er empfand sogar so etwas wie Befriedigung darüber, daß er die Alte, die immerhin unangenehm zu werden drohte, losbringen solle. Doch heuchelte er Staunen, als er zur Antwort gab:

»Warum? Gefällt es dir nicht mehr bei uns?«

»Gnädiger Herr, ich bin alt und fürchte, daß ich mich nicht mehr in die neuen Verhältnisse gewöhnen könnte.«

»Wohin willst du denn gehn?«

»Zu Pedro Arbellez. Ich weiß, daß er mich gern auf meine alten Tage zu sich nehmen wird.«

Alfonso konnte seine Genugtuung kaum verbergen. Mochte sie immerhin auf die Hazienda gehn! Je weiter sie von der Hauptstadt weg war, desto besser.

»Nun, Marie, wenn du fest entschlossen bist, so will ich dich nicht halten. Ich werde dir ein Ruhegehalt aussetzen, daß du nicht Mangel zu leiden hast. Du sollst mit mir zufrieden sein.«

Alfonso hielt dieses eine Mal wirklich Wort. Ja, er ging sogar in seinem Eifer, sich die Alte möglichst bald vom Hals zu schaffen, noch weiter. Er versorgte sie mit allen für die weite Reise notwendigen Dingen, vor allem mit einem gut gehenden Maultier, und gab einem Diener den Auftrag, sie nach der Hazienda zu begleiten.

Zwei Tage später verließ Marie Hermoyes das Haus, in dem sie so viele Jahre treu gedient hatte. –

Alfonso benützte die Tage bis zum Eintreffen seines Onkels, um sich in seinem Erbe möglichst festzusetzen. Er machte und empfing Besuche und verstand es, durch die Trauer, die er allerorts zeigte, die Teilnahme seiner Bekannten zu erregen. Da erhielt er einen Brief aus Spanien, der seine nächsten Pläne völlig über den Haufen warf und ihnen ein viel höheres Ziel steckte. Und nun zählte er die Tage bis zur Zurückkunft Pablo Cortejos.

Als dieser endlich am achten Tag von seiner Reise wiederkehrte, ließ ihn der Graf sofort zu sich rufen.

»Nun, wie ists gegangen?« fragte er.

»Gut, sehr gut«, lautete die Antwort.

»Ah, da fällt mir ein Stein vom Herzen. Es ist keine Kleinigkeit, einen scheintoten Menschen von hier bis an die Küste zu schaffen. Habt ihr ihn unbemerkt aufs Schiff gebracht?«

»Ja.«

»Und die Indianer? Wo sind sie?«

»Ich habe sie in Veracruz abgelohnt und in ihre Heimat zurückgeschickt. Übrigens, ists wahr, daß du nach Spanien mußt?«

»Allerdings, ich habe aus Spanien vom ›Vater‹ einen Brief erhalten.«

»Ah! Kann ich ihn lesen?«

»Ja. Er ist sehr kurz. Hier, lies!«

Alfonso nahm das Schreiben vom Tisch und reichte es Cortejo hin. Es lautete:

»Mein lieber Alfonso!

Ich ließ Dir bereits durch Señor Cortejo sagen, daß ich Dich hier in Rodriganda mit großer Sehnsucht erwarte. Seitdem stellt sich fast die Hoffnungslosigkeit meiner Augenkrankheit heraus, und ich bitte Dich, daran zu denken, daß ich in Dir als meinem Sohn meine einzige verläßliche, männliche Stütze sehn muß und Dich also sehr bald hier erwarte.

Dein Vater
Manuel, Graf de Rodriganda y Sevilla.«

»Das klingt allerdings sehr dringend«, sagte der Sekretär. »Was gedenkst du zu tun?«

»Ich reise natürlich! Es sind schon alle Vorbereitungen getroffen.«

»Auch ich rate dir dazu. Unsre Angelegenheit läßt sich jeden Augenblick vorteilhafter an. Hier bist du bereits der Erbe, und drüben wirst du nach deiner Ankunft auch die ganze Leitung der Grafschaft in die Hand bekommen. Diese Erblindung Don Manuels ist ein Glück für uns.«

»Ich habe oft schon Sorge getragen, daß er meine Ähnlichkeit mit deinem Bruder erkennen werde«, erwiderte Alfonso. »Nun aber bin ich von dieser Angst befreit.«

»Hm, man müßte freilich Vorkehrungen treffen, daß er nicht wiederhergestellt werden kann.«

»Das werde ich mit allen Kräften tun.«

»Und Rosa, deine ›Schwester‹? Sie wird die Ähnlichkeit bemerken.«

»Pah, diese fürchte ich nicht.«

»So schlage ich vor, daß du sofort abreisest. Deine Angelegenheiten sind bei mir ja gut aufgehoben.« Er warf seinem Neffen einen scharfen, forschenden Blick zu und fuhr fort: »Aber wie stehts mit Josefa? Habt ihr miteinander gesprochen und euch geeinigt?«

»Geeinigt?« fragte Alfonso, indem er tat, als wisse er gar nicht, was Cortejo meinte. »Sind wir entzweit oder uneins gewesen?«

»Hm! Du nimmst doch Abschied von uns, ehe du gehst?«

»Das versteht sich!« antwortete der Gefragte zögernd.

»Gut, so will ich Josefa begrüßen, denn ich habe sie noch gar nicht gesehn, seit ich angekommen bin.«

Cortejo ging und suchte seine Tochter in ihrem Zimmer auf. Sie freute sich seiner glücklichen Rückkehr, schien aber nicht gut bei Laune zu sein.

»Ich sah dich kommen«, sagte sie. »Du warst bei Alfonso? Sprach er von mir?«

»Nur nebenbei. Ihr habt euch in diesen Tagen gemieden?«

»Er mich, nicht aber ich ihn. Weißt du, daß er nach Spanien reisen wird?«

»Ich weiß es. Er will sogleich aufbrechen, sagte aber, daß er sich vorher verabschieden würde.«

»Ich glaube es ihm nicht. Ich werde zu ihm gehn.«

»Wird er sich zwingen lassen?«

»Ja«, sagte sie in einem sehr bestimmten und selbstbewußten Ton.

»Ich zweifle!«

»Laß mich nur machen! Du gehst doch mit?«

»Jawohl.«

»So komm!«

Vater und Tochter gingen nun miteinander nach der Wohnung Alfonsos, den sie mit dem Einpacken beschäftigt fanden. Er machte ein unangenehm überraschtes Gesicht, als er sie erblickte, und schien Lust zu haben, sie fortzuweisen. Josefa aber kam ihm zuvor, indem sie fragte:

»Du wirst verreisen, Alfonso?«

»Allerdings«, war die mürrische Antwort.

Ohne sich um seinen Unwillen zu kümmern, fuhr das Mädchen fort: »Denkst du noch daran, was ich dir sagte, als der Vater nach Veracruz ging?«

»Hm, ich besinne mich wirklich nicht«, heuchelte er.

»So muß ich deinem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Ich sagte dir offen und ehrlich, daß ich dich liebe und daß ich deshalb erwarte, Gräfin de Rodriganda y Sevilla zu werden.«

Da legte sich ein bitterer Hohn über sein Gesicht. »Donnerwetter, ja, jetzt besinne ich mich, daß du dir diesen unsinnigen Spaß erlaubtest. Ich hoffe jedoch, daß er abgetan ist!«

»Abgetan? Das fällt mir gar nicht ein! Ich erklärte dir ja schon, daß ich dir bis zur Rückkehr des Vaters Zeit geben würde, mir meine Frage zu beantworten. Jetzt ist diese Frist verstrichen. Wie steht es?«

»Nun, so sollst du die Antwort hören: ich heirate, wen ich will, dich aber niemals, nie, nie!«

Alfonso hatte erwartet, daß Josefa aufbrausen werde, dies war aber keineswegs der Fall. Sie war sich ihrer Sache so gewiß, daß sie ruhig blieb und ihm nur mit einem scharfen Lächeln antwortete:

»Und dennoch wirst du mich heiraten!«

»Mach dich nicht lächerlich! Ich errate deine Absichten und auch deine Gründe, die du gegen mich loslassen willst. Sie taugen aber nichts.«

»Du irrst; sie sind die besten, die es geben kann.«

Alfonso blickte ihr überlegen in das scharfe Gesicht mit den Eulenaugen. »Du willst mich zwingen, dich zur Gräfin de Rodriganda zu machen, indem du mir drohst, zu verraten, daß ich gar nicht ein Rodriganda bin?«

»Ja«, erwiderte sie gelassen.

»So bitte ich dich abermals, dich nicht lächerlich zu machen! Über diese Waffe lache ich, denn du kehrst sie gegen dich selbst und gegen deinen Vater. Ihr seid ja meine Mitschuldigen.«

»Das müßte erst bewiesen werden. Dir wenigstens dürfte es schwer werden, es zu beweisen. Wie nun, wenn das zweite Testament noch vorhanden wäre?«

Alfonso lächelte höhnisch. »Das ist verbrannt.«

»Nein, es ist noch da«, entgegnete sie, und ihre Miene war bei diesen Worten so ernst, und ihre Stimme klang so siegesgewiß, daß er sich doch unsicher zu fühlen begann.

Auch der Sekretär war überrascht. »Was, du hättest es nicht verbrannt, Josefa?« fragte er.

»Nein.«

»Aber ich habe es doch mit meinen eignen Augen gesehn.«

»Ein Zeitungsblatt hast du brennen sehn«, lachte sie. »Oh, ihr klugen Männer! Vater, du wolltest das Testament vernichten, ohne daran zu denken, welch vortreffliche Waffe es gegen diesen sogenannten Grafen de Rodriganda y Sevilla bildet.«

»Ah, das ist schlau! Das ist allerdings ein Meisterzug!« rief Cortejo.

»Sie lügt!« behauptete Alfonso.

»Ich rede die Wahrheit!« antwortete sie.

»Wo ist es?«

»Hier in meiner Tasche!«

Josefa klopfte mit der Hand triumphierend an die Stelle ihres Kleides, wo sich die Tasche befand. Die Augen Alfonsos leuchteten heimtückisch auf. Er sagte:

»Zeig es her, sonst glaube ich es nicht!«

»Da, sieh es!« rief Josefa und griff nicht nur in eine, sondern in alle beide Taschen. Als Alfonso das Dokument in ihrer linken Hand erblickte, faßte er schnell zu, um es ihr zu entreißen. Aber da sah er den Dolch, den sie mit der Rechten aus der Tasche gezogen hatte und jetzt gegen ihn zückte. Erschrocken fuhr er zurück und rief:

»Donnerwetter, du willst mich stechen?«

»Nein,« lachte sie, »aber du wirst es mir nicht übelnehmen, wenn ich mein Eigentum verteidige.«

»Dein Eigentum?« zürnte er. »Dieses Testament gehört mir!«

»Nein. Es gehört in die Hand des Präsidenten. Und ich schwöre es dir bei allen Heiligen, daß er es bekommt, wenn du dich vor deiner Abreise nicht schriftlich mit mir verlobst.«

»Das ist unverschämt!« erklärte er wütend.

»War es etwa nicht unverschämt, als du mich alt und häßlich nanntest?«

»Du wirst es nicht aufs Äußerste treiben!«

»Das werde ich sicher. Darauf kannst du dich verlassen, und ich hoffe, daß ich die Unterstützung meines Vaters dabei finde.«

»Ganz gewiß«, stimmte dieser bei. »Das Testament ist in unsrer Hand eine Waffe, gegen die du nicht aufkommen kannst. Du wurdest uns als der kleine Graf de Rodriganda herübergeschickt, und ich habe den Teufel gewußt, daß du verwechselt worden bist. Die in meiner Hand befindlichen Briefe werde ich verbrennen, und so will ich sehn, wie du es anfängst, die Waffe auch gegen mich zu kehren!«

»Ihr seid beide schlecht!« rief Alfonso.

»Möglich. Aber ich habe keine Lust, mit einem Undankbaren zu arbeiten. Was wir getan haben, muß belohnt werden. Du erhältst aus meiner Hand die unermeßliche Herrschaft der Rodrigandas in Mexiko. Es versteht sich von selbst, daß wir teil daran nehmen, indem du Josefa heiratest.«

»Den Teufel werde ich tun!«

Da trat Josefa hart an ihn heran. »Ist das dein letzter Entschluß?«

»Ja.«

»Gut!«

Nur dieses eine Wort sagte sie, dann wandte sie sich um und schritt nach der Tür. Er sah es ihr an, daß sie im Begriff stand, einen ernsten Vorsatz auszuführen. Es wurde ihm nun doch angst, und er rief sie zurück:

»Halt, wohin willst du?«

»Zum Präsidenten«, sagte sie, stehnbleibend.

»Bist du denn des Teufels! Bildest du dir wirklich ein, daß du als meine Frau glücklich sein wirst?«

»Ja. Du sollst freie Hand haben in allem, aber Gräfin de Rodriganda will ich sein.«

»Das geht ja nicht! Was wird Graf Manuel sagen, wenn ich mich ohne seinen Willen mit der Tochter des Sekretärs seines Bruders verheirate!«

»Das verlange ich noch gar nicht. Du kannst mit der Hochzeit bis nach seinem Tod warten, aber jetzt gibst du mir eine schriftliche Erklärung, daß ich deine Verlobte bin.«

Alfonso besann sich. »Wirst du mir gegen diese Erklärung das Testament aushändigen?«

»Nein. Das Testament gebe ich dir erst am Tag unsrer Hochzeit. Aber gegen diese Erklärung erhältst du deine Freiheit und kannst reisen, wohin es dir beliebt.«

Alfonso nickte mit verschlagner Miene. »Gut, du sollst die Schrift haben.«

»So wirst du endlich klug, aber denke ja nicht, daß nun alles gut ist und daß du dein Wort nicht zu halten brauchst, wenn du von uns fort bist. Ich würde mich zu rächen wissen, falls du es brichst.«

Alfonso warf den Kopf trotzig zurück und unterschrieb das bereits vorher von ihr abgefaßte Schriftstück. Kurze Zeit später ritt er zur Stadt hinaus auf der Straße, die nach der Küste führt, um sich nach Spanien einzuschiffen.

In dem Augenblick, da sein Schiff den Hafen verließ, kamen zwei Reiter auf schweißtriefenden Rossen dort an. Es waren Bärenherz und Büffelstirn. Sie hatten sich der Erkrankung Donnerpfeils wegen allzulang auf der Hazienda aufgehalten. Als sie dann in Mexiko ankamen und sich nach dem Grafen erkundigten, erfuhren sie, daß er am Tag vorher die Stadt verlassen habe. Sie strengten ihre Tiere aufs äußerste an, um den Mann, der ihrer Rache verfallen war, vielleicht doch noch vor der Küste einholen zu können, kamen aber gerade recht, um das Schiff vor ihren Augen den Hafen verlassen zu sehn.

Ihr Todfeind war ihnen für diesmal entkommen.


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