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10. Gasparino Cortejo

Grad um die Zeit, als die beiden voneinander Abschied nahmen, wurde in einem Zimmer des Schlosses ein seltsames Gespräch geführt. Es wurde von einem der beiden Chirurgen bewohnt, die die Aufgabe hatten, unter Mitwirkung eines Arztes aus Manresa den Grafen von dem Stein zu befreien.

Señor Gasparino Cortejo, der Advokat und Notar, befand sich bei ihm. Er hatte sich soeben erhoben, um sich zu verabschieden, und meinte mit seiner kalten, scharfen Stimme:

»Also Ihr glaubt, daß die Operation tödlich ist?«

»Unbedingt!«

»Werden Eure Kollegen nicht Einspruch erheben?«

»Sie werden nicht wagen, andrer Meinung als ich zu sein. Sie wissen, daß ich zu den Meistern der chirurgischen Wissenschaft gehöre«, war die stolze Antwort.

»Gut. Ihr habt aber den Grafen glauben lassen, daß er gerettet werde?«

»Natürlich.«

»So bleibt es bei unsrer Besprechung. Die Operation findet, ohne daß die Condesa darum weiß, bereits morgen früh acht Uhr statt. Euer fürstliches Honorar erhaltet Ihr in meiner Wohnung zu Manresa. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Die beiden Männer schüttelten sich mit einer Höflichkeit die Hände, als ob jeder den andern für einen vollkommenen Ehrenmann halte, dann schieden sie. Der Advokat suchte aber sein Zimmer nicht auf, sondern ließ sich bei Señora Clarissa melden, die ihm so eilig ins Vorzimmer entgegenkam, daß er erkannte, wie sehnsuchtsvoll er von ihr erwartet worden war. Sie zogen sich ins Wohngemach der Dame zurück, dessen Tür sie verriegelten, um vor einem jeden Lauscher sicher zu sein.

Der Notar trug nicht die spanische Nationaltracht, sondern er war ganz schwarz gekleidet. Die Bewegungen seiner langen, hageren und weit nach vorn gebeugten Gestalt hatten etwas Schleichendes an sich, und die Züge seines scharfen, aus einer hohen, steifen Halsbinde hervorragenden Gesichts zeigten etwas so Raubvogelartiges, daß es schwer hielt, diesen Mann nicht zu fürchten. Der Eindruck seines abstoßenden Gesichts wurde verstärkt durch den unsteten, lauernden Blick seiner Augen.

Señora Clarissa war stark und voll gebaut; die Gesichtszüge der beinah Fünfzigjährigen waren grob und unweiblich, wozu noch der unschöne Umstand kam, daß sie auf dem einen Auge etwas schielte.

»Willkommen, Gasparino«, meinte sie, indem sie sich auf einen Samtdiwan fallen ließ. »Ich habe lange auf dich warten müssen. Wie steht es?«

»Sehr gut«, erwiderte der Notar, indem er an ihrer Seite Platz nahm. »Der Chirurg ist auf meine Vorschläge eingegangen.«

»So können wir die Früchte unsrer langen Entsagung endlich einmal genießen. Wird der Schnitt tödlich sein?«

»Bestimmt.«

»Wir können es nicht ändern«, meinte sie mit einem frommen Augenaufschlag. »Es ist dem Grafen wohl zu gönnen, daß ihn der Herr von seinen Leiden erlöst. Aber wird die Condesa nicht abermals widerstreben?«

»Diesmal nicht, meine Liebe. Sie weiß nicht anders, als daß die Operation erst um elf Uhr vor sich gehn wird, während wir doch bereits um acht Uhr beginnen. Der Graf wird sein Leiden überstanden haben, wenn sie sich noch beim Ankleiden befindet.«

»Und Graf Alfonso?« fragte sie mit einem Zwinkern ihrer schielenden Augen.

»Er ist ganz der Mann dazu, unser Meisterstück zu krönen.«

»Ja, es war ein Meisterstück von uns, ein Meisterstück, von dem die Welt keine Ahnung hat und auch niemals eine haben wird. Wir hatten uns lieb, mein alter Gasparino, aber wir durften uns nur heimlich heiraten, denn ich war die Tochter eines stolzen Hidalgo, und du warst ein armer, brotloser Schlucker. Wir hätten unser Kind beseitigen müssen, wenn du nicht auf den köstlichen Gedanken gekommen wärst, es an Stelle des kleinen Grafen Alfonso zum Bruder des Grafen Manuel nach Mexiko zu schicken. Nun sind wir die Eltern eines Grafen und werden bereits morgen über die Millionen der Familie Rodriganda gebieten. Komm, mach es dir bequem, und laß uns an die schöne Zukunft denken!« –

Sternau hatte nicht schlafen können. Die Begegnung mit dem geliebten Mädchen ließ ihn nicht an Ruhe denken. Zwar kehrte er nach seinem Abschied in seine Wohnung zurück, aber er wanderte während der ganzen Nacht in dem kleinen Stübchen auf und ab. Als er nach Anbruch des Tags bemerkte, daß sein Nachbar bereits munter sei, ging er zu diesem hinüber, um sich sein Maultier satteln zu lassen.

Er bestieg es und unternahm einen Morgenritt, ohne Richtung und Ziel, nur, um seinen Gedanken und Gefühlen Raum geben zu können. Endlich sah er Manresa vor sich und bog in die nach Rodriganda führende Straße ein, die er gestern gekommen war.

Dort stand eine Venta, ein einsames Wirtshäuschen, vor dem ein gesatteltes Pferd angebunden war, ein Zeichen, daß sich schon ein Gast im Innern befinde. Auch Sternau stieg ab. Er hatte seit gestern abend nichts zu sich genommen und wollte versuchen, eine Tasse Kaffee zu erhalten. Als er eintrat, sah er einen nicht sehr fein gekleideten Herrn, vor dem ein chirurgisches Besteck lag, am Tisch sitzen. Es war, ohne daß Sternau es ahnte, der Manresaer Arzt, der bei der Operation des Grafen mitwirken sollte.

Der Wirt, der neben ihm saß, setzte, als er die Bestellung Sternaus entgegengenommen hatte, das durch den letztern unterbrochne Gespräch fort:

»Also dem Grafen gilt Euer Besuch, Señor Doktor?«

»Wie ich bereits sagte«, bestätigte dieser.

»Wird es heut endlich zum Schnitt kommen?«

»Sicher. Schon um acht Uhr.«

»Aber die Condesa wird es wieder nicht zugeben!«

»Sie wird nicht gefragt. Es ist ihr gesagt worden, daß wir die Operation erst um elf Uhr beginnen.«

»Denkt Ihr, daß der arme Graf genesen wird?«

»Ja – und – nein – wer weiß es!«

Jetzt erhielt Sternau seinen Kaffee. Er hatte genug gehört. Schleunigst trank er aus, bezahlte und verließ die Stube, ohne mit einem Wort erkennen zu lassen, wie wichtig für ihn das Gehörte war. In gestrecktem Galopp ritt er heim; eine halbe Stunde vor acht Uhr langte er dort an.

Nachdem er sein Maultier dem Nachbar wieder übergeben hatte, holte er seine Instrumente und eilte nach dem Schloß.

Es trieb ihn zu der Parkpforte, an der er gestern abend von der Geliebten Abschied genommen hatte. Sie war offen, und er trat ein, wandte sich mit raschen Schritten der Richtung nach dem Schloß zu, eilte durch einen langen Laubengang und wollte nun einen kleinen, frei gelassenen Platz betreten, als er plötzlich in höchster Überraschung haltmachte. Vor ihm stand – Roseta, auf einem Morgenspaziergang begriffen. Sie trug weder die beengende Pariser Kleidung, noch irgendeine spanische Nationaltracht; die Gewandung, die ihren schönen Körper umgab, war eine sinnreiche Verschmelzung des duftig Maurischen mit dem gediegenen Nordischen.

Grade verabschiedete sie eine Dienerin von sich, die ihren Befehl mit den Worten »Jawohl, Condesa!« aufnahm und davoneilte. »Condesa?« Eine plötzliche Erkenntnis durchzuckte ihn.

»Roseta!« rief er.

Sie drehte sich nach ihm um. »Señor Carlos! Wie kommt Ihr so früh in den Park?«

»Oh, mein Gott, träume ich? Ich ahne das Entsetzliche. Señorita, Doña, Ihr seid nicht Roseta, die Gesellschafterin, sondern –«

»Sondern? Fahrt fort, Señor! «

»Ihr seid Condesa Roseta.«

»Ja, ich bin es; Ihr habt richtig geraten, Carlos«, erwiderte sie, indem sie ihm die Hände entgegenstreckte. »Könnt Ihr mir vergeben?«

»Vergeben? Oh, mein Gott, wie traurig ist das! Ja, nun weiß ich, weshalb wir scheiden müssen. Warum habt Ihr mir das getan, warum, Doña Roseta?«

Sie senkte die Lider und gestand mit zitternder Stimme: »Weil ich Euch liebte und einige Augenblicke glücklich sein wollte. Das ist nun aus, und um so härter ist die Strafe. Mein Vater – aber ich sehe Euer Besteck, und Ihr kommt so früh«, unterbrach sie sich erschrocken. »Hat dies einen Grund?«

»Einen Grund?« fragte er, immer noch wie halb im Traum. »Ach ja, ich vergesse fast das so furchtbar Wichtige. Gräfin, Euer Vater befindet sich in höchster Gefahr!«

Über ihr schönes Antlitz zuckte ein tiefer Schreck.

»Mein Vater?« hauchte sie erbleichend. »Inwiefern?«

Er zog die Uhr, warf einen Blick darauf und erwiderte:

»Mein Gott, die Zeit ist bereits da! Señorita, man wird sogleich die Operation beginnen!«

»Jetzt? Die wird ja erst um elf Uhr stattfinden!«

»Nein, man hat Euch getäuscht. Es ist ohne Euer Wissen bestimmt worden, daß der Schnitt um acht Uhr vorgenommen wird. Ich traf auf meinem Morgenritt den Arzt aus Manresa, von dem ich es erlauschte, ohne mich zu erkennen zu geben.«

»Heilige Madonna! Man verfolgt böse Absichten, sonst würde man mich nicht zu hintergehn suchen. Kommt, Señor, kommt schnell; wir müssen diese Tat verhüten!«

Sie wandte sich und eilte in höchster Aufregung dem Schloß zu; er folgte ihr.

Als sie den Eingang erreichten, war man grade beschäftigt, ein Pferd in den Stall zu ziehn. Sternau erkannte es als dasjenige des Arztes aus Manresa, der sich sehr gesputet haben mußte, um so schnell in Rodriganda sein zu können.

»Eilt, Señorita!« mahnte der Deutsche. »Die Operateure sind bereits versammelt; wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Vorwärts! Schnell, schnell!« rief die Gräfin, indem sie die Freitreppe emporstieg und dann in einen mit kostbaren Teppichen belegten Flur einbog, wo vor einer Tür ein Diener stand.

»Ist der Graf erwacht?« fragte sie diesen.

»Ja, gnädige Condesa«, lautete die Antwort.

»Ist er allein?«

»Nein. Die Ärzte sind bei ihm.«

»Wie lange schon?«

»Zehn Minuten.«

»Ah, so kommen wir vielleicht noch nicht zu spät! Hinein, Señor!«

Sie wollte eintreten, doch der Diener schritt ihr entgegen und erklärte in einem zwar sehr höflichen, aber doch entschiednen Ton:

»Verzeihung, Condesa; ich habe den strengen Befehl, jedermann bis auf weiteres den Zutritt zu verweigern.«

»Auch mir?«

»Besonders Euch.«

Ihr Antlitz nahm einen zornigen Ausdruck an. Sie warf den Kopf mit stolzer Bewegung zurück und fragte:

»Wer hat Euch diesen Befehl erteilt?«

»Graf Alfonso, der auch zugegen ist.«

»Ah, also dieser! Macht Platz!«

»Ich darf nicht! Verzeihung, Condesa; ich kann nicht anders, denn –«

Der Diener konnte nicht weitersprechen, denn Sternau faßte ihn beim Arm, schob ihn wortlos, aber mit unwiderstehlicher Gewalt beiseite und öffnete die Tür.

Diese führte ins Vorzimmer des Grafen, in das sie eintraten. Der Diener folgte ihnen, wagte aber kein weiteres Wort des Widerspruchs. Von hier aus ging eine Tür nach dem Empfangszimmer des Schloßherrn. Gräfin Roseta fand sie verschlossen und klopfte infolgedessen an.

»Wer ist draußen?« fragte nach Wiederholung des Klopfens endlich eine Stimme, die sie als diejenige des Bruders erkannte.

»Ich selbst«, antwortete sie. »Öffne schnell!«

»Du, Roseta?« klang es mißmutig und überrascht zurück. »Wer hat dich eingelassen? War der Diener nicht auf seinem Posten?«

»Doch. Öffne schnell, Alfonso!«

»Ich bitte dich, nach deinem Zimmer zurückzugehn. Die Ärzte haben die Gegenwart andrer streng verboten!«

»Die meinige lasse ich mir nicht verbieten, wenigstens jetzt nicht. Es ist noch lange nicht elf Uhr!«

»Papa hat befohlen, daß die Operation bereits jetzt vorgenommen werde, und eine solche ist nicht für Damenaugen.«

»Ich muß noch vorher mit ihm sprechen.«

»Es geht nicht. Man beginnt bereits –«

Diese letzten Worte hatten nicht mehr den rücksichtsvollen Klang wie die vorhergehenden. Sie hatten einen scharfen, ungeduldig-abweisenden Ton, als meine der Bruder, die Angelegenheit hiermit beendet zu haben. Dies empörte die Gräfin nur noch mehr.

»Alfonso,« rief sie streng, »ich verlange Zutritt, und den darfst du mir nicht verwehren. Ich habe das Recht und die Pflicht, vorher den Vater zu sprechen!«

»Er wünscht es nicht. Übrigens habe ich jetzt keine weitere Zeit zu einer Unterhaltung bei verschlossener Tür. Geh fort, denn dein Klopfen ist nutzlos!«

»So öffne ich selbst!«

»Versuch es!«

Diese beiden Worte wurden mit einem häßlichen Lachen gesprochen; dann hörte man, daß der Sprecher sich entfernte.

»Mein Gott, was soll ich tun?« fragte Roseta ihren Begleiter.

Dieser lächelte überlegen, zögerte aber zu antworten, da er auf etwas zu horchen schien, was jetzt in den verschlossenen Räumen vor sich ging.

»Gnädige Condesa,« meinte der Diener, indem er in demütiger Haltung näher trat, »ich bin überzeugt, daß man nicht öffnen wird. Habt die Gnade, dieses Vorzimmer zu verlassen –«

»Schweigt!« unterbrach sie ihn mit einer gebieterischen Handbewegung.

Sie hätte dieser Zurechtweisung des Lakaien vielleicht noch einige erregte Worte hinzugefügt, aber Sternau winkte ihr, das Ohr an die Tür zu halten. Sie tat es und hörte, wie aus der Ferne, die Stimme ihres Vaters in regelmäßigen Zwischenräumen zählen:

»Fünf – sechs – sieben – acht – neun – zehn – elf –«

»Was ist das?« fragte sie, noch mehr als vorhin erbleichend.

»Der Graf wird chloroformiert«, entgegnete Sternau. »Sein Zählen soll das Fortschreiten der Betäubung anzeigen.«

»So wird man wirklich schneiden?«

»Allerdings.«

»Das darf nicht geschehn, das darf nicht geschehn!« rief sie in höchster Angst. »Señor, helft mir!«

»Gebt Ihr mir Erlaubnis zur Gewalt?«

»Ja – aber handelt sofort!«

Da schritt Sternau zu der Tür und erhob den Fuß, ein lautes Krachen erscholl, und der Eingang war frei. Der starke Mann hatte die feste, hohe Tür mit einem einzigen Fußtritt aus dem Schloß getreten. Jetzt stand er mit der Gräfin im Empfangszimmer des Grafen. Dieses war leer, aber weiterhin ertönten laute Stimmen, und der nebenanliegende Raum wurde geöffnet. Graf Alfonso und einer der Ärzte traten ein.

»Was ist das?« rief der erstere. »Ich glaube gar, du wagst es, Gewalt anzuwenden!«

Er übersah es in seiner zornigen Überraschung, daß Roseta nicht allein vor ihm stand. Seine Augen blitzten drohend, und die Zornesadern seiner Stirn waren angeschwollen.

»Wagen?« fragte die Gräfin, indem sich ihr schönes Angesicht wieder vor Entrüstung über den unhöflichen Empfang ihres Bruders rötete. »Ich glaube, eine Gräfin de Rodriganda y Sevilla hat zu jeder Zeit das Recht, sich den Zutritt in die Zimmer ihres Vaters zu verschaffen. Nicht auf meiner Seite liegt das Wagnis, sondern grade ich selbst bin es, die Rechenschaft darüber verlangt daß man es wagt, ohne mein Wissen eine lebensgefährliche Operation am Vater vorzunehmen.«

»Wir haben es so beschlossen, und dabei bleibt es. Entferne dich!«

»Nicht eher, als bis ich den Vater gesehn und gesprochen habe. Wo ist er?«

»Im Nebenzimmer. Dein unvorsichtiges Auftreten kann ihn das Leben kosten. Eine jede Aufregung, selbst die allergeringste, wird von unausbleiblichen Folgen für ihn sein. Ah, wer ist dieser Mensch hier?«

»Es ist Señor Sternau, ein Arzt, den ich von Paris zu mir gebeten habe, um sein Gutachten über die Krankheit des Vaters zu vernehmen. Ich erwarte, daß seine Anwesenheit auch dir willkommen sein wird!«

Der mit eingetretene Arzt zog die Stirn in halb mißmutige und halb verächtliche Falten. Der Graf aber brauste auf:

»Aus Paris? Wer hat dir das erlaubt? Dies ist eine Eigenmächtigkeit sondergleichen! Ich hoffe, meinen Willen beachtet zu sehn! Du hast dich augenblicklich zurückzuziehn und diesen Menschen zu entlassen!«

Bei dieser beleidigenden Rücksichtslosigkeit nahm das Angesicht der Gräfin eine tiefe Blässe an, und sie mußte sich einige Augenblicke der Sammlung gönnen, ehe sie antworten konnte. Dann aber schien ihre Gestalt zu wachsen; sie streckte ihren Arm gebieterisch aus, und ihre Stimme klang hoheitsvoll, als sie entgegnete:

»Vergiß nicht, mit wem du sprichst! Hier hat nur der Graf de Rodriganda zu gebieten, und wenn er daran verhindert sein sollte, so besitze ich ganz dasselbe Recht wie du, an seiner Stelle zu befehlen. Die Operation wird nicht stattfinden, bevor dieser Señor den Kranken genau untersucht hat; ich will es so und werde diesem Willen Nachdruck zu verschaffen wissen!«

Die Züge des jungen Grafen wurden schärfer; seine Stirnadern schwollen noch mehr, und seine Stimme erhielt einen heiseren Klang, als er, die Hand drohend erhoben, hart an die Schwester herantrat und ihr antwortete:

»Du, du willst hier befehlen? Du, ein Mädchen? Pah! Die Operation findet statt, und dich werde ich durch die Dienerschaft entfernen lassen, wenn du nicht freiwillig gehst. Ich bin gewohnt, nur das zu tun, was mir beliebt, das merke dir!«

Dann wandte er sich an Sternau und fuhr diesen an:

»Fort, sage ich! Oder soll ich Euch aus dem Schloß hetzen lassen?«

Sternau lächelte überlegen.

»Ich bin auf den Ruf der Gräfin de Rodriganda hier erschienen,« erwiderte er gelassen, »um den Grafen, Euren Herrn Vater, zu sehn. Das werde ich tun, trotz allen Widerspruchs! Condesa, ich bitte, mich diesem Herrn vorzustellen, der jedenfalls ein Kollege von mir ist.«

Er deutete dabei mit einer verbindlichen Gebärde auf den spanischen Arzt, der sich während des heftiger werdenden Wortwechsels vorsichtig in eine Fensternische zurückgezogen hatte. Roseta nickte zustimmend mit dem Kopf und folgte seinem Wunsch mit den Worten:

»Señor Doktor Carlos Sternau, Oberarzt in der Klinik des Professors Letourbier in Paris – Doktor Francas aus Madrid – ah, da treten auch die andern Herrn herbei: Doktor Milanos aus Cordoba und Doktor Cielli aus Manresa.«

Wirklich traten jetzt die beiden andern Ärzte langsam aus dem Nebenzimmer, herbeigerufen durch den überlauten Wortwechsel und die so ungewöhnliche Störung ihrer Vorbereitungen. Sie verbeugten sich mit großer Kälte vor dem Deutschen, und der zuerst anwesende Arzt, Doktor Francas aus Madrid, wechselte sogar die Farbe. Er war wohl der Begabteste und Unterrichtetste der drei und kannte jedenfalls den Namen des Professors Letourbier in Paris zu gut, um nicht zu wissen, daß er jetzt ganz unerwartet einen Fachmann vor sich habe. Er sah augenscheinlich ein, daß hierin eine ebenso große Gefahr für sie selbst, wie für ihr finsteres Unternehmen liege, der man nur durch die strenge und stolzeste Abwehr des Fremden begegnen konnte. Darum erklärte er mit seiner harten, schnarrenden Stimme:

»Dieser Señor ist mir unbekannt. Unsre Vorbereitungen sind bereits beendet, wir bedürfen keiner andern Beihilfe. Wir sind von unserm hohen Patienten beauftragt worden, die Operation an ihm vorzunehmen, und wenn ich zu ihr nicht sofort und ohne weitere unberufene Einmischung schreiten kann, so stehe ich für nichts.«

»Hörst du?« sagte Graf Alfonso zu seiner Schwester. »Entferne dich augenblicklich und befreie uns zugleich vom Anblick eines Menschen, dem ich nicht erlauben werde, auch nur eine Minute länger auf Rodriganda zu verweilen!«

Sie wollte antworten, aber Sternau winkte ihr, zu schweigen.

»Bitte, verehrteste Condesa,« sagte er, »gestattet mir das Wort! Es ist meine Gegenwart, um die es sich handelt. Deshalb will ich auch derjenige sein, der die Antwort gibt. Ich bin Arzt und zugleich Euer Gast, Condesa, und darum würde es von seiten Eures Herrn Bruders die einfachste Höflichkeit und Rücksicht, von seiten der andern Herren aber die gewöhnlichste Kollegialität gebieten, Euren Wünschen Folge zu leisten. Man tut das aber nicht. So stehe ich also hier nicht als ein höflich Bittender, sondern als der Beauftragte und ärztlich Bevollmächtigte der Gräfin Roseta de Rodriganda y Sevilla und erkläre folgendes: Da man eine so hochgefährliche Operation unter so verdächtigen Umständen vorzunehmen beabsichtigt, so habe ich triftigen Grund, zu glauben, daß man damit eine Absicht verfolgt, die das Licht des Tages und das Auge ehrlicher Zeugen zu scheuen hat. Darum erhebe ich Einspruch dagegen. Ich erkläre einen jeden, der den Schnitt unternehmen sollte, eh ich den Patienten gesehn und gesprochen habe, für einen leichtsinnigen oder gar vorbedachten Mörder. Falls man drauf besteht, mich mit Gewalt zu entfernen, werde ich sofort polizeiliche Unterstützung herbeirufen, die den Wünschen der Gräfin sicher den nötigen Nachdruck geben wird.«

Mit hocherhobenem Haupt stand Sternau vor den Ärzten und mit einem solchen machtvollen Blick in seinen Augen, als sei er nicht ein unbekannter Fremder, sondern der Besitzer des Schlosses.

Doktor Francas entfärbte sich zum zweitenmal, und zwar noch tiefer als bisher, und seine beiden Kollegen senkten ihren Blick unter verlegenem Erröten zur Erde nieder. Alfonso wollte zwar aufbrausen, kam aber nicht dazu, etwas zu erwidern. Denn in diesem Augenblick öffnete sich die Stubentür und es erschien eine Gestalt, die geeignet war, der Lage einen andern Stempel aufzudrücken und Achtung und Mitleid zu erregen.

Der Eintretende war blind. Das sah man auf den ersten Blick. Aber seine lichtlosen Augen schienen dennoch das Vermögen zu besitzen, die Umgebung zu beherrschen. Seine hohe, jetzt durch Leiden abgemagerte Gestalt war in ein weißes Tuch gehüllt, das wie ein Grabgewand von den Schultern bis auf den Boden herniederwallte. Sein edel gezeichnetes Angesicht war totenbleich, und seine an den Schläfen ergrauten Haare hingen wie gefesselte Schlangen in dichten Strähnen bis in den Nacken hernieder.

Es war, als sei ein Geist aus der Gruft gestiegen, um den ruhestörenden Streit der Sterblichen zu bannen.

Dieser Mann war der Graf Manuel de Rodriganda y Sevilla. Die Chloroformierung war noch nicht vollendet gewesen.

Er hatte das Bewußtsein wiedererlangt und den Streit vernommen. Darum war er, sich fest in das Tuch hüllend, vom Operationstisch herabgeglitten und hier eingetreten.

»Was gibt es da? Wer redet hier? Warum beginnt man nicht mit dem Werk?« fragte er, indem er seine toten Augen im Halbkreis herumgehn ließ.

Roseta eilte auf ihn zu und schlang in überströmender Zärtlichkeit die Arme um ihn.

»Mein Vater, mein lieber Vater!« rief sie. »Der heiligen Jungfrau sei Dank, daß man noch nicht begonnen hat! Nun darf man dich nicht töten.«

»Töten? Wer wollte es denn tun, mein Kind?«

»Oh, du wärst gestorben, ich weiß es, ich ahne es, ich fühle es.«

»Die kindliche Liebe und die Angst sprechen aus dir, meine liebe Tochter. Du hättest uns nicht stören sollen!«

»Recht so, Vater!« fiel hier der junge Graf ein. »Sie hat uns unterbrochen, und zwar in unglaublich auffälliger Weise! Ich will dir nur sagen, daß sie sogar die Tür hat einbrechen lassen! Sag selbst, ob dies einer Gräfin Rodriganda würdig ist.«

»Hast du dies wirklich getan, mein liebes Kind?« fragte der Graf mit einem milden, ungläubigen Lächeln.

»Ja, ich habe es allerdings getan, Papa«, entgegnete sie. »Dein Zustand erfordert die allerhöchste Vorsicht, und dein Leben ist mir viel zu kostbar, als daß ich diese Vorsicht verabsäumen sollte. Du darfst nur von solchen Männern behandelt werden, zu denen ich Vertrauen habe. Ich bemerkte aber, daß man sich übereilt und dein Leben nicht mit der nötigen Sorgfalt behandelt. Voll Angst und Sorge schrieb ich nach Paris und erbat mir von Professor Letourbier einen Operateur, dem ich dich anvertrauen kann, und nun dieser heute gekommen ist, wollte man ihn nicht zu dir lassen. Wirst du dich nun noch wundern, daß ich den Eintritt erzwungen habe?«

Er neigte lächelnd das müde Haupt und sagte:

»Meine Ärzte besitzen mein vollständiges Vertrauen, und wenn man dir die Stunde der Operation verheimlichte, so geschah dies nur, um dir und mir jede schädliche Aufregung zu ersparen. Wo befindet sich der Pariser Arzt?«

»Er steht hier. Es ist Doktor Carlos Sternau aus Magunzia Mainz in Deutschland.«

»Hier, in diesem Zimmer?«

»Ja«, antwortete Sternau jetzt selber. »Ich bitte um Verzeihung, Herr Graf, daß ich dem Ruf Eures Kindes Folge leistete. Wenn es sich um das Leben eines Menschen, eines Vaters handelt, so kann nie genug geschehn.«

Diese Worte wurden mit einer festen Stimme gesprochen, deren Ton den Blinden wohltuend zu berühren schien.

»Habt Ihr bereits einmal einer ähnlichen Operation beigewohnt, Señor?« fragte er.

»Ja.«

Dies war ein einfaches Wort, aber der Graf erhob den Kopf und sagte:

»Señor, Ihr habt einen vielsagenden Ton. Ihr spracht da nur eine Silbe, aber ich höre aus ihr, daß Ihr bereits vielen solchen Operationen beigewohnt und diese sogar vielleicht geleitet habt.«

»Erlaucht haben recht gehört. Ich bin Oberarzt beim Professor Letourbier.«

»Ah, da mußte man Vertrauen zu Euch haben und durfte Euch nicht zurückweisen! Ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid, Señor! Wollt Ihr meinen Zustand einer Prüfung unterwerfen?«

»Ich wünsche sehr, es tun zu dürfen, Erlaucht.«

»So tretet mit mir ein! Die Herren Ärzte werden uns begleiten, die andern aber ersuche ich, zurückzubleiben.«

»Halt!« rief da Alfonso, »Vater, ich teile dir mit, daß ich diesem Mann die Tür gewiesen habe. Willst du meinen Befehl rückgängig machen?«

»Mein Sohn, du hast diesen Señor beleidigt, und ich bin ihm Genugtuung schuldig.«

Mit diesen Worten kehrte er in das andre Zimmer zurück. Sternau folgte ihm nebst den drei Ärzten.

Alfonso, der zurückbleiben mußte, raunte währenddessen mit knirschenden Zähnen seiner Schwester zu:

»Das werde ich dir nicht vergessen!«

Dann trat er an ein Fenster; Roseta aber nahm in einem der Sessel Platz, ohne den Bruder weiter eines Blicks zu würdigen.

Das Zimmer, in das sich der Graf begeben hatte, zeigte alle Vorbereitungen, die zur Operation nötig gewesen waren. Über eine lange Tafel war eine Matratze gebreitet, die dem Grafen hatte als Lager dienen sollen; daneben lagen allerlei Instrumente, und auf dem Boden standen Gefäße, um die Folgen des Schnitts aufzunehmen.

Der Graf wandte sich an Sternau:

»Señor, seit mir das Licht meiner Augen geraubt wurde, pflege ich den Menschen nach dem Ton seiner Stimme zu beurteilen. Die Eurige erweckt mein Vertrauen. Bitte, untersucht mich!«

Der deutsche Arzt hatte schon viele Patienten behandelt, nie aber mit den Empfindungen, die ihn jetzt beseelten, vor einem Kranken gestanden. Dieser Mann war der Vater der von ihm so heiß und hoffnungslos Geliebten; unwillkürlich drängten sich seine Gefühle in einem lauten und tiefem Atemzug nach oben. Der Graf vernahm ihn und fragte:

»Hegt Ihr Sorge, Señor?«

»Nein, Erlaucht«, klang die Antwort. »Was Ihr hörtet, war nicht ein Seufzer der Schwäche, sondern ein Gebet zu Gott, daß er es mir gelingen lassen möge, die Erwartungen der Condesa Roseta zu erfüllen.«

Da streckte ihm der Graf beide Hände entgegen und sagte:

»Señor, ich danke Euch. Diese Eure Worte sind ganz danach angetan, mein Vertrauen zu Euch noch zu erhöhen. Wer trotz seiner Geschicklichkeit noch auf den Beistand Gottes rechnet, der wird leisten, was dem menschlichen Können nur irgend möglich ist. Beginnt!«

Sternau erkundigte sich nun mit vielen und eingehenden Fragen nach allem, was das Übel betraf. Hierauf mußte sich der Graf auf der Tafel ausstrecken, um sorgfältig untersucht zu werden. Die Gewandtheit, mit der dies geschah, ließ die drei spanischen Ärzte zur Erkenntnis kommen, daß sie es hier mit einem ihnen überlegenen Geist zu tun hatten.

Endlich durfte sich der Kranke wieder erheben; er fragte den Deutschen nach dem Ergebnis der Untersuchung, aber statt die erwartete Antwort zu geben, sagte dieser:

»Erlaucht, Ihr seid blind. Darf ich mir auch hierüber eine Erkundigung gestatten?«

»Fragt getrost, Señor!«

Auch hier war eine Menge von Fragen zu beantworten. Dann brachte Sternau verschiedene Instrumente hervor, mit denen er die Augen beleuchtete und untersuchte. Endlich war er auch damit fertig und wandte sich an seine Kollegen:

»Señores, Doktor Francas aus Madrid hat vorhin erklärt, daß er keine fremde Einmischung dulden werde; ich muß also auf eine verschwiegne und kollegiale Beratung Verzicht leisten und sehe mich gezwungen, meine Überzeugung mit aller Aufrichtigkeit auszusprechen, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen. Erlaucht, auf welche Weise sollte von Euch der Stein entfernt werden?«

»Durch einen operativen Eingriff in das Mittelfleisch«, antwortete der Gefragte.

Sternau erschrak.

»Das ist nicht möglich, Erlaucht«, rief er. »Entweder hat man Euch zu täuschen versucht, oder Ihr habt falsch gehört! Aber zu einer Täuschung kann ich allerdings keine Veranlassung erkennen.«

»Es ist so, wie ich sagte«, erklärte der Graf. »Fragt diese Señores!«

Sternau warf einen Blick auf die Ärzte, von denen nur Francas sich zu einer Erwiderung verstand und trotzig erklärte:

»Wir halten die Rettung allerdings nur auf diese Weise für möglich.«

»Aber Señores,« meinte Sternau erregt, »habt Ihr den Stein gefühlt? Kennt Ihr seine Größe und Lage? Mein Gott, ich begreife das nicht! Hier ist ein jeder Schnitt lebensgefährlich, ein Eingriff, wie Ihr ihn beabsichtigt, aber tödlich! Meine Herren, ich erkläre einen jeden Arzt, der auf diese Weise zum Messer greift, für einen Menschen, der mit aller Kaltblütigkeit einen Mord begeht!«

»Señor!« drohte da der Madrider Operateur.

»Señor!« rief jedoch Sternau ihm mit blitzenden Augen zu. »Graf Rodriganda ist kein Arzt; er konnte nicht wissen, was mit ihm vorgenommen werden sollte. Aber ein jeder Anfänger mußte hier wissen, daß der Kranke die Operation unmöglich überleben konnte. Wenn ich Euch anzeige und den Fall untersuchen lasse, werdet Ihr wegen Mordversuchs zur Verantwortung gezogen.«

Trotz dieser Drohung gelang es Francas, sich zu beherrschen.

»Ah,« schnarrte er voller Hohn, »Ihr, ein Fremder, wollt uns drohn? Lächerlich! Dieser Mann spielt Theater, um vielleicht Leibarzt des Grafen zu werden; aber Seine Hoheit kennen uns. Unsre Namen sind rein von allem Makel und in der Wissenschaft hoch geachtet. Hören wir doch einmal, wie der Schwärmer den Stein entfernen will!«

»Das sollt Ihr hören!« entgegnete Sternau gelassen. »Er ist nur durch Lithotripsie zu entfernen, und zwar völlig gefahrlos.«

»Lithotripsie?« fragte der Arzt aus Manresa. »Was ist das? Was soll das sein?«

Sternau horchte erstaunt auf.

»Erlaucht, hört Ihr, welchen Leuten Ihr Euer Leben und das Glück Eures Kindes anvertrautet?« wandte er sich zu dem Grafen. »Dieser Mann hat noch nichts von Lithotripsie gehört, von der Zermalmung und Entfernung des Steins durch den Katheterbohrer!«

Francas stieß ein verächtliches Lachen aus. »Ihr irrt, Señor! Das Märchen von der Katheterzange kannten wir bereits vor Euch, doch es ist eben ein Märchen, an das nur ein Unfähiger zu glauben vermag. Mit einem Unfähigen aber streitet man sich nicht. Der Graf mag entscheiden, wer dieses Zimmer augenblicklich zu verlassen hat, er oder wir.«

»Solang ich zu handeln vermag, werde ich mich nur der Entscheidung meines Gewissens fügen«, meinte Sternau. »Ich bemerkte bereits, daß Seine Erlaucht kein Arzt sind. Vielleicht entscheidet er sich für den Weg, der ihm das Leben kostet, und das werde ich nicht dulden, selbst wenn ich für meine Überzeugung mein eignes Leben einsetzen müßte!«

Da erhob sich der Graf, winkte gebieterisch mit der Hand und sprach:

»Señores, es ist hier nicht der Ort zu einem solchen Streit; ihr könnt Euch also entfernen, um später meine Entscheidung zu vernehmen. Eure Ansichten kenne ich; ich habe nun auch noch diejenige von Señor Sternau zu prüfen. Er wird also hierbleiben, um mir diese darzulegen. Geht jetzt, ihr werdet das Weitere bald erfahren!«

»Das heißt, wir sind verabschiedet?« grollte Francas. »Wir sind entlassen? Gut, wir gehn, aber dieser Fremde wird uns Genugtuung geben, und Euch, Erlaucht, bitten wir, sich vorher sehr zu bedenken, eh Ihr Euch entscheidet.«

Sie packten ihre Instrumente zusammen und verließen das Zimmer. Sofort trat Roseta ein, warf sich ungestüm an den Hals des Grafen und jubelte:

»Gerettet! Mein Vater, ich danke dir!«

Er wehrte sie leise von sich ab, doch ohne sie ganz aus den Armen zu lassen, und meinte:

»Nicht so stürmisch, mein Kind! Noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Ich habe erst noch die Ansicht von Señor Sternau zu prüfen.«

»Oh, sie wird die einzig richtige sein!« rief sie. »Du darfst ihm all dein Vertrauen schenken.«

Ihre Augen strahlten dem Deutschen so voll und warm entgegen, daß ihm dieser Blick wie Sonnenlicht tief ins Herz drang, und er mit bewegter Stimme bat:

»Erlaucht, habt Vertrauen zu mir! Gott weiß es, wie wahr und ehrlich ich es mit Euch meine. Verzeiht aber zugleich auch die Härte, mit der ich zu diesen Männern sprach! Ich war empört über den Leichtsinn, der Euer teures Leben gefährdete. Wäre die Operation wirklich vorgenommen worden, so lebtet Ihr nicht mehr, das schwöre ich Euch zu.«

Jetzt öffnete sich die Tür, und Graf Alfonso stürmte herein. Er hatte draußen mit den Ärzten verhandelt und kam nun, voller Ärger und Enttäuschung, um womöglich seinen finstern Zweck doch noch zu erreichen.

»Sie gehn? Du jagst sie fort, Vater?« fragte er. »Ist das möglich?«

»Ich jage sie nicht fort, mein Sohn«, antwortete der Graf. »Ich habe sie gebeten, mir Zeit zur Prüfung zu lassen.«

»Ich hoffe, daß deine Entscheidung diese verdienten Männer berücksichtigt!«

»Meine Entscheidung wird gerecht sein. Für jetzt aber bitte ich, diesen unerquicklichen Gegenstand fallen zu lassen.«

Alfonso mußte gehorchen, und der Graf wandte sich an seine Tochter:

»Denke dir, dieser Señor hat auch meine Augen untersucht!«

Sie blickte in schneller, freudiger Überraschung empor.

»Wirklich?« fragte sie. »Hattet Ihr Grund zur Hoffnung, Señor? Hieltet Ihr die Erblindung noch einer Untersuchung für wert?«

»Allerdings, Señorita. Ich habe viele Blinde behandelt, und die Übung schärft das Auge, so daß man bald ein vollständig hoffnungsloses Auge von einem solchen, das noch einer Besserung fähig ist, zu unterscheiden vermag.«

»Und was habt Ihr bemerkt?«

»Daß auch hier die Ärzte unrecht hatten.«

Sie sprang auf. Auch der Blinde erhob mit einer freudig überraschten Bewegung den Kopf, während Graf Alfonso einen giftigen Blick kaum zu verbergen vermochte.

»Wie meint Ihr das?« fragte der Graf. »O bitte, bitte, sprecht!«

»Erlaucht, hat man Euch für unheilbar erklärt?«

»Allerdings.«

»Welches ist das Übel, an dem Ihr nach diesem Urteil leiden sollt?«

»Man schrieb die Krankheit dem Staphylom Ein dem Weinbeerkernchen ähnliches Geschwür an der Augenhornhaut zu.«

»Hm, man hatte unrecht! Eure Krankheit besteht in dem grauen Star, in einer allerdings außerordentlich seltenen Verbindung mit derjenigen perlmutterartig glänzenden Trübung der Hornhaut, die wir Ärzte Leukom nennen.«

»Und ist dieser Zustand heilbar?« fragte der Graf fast atemlos.

»Bis vor kurzem wurde er allerdings für unheilbar gehalten; aber die Herstellung mehrerer Kranker ist bereits geglückt. Man entfernt das Leukom mittels fortgesetzter Punktation mit der Starnadel und operiert dann den darunter befindlichen grauen Star. Wollt Ihr Euch mir anvertrauen, Erlaucht, so gebe ich Euch mit dem besten Gewissen die Hoffnung, das Licht Eurer Augen zwar nicht in seiner früheren Schärfe und Stärke, aber doch so weit wiederzugewinnen, daß Ihr mittels der Brille sehn könnt!«

Der Graf streckte seine Arme zum Himmel empor und rief:

»O mein Gott, wenn dies möglich wäre!«

Und Roseta sank vor Entzücken weinend an seine Brust und bat mit Schluchzen:

»Vater, vertraue ihm! Es kann dir keiner helfen, als nur er allein!«

»Ja, ich will deiner Stimme gehorchen; ich will mich ihm mit allem Vertrauen übergeben, meine Tochter!« entschied der Graf. »Hier, Señor, habt Ihr meine Hand! Ihr habt Euer Werk heute mit Gott angefangen und werdet es auch mit Gottes Hilfe vollenden. Alfonso, mein Sohn, willst du dich nicht mit uns freuen?«

Der junge Graf versuchte sein Gesicht zu beherrschen und erwiderte:

»Ich wäre glücklich, dich wieder gesund und sehend zu wissen, aber ich bedenke auch, wie äußerst leichtsinnig und gefährlich es ist, Hoffnungen zu erwecken, die vielleicht nicht in Erfüllung gehn. Der Kranke muß sich dann zehnfach unglücklich fühlen.«

»Gott wird gnädig sein! Wie lange Zeit wird die Behandlung in Anspruch nehmen, Señor?«

»Der Stein ist, da Ihr erst an den Bohrer gewöhnt werden müßt, unter zwei Wochen nicht zu entfernen«, antwortete Sternau. »Erst dann, wenn Ihr von dieser Operation völlig gekräftigt seid und Euer Allgemeinbefinden nichts befürchten läßt, können wir an die Behandlung des Auges gehn, die allerdings eine bedeutend längere Zeit in Anspruch nehmen wird.«

»Aber könnt Ihr so lange hier verweilen, Señor?«

»Ich müßte mich von Professor Letourbier für längere Zeit beurlauben oder gar verabschieden lassen.«

»Verabschiedet Euch, ich bitte Euch darum. Ihr sollt bei mir eine Heimat finden und reichlichen Ersatz für alles, was Ihr in Paris verlaßt!«

»Mein bester Lohn soll das Bewußtsein sein, Euch die Gesundheit Eures Körpers und das Licht Eurer Augen wiedergebracht zu haben, Erlaucht. Ich werde also noch heute dem Professor schreiben.«

»Tut das! Ihr wohnt natürlich bei mir, Señor. Roseta mag Euch Eure Zimmer sogleich anweisen.«

»Dazu haben wir ja den Kastellan«, bemerkte Alfonso hämisch.

»Ja, richtig«, meinte der Graf. »Ich dachte in meiner Freude nicht daran.«

»Auch ich bin Señor Alfonso für seine Erinnerung dankbar,« sagte Sternau stolz, »da es nicht im mindesten meine Absicht ist, in den hiesigen Verhältnissen um meinetwillen eine Umwälzung hervorzurufen.«

Sternau verabschiedete sich vom Grafen Manuel und eilte hinaus, wo er die drei Spanier fand, die ihn mit finsteren, haßerfüllten Blicken maßen.

»Señor,« fauchte ihn Francas an, »Ihr habt den Kampf mit uns begonnen! Wir werden ihn fortsetzen, und zwar so kräftig und so lange, bis Ihr unterliegt.«

»Pah!«

Nur dieses eine Wort gab Sternau zurück, dann schob er den Sprecher beiseite und öffnete die Tür. Er selber schritt voran, um sich zunächst noch einmal nach seiner bisherigen Wohnung zu begeben. Bei seiner Rückkehr nach dem Schloß fand er seine Zimmer bereit.

Nur kurze Zeit später saßen in dem Gemach der Señora Clarissa wieder drei Männer hinter verschlossenen Türen. Graf Alfonso, Doktor Francas und der Notar Gasparino Die beiden ersteren bemühten sich, das außerordentliche Ereignis zu berichten.

»Oh, heilige Madonna von Segovia, ist das möglich!« rief Clarissa, als die Erzählung beendet war. »Wir waren so sicher; wir erwarteten das Gelingen unsres Plans so gewiß, und da kommt dieser Fremde dazwischen, um uns das Werk vollständig zu verderben!«

»Verderben?« fragte Alfonso höhnisch. »Wer spricht davon! Hier kann es sich doch höchstens um einen kurzen Aufschub handeln.«

»Wird es mit dem Bohrer gelingen, Señor?« raunte der Notar dem Arzt zu.

»Ganz sicher«, antwortete dieser. »Aber wir werden diesen Doktor Sternau selbst so scharf anbohren, daß er zermalmt wird, ehe er es denkt.«

»Und diese Augenoperation?«

»Kann auch gelingen, wenn keine verderbliche Entzündung dazukommt. Ich traue diesem deutschen Riesen alles zu.«

»So sorgt man eben dafür, daß eine solche Entzündung eintritt«, bemerkte Clarissa. »Gott hat dem Grafen das Licht der Augen genommen, um ihn zu prüfen, und es ist eine Sünde, in diese Prüfung Gottes einzugreifen.«

»Ja, wir können dieses und jenes tun, und auch noch vieles andre,« sagte der Notar, »aber wir müssen dabei vorsichtig sein. Wir dürfen nichts überstürzen und müssen jeden Verdacht vermeiden. Man darf uns so wenig als möglich beisammen sehn, und darum müssen wir auch die jetzige Unterhaltung bald beenden. Soviel steht fest: der Graf darf nicht wieder gesund, am allerwenigsten aber wieder sehend werden, denn er darf das Gesicht Alfonsos niemals erblicken. Und dieser Deutsche muß unschädlich gemacht werden; er muß sterben oder doch für immer verschwinden.«

»Aber wie?« fragte Clarissa.

»Das laß nur meine Sorge sein! Ich habe da oben in den Bergen einige gute Bekannte; von dummen Leuten werden sie Räuber genannt, gegen mich aber sind sie die treuesten und ehrlichsten Verbündeten, die ich mir nur wünschen kann. Ich werde sie recht bald einmal besuchen und dabei anfragen, ob sie geneigt sind, uns von der Gesellschaft dieses Deutschen zu befreien.«

Derjenige, von dem soeben die Rede war, ruhte unterdessen in seiner kleinen Wohnung von der durchwachten Nacht aus, und als er am Nachmittag zum Schloß kam, war Gräfin Roseta die erste, die ihm begegnete.

»Willkommen, Señor!« begrüßte sie ihn. »Mag uns Euer Eintritt Heil und Segen bringen!«

»Zunächst wird er nur Kampf bringen, Señorita«, antwortete er. »Das hat mir dieser Doktor Francas heilig und teuer versprochen.«

»Er mag recht haben, Señor,« entgegnete sie mit leuchtenden Augen, »aber der Kampf, zu dem wir uns verbinden, wird nicht nur ein Kampf gegen die Falschheit, die Lüge und das Verbrechen, sondern es wird auch ein Kampf um die Liebe sein! Ihr sollt in mir eine treue und tapfere Kameradin finden!«


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